Griechisch und Latein (Goethe)

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Bei dieser Gelegenheit läßt sich jene Betrachtung anstellen, die uns auch schon früher entgegendrang: welch eine andre wissenschaftliche Ansicht würde die Welt gewonnen haben, wenn die griechische Sprache lebendig geblieben wäre und sich anstatt der lateinischen verbreitet hätte.

Die weniger sorgfältigen arabischen und lateinischen Übersetzungen hatten schon früher manches Unheil angerichtet, aber auch die sorgfältigste Übersetzung bringt immer etwas Fremdes in die Sache, wegen Verschiedenheit des Sprachgebrauchs.

Das Griechische ist durchaus naiver, zu einem natürlichen, heitern, geistreichen, ästhetischen Vortrag glücklicher Naturansichten viel geschickter. Die Art, durch Verba, besonders durch Infinitiven und Partizipien zu sprechen, macht jeden Ausdruck läßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts bestimmt, bepfählt und festgesetzt, es ist nur eine Andeutung, um den Gegenstand in der Einbildungskraft hervorzurufen.

Die lateinische Sprache dagegen wird durch den Gebrauch der Substantiven entscheidend und befehlshaberisch. Der Begriff ist im Wort fertig aufgestellt, im Worte erstarrt, mit welchem nun als einem wirklichen Wesen verfahren wird. Wir werden später Ursache haben, an diese Betrachtungen wieder zu erinnern.


Goethe: Farbenlehre. Historischer Teil. Julius Cäsar Scaliger