Groteske

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Eine Gattung ursprünglich der Bildenden Künste, später auf Tanz und Literatur übertragen.


Sulzer 1771

[499] Groteske. (Zeichnende Künste)

So nennt man eine besondere seltsame und phantastische Gattung der mahlerischen Verzierungen gewisser Zimmer. Das Groteske besteht aus kleinen Figuren von Menschen und Thieren, mit Blumen und Laubwerk so verflochten, daß man darin das Thier und Pflanzenreich in einander verflossen antrifft; Menschen und Thiere, die aus den Knospen der Pflanzen hervorwachsen, halb Thier und halb Pflanzen sind. Man hat dergleichen in alten Grotten in Rom angetroffen. Joh. von Udine soll sie zuerst in den Ruinen der Bäder des Titus gefunden haben. Vitruvius erwähnet dieser seltsamen Art zu mahlen1, und klagt über den schlechten Geschmak, der dergleichen phantastischen Dinge hervorgebracht hat. Sie überrascht, wie ein abentheuerlicher Traum, durch die ausschweiffende Verbindung solcher Dinge, die keine natürliche Verbindung unter einander haben: sie kann doch eine Zeitlang gefallen, wie etwa ein tolles Geschwätz eines sich närrisch anstellenden Menschen, wegen der ausserordentlich seltsamen Verbindung der Begriffe, lachen macht. Es gehört also überhaupt in die Gattung des Lächerlichen und Abentheuerlichen, das nicht schlechterdings zu verwerfen ist.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Groteske schon in ganz alten Zeiten in Aegypten aufgekommen sey. So viel ich mich erinnere, erwähnt der zwar nicht sehr zuverläßige Reisebeschreiber Lucas, daß er solche in alten ägyptischen Ruinen angetroffen habe. Nach der vorher erwähnten Entdekung der alten Grotesken haben auch die Neuern sie wieder in die Mahlerey aufgenommen. Der erwähnte Joh. von Udino und Per. del Vaga haben in der Gallerie des Vatikans, die wegen der darin befindlichen Gemählde die Bibel des Raphaels genennt wird, dergleichen Verzierungen angebracht, die Raphael selbst soll gezeichnet haben. Aber der Graf Caylus, der etwas von den antiken Grotesken, nach den Originalen gezeichnet und illuminirt, herausgegeben hat,2 hält sie für Copeyen derer, die in den Bädern des Titus gefunden worden.

Die Chineser haben ihre besondere Art des Grotesken, das noch abentheuerlicher ist, als das Antike, indem sie auch Gebäude und Landschaften, als in der Luft schwebend, oder wie aus Bäumen herauswachsend vorstellen.

1	Lib. VII. c. 5.
2	Recueil de peintures antiques. Préface.

Quelle: Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 499. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2001144603X


Meyers 1907

[430] Grotesk (ital. grottésco), Bezeichnung derjenigen Form des Komischen und des Humors, welche entsteht, wenn sich der Kontrast zwischen Anspruch[430] und Berechtigung, zwischen Widersinn und Vernunft bis ins Ungeheuerliche und Riesenhafte steigert. – Als Grotesken bezeichnet man insbes. die von der Renaissancemalerei gegen Ende des 15. Jahrh. eingeführte Ornamentik, zu der das Vorbild in unterirdischen Gebäuden (Thermen und Kaiserpalästen) des alten Rom (den sogen. grotte) gefunden wurde. Diese Grotesken bestehen aus einer symmetrischen Verschlingung von stilisiertem Pflanzenwerk mit phantastischen und Tiergestalten, mit Satyrn, Kentauren und ähnlichen Fabelnwesen, mit Köpfen, Masken und Fruchtschnüren, mit Vogeln und Insekten, Waffen, Gefäßen u. dgl. Die höchste und reichste Ausbildung erlangten die Grotesken in den Loggien des Vatikans durch Raffael, Giovanni da Udine und Perino del Vaga (s. Tafel »Ornamente III«, Fig. 2, 3, 6). Letzterer brachte den Groteskenstil nach Genua (Palazzo Doria, Tafel III, Fig. 11), Giulio Romano nach Mantua (Palazzo del Té). Vgl. Flögel, Geschichte des Groteskkomischen (Liegn. 1778; neue Ausg. von Ebeling, Leipz. 1888); Wright, History of caricature and the grotesque in literature and art (Lond. 1875); Wildridge, Grotesque in church art (2. Ausg., das. 1903); H. Schneegans, Geschichte der grotesken Satire (Straßb. 1894). S. auch Arabesken. – In deutschen Buchdruckereien heißt G. eine lateinische (Antiqua-) Schrift ohne Haarstriche in starken, geraden, glatt gehaltenen Linien (s. Schriftarten).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 430-431. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006714684


Adelung 1796

[820] Grotếsk, -er, -este, adj. et adv. aus dem Franz. grotesque, in den schönen Künsten, unnatürlich, der Natur nicht gemäß, bloß in der Einbildungskraft und Fantasie des Künstlers gegründet. Groteske Figuren von Thieren und Menschen, welche nicht in ihren ordentlichen und gewöhnlichen Verhältnissen vorgestellet sind. In der Baukunst sind die Grotesken niedrig erhabene Bildwerke, welche aus mancherley nach der Fantasie geschlungenen Zügen bestehen, und in der Natur nicht angetroffen werden. In weiterer Bedeutung auch für seltsam, unnatürlich, wunderlich, lächerlich, überhaupt. Ein grotesker Einfall.

Anm. Von dem folgenden Worte Grotte, weil Johann von Udine dergleichen Werke zuerst in den Ruinen des Palastes des Titus fand, welchen man die Grotten nannte. Er war der erste, der diese Arbeit wieder in den Gang brachte.

Quelle: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 820. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000206318


Pierer 1859

[721] Grotesk, die Gattung des Komischen, welche durch eine anscheinend widersinnige, jedoch nicht abgeschmackte Zusammenstellung verschiedener Gegenstände, Ansichten u. Ideen entsteht. Grotesken phantastische Gebilde, welche außer aus Pflanzenbildern, auch aus solchen von Menschen-, Thier-, Genien- etc. Gestalten bestehen, s. Arabesken. Grotesktänze, s.u. Tanz.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 721. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2001004616X