Weltliteratur: Unterschied zwischen den Versionen
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oder Calderon, oder die Nibelungen; sondern im Bedürfniß von etwas Musterhaftem müssen wir immer zu |
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den alten Griechen zurückgehen, in deren Werken stets |
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der schöne Mensch dargestellt ist. Alles übrige müssen wir nur historisch betrachten und das Gute, so weit es |
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. |
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 3f |
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== Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2, 1882 == |
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Das Jahrzehnt nach Napoleons Sturz wurde für den ganzen Welttheil eine Blüthezeit der Wissenschaften und Künste. Die Völker, die |
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soeben noch mit den Waffen aufeinander geschlagen, tauschten in schönem |
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Wetteifer die Früchte ihres geistigen Schaffens aus; nie zuvor war Europa |
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dem Ideale einer freien Weltliteratur, wovon Goethe träumte, so nahe |
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gekommen. Und in diesem friedlichen Wettkampfe stand Deutschland allen |
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voran. Welch eine Wandlung der Zeiten seit jenen Tagen Ludwigs XIV., |
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da die Cultur unseres Volkes bei allen anderen Nationen des Abendlandes |
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demüthig in die Schule gehen mußte! Jetzt huldigte die weite Welt dem |
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Namen Goethes. Die winkligen Gastzimmer im Erbprinzen und im Adler |
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zu Weimar wurden nicht leer von vornehmen Engländern, die den Fürsten |
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der neuen Dichtung besuchen wollten. In Paris genoß Alexander Humboldt eines Ansehens, wie kaum ein einheimischer Gelehrter; wenn ein |
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Fremder in den Miethwagen stieg und die Hausnummer des großen Reisenden nannte, dann griff der Kutscher achtungsvoll an den Hut und |
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sagte: ah chez Mr. de Humboldt! Und da Niebuhr als preußischer |
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Gesandter nach Rom kam, wagte ihm Niemand in der Weltstadt den |
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Ruhm des ersten Gelehrten zu bestreiten. |
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Von unserem Staate, von seinen Waffenthaten sprach das Ausland |
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wenig. Allen fremden Mächten kam das plötzliche Wiedererstarken der |
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Mitte des Welttheils ungelegen, sie alle bemühten sich wetteifernd den Antheil Preußens an der Befreiung Europas der Vergessenheit zu übergeben. Keiner der ausländischen Kriegsschriftsteller, welche in diesen Jahren |
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die Geschichte der jüngsten Feldzüge darstellten, ward den Verdiensten des |
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Blücherschen Hauptquartiers irgend gerecht. Das alte Ansehen der preußischen Armee, die in Friedrichs Tagen Jedermann als die erste der Welt |
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gefürchtet hatte, war durch die Siege von Dennewitz und Belle Alliance |
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keineswegs wiederhergestellt. Da der wirkliche Verlauf eines Coalitionskrieges sich nur schwer übersehen läßt, so beruhigte sich die öffentliche Meinung Europas gern bei dem einfachen Schlusse: als die Preußen bei Jena |
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allein fochten, wurden sie geschlagen, nur fremde Hilfe hat sie gerettet. |
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Daher kümmerte sich auch Niemand im Auslande um die politischen Institutionen, denen Preußen seine Freiheit verdankte. Preußen blieb nach |
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wie vor der am Wenigsten bekannte und am Gründlichsten verkannte |
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Staat Europas. Vollends der neue Regensburger Reichstag, der jetzt |
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in Frankfurt zusammentrat, erregte durch sein unfruchtbares Gezänk den |
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Spott des Auslandes; und bald nach der wunderbaren Erhebung unseres |
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Volkes stand bei allen Nachbarn wieder die alte bequeme Meinung fest: |
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die deutsche Nation sei durch den weisen Rathschluß der Natur zu ewiger |
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Ohnmacht und Zwietracht bestimmt. Um so bereitwilliger erkannte man |
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nunmehr die geistige Größe dieses machtlosen Volkes an; allein ihren |
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Künstlern und Gelehrten verdankten die Deutschen, daß sie von den alten |
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Culturvölkern des Westens wieder zu den großen Nationen gerechnet wurden. Sie hießen jetzt im Auslande das Volk der Dichter und der Denker; nur sollten sie auch bei der Theilung der Erde zufrieden sein mit |
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dem Poetenloose, das ihnen Schiller geschildert, und sich begnügen, berauscht vom göttlichen Lichte das Irdische zu verlieren. |
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Zum ersten male seit den Zeiten Martin Luthers machten Deutschlands Gedanken wieder die Runde durch die Welt, und sie fanden willigere Aufnahme als vormals die Ideen der Reformation. Deutschland |
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allein hatte die Weltanschauung des achtzehnten Jahrhunderts schon gänzlich überwunden. Der Sensualismus der Aufklärung war längst verdrängt durch eine idealistische Philosophie, die Herrschaft der Verstandes |
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durch ein tiefes religiöses Gefühl, das Weltbürgerthum durch die Freude |
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an nationaler Eigenart, das Naturrecht durch die Erkenntniß des lebendigen Werdens der Völker, die Regeln der korrekten Kunst durch eine |
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freie, naturwüchsige, aus den Tiefen des Herzens aufschäumende Poesie, |
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das Uebergewicht der exakten Wissenschaften durch die neue historisch-ästhetische Bildung. Diese Welt von neuen Gedanken war in Deutschland |
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durch die Arbeit dreier Generationen, der classischen und der romantischen Dichter, langsam herangereift, sie hatte unter den Nachbarvölkern |
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bisher nur vereinzelte Jünger gefunden und drang jetzt endlich siegreich |
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über alle Lande. |
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 6f |
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== Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung, 1944 == |
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[[category: Petersen, Julius]] |
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Wenn man den Blumenmarkt aufsucht, der die Austauschprodukte |
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aller Länder zur Schau stellt, gelangt man auf das Gebiet, das |
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Goethe zuerst als „Weltliteratur“ bezeichnet hat. Der Schöpfer des |
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Wortes hat keinen Zweifel gelassen, daß er darunter nicht die Gesamtheit |
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des literarischen Schaffens der Menschheit verstand, sondern |
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die jeweilige Zusammenstellung der edelsten und charakteristischsten |
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Gewächse aller Zonen, verpflanzt auf den gemeinsamen Boden einer |
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Übersetzungssprache: |
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Laßt alle Völker unter gleichem Himmel |
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sich gleicher Gabe wohlgemut erfreu'n. |
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Es handelt sich um keinen Wald, sondern um einen botanischen |
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Garten, der die Fülle vielfältigsten Wachstums in einem alle geographische |
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Trennung überwindenden Überblick zu genießender Anschauung |
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und vergleichender Betrachtung übermittelt. Wenn dabei |
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nach Möglichkeit die Daseinsform jeder Pflanze in einer ihrem ursprünglichen |
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Wesen entsprechenden Gestalt erhalten wird, so ist es |
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das Ergebnis eines Zusammengehens von Kunst und Wissenschaft. Je |
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fremdartiger das Gewächs, desto mehr ist die gärtnerische Pflege |
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(und ihr entspricht die Kunst des Übersetzers) auf das vorausgegangene |
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wissenschaftliche Studium der geologischen, physiologischen |
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und klimatischen Lebensbedingungen, die an Ort und Stelle |
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zu erforschen sind, angewiesen. |
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Wie der botanische Garten in Zusammenstellung der ihrem |
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Mutterboden entrückten Gewächse die räumliche Trennung aufhebt, |
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so bedeutet das Pantheon der Weltliteratur, das Museum der Übersetzungskunst |
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eine Überwindung der zeitlichen Trennung. Mit dem |
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Verlust ihrer ursprünglichen Sprachform sind die literarischen |
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Denkmäler dem geschichtlichen Zusammenhang, dem sie entwachsen |
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waren, entzogen. Sie gehören in dieser Form nicht mehr der Geschichte |
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ihrer eigenen Literatur an, denn sie tragen das Kleid |
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fremden Schrifttums, innerhalb dessen sie nun gleichfalls ihre geschichtliche |
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Wirkung ausüben können. Eigentlich aber sind sie durch |
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Vervielfältigung ihres Sprachgewandes, durch die Zwischenschaltung |
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zwischen zwei oder mehr Literaturen, durch ihre Erklärung zum übernationalen |
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Gemeingut überhaupt dem Gebiet der Geschichte entrückt. |
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Sie sind in ein neues Sein verpflanzt, dessen ewige Dauer indessen |
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keineswegs verbürgt ist. Die Hauptsache ist die Vergegenwärtigung. |
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Jede Übersetzung stellt das übertragene Werk auf |
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die Probe der Gegenwartswirkung seines Gedankengehalts und |
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seiner sprachlichen Form. Am wenigsten tritt die damit verbundene |
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Umdeutung in Erscheinung, wenn das übertragene Werk der eigenen |
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Zeit und einem verwandten Kulturkreis angehört. Je weiter das |
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Original dagegen räumlich und zeitlich entlegen ist, desto mehr |
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bedeutet die Arbeit des Übersetzers eine gewaltsame Aktualisierung, |
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die trotz oder wegen ihrer Gegenwartsnähe in ihrer Willkürlichkeit |
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schneller veraltet als die Urform, die den ihr eignenden Ewigkeitswert |
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unveränderlich bewahrt. Übersetzungen müssen im Laufe der |
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Zeit immer revidiert und erneuert werden und können, weil ihnen |
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nie die Identität mit dem Original erreichbar ist, immer nur eine |
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relative Geltung beanspruchen. Schon Cervantes hat die Übersetzung |
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mit der Rückseite eines flämischen Gobelins verglichen, und Wilhelm v. Humboldt bezeichnete alles Übersetzen als Versuch zur Lösung |
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einer unmöglichen Aufgabe. |
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 9-11 |
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Nicht die großen Künstler, sondern die gesinnungsstarken Ideenträger |
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und Repräsentanten des Zeitgeists waren die Helden des Gervinus: |
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der Volksgeist in seiner nie versiegenden Kraft bildete durchgehendes |
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Thema und Leitmotiv des Aufbaues. Das Zeitlose und Überzeitliche |
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blieb gleichgültig; die Goethesche Idee einer Weltliteratur |
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wurde bekämpft; nur das Eigenleben der Nationalliteratur sollte |
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gesucht und dargestellt werden. Mit belletristischer Kritik wollte |
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Gervinus nichts zu tun haben; schon 1833, als er von der Literaturgeschichte |
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als werdender Wissenschaft sprach, ließ er die Ästhetik |
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nur als Hilfsmittel gelten, etwa in der Bedeutung, die für den |
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Historiker die Politik habe. Tatsächlich aber war selbst dem Literarhistoriker |
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Gervinus die Politik viel wichtiger als die Ästhetik. |
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Eine systematische Einführung in die Probleme der Weltliteraturwissenschaft |
Eine systematische Einführung in die Probleme der Weltliteraturwissenschaft |
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will Albert Guerards |
will Albert Guerards Buch (1) geben, das im Prinzipiellen ähnlich |
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umfassend ist wie Friederichs Bibliographie. Es betont die Einheit der |
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Literatur auf Grund der Einheit des Menschlichen: "Literature should be |
Literatur auf Grund der Einheit des Menschlichen: "Literature should be |
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Literaturen nach den gemeinsamen Epochen ordnet, also die Einheit des |
Literaturen nach den gemeinsamen Epochen ordnet, also die Einheit des |
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literarischen Europa in der Abfolge seiner Stile darzustellen versucht. |
literarischen Europa in der Abfolge seiner Stile darzustellen versucht. |
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Shipleys |
Shipleys Enzyklopädie (2) ist dagegen eine bloße Sammlung alphabetisch |
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geordneter Abhandlungen über die verschiedenen Literaturen und von |
geordneter Abhandlungen über die verschiedenen Literaturen und von |
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kleinen biographischen Artikeln. |
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größerer Zahl erscheinen, so wird man sie als zwar notwendige, aber auch |
größerer Zahl erscheinen, so wird man sie als zwar notwendige, aber auch |
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notwendig beschränkte und methodisch wenig ergiebige Versuche gelten |
notwendig beschränkte und methodisch wenig ergiebige Versuche gelten |
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lassen müssen. Wir beschränken uns darauf, unten einige Beispiele |
lassen müssen. Wir beschränken uns darauf, unten einige Beispiele anzuführen (3). |
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Hanns W. Eppelsheimer, Handbuch der Weltliteratur. 2. Auflage. Frankfurt |
Hanns W. Eppelsheimer, Handbuch der Weltliteratur. 2. Auflage. Frankfurt |
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a. M. 1947 und 1950. |
a. M. 1947 und 1950. |
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Encyclopedia of Literature. Edited by Joseph T. Shipley. 2 vols. New York |
Encyclopedia of Literature. Edited by Joseph T. Shipley. 2 vols. New York |
Aktuelle Version vom 20. Februar 2019, 20:48 Uhr
Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 1836
"Ich sehe immer mehr, fuhr Goethe fort, daß die Poesie ein Gemeingut der Menschheit ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in hunderten und aber hunderten von Menschen hervortritt. Einer macht es ein wenig besser als der andere und schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles. Der Herr v. Matthisson muß daher nicht denken, er wäre es, und ich muß nicht denken, ich wäre es, sondern jeder muß sich eben sagen, daß es mit der poetischen Gabe keine so seltene Sache sey, und daß niemand eben besondere Ursache habe, sich viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht. Aber freylich wenn wir Deutschen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umgebung hinausblicken, so kommen wir gar zu leicht in diesen pedantischen Dünkel. Ich sehe mich daher gerne bey fremden Nationen um und rathe jedem, es auch seinerseits zu thun. National-Literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen. Aber auch bey solcher Schätzung des Ausländischen dürfen wir nicht bey etwas Besonderem haften bleiben und dieses für musterhaft ansehen wollen. Wir müssen nicht denken, das Chinesische wäre es, oder das Serbische, oder Calderon, oder die Nibelungen; sondern im Bedürfniß von etwas Musterhaftem müssen wir immer zu den alten Griechen zurückgehen, in deren Werken stets der schöne Mensch dargestellt ist. Alles übrige müssen wir nur historisch betrachten und das Gute, so weit es gehen will, uns daraus aneignen."
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 3f
"Im ästhetischen Fach sieht es freylich bey uns
am schwächsten aus und wir können lange warten, bis
wir auf einen Mann wie Carlyle stoßen. Es ist aber
sehr artig, daß wir jetzt, bey dem engen Verkehr zwischen Franzosen, Engländern und Deutschen, in den Fall
kommen uns einander zu corrigiren. Das ist der große
Nutzen, der bey einer Weltliteratur herauskommt und
der sich immer mehr zeigen wird. Carlyle hat das Leben
von Schiller geschrieben und ihn überall so beurtheilt,
wie ihn nicht leicht ein Deutscher beurtheilen wird.
Dagegen sind wir über Shakspeare und Byron im
Klaren und wissen deren Verdienste vielleicht besser zu
schätzen als die Engländer selber."
Ebd. S. 374
Gutzkow, Karl: Börne's Leben, 1840
Die kurz nach der Julirevolution gestiftete Europe litteraire, die dem Gedanken Goethes von einer Weltliteratur großen Vorschub hätte leisten können, aber bald der zu kostspieligen Begründung wegen eingehen mußte, hatte, um in Deutschland Eingang zu finden, erklärt: Die Politik bleibt von unsern Spalten ausgeschlossen. Dies schien Börne schimpflich: denn eine Freiheit haben und sie nicht benutzen, war ihm noch mehr als eine Thorheit.
Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 105f
Karl Marx / Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848
Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrieen sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrieen, deren Einführung eine Lebensfrage für alle civilisirte Nationen wird, durch Industrieen, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten, und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Welttheilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen von einander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.
Marx, Karl; Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei. London, 1848, S. 5f
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen, 1848
3. Die "Weltliteratur." Die Aufstopplung aller poetischen Schätze aller Nationen aus allen Zeiten muß die eigene Productivität erdrücken. Ein Uebersetzervolk kann nicht mehr ein Dichtervolk sein, die nach allen Seiten billige, anerkennende, aneignende Universalität ist ebenso ein Zei- chen der erlöschenden, eigenen Zeugungskraft, als der Kosmopolitismus ein Zeichen schwachen Nationalgefühls. Starke Nationen sind ungerecht. Die Phantasie des Mittelalters war wohl auch die Frucht einer Mischung der verschiedensten Völker-Elemente, aber diese Mischung war naiv; es war nicht eine Anerkennung und absichtliche Aneignung des Fremden als Fremden, man glaubte die fremden Sagen als eigene, setzte ihre Helden auf den eigenen Boden, trug in ihre Schicksale ohne Weiteres die eigene Anschauung hinein, es war ein allgemeines Amalgam.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 520
Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, 1861
Die Idee der Einheit des menschlichen Geschlechtes wird um so vollkommener dargestellt und verwirklicht, je mehr und inniger der einzelne Mensch mit seinen Gefühlen, Gedanken und Thaten in und mit der Menschheit lebt und leben kann. Was den geistigen Verkehr der Menschen hemmt, ist mit der Idee der Menschheit unvereinbar und frei muss besonders das Wort und die Schrift in dem einzelnen Staate wie zwischen allen Staaten sein. Diese Freiheit des Wortes und der Schrift hat eine Weltliteratur geschaffen, hat die Kunst und die Wissenschaft unter die Pflege und Obhut des ganzen Menschengeschlechtes gestellt und die Bildung zu einem Gemeingute der Menschheit gemacht. Ein grosser Gedanke, im entferntesten Winkel der Erde gedacht, eilt in wenigen Wochen von Volk zu Volk, von Welttheil zu Welttheil, und wird zum Gedanken des menschlichen Geschlechtes. Raum und Zeit haben fast aufgehört zu sein; wir leben in und mit allen Völkern der Gegenwart und der Vergangenheit und hierin liegt unsere höchste Menschlichkeit, unsere wahre Gottähnlichkeit. In dem Sohne ist Gott nicht allein zu den Menschen herabgestiegen, die Menschen haben mit dem Sohne sich auch zum Himmel erhoben.
Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 666f
Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik, 1873
Die Nationalität Deutschlands gegenüber anderen Staaten ist durch seine vielhäuptige Zertrümmerung schon nahe daran gewesen, ganz aufgerieben zu werden; die Verwirrung unzähliger Mundarten hat Einer Mundart den Weg zur Allherrschaft gebahnt bei uns wie bei den Griechen und den Italiänern und anderswo; bald auch wird vor dem mannigfaltigen litterarischen Reichthum, den alle Völker anhäufen, nirgend mehr eine Nationallitteratur bestehn, sondern eine Weltlitteratur an deren Stelle treten. Das ist dann freilich auch eine Einheit: ob aber dieselbe, von der die Menschheit ausgegangen?
Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 68
Beyer, Conrad: Deutsche Poetik, 1882
Der universelle, sprach- und reimgewandte Heros poetischer Form, Fr. Rückert, welcher in mir die Erwägung anregte, ob denn nicht die litterarischen Reichtümer aller Völker bald an Stelle der Nationallitteraturen die von ihm angebahnte Weltlitteratur schaffen würden, schien mir am meisten geeignet, die Abstraktion der Gesetze einer Poetik zu ermöglichen und durch seine mehr als 200,000 Verse umfassenden Dichtungen in das Geheimnis der deutschen Verskunst einzuführen. Da ich mir jedoch vornahm, keinen Lehrsatz ohne Beispiel zu lassen, so hätte ich mir durch starres Beschränken auf Rückertsche Beispiele den Vorwurf der Einseitigkeit zuziehen müssen, indem bei Rückert doch so Manches fehlt, was als ein Vorzug anderer bedeutender Dichter und Zeitgenossen angesehen werden muß.
Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 10f
Joh. Gottfried von Herder (1744-1803). Er öffnete die Schätze des Auslandes und regte die Weltlitteratur an; sein Vorzüglichstes ist: Stimmen der Völker in Liedern; Cid; Parabeln und Paramythien.
Ebd. S. 56
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2, 1882
Das Jahrzehnt nach Napoleons Sturz wurde für den ganzen Welttheil eine Blüthezeit der Wissenschaften und Künste. Die Völker, die soeben noch mit den Waffen aufeinander geschlagen, tauschten in schönem Wetteifer die Früchte ihres geistigen Schaffens aus; nie zuvor war Europa dem Ideale einer freien Weltliteratur, wovon Goethe träumte, so nahe gekommen. Und in diesem friedlichen Wettkampfe stand Deutschland allen voran. Welch eine Wandlung der Zeiten seit jenen Tagen Ludwigs XIV., da die Cultur unseres Volkes bei allen anderen Nationen des Abendlandes demüthig in die Schule gehen mußte! Jetzt huldigte die weite Welt dem Namen Goethes. Die winkligen Gastzimmer im Erbprinzen und im Adler zu Weimar wurden nicht leer von vornehmen Engländern, die den Fürsten der neuen Dichtung besuchen wollten. In Paris genoß Alexander Humboldt eines Ansehens, wie kaum ein einheimischer Gelehrter; wenn ein Fremder in den Miethwagen stieg und die Hausnummer des großen Reisenden nannte, dann griff der Kutscher achtungsvoll an den Hut und sagte: ah chez Mr. de Humboldt! Und da Niebuhr als preußischer Gesandter nach Rom kam, wagte ihm Niemand in der Weltstadt den Ruhm des ersten Gelehrten zu bestreiten.
Von unserem Staate, von seinen Waffenthaten sprach das Ausland wenig. Allen fremden Mächten kam das plötzliche Wiedererstarken der Mitte des Welttheils ungelegen, sie alle bemühten sich wetteifernd den Antheil Preußens an der Befreiung Europas der Vergessenheit zu übergeben. Keiner der ausländischen Kriegsschriftsteller, welche in diesen Jahren die Geschichte der jüngsten Feldzüge darstellten, ward den Verdiensten des Blücherschen Hauptquartiers irgend gerecht. Das alte Ansehen der preußischen Armee, die in Friedrichs Tagen Jedermann als die erste der Welt gefürchtet hatte, war durch die Siege von Dennewitz und Belle Alliance keineswegs wiederhergestellt. Da der wirkliche Verlauf eines Coalitionskrieges sich nur schwer übersehen läßt, so beruhigte sich die öffentliche Meinung Europas gern bei dem einfachen Schlusse: als die Preußen bei Jena allein fochten, wurden sie geschlagen, nur fremde Hilfe hat sie gerettet. Daher kümmerte sich auch Niemand im Auslande um die politischen Institutionen, denen Preußen seine Freiheit verdankte. Preußen blieb nach wie vor der am Wenigsten bekannte und am Gründlichsten verkannte Staat Europas. Vollends der neue Regensburger Reichstag, der jetzt in Frankfurt zusammentrat, erregte durch sein unfruchtbares Gezänk den Spott des Auslandes; und bald nach der wunderbaren Erhebung unseres Volkes stand bei allen Nachbarn wieder die alte bequeme Meinung fest: die deutsche Nation sei durch den weisen Rathschluß der Natur zu ewiger Ohnmacht und Zwietracht bestimmt. Um so bereitwilliger erkannte man nunmehr die geistige Größe dieses machtlosen Volkes an; allein ihren Künstlern und Gelehrten verdankten die Deutschen, daß sie von den alten Culturvölkern des Westens wieder zu den großen Nationen gerechnet wurden. Sie hießen jetzt im Auslande das Volk der Dichter und der Denker; nur sollten sie auch bei der Theilung der Erde zufrieden sein mit dem Poetenloose, das ihnen Schiller geschildert, und sich begnügen, berauscht vom göttlichen Lichte das Irdische zu verlieren. Zum ersten male seit den Zeiten Martin Luthers machten Deutschlands Gedanken wieder die Runde durch die Welt, und sie fanden willigere Aufnahme als vormals die Ideen der Reformation. Deutschland allein hatte die Weltanschauung des achtzehnten Jahrhunderts schon gänzlich überwunden. Der Sensualismus der Aufklärung war längst verdrängt durch eine idealistische Philosophie, die Herrschaft der Verstandes durch ein tiefes religiöses Gefühl, das Weltbürgerthum durch die Freude an nationaler Eigenart, das Naturrecht durch die Erkenntniß des lebendigen Werdens der Völker, die Regeln der korrekten Kunst durch eine freie, naturwüchsige, aus den Tiefen des Herzens aufschäumende Poesie, das Uebergewicht der exakten Wissenschaften durch die neue historisch-ästhetische Bildung. Diese Welt von neuen Gedanken war in Deutschland durch die Arbeit dreier Generationen, der classischen und der romantischen Dichter, langsam herangereift, sie hatte unter den Nachbarvölkern bisher nur vereinzelte Jünger gefunden und drang jetzt endlich siegreich über alle Lande.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 6f
Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung, 1944
Wenn man den Blumenmarkt aufsucht, der die Austauschprodukte aller Länder zur Schau stellt, gelangt man auf das Gebiet, das Goethe zuerst als „Weltliteratur“ bezeichnet hat. Der Schöpfer des Wortes hat keinen Zweifel gelassen, daß er darunter nicht die Gesamtheit des literarischen Schaffens der Menschheit verstand, sondern die jeweilige Zusammenstellung der edelsten und charakteristischsten Gewächse aller Zonen, verpflanzt auf den gemeinsamen Boden einer Übersetzungssprache:
Laßt alle Völker unter gleichem Himmel
sich gleicher Gabe wohlgemut erfreu'n.
Es handelt sich um keinen Wald, sondern um einen botanischen Garten, der die Fülle vielfältigsten Wachstums in einem alle geographische Trennung überwindenden Überblick zu genießender Anschauung und vergleichender Betrachtung übermittelt. Wenn dabei nach Möglichkeit die Daseinsform jeder Pflanze in einer ihrem ursprünglichen Wesen entsprechenden Gestalt erhalten wird, so ist es das Ergebnis eines Zusammengehens von Kunst und Wissenschaft. Je fremdartiger das Gewächs, desto mehr ist die gärtnerische Pflege (und ihr entspricht die Kunst des Übersetzers) auf das vorausgegangene wissenschaftliche Studium der geologischen, physiologischen und klimatischen Lebensbedingungen, die an Ort und Stelle zu erforschen sind, angewiesen.
Wie der botanische Garten in Zusammenstellung der ihrem
Mutterboden entrückten Gewächse die räumliche Trennung aufhebt,
so bedeutet das Pantheon der Weltliteratur, das Museum der Übersetzungskunst
eine Überwindung der zeitlichen Trennung. Mit dem
Verlust ihrer ursprünglichen Sprachform sind die literarischen
Denkmäler dem geschichtlichen Zusammenhang, dem sie entwachsen
waren, entzogen. Sie gehören in dieser Form nicht mehr der Geschichte
ihrer eigenen Literatur an, denn sie tragen das Kleid
fremden Schrifttums, innerhalb dessen sie nun gleichfalls ihre geschichtliche
Wirkung ausüben können. Eigentlich aber sind sie durch
Vervielfältigung ihres Sprachgewandes, durch die Zwischenschaltung
zwischen zwei oder mehr Literaturen, durch ihre Erklärung zum übernationalen
Gemeingut überhaupt dem Gebiet der Geschichte entrückt.
Sie sind in ein neues Sein verpflanzt, dessen ewige Dauer indessen
keineswegs verbürgt ist. Die Hauptsache ist die Vergegenwärtigung.
Jede Übersetzung stellt das übertragene Werk auf
die Probe der Gegenwartswirkung seines Gedankengehalts und
seiner sprachlichen Form. Am wenigsten tritt die damit verbundene
Umdeutung in Erscheinung, wenn das übertragene Werk der eigenen
Zeit und einem verwandten Kulturkreis angehört. Je weiter das
Original dagegen räumlich und zeitlich entlegen ist, desto mehr
bedeutet die Arbeit des Übersetzers eine gewaltsame Aktualisierung,
die trotz oder wegen ihrer Gegenwartsnähe in ihrer Willkürlichkeit
schneller veraltet als die Urform, die den ihr eignenden Ewigkeitswert
unveränderlich bewahrt. Übersetzungen müssen im Laufe der
Zeit immer revidiert und erneuert werden und können, weil ihnen
nie die Identität mit dem Original erreichbar ist, immer nur eine
relative Geltung beanspruchen. Schon Cervantes hat die Übersetzung
mit der Rückseite eines flämischen Gobelins verglichen, und Wilhelm v. Humboldt bezeichnete alles Übersetzen als Versuch zur Lösung
einer unmöglichen Aufgabe.
Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 9-11
Nicht die großen Künstler, sondern die gesinnungsstarken Ideenträger
und Repräsentanten des Zeitgeists waren die Helden des Gervinus:
der Volksgeist in seiner nie versiegenden Kraft bildete durchgehendes
Thema und Leitmotiv des Aufbaues. Das Zeitlose und Überzeitliche
blieb gleichgültig; die Goethesche Idee einer Weltliteratur
wurde bekämpft; nur das Eigenleben der Nationalliteratur sollte
gesucht und dargestellt werden. Mit belletristischer Kritik wollte
Gervinus nichts zu tun haben; schon 1833, als er von der Literaturgeschichte
als werdender Wissenschaft sprach, ließ er die Ästhetik
nur als Hilfsmittel gelten, etwa in der Bedeutung, die für den
Historiker die Politik habe. Tatsächlich aber war selbst dem Literarhistoriker
Gervinus die Politik viel wichtiger als die Ästhetik.
Ebd. S. 32
Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft, 1969
Eine systematische Einführung in die Probleme der Weltliteraturwissenschaft will Albert Guerards Buch (1) geben, das im Prinzipiellen ähnlich umfassend ist wie Friederichs Bibliographie. Es betont die Einheit der Literatur auf Grund der Einheit des Menschlichen: "Literature should be taught as Literature in English, not as English Literature". Weltliteratur erscheint als die Einheit des wahrhaft Lebendigen, nicht als die bloße Gesamtheit ("universal literature") aller Literaturen und Werke. Jene einheitliche Weltliteratur aber gliedert er nach ihren verschiedenen "tendencies" (d. h. nach den Typen Klassik und Romantik, Realismus und Symbolismus), nach den Gattungen und schließlich nach den Perioden. Damit interessieren ihn weniger die Probleme der zwischenliterarischen Beziehungen ("comparative literature") als die Prinzipien von Poetik und Historik, die er "general literature" nennt; vor allem die Poetik wird hier zum Hauptgebiet der Weltliteraturwissenschaft. Dem gegenüber scheint uns die prinzipielle Trennung von Poetik und Weltliteraturwissenschaft, wie wir sie im Vorstehenden durchgeführt haben, richtiger und klarer zu sein; Weltliteratur ist für uns eine dynamische, geschichtliche Größe, im Gegensatz zu dem Phänomen der Dichtung an sich, wie es die Poetik studiert. Sie erscheint damit hier als Gegenstand der Literarhistorie; ihre zwei wichtigsten Konzeptionen sollen im Folgenden umrissen werden.
b) Weltliteratur und vergleichende Literaturwissenschaft
Was kann "europäische Literatur", "Weltliteratur" bedeuten? Zwei gegensätzliche, aber gleich oberflächliche Möglichkeiten der Auffassung bestehen zunächst darin, sie entweder als Summe aller nationalen Einzelliteraturen zu nehmen oder in ihr die engste Auswahl der ganz großen, der zeitlosen weltliterarischen Klassiker zu sehen. Jene additive Methode beherrscht die der reinen Stoffvermittlung dienenden Handbücher, besonders wo es darum geht, eine Mehrzahl von Darstellungen von verschiedenen Bearbeitern durch "Buchbindersynthese" zu einer Geschichte der Weltliteratur zu vereinigen. Eppelsheimers1 bewährtes Handbuch befriedigt insofern höhere Ansprüche, als es bei aller Beschränkung auf Sammlung und Ordnung des Materials und auf einen praktischen Zweck klug und umsichtig wählt und in ausgezeichneten Stichworten charakterisiert, und als es die abendländischen Literaturen nach den gemeinsamen Epochen ordnet, also die Einheit des literarischen Europa in der Abfolge seiner Stile darzustellen versucht. Shipleys Enzyklopädie (2) ist dagegen eine bloße Sammlung alphabetisch geordneter Abhandlungen über die verschiedenen Literaturen und von kleinen biographischen Artikeln.
Es gibt aber auch die Konzeption der Weltliteratur als des Pantheons
der "großen" Werke und Dichter, die über ihre Zeit und ihren Raum hinausragen
und sich in der menschlichen Allgemeingültigkeit über alle Entfernungen
die Hand reichen, ja sich erst gegenseitig erläutern. "Nur wer Hafis
liebt und kennt, weiß was Calderon gesungen." So sind auch moderne Darstellungen
nicht selten, in denen über alle geschichtlichen Bedingungen hinweg
Stifter aus Eckhart, Horaz aus Mallarme und Aristophanes aus Heinrich
Heine erläutert werden. In großem Stil, in bewußt dichterischer Vogelschau
faßt auch der ungarische Schriftsteller Michael Babits die "Weltliteratur
als die Literatur des Menschen als solchen", in "aristokratischem Begriff",
und sucht in ihr "die gemeinsame Währung des Geistes", immer bestrebt,
durch die überraschendsten Querverbindungen diese Geschichtslosigkeit zu erzielen (auch wenn die Gesamtdisposition auf die zeitliche Ordnung nicht
verzichten kann). Es ist nicht schwer und wurde schon oben in bezug auf
Croce und Mahrholz versucht, die Fragwürdigkeit dieses Begriffs der
"Überzeitlichkeit" der Dichtung zu zeigen. Es ist offensichtlich unzulässig,
den geschichtlichen Wandel in der Bewertung gerade großer Geister zu übersehen
und Geschichte nur als Oberflächenerscheinung zu fassen. Bleibt jene
summierende Methode in ihrer Stofflichkeit diesseits der Geschichte, so
wird sie hier übersprungen. Praktisch werden allerdings die Versuche, in
einheitlicher Darstellung eine Synthese der europäischen oder universalen
Literaturgeschichte zu geben, schlechte und rechte Kompromisse von persönlicher
Höhenschau und kompilatorischer Chronik sein müssen. Bedenkt man
die schon in der Disposition von Baldenspergers Bibliographie angedeutete
Vieldimensionalität des weltliterarischen Problems und die jedes Bewußtsein
übersteigende Breite und Tiefe des Gegenstandes, so wird man jeder "Weltliteraturgeschichte"
skeptisch gegenübertreten. Wenn solche Werke heute in
größerer Zahl erscheinen, so wird man sie als zwar notwendige, aber auch
notwendig beschränkte und methodisch wenig ergiebige Versuche gelten
lassen müssen. Wir beschränken uns darauf, unten einige Beispiele anzuführen (3).
1 Hanns W. Eppelsheimer, Handbuch der Weltliteratur. 2. Auflage. Frankfurt a. M. 1947 und 1950.
2 Encyclopedia of Literature. Edited by Joseph T. Shipley. 2 vols. New York 1946.
3 Michael Babits, Geschichte der europäischen Literatur. Aus dem Ungarischen. Zürich-Wien 1949. - Robert Lavalette, Literaturgeschichte der Welt. Zürich 1948. - Laurie Magnus, A History of European Literature. London 1945. - Paul van Tieghem, Histoire litteraire de l'Europe et de l'Amerique de la Renaissance a nos jours. 2e edition Paris 1946. - Nicolas Segur, Histoire de la litterature europeenne. 5 vols. Neuchatel-Paris 1948 ff.
Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 152-154