Anakreon

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Sulzer

[49] Anakreon.

Ein griechischer Liederdichter aus der Stadt Thejos in Jonien gebürtig. Er hat zu den Zeiten des Cyrus und Cambyses gelebt, und sich meistentheils an dem Hofe des Polycrates, Tyrannen der Insel Samos aufgehalten, wie wol er auch eine Zeitlang in Athen an dem Hofe des Tyrannen Hipparchus gelebt hat. Man hat noch ein und siebenzig Lieder und einige Uberschriften von ihm. Jene sind alle in dreyfüßigen Jamben und scheinen recht eigen zu einem leichten fröhlichen Gesang abgemessen. Ihr Inhalt ist durchgehends die Fröhlichkeit, die den Genuß der Liebe und des Weines begleitet. Sie bezeichnen den Charakter eines feinen Wollüstlings, der sein ganzes Leben dem Bachus und der Venus gewidmet hat, dabey aber immer vergnügt und scherzhaft geblieben ist.

Man muß also seine Lieder, blos als artige Kleinigkeiten ansehen, die zum absingen in Gesellschaften gemacht worden, wo die sinnliche Lust durch feinen Wiz sollte gewürzt werden. In dieser Absicht sind sie unvergleichlich. Eine große Munterkeit ohne alle ernsthafte Leidenschaft, ein überaus feiner Wiz, und die angenehmste Art sich auszudrüken, sind überall darin anzutreffen. Der Dichter sieht in der ganzen Welt und in allen Händeln der Menschen nichts, als was sich auf Wein und Liebe bezieht; alles ist Scherz und Tändeley mit Beziehung auf diese beyden Gegenstände. Seine Laune ist die angenehmste von der Welt, und lieblich, wie der schönste Frühlingstag. Auf die allerleichteste Art mahlt er tausend angenehme Phantomen, die mit wollüstigem Sumsen vor unsrer Einbildungskraft herumflattern, und versezt uns in eine Welt, woraus aller Ernst, alles Nachdenken, verbannet ist, wo nichts als Schwärmereyen einer leichten, die Seele wenig angreifenden Wollust herrschen.

Hieraus ist zu sehen, daß diese Lieder nicht zum Lesen in einsamen und ernsthaften Stunden, die man besser anwenden kann, sondern als ein artiges Spiel zur Ermunterung in Gesellschaften, und zur Erquikung des Geistes geschrieben sind. Sie sind ein Blumengarten, wo tausend liebliche Gerüche herum flattern, aber keine einzige nahrhafte Frucht anzutreffen ist.

Anakreontische Lieder, werden alle die genennt, welche in dem Geiste des Anakreons geschrieben sind. Ihr leichter Inhalt erfodert eine leichte und kurze Versart, so wie Anakreon sie gebraucht hat. Insgemein wird ein dreyfüßiger jambischer Vers mit einer übrigen kurzen Sylbe am Ende gewählt. Gleim ist der erste Deutsche, der glüklich in der Art des Anakreons gedichtet hat. Der Beyfall, [49] womit seine scherzhaften Lieder aufgenommen worden, hat eine Menge elender Nachfolger hervorgebracht, welche eine Zeitlang den deutschen Parnaß, wie ein Schwarm von Ungeziefer umgeben, und verfinstert haben.

Daß man an den allermeisten anakreontischen Gedichten der Neuern den Geist des Anakreons, sein scherzhaftes Wesen, und seinen feinen ungekünstelten Wiz vermißt, ist nicht das einzige, das man gegen diese Seuche einzuwenden hat, Die meisten Neuern sind in dem Fall jenes Jünglings, der den Philosophen Panätius gefragt hat, ob es einem Weisen auch wol anstehe sich zu verlieben. Die Antwort des Weisen enthält eine große Lehre. Was dem Weisen geziemet, davon wollen wir einander mal sprechen: was mich und dich betrifft, die beyde noch lange keine Weise sind, so schikt es sich für uns nicht, uns damit abzugeben.1

1 De Sapiente videbimus: mihi et tibi qui adhuc a Sapiente longe absumus, non est committendum, ut incidamus in rem commotam, impotentem, alteri emancipatam, vilem sibi. Senecae Ep. CXVI.

Quelle: Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 49-50. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011442646


Brockhaus 1809

[52] Anakreon, ein Griechischer Dichter aus Tejos in Jonien, welcher 532 Jahre vor unsrer Zeitrechnung in der 62. Olympiade blühte. Wein und Liebe sind der Inhalt seiner Lieder, in denen zugleich Einfalt, Laune und Witz oft unübertreffbar sind. Daher heißt anakreontisch dasjenige, worin der Geist und der Geschmack Anakreons herrscht.


Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 52. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000740349


Damen Conversations Lexikon 1834

[199] Anakreon der Dichter, ungefähr 600 v. Chr. zu Teos in Ionien geboren, war einer der neun lyrischen Dichter Griechenlands, dessen zartempfundene und einfach schön ausgeführte Oden und Lieder einzig dem frohen Lebensgenusse, dem Wein und der Liebe gewidmet sind. Er erreichte ein Alter von 85 Jahren, und, damit sein Tod seinem Leben entspreche, läßt ihn die Dichtung an einer Weinbeere ersticken. Degen, Overbeck und Ramler haben die noch auf uns gekommenen Lieder Anakreon's geschmackvoll übersetzt. Nach ihm werden überhaupt alle anmuthigen, dem Wein und der Liebe ertönenden Lieder anakreontische genannt. Da die anakreontische Poesie sich durch Naivetät, Zartheit und Leichtigkeit auszeichnet, so nennt man, wiewohl etwas affektirt, auch Ballete, deren[199] Gegenstand dem griechischen Schäfer- und Idyllenleben entnommen ist – anakreontische.

Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 199-200. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001710176


Brockhaus 1837

[77] Anakrĕon, einer der berühmtesten unter den lyrischen Dichtern Griechenlands, geb. in der ionischen Stadt Teos um 530 v. Chr., brachte die meiste Zeit seines Lebens an den Höfen des Königs Polykrates zu Samos und des Hipparchus in Athen zu, und starb als heiterer, lebenslustiger Greis um 445 v. Chr. Seine Gedichte, deren sich noch eine ziemliche Anzahl erhalten haben, ohne daß jedoch alle, welche anakreontische heißen, auch von A. herrühren, sind vorzugsweise den Freuden der Liebe und des Weins gewidmet und zeichnen sich durch leichten, angenehmen Versbau, ungesuchte Scherze und heitere Naivetät aus. Sie gaben wahrscheinlich zu der Sage Veranlassung, daß A. in Folge seines lustigen Lebens schon in seinem 20. Jahre ein Greis gewesen und im hohen Alter im berüchtigten Abdera an einer Weinbeere erstickt sei. – Anakreontische Lieder nennt man überhaupt kleine scherzhafte, den Wein und die Liebe besingende Gedichte.

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 77. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000810479


Herder 1854

[170] Anakreon aus Teos in Ionien, nach der gewöhnlichen Annahme im J. 559 v. Chr. geb. Er stand bereits im männlichen Alter, als er bei der Eroberung seiner Vaterstadt durch die Perser mit seinen Mitbürgern zu Schiffe ging und mit ihnen in dem thracischen Abdera eine neue Heimat fand. Um diese Zeit bemächtigte sich Polykrates der Herrschaft von Samos und suchte seine Regierung wie durch die Entfaltung äußern Glanzes, so auch durch den Schmuck der Kunst und Poesie zu verherrlichen. An seinen Hof kam nun auch Anakreon, dessen größte Fruchtbarkeit als Dichter in eben diese Periode fällt. Nach Polykratesʼ Tode folgte Anakreon einem Rufe nach Athen und widmete seine Muse gleichfalls dem Hause der dortigen Tyrannen, dem Preise anderer vornehmer Familien und der poetischen Verherrlichung der Feste der Stadt. Ueber das Lebensende des Dichters haben wir keine sichern Nachrichten. Wiewohl das ganze Alterthum von seinen Poesien mit Liebe und Bewunderung gesprochen hat, so ist Anakreon doch der ächteste Repräsentant des bereits verweichlichten Geistes seines Stammes, der, um mit O. Müller zu reden, im Kallinos noch mit männlichem Muth und Ehrgefühl verbunden erschien, und im Mimnermos sich mit einer zärtlichen Wehmuth von der traurigen Gegenwart abwendet und bei dem Reize des sinnlichen Lebens zu beruhigen sucht, während er im Anakreon alles tiefern Ernstes entblößt ist und das Leben nur insofern als werthvoll betrachtet, als es durch Geselligkeit, Liebe, Musik und Wein verschönert wird; mit Einem Worte: es fehlt bei Anakreon der eigentlich sittliche Charakter. Die Kritik ist aus innern und äußern Gründen längst zu dem Resultat gekommen, daß die auf uns gelangte [170] Sammlung anakreontischer Gedichte der alexandrinischen Periode, ja zum Theil einer noch viel spätern Zeit zugeschrieben werden muß.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 170-171. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003197514


Pierer 1857

[448] Anakrĕon, griechischer Lyriker aus Teos in Jonien, lebte in seiner Jugend zu Abdera in Thracien, dann seit etwa 530 v. Chr. bei Polykrates, Tyrannen von Samos, u. nach dessen Ermordung 522 in Athen bei Hipparchos. Nach dessen Tode kehrte er wahrscheinlich nach Teos zurück, floh aber beim Aufstande Joniens gegen die. Perser nach Abdera, wo er 85 Jahr alt, nach der Sage, an einer Weinbeere erstickte. Seine Bildsäule stand auf der Akropolis von Athen. Von seinen Gedichten (in ionischem Dialekt) sind noch 68 übrig; sie besingen die Freuden der Liebe u. des Weines, die meisten gehören jedoch einer späteren Zeit u. verschiedenen Verfassern an. Herausgeg. zuerst von H. Stephanus, Par. 1554; von I. Spoletti, Rom 1781; von Born, letzte Ausg. 1809 mit Sappho; von Brunck, Straßb. 1778 u. 1786, n. A. von Schäfer, Lpz. 1812; von Fischer, 1793; von Bothe, 1805; von Degen, 1808; von Möbius, Halle 1810 u. Gotha 1826; Boissonade, Paris 1823; Mehlhorn, Glogau 1825; Bergk, Lpz. 1834; deutsch von Degen, 1787; von Overbeck, 1800; von Rammler (herausg. von Spalding, 1801), Kannegießer, Möbius, Rettig (2. A. 1835) u. A.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 448. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009358552


Meyers 1905

[471] Anakrĕon, griech. Lyriker, aus Teos in Ionien, lebte am Hofe des Polykrates von Samos, nach dessen Fall (522) ihn der Peisistratide Hipparch nach Athen zog. Über seinen Verbleib nach dem Tode dieses (514) weiß man nichts Sicheres. Er starb, 85 Jahre alt, der Sage nach durch Verschlucken einer getrockneten Weinbeere. Seine Statue auf der Burg zu Athen stellte ihn als vom Wein begeisterten greifen Sänger dar, wie er überhaupt als Typus eines noch im Alter dem Wein und der Liebe huldigenden Dichters galt. Denn der Liebe, dem Wein und der heitern Geselligkeit galt die Mehrzahl seiner in dem weichen ionischen Dialekt verfaßten Lieder, deren Schönheit und Anmut berühmt war. Von seinen Gedichten in fünf Büchern (außer lyrischen Liedern, Elegien, Epigrammen,[471] Jamben) sind nur spärliche Fragmente erhalten (in Bergks »Poetae lyrici graeci«, Bd. 3). Nachahmungen aus verschiedener, zum Teil später Zeit und von verschiedenem Wert enthält eine »Anakreonteia« betitelte Sammlung von etwa 60 zumeist Wein- und Liebesliedern (hrsg. von Rose, 2. Aufl., Leipz. 1876; bei Bergk a. a. O.). Diese Lieder übten auf die moderne Lyrik keinen geringen Einfluß aus. Nachdem sich bereits im 17. Jahrh. Spuren der Anakreontik gezeigt hatten (vgl. Witkowski, Die Vorläufer der anakreontischen Dichtung in Deutschland, Leipz. 1889), brachten Gleim durch seinen »Versuch in scherzhaften Liedern« (Berl. 1744) und Götz durch seine in Gemeinschaft mit Uz verfaßte Übersetzung Anakreons diese tändelnde Lyrik für länger als ein Jahrzehnt zu großer Beliebtheit. In neuerer Zeit wurden die Anakreontischen Lieder von Uschner (Berl. 1864), E. Mörike (Stuttg. 1865) und Junghans (Leipz. 1873) übersetzt.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 471-472. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006226744


Brockhaus 1911

[62] Anakrĕon, griech. Lyriker aus Teos in Ionien, um 530 v. Chr., lebte in Samos, später in Athen. Von seinen, die Liebe und den Wein besingenden Gedichten sind nur noch Fragmente übrig. Die unter dem Namen des A. gehende Sammlung von einigen 60 Liedchen (Anacreontica) enthält Nachahmungen spätern Ursprungs (deutsch von Moerike, 1864; Kaysel, 1890, u.a.).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 62. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000904023