Wozu Literatur? (Minder)

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Robert Minder: Wozu Literatur? Reden und Essays. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag (Band 275 der Bibliothek Suhrkamp), 1971


Inhalt

Literatur als Geschäft und Politik.

Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 1969

Scheherazade fabuliert. – Ein Straßburger Gymnasiast kauft 1916 die » Weltliteratur«. – Alle Räder rollen fürs Publikum. – Das schräge Licht der Inserate. – Die Literatur: Venedig, strahlend auf seinen Pfählen und unterspült. – Linguistik und soziale Fakten: die einen im Feld, die andern im Bade. – » Woyzeck« und Tanzlehrinstitut Müller »nur für bessere Kreise«. Der Arbeiter als »Persönlichkeit«. – »Bilse und ich«. Vier französische Heerführer und Nini von Amiens. – Pétain fährt in die Lungenentzündung und nach Verdun. – Mörikes Mozart-Kalesche unbehelligt: die besondere Umlaufbahn des Kunstwerks. – Von Gogol zu Freud. – Französische Autoren in der » Weltliteratur« 1916. – Meutereien. Der Papst gibt Gold, die Pfarrer segnen. – »Hunde an die Front« und »Zärtliche Verwandte in der Tierwelt«: zwei Tragpfeiler der Massenliteratur. – »Dolchstoß« 1918 in Deutschland, 1940 in Frankreich. – Lebkuchentreuherzigkeit der vaterlandsrettenden Marschälle. – Ein Schnittpunkt von Geschäft und Literatur: »Eiserne Männer« und »Schönheitsrezepte aus Frauenklöstern«. – Die goldnen Jahre 1920 in Paris. – Gespräch mit Foch. – Chaplins Abgang 1928. – Von Compiègne 1918 über Compiègne 1940 zum russischen Kessel und zur Mauer. – Potenziertes 1916 heute. – Was kann Literatur?

Wie wird man Literaturhistoriker und wozu?

Rede zur Verleihung des Hansischen Goethepreises 1968

Randfigur auf dem Gebiet einer Randerscheinung: der Literaturgeschichte. – Lerse als Typ oder Das Elsaß als Nahtstelle und Katastrophenzone – Introversion des Lesenden. – Menschen hinter den Büchern. Der Rousseauschwärmer in Amerika. Der politische Emigrant von 1848 in London mit dem Sohn des gestürzten Napoleon als Schüler. – Literatur, ein dressierter Pudel in der guten Stube der Literaturgeschichte. – »Ich kenne keine Parteien mehr.« – »Iphigenie« im Schulzimmer und als Gehilfin am Feuerofen. – Albert Schweitzers iphigenische Tat – mit welchem Effekt? – Die Antwort von Romain Rolland. – Sartres Moralismus. – Mediosphäre des Kunstwerks; der Passierschein.

Rolle der französischen Germanistik. Elsässer in Paris als Trojanisches Pferd? – Charles Andler und Maurice Barrès. – Die deutsche Literatur an unserm Tisch 1933. – Im Viehwagen mit uns Juni 1940. – Reaktionen Alfred Döblins auf die Experimente des Schicksals mit ihm. – »Du kennst die Deutschen nicht.« 

Das Radargerät in der Fledermaus. – Die Landschaft der Literatur und das Korn für den Speicher. – Chidher der Weltendurchstreifer.

Literatur im kulturellen Geflecht oder Ein Blutstropfen Schiller

Rede zur Eröffnung der Deutschen Therapiewoche in Karlsruhe 1970

Persönliches und Weltgeschehen – Hans Pfitzner und der Pariser Chirurg. – Verspätete Partnerschaft rechts und links vom Rhein. Und heute?

Schiller als Blutstropfen im Organismus der Literatur. – Die Zeit von 1782–1785. – Baden, Kurpfalz und Württemberg oder Drei Fürsten des Absolutismus, drei Charaktere. – Merkwürdige Rache einer Graubündner Akademie oder Die Flucht aus Stuttgart. – Adliger Intendant und bürgerlicher Verleger in Mannheim. – Fehldiagnosen übers 18. Jahrhundert. – Erinnerungsbilder im Kollektivgedächtnis. – Der Blutstropfen Schiller anämisch verdünnt links von der Elbe, rotfunkelnd rechts davon. – Literaturgeschichte und menschliche Verhaltensweisen. Die Malaria in Mannheim. – Standesunterschiede im Wassertrinken. – Das Heidelberger Schloß: Symbol und Wirklichkeit. – Moden in der Medizin und Willkür der Patienten, – »Mein Prinzipal, der Tod«.

Soziale Anklagen im »Brief über den kurfürstlichen Antikensaal«. – Schillers diplomatisches Kalkül bei allem Höhenflug, – Das Scheitern in Mannheim. – Bürgerliches und höfisches Publikum.

Ewigweibliches mit ökonomisch–sozialen Folgen. – Weimarer Klassik und napoleonisches Empire. – Ein anderes Waterloo. – Einige Fragen außerhalb des Themas. – Parallelismus von ärztlichen und literarhistorischen Diagnosen. – Politische Aktualität des »Mannheimer Briefs«, – Alfred Mombert: »glänzend unerschüttert«.

Alfred Döblin: »Die Segelfahrt« oder Struktur und Erlebnis

Formstrenge Döblins; Musik als Modell für Literatur. Thema: der Mann von fünfzig Jahren, – Verzahnung der Einzelteile. Das »Meer« von Debussy. – Geometrische Darstellung: die drei Sprünge. – Lenore, Senta und Isolde, Ibsens Ellida und Irene als Ahnfrauen.

Andere Strukturierungen des Themas bei G. Hauptmann und Th. Mann. – Parallelen in Malerei und Musik um 1910. – Homer als Vorbild. Die Ästhetik von Döblins »Kalypso«, – Permanenz seiner Ansichten in späteren Aussagen.

Erlebnishintergrund: das psychische Trauma des Zehnjährigen. Bindung an die Mutter und Revolte gegen ihr Ideal des Ökonomischen Leistungstyps. – Tabu der Sexualität. – Frieda, ihre Verstoßung und ihr stetes Wiederauftauchen im Werk. – Aufgezwungene Verlobung und Strindberg–Ehe. – Reaktivierung des Vater–Mutter–Konflikts im Werk. – Von »Wallenstein« zu »Hamlet«, vom »Schwarzen Vorhang« zur »Sommerliebe«: Grundmuster der »Segelfahrt«, – Formalästhetische Deutung der Abschlüsse von Döblins Werken? – Die psychische Schranke.

Nochmals Lesebücher oder Wozu Literatur?

Literatur an Millionen vermittelt. – Was bleibt, und wie. – Gesangbuch und Volkslied in Deutschland und Frankreich. – Sprichwörter als winzigste literarische Partikel. Klang und Sinn. – Von den Schlagern zu Karl May und Jules Verne, von der »Kameliendame« zu Stendhal. – »Niedere« und hohe Literatur.

Das » Volk« im Lesebuch der Hohenzollernzeit. – Stifters Österreichisches Lesebuch. – Barbarossa und die mythisierende Funktion der Literatur. – Die Rolle von Geibel und Freytag. – Wehrwille in Mondovision. – Symbol der einläutenden Glocke. – Die » Wacht am Rhein«, »ein paar Armeekorps wert«, – Französische Verherrlichung des Zuaven. – »Fromme Zucht« und ihr Korrelat: Züchtigung. – Die Kommune in Geschichte und Literatur. – Europas Intellektuelle beim Ausbruch des Kriegs. Romain Rolland. – Hofmannsthal, Musil, Döblin, Karl Scheffler und das patriotische Metaphernnetz des Lesebuchs. – Parallelen im französischen Lesebuch. –

Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg. – Kritische Schulung und Spieltrieb. – Untergang der Literatur? – Von Levin bis Lenin: Literatur als Kräftezuwachs.

Nachwort.