Lesen (Novalis): Unterschied zwischen den Versionen

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79. Die meisten Schriftsteller sind zugleich ihre Leser, indem sie schreiben, und daher entstehn in den Werken so viele Spuren des Lesers, so viele kritische Rücksichten, so manches, was dem Leser zukommt und nicht dem Schriftsteller. Gedankenstriche großgedruckte Worte herausgehobene Stellen alles dies gehört in das Gebiet des Lesers. Der Leser setzt den Akzent willkürlich; er macht eigentlich aus einem Buche, was er will. (Schlegels Behandlung Meisters.) (Ist nicht jeder Leser ein Philolog?) Es gibt kein allgemeingeltendes Lesen, im gewöhnlichen Sinn. Lesen ist eine freie Operation. Wie ich und was ich lesen soll, kann mir keiner vorschreiben.
79. Die meisten Schriftsteller sind zugleich ihre Leser - indem sie schreiben - und daher entstehn in den Werken so viele Spuren des Lesers - so viele kritische Rücksichten - so manches, was dem Leser zukömmt und nicht dem Schriftsteller. Gedankenstriche - großgedruckte Worte - herausgehobne Stellen - alles dies gehört in das Gebiet des Lesers. Der Leser sezt den Accent willkührlich - er macht eigentlich aus einem Buche, was er will. (Schleg[els] Behandlung] Meisters.)

(Soll nicht der Schriftsteller Philolog bis in die unendliche Potenz zugleich oder gar nicht Philolog sein? Der Letztere hat literarische Unschuld).
/Ist nicht jeder Leser ein Philolog?/

Es giebt kein allgemeingeltendes Lesen, im gewöhnlichen Sinn. \ Lesen ist eine freye Operation. Wie ich und was ich lesen soll, kann mir keiner vorschreiben.

/Soll nicht der Schriftsteller Philolog bis in die unendliche Potenz zugleich - oder gar nicht Philolog seyn? Der Letztere hat litterairische Unschuld/. - Novalis, Teplitzer Fragmente (1798)


Novalis: Aphorismen. [http://gutenberg.spiegel.de/buch/5232/4 IV. Teplitzer Fragmente ]
Novalis: Aphorismen. [http://gutenberg.spiegel.de/buch/5232/4 IV. Teplitzer Fragmente ]

Aktuelle Version vom 10. April 2011, 18:41 Uhr

Lesen (Novalis)

79. Die meisten Schriftsteller sind zugleich ihre Leser - indem sie schreiben - und daher entstehn in den Werken so viele Spuren des Lesers - so viele kritische Rücksichten - so manches, was dem Leser zukömmt und nicht dem Schriftsteller. Gedankenstriche - großgedruckte Worte - herausgehobne Stellen - alles dies gehört in das Gebiet des Lesers. Der Leser sezt den Accent willkührlich - er macht eigentlich aus einem Buche, was er will. (Schleg[els] Behandlung] Meisters.)

/Ist nicht jeder Leser ein Philolog?/

Es giebt kein allgemeingeltendes Lesen, im gewöhnlichen Sinn. \ Lesen ist eine freye Operation. Wie ich und was ich lesen soll, kann mir keiner vorschreiben.

/Soll nicht der Schriftsteller Philolog bis in die unendliche Potenz zugleich - oder gar nicht Philolog seyn? Der Letztere hat litterairische Unschuld/. - Novalis, Teplitzer Fragmente (1798)

Novalis: Aphorismen. IV. Teplitzer Fragmente