Supernaturalismus
Beitrag von Knut Langewand aus einem Proseminar an der Universität Greifswald
erstellt am 9.6. 2001
Supernaturalismus
Ursprünglich Begriff der (evangelischen) Theologie des ausgehenden 18. Jahrhundert, die eine über die Natur ("supra naturam") hinausgehende Wirklichkeit und somit die Notwendigkeit und Eigenständigkeit der christlichen Offenbarung postulierte.
Von Heinrich HEINE auf die Kunstkritik übertragen, bedeutete der S. den "Bruch mit der klassisch-aufklärerischen Nachahmungstheorie", die Abkehr von der reinen Abbildung von in der Natur Gesehenem.
Obwohl in Teilen noch aus der Dichtungstheorie der Romantik abgeleitet, wird der Begriff S. dann von Charles BAUDELAIRE aufgegriffen, der ihn als literarischen "surnaturalisme" dem Réalisme als Modell entgegensetzte. S. bekommt hier aber wieder die ursprüngliche, transzendente Bedeutung, denn Baudelaire betont die im Übernatürlichen, Jenseitigen verborgene Identität.
Von NERVAL in den "Filles du Feu" erneut erwähnt, weist der Begriff S. auch auf den von BRETON 1924 erstmals verwendeten Begriff Surrealismus voraus.
Quellen
Heinrich Heine schreibt in der "Gemäldeausstellung in Paris 1831" – und diese Stelle zitiert Charles Baudelaire im "Salon de 1846" bezüglich der Methoden des Malers Eugène Delacroix originalgetreu – Folgendes:
"In der Kunst bin ich Supernaturalist. Ich glaube, daß der Künstler nicht alle seine Typen in der Natur auffinden kann, sondern daß ihm die bedeutendsten Typen als eingeborene Symbolik eingeborener Ideen, gleichsam in der Seele geoffenbart werden."
Für Baudelaire selbst sind
"Zwei literarische Fundamentalfähigkeiten: Supernaturalismus und Ironie. Individuelle Auffassung, Erscheinung, in der die Dinge vor dem Schriftsteller verharren, dann satanische Geistesart. Das übernatürliche begreift die allgemeine Darstellungsweise und den Akzent in sich, das heißt Intensität, Wohlklang, Schwingung, Tiefe und Nachhall in Raum und Zeit.
Es gibt Augenblicke unseres Daseins, in denen Zeit und Ausdehnung sich vertiefen, und das Gefühl unseres Daseins eine Erhöhung ins Unermessliche erfährt."
Zitate aus:
Baudelaire, Charles: Sämtliche Werke/Briefe, hrsg. v. Friedhelm Kemp und Claude Pichois, Bd. 1, München: Heimeran 1977, S. 212f. bzw. Bd. 2, München: Hanser 1983, S. 373.
Literatur
Boeck, Oliver: Heines Nachwirkung und Heine-Parallelen in der französischen Dichtung, Göppingen: Kümmerle 1972 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, Nr. 52). Girndt, Eberhardt: Heines Kunstbegriff in "Französische Maler von 1831", in: HJb 1970, S. 70-86. Höhn, Gerhard: Heine-Handbuch: Zeit, Person, Werk, Stuttgart: Metzler 1987, S. 230f. Starke, Manfred: Der Untergang der romantischen Sonne. Ästhetische Texte von Baudelaire bis Mallarmé, Berlin/Weimar: Aufbau 1980, S. 62ff und S. 162.