Sonett (Goethe): Unterschied zwischen den Versionen
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* [1] Paradox: die "Wilden" lieben die strenge Kunstform, während der alte Klassiker die strenge Form zunächst scheut. |
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* [2] Widerspruch: wie bei dem Gedicht "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs" von Robert Gernhardt – "Sonette find ich sowas von beschissen" – kleidet sich die Kritik am Sonett in die Sonettform. |
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von Robert Gernhardt – "Sonette find ich sowas von beschissen" – kleidet sich die Kritik am Sonett in die Sonettform. |
Aktuelle Version vom 25. Juni 2014, 12:49 Uhr
Goethe und das Sonett
Das Sonett, das im europäischen Petrarkismus eine bedeutende Rolle spielte, im Englischen bei den Metaphysical Poets und im Deutschen im 17. Jahrhundert (der später auch Barock genannten Epoche) Triumphe feierte, geriet um die Wende zum 18. Jahrhundert in Vergessenheit und wurde erst von den Romantikern wiederbelebt. Goethe widerstrebte die Form zunächst, doch ein paar Jahre später fing er Feuer (durchaus nicht die einzige Anregung, die der Klassiker durch die jungen Wilden [1] seiner Zeit empfing – trotz seines theoretischen Gegensatzes zum Romantischen, siehe Klassisch und Romantisch (Goethe)).
So auch beim Sonett. Am 23.3. 1800 schickte August Wilhelm Schlegel seine "Gedichte" an Goethe. Unter den 91 Gedichten des Bandes sind 62 Sonette. Wenige Tage später war Schlegel bei Goethe in Weimar zu Gast, und sie dürften auch über das Sonett gesprochen haben. In der Folge tauschen sie sich brieflich über diese Form aus. Vermutlich im selben Jahr schreibt Goethe ein Sonett:
Das Sonett Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben, Ist heil'ge Pflicht, die wir dir auferlegen: Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegen Nach Tritt und Schritt, wie es dir vorgeschrieben. Denn eben die Beschränkung läßt sich lieben, Wenn sich die Geister gar gewaltig regen; Und wie sie sich denn auch gebärden mögen, Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben. So möcht' ich selbst in künstlichen Sonetten, In sprachgewandter Maßen kühnem Stolze, Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen; Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten, Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze, Und müßte nun doch auch mitunter leimen.
(Erstdruck in: Goethe's Werke, 13 Bde., Bd. 1, Gedichte, 1806)
Das Sonett läßt gleichsam im Zwiegespräch beide "Parteien", die Klassiker und die Romantiker, zu Wort kommen. Die Romantiker fordern den Klassiker zu "erneutem Kunstgebrauch" auf. Betont wird dabei (in der Rolle selbstironisch, aus Autorperspektive freilich ironisch gegen die Jungen gewandt) der Gegensatz von nach außen forcierter "Wildheit" der Gebärdung gegenüber der Vollendung der Form. Das Klassiker-Ich erwägt das auch – und lehnt dann dankend ab: die Kosten sind zu hoch. Das "Das Sonett" betitelte poetologische Gedicht gerät zu einer Verteidigung der spätestens seit Klopstock gewonnenen Individualität und Freiheit gegenüber "klassischer" Normierung. [2]
Schon bald nach seiner Veröffentlichung wurde das Gedicht in einem "Sonettenkrieg" zwischen dem bei Cotta erscheinenden "Morgenblatt" und den Heidelberger Romantikern Arnim, Brentano und Görres als Munition benutzt – ohne Goethes Wissen und Wollen. Denn Goethe war längst infiziert. Im wesentlichem im Dezember 1808 schreibt er einen Zyklus "Sonette", darin das selbstironische "Nemesis", in dem über seine eigene "Sonettenwut", "vier- und dreifach reimend", als eine Art Seuche spottet. Am 22.6. 1808 schreibt er an seinen Freund Zelter: "Wenn Ihnen das Vossische Sonett zuwider ist, so stimmen wir auch in diesem Puncte völlig überein. Wir haben schon in Deutschland mehrmals den Fall gehabt, daß sehr schöne Talente sich zuletzt in den Pedantismus verloren. Und diesem geht’s nun auch so. Für lauter Prosodie ist ihm die Poesie ganz entschwunden.
Und was soll es nun gar heißen, eine einzelne rhythmische Form, das Sonett z. B., mit Haß und Wuth zu verfolgen, da sie ja nur ein Gefäß ist, in das jeder von Gehalt hineinlegen kann was er vermag. Wie lächerlich ist’s, mein Sonett, in dem ich einigermaßen zu Ungunsten der Sonette gesprochen, immer wiederkäuen, aus einer ästhetischen Sache eine Parteysache zu machen und mich auch als Parteygesellen heranzuziehen, ohne zu bedenken, daß man recht gut über eine Sache spaßen und spotten kann, ohne sie deswegen zu verachten und zu verwerfen."
Und schon Jahre vorher, spätestens im Jahr 1802, hatte Goethe eine Art Widerruf geschrieben, ebenfalls ein Sonett über das Sonett, das jetzt die zuvor gefürchtete Einschränkung gerade als Chance für die Kunst absieht:
Natur und Kunst sie scheinen sich zu fliehen, Und haben sich, eh' man es denkt, gefunden; Der Widerwille ist auch mir verschwunden, Und beide scheinen gleich mich anzuziehen. Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen! Und wenn wir erst in abgemess'nen Stunden Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden, Mag frei Natur im Herzen wieder glühen. So ist's mit aller Bildung auch beschaffen: Vergebens werden ungebundne Geister Nach der Vollendung reiner Höhe streben. Wer Großes will muß sich zusammenraffen; In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Erstdruck in: Was wir bringen. Vorspiel bei der Eröffnung des neuen Schauspielhauses zu Lauchstädt (1802)
Anmerkungen
- [1] Paradox: die "Wilden" lieben die strenge Kunstform, während der alte Klassiker die strenge Form zunächst scheut.
- [2] Widerspruch: wie bei dem Gedicht "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs" von Robert Gernhardt – "Sonette find ich sowas von beschissen" – kleidet sich die Kritik am Sonett in die Sonettform.
- Goethe, Johann Wolfgang
- Sonett
- Schlegel, August Wilhelm
- Romantisch
- Poetologisches Gedicht
- Gernhardt, Robert
- Klopstock, Friedrich Gottlieb
- Das Sonett
- Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs
- Voß, Johann Heinrich
- Natur und Kunst sie scheinen sich zu fliehen
- Arnim, Achim von
- Brentano, Clemens
- Görres, Johann Joseph
- Sonette find ich sowas von beschissen