Kirchenslawisch

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Meyers 1907

[53] Kirchenslawisch, die Sprache des Gottesdienstes, der Bibel und der andern kirchlichen Bücher bei den griechisch-katholischen Slawen (Russen, Serben, Bulgaren). Lange Zeit war das K. bei den genannten Völkern sogar die allgemeine Schriftsprache, bei den Russen bis in den Anfang des 18. Jahrh., in Serbien noch länger. Welches Volk diese Sprache ursprünglich gesprochen hat, läßt sich mit Bestimmtheit bis jetzt nicht angeben, wenn auch bei weitem die meisten Gelehrten der Ansicht sind, daß das K. in seiner ältesten uns bekannten Form die Sprache der Bulgaren des 9. Jahrh. repräsentiert, und es daher auch als Altbulgarisch bezeichnen. Um die Mitte des 9. Jahrh. übersetzten nämlich Methodius und Cyrillus (s. d. 3) für die zum Christentum bekehrten und noch zu bekehrenden Slawen, und zwar zunächst für die Mähren, die Bibel und andre kirchliche Schriften in eine slawische Sprache. Die wahrscheinlichste Annahme ist, daß diese Sprache das den beiden Slawenaposteln von ihrer Vaterstadt Thessalonich her bekannte Bulgarisch gewesen sei. Miklosich (s. d.) dagegen erklärte das K. für die Sprache der im 9. Jahrh. in Pannonien seßhaften Slowenen, deren Wohnsitze sich nach seiner Ansicht bis nach Mähren hinein erstreckten, und nannte es daher Altslowenisch (oder speziell Pannonisch-Slowenisch). 888 wurden infolge der Ränke der bayrischen Geistlichkeit die Schüler und Nachfolger Methods (gest. 885) aus Mähren vertrieben und kehrten nach Bulgarien zurück, wo sich die kirchenslawische (altbulgarische) Literatur alsbald zu hoher Blüte entfaltete. Die ältesten uns erhaltenen kirchenslawischen Handschriften gehören dem Ende des 10. und dem Anfang des 11. Jahrh. an. Nach der Schriftart, in der sie abgefaßt sind, unterscheidet man glagolitische und cyrillische Denkmäler (s. Glagolica und Cyrillica). Gegen Ende des 10. Jahrh. kam von Bulgarien aus das Christentum zu den Russen, mindestens ebenso früh zu den Kroaten und Serben, mit dem Christentum zugleich aber die Bibel und die andern kirchlichen Bücher und in ihnen die kirchenslawische (altbulgarische) Sprache. Zum Unterschied von der Form, die im Laufe der Zeit das K. bei diesen letzten Völkern annahm (dem russischen K., dem serbischen K. etc.), pflegt man das ursprüngliche reine, unvermischte K. als Altkirchenslawisch zu bezeichnen. Ihrem Gegenstande nach ist die altkirchenslawische Literatur fast ausschließlich eine Literatur von Übersetzungen meist griechischer Originale, nämlich der einzelnen Teile der Bibel, von Werken der Kirchenväter, Homilien, Legenden etc. Die Hauptforscher auf dem Gebiete des Kirchenslawischen waren Dobrowsky, Kopitar, Wostokow, Miklosich, Schleicher, Jagić und Leskien (s. d.). Das beste Hilfsmittel für die Erlernung des Kirchenslawischen, das infolge seiner Altertümlichkeit die Grundlage für das Studium und die Erforschung der slawischen Sprachen überhaupt bildet, ist das »Handbuch der altbulgarischen (altkirchenslawischen) Sprache« von Leskien (Grammatik, Texte und Glossar, 4. Aufl., Weim. 1905); ferner Vondrák, Altkirchenslawische Grammatik (Berl. 1900).[53]

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 53-54. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006895409


Pierer 1860

[511] Kirchenslawisch (Altslawonisch, Altslawisch, Cyrillisch), die älteste slawische Schriftspräche, in welcher vorzugsweise die Kirchenschriften der slawischen Völker des griechische Ritus abgefaßt sind. Das K. beruht auf dem alten Dialekte der bulgarischen Slawen u. gehört somit der östlichen Gruppe der slawischen Sprachen an, unter denen es den Urtypus am treuesten bewahrt hat u. für das vollendetste Muster aller slawischen Sprachen gilt. Zu den Zeiten Cyrills (s. d,) war das Altslawonische über die ganzen südlich der Donau gelegenen Länderstriche, in dem heutigen Litorale, Serbien, Bosnien u. Bulgarien, ausgebreitet u. mit geringen Abweichungen überall dasselbe. Das Vorbild der Griechischen hat unverkennbar auf die literarische Ausbildung der Sprache eingewirkt. Am reinsten gilt das K., welches in den ältesten Schriften der von Cyrill, dessen Bruder Method u. ihren Gehülfen aus dem Griechischen übersetzten Kirchenbüchern u. biblischen Schriften erscheint, wie z.B. in dem ostromirischen u. rheimser Evangelium, den ältesten Sborniks, der Inschrift von Tmutorakan etc. Vom 8. bis 12. Jahrh. war sie die einzige slawische Sprache, welche als Schriftsprache angewendet wurde; als solche blieb sie auch noch bei den verschiedenen slawischen Völkern des griechischen Ritus in Gebrauch, bis letztere ihre eigenen Volksmundarten zu Schriftsprachen ausbildeten. Gegenwärtig findet sie blos noch in. der Kirche u. beim Gottesdienst Anwendüng Über die Kirchenslawischen Bücher s. Schafarik, Geschichte der slawischen Sprache u. Literatur, Ofen 1825. Als die älteste ausgebildete slawische Mundart hat das A. für das historische u. sprachvergleichende Studium der slawischen Mundarten besondere Wichtigkeit erhalten u. wurde deshalb in neuester Zeit mehrfach, namentlich von Miklosich, Radices linguae palaeoslovenicae, Lpz. 1845; Lexicon linguae palaeoslovenicae, Wien 1850; Formelehre der Altslawonischen Sprache, ebd. 1854; Die Bildung der Nomina im Altslawonischen, ebd. 1858; Vergleichende Grammatik der slawischen Sprachen, ebd. 1852–57, Bd. 1. u. 3, u. Schleicher, Die Formenlehre der Kirchenslawischen Sprache, Bonn 1852, sowie von verschiedenen russischen Gelehrten bearbeitet.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 511. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2001024011X


Brockhaus 1911

[967] Kirchenslawisch, der slaw. Dialekt, in welchem Ende des 9. Jahrh. Cyrill und Method und ihre Schüler die Bibelübersetzung und liturgischen Bücher niederschrieben, wurde je nach Ansicht über den Ursprung desselben bald Altslowenisch oder Pannonisch-Slowenisch, bald Altbulgarisch genannt; es ist ein mazedon.-bulgar. Dialekt. Die altkirchenslaw. Literatur, bis zum 11. Jahrh. im altbulgar. Reich, wurde in zwei Alphabeten (Kyrilliza und Glagoliza) geschrieben und bestand meist aus Übersetzungen; ihr schließen sich die später entstandenen Bücher in kirchenslaw. Sprache in Rußland, Serbien und Bulgarien an. Forscher: Dobrowsky, Wostokow, Kopitar, Miklosisch, Jagić; »Handbuch« von Leskien (4. Aufl. 1905); Vondrák, »Altkirchenslaw. Grammatik« (1900).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 967. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000125202X