Epos

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Epos

Hegels Ästhetik

In der Dichtkunst sieht Hegel im antiken Epos die Darstellung des Absoluten vollkommen ausgeformt, denn im antiken Epos wird prinzipiell die gesamte gesellschaftliche Realität dargestellt. Der Held des Epos kann wie eine griechische Statue immer Ausdruck der absoluten Individualität und des allgemeinen Ideals sein.

Diese Verwandtschaft des Epos zur vollkommenen Darstellung des Absoluten der Skulptur ist möglich, obwohl das Epos exemplarisch auswählt. Das Ideal konkretisiert sich im Geschehen einer Handlung. Diese Handlung ist in aller Regel ein Konflikt mit nationalgeschichtlicher Dimension, z.B. ein Befreiungskrieg. Die Beschreibung dieses Krieges beinhaltet die Gründung eines Staatswesens und wird damit zum Gründungsmythos. Das Epos ist so die Bibel des Volkes. Solche Epen entstehen an einem historischen Ort mittlerer Zeit, in der sich ein Volksgeist schon ausgebildet, aber noch nicht staatlich und gesellschaftlich in Institutionen manifestiert hat.

Für das moderne Europa wird diese 'Mittelzeit' für das 12. bis 16. Jahrhundert festgeschrieben. Sobald die bürgerliche Gesellschaft sich gefestigt hat, kann es kein Epos mehr geben:

"Denn der ganze heutige Weltzustand hat eine Gestalt angenommen, welche in ihrer prosaischen Ordnung sich schnurstracks den Anforderungen entgegenstellt, welche für das echte Epos unerlässlich fanden, während die Umwälzungen, denen die wirklichen Verhältnisse der Staaten und Völker unterworfen gewesen sind, noch zu sehr als wirkliche Erlebnisse in der Erinnerung festhalten um schon die epische Kunstform vertragen zu können."

In den Kunstformen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts – hier ist vornehmlich der Roman gemeint – fehlt die unmittelbare Einheit von Individuellem und Allgemeinem.

Bezüglich der Gattungsunterschiede entnahm Hegel die Kriterien für die Einteilung in Epik, Lyrik und Drama "nur aus dem allgemeinen Begriffe des künstlerischen Darstellens". Die Epik befasse sich damit, wie die bildende Kunst die äußere Realität in die innere Vorstellungswelt zu übertragen, aber darüber hinaus die Handlung aufgrund äußerer Einwirkungen, die die Handlung vorantreiben oder hemmen, zu entfalten, wobei der Dichter nicht in die Schilderung eingreife.

Zur Lyrik im Besonderen äußerte Hegel, dass im Unterschied zum Epos, das "in ein und demselben Werke die Totalität des Volksgeistes in seiner wirklichen Tat und Zuständigkeit auseinanderlegt, der bestimmtere Gehalt des lyrischen Gedichts sich auf irgendeine besondere Seite beschränkt oder doch wenigstens nicht zu der explizierten Vollständigkeit und Entfaltung gelangen kann, welche das Epos, um seine Aufgabe zu erfüllen, haben muss."


  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen zur Ästhetik, hg. v. Friedrich Bassenge, Bd. 1, Frankfurt/M. o. J., S. 567f.


(Gk A – Einführung in die Literaturtheorie – Franziska Conrad, Universität Greifswald, 2003)



Heroisch getichte (Opitz)

Im V. Kapitel seines Buches von der Deutschen Poeterey (1624) behandelt Martin Opitz die Einteilung der Dichtkunst in Gattungen, die er Genera carminis und arten der getichte nennt. Mehr: Gattungen_(Opitz)


Eine der von ihm aufgezählten Gattungen ist das "Heroisch getichte". Gemeint ist das (heroische) Epos im Sinne der antiken Dichtung (Homer, Vergil). Opitz schreibt:


Ein Heroisch getichte (das gemeiniglich weitleufftig ist / vnd von hohem wesen redet) soll man stracks von seinem innhalte vnd der Proposition anheben; wie Virgilius in den büchern vom Ackerbawe thut:


Quid faciat lætas segetes, quo sidere terram
Vertere, Mæcenas, vlmisque adiungere vites
Conueniat; quæ cura boum, qui cultus habendo
Sit pecori, atque apibus quanta experientia parcis,
Hinc canere incipiam.


Vnd ich (wiewol ich mich schäme / das ich in mangel anderer deutschen exempel mich meiner eigenen gebrauchen soll / weil mir meine wenigkeit vnd vnvermögen wol bewust ist) in dem ersten buche der noch vnaußgemachten [1] Trostgetichte in Widerwertigkeit des Krieges:


Des schweren Krieges last den Deutschland jetzt empfindet /
Vnd das Gott nicht vmbsonst so hefftig angezündet
Den eifer seiner macht / auch wo in solcher pein
Trost her zue holen ist / soll mein getichte sein


Nachmals haben die heiden jhre Götter angeruffen / das sie jhnen zue vollbringung des werckes beystehen wollen: denen wir Christen nicht allein folgen / sonden auch an frömigkeit billich sollen vberlegen sein. Virgilius spricht weiter an gedachtem orte:


               Vos, o clarissima mundi
Lumina, labentem coelo quæ ducitis annum,
Liber, & alma Ceres, &c.


Vnd ich:


Diß hab ich mir anjetzt zue schreiben fürgenommen.
Ich bitte wollest mir geneigt zue hülffe kommen
  Du höchster trost der welt / du zueversicht in not /
  Du Geist von GOtt gesandt / ia selber wahrer GOtt.
   
Gieb meiner Zungen doch mit deiner glut zue brennen /
Regiere meine faust / vnd laß mich glücklich rennen
   Durch diese wüste bahn / durch dieses newe feldt /
   Darauff noch keiner hat für mir den fuß gestelt.


Wiewol etliche auch stracks zue erste die anruffung setzen. Als Lucretius:


Aeneadum genetrix, hominum diuumque voluptas,
Alma Venus, &c.


Vnd Wilhelm von Sallust in seiner andern woche:


Grand Dieu, qui de ce Tout m'as fait voir la naissance,
Descouure son berceau, monstre-moy son enfance.
Pourmeine mon esprit par les fleuris destours
Des vergers doux-flairans, où serpentoit le cours

De quatre viues eaux: conte-moy quelle offence
Bannit des deux Edens Adam, & sa semence.


Gott / der du mich der welt geburt hast sehen lassen /
Laß mich nun jhre wieg' vnd kindheit jetzt auch fassen /
Vnd meinen Geist vnd sinn sich in dem kreiß' ergehn
Der gärte vol geruchs / hier wo vier flüsse schön'

Hinrauschen mitten durch: erzehl vmb was für sachen
Sich Adam vnd sein sam' auß Eden muste machen.


Doch ist / wie hier zue sehen / in der anruffung allzeit die proposition zuegleich begrieffen. Auff dieses folget gemeiniglich die dedication / wie Virgilius seine Georgica dem Keiser Augustus zuegeschrieben. Item die vrsache / warumb man eben dieses werck vor sich genommen: wie im dritten buche vom Ackerbawe zue sehen:


Cetera, quæ vacuas tenuissent carmina mentes,
Omnia, jam vulgata;


vnd wie folget. Dem ich in den Trostgetichten auch habe nachkommen wollen:


Das ander ist bekandt. wer hat doch nicht geschrieben
Von Venus eitelkeit / vnd von dem schnöden lieben /
   Der blinden jugendt lust? wer hat noch nie gehört
   Wie der Poeten volck die grossen Herren ehrt /

Erhebt sie an die lufft / vnd weiß herauß zue streichen
Was besser schweigens werth / lest seine Feder reichen
   Wo Menschen tapfferkeit noch niemals hin gelangt /
   Macht also das die welt mit blossen lügen prangt?

Wer hat zue vor auch nicht von riesen hören sagen /
Die Waldt vnd Berg zuegleich auff einen orth getragen /
  Zue stürtzen Jupitern mit aller seiner macht /
  Vnnd was des wesens mehr? nun ich bin auch bedacht

Zue sehen ob ich mich kan auß dem staube schwingen /
Vnd von der dicken schar des armen volckes dringen
  So an der erden klebt. ich bin begierde voll
  Zue schreiben wie man sich im creutz' auch frewen soll /

Sein Meister seiner selbst. ich wil die neun Göttinnen /
Die nie auff vnser deutsch noch haben reden können /
   Sampt jhrem Helicon mit dieser meiner handt
   Versetzen allhieher in vnser Vaterlandt.

Vieleichte werden noch die bahn so ich gebrochen /
Geschicktere dann ich nach mir zue bessern suchen /
  Wann dieser harte krieg wird werden hingelegt /
  Vnd die gewündschte rhue zue Land vnd Meer gehegt.


Das getichte vnd die erzehlung selber belangend / nimpt sie es nicht so genawe wie die Historien / die sich an die zeit vnd alle vmbstende nothwendig binden mußen / vnnd wiederholet auch nicht / wie Horatius erwehnet / den Troianischen krieg von der Helenen vnd jhrer brüder geburt an: lest viel außen was sich nicht hin schicken wil / vnd setzet viel das zwar hingehöret / aber newe vnd vnverhoffet ist / vntermenget allerley fabeln / historien / Kriegeskünste / schlachten / rathschläge / sturm / wetter / vnd was sonsten zue erweckung der verwunderung in den gemütern von nöthen ist; alles mit solcher ordnung / als wann sich eines auff das andere selber allso gebe / vnnd vngesucht in das buch keme. Gleichwol aber soll man sich in dieser freyheit zue tichten vorsehen / das man nicht der zeiten vergeße / vnd in jhrer warheit irre. Wiewol es Virgilius / da er vorgegeben / Eneas vnd Dido hetten zue einer zeit gelebet / da doch Dido hundert jahr zuevor gewesen / dem Keyser vnd Römischen volcke / durch welches die stadt Carthago bezwungen worden / zue liebe gethan / damitt er gleichsam von den bösen flüchen der Dido einen anfang der feindschafft zwischen diesen zweyen mächtigen völckern machte. Ob aber bey vns Deutschen so bald jemand kommen möchte / der sich eines volkommenen Heroischen werckes vnterstehen werden / stehe ich sehr im zweifel / vnnd bin nur der gedancken / es sey leichtlicher zue wündschen als zue hoffen.


Anmerkungen:

[1] unveröffentlichten


Ausgaben:

  • Martini Opitii Buch von der Deutschen Poeterey. David Müller: Breslau 1624 (Erstausgabe)
  • Herbert Jaumann (Hrsg.): Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe: Mit dem 'Aristarch' ( 1617) und den Opitzschen Vorreden zu seinen 'Teutschen Poetemata' (1624) ... zu seiner Übersetzung der 'Trojanerinnen' (Studienausgabe). Stuttgart: Reclam 2002