Araber (Goethe)
Araber.
Bey einem östlichern Volke, den Arabern, finden wir herrliche Schätze an den Moallakat. Es sind Preisgesänge die aus dichterischen Kämpfen siegreich hervorgingen; Gedichte, entsprungen vor Mahomets Zeiten, mit goldenen Buchstaben geschrieben, aufgehängt an den Pforten des Gotteshauses zu Mekka. Sie deuten auf eine wandernde, heerdenreiche, kriegerische Nation, durch den Wechselstreit mehrerer Stämme innerlich beunruhigt. Dargestellt sind: festeste Anhänglichkeit an Stammgenossen, Ehrbegierde, Tapferkeit, unversöhnbare Rachelust gemildert durch Liebestrauer, Wohlthätigkeit, Aufopferung, sämmtlich gränzenlos. Diese Dichtungen geben uns einen hinlänglichen Begriff von der hohen Bildung des Stammes der Koraischiten, aus welchem Mahomet selbst entsprang, ihnen aber eine düstre Religionshülle überwarf und jede Aussicht auf reinere Fortschritte zu verhüllen wusste.
Der Werth dieser trefflichen Gedichte, an Zahl Sieben, wird noch dadurch erhöht, dass die grösste Mannigfaltigkeit in ihnen herrscht. Hiervon können wir nicht kürzere und würdigere Rechenschaft geben, als wenn wir einschaltend hinlegen, wie der einsichtige Jones ihren Charakter ausspricht. "Amralkais Gedicht ist weich, froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und anmuthig. Tarafas: kühn, aufgeregt, aufspringend und doch mit einiger Fröhlichkeit durchwebt. Das Gedicht von Zoheir scharf, ernst, keusch, voll moralischer Gebote und ernster Sprüche. Lebid's Dichtung ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie erinnert an Virgil's zweite Ekloge: denn er beschwert sich über der Geliebten Stolz und Hochmuth und nimmt daher Anlass seine Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied Antaras zeigt sich stolz, drohend, treffend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit der Beschreibungen und Bilder. Amri ist heftig, erhaben, ruhmredig; Harez darauf voll Weisheit, Scharfsinn und Würde. Auch erscheinen die beiden letzten als poetisch-politische Streitreden, welche vor einer Versammlung Araber gehalten wurden, um den verderblichen Hass zweyer Stämme zu beschwichtigen."
Wie wir nun durch dieses Wenige unsere Leser gewiss aufregen jene Gedichte zu lesen oder wieder zu lesen; so fügen wir ein anderes bei, aus Mahomets Zeit, und völlig im Geiste jener. Man könnte den Charakter desselben als düster, ja finster ansprechen, glühend, rachlustig und von Rache gesättigt.
1. Unter dem Felsen am Wege Erschlagen liegt er, In dessen Blut Kein Thau herabträuft.
2. Grosse Last legt' er mir auf Und schied; Fürwahr diese Last Will ich tragen.
3. "Erbe meiner Rache Ist der Schwestersohn, Der Streitbare, Der Unversöhnliche.
4. Stumm schwitzt er Gift aus, Wie die Otter schweigt, Wie die Schlange Gift haucht Gegen die kein Zauber gilt.
5. Gewaltsame Botschaft kam über uns Grossen mächtigen Unglücks; Den stärksten hätte sie Ueberwältigt.
6. Mich hat das Schicksal geplündert, Den freundlichen verletzend, Dessen Gastfreund Nie beschädigt ward.
7. Sonnenhitze war er Am kalten Tag, Und brannte der Sirius War er Schatten und Kühlung.
8. Trocken von Hüften, Nicht kümmerlich, Feucht von Händen, Kühn und gewaltsam.
9. Mit festem Sinn Verfolgt' er sein Ziel Bis er ruhte; Da ruht auch der feste Sinn.
10. Wolkenregen war er, Geschenke vertheilend; Wenn er anfiel, Ein grimmiger Löwe.
11. Staatlich vor dem Volke, Schwarzen Haares, langen Kleides, Auf den Feind rennend Ein magrer Wolf.
12. Zwey Geschmäcke theilt' er aus Honig und Wermuth, Speise solcher Geschmäcke Kostete jeder.
13. Schreckend ritt er allein, Niemand begleitet' ihn Als das Schwerdt von Jemen Mit Scharten geschmückt.
14. Mittags begannen wir Jünglinge Den feindseligen Zug, Zogen die Nacht hindurch, Wie schwebende Wolken ohne Ruh.
15. Jeder war ein Schwerdt Schwerdt umgürtet, Aus der Scheide gerissen Ein glänzender Blitz.
16. Sie schlürften die Geister des Schlafes, Aber wie sie mit den Köpfen nickten Schlugen wir sie Und sie waren dahin.
17. Rache nahmen wir völlige; Es entrannen von zwey Stämmen Gar wenige, Die wenigsten.
18. Und hat der Hudseilite Ihn zu verderben die Lanze gebrochen, Weil er mit seiner Lanze Die Hudseiliten zerbrach.
19. Auf rauhen Ruhplatz Legten sie ihn, An schroffen Fels wo selbst Kamele Die Klauen zerbrachen.
20. Als der Morgen ihn da begrüsst, Am düstern Ort, den Gemordeten, War er beraubt, Die Beute entwendet.
21. Nun aber sind gemordet von mir Die Hudseiliten mit tiefen Wunden. Mürbe macht mich nicht das Unglück, Es selbst wird mürbe.
22. Des Speeres Durst ward gelöscht Mit erstem Trinken, Versagt war ihm nicht Wiederholtes Trinken.
23. Nun ist der Wein wieder erlaubt Der erst versagt war, Mit vieler Arbeit Gewann ich mir die Erlaubniss.
24. Auf Schwerdt und Spiess Und auf's Pferd erstreckt' ich Die Vergünstigung, Das ist nun alles Gemeingut.
25. Reiche den Becher dann O! Sawad Ben Amre: Denn mein Körper um des Oheims willen Ist eine grosse Wunde.
26. Und den Todes-Kelch Reichten wir den Hudseiliten, Dessen Wirkung ist Jammer, Blindheit und Erniedrigung.
27. Da lachten die Hyänen Beim Tode der Hudseiliten, Und du sahest Wölfe Denen glänzte das Angesicht.
28. Die edelsten Geyer flogen daher, Sie schritten von Leiche zu Leiche, Und von dem reichlich bereiteten Mahle Nicht in die Höhe konnten sie steigen.
Wenig bedarf es, um sich über dieses
Gedicht zu verständigen. Die Grösse des
Charakters, der Ernst, die rechtmässige
Grausamkeit des Handelns sind hier eigentlich das Mark der Poesie. Die zwey ersten
Strophen geben die klare Exposition, in der
dritten und vierten spricht der Todte und
legt seinem Verwandten die Last auf ihn
zu rächen. Die sechste und siebente schliesst
sich dem Sinne nach an die ersten, sie stehen lyrisch versetzt, die siebente bis dreyzehnte erhebt den Erschlagenen, dass man
die Grösse seines Verlustes empfinde. Die
vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert
die Expedition gegen die Feinde; die achtzehnte führt wieder rückwärts, die neunzehnte und zwanzigste könnte gleich nach
den beiden ersten stehen. Die einundzwanstigste und zweiundzwanzigste könnte nach der siebzehnten Platz finden, sodann folgt
Siegeslust und Genuss beim Gastmahl, den
Schluss aber macht die furchtbare Freude
die erlegten Feinde, Hyänen und Geyern
zum Raube, vor sich liegen zu sehen.
Höchst merkwürdig erscheint uns bey diesem Gedicht, dass die reine Prosa der Handlung durch Transposition der einzelnen Ereignisse poetisch wird. Dadurch, und dass das Gedicht fast alles äussern Schmucks ermangelt, wird der Ernst desselben erhöht und wer sich recht hinein liest muss das Geschehene, von Anfang bis zu Ende, nach und nach vor der Einbildungskraft aufgebaut erblicken.
(Aus: Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans)
- Goethe, Johann Wolfgang von: Besserem Verständnis. In: West-östlicher Divan. Stuttgart: Cotta, 1819. S. 251-260. In: Deutsches Textarchiv <http://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/261>, abgerufen am 02.05.2019.
- Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans. In: Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 161-163. http://www.zeno.org/nid/20004848837