Idyll

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Idyll

Pierer 1859

[777] Idyll (unrichtig die Idylle, v. gr. Eidyllion, ein Bildchen), 1) eigentlich jedes kleinere Gedicht, sei es lyrisch od. episch; 2) bes. Gedicht, welches anmuthige Scenen aus dem Leben in seiner ursprünglichen Natürlichkeit u. Freiheit von den Mängeln u. Gebrechen künstlicher Verfeinerung darstellen soll. Die Alten fanden dies einfache Leben bes. bei den Hirten u. nahmen darum den Stoff zu ihren I-en aus dem Leben u. der Umgebung der Hirten u. nannten diese Gedichte Bukolika (Hirtengedichte), die Römer Eclogä. Auch aus jeder ländlichen Beschäftigung haben die Dichter den Stoff zu ihren I-en genommen, u. so gibt es Schäfer-, Fischer-, Jäger-, Gärtneridyllen. Das I.[777] gehört zu den gemischten Gattungen der Poesie; es ist am nächsten der epischen Gattung. verwandt, da der Dichter selbst erzählt u. schildert; doch auch lyrisch, u. zwar meist der Elegie sich zuneigend, da es innige Empfindungen, milde Gefühle, auch Gefühle der Wehmuth u. Trauer, die Empfindung unerwiderter Liebe ausdrückt; auch dramatisch, indem der Dichter seine Personen auch im Dialog einführt. Das I. erweitert wird zum Idyllischen Epos (s.u. Epos). Zum I. wählt man, nach dem Vorgang der Alten, das epische Metrum (vgl. Hexameter), doch hat man auch vier- u. fünffüßige Jamben angewendet u. Einige (wie Geßner) haben sogar I-en in Prosa geschrieben Das I. bildeten unter den griechischen Dichtern erst die der Alexandrinischen Zeit, wo der Überdruß an dem, bis zur Unnatur verfeinerten Leben die Sehnsucht nach der Natürlichkeit u. Einfachheit wieder weckte. So ist es auch meist bei den andern Völkern gewesen, deren Dichter I-en geschrieben, s. die einzelnen Nationalliteraturen. Doch begann die moderne Poesie, ganz gegen den Vorgang der alten Bukoliker, den Schauplatz des I-s in ein ideales Arkadien zu verlegen.

Quelle:

  • Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 777-778.

Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010162941


Meyer 1902ff

(das, daneben die Idylle) heißt ein poetisches Werk, in dem eine eigenartige ästhetische Grundstimmung, nämlich die des Idyllischen, zur Geltung kommt. Das Idyllische wurde von Schiller (in seiner Abhandlung »Über naive und sentimentalische Dichtung«) zu den sentimentalischen, d. h. subjektiven ästhetischen Begriffen gerechnet, denen außerdem das Pathetische, Satirische, Elegische (und der Humor) angehören, und es läßt sich diesen allenfalls insofern gesellen, als auch bei ihm, wie bei jenen andern ästhetischen Begriffen, ein Gegensatz zwischen dem Auffassenden und dem Gegenstand seiner Auffassung hervortritt. So erscheint etwa dem satirischen Dichter der Gegenstand, den er darstellt, verdammenswert und des Spottes würdig, oder dem elegischen der seine als ein solcher, den er mit Schmerz vermißt; die Kluft zwischen Ideal und Leben, Wunsch und Wirklichkeit tritt deutlich hervor. Und so sollte auch der idyllische Dichter, der das Ideal als ein in der Phantasie neu sich vollendendes darstellt, in der sentimentalischen Auffassung wurzeln. Zweifellos kann das Gefühl für das Idyllische nur dort entstehen, wo eine Spaltung der Kulturschichten eingetreten ist und dem Einfachen und Natürlichen das Verbildete und Verkehrte gegenübersteht. Anderseits ist aber der sentimentalische Charakter des Idyllischen doch sehr zweifelhaft: während der Pathetiker, Satiriker, Elegiker und Humorist ihre subjektive Auffassung entschieden geltend machen, tritt sie dagegen bei dem Idylliker durchaus hinter den Objekten zurück. Aus diesem Grunde darf das Idyllische nicht ohne weiteres zu den subjektiven ästhetischen Begriffen gerechnet werden, es kann aber auch mit den objektiven Hauptbegriffen des Schönen, Erhabenen, Tragischen und Komischen nicht in eine Linie treten; vielmehr weist es uns auf ein ganz andres Gebiet ästhetischer Betrachtung hin. Nachdem einmal die in Urzeiten anzunehmende einheitliche Bildung unter den Genossen einer Volksgemeinschaft verloren gegangen war, sonderten sich mehrere Kreise oder Schichten ab, deren Angehörige sehr verschiedene Anschauungsweisen betätigten. Während in der primitiven Kultur der Urzeiten allein die typisch-volkstümliche Auffassungsweise herrschte, kam später durch die Zersplitterung der Bildung die konventionelle Auffassung bestimmter Lebenskreise und die individuelle Auffassung der sich mehr und mehr isolierenden bedeutenden Persönlichkeiten auf; daneben blieb das typisch Volkstümliche auf die niedere Schicht des Volkes im engern Sinne des Wortes beschränkt. Das Idyllische konnte nur entstehen, nachdem sich diese drei Formen der typisch volkstümlichen, der konventionellen und der individuellen Anschauung getrennt hatten. Die der konventionellen oder gelegentlich auch der individuellen Denkweise huldigenden höhern Gesellschaftsklassen blieben gegenüber den ästhetischen Reizen der ungebrochenen typisch-volkstümlichen Kultur nicht unempfänglich, und von ihrem Standpunkt aus wurde das Schöne und Liebliche der Willens- und Schicksalsgefühle dieser primitiven Kulturschicht als das Idyllische bezeichnet, ebenso wie man das Erhabene dieser Welt mit dem besondern Ausdruck des Heroischen bedachte. Wollen wir also das Idyllische mit den ästhetischen Hauptbegriffen in Verbindung bringen, so können wir es nur als eine auf eine bestimmte Kulturschicht hindeutende Unterart des Schönen im engern Sinne des Wortes betrachten. Das Idyllische ist dabei nicht auf eine bestimmte Gattung der Poesie beschränkt: es gibt ebenso gut idyllische Dramen, wie idyllische Epen, Erzählungen, Romane oder Gedichte idyllischen Charakters. Insbesondere aber werden als Idylle solche Gedichte bezeichnet, in denen das breit und liebevoll ausgeführte beschreibende Element sich mit lyrischen und wenig umfangreichen erzählenden Partien vereinigt. Das griechische Wort eidyllion, das verschieden gedeutet wird, als »kleines Bild« oder als »kleines, zum Gesang bestimmtes Lied«, trägt zur Erklärung des Begriffs I. nichts bei.

Die ältesten Spuren des Idylls finden sich bei den Hebräern (Buch Ruth) und bei den Indern (z. B. in den Schilderungen des Priester- und Einsiedlerlebens der »Sakuntala« des Kâlidâsa); zu reicherer Entwickelung kam es in der bukolischen Poesie der Griechen, die vorzugsweise Vorgänge aus dem Leben der Nymphen und Hirten behandelt. Diese im alexandrinischen Zeitalter von Theokrit im Anschluß an alte Wechselgesänge der sizilischen Hirten ausgebildete Gattung, in der sich außerdem Bion und Moschos auszeichneten, wurde von Vergil (»Eklogen«) in die römische Literatur übertragen. Jahrhundertelang wurde dann die idyllische Dichtung so gut wie gar nicht gepflegt. Zuerst versuchte Boccaccio in seinem »Ameto« die geistlich umgedeutete Bukolik zu erneuern, vor allem aber fanden Dichtungen idyllischen Charakters im 16. Jahrh. vielseitigste Pflege in Italien, wo namentlich Tasso durch seinen »Aminta« und Guarini durch seinen »Pastor fido« großen Erfolg erzielten. Von Italien aus tritt die Schäfer- oder Hirtendichtung ihren Siegeszug durch die Literatur aller Kulturländer an. So sind unter den Spaniern Cervantes, Montemayor, Garcilaso de la Vega, unter den Portugiesen Camoes, unter den Engländern Spenser und Gay, unter den Franzosen Ronsard, Marot, Fontenelle, Gresset und insbes. Bernardin de Saint-Pierre mit »Paul und Virginie« und Chateaubriand mit »Atala«, unter den Dänen Öhlenschläger als Idyllendichter rühmend zu erwähnen. In Deutschland erzielte Geßner mit Werken dieser Gattung einen ungewöhnlichen Erfolg, und die Lieblichkeit seiner feinsinnigen Darstellungen verdient in der Tat hohes Lob. Indessen schon früh hatte sich die idyllische Literatur ihres ursprünglichen Charakters entäußert: an Stelle der reinen Natur primitiver Zeiten trat gezierte Unnatur, traten Schilderungen, die der Norm der Lebenswahrheit Hohn sprachen und durch ihre süßliche Lieblichkeit kräftigern Naturen bald widerwärtig werden mußten. Erst in den 70er Jahren des 18. Jahrh. wurde Wert und Wesen der Volkspoesie wieder erkannt und dadurch auch der Begriff des Idyllischen von seiner langen Entartung befreit. Erst Johann Heinrich Voß (vor allem mit seinem »Siebzigsten Geburtstag« und seiner »Luise«) und Maler Müller wußten echtes Volksleben und volkstümliche Auffassung in ihren Idyllen zu gestalten und verrieten dabei den heilsamen Einfluß der Herderschen Lehren. Nach ihnen sind Eberhard (mit »Hannchen und die Küchlein«), Kosegarten (»Jukunde«), Ulrich Hegener (»Die Molkenkur«) u. a. zu nennen. Goethe vereinigt in seinem idyllischen Epos »Hermann und Dorothea« idyllische mit welthistorisch bedeutsamer Darstellung und gewann hierdurch einen neuen Typus der epischen Dichtung. Idyllische Züge finden sich aber auch in vielen modernen Werken, namentlich in der Dorfgeschichte; hierher gehören Immermanns »Oberhof«, die Schriften von Auerbach, M. Meyr, Rank, Hermann Schmid, manche Erzählungen von Anzengruber, Rosegger, Ganghofer etc.; aber auch Fritz Reuter, Theodor Storm und Gottfried Keller haben in ihren Novellen und Romanen manche sehr wirksame idyllische Darstellung geboten.

Quelle:

  • Meyer's Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig und Wien 1902-1908. Mit 20 Bänden, einem Ergänzungsband (1909), drei Jahressupplementen (1909/10, 1911 und 1912) sowie drei Kriegsnachtragsbänden (1914 – 1920). Bd. 6


Brockhaus 1911

Idyll (Idylle, grch., »kleines Bild«), eine Dichtung, die Vorgänge aus dem einfach-patriarchalischen, bes. dem Hirten-, Schäfer- und Fischerleben schildert (bukolische Poesie; vom grch. bukólos, »Rinderhirt«); bei den Griechen durch Theokrit, bei den Römern durch Virgil ausgebildet, in der neuern deutschen Literatur bes. durch Voß' »Luise« und Goethes »Hermann und Dorothea« vertreten. Auch Bezeichnung eines entsprechenden Gemäldes. Idyllisch, ländlich, im Charakter friedlichen Stillebens. Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 848. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001207067