Stettin

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Stettin

[796] Stettin (neulat. Sedinum), 1) Regierungsbezirk der preußischen Provinz Pommern, gebildet aus Preußisch-Vorpommern, einem Theil Hinterpommerns, dem Flecken Löcknitz von der Uckermark u. einem kleinen Theile der Neumark; grenzt an die Ostsee, die Regierungsbezirke Köslin, Frankfurt u. Potsdam, die Großherzogthümer Mecklenburg-Strelitz u. Schwerin u. an den Regierungsbezirk Stralsund; ist 238,61 QM. groß; Ebene, welche sich in sandige Höhen, oft fruchtbar, oft heidig, u. in Marschen u. Wiesen längs der Oder theilt; Flüsse: die Oder, mit ihren Seen u. Mündungen, ferner Peene, Ücker mit Randow, Plöne, Ihna u. Rega; Seen: der Dammsche See, das Papenwasser, das Große u. Kleine Haff, das Achterwasser, der Kummerow, Kamminsche Bodden, Madue- u. Plöusee; 1858_: 623,729 Ew. (darunter 4114 Katholiken, 6332 Juden, 434 Dissidenten, die übrigen Evangelischer Confession), sie nähren sich von Ackerbau, Viehzucht, Fischerei u. Schifffahrt; Producte: Getreide, Flachs, etwas Tabak u. Hopfen, Obst (bes. Äpfel), Holz, bes. Schiffs- u. Stabhölzer, Ölkuchen, Öl, Raps, Spiritus. Wolle, See- u. Flußfische. Die Industrie beschränkt sich fast auf die Städte; auf dem Lande Leinweberei. Eintheilung in den Stadtkreis Stettin u. die 12 landräthlichen Kreise Anklam, Demmin, Greiffenberg, Greiffenhagen, Kammin, Naugard, Pyritz, Randow, Regenwalde, Saatzig, Uckermünde u. Usedom-Wollin. 2) Stadtkreis S., Kreis darin, begriff sonst fast 3 QM. u. 36,000 Ew., seit 1826 nur noch die Stadt S. mit nächsten Umgebungen. 3) Hauptstadt des Regierungsbezirks u. Kreisstadt des Stettiner u. Randower Kreises, am linken Ufer der Oder, welche in 4 Armen (eigentliche Oder, Parnitz, Große u. Kleine Reglitz) vorbeifließt, darüber führen 3 Brücken u. ein 1 Meile langer Steindamm, mit 3 Brücken über die Querarme, nach der Stadt Damm. S. ist bedeutende Festung. Die eigentliche Stadt am linken Ufer der Oder ist mit 7 ganzen u. 2 halben Bastionen, vor denen die gewöhnlichen Ravelins u. Contregarden liegen, u. noch an mehren Punkten westlich u. nördlich durch eine zweite mehre Fronten umfassende Umwallung befestigt. Südwestlich davon, auf einer dominirenden Höhe, liegt das Fort Preußen, ein südspitziger Stern mit Ravelins. Zwischen diesem u. der Stadt ist ein neuer Stadttheil angelegt u. die Communication zwischen beiden befestigt. Außerdem sind die detachirten Forts Wilhelm u. Leopold vorhanden. Am rechten Ufer der Oder liegt die mit tenaitlirten Werken nur in einfacher Umwallung befestigte Vorstadt Lastadie. Einige detachirte Werke sichern den Zugang zu ihr. Vorstädte: außer Lastadie (jenseits der Oder), Ober- u. Unterwiek, Alt- u. Neutorney, die Kupfermühle u. die Pamerensdorser Anlagen. S. hat ansehnliche Plätze: der Berliner od. Grüne Paradeplatz, ist mit Bäumen besetzt u. in dem daran gelegenen Hauptwalle befinden sich Casematten, in Friedenszeiten theils vermiethet, theils zu anderweitigen Zwecken benutzt; der Königsplatz, welchen Namen er im März 1806 bei der Anwesenheit Friedrich Wilhelms III. in S. erhielt (Weißer Paradeplatz); auf demselben befindet sich am Walle die durch die pommerschen Stände gesetzte, von Schadow gearbeitete, 1793 aufgestellte Marmorstatue Friedrichs des Großen u. die Friedrichs Wilhelm III. (von Drake, 1849 aufgestellt). S. ist Sitz des Oberpräsidiums, der Regierung u. des Appellationsgerichts, eines See- u. Handels- u. eines Kreisgerichts; hat 5 Kirchen, 1 katholische Kapelle, Kapelle der Baptisten, sowie der Freien Gemeinde, Synagoge, königliches Schloß, sonst Residenz der Herzöge von Pommern, mit Simultankapelle; Landschaftshaus mit Bibliothek, Gymnasium mit Bibliothek, naturhistorisches Museum, Friedrich[796] Wilhelmschule (höhere Bürgerschule), Städtisches Museum (eine Gemäldegallerie), Seminar für höhere Schulstellen (das Schullehrerseminar ist nach Pölitz verlegt), Taubstummeninstitut, Schifffahrtsschule, höhere Töchterschule, Elisabethsschule, mehre Elementarschulen, Hebammenlehranstalt, Waisenhaus, Bürgerrettungsinstitut, Krankenhaus, See- u. Stromversicherungsanstalten, Gesellschaft für pommersche Geschichte u. Alterthumskunde, Rathhaus (mit Sammlung aller seit Katharina II. geprägten russischen Medaillen in Gold, Geschenke russischer Herrscher), Börse, Banco-, Salzspeditionscomptoir, bedeutenden Wollmarkt S. enthält Fabriken, welche Segeltuch, Hüte, Leder, Korkpfropfen, Seife, Liköre, Zucker, Tabak, Schiffsanker produciren, mehre große Maschinenfabriken (darunter die Fabrik Vulcan die bedeutendste), Schiffbau, Bierbrauereien; Seehandel: mit (1860) 196 eigenen Schiffen, auch durch 14 Dampfschiffe (bes. nach Kopenhagen, Stockholm, Leith, Hull, Riga, Königsberg, Danzig, Petersburg, Swineminde u. Rügen); 1861 waren 14,800 Fahrzeuge eingegangen (darunter 2186 große Segelschiffe). Der Handel von S. ist lebhaft. Ausfuhrartikel: Holz, Leinwand, Getreide u. Zink (1861 insgesammt 29 Mill. Thaler an Werth); Einfuhrartikel: Wein, Salz, Leinsamen, Colonialwaaren, Twiste, Baumwolle, Talg u. Pottasche (1861 insgesammt 454 Mill. Thaler an Werth). Eisenbahnverbindung mit Berlin (mit Zweigbahn von Passow nach Pasewalk), über Pasewalk, Anklam u. Greifswald nach Stralsund (Vorpommersche Bahn), über Stargard nach Köslin (Hinterpommersche Bahn, mit Zweigbahn nach Kolberg) u. über Stargard u. Kreuz nach Posen, Bromberg, Danzig, Königsberg etc. Öffentliche Vergnügungen: mehre Spaziergänge, bes. auf dem Glacis; Theater; Freimaurerlogen: drei Zirkel, u. drei goldene Anker zur Liebe u. Treue. 1861_: 64,431 Ew. (einschließlich 5944 Militär).

S. ist von Wenden gegründet u. kommt seit der Zeit der Sächsischen Kaiser als Stedyn (Stetyn), als Stadt des Gaues Cithne vor. S. war eine heilige Stätte der Wendenn. auf 3 Hügeln gebaut, auf deren mittlerm der Tempel des Gottes Triglaw stand. Bedeutend wurde S. erst nach dem Untergang der Handelsstadt Vineta (s.d.) im 12. Jahrh., denn nun zog sich der Handel hierher. 1121 überfiel der Polenkönig Boleslaw die Stadt u. führte 8000 Menschen von da in die Gefangenschaft. Bald darauf nahm S. mit den pommerschen Herzögen das Christenthum an. Bei der Theilung Pommerns 1296 wurde S. die Residenz der Linie Pommern-Stettin. Unter der Regierung der Fürsten dieser Linie wurde S. Hansestadt. 1464 starb die Linie Pommern-Stettin aus u. S. fiel an Pommern-Wolgast. 1466 bemächtigte sich Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg der Stadt S. durch Verrath, doch kam sie 1472 an Pommern zurück u. der Herzog von Wolgast nahm dort größtentheils seine Residenz. Über den Neubau des herzoglichen Schlosses kam es 1501 mit den Herzögen zur Fehde u. S. wehrte sich tapfer, bis es 1503 zum Vergleich kam. 1522 wurde die Reformation in S. eingeführt. 1529 entstand durch Theilung eine neue Stettinische Linie, welche zwar mit Barnim IX. 1573 (er hatte schon 1569 abgedankt) wieder ausstarb, aber sogleich durch seine Neffen ersetzt wurde. 1570 wurde zu S. zwischen König Johann III. von Schweden u. König Friedrich II. von Dänemark Frieden geschlossen, s. Dänemark S. 708 u. Schweden S. 555. 1630 wurde S. von den Schweden unter Gustav Adolf durch Vertrag mit dem Herzog Boguslaw XIV. besetzt. Dieser Fürst, der letzte Herzog von Pommern, starb schon 1637, u. ungeachtet der Ansprüche Brandenburgs auf Pommern, erhielt sich Schweden im Besitz S-s u. bekam die Stadt im Westfälischen Frieden 1648 abgetreten. 1659, als sich Brandenburg, Österreich, Dänemark u. Polen gegen König Karl Gustav von Schweden verbunden hatten, wurde S. durch die Kaiserlichen u. Brandenburger belagert, allein der Commandant Würz hielt sich tapfer, so daß die Belagerung 1660 aufgehoben wurde. 1672 wurde S. durch den Großen Kurfürsten wieder belagert u. mußte sich, fast in Trümmern, nach 6 Monaten den Brandenburgern ergeben. 1713 wurde es von den Russen u. Sachsen belagert, doch schlug sich der König von Preußen ins Mittel, zahlte den Belagerern 400,000 Thlr. u. nahm S. in Interimsadministration (s.u. Nordischer Krieg S. 90), auch wurde es 1720 im Frieden zu Stockholm mit ganz Pommern bis an die Peene von Schweden an Brandenburg abgetreten (s.u. Schweden S. 559). Unter preußischer Herrschaft hob es sich sehr u. die Festungswerke wurden von Friedrich Wilhelm II. u. Friedrich II. bedeutend verstärkt. 1729 wurde in S. die nachherige Kaiserin von Rußland, Katharina II., u. 1759 die nachherige Kaiserin von Rußland, Gemahlin des Kaisers Paul, Maria Feodorowna, geboren, u. deshalb wurden ihr von den Beherrschern Rußlands alle in Rußland geprägten goldenen Gedächtnißmünzen zugesandt. Im Siebenjährigen Kriege wurde S. nicht belagert; am 29. Oct. 1806 aber ergab sich der preußische General Romberg mit 6000 Mann auf die erste Aufforderung des französischen Generals Lasalle, s. Preußisch-Russischer Krieg von 1806 u. 1807 S. 573. S. blieb nun in den Händen der Franzosen. Den 5. Dec. 1813 ergab sich der französische General Grandeau mit 7500 Mann nach achtmonatlicher Blockade dem preußischen General Plötz, s. Russisch-Deutscher Krieg gegen Frankreich S. 590. Vgl. L. W. Bruggemann, Beschreibung der Stadt S., Stettin 1778; I. I. Sell, Briefe über S. u. die Umgegend, Berl. 1800; Ortschaftsverzeichniß des Regierungsbezirks S., Stettin 1822; Fremdenführer durch S., Stettin 1845; Chronik der Stadt S., ebd. 1849; Grieben, S. u. Umgegend, ebd. 1857; Specialkarte des Bezirks der Regierung von S., Weim. 1820, Fol.; Petermann, Specialkarte der Umgegend von S., Berl. 1845; Pläne von S., Stettin 1823, 1843, 1852 u. 1855, u. Berl. 1842 u. 1850.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 796-797. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011008911