Heroisch getichte (Opitz)
Heroisch getichte (Opitz)
[Kategorie:Gattungstheorie]]
Im V. Kapitel seines Buches von der Deutschen Poeterey (1624) behandelt Martin Opitz die Einteilung der Dichtkunst in Gattungen, die er Genera carminis und arten der getichte nennt. Mehr: Gattungen_(Opitz)
Eine der von ihm aufgezählten Gattungen ist das "Heroisch getichte". Gemeint ist das (heroische) Epos im Sinne der antiken Dichtung (Homer, Vergil). Opitz schreibt:
Ein Heroisch getichte (das gemeiniglich weitleufftig ist / vnd von hohem wesen redet) soll man stracks von seinem innhalte vnd der Proposition anheben; wie Virgilius in den büchern vom Ackerbawe thut:
Quid faciat lætas segetes, quo sidere terram Vertere, Mæcenas, vlmisque adiungere vites Conueniat; quæ cura boum, qui cultus habendo Sit pecori, atque apibus quanta experientia parcis, Hinc canere incipiam.
Vnd ich (wiewol ich mich schäme / das ich in mangel anderer deutschen exempel mich meiner eigenen gebrauchen soll / weil mir meine wenigkeit vnd vnvermögen wol bewust ist) in dem ersten buche der noch vnaußgemachten [1] Trostgetichte in Widerwertigkeit des Krieges:
Des schweren Krieges last den Deutschland jetzt empfindet / Vnd das Gott nicht vmbsonst so hefftig angezündet Den eifer seiner macht / auch wo in solcher pein Trost her zue holen ist / soll mein getichte sein
Nachmals haben die heiden jhre Götter angeruffen / das sie jhnen zue vollbringung des werckes beystehen wollen: denen wir Christen nicht allein folgen / sonden auch an frömigkeit billich sollen vberlegen sein. Virgilius spricht weiter an gedachtem orte:
Vos, o clarissima mundi Lumina, labentem coelo quæ ducitis annum, Liber, & alma Ceres, &c.
Vnd ich:
Diß hab ich mir anjetzt zue schreiben fürgenommen. Ich bitte wollest mir geneigt zue hülffe kommen Du höchster trost der welt / du zueversicht in not / Du Geist von GOtt gesandt / ia selber wahrer GOtt. Gieb meiner Zungen doch mit deiner glut zue brennen / Regiere meine faust / vnd laß mich glücklich rennen Durch diese wüste bahn / durch dieses newe feldt / Darauff noch keiner hat für mir den fuß gestelt.
Wiewol etliche auch stracks zue erste die anruffung setzen. Als Lucretius:
Aeneadum genetrix, hominum diuumque voluptas, Alma Venus, &c.
Vnd Wilhelm von Sallust in seiner andern woche:
Grand Dieu, qui de ce Tout m'as fait voir la naissance, Descouure son berceau, monstre-moy son enfance. Pourmeine mon esprit par les fleuris destours Des vergers doux-flairans, où serpentoit le cours
De quatre viues eaux: conte-moy quelle offence Bannit des deux Edens Adam, & sa semence.
Gott / der du mich der welt geburt hast sehen lassen / Laß mich nun jhre wieg' vnd kindheit jetzt auch fassen / Vnd meinen Geist vnd sinn sich in dem kreiß' ergehn Der gärte vol geruchs / hier wo vier flüsse schön'
Hinrauschen mitten durch: erzehl vmb was für sachen Sich Adam vnd sein sam' auß Eden muste machen.
Doch ist / wie hier zue sehen / in der anruffung allzeit die proposition zuegleich begrieffen. Auff dieses folget gemeiniglich die dedication / wie Virgilius seine Georgica dem Keiser Augustus zuegeschrieben. Item die vrsache / warumb man eben dieses werck vor sich genommen: wie im dritten buche vom Ackerbawe zue sehen:
Cetera, quæ vacuas tenuissent carmina mentes, Omnia, jam vulgata;
vnd wie folget. Dem ich in den Trostgetichten auch habe nachkommen wollen:
Das ander ist bekandt. wer hat doch nicht geschrieben Von Venus eitelkeit / vnd von dem schnöden lieben / Der blinden jugendt lust? wer hat noch nie gehört Wie der Poeten volck die grossen Herren ehrt /
Erhebt sie an die lufft / vnd weiß herauß zue streichen Was besser schweigens werth / lest seine Feder reichen Wo Menschen tapfferkeit noch niemals hin gelangt / Macht also das die welt mit blossen lügen prangt?
Wer hat zue vor auch nicht von riesen hören sagen / Die Waldt vnd Berg zuegleich auff einen orth getragen / Zue stürtzen Jupitern mit aller seiner macht / Vnnd was des wesens mehr? nun ich bin auch bedacht
Zue sehen ob ich mich kan auß dem staube schwingen / Vnd von der dicken schar des armen volckes dringen So an der erden klebt. ich bin begierde voll Zue schreiben wie man sich im creutz' auch frewen soll /
Sein Meister seiner selbst. ich wil die neun Göttinnen / Die nie auff vnser deutsch noch haben reden können / Sampt jhrem Helicon mit dieser meiner handt Versetzen allhieher in vnser Vaterlandt.
Vieleichte werden noch die bahn so ich gebrochen / Geschicktere dann ich nach mir zue bessern suchen / Wann dieser harte krieg wird werden hingelegt / Vnd die gewündschte rhue zue Land vnd Meer gehegt.
Das getichte vnd die erzehlung selber belangend / nimpt sie es nicht so genawe wie die Historien / die sich an die zeit vnd alle vmbstende nothwendig binden mußen / vnnd wiederholet auch nicht / wie Horatius erwehnet / den Troianischen krieg von der Helenen vnd jhrer brüder geburt an: lest viel außen was sich nicht hin schicken wil / vnd setzet viel das zwar hingehöret / aber newe vnd vnverhoffet ist / vntermenget allerley fabeln / historien / Kriegeskünste / schlachten / rathschläge / sturm / wetter / vnd was sonsten zue erweckung der verwunderung in den gemütern von nöthen ist; alles mit solcher ordnung / als wann sich eines auff das andere selber allso gebe / vnnd vngesucht in das buch keme. Gleichwol aber soll man sich in dieser freyheit zue tichten vorsehen / das man nicht der zeiten vergeße / vnd in jhrer warheit irre. Wiewol es Virgilius / da er vorgegeben / Eneas vnd Dido hetten zue einer zeit gelebet / da doch Dido hundert jahr zuevor gewesen / dem Keyser vnd Römischen volcke / durch welches die stadt Carthago bezwungen worden / zue liebe gethan / damitt er gleichsam von den bösen flüchen der Dido einen anfang der feindschafft zwischen diesen zweyen mächtigen völckern machte. Ob aber bey vns Deutschen so bald jemand kommen möchte / der sich eines volkommenen Heroischen werckes vnterstehen werden / stehe ich sehr im zweifel / vnnd bin nur der gedancken / es sey leichtlicher zue wündschen als zue hoffen.
Anmerkungen
[1] unveröffentlichten
Ausgaben:
- Martini Opitii Buch von der Deutschen Poeterey. David Müller: Breslau 1624 (Erstausgabe) - Herbert Jaumann (Hrsg.): Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe: Mit dem 'Aristarch' ( 1617) und den Opitzschen Vorreden zu seinen 'Teutschen Poetemata' (1624 ... zu seiner Übersetzung der 'Trojanerinnen' [Studienausgabe. Stuttgart: Reclam 2002
[1] Text bei gutenberg.de
[2] Pdf der Ausgabe von 1641: Prosodia Germanica, Oder Buch von der Deutschen Poeterey : Jn welchen alle jhre Eigenschafft und Zugehör gründlich erzählet/ vnd mit Exempeln ausgeführet wird / Martin Opitz. - Nunmehr zum Fünfften mahl auffgeleget. [Electronic ed.]. - Wittenberg : Berger, 1641