Hebräische Literatur

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Pierer 1859

[142] Hebräische Literatur.

Die H. L. umfaßt den größen Theil der Schriften des Alten Testamentes. Vor Moses sind keine Spuren einer wissenschaftlichen Cultur bei dem hebräischen Volke vorhanden; erst seit Moses, der selbst seine Bildung in Ägypten erhalten hatte, beginnen Spuren schriftlicher Aufzeichnungen, nicht daß er Verfasser der nach ihm genannten Bücher wäre (s. unten), sondern die ältesten unter seinem Einfluß gemachten Schriftwerke waren die steinernen Gesetztafeln. Die ersten Spuren dichterischer Äußerungen zeigen sich bei diesem Volke nach dem glücklichen Durchzug durch das Rothe Meer, wo gesungen u. gespielt wurde. Nachdem sich die Hebräer in dem Gelobten Lande festgesetzt hatten u. unter den Richtern große Heldenthaten ausgeführt wurden, wurden dadurch auch Dichter u. Sänger geweckt, welche diese Thaten in Liedern befangen, bes. bekannt aus dieser Zeit ist Debora u. Simson, Letzter sang u. spielte zugleich. In dieser Zeit wurde auch die Fabel u. das Räthsel entwickelt. Unter Samuel stieg die geistige Cultur des Volkes immer mehr, bes. durch die Errichtung der Prophetenschulen, in denen die Propheten, die zugleich Volkslehrer, Schriftsteller u. Dichter waren, gebildet wurden. Doch auch fern von diesen Schulen sang, wem Gesang gegeben war, bei den Beschäftigungen des Hirtenlebens, wie bes. das Beispiel Davids beweist, u. auch auf den Thron gestiegen behielt dieser die Liebe für die Poesie, er wurde ein Muster für die anderen Dichter, u. ihm verdankt die hebräische Poesie ihre Richtung aufs Religiöse, denn er dichtete zuerst Hymnen zum Gebrauch des Tempeldienstes (s. unten) u. richtete die Musik zur Begleitung derselben ein. Sein Nachfolger Salomon, von dem Propheten Nathan erzogen, wurde namentlich als Philosoph gefeiert; von ihm sind noch Gnomen (s. Sprüchwörter) vorhanden. Unter Salomo wurden auch die Künste sehr gefördert. Nach der Theilung des Reichs, wo die Feindseligkeit der beiden Reiche gegen einander die Kräfte u. Sorgen des Volkes nach außen gerichtet hielt, blieb wissenschaftliche Bildung nur noch im Reich Juda u. auch hier nur ein Eigenthum der Propheten; außer mit religiöser Poesie u. Orakelgeben beschäftigten sich dieselben nun auch mit der Geschichtsschreibung. In dem Reiche Israel verwischte die Roheit der Könige u. das eindringende Heidenthum alle Spuren wissenschaftlicher Bildung; u. von den dortigen edlen Kämpfern für Wahrheit[142] wie Elias u. Elisa, kennt man keine Schriften. Von Wissenschaften war den Hebräern wenig bekannt; in der Naturkunde hatten sie viele abergläubische Vorstellungen, in der Astronomie beschränkte sich ihre Kenntniß auf die Namen einiger Sterne, die Arzneikunde war bloße Empirie, in der Rechtswissenschaft ist das Mosaische Gesetz ein Hauptwerk. Mit demselben beschäftigten sich nun die Priester u. suchten das noch nicht im Mosaischen Gesetz Bestimmte näher zu bestimmen. Ob die Hebräer wissenschaftliche Schriften in dieser alten Zeit gehabt haben, ist sehr zweifelhaft. Das Exil brachte in Sprache u. Literatur eine große Veränderung hervor. Im Exil hatten die Hebräer das Chaldäische gelernt, nach ihrer Rückkehr blieb zwar das Hebräische immer noch die Sprache des Cultus u. der Gebildeten, aber mit vielen Chaldäismen vermischt, u. diese unreine Sprache tritt auch in den damaligen Schriftwerken hervor. Außerdem aber zeigt sich in diesen auch gegen die alten Producte der Literatur ein sehr matter Geist; man studirte ängstlich das Gesetz, verlor sich in Grübeleien über philosophische Gegenstände u. ahmte die alten Propheten nach. In dieser Bewunderung des Alten lag es auch, daß man jetzt viele unechte Schriften unter alten Namen unterschob od. unter falschen Namen in Umlauf brachte. Übrigens wurde in dieser Zeit der Canon (s. Bibelcanon) gesammelt. Unter den Nachfolgern Alexanders des Großen kam Judäa bald an Syrien, bald an Ägypten, u. von jetzt an entstand eine Spaltung in der Hebräischen Sprache u. Literatur;

die in Ägypten wohnenden (Alexandriner) nahmen hellenische Bildung an, man sprach Griechisch, eignete sich griechische Philosopheme, bes. platonische, an u. bemühte sich sogar den Mosaismus mit griechischer Philosophie zu verbinden. Dieser Zeit u. Richtung gehören an die Weisheit Salomonis, die Septuaginta, Philo;

der väterlichen Bildung treu blieben die Juden in Palästina (daher Palästinenser) u. Babylon, gegen jene als mit der Zeit fortgehende erscheinen die Palästinenser in ihrem festen Halten an dem Alten, bes. auf die Tradition viel gebend, als abergläubisch u. einseitig. Man schrieb. theils chaldäisch, theils hebräisch, u. dieser Zeit gehören Daniel u. Jesus Sirach an, später schrieben auch einzelne Palästinenser griechisch, wie Josephos. Was in dieser Zeit an heiligen Büchern geschrieben wurde, galt als Apokryphen (s.d.). Das letzte Aufflackern von Heldengeist u. Patriotismus war unter den Makkabäern; nach ihnen traten viele Secten, bes. die Pharisäer u. Sadducäer, hervor; bei keiner von beiden zeigt sich ein ernstes Streben nach wissenschaftlicher Bildung, am wenigsten bei jenen mit ihrer jesuitischen Casuistik u. ihrer gezwungenen Schrifterklärung; die Schriftgelehrten erklärten bes. das Gesetz in den Synagogen. Dagegen eröffneten die letzten Könige fortwährend der heidnischen Bildung das Land, man ließ sogar griechische Schauspieler nach Palästina kommen, u. Herodes d. Gr. erbaute ein Theater in Jerusalem, vielleicht auch in Cäsarea, wo griechische Tragödien aufgeführt wurden. Durch Jesus erhielt die jüdische Bildung einen neuen Schwung, aber durch den baldigen Untergang des Reiches wurde der neue Aufschwung bald wieder niedergehalten, denn die Juden wurden nun in alle Welt zerstreut u. ihre ganze Geistesrichtung wurde dem Materiellen, bes. dem Handel, zugerichtet. Was von Nationalbildung übrig blieb, das fand sich in den Akademien zu Tiberias, Lydda u. Babylon, wo bes. die heiligen Schriften studirt u. jene, schon von Jesus getadelte, aber durch die großen Bedrückungen ihrer Sieger nur noch vermehrte casuistische Moral gelehrt. Indem man hier, um sich nicht zu weit auf Abwege zu verlieren, alte Satzungen u. Überlieferungen, die sich auf heiliges u. bürgerliches Recht der Thora (s.d.) bezogen, sammelte, entstanden im 3. u. 4. Jahrh. die beiden Talmude (s.d.), einer von den palästinensischen, der andere von den babylonischen Juden gesammelt. Damals entstand auch die Kabbala (s.d.) aus der allegorischen Bibelauslegung, welche die schon lange gezeigte u. in dem Exil ausgebreitete Liebe zu Wort-, Buchstaben- u. Zahlenspielen begünstigte; dann die Masora (s.d.), eine Sammlung von Anmerkungen zu der Bibel, die von sehr zweideutigem Werthe sind. In dieser Zeit wurde auch von den Masoreten das, durch seine Consequenz bewundernswürdige System der Vocalisation, der Accente u. diakritischen Zeichen in die Heilige Schrift eingeführt. Über die weitere Geschichte der Literatur der Hebräer s. Jüdische Literatur.

Von den literarischen Erzeugnissen der alten Zeit bemerken wir die Erzeugnisse

A) der Poesie.

Zuvörderst das Äußere der hebräischen Poesie anlangend, so sind die Verse weder am Ende gereimt, noch nach der Weise einer occidentalischen Metrik gemessen, sondern das Metrische besteht darin, daß die Glieder in einer gewissen äußeren Gleichheit stehen (Parallelismus der Glieder). Solcher Glieder gehören wenigstens zwei zu einem Vers. Dieser Parallelismus ist entweder ein synonymer, wenn die Sätze dasselbe ausdrücken (z.B. so er spricht, so geschieht es, so er gebeut, steht es da); od. ein antithetischer, wenn die Sätze Entgegengesetztes ausdrücken (z.B. wahrhaft sind die Schläge des Liebenden, aber lügenhaft die Küsse des Hassenden); od. ein identischer, wenn dasselbe wiederholt wird, doch so, daß zum zweiten noch etwas gefügt wird; od. ein synthetischer, wenn die Gedanken an einander geschoben od. im Fortschreiten begriffen sind (z.B. Psalm 19,8); od. ein rhythmischer, wenn er sich weniger in dem Ebenmaß der Gedanken, als in der gleichen Abtheilung der Wörter zeigt. Nicht immer sind sich aber die Glieder einander gleich, sondern das eine länger, das andere kürzer; auch entsprechen sich drei od. vier Glieder, wo dann zwei dem dritten (z.B. Pf. 14,7), od. je zwei sich entgegenstehen (z.B. Pf. 31, 11). Bei dem Vorhandensein mehrerer Sätze nennt man den Satz einen zusammengesetzten, u. darin ist ein Anfang zu Strophen zu finden. Einzelne Reime kommen auch vor, auch Paronomasien, wo die nebeneinanderstehenden Wörter gleichklingend enden; eine Künstelei ist die alphabetische Anordnung der Glieder, wie sie sich z.B. in den Klageliedern Jeremiä findet. Die Überreste a) der lyrischen Poesien (Psalmen) sind zunächst in Hymnen an Gott u. an siegreiche Könige (Pf. 2. 20. 21. 45); die zur Aufführung beim öffentlichen Gottesdienst, wie Pf. 15. 24. 68. 81. 132. 134. bestimmten Lieder hießen Tempelpsalmen (s.u. Psalmen). Ist aber gleich zu vermuthen, daß der Tempelgesang chorartig war, so beruht doch die versuchte Unterscheidung mehrerer Chöre auf einer bloßen Hypothese. Die Beschaffenheit des Gesanges, wie er noch jetzt in den[143] jüdischen Synagogen stattfindet, berechtigt blos zu der Annahme, daß jene Antiphonien in bloßen Wiederholungen bestanden haben; begleitet wurden die Tempelgesänge mit Musik, die weltlichen auch mit Tanz; in Elegien, die theils auf einzelne Personen (2. Sam. 1. Pf. 7. 22. 56. 106), theils auf das ganze Volk (Pf. 44. 79), theils auf beide zugleich (Pf. 69. 77. 102) sich beziehen; hierher gehören auch die Klagelieder Jeremiä u. die verlorene Elegie auf den Tod des Königs Josia. Erotische Dichtung ist z.B. das Hohe Lied Salomonis (s.d.). Die didaktische Poesie, welche in der H-n L. hierher zu rechnen ist u. die ihren Ursprung in Sittensprüchen u. Gnomen zu haben scheint, fand bes. in Salomo ihren Beschützer u. Bearbeiter, weshalb man später der unter seinem Namen vorhandenen gnomologischen Anthologie (Sprüche Salomonis, s.d.) denselben vorsetzte. Durch Jesus Sirach lebte diese Dichtart nach dem Exil kräftig wieder auf. Die höhere didaktische Poesie, welche allgemeine religiöse Glaubenslehren, bes. das Dogma von der Vergeltung, od. moralische Grundsätze zu ihrem Gegenstande machte u. oft mit lyrischem Schwunge behandelte (z.B. Pf. 1, 133. 32, 50. 37, 49–73 u. m. Stellen in den Propheten), feiert ihren schönsten Triumph im Buche Hiob (s.d.), u. war schon zu den Zeiten der Könige beliebt. Eigenthümlicher Art ist die Lyrik in den prophetischen Reden, sie ist improvisatorisch recitirt, erhebt sich aber oft zu dem höchsten Schwunge. Als eine Abart der prophetischen Rede hat man den Kohelet (sd.) angesehen. b) Das Epos ist, wie bei allen semitischen Völkern, so auch bei den Hebräern nur zu unvollkommener Entwickelung gelangt, wenn auch ihre Helden in Lobliedern gefeiert wurden. Auf alten Gesängen epischen Inhalts mag ein Theil der Erzählungen im Pentateuch, den Büchern Josua, der Richter u. Samuelis beruhen; eine Sammlung von solchen Gesängen scheint das Buch der Kriege Jehovahs, sowie das Buch der Frommen gewesen zu sein. Eben so wenig konnte sich c) das Drama entwickeln; doch haben einige neuere Exegeten im Hohen Liede, theilweise auch im Hiob, eine dramatische Anlage erkennen wollen. Die Nationalspiele, welche ein gewisser Ezechiel (s.d.) schrieb, waren in griechischer Sprache abgefaßt, u. es ist unbekannt, ob sie zur Aufführung kamen od. auch nur dazu bestimmt waren. Vgl. Lowth, De sacra Hebraeorum poësi, 2. Aufl. von Michaelis, Gött. 1768, 2 Bde, 3. Aufl. von Rosenmüller, Lpz. 1815; Auszug daraus von Schmidt, Danz. 1793; Jones, Poëseos asiat. commentarii, Lond. 1774; Auszug daraus von Eichhorn, Lpz. 1777; Herder, Vom Geist der hebräischen Poesie, 1782; Kosegarten, Über den Dichtergeist der hebräischen Schrift, Greifsw. 1794; Guttenstein, Die poetische Literatur der alten Israeliten, Manh. 1835; Meier, Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Hebräer, Lpz. 1856; Saalschütz, Form u. Geist der biblischhebräischen Poesie, Königsb. 1853.

B) Prosa.

a) In ihren historischen Werken knüpften die Hebräer, wie alle alte Völker, ihre Stammgeschichte an den Ursprung der Dinge u. an alte Sagen an u. führten dieselbe dann in sehr einfacher Chronologie, die noch keine allgemeine Ära kennt, bis auf die Rückkunft aus dem Exil u. ihre neue Pflanzung an den Jordan hinab, aber in mehrern, aus sehr verschiedenen Zeiten u. von ganz verschiedenen Verfassern abstammenden Werken, welche nur immer einzelne Perioden der Geschichte umfassen. Die Verfasser selbst sind größtentheils den Namen nach unbekannt; die Namen, die jetzt in den Überschriften stehen, zeigen meist nur die Hauptperson od. den Hauptgegenstand an, von dem die Geschichte handelt, so die Bücher Mosis, Josua, Buch der Richter, Ruth, Bücher Samuelis, Bücher der Könige, Bücher der Chronik, Esra, Nehemia, Esther, der Makkabäer. Sehr viele andere, in den genannten Büchern angeführten historischen Schriften sind verloren gegangen, bes. die von den Propheten verfaßten Reichsannalen, so Annalen des Königs David, Annalen der Regierung Salomos, die Annalen des Rehabeam etc., außer diesen speciellen gab es auch allgemeine Annalen des Reiches Juda u. des Reiches Israel; Auszüge daraus sind die genannten Bücher der Könige u. der Chronika. b) Philosophische Schriften hat die H. L., wenigstens theoretische, nicht, denn daß Hiob eine philosophische Theodicee sei, wie Einige angenommen haben, ist nicht wahr; die Gnomen (s. oben) aber gehören der praktischen Philosophie, der Lebensweisheit an u. nicht hierher; die späteren aber, z.B. Philo u. A., die sich mit griechischer Philosophie bekannt gemacht hatten u. in griechischem Geiste philosophirten, haben nicht hebräisch, sondern griechisch geschrieben. Vgl. Budde, Introductio ad historiam philosophiae Ebraeorum, Halle 1702, n. A. 1720; Walther, Geschichte der Weltweisheit der alten Hebräer, Gött. 1750; Jerusalem, Briefe über die mosaischen Schriften u. Philosophie, Braunschw. 1762, 3. Aufl. 1783; Blessig, Über die Philosophie u. Gnomen der Hebräer, Straßb. 1810. Von Schriften in anderen Fächern der Wissenschaften ist oben geredet.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 142-144. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010090495