Jehuda Ben Halevy (Heine)

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Gedicht von Heinrich Heine aus seinem 1851 erschienenen Gedichtband Romanzero. Darin erzählt er die Geschichte des judäospanischen Dichters Jehuda ben Halevi (1075-1141), zumindest die Legende von seinem Tod.

Schon im ersten Gedicht des Zyklus Hebräische Melodien (Prinzessin Sabbath), erwähnt er den "großen, / Hochberühmten Minnesinger / Don Jehudas ben Halevy" – in diesem Fall irrtümlich, weil das dort zitierte Hochzeitslied von einem anderen judäospanischen Autor der Zeit stammt, Salomo Halevi Alkabez.

Heine hatte sich schon in den 1820er Jahren mit der jüdischen Tradition beschäftigt und nahm dies nach Ausbruch seiner Krankheit 1848 verstärkt wieder auf.

Im 4. Teil des Gedichts geht Heine auf die klassische arabisch-jüdische Dichtung der Zeit ein. Er klagt über die westliche Ignoranz und nennt Namen großer Dichter.

»Sonderbar!« - setzt sie hinzu - 
»Daß ich niemals nennen hörte 
Diesen großen Dichternamen, 
Den Jehuda ben Halevy.« 
 
Liebstes Kind, gab ich zur Antwort, 
Solche holde Ignoranz, 
Sie bekundet die Lakunen 
Der französischen Erziehung, 
 
Der Pariser Pensionate, 
Wo die Mädchen, diese künft'gen 
Mütter eines freien Volkes, 
Ihren Unterricht genießen - 

(...)

Fragt man sie nach großen Namen  
Aus dem großen Goldzeitalter  
Der arabisch-althispanisch  
Jüdischen Poetenschule,    

Fragt man nach dem Dreigestirn,  
Nach Jehuda ben Halevy,  
Nach dem Salomon Gabirol  
Und dem Moses Iben Esra - 
 (...)
Raten möcht ich dir, Geliebte,  
Nachzuholen das Versäumte  
Und Hebräisch zu erlernen -  
Laß Theater und Konzerte,    

Widme ein'ge Jahre solchem  
Studium, du kannst alsdann  
Im Originale lesen  
Iben Esra und Gabirol    

Und versteht sich den Halevy,  
Das Triumvirat der Dichtkunst,  
Das dem Saitenspiel Davidis  
Einst entlockt die schönsten Laute.    

Alcharisi - der, ich wette,  
Dir nicht minder unbekannt ist,  
Ob er gleich, französ'scher Witzbold,  
Den Hariri überwitzelt    

Im Gebiete der Makame,  
Und ein Voltairianer war  
Schon sechshundert Jahr' vor Voltair' -  
Jener Alcharisi sagte:    

»Durch Gedanken glänzt Gabirol  
Und gefällt zumeist dem Denker,  
Iben Esra glänzt durch Kunst  
Und behagt weit mehr dem Künstler -    

Aber beider Eigenschaften  
Hat Jehuda ben Halevy,  
Und er ist ein großer Dichter  
Und ein Liebling aller Menschen.« 



Heinrich Heine

Jehuda Ben Halevy

Lechzend klebe mir die Zunge

1 
 
»Lechzend klebe mir die Zunge 
An dem Gaumen, und es welke 
Meine rechte Hand, vergäß ich 
Jemals dein, Jerusalem -« 
 
Wort und Weise, unaufhörlich 
Schwirren sie mir heut im Kopfe, 
Und mir ist, als hört ich Stimmen, 
Psalmodierend, Männerstimmen - 
 
Manchmal kommen auch zum Vorschein 
Bärte, schattig lange Bärte - 
Traumgestalten, wer von euch 
Ist Jehuda ben Halevy? 
 
Doch sie huschen rasch vorüber; 
Die Gespenster scheuen furchtsam 
Der Lebend'gen plumpen Zuspruch - 
Aber ihn hab ich erkannt - 
 
Ich erkannt ihn an der bleichen 
Und gedankenstolzen Stirne, 
An der Augen süßer Starrheit - 
Sahn mich an so schmerzlich forschend - 
 
Doch zumeist erkannt ich ihn 
An dem rätselhaften Lächeln 
Jener schön gereimten Lippen, 
Die man nur bei Dichtern findet. 
 
Jahre kommen und verfließen. 
Seit Jehuda ben Halevy 
Ward geboren, sind verflossen 
Siebenhundertfunfzig Jahre - 
 
Hat zuerst das Licht erblickt 
Zu Toledo in Kastilien, 
Und es hat der goldne Tajo 
Ihm sein Wiegenlied gelullet. 
 
Für Entwicklung seines Geistes 
Sorgte früh der strenge Vater, 
Der den Unterricht begann 
Mit dem Gottesbuch, der Thora. 
 
Diese las er mit dem Sohne 
In dem Urtext, dessen schöne, 
Hieroglyphisch pittoreske, 
Altchaldäische Quadratschrift 
 
Herstammt aus dem Kindesalter 
Unsrer Welt, und auch deswegen 
Jedem kindlichen Gemüte 
So vertraut entgegenlacht. 
 
Diesen echten alten Text 
Rezitierte auch der Knabe 
In der uralt hergebrachten 
Singsangweise, Tropp geheißen - 
 
Und er gurgelte gar lieblich 
Jene fetten Gutturalen, 
Und er schlug dabei den Triller, 
Den Schalscheleth, wie ein Vogel. 
 
Auch den Targum Onkelos, 
Der geschrieben ist in jenem 
Plattjudäischen Idiom, 
Das wir Aramäisch nennen 
 
Und zur Sprache der Propheten 
Sich verhalten mag etwa 
Wie das Schwäbische zum Deutschen - 
Dieses Gelbveiglein-Hebräisch 
 
Lernte gleichfalls früh der Knabe, 
Und es kam ihm solche Kenntnis 
Bald darauf sehr gut zustatten 
Bei dem Studium des Talmuds. 
 
Ja, frühzeitig hat der Vater 
ihn geleitet zu dem Talmud, 
Und da hat er ihm erschlossen 
Die Halacha, diese große 
 
Fechterschule, wo die besten 
Dialektischen Athleten 
Babylons und Pumpedithas 
Ihre Kämpferspiele trieben. 
 
Lernen konnte hier der Knabe 
Alle Künste der Polemik; 
Seine Meisterschaft bezeugte 
Späterhin das Buch Cosari. 
 
Doch der Himmel gießt herunter 
Zwei verschiedne Sorten Lichtes: 
Grelles Tageslicht der Sonne 
Und das mildre Mondlicht - Also, 
 
Also leuchtet auch der Talmud 
Zwiefach, und man teilt ihn ein 
In Halacha und Hagada. 
Erstre nannt ich eine Fechtschul' - 
 
Letztre aber, die Hagada, 
Will ich einen Garten nennen, 
Einen Garten, hochphantastisch 
Und vergleichbar jenem andern, 
 
Welcher ebenfalls dem Boden 
Babylons entsprossen weiland - 
Garten der Semiramis, 
Achtes Wunderwerk der Welt. 
 
Königin Semiramis, 
Die als Kind erzogen worden 
Von den Vögeln, und gar manche 
Vögeltümlichkeit bewahrte, 
 
Wollte nicht auf platter Erde 
Promenieren wie wir andern 
Säugetiere, und sie pflanzte 
Einen Garten in der Luft - 
 
Hoch auf kolossalen Säulen 
Prangten Palmen und Zypressen, 
Goldorangen, Blumenbeete, 
Marmorbilder, auch Springbrunnen, 
 
Alles klug und fest verbunden 
Durch unzähl'ge Hängebrücken, 
Die wie Schlingepflanzen aussahn 
Und worauf sich Vögel wiegten - 
 
Große, bunte, ernste Vögel, 
Tiefe Denker, die nicht singen, 
Während sie umflattert kleines 
Zeisigvolk, das lustig trillert - 
 
Alle atmen ein, beseligt, 
Einen reinen Balsamduft, 
Welcher unvermischt mit schnödem 
Erdendunst und Mißgeruche. 
 
Die Hagada ist ein Garten 
Solcher Luftkindgrillenart, 
Und der junge Talmudschüler, 
Wenn sein Herze war bestäubet 
 
Und betäubet vom Gezänke 
Der Halacha, vom Dispute 
Über das fatale Ei, 
Das ein Huhn gelegt am Festtag, 
 
Oder über eine Frage 
Gleicher Importanz - der Knabe 
Floh alsdann, sich zu erfrischen, 
In die blühende Hagada, 
 
Wo die schönen alten Sagen, 
Engelmärchen und Legenden, 
Stille Märtyrerhistorien, 
Festgesänge, Weisheitsprüche, 
 
Auch Hyperbeln, gar possierlich, 
Alles aber glaubenskräftig, 
Glaubensglühend - Oh, das glänzte, 
Quoll und sproß so überschwenglich - 
 
Und des Knaben edles Herze 
Ward ergriffen von der wilden, 
Abenteuerlichen Süße, 
Von der wundersamen Schmerzlust 
 
Und den fabelhaften Schauern 
Jener seligen Geheimwelt, 
Jener großen Offenbarung, 
Die wir nennen Poesie. 
 
Auch die Kunst der Poesie, 
Heitres Wissen, holdes Können, 
Welches wir die Dichtkunst heißen, 
Tat sich auf dem Sinn des Knaben. 
 
Und Jehuda ben Halevy 
Ward nicht bloß ein Schriftgelehrter, 
Sondern auch der Dichtkunst Meister, 
Sondern auch ein großer Dichter. 
 
Ja, er ward ein großer Dichter, 
Stern und Fackel seiner Zeit, 
Seines Volkes Licht und Leuchte, 
Eine wunderbare, große 
 
Feuersäule des Gesanges, 
Die der Schmerzenskarawane 
Israels vorangezogen 
In der Wüste des Exils. 
 
Rein und wahrhaft, sonder Makel 
War sein Lied, wie seine Seele - 
Als der Schöpfer sie erschaffen, 
Diese Seele, selbstzufrieden 
 
Küßte er die schöne Seele, 
Und des Kusses holder Nachklang 
Bebt in jedem Lied des Dichters, 
Das geweiht durch diese Gnade. 
 
Wie im Leben, so im Dichten 
Ist das höchste Gut die Gnade - 
Wer sie hat, der kann nicht sünd'gen, 
Nicht in Versen, noch in Prosa. 
 
Solchen Dichter von der Gnade 
Gottes nennen wir Genie: 
Unverantwortlicher König 
Des Gedankenreiches ist er. 
 
Nur dem Gotte steht er Rede, 
Nicht dem Volke - In der Kunst, 
Wie im Leben, kann das Volk 
Töten uns, doch niemals richten. - 


Bei den Wassern Babels saßen

2 
 
»Bei den Wassern Babels saßen 
Wir und weinten, unsre Harfen 
Lehnten an den Trauerweiden« - 
Kennst du noch das alte Lied? 
 
Kennst du noch die alte Weise, 
Die im Anfang so elegisch 
Greint und sumset, wie ein Kessel, 
Welcher auf dem Herde kocht? 
 
Lange schon, jahrtausendlange 
Kocht's in mir. Ein dunkles Wehe! 
Und die Zeit leckt meine Wunde, 
Wie der Hund die Schwären Hiobs. 
 
Dank dir, Hund, für deinen Speichel - 
Doch das kann nur kühlend lindern - 
Heilen kann mich nur der Tod, 
Aber, ach, ich bin unsterblich! 
 
Jahre kommen und vergehen - 
In dem Webstuhl läuft geschäftig 
Schnurrend hin und her die Spule - 
Was er webt, das weiß kein Weber. 
 
Jahre kommen und vergehen, 
Menschentränen träufeln, rinnen 
Auf die Erde, und die Erde 
Saugt sie ein mit stiller Gier - 
 
Tolle Sud! Der Deckel springt - 
Heil dem Manne, dessen Hand 
Deine junge Brut ergreifet 
Und zerschmettert an der Felswand. 
 
Gott sei Dank! die Sud verdampfet 
In dem Kessel, der allmählich 
Ganz verstummt. Es weicht mein Spleen, 
Mein westöstlich dunkler Spleen - 
 
Auch mein Flügelrößlein wiehert 
Wieder heiter, scheint den bösen 
Nachtalp von sich abzuschütteln, 
Und die klugen Augen fragen: 
 
»Reiten wir zurück nach Spanien 
Zu dem kleinen Talmudisten, 
Der ein großer Dichter worden, 
Zu Jehuda ben Halevy?« 
 
Ja, er ward ein großer Dichter, 
Absoluter Traumweltsherrscher 
Mit der Geisterkönigskrone, 
Ein Poet von Gottes Gnade, 
 
Der in heiligen Sirventen, 
Madrigalen und Terzinen, 
Kanzonetten und Ghaselen 
Ausgegossen alle Flammen 
 
Seiner gottgeküßten Seele! 
Wahrlich ebenbürtig war 
Dieser Troubadour den besten 
Lautenschlägern der Provence, 
 
Poitous und der Guienne, 
Roussillons und aller andern 
Süßen Pomeranzenlande 
Der galanten Christenheit. 
 
Der galanten Christenheit 
Süße Pomeranzenlande! 
Wie sie duften, glänzen, klingen 
In dem Zwielicht der Erinnrung! 
 
Schöne Nachtigallenwelt! 
Wo man statt des wahren Gottes 
Nur den falschen Gott der Liebe 
Und der Musen angebeten. 
 
Clerici mit Rosenkränzen 
Auf der Glatze sangen Psalmen 
In der heitern Sprache d'oc; 
Und die Laien, edle Ritter, 
 
Stolz auf hohen Rossen trabend, 
Spintisierten Vers und Reime 
Zur Verherrlichung der Dame, 
Der ihr Herze fröhlich diente. 
 
Ohne Dame keine Minne, 
Und es war dem Minnesänger 
Unentbehrlich eine Dame, 
Wie dem Butterbrot die Butter. 
 
Auch der Held, den wir besingen, 
Auch Jehuda ben Halevy 
Hatte seine Herzensdame; 
Doch sie war besondrer Art. 
 
Sie war keine Laura, deren 
Augen, sterbliche Gestirne, 
In dem Dome am Karfreitag 
Den berühmten Brand gestiftet - 
 
Sie war keine Chatelaine, 
Die im Blütenschmuck der Jugend 
Bei Turnieren präsidierte 
Und den Lorbeerkranz erteilte - 
 
Keine Kußrechtskasuistin 
War sie, keine Doktrinärrin, 
Die im Spruchkollegium 
Eines Minnehofs dozierte - 
 
Jene, die der Rabbi liebte, 
War ein traurig armes Liebchen, 
Der Zerstörung Jammerbildnis, 
Und sie hieß Jerusalem. 
 
Schon in frühen Kindestagen 
War sie seine ganze Liebe; 
Sein Gemüte machte beben 
Schon das Wort Jerusalem. 
 
Purpurflamme auf der Wange, 
Stand der Knabe, und er horchte, 
Wenn ein Pilger nach Toledo 
Kam aus fernem Morgenlande 
 
Und erzählte: wie verödet 
Und verunreint jetzt die Stätte, 
Wo am Boden noch die Lichtspur 
Von dem Fuße der Propheten - 
 
Wo die Luft noch balsamieret 
Von dem ew'gen Odem Gottes - 
»O des Jammeranblicks!« rief 
Einst ein Pilger, dessen Bart 
 
Silberweiß hinabfloß, während 
Sich das Barthaar an der Spitze 
Wieder schwärzte und es aussah, 
Als ob sich der Bart verjünge - 
 
Ein gar wunderlicher Pilger 
Mocht es sein, die Augen lugten 
Wie aus tausendjähr'gem Trübsinn, 
Und er seufzt': »Jerusalem! 
 
Sie, die volkreich heil'ge Stadt 
Ist zur Wüstenei geworden, 
Wo Waldteufel, Werwolf, Schakal 
Ihr verruchtes Wesen treiben - 
 
Schlangen, Nachtgevögel nisten 
Im verwitterten Gemäuer; 
Aus des Fensters luft'gem Bogen 
Schaut der Fuchs mit Wohlbehagen. 
 
Hier und da taucht auf zuweilen 
Ein zerlumpter Knecht der Wüste, 
Der sein höckriges Kamel 
In dem hohen Grase weidet. 
 
Auf der edlen Höhe Zions, 
Wo die goldne Feste ragte, 
Deren Herrlichkeiten zeugten 
Von der Pracht des großen Königs: 
 
Dort, von Unkraut überwuchert, 
Liegen nur noch graue Trümmer, 
Die uns ansehn schmerzhaft traurig, 
Daß man glauben muß, sie weinten. 
 
Und es heißt, sie weinten wirklich 
Einmal in dem Jahr, an jenem 
Neunten Tag des Monats Ab - 
Und mit tränend eignen Augen 
 
Schaute ich die dicken Tropfen 
Aus den großen Steinen sickern, 
Und ich hörte weheklagen 
Die gebrochnen Tempelsäulen.« -- 
 
Solche fromme Pilgersagen 
Weckten in der jungen Brust 
Des Jehuda ben Halevy 
Sehnsucht nach Jerusalem. 
 
Dichtersehnsucht! ahnend, träumend 
Und fatal war sie, wie jene, 
Die auf seinem Schloß zu Blaye 
Einst empfand der edle Vidam, 
 
Messer Geoffroy Rudello, 
Als die Ritter, die zurück 
Aus dem Morgenlande kehrten, 
Laut beim Becherklang beteuert: 
 
Ausbund aller Huld und Züchten, 
Perl' und Blume aller Frauen, 
Sei die schöne Melisande, 
Markgräfin von Tripolis. 
 
Jeder weiß, für diese Dame 
Schwärmte jetzt der Troubadour; 
Er besang sie, und es wurde 
Ihm zu eng im Schlosse Blaye. 
 
Und es trieb ihn fort. Zu Cette 
Schiffte er sich ein, erkrankte 
Aber auf dem Meer, und sterbend 
Kam er an zu Tripolis. 
 
Hier erblickt' er Melisanden 
Endlich auch mit Leibesaugen, 
Die jedoch des Todes Schatten 
In derselben Stunde deckten. 
 
Seinen letzten Liebessang 
Singend, starb er zu den Füßen 
Seiner Dame Melisande, 
Markgräfin von Tripolis. 
 
Wunderbare Ähnlichkeit 
In dem Schicksal beider Dichter! 
Nur daß jener erst im Alter 
Seine große Wallfahrt antrat. 
 
Auch Jehuda ben Halevy 
Starb zu Füßen seiner Liebsten, 
Und sein sterbend Haupt, es ruhte 
Auf den Knien Jerusalems. 


Nach der Schlacht bei Arabella

3 
 
Nach der Schlacht bei Arabella 
Hat der große Alexander 
Land und Leute des Darius, 
Hof und Harem, Pferde, Weiber, 
 
Elefanten und Dariken, 
Kron' und Zepter, goldnen Plunder, 
Eingesteckt in seine weiten 
Mazedon'schen Pluderhosen. 
 
In dem Zelt des großen Königs, 
Der entflohn, um nicht höchstselbst 
Gleichfalls eingesteckt zu werden, 
Fand der junge Held ein Kästchen, 
 
Eine kleine güldne Truhe, 
Mit Miniaturbildwerken 
Und mit inkrustierten Steinen 
Und Kameen reich geschmückt - 
 
Dieses Kästchen, selbst ein Kleinod 
Unschätzbaren Wertes, diente 
Zur Bewahrung von Kleinodien, 
Des Monarchen Leibjuwelen. 
 
Letztre schenkte Alexander 
An die Tapfern seines Heeres, 
Darob lächelnd, daß sich Männer 
Kindisch freun an bunten Steinchen. 
 
Eine kostbar schönste Gemme 
Schickte er der lieben Mutter; 
War der Siegelring des Cyrus, 
Wurde jetzt zu einer Brosche. 
 
Seinem alten Weltarschpauker 
Aristoteles, dem sandt er 
Einen Onyx für sein großes 
Naturalienkabinett. 
 
In dem Kästchen waren Perlen, 
Eine wunderbare Schnur, 
Die der Königin Atossa 
Einst geschenkt der falsche Smerdis - 
 
Doch die Perlen waren echt - 
Und der heitre Sieger gab sie 
Einer schönen Tänzerin 
Aus Korinth, mit Namen Thais. 
 
Diese trug sie in den Haaren, 
Die bacchantisch aufgelöst, 
In der Brandnacht, als sie tanzte 
Zu Persepolis und frech 
 
In die Königsburg geschleudert 
Ihre Fackel, daß laut prasselnd 
Bald die Flammenlohe aufschlug, 
Wie ein Feuerwerk zum Feste. 
 
Nach dem Tod der schönen Thais, 
Die an einer babylon'schen 
Krankheit starb zu Babylon, 
Wurden ihre Perlen dort 
 
Auf dem Börsensaal vergantert. 
Sie erstand ein Pfaff' aus Memphis, 
Der sie nach Ägypten brachte, 
Wo sie später auf dem Putztisch 
 
Der Kleopatra erschienen, 
Die die schönste Perl' zerstampft 
Und mit Wein vermischt verschluckte, 
Um Antonius zu foppen. 
 
Mit dem letzten Omayaden 
Kam die Perlenschnur nach Spanien, 
Und sie schlängelte am Turban 
Des Kalifen zu Corduba. 
 
Abderam der Dritte trug sie 
Als Brustschleife beim Turnier, 
Wo er dreißig goldne Ringe 
Und das Herz Zuleimas stach. 
 
Nach dem Fall der Mohrenherrschaft 
Gingen zu den Christen über 
Auch die Perlen, und gerieten 
In den Kronschatz von Kastilien. 
 
Die kathol'schen Majestäten 
Span'scher Königinnen schmückten 
Sich damit bei Hoffestspielen, 
Stiergefechten, Prozessionen, 
 
So wie auch Autodafés, 
Wo sie, auf Balkonen sitzend, 
Sich erquickten am Geruche 
Von gebratnen alten Juden. 
 
Späterhin gab Mendizabel, 
Satansenkel, diese Perlen 
In Versatz, um der Finanzen 
Defizit damit zu decken. 
 
An dem Hof der Tuilerien 
Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein, 
Und sie schimmerte am Halse 
Der Baronin Salomon. 
 
So erging's den schönen Perlen. 
Minder abenteuerlich 
Ging's dem Kästchen, dies behielt 
Alexander für sich selber. 
 
Er verschloß darin die Lieder 
Des ambrosischen Homeros, 
Seines Lieblings, und zu Häupten 
Seines Bettes in der Nacht 
 
Stand das Kästchen - Schlief der König, 
Stiegen draus hervor der Helden 
Lichte Bilder, und sie schlichen 
Gaukelnd sich in seine Träume. 
 
Andre Zeiten, andre Vögel - 
Ich, ich liebte weiland gleichfalls 
Die Gesänge von den Taten 
Des Peliden, des Odysseus. 
 
Damals war so sonnengoldig 
Und so purpurn mir zumute, 
Meine Stirn umkränzte Weinlaub, 
Und es tönten die Fanfaren - 
 
Still davon - gebrochen liegt 
Jetzt mein stolzer Siegeswagen, 
Und die Panther, die ihn zogen, 
Sind verreckt, so wie die Weiber, 
 
Die mit Pauk' und Zimbelklängen 
Mich umtanzten, und ich selbst 
Wälze mich am Boden elend, 
Krüppelelend - still davon - 
 
Still davon - es ist die Rede 
Von dem Kästchen des Darius, 
Und ich dacht in meinem Sinne: 
Käm ich in Besitz des Kästchens, 
 
Und mich zwänge nicht Finanznot, 
Gleich dasselbe zu versilbern, 
So verschlösse ich darin 
Die Gedichte unsres Rabbi - 
 
Des Jehuda ben Halevy 
Festgesänge, Klagelieder, 
Die Ghaselen, Reisebilder 
Seiner Wallfahrt - alles ließ' ich 
 
Von dem besten Zophar schreiben 
Auf der reinsten Pergamenthaut, 
Und ich legte diese Handschrift 
In das kleine goldne Kästchen. 
 
Dieses stellt' ich auf den Tisch 
Neben meinem Bett, und kämen 
Dann die Freunde und erstaunten 
Ob der Pracht der kleinen Truhe, 
 
Ob den seltnen Basreliefen, 
Die so winzig, doch vollendet 
Sind zugleich, und ob den großen 
Inkrustierten Edelsteinen - 
 
Lächelnd würd ich ihnen sagen: 
Das ist nur die rohe Schale, 
Die den bessern Schatz verschließet - 
Hier in diesem Kästchen liegen 
 
Diamanten, deren Lichter 
Abglanz, Widerschein des Himmels, 
Herzblutglühende Rubinen, 
Fleckenlose Turkoasen, 
 
Auch Smaragde der Verheißung, 
Perlen, reiner noch als jene, 
Die der Königin Atossa 
Einst geschenkt der falschen Smerdis, 
 
Und die späterhin geschmücket 
Alle Notabilitäten 
Dieser mondumkreisten Erde, 
Thais und Kleopatra, 
 
Isispriester, Mohrenfürsten, 
Auch Hispaniens Königinnen. 
Und zuletzt die hochverehrte 
Frau Baronin Salomon - 
 
Diese weltberühmten Perlen, 
Sie sind nur der bleiche Schleim 
Eines armen Austertiers, 
Das im Meergrund blöde kränkelt: 
 
Doch die Perlen hier im Kästchen 
Sind entquollen einer schönen 
Menschenseele, die noch tiefer, 
Abgrundtiefer als das Weltmeer - 
 
Denn es sind die Tränenperlen 
Des Jehuda ben Halevy, 
Die er ob dem Untergang 
Von Jerusalem geweinet - 
 
Perlentränen, die, verbunden 
Durch des Reimes goldnen Faden, 
Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede 
Als ein Lied hervorgegangen. 
 
Dieses Perlentränenlied 
Ist die vielberühmte Klage, 
Die gesungen wird in allen 
Weltzerstreuten Zelten Jakobs 
 
An dem neunten Tag des Monats, 
Der geheißen Ab, dem Jahrstag 
Von Jerusalems Zerstörung 
Durch den Titus Vespasianus. 
 
Ja, das ist das Zionslied, 
Das Jehuda ben Halevy 
Sterbend auf den heil'gen Trümmern 
Von Jerusalem gesungen - 
 
Barfuß und im Büßerkittel 
Saß er dorten auf dem Bruchstück 
Einer umgestürzten Säule; - 
Bis zur Brust herunter fiel 
 
Wie ein greiser Wald sein Haupthaar, 
Abenteuerlich beschattend 
Das bekümmert bleiche Antlitz 
Mit den geisterhaften Augen - 
 
Also saß er und er sang, 
Wie ein Seher aus der Vorzeit 
Anzuschaun - dem Grab entstiegen 
Schien Jeremias, der Alte - 
 
Das Gevögel der Ruinen 
Zähmte schier der wilde Schmerzlaut 
Des Gesanges, und die Geier 
Nahten horchend, fast mitleidig - 
 
Doch ein frecher Sarazene 
Kam desselben Wegs geritten, 
Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend 
Und die blanke Lanze schwingend - 
 
In die Brust des armen Sängers 
Stieß er diesen Todesspeer, 
Und er jagte rasch von dannen, 
Wie ein Schattenbild beflügelt. 
 
Ruhig floß das Blut des Rabbi, 
Ruhig seinen Sang zu Ende 
Sang er, und sein sterbeletzter 
Seufzer war Jerusalem! -- 
 
Eine alte Sage meldet, 
Jener Sarazene sei 
Gar kein böser Mensch gewesen, 
Sondern ein verkappter Engel, 
 
Der vom Himmel ward gesendet, 
Gottes Liebling zu entrücken 
Dieser Erde und zu fördern 
Ohne Qual ins Reich der Sel'gen. 
 
Droben, heißt es, harrte seiner 
Ein Empfang, der schmeichelhaft 
Ganz besonders für den Dichter, 
Eine himmlische Surprise. 
 
Festlich kam das Chor der Engel 
Ihm entgegen mit Musik, 
Und als Hymne grüßten ihn 
Seine eignen Verse, jenes 
 
Synagogenhochzeitkarmen, 
Jene Sabbathymenäen, 
Mit den jauchzend wohlbekannten 
Melodien - welche Töne! 
 
Englein bliesen auf Hoboen, 
Englein spielten Violine, 
Andre strichen auch die Bratsche 
Oder schlugen Pauk' und Zimbel. 
 
Und das sang und klang so lieblich, 
Und so lieblich in den weiten 
Himmelsräumen widerhallt es: 
»Lecho Daudi Likras Kalle.« 
 

Meine Frau ist nicht zufrieden

4 
 
Meine Frau ist nicht zufrieden 
Mit dem vorigen Kapitel, 
Ganz besonders in bezug 
Auf das Kästchen des Darius. 
 
Fast mit Bitterkeit bemerkt sie: 
Daß ein Ehemann, der wahrhaft 
Religiöse sei, das Kästchen 
Gleich zu Gelde machen würde, 
 
Um damit für seine arme 
Legitime Ehegattin 
Einen Kaschemir zu kaufen, 
Dessen sie so sehr bedürfe. 
 
Der Jehuda ben Halevy, 
Meinte sie, der sei hinlänglich 
Ehrenvoll bewahrt in einem 
Schönen Futteral von Pappe 
 
Mit chinesisch eleganten 
Arabesken, wie die hübschen 
Bonbonnieren von Marquis 
Im Passage-Panorama. 
 
»Sonderbar!« - setzt sie hinzu - 
»Daß ich niemals nennen hörte 
Diesen großen Dichternamen, 
Den Jehuda ben Halevy.« 
 
Liebstes Kind, gab ich zur Antwort, 
Solche holde Ignoranz, 
Sie bekundet die Lakunen 
Der französischen Erziehung, 
 
Der Pariser Pensionate, 
Wo die Mädchen, diese künft'gen 
Mütter eines freien Volkes, 
Ihren Unterricht genießen - 
 
Alte Mumien, ausgestopfte 
Pharaonen von Ägypten, 
Merowinger Schattenkön'ge, 
Ungepuderte Perücken, 
 
Auch die Zopfmonarchen Chinas, 
Porzellanpagodenkaiser - 
Alle lernen sie auswendig, 
Kluge Mädchen, aber Himmel - 
 
Fragt man sie nach großen Namen 
Aus dem großen Goldzeitalter 
Der arabisch-althispanisch 
Jüdischen Poetenschule, 
 
Fragt man nach dem Dreigestirn, 
Nach Jehuda ben Halevy, 
Nach dem Salomon Gabirol 
Und dem Moses Iben Esra - 
 
Fragt man nach dergleichen Namen, 
Dann mit großen Augen schaun 
Uns die Kleinen an - alsdann 
Stehn am Berge die Ochsinnen. 
 
Raten möcht ich dir, Geliebte, 
Nachzuholen das Versäumte 
Und Hebräisch zu erlernen - 
Laß Theater und Konzerte, 
 
Widme ein'ge Jahre solchem 
Studium, du kannst alsdann 
Im Originale lesen 
Iben Esra und Gabirol 
 
Und versteht sich den Halevy, 
Das Triumvirat der Dichtkunst, 
Das dem Saitenspiel Davidis 
Einst entlockt die schönsten Laute. 
 
Alcharisi - der, ich wette, 
Dir nicht minder unbekannt ist, 
Ob er gleich, französ'scher Witzbold, 
Den Hariri überwitzelt 
 
Im Gebiete der Makame, 
Und ein Voltairianer war 
Schon sechshundert Jahr' vor Voltair' - 
Jener Alcharisi sagte: 
 
»Durch Gedanken glänzt Gabirol 
Und gefällt zumeist dem Denker, 
Iben Esra glänzt durch Kunst 
Und behagt weit mehr dem Künstler - 
 
Aber beider Eigenschaften 
Hat Jehuda ben Halevy, 
Und er ist ein großer Dichter 
Und ein Liebling aller Menschen.« 
 
Iben Esra war ein Freund 
Und, ich glaube, auch ein Vetter 
Des Jehuda ben Halevy, 
Der in seinem Wanderbuche 
 
Schmerzlich klagt, wie er vergebens 
In Granada aufgesucht hat 
Seinen Freund, und nur den Bruder 
Dorten fand, den Medikus, 
 
Rabbi Meyer, auch ein Dichter 
Und der Vater jener Schönen, 
Die mit hoffnungsloser Flamme 
Iben Esras Herz entzunden - 
 
Um das Mühmchen zu vergessen, 
Griff er nach dem Wanderstabe, 
Wie so mancher der Kollegen; 
Lebte unstet, heimatlos. 
 
Pilgernd nach Jerusalem, 
Überfielen ihn Tartaren, 
Die an einen Gaul gebunden 
Ihn nach ihren Steppen schleppten. 
 
Mußte Dienste dort verrichten, 
Die nicht würdig eines Rabbi 
Und noch wen'ger eines Dichters, 
Mußte nämlich Kühe melken. 
 
Einstens, als er unterm Bauche 
Einer Kuh gekauert saß, 
Ihre Euter hastig fingernd, 
Daß die Milch floß in den Zuber - 
 
Eine Position, unwürdig 
Eines Rabbis, eines Dichters - 
Da befiel ihn tiefe Wehmut, 
Und er fing zu singen an, 
 
Und er sang so schön und lieblich, 
Daß der Khan, der Fürst der Horde, 
Der vorbeiging, ward gerühret 
Und die Freiheit gab dem Sklaven. 
 
Auch Geschenke gab er ihm, 
Einen Fuchspelz, eine lange 
Sarazenenmandoline 
Und das Zehrgeld für die Heimkehr. 
 
Dichterschicksal! böser Unstern, 
Der die Söhne des Apollo 
Tödlich nergelt, und sogar 
Ihren Vater nicht verschont hat, 
 
Als er, hinter Daphnen laufend, 
Statt des weißen Nymphenleibes 
Nur den Lorbeerbaum erfaßte, 
Er, der göttliche Schlemihl! 
 
Ja, der hohe Delphier ist 
Ein Schlemihl, und gar der Lorbeer, 
Der so stolz die Stirne krönet, 
Ist ein Zeichen des Schlemihltums. 
 
Was das Wort Schlemihl bedeutet, 
Wissen wir. Hat doch Chamisso 
Ihm das Bürgerrecht in Deutschland 
Längst verschafft, dem Worte nämlich. 
 
Aber unbekannt geblieben, 
Wie des heil'gen Niles Quellen, 
Ist sein Ursprung; hab darüber 
Nachgegrübelt manche Nacht. 
 
Zu Berlin vor vielen Jahren 
Wandt ich mich deshalb an unsern 
Freund Chamisso, suchte Auskunft 
Beim Dekane der Schlemihle. 
 
Doch er konnt mich nicht befried'gen 
Und verwies mich drob an Hitzig, 
Der ihm den Familiennamen 
Seines schattenlosen Peters 
 
Einst verraten. Alsbald nahm ich 
Eine Droschke, und ich rollte 
Zu dem Kriminalrat Hitzig, 
Welcher eh'mals Itzig hieß - 
 
Als er noch ein Itzig war, 
Träumte ihm, er säh geschrieben 
An dem Himmel seinen Namen 
Und davor den Buchstab' H. 
 
»Was bedeutet dieses H?« 
Frug er sich - »etwa Herr Itzig 
Oder Heil'ger Itzig? Heil'ger 
Ist ein schöner Titel - aber 
 
In Berlin nicht passend« - Endlich 
Grübelnsmüd', nannt er sich Hitzig, 
Und nur die Getreuen wußten: 
In dem Hitzig steckt ein Heil'ger. 
 
»Heil'ger Hitzig!« sprach ich also, 
Als ich zu ihm kam, »Sie sollen 
Mir die Etymologie 
Von dem Wort Schlemihl erklären.« 
 
Viel Umschweife nahm der Heil'ge, 
Konnte sich nicht recht erinnern, 
Eine Ausflucht nach der andern, 
Immer christlich - bis mir endlich, 
 
Endlich alle Knöpfe rissen 
An der Hose der Geduld, 
Und ich anfing so zu fluchen, 
So gottlästerlich zu fluchen, 
 
Daß der fromme Pietist, 
Leichenblaß und beineschlotternd, 
Unverzüglich mir willfahrte 
Und mir folgendes erzählte: 
 
»In der Bibel ist zu lesen, 
Als zur Zeit der Wüstenwandrung 
Israel sich oft erlustigt 
Mit den Töchtern Kanaans, 
 
Da geschah es, daß der Pinhas 
Sahe, wie der edle Simri 
Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild 
Aus dem Stamm der Kananiter, 
 
Und alsbald ergriff er zornig 
Seinen Speer und hat den Simri 
Auf der Stelle totgestochen - 
Also heißt es in der Bibel. 
 
Aber mündlich überliefert 
Hat im Volke sich die Sage, 
Daß es nicht der Simri war, 
Den des Pinhas Speer getroffen, 
 
Sondern daß der Blinderzürnte, 
Statt des Sünders, unversehens 
Einen ganz Unschuld'gen traf, 
Den Schlemihl ben Zuri Schadday.« - 
 
Dieser nun, Schlemihl I., 
Ist der Ahnherr des Geschlechtes 
Derer von Schlemihl. Wir stammen 
Von Schlemihl ben Zuri Schadday. 
 
Freilich keine Heldentaten 
Meldet man von ihm, wir kennen 
Nur den Namen und wir wissen, 
Daß er ein Schlemihl gewesen. 
 
Doch geschätzet wird ein Stammbaum 
Nicht ob seinen guten Früchten, 
Sondern nur ob seinem Alter - 
Drei Jahrtausend' zählt der unsre! 
 
Jahre kommen und vergehen - 
Drei Jahrtausende verflossen, 
Seit gestorben unser Ahnherr, 
Herr Schlemihl ben Zuri Schadday. 
 
Längst ist auch der Pinhas tot - 
Doch sein Speer hat sich erhalten, 
Und wir hören ihn beständig 
Über unsre Häupter schwirren. 
 
Und die besten Herzen trifft er - 
Wie Jehuda ben Halevy, 
Traf er Moses Iben Esra, 
Und er traf auch den Gabirol - 
 
Den Gabirol, diesen treuen 
Gottgeweihten Minnesänger, 
Diese fromme Nachtigall, 
Deren Rose Gott gewesen - 
 
Diese Nachtigall, die zärtlich 
Ihre Liebeslieder sang 
In der Dunkelheit der gotisch 
Mittelalterlichen Nacht! 
 
Unerschrocken, unbekümmert 
Ob den Fratzen und Gespenstern, 
Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn, 
Die gespukt in jener Nacht - 
 
Sie, die Nachtigall, sie dachte 
Nur an ihren göttlich Liebsten 
Dem sie ihre Liebe schluchzte, 
Den ihr Lobgesang verherrlicht! - 
 
Dreißig Lenze sah Gabirol 
Hier auf Erden, aber Fama 
Ausposaunte seines Namens 
Herrlichkeit durch alle Lande. 
 
Zu Corduba, wo er wohnte, 
War ein Mohr sein nächster Nachbar, 
Welcher gleichfalls Verse machte 
Und des Dichters Ruhm beneidet'. 
 
Hörte er den Dichter singen, 
Schwoll dem Mohren gleich die Galle, 
Und der Lieder Süße wurde 
Bittrer Wermut für den Neidhart. 
 
Er verlockte den Verhaßten 
Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn 
Dorten und vergrub den Leichnam 
Hinterm Hause in dem Garten. 
 
Aber siehe! aus dem Boden, 
Wo die Leiche eingescharrt war, 
Wuchs hervor ein Feigenbaum 
Von der wunderbarsten Schönheit. 
 
Seine Frucht war seltsam länglich 
Und von seltsam würz'ger Süße; 
Wer davon genoß, versank 
In ein träumerisch Entzücken. 
 
In dem Volke ging darüber 
Viel Gerede und Gemunkel, 
Das am End' zu den erlauchten 
Ohren des Kalifen kam. 
 
Dieser prüfte eigenzüngig 
Jenes Feigenphänomen, 
Und ernannte eine strenge 
Untersuchungskommission. 
 
Man verfuhr summarisch. Sechzig 
Bambushiebe auf die Sohlen 
Gab man gleich dem Herrn des Baumes, 
Welcher eingestand die Untat. 
 
Darauf riß man auch den Baum 
Mit den Wurzeln aus dem Boden, 
Und zum Vorschein kam die Leiche 
Des erschlagenen Gabirol. 
 
Diese ward mit Pomp bestattet 
Und betrauert von den Brüdern; 
An demselben Tage henkte 
Man den Mohren zu Corduba.