Hebräische Literatur

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Siehe auch siehe unter hebräische Dichtung und jüdische Literatur


Pierer 1859

[142] Hebräische Literatur.

Die H. L. umfaßt den größen Theil der Schriften des Alten Testamentes. Vor Moses sind keine Spuren einer wissenschaftlichen Cultur bei dem hebräischen Volke vorhanden; erst seit Moses, der selbst seine Bildung in Ägypten erhalten hatte, beginnen Spuren schriftlicher Aufzeichnungen, nicht daß er Verfasser der nach ihm genannten Bücher wäre (s. unten), sondern die ältesten unter seinem Einfluß gemachten Schriftwerke waren die steinernen Gesetztafeln. Die ersten Spuren dichterischer Äußerungen zeigen sich bei diesem Volke nach dem glücklichen Durchzug durch das Rothe Meer, wo gesungen u. gespielt wurde. Nachdem sich die Hebräer in dem Gelobten Lande festgesetzt hatten u. unter den Richtern große Heldenthaten ausgeführt wurden, wurden dadurch auch Dichter u. Sänger geweckt, welche diese Thaten in Liedern befangen, bes. bekannt aus dieser Zeit ist Debora u. Simson, Letzter sang u. spielte zugleich. In dieser Zeit wurde auch die Fabel u. das Räthsel entwickelt. Unter Samuel stieg die geistige Cultur des Volkes immer mehr, bes. durch die Errichtung der Prophetenschulen, in denen die Propheten, die zugleich Volkslehrer, Schriftsteller u. Dichter waren, gebildet wurden. Doch auch fern von diesen Schulen sang, wem Gesang gegeben war, bei den Beschäftigungen des Hirtenlebens, wie bes. das Beispiel Davids beweist, u. auch auf den Thron gestiegen behielt dieser die Liebe für die Poesie, er wurde ein Muster für die anderen Dichter, u. ihm verdankt die hebräische Poesie ihre Richtung aufs Religiöse, denn er dichtete zuerst Hymnen zum Gebrauch des Tempeldienstes (s. unten) u. richtete die Musik zur Begleitung derselben ein. Sein Nachfolger Salomon, von dem Propheten Nathan erzogen, wurde namentlich als Philosoph gefeiert; von ihm sind noch Gnomen (s. Sprüchwörter) vorhanden. Unter Salomo wurden auch die Künste sehr gefördert. Nach der Theilung des Reichs, wo die Feindseligkeit der beiden Reiche gegen einander die Kräfte u. Sorgen des Volkes nach außen gerichtet hielt, blieb wissenschaftliche Bildung nur noch im Reich Juda u. auch hier nur ein Eigenthum der Propheten; außer mit religiöser Poesie u. Orakelgeben beschäftigten sich dieselben nun auch mit der Geschichtsschreibung. In dem Reiche Israel verwischte die Roheit der Könige u. das eindringende Heidenthum alle Spuren wissenschaftlicher Bildung; u. von den dortigen edlen Kämpfern für Wahrheit[142] wie Elias u. Elisa, kennt man keine Schriften. Von Wissenschaften war den Hebräern wenig bekannt; in der Naturkunde hatten sie viele abergläubische Vorstellungen, in der Astronomie beschränkte sich ihre Kenntniß auf die Namen einiger Sterne, die Arzneikunde war bloße Empirie, in der Rechtswissenschaft ist das Mosaische Gesetz ein Hauptwerk. Mit demselben beschäftigten sich nun die Priester u. suchten das noch nicht im Mosaischen Gesetz Bestimmte näher zu bestimmen. Ob die Hebräer wissenschaftliche Schriften in dieser alten Zeit gehabt haben, ist sehr zweifelhaft. Das Exil brachte in Sprache u. Literatur eine große Veränderung hervor. Im Exil hatten die Hebräer das Chaldäische gelernt, nach ihrer Rückkehr blieb zwar das Hebräische immer noch die Sprache des Cultus u. der Gebildeten, aber mit vielen Chaldäismen vermischt, u. diese unreine Sprache tritt auch in den damaligen Schriftwerken hervor. Außerdem aber zeigt sich in diesen auch gegen die alten Producte der Literatur ein sehr matter Geist; man studirte ängstlich das Gesetz, verlor sich in Grübeleien über philosophische Gegenstände u. ahmte die alten Propheten nach. In dieser Bewunderung des Alten lag es auch, daß man jetzt viele unechte Schriften unter alten Namen unterschob od. unter falschen Namen in Umlauf brachte. Übrigens wurde in dieser Zeit der Canon (s. Bibelcanon) gesammelt. Unter den Nachfolgern Alexanders des Großen kam Judäa bald an Syrien, bald an Ägypten, u. von jetzt an entstand eine Spaltung in der Hebräischen Sprache u. Literatur;

die in Ägypten wohnenden (Alexandriner) nahmen hellenische Bildung an, man sprach Griechisch, eignete sich griechische Philosopheme, bes. platonische, an u. bemühte sich sogar den Mosaismus mit griechischer Philosophie zu verbinden. Dieser Zeit u. Richtung gehören an die Weisheit Salomonis, die Septuaginta, Philo;

der väterlichen Bildung treu blieben die Juden in Palästina (daher Palästinenser) u. Babylon, gegen jene als mit der Zeit fortgehende erscheinen die Palästinenser in ihrem festen Halten an dem Alten, bes. auf die Tradition viel gebend, als abergläubisch u. einseitig. Man schrieb. theils chaldäisch, theils hebräisch, u. dieser Zeit gehören Daniel u. Jesus Sirach an, später schrieben auch einzelne Palästinenser griechisch, wie Josephos. Was in dieser Zeit an heiligen Büchern geschrieben wurde, galt als Apokryphen (s.d.). Das letzte Aufflackern von Heldengeist u. Patriotismus war unter den Makkabäern; nach ihnen traten viele Secten, bes. die Pharisäer u. Sadducäer, hervor; bei keiner von beiden zeigt sich ein ernstes Streben nach wissenschaftlicher Bildung, am wenigsten bei jenen mit ihrer jesuitischen Casuistik u. ihrer gezwungenen Schrifterklärung; die Schriftgelehrten erklärten bes. das Gesetz in den Synagogen. Dagegen eröffneten die letzten Könige fortwährend der heidnischen Bildung das Land, man ließ sogar griechische Schauspieler nach Palästina kommen, u. Herodes d. Gr. erbaute ein Theater in Jerusalem, vielleicht auch in Cäsarea, wo griechische Tragödien aufgeführt wurden. Durch Jesus erhielt die jüdische Bildung einen neuen Schwung, aber durch den baldigen Untergang des Reiches wurde der neue Aufschwung bald wieder niedergehalten, denn die Juden wurden nun in alle Welt zerstreut u. ihre ganze Geistesrichtung wurde dem Materiellen, bes. dem Handel, zugerichtet. Was von Nationalbildung übrig blieb, das fand sich in den Akademien zu Tiberias, Lydda u. Babylon, wo bes. die heiligen Schriften studirt u. jene, schon von Jesus getadelte, aber durch die großen Bedrückungen ihrer Sieger nur noch vermehrte casuistische Moral gelehrt. Indem man hier, um sich nicht zu weit auf Abwege zu verlieren, alte Satzungen u. Überlieferungen, die sich auf heiliges u. bürgerliches Recht der Thora (s.d.) bezogen, sammelte, entstanden im 3. u. 4. Jahrh. die beiden Talmude (s.d.), einer von den palästinensischen, der andere von den babylonischen Juden gesammelt. Damals entstand auch die Kabbala (s.d.) aus der allegorischen Bibelauslegung, welche die schon lange gezeigte u. in dem Exil ausgebreitete Liebe zu Wort-, Buchstaben- u. Zahlenspielen begünstigte; dann die Masora (s.d.), eine Sammlung von Anmerkungen zu der Bibel, die von sehr zweideutigem Werthe sind. In dieser Zeit wurde auch von den Masoreten das, durch seine Consequenz bewundernswürdige System der Vocalisation, der Accente u. diakritischen Zeichen in die Heilige Schrift eingeführt. Über die weitere Geschichte der Literatur der Hebräer s. Jüdische Literatur.

Von den literarischen Erzeugnissen der alten Zeit bemerken wir die Erzeugnisse

A) der Poesie.

Zuvörderst das Äußere der hebräischen Poesie anlangend, so sind die Verse weder am Ende gereimt, noch nach der Weise einer occidentalischen Metrik gemessen, sondern das Metrische besteht darin, daß die Glieder in einer gewissen äußeren Gleichheit stehen (Parallelismus der Glieder). Solcher Glieder gehören wenigstens zwei zu einem Vers. Dieser Parallelismus ist entweder ein synonymer, wenn die Sätze dasselbe ausdrücken (z.B. so er spricht, so geschieht es, so er gebeut, steht es da); od. ein antithetischer, wenn die Sätze Entgegengesetztes ausdrücken (z.B. wahrhaft sind die Schläge des Liebenden, aber lügenhaft die Küsse des Hassenden); od. ein identischer, wenn dasselbe wiederholt wird, doch so, daß zum zweiten noch etwas gefügt wird; od. ein synthetischer, wenn die Gedanken an einander geschoben od. im Fortschreiten begriffen sind (z.B. Psalm 19,8); od. ein rhythmischer, wenn er sich weniger in dem Ebenmaß der Gedanken, als in der gleichen Abtheilung der Wörter zeigt. Nicht immer sind sich aber die Glieder einander gleich, sondern das eine länger, das andere kürzer; auch entsprechen sich drei od. vier Glieder, wo dann zwei dem dritten (z.B. Pf. 14,7), od. je zwei sich entgegenstehen (z.B. Pf. 31, 11). Bei dem Vorhandensein mehrerer Sätze nennt man den Satz einen zusammengesetzten, u. darin ist ein Anfang zu Strophen zu finden. Einzelne Reime kommen auch vor, auch Paronomasien, wo die nebeneinanderstehenden Wörter gleichklingend enden; eine Künstelei ist die alphabetische Anordnung der Glieder, wie sie sich z.B. in den Klageliedern Jeremiä findet. Die Überreste a) der lyrischen Poesien (Psalmen) sind zunächst in Hymnen an Gott u. an siegreiche Könige (Pf. 2. 20. 21. 45); die zur Aufführung beim öffentlichen Gottesdienst, wie Pf. 15. 24. 68. 81. 132. 134. bestimmten Lieder hießen Tempelpsalmen (s.u. Psalmen). Ist aber gleich zu vermuthen, daß der Tempelgesang chorartig war, so beruht doch die versuchte Unterscheidung mehrerer Chöre auf einer bloßen Hypothese. Die Beschaffenheit des Gesanges, wie er noch jetzt in den[143] jüdischen Synagogen stattfindet, berechtigt blos zu der Annahme, daß jene Antiphonien in bloßen Wiederholungen bestanden haben; begleitet wurden die Tempelgesänge mit Musik, die weltlichen auch mit Tanz; in Elegien, die theils auf einzelne Personen (2. Sam. 1. Pf. 7. 22. 56. 106), theils auf das ganze Volk (Pf. 44. 79), theils auf beide zugleich (Pf. 69. 77. 102) sich beziehen; hierher gehören auch die Klagelieder Jeremiä u. die verlorene Elegie auf den Tod des Königs Josia. Erotische Dichtung ist z.B. das Hohe Lied Salomonis (s.d.). Die didaktische Poesie, welche in der H-n L. hierher zu rechnen ist u. die ihren Ursprung in Sittensprüchen u. Gnomen zu haben scheint, fand bes. in Salomo ihren Beschützer u. Bearbeiter, weshalb man später der unter seinem Namen vorhandenen gnomologischen Anthologie (Sprüche Salomonis, s.d.) denselben vorsetzte. Durch Jesus Sirach lebte diese Dichtart nach dem Exil kräftig wieder auf. Die höhere didaktische Poesie, welche allgemeine religiöse Glaubenslehren, bes. das Dogma von der Vergeltung, od. moralische Grundsätze zu ihrem Gegenstande machte u. oft mit lyrischem Schwunge behandelte (z.B. Pf. 1, 133. 32, 50. 37, 49–73 u. m. Stellen in den Propheten), feiert ihren schönsten Triumph im Buche Hiob (s.d.), u. war schon zu den Zeiten der Könige beliebt. Eigenthümlicher Art ist die Lyrik in den prophetischen Reden, sie ist improvisatorisch recitirt, erhebt sich aber oft zu dem höchsten Schwunge. Als eine Abart der prophetischen Rede hat man den Kohelet (sd.) angesehen. b) Das Epos ist, wie bei allen semitischen Völkern, so auch bei den Hebräern nur zu unvollkommener Entwickelung gelangt, wenn auch ihre Helden in Lobliedern gefeiert wurden. Auf alten Gesängen epischen Inhalts mag ein Theil der Erzählungen im Pentateuch, den Büchern Josua, der Richter u. Samuelis beruhen; eine Sammlung von solchen Gesängen scheint das Buch der Kriege Jehovahs, sowie das Buch der Frommen gewesen zu sein. Eben so wenig konnte sich c) das Drama entwickeln; doch haben einige neuere Exegeten im Hohen Liede, theilweise auch im Hiob, eine dramatische Anlage erkennen wollen. Die Nationalspiele, welche ein gewisser Ezechiel (s.d.) schrieb, waren in griechischer Sprache abgefaßt, u. es ist unbekannt, ob sie zur Aufführung kamen od. auch nur dazu bestimmt waren. Vgl. Lowth, De sacra Hebraeorum poësi, 2. Aufl. von Michaelis, Gött. 1768, 2 Bde, 3. Aufl. von Rosenmüller, Lpz. 1815; Auszug daraus von Schmidt, Danz. 1793; Jones, Poëseos asiat. commentarii, Lond. 1774; Auszug daraus von Eichhorn, Lpz. 1777; Herder, Vom Geist der hebräischen Poesie, 1782; Kosegarten, Über den Dichtergeist der hebräischen Schrift, Greifsw. 1794; Guttenstein, Die poetische Literatur der alten Israeliten, Manh. 1835; Meier, Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Hebräer, Lpz. 1856; Saalschütz, Form u. Geist der biblischhebräischen Poesie, Königsb. 1853.

B) Prosa.

a) In ihren historischen Werken knüpften die Hebräer, wie alle alte Völker, ihre Stammgeschichte an den Ursprung der Dinge u. an alte Sagen an u. führten dieselbe dann in sehr einfacher Chronologie, die noch keine allgemeine Ära kennt, bis auf die Rückkunft aus dem Exil u. ihre neue Pflanzung an den Jordan hinab, aber in mehrern, aus sehr verschiedenen Zeiten u. von ganz verschiedenen Verfassern abstammenden Werken, welche nur immer einzelne Perioden der Geschichte umfassen. Die Verfasser selbst sind größtentheils den Namen nach unbekannt; die Namen, die jetzt in den Überschriften stehen, zeigen meist nur die Hauptperson od. den Hauptgegenstand an, von dem die Geschichte handelt, so die Bücher Mosis, Josua, Buch der Richter, Ruth, Bücher Samuelis, Bücher der Könige, Bücher der Chronik, Esra, Nehemia, Esther, der Makkabäer. Sehr viele andere, in den genannten Büchern angeführten historischen Schriften sind verloren gegangen, bes. die von den Propheten verfaßten Reichsannalen, so Annalen des Königs David, Annalen der Regierung Salomos, die Annalen des Rehabeam etc., außer diesen speciellen gab es auch allgemeine Annalen des Reiches Juda u. des Reiches Israel; Auszüge daraus sind die genannten Bücher der Könige u. der Chronika. b) Philosophische Schriften hat die H. L., wenigstens theoretische, nicht, denn daß Hiob eine philosophische Theodicee sei, wie Einige angenommen haben, ist nicht wahr; die Gnomen (s. oben) aber gehören der praktischen Philosophie, der Lebensweisheit an u. nicht hierher; die späteren aber, z.B. Philo u. A., die sich mit griechischer Philosophie bekannt gemacht hatten u. in griechischem Geiste philosophirten, haben nicht hebräisch, sondern griechisch geschrieben. Vgl. Budde, Introductio ad historiam philosophiae Ebraeorum, Halle 1702, n. A. 1720; Walther, Geschichte der Weltweisheit der alten Hebräer, Gött. 1750; Jerusalem, Briefe über die mosaischen Schriften u. Philosophie, Braunschw. 1762, 3. Aufl. 1783; Blessig, Über die Philosophie u. Gnomen der Hebräer, Straßb. 1810. Von Schriften in anderen Fächern der Wissenschaften ist oben geredet.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 142-144. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010090495


Meyers 1907

[28] Hebräische Literatur, die alte Nationalliteratur der Hebräer, von der zwar nur ein verhältnismäßig geringer Teil auf die Gegenwart gekommen ist, die aber durch den außerordentlichen Einfluß, den sie auf die christlichen und islamitischen Völker ausübte, eine welthistorische Wichtigkeit erster Größe erlangt hat und noch jetzt vielfach, mit den neutestamentlichen Schriften zusammen, geradezu als die klassische Literatur des religiösen Geistes überhaupt gilt. In der Tat zieht sich die religiöse Ader so reich und voll schlagend wie kaum bei einem andern der alten asiatischen und afrikanischen Religionsvölker durch fast alle diese Bücher. An die Spitze der hebräischen Literatur wird herkömmlicherweise Moses (s. d.) gestellt. Wahrscheinlich aber haben die Hebräer die Schreibkunst erst von den Kanaanitern übernommen. Die vorhandenen Reste der althebräischen Literatur gehören frühestens der Königszeit an (s. Hebräische Sprache), waren aber teilweise vorbereitet durch alte Sagen und Lieder, einzelne Nachrichten, Inschriften, Satzungen u. dgl. Wie bei allen Völkern, so ist auch bei den Hebräern die Poesie älter als die Prosa. Reste davon haben sich erhalten im sogen. Pentateuch (s. d.) und den Geschichtsbüchern des Alten Testaments, sofern hier einzelne poetische Stücke, wie das »Brunnenlied« (4. Mos. 21) und das Lied der Deborah (Richter 5), auch Spuren der Fabel und des Rätsels (Jotham und Simson) eingestreut sind. Ausdrücklich wird auf frühere Sammlungen verwiesen, die verloren gegangen sind, wie das »Buch der Kriege Jahvehs (Jehovas)« und das »Buch der Redlichen«. Als Bahnbrecher der poetischen Literatur galten einer spätern Zeit David für die lyrische, Salomo für die gnomische Dichtung.

Im allgemeinen kann man die verschiedenen Erzeugnisse der hebräischen Literatur nach Form und Inhalt folgendermaßen klassifizieren: Gesetz, Prophetie, Geschichte, Lyrik, Spruchdichtung und Lehrgedicht. Das Gesetz oder die festen Einrichtungen des israelitischen Gottesstaates sind in den fünf Büchern Mosis oder dem Pentateuch (s. d.) niedergelegt, entstanden in und seit der spätern Königszeit, endgültig redigiert erst durch und seit Esra. Die Prophetie umfaßt die Vorträge und Reden der als Ratgeber der Könige, als warnende, strafende und tröstende Leiter und Seelsorger des Volkes besonders in den Zeiten des Abfalls und des Unglücks tätigen Männer, die, nachdem sie in den Zeiten eines Elias und Elisa eine politische Führerrolle innegehabt hatten, später auch schriftstellerisch tätig waren (s. Prophet). Ihre Reden bilden eine Art von rhetorischer Lyrik, die improvisatorisch vorgetragen wird, aber sich oft zum höchsten Schwung erhebt. Die Geschichte erscheint zunächst teils als poetische Sage, teils als an Ortsnamen, Gebräuche und Sprichwörter anknüpfende historische Erinnerung. Die mythischen Zeiten vor Samuel und David sind in den Büchern Mosis, in Josua und dem Buch der Richter dargestellt. Die spätere Geschichtschreibung ist in der Form der Bücher Samuels, der Könige und der Chronik, mit der die Bücher Esra und Nehemia zusammenhängen, auf uns gekommen, ruht aber auf dem Grund einer ältern Königsgeschichte, auf die sie sich durchweg bezieht. Die hebräische Poesie kennt weder eine künstliche Mischung der Silben, wie die griechischrömische, noch den Klang der Reime, wie die romanische und germanische Poesie; dagegen sind Anfänge von Strophenbau und rhythmische Gliederungen (zu 3,4,5,7 Hebungen) bemerkbar. Den Mangel der äußern Symmetrie ersetzt sie oft durch den sogen. Parallelismus der Glieder, dessen Wesen darin besteht, daß mehrere, meist zwei, Sätze oder Satzglieder so nebeneinander gestellt werden, daß sie dem Sinne nach sich irgendwie entsprechen, ergänzen oder ausschließen. In dieser Gestalt begegnet uns die hebräische Poesie in den einfachen Sinnsprüchen, deren die sogen. Sprüche Salomos (s. d.) und die ursprünglich gleichfalls der hebräischen Literatur angehörige, vollständig nur noch griechisch vorhandene Spruchsammlung des Jesus Sirach (s. d.) viele enthalten. Aber schon diese Bücher bieten auch ganze Ketten von innerlich zusammenhängenden Sentenzenreihen, und im Buch Hiob begegnet uns ein vollständiges, der Auflehnung wider die ererbte Vergeltungslehre gewidmetes Lehrgedicht in dialogischer Form mit lyrischen Einlagen und epischem Prolog und Epilog. Der Grundcharakter der hebräischen Poesie ist übrigens der lyrische, wie auch die Psalmen (s. d.), die vielleicht schon von David an bis auf die Hasmonäerzeit herabreichen, die eigentlichen Perlen dieser Literatur bilden. Zu welchem Reichtum sich die althebräische Poesie entfaltet hatte, ersieht man aber auch aus Überbleibseln einer rein weltlichen Literatur, wohin man besonders das den üppigsten Zeiten des Nordreichs entstammende sogen. Hohelied Salomos (s. d.) zu rechnen hat. Die sogen. Klagelieder Jeremias' sind Elegien auf den Untergang Judas, und der schon in der griechischen Zeit geschriebene Prediger Salomo (s. d.) ist ein philosophisches Zeugnis für den Zerfall der alten sittlich-religiösen Weltauffassung. Vgl. die sogen. Einleitungen in das Alte Testament und Herder, Vom Geiste der ebräischen Poesie (1782; hrsg. von Hoffmann, Gotha 1890, 2 Tle.); E. Meier, Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Hebräer (Leipz. 1856); Nöldeke, Die alttestamentliche Literatur (das. 1868); Reuß, Geschichte der heiligen Schriften Alten Testaments (2. Aufl., Braunschw. 1890); Kautzsch, Abriß der Geschichte des alttestamentlichen Schrifttums (Freiburg 1897); Sievers, Studien zur hebräischen Metrik (Leipz. 1901–02, 2 Tle.).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 28. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006753051


Brockhaus 1911

[774] Hebräische Literatur, die Nationalliteratur der alten Hebräer oder Israeliten; in ihrem ehemal. Gesamtumfange nur aus der im A. T. erhaltenen Auswahl annähernd zu erschließen. Diese enthält von allen Bestandteilen, die eine Nationalliteratur aufzuweisen pflegt, Reste, deren älteste der Poesie angehören, bei den Israeliten ursprünglich nur Lyrik; statt des Epos heroische Lyrik, z.B. das Deboralied (Richter 5), sonst in ihren Gattungen mannigfaltig; erotische Lyrik aus nachexilischer Zeit im Hohen Liede vertreten; in derselben Zeit höchste Entwicklung der religiösen Lyrik in den Psalmen; didaktische Poesie, früh als Parabeldichtung (Richter 9; 2 Sam. 12) nachexilisch als Spruchpoesie ausgebildet. Kunstform der hebr. Poesie ist der Parallelismus der Glieder des Verses. Die Prosa ist zunächst Geschichtsüberlieferung, ursprünglich als mündlich fortgepflanzte Sage, seit der Königszeit als Geschichtschreibung, deren ältere Werke nur bruchstückweise in den nach 621 zusammengestellten Büchern Richter, Samuel, Könige erhalten sind, wo sie benutzt sind, um die Geschichte im Geiste des Deuteronomismus darzustellen. Der exilische Priesterkodex (s. Pentateuch) stellt die Zeit von Erschaffung der Welt bis zur Eroberung Palästinas im religiösen Sinne seiner Zeit dar; Chronik, Esra, Nehemia geben eine dritte Darstellung im Sinne nachexilischgesetzlicher Frömmigkeit. Der Pentateuch und der Prophetenkanon, religiös der wichtigste Teil des A. T., sind gleichfalls durch nachexilische Redaktionen zusammengestellt, den Bedürfnissen der Zeit entsprechend. Die Beschäftigung mit der Prophetenliteratur erzeugte die apokalyptische Schriftstellerei, von deren Erzeugnissen noch Daniel der kanonischen Auswahl eingereiht ist. (S. Apokalyptik und Jüdische Literatur.) – Vgl. Wildeboer (deutsch 1895), Kuenen (1887-92), Driver (deutsch 1895).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 774. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001178865


Brockhaus 1838

[351] Hebräische Sprache und Literatur Die hebr. Sprache wird zu den sogenannten semitischen Sprachen gerechnet, einer Classe von Sprachen, welche zunächst diejenigen Völker geredet haben, deren Ursprung man nach alter Überlieferung von Sem, dem Sohne Noah's, ableitete. Unter diesen verwandten Sprachen zeichnet sich die hebr. durch Wohllaut, Kraft, Reichthum und Ausbildung aus. Ihre größte Wichtigkeit erhält dieselbe durch die in ihr geschriebenen Bücher [351] des A. T., welche sich, auch abgesehen von der religiösen Wichtigkeit, welche dieselben für Juden und Christen bis auf diesen Tag behalten haben, durch poetische Schönheit auf das vortheilhafteste auszeichnen. Vergleicht man die hebr. Sprache mit den uns bekanntesten, der griech., lat. und den neuern, Sprachen, so fallen eine Menge wesentlicher Unterschiede auf, von denen wir nur einige der zunächst sich darbietenden berühren wollen. Eigenthümlich ist zunächst die Form der Buchstaben und die Schreibart. Man nennt die hebr. Schrift eine Quadratschrift, weil sich die Buchstaben sämmtlich der Quadratform annähern und sich durch Eckigkeit auszeichnen. Das Hebräische wird ferner noch jetzt von der rechten Hand nach der linken zu geschrieben, sodaß ein nach moderner Weise gebundenes hebr. Buch anfängt, wo gewöhnlich die Bücher enden. Die hebr. Schrift hat ferner nur Consonanten, keine Vocale, und obgleich diese von jeher mitgesprochen worden sind, so hat man sie doch erst in spätern Zeiten geschrieben, indem man sie nach Art von Accenten unter oder über die Consonanten setzte. Die hebr. Sprache kennt nur drei Redetheile: Zeitwörter, Substantiven und Partikeln, von denen die Zeitwörter die Stammwörter der übrigen sind, und zwar besteht jedes Zeitwort nur aus drei Buchstaben (Consonanten). Die höchste Ausbildung erreichte die Sprache zur Zeit der Könige David und Salomo und bis zur Zeit der Gefangenschaft blieb sie lebende Volkssprache. Nach der Rückkehr aus dem Exil hatten die Sprachen der Völker, unter denen die Hebräer gelebt, mit der alten Landessprache sich vermischt, und wenn die althebr. Sprache noch längere Zeit als Schriftsprache der Gebildeten sich erhielt, so war dieses nur eine Folge des Umstandes, daß die mit religiöser Ehrfurcht betrachteten ältern Schriften, welche man sammelte und ordnete, in ihr geschrieben und beim Gottesdienste gebraucht wurden.

Die in der Bibel enthaltenen althebr. Schriftwerke sind, wie aus neuern gelehrten Forschungen mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit sich ergeben hat, in ihrer gegenwärtigen Form erst zur Zeit David's und nach derselben abgefaßt worden; doch geht aus ihrer Beschaffenheit zugleich auf das bestimmteste hervor, daß die Verfasser derselben ältere Quellen, theils schriftliche (kürzere), theils mündliche Überlieferungen benutzten, und ältere Urkunden auch wol ganz in sich aufnahmen. Es ist gewiß, daß schon zu Moses' Zeiten die Schreibkunst den Hebräern bekannt gewesen sein muß, aber man bediente sich derselben wol nur, um in Stein, Holz oder Metall gewisse besonders wichtige Nachrichten einzugraben. Die gewöhnlichen Überschriften der Bücher im A. T.: fünf Bücher Mose, Buch Josua, Buch der Richter, Buch Ruth, zwei Bücher Samuelis u.s.w. zeigen den Hauptgegenstand der Darstellung, nicht den Verfasser an. Die jüngsten althebr. Bücher sind ungefähr 900 Jahre nach den ältesten abgefaßt worden, zur Zeit der Makkabäer. In allen spricht sich eine hohe Begeisterung für die wahre Religion, Stolz auf die Ehre, das auserwählte Volk Gottes zu sein, und Liebe zum Vaterlande aus. Wie aber die Schicksale des hebr. Volks wechselten, so gestaltete sich auch der Charakter in den Schriftwerken desselben verschieden. Das hohe Bewußtsein von Größe und Macht weicht zunächst, als im Volk und auf dem Thron Verderbniß der Sitten und der Religion einbrach, dem Bangen und der Warnung vor nahem Fall, und nachdem dieser erfolgt, spricht sich Schmerz und Ermahnung zum Festhalten am Glauben aus, von welchem, sowie von dem erwarteten Messias (s.d.) allein die Rettung abhängig gemacht wird. (Vergl. Bibel.)

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 351-352. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000832456