Jehuda Ben Halevy (Heine)
Heines Gedicht
Gedicht von Heinrich Heine aus seinem 1851 erschienenen Gedichtband Romanzero. Darin erzählt er die Geschichte des judäospanischen Dichters Jehuda ben Halevi (1075-1141), zumindest die Legende von seinem Tod.
Schon im ersten Gedicht des Zyklus Hebräische Melodien (Prinzessin Sabbath), erwähnt er den "großen, / Hochberühmten Minnesinger / Don Jehudas ben Halevy" – in diesem Fall irrtümlich, weil das dort zitierte Hochzeitslied von einem anderen judäospanischen Autor der Zeit stammt, Salomo Halevi Alkabez.
Heine hatte sich schon in den 1820er Jahren mit der jüdischen Tradition beschäftigt und nahm dies nach Ausbruch seiner Krankheit 1848 verstärkt wieder auf.
Im 4. Teil des Gedichts geht Heine auf die klassische arabisch-jüdische Dichtung der Zeit ein. Er klagt über die westliche Ignoranz und nennt Namen großer Dichter.
»Sonderbar!« - setzt sie hinzu - »Daß ich niemals nennen hörte Diesen großen Dichternamen, Den Jehuda ben Halevy.« Liebstes Kind, gab ich zur Antwort, Solche holde Ignoranz, Sie bekundet die Lakunen Der französischen Erziehung, Der Pariser Pensionate, Wo die Mädchen, diese künft'gen Mütter eines freien Volkes, Ihren Unterricht genießen - (...) Fragt man sie nach großen Namen Aus dem großen Goldzeitalter Der arabisch-althispanisch Jüdischen Poetenschule, Fragt man nach dem Dreigestirn, Nach Jehuda ben Halevy, Nach dem Salomon Gabirol Und dem Moses Iben Esra -
(...)
Raten möcht ich dir, Geliebte, Nachzuholen das Versäumte Und Hebräisch zu erlernen - Laß Theater und Konzerte, Widme ein'ge Jahre solchem Studium, du kannst alsdann Im Originale lesen Iben Esra und Gabirol Und versteht sich den Halevy, Das Triumvirat der Dichtkunst, Das dem Saitenspiel Davidis Einst entlockt die schönsten Laute. Alcharisi - der, ich wette, Dir nicht minder unbekannt ist, Ob er gleich, französ'scher Witzbold, Den Hariri überwitzelt Im Gebiete der Makame, Und ein Voltairianer war Schon sechshundert Jahr' vor Voltair' - Jener Alcharisi sagte: »Durch Gedanken glänzt Gabirol Und gefällt zumeist dem Denker, Iben Esra glänzt durch Kunst Und behagt weit mehr dem Künstler - Aber beider Eigenschaften Hat Jehuda ben Halevy, Und er ist ein großer Dichter Und ein Liebling aller Menschen.«
Folgt der komplette Text.
Heinrich Heine
Jehuda Ben Halevy
Lechzend klebe mir die Zunge
1 »Lechzend klebe mir die Zunge An dem Gaumen, und es welke Meine rechte Hand, vergäß ich Jemals dein, Jerusalem -« Wort und Weise, unaufhörlich Schwirren sie mir heut im Kopfe, Und mir ist, als hört ich Stimmen, Psalmodierend, Männerstimmen - Manchmal kommen auch zum Vorschein Bärte, schattig lange Bärte - Traumgestalten, wer von euch Ist Jehuda ben Halevy? Doch sie huschen rasch vorüber; Die Gespenster scheuen furchtsam Der Lebend'gen plumpen Zuspruch - Aber ihn hab ich erkannt - Ich erkannt ihn an der bleichen Und gedankenstolzen Stirne, An der Augen süßer Starrheit - Sahn mich an so schmerzlich forschend - Doch zumeist erkannt ich ihn An dem rätselhaften Lächeln Jener schön gereimten Lippen, Die man nur bei Dichtern findet. Jahre kommen und verfließen. Seit Jehuda ben Halevy Ward geboren, sind verflossen Siebenhundertfunfzig Jahre - Hat zuerst das Licht erblickt Zu Toledo in Kastilien, Und es hat der goldne Tajo Ihm sein Wiegenlied gelullet. Für Entwicklung seines Geistes Sorgte früh der strenge Vater, Der den Unterricht begann Mit dem Gottesbuch, der Thora. Diese las er mit dem Sohne In dem Urtext, dessen schöne, Hieroglyphisch pittoreske, Altchaldäische Quadratschrift Herstammt aus dem Kindesalter Unsrer Welt, und auch deswegen Jedem kindlichen Gemüte So vertraut entgegenlacht. Diesen echten alten Text Rezitierte auch der Knabe In der uralt hergebrachten Singsangweise, Tropp geheißen - Und er gurgelte gar lieblich Jene fetten Gutturalen, Und er schlug dabei den Triller, Den Schalscheleth, wie ein Vogel. Auch den Targum Onkelos, Der geschrieben ist in jenem Plattjudäischen Idiom, Das wir Aramäisch nennen Und zur Sprache der Propheten Sich verhalten mag etwa Wie das Schwäbische zum Deutschen - Dieses Gelbveiglein-Hebräisch Lernte gleichfalls früh der Knabe, Und es kam ihm solche Kenntnis Bald darauf sehr gut zustatten Bei dem Studium des Talmuds. Ja, frühzeitig hat der Vater ihn geleitet zu dem Talmud, Und da hat er ihm erschlossen Die Halacha, diese große Fechterschule, wo die besten Dialektischen Athleten Babylons und Pumpedithas Ihre Kämpferspiele trieben. Lernen konnte hier der Knabe Alle Künste der Polemik; Seine Meisterschaft bezeugte Späterhin das Buch Cosari. Doch der Himmel gießt herunter Zwei verschiedne Sorten Lichtes: Grelles Tageslicht der Sonne Und das mildre Mondlicht - Also, Also leuchtet auch der Talmud Zwiefach, und man teilt ihn ein In Halacha und Hagada. Erstre nannt ich eine Fechtschul' - Letztre aber, die Hagada, Will ich einen Garten nennen, Einen Garten, hochphantastisch Und vergleichbar jenem andern, Welcher ebenfalls dem Boden Babylons entsprossen weiland - Garten der Semiramis, Achtes Wunderwerk der Welt. Königin Semiramis, Die als Kind erzogen worden Von den Vögeln, und gar manche Vögeltümlichkeit bewahrte, Wollte nicht auf platter Erde Promenieren wie wir andern Säugetiere, und sie pflanzte Einen Garten in der Luft - Hoch auf kolossalen Säulen Prangten Palmen und Zypressen, Goldorangen, Blumenbeete, Marmorbilder, auch Springbrunnen, Alles klug und fest verbunden Durch unzähl'ge Hängebrücken, Die wie Schlingepflanzen aussahn Und worauf sich Vögel wiegten - Große, bunte, ernste Vögel, Tiefe Denker, die nicht singen, Während sie umflattert kleines Zeisigvolk, das lustig trillert - Alle atmen ein, beseligt, Einen reinen Balsamduft, Welcher unvermischt mit schnödem Erdendunst und Mißgeruche. Die Hagada ist ein Garten Solcher Luftkindgrillenart, Und der junge Talmudschüler, Wenn sein Herze war bestäubet Und betäubet vom Gezänke Der Halacha, vom Dispute Über das fatale Ei, Das ein Huhn gelegt am Festtag, Oder über eine Frage Gleicher Importanz - der Knabe Floh alsdann, sich zu erfrischen, In die blühende Hagada, Wo die schönen alten Sagen, Engelmärchen und Legenden, Stille Märtyrerhistorien, Festgesänge, Weisheitsprüche, Auch Hyperbeln, gar possierlich, Alles aber glaubenskräftig, Glaubensglühend - Oh, das glänzte, Quoll und sproß so überschwenglich - Und des Knaben edles Herze Ward ergriffen von der wilden, Abenteuerlichen Süße, Von der wundersamen Schmerzlust Und den fabelhaften Schauern Jener seligen Geheimwelt, Jener großen Offenbarung, Die wir nennen Poesie. Auch die Kunst der Poesie, Heitres Wissen, holdes Können, Welches wir die Dichtkunst heißen, Tat sich auf dem Sinn des Knaben. Und Jehuda ben Halevy Ward nicht bloß ein Schriftgelehrter, Sondern auch der Dichtkunst Meister, Sondern auch ein großer Dichter. Ja, er ward ein großer Dichter, Stern und Fackel seiner Zeit, Seines Volkes Licht und Leuchte, Eine wunderbare, große Feuersäule des Gesanges, Die der Schmerzenskarawane Israels vorangezogen In der Wüste des Exils. Rein und wahrhaft, sonder Makel War sein Lied, wie seine Seele - Als der Schöpfer sie erschaffen, Diese Seele, selbstzufrieden Küßte er die schöne Seele, Und des Kusses holder Nachklang Bebt in jedem Lied des Dichters, Das geweiht durch diese Gnade. Wie im Leben, so im Dichten Ist das höchste Gut die Gnade - Wer sie hat, der kann nicht sünd'gen, Nicht in Versen, noch in Prosa. Solchen Dichter von der Gnade Gottes nennen wir Genie: Unverantwortlicher König Des Gedankenreiches ist er. Nur dem Gotte steht er Rede, Nicht dem Volke - In der Kunst, Wie im Leben, kann das Volk Töten uns, doch niemals richten. -
Bei den Wassern Babels saßen
2 »Bei den Wassern Babels saßen Wir und weinten, unsre Harfen Lehnten an den Trauerweiden« - Kennst du noch das alte Lied? Kennst du noch die alte Weise, Die im Anfang so elegisch Greint und sumset, wie ein Kessel, Welcher auf dem Herde kocht? Lange schon, jahrtausendlange Kocht's in mir. Ein dunkles Wehe! Und die Zeit leckt meine Wunde, Wie der Hund die Schwären Hiobs. Dank dir, Hund, für deinen Speichel - Doch das kann nur kühlend lindern - Heilen kann mich nur der Tod, Aber, ach, ich bin unsterblich! Jahre kommen und vergehen - In dem Webstuhl läuft geschäftig Schnurrend hin und her die Spule - Was er webt, das weiß kein Weber. Jahre kommen und vergehen, Menschentränen träufeln, rinnen Auf die Erde, und die Erde Saugt sie ein mit stiller Gier - Tolle Sud! Der Deckel springt - Heil dem Manne, dessen Hand Deine junge Brut ergreifet Und zerschmettert an der Felswand. Gott sei Dank! die Sud verdampfet In dem Kessel, der allmählich Ganz verstummt. Es weicht mein Spleen, Mein westöstlich dunkler Spleen - Auch mein Flügelrößlein wiehert Wieder heiter, scheint den bösen Nachtalp von sich abzuschütteln, Und die klugen Augen fragen: »Reiten wir zurück nach Spanien Zu dem kleinen Talmudisten, Der ein großer Dichter worden, Zu Jehuda ben Halevy?« Ja, er ward ein großer Dichter, Absoluter Traumweltsherrscher Mit der Geisterkönigskrone, Ein Poet von Gottes Gnade, Der in heiligen Sirventen, Madrigalen und Terzinen, Kanzonetten und Ghaselen Ausgegossen alle Flammen Seiner gottgeküßten Seele! Wahrlich ebenbürtig war Dieser Troubadour den besten Lautenschlägern der Provence, Poitous und der Guienne, Roussillons und aller andern Süßen Pomeranzenlande Der galanten Christenheit. Der galanten Christenheit Süße Pomeranzenlande! Wie sie duften, glänzen, klingen In dem Zwielicht der Erinnrung! Schöne Nachtigallenwelt! Wo man statt des wahren Gottes Nur den falschen Gott der Liebe Und der Musen angebeten. Clerici mit Rosenkränzen Auf der Glatze sangen Psalmen In der heitern Sprache d'oc; Und die Laien, edle Ritter, Stolz auf hohen Rossen trabend, Spintisierten Vers und Reime Zur Verherrlichung der Dame, Der ihr Herze fröhlich diente. Ohne Dame keine Minne, Und es war dem Minnesänger Unentbehrlich eine Dame, Wie dem Butterbrot die Butter. Auch der Held, den wir besingen, Auch Jehuda ben Halevy Hatte seine Herzensdame; Doch sie war besondrer Art. Sie war keine Laura, deren Augen, sterbliche Gestirne, In dem Dome am Karfreitag Den berühmten Brand gestiftet - Sie war keine Chatelaine, Die im Blütenschmuck der Jugend Bei Turnieren präsidierte Und den Lorbeerkranz erteilte - Keine Kußrechtskasuistin War sie, keine Doktrinärrin, Die im Spruchkollegium Eines Minnehofs dozierte - Jene, die der Rabbi liebte, War ein traurig armes Liebchen, Der Zerstörung Jammerbildnis, Und sie hieß Jerusalem. Schon in frühen Kindestagen War sie seine ganze Liebe; Sein Gemüte machte beben Schon das Wort Jerusalem. Purpurflamme auf der Wange, Stand der Knabe, und er horchte, Wenn ein Pilger nach Toledo Kam aus fernem Morgenlande Und erzählte: wie verödet Und verunreint jetzt die Stätte, Wo am Boden noch die Lichtspur Von dem Fuße der Propheten - Wo die Luft noch balsamieret Von dem ew'gen Odem Gottes - »O des Jammeranblicks!« rief Einst ein Pilger, dessen Bart Silberweiß hinabfloß, während Sich das Barthaar an der Spitze Wieder schwärzte und es aussah, Als ob sich der Bart verjünge - Ein gar wunderlicher Pilger Mocht es sein, die Augen lugten Wie aus tausendjähr'gem Trübsinn, Und er seufzt': »Jerusalem! Sie, die volkreich heil'ge Stadt Ist zur Wüstenei geworden, Wo Waldteufel, Werwolf, Schakal Ihr verruchtes Wesen treiben - Schlangen, Nachtgevögel nisten Im verwitterten Gemäuer; Aus des Fensters luft'gem Bogen Schaut der Fuchs mit Wohlbehagen. Hier und da taucht auf zuweilen Ein zerlumpter Knecht der Wüste, Der sein höckriges Kamel In dem hohen Grase weidet. Auf der edlen Höhe Zions, Wo die goldne Feste ragte, Deren Herrlichkeiten zeugten Von der Pracht des großen Königs: Dort, von Unkraut überwuchert, Liegen nur noch graue Trümmer, Die uns ansehn schmerzhaft traurig, Daß man glauben muß, sie weinten. Und es heißt, sie weinten wirklich Einmal in dem Jahr, an jenem Neunten Tag des Monats Ab - Und mit tränend eignen Augen Schaute ich die dicken Tropfen Aus den großen Steinen sickern, Und ich hörte weheklagen Die gebrochnen Tempelsäulen.« -- Solche fromme Pilgersagen Weckten in der jungen Brust Des Jehuda ben Halevy Sehnsucht nach Jerusalem. Dichtersehnsucht! ahnend, träumend Und fatal war sie, wie jene, Die auf seinem Schloß zu Blaye Einst empfand der edle Vidam, Messer Geoffroy Rudello, Als die Ritter, die zurück Aus dem Morgenlande kehrten, Laut beim Becherklang beteuert: Ausbund aller Huld und Züchten, Perl' und Blume aller Frauen, Sei die schöne Melisande, Markgräfin von Tripolis. Jeder weiß, für diese Dame Schwärmte jetzt der Troubadour; Er besang sie, und es wurde Ihm zu eng im Schlosse Blaye. Und es trieb ihn fort. Zu Cette Schiffte er sich ein, erkrankte Aber auf dem Meer, und sterbend Kam er an zu Tripolis. Hier erblickt' er Melisanden Endlich auch mit Leibesaugen, Die jedoch des Todes Schatten In derselben Stunde deckten. Seinen letzten Liebessang Singend, starb er zu den Füßen Seiner Dame Melisande, Markgräfin von Tripolis. Wunderbare Ähnlichkeit In dem Schicksal beider Dichter! Nur daß jener erst im Alter Seine große Wallfahrt antrat. Auch Jehuda ben Halevy Starb zu Füßen seiner Liebsten, Und sein sterbend Haupt, es ruhte Auf den Knien Jerusalems.
Nach der Schlacht bei Arabella
3 Nach der Schlacht bei Arabella Hat der große Alexander Land und Leute des Darius, Hof und Harem, Pferde, Weiber, Elefanten und Dariken, Kron' und Zepter, goldnen Plunder, Eingesteckt in seine weiten Mazedon'schen Pluderhosen. In dem Zelt des großen Königs, Der entflohn, um nicht höchstselbst Gleichfalls eingesteckt zu werden, Fand der junge Held ein Kästchen, Eine kleine güldne Truhe, Mit Miniaturbildwerken Und mit inkrustierten Steinen Und Kameen reich geschmückt - Dieses Kästchen, selbst ein Kleinod Unschätzbaren Wertes, diente Zur Bewahrung von Kleinodien, Des Monarchen Leibjuwelen. Letztre schenkte Alexander An die Tapfern seines Heeres, Darob lächelnd, daß sich Männer Kindisch freun an bunten Steinchen. Eine kostbar schönste Gemme Schickte er der lieben Mutter; War der Siegelring des Cyrus, Wurde jetzt zu einer Brosche. Seinem alten Weltarschpauker Aristoteles, dem sandt er Einen Onyx für sein großes Naturalienkabinett. In dem Kästchen waren Perlen, Eine wunderbare Schnur, Die der Königin Atossa Einst geschenkt der falsche Smerdis - Doch die Perlen waren echt - Und der heitre Sieger gab sie Einer schönen Tänzerin Aus Korinth, mit Namen Thais. Diese trug sie in den Haaren, Die bacchantisch aufgelöst, In der Brandnacht, als sie tanzte Zu Persepolis und frech In die Königsburg geschleudert Ihre Fackel, daß laut prasselnd Bald die Flammenlohe aufschlug, Wie ein Feuerwerk zum Feste. Nach dem Tod der schönen Thais, Die an einer babylon'schen Krankheit starb zu Babylon, Wurden ihre Perlen dort Auf dem Börsensaal vergantert. Sie erstand ein Pfaff' aus Memphis, Der sie nach Ägypten brachte, Wo sie später auf dem Putztisch Der Kleopatra erschienen, Die die schönste Perl' zerstampft Und mit Wein vermischt verschluckte, Um Antonius zu foppen. Mit dem letzten Omayaden Kam die Perlenschnur nach Spanien, Und sie schlängelte am Turban Des Kalifen zu Corduba. Abderam der Dritte trug sie Als Brustschleife beim Turnier, Wo er dreißig goldne Ringe Und das Herz Zuleimas stach. Nach dem Fall der Mohrenherrschaft Gingen zu den Christen über Auch die Perlen, und gerieten In den Kronschatz von Kastilien. Die kathol'schen Majestäten Span'scher Königinnen schmückten Sich damit bei Hoffestspielen, Stiergefechten, Prozessionen, So wie auch Autodafés, Wo sie, auf Balkonen sitzend, Sich erquickten am Geruche Von gebratnen alten Juden. Späterhin gab Mendizabel, Satansenkel, diese Perlen In Versatz, um der Finanzen Defizit damit zu decken. An dem Hof der Tuilerien Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein, Und sie schimmerte am Halse Der Baronin Salomon. So erging's den schönen Perlen. Minder abenteuerlich Ging's dem Kästchen, dies behielt Alexander für sich selber. Er verschloß darin die Lieder Des ambrosischen Homeros, Seines Lieblings, und zu Häupten Seines Bettes in der Nacht Stand das Kästchen - Schlief der König, Stiegen draus hervor der Helden Lichte Bilder, und sie schlichen Gaukelnd sich in seine Träume. Andre Zeiten, andre Vögel - Ich, ich liebte weiland gleichfalls Die Gesänge von den Taten Des Peliden, des Odysseus. Damals war so sonnengoldig Und so purpurn mir zumute, Meine Stirn umkränzte Weinlaub, Und es tönten die Fanfaren - Still davon - gebrochen liegt Jetzt mein stolzer Siegeswagen, Und die Panther, die ihn zogen, Sind verreckt, so wie die Weiber, Die mit Pauk' und Zimbelklängen Mich umtanzten, und ich selbst Wälze mich am Boden elend, Krüppelelend - still davon - Still davon - es ist die Rede Von dem Kästchen des Darius, Und ich dacht in meinem Sinne: Käm ich in Besitz des Kästchens, Und mich zwänge nicht Finanznot, Gleich dasselbe zu versilbern, So verschlösse ich darin Die Gedichte unsres Rabbi - Des Jehuda ben Halevy Festgesänge, Klagelieder, Die Ghaselen, Reisebilder Seiner Wallfahrt - alles ließ' ich Von dem besten Zophar schreiben Auf der reinsten Pergamenthaut, Und ich legte diese Handschrift In das kleine goldne Kästchen. Dieses stellt' ich auf den Tisch Neben meinem Bett, und kämen Dann die Freunde und erstaunten Ob der Pracht der kleinen Truhe, Ob den seltnen Basreliefen, Die so winzig, doch vollendet Sind zugleich, und ob den großen Inkrustierten Edelsteinen - Lächelnd würd ich ihnen sagen: Das ist nur die rohe Schale, Die den bessern Schatz verschließet - Hier in diesem Kästchen liegen Diamanten, deren Lichter Abglanz, Widerschein des Himmels, Herzblutglühende Rubinen, Fleckenlose Turkoasen, Auch Smaragde der Verheißung, Perlen, reiner noch als jene, Die der Königin Atossa Einst geschenkt der falschen Smerdis, Und die späterhin geschmücket Alle Notabilitäten Dieser mondumkreisten Erde, Thais und Kleopatra, Isispriester, Mohrenfürsten, Auch Hispaniens Königinnen. Und zuletzt die hochverehrte Frau Baronin Salomon - Diese weltberühmten Perlen, Sie sind nur der bleiche Schleim Eines armen Austertiers, Das im Meergrund blöde kränkelt: Doch die Perlen hier im Kästchen Sind entquollen einer schönen Menschenseele, die noch tiefer, Abgrundtiefer als das Weltmeer - Denn es sind die Tränenperlen Des Jehuda ben Halevy, Die er ob dem Untergang Von Jerusalem geweinet - Perlentränen, die, verbunden Durch des Reimes goldnen Faden, Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede Als ein Lied hervorgegangen. Dieses Perlentränenlied Ist die vielberühmte Klage, Die gesungen wird in allen Weltzerstreuten Zelten Jakobs An dem neunten Tag des Monats, Der geheißen Ab, dem Jahrstag Von Jerusalems Zerstörung Durch den Titus Vespasianus. Ja, das ist das Zionslied, Das Jehuda ben Halevy Sterbend auf den heil'gen Trümmern Von Jerusalem gesungen - Barfuß und im Büßerkittel Saß er dorten auf dem Bruchstück Einer umgestürzten Säule; - Bis zur Brust herunter fiel Wie ein greiser Wald sein Haupthaar, Abenteuerlich beschattend Das bekümmert bleiche Antlitz Mit den geisterhaften Augen - Also saß er und er sang, Wie ein Seher aus der Vorzeit Anzuschaun - dem Grab entstiegen Schien Jeremias, der Alte - Das Gevögel der Ruinen Zähmte schier der wilde Schmerzlaut Des Gesanges, und die Geier Nahten horchend, fast mitleidig - Doch ein frecher Sarazene Kam desselben Wegs geritten, Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend Und die blanke Lanze schwingend - In die Brust des armen Sängers Stieß er diesen Todesspeer, Und er jagte rasch von dannen, Wie ein Schattenbild beflügelt. Ruhig floß das Blut des Rabbi, Ruhig seinen Sang zu Ende Sang er, und sein sterbeletzter Seufzer war Jerusalem! -- Eine alte Sage meldet, Jener Sarazene sei Gar kein böser Mensch gewesen, Sondern ein verkappter Engel, Der vom Himmel ward gesendet, Gottes Liebling zu entrücken Dieser Erde und zu fördern Ohne Qual ins Reich der Sel'gen. Droben, heißt es, harrte seiner Ein Empfang, der schmeichelhaft Ganz besonders für den Dichter, Eine himmlische Surprise. Festlich kam das Chor der Engel Ihm entgegen mit Musik, Und als Hymne grüßten ihn Seine eignen Verse, jenes Synagogenhochzeitkarmen, Jene Sabbathymenäen, Mit den jauchzend wohlbekannten Melodien - welche Töne! Englein bliesen auf Hoboen, Englein spielten Violine, Andre strichen auch die Bratsche Oder schlugen Pauk' und Zimbel. Und das sang und klang so lieblich, Und so lieblich in den weiten Himmelsräumen widerhallt es: »Lecho Daudi Likras Kalle.«
Meine Frau ist nicht zufrieden
4 Meine Frau ist nicht zufrieden Mit dem vorigen Kapitel, Ganz besonders in bezug Auf das Kästchen des Darius. Fast mit Bitterkeit bemerkt sie: Daß ein Ehemann, der wahrhaft Religiöse sei, das Kästchen Gleich zu Gelde machen würde, Um damit für seine arme Legitime Ehegattin Einen Kaschemir zu kaufen, Dessen sie so sehr bedürfe. Der Jehuda ben Halevy, Meinte sie, der sei hinlänglich Ehrenvoll bewahrt in einem Schönen Futteral von Pappe Mit chinesisch eleganten Arabesken, wie die hübschen Bonbonnieren von Marquis Im Passage-Panorama. »Sonderbar!« - setzt sie hinzu - »Daß ich niemals nennen hörte Diesen großen Dichternamen, Den Jehuda ben Halevy.« Liebstes Kind, gab ich zur Antwort, Solche holde Ignoranz, Sie bekundet die Lakunen Der französischen Erziehung, Der Pariser Pensionate, Wo die Mädchen, diese künft'gen Mütter eines freien Volkes, Ihren Unterricht genießen - Alte Mumien, ausgestopfte Pharaonen von Ägypten, Merowinger Schattenkön'ge, Ungepuderte Perücken, Auch die Zopfmonarchen Chinas, Porzellanpagodenkaiser - Alle lernen sie auswendig, Kluge Mädchen, aber Himmel - Fragt man sie nach großen Namen Aus dem großen Goldzeitalter Der arabisch-althispanisch Jüdischen Poetenschule, Fragt man nach dem Dreigestirn, Nach Jehuda ben Halevy, Nach dem Salomon Gabirol Und dem Moses Iben Esra - Fragt man nach dergleichen Namen, Dann mit großen Augen schaun Uns die Kleinen an - alsdann Stehn am Berge die Ochsinnen. Raten möcht ich dir, Geliebte, Nachzuholen das Versäumte Und Hebräisch zu erlernen - Laß Theater und Konzerte, Widme ein'ge Jahre solchem Studium, du kannst alsdann Im Originale lesen Iben Esra und Gabirol Und versteht sich den Halevy, Das Triumvirat der Dichtkunst, Das dem Saitenspiel Davidis Einst entlockt die schönsten Laute. Alcharisi - der, ich wette, Dir nicht minder unbekannt ist, Ob er gleich, französ'scher Witzbold, Den Hariri überwitzelt Im Gebiete der Makame, Und ein Voltairianer war Schon sechshundert Jahr' vor Voltair' - Jener Alcharisi sagte: »Durch Gedanken glänzt Gabirol Und gefällt zumeist dem Denker, Iben Esra glänzt durch Kunst Und behagt weit mehr dem Künstler - Aber beider Eigenschaften Hat Jehuda ben Halevy, Und er ist ein großer Dichter Und ein Liebling aller Menschen.« Iben Esra war ein Freund Und, ich glaube, auch ein Vetter Des Jehuda ben Halevy, Der in seinem Wanderbuche Schmerzlich klagt, wie er vergebens In Granada aufgesucht hat Seinen Freund, und nur den Bruder Dorten fand, den Medikus, Rabbi Meyer, auch ein Dichter Und der Vater jener Schönen, Die mit hoffnungsloser Flamme Iben Esras Herz entzunden - Um das Mühmchen zu vergessen, Griff er nach dem Wanderstabe, Wie so mancher der Kollegen; Lebte unstet, heimatlos. Pilgernd nach Jerusalem, Überfielen ihn Tartaren, Die an einen Gaul gebunden Ihn nach ihren Steppen schleppten. Mußte Dienste dort verrichten, Die nicht würdig eines Rabbi Und noch wen'ger eines Dichters, Mußte nämlich Kühe melken. Einstens, als er unterm Bauche Einer Kuh gekauert saß, Ihre Euter hastig fingernd, Daß die Milch floß in den Zuber - Eine Position, unwürdig Eines Rabbis, eines Dichters - Da befiel ihn tiefe Wehmut, Und er fing zu singen an, Und er sang so schön und lieblich, Daß der Khan, der Fürst der Horde, Der vorbeiging, ward gerühret Und die Freiheit gab dem Sklaven. Auch Geschenke gab er ihm, Einen Fuchspelz, eine lange Sarazenenmandoline Und das Zehrgeld für die Heimkehr. Dichterschicksal! böser Unstern, Der die Söhne des Apollo Tödlich nergelt, und sogar Ihren Vater nicht verschont hat, Als er, hinter Daphnen laufend, Statt des weißen Nymphenleibes Nur den Lorbeerbaum erfaßte, Er, der göttliche Schlemihl! Ja, der hohe Delphier ist Ein Schlemihl, und gar der Lorbeer, Der so stolz die Stirne krönet, Ist ein Zeichen des Schlemihltums. Was das Wort Schlemihl bedeutet, Wissen wir. Hat doch Chamisso Ihm das Bürgerrecht in Deutschland Längst verschafft, dem Worte nämlich. Aber unbekannt geblieben, Wie des heil'gen Niles Quellen, Ist sein Ursprung; hab darüber Nachgegrübelt manche Nacht. Zu Berlin vor vielen Jahren Wandt ich mich deshalb an unsern Freund Chamisso, suchte Auskunft Beim Dekane der Schlemihle. Doch er konnt mich nicht befried'gen Und verwies mich drob an Hitzig, Der ihm den Familiennamen Seines schattenlosen Peters Einst verraten. Alsbald nahm ich Eine Droschke, und ich rollte Zu dem Kriminalrat Hitzig, Welcher eh'mals Itzig hieß - Als er noch ein Itzig war, Träumte ihm, er säh geschrieben An dem Himmel seinen Namen Und davor den Buchstab' H. »Was bedeutet dieses H?« Frug er sich - »etwa Herr Itzig Oder Heil'ger Itzig? Heil'ger Ist ein schöner Titel - aber In Berlin nicht passend« - Endlich Grübelnsmüd', nannt er sich Hitzig, Und nur die Getreuen wußten: In dem Hitzig steckt ein Heil'ger. »Heil'ger Hitzig!« sprach ich also, Als ich zu ihm kam, »Sie sollen Mir die Etymologie Von dem Wort Schlemihl erklären.« Viel Umschweife nahm der Heil'ge, Konnte sich nicht recht erinnern, Eine Ausflucht nach der andern, Immer christlich - bis mir endlich, Endlich alle Knöpfe rissen An der Hose der Geduld, Und ich anfing so zu fluchen, So gottlästerlich zu fluchen, Daß der fromme Pietist, Leichenblaß und beineschlotternd, Unverzüglich mir willfahrte Und mir folgendes erzählte: »In der Bibel ist zu lesen, Als zur Zeit der Wüstenwandrung Israel sich oft erlustigt Mit den Töchtern Kanaans, Da geschah es, daß der Pinhas Sahe, wie der edle Simri Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild Aus dem Stamm der Kananiter, Und alsbald ergriff er zornig Seinen Speer und hat den Simri Auf der Stelle totgestochen - Also heißt es in der Bibel. Aber mündlich überliefert Hat im Volke sich die Sage, Daß es nicht der Simri war, Den des Pinhas Speer getroffen, Sondern daß der Blinderzürnte, Statt des Sünders, unversehens Einen ganz Unschuld'gen traf, Den Schlemihl ben Zuri Schadday.« - Dieser nun, Schlemihl I., Ist der Ahnherr des Geschlechtes Derer von Schlemihl. Wir stammen Von Schlemihl ben Zuri Schadday. Freilich keine Heldentaten Meldet man von ihm, wir kennen Nur den Namen und wir wissen, Daß er ein Schlemihl gewesen. Doch geschätzet wird ein Stammbaum Nicht ob seinen guten Früchten, Sondern nur ob seinem Alter - Drei Jahrtausend' zählt der unsre! Jahre kommen und vergehen - Drei Jahrtausende verflossen, Seit gestorben unser Ahnherr, Herr Schlemihl ben Zuri Schadday. Längst ist auch der Pinhas tot - Doch sein Speer hat sich erhalten, Und wir hören ihn beständig Über unsre Häupter schwirren. Und die besten Herzen trifft er - Wie Jehuda ben Halevy, Traf er Moses Iben Esra, Und er traf auch den Gabirol - Den Gabirol, diesen treuen Gottgeweihten Minnesänger, Diese fromme Nachtigall, Deren Rose Gott gewesen - Diese Nachtigall, die zärtlich Ihre Liebeslieder sang In der Dunkelheit der gotisch Mittelalterlichen Nacht! Unerschrocken, unbekümmert Ob den Fratzen und Gespenstern, Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn, Die gespukt in jener Nacht - Sie, die Nachtigall, sie dachte Nur an ihren göttlich Liebsten Dem sie ihre Liebe schluchzte, Den ihr Lobgesang verherrlicht! - Dreißig Lenze sah Gabirol Hier auf Erden, aber Fama Ausposaunte seines Namens Herrlichkeit durch alle Lande. Zu Corduba, wo er wohnte, War ein Mohr sein nächster Nachbar, Welcher gleichfalls Verse machte Und des Dichters Ruhm beneidet'. Hörte er den Dichter singen, Schwoll dem Mohren gleich die Galle, Und der Lieder Süße wurde Bittrer Wermut für den Neidhart. Er verlockte den Verhaßten Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn Dorten und vergrub den Leichnam Hinterm Hause in dem Garten. Aber siehe! aus dem Boden, Wo die Leiche eingescharrt war, Wuchs hervor ein Feigenbaum Von der wunderbarsten Schönheit. Seine Frucht war seltsam länglich Und von seltsam würz'ger Süße; Wer davon genoß, versank In ein träumerisch Entzücken. In dem Volke ging darüber Viel Gerede und Gemunkel, Das am End' zu den erlauchten Ohren des Kalifen kam. Dieser prüfte eigenzüngig Jenes Feigenphänomen, Und ernannte eine strenge Untersuchungskommission. Man verfuhr summarisch. Sechzig Bambushiebe auf die Sohlen Gab man gleich dem Herrn des Baumes, Welcher eingestand die Untat. Darauf riß man auch den Baum Mit den Wurzeln aus dem Boden, Und zum Vorschein kam die Leiche Des erschlagenen Gabirol. Diese ward mit Pomp bestattet Und betrauert von den Brüdern; An demselben Tage henkte Man den Mohren zu Corduba.