Bürger, Gottfried August

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Gottfried August Bürger (* 31. Dezember 1747 in Molmerswende; † 8. Juni 1794 in Göttingen), volkstümlicher deutscher Dichter.


Meyers 1905

[621]

Bürger, 1) Gottfried August,

namhafter deutscher Dichter, geb. in der Silvesternacht 1747/48 in Molmerswende bei Ballenstedt am Unterharz, wo sein Vater Pfarrer war, gest. 8. Juni 1794 in Göttingen, besuchte die Stadtschule zu Aschersleben (1759 bis 1760), dann das Pädagogium zu Halle (1760–1763), begann gegen seine Neigung, nur auf Verlangen seines Großvaters, 1764 das Studium der Theologie zu Halle, wandte sich jedoch bald unter dem Einfluß des Professors Chr. Ad. Klotz (s.d.) schönwissenschaftlichen Studien zu. Nach Erledigung seiner oft durch zügellosen Leichtsinn unterbrochenen Studien erhielt er 1772 durch Boies Vermittelung die Stelle eines Amtmanns von Altengleichen bei Göttingen, trat mit dem jungen Dichterkreis in Göttingen (Hölty, Voß, Miller, Cramer, die Grafen Stolberg u. a.) in Beziehung und heiratete im Herbst 1774 eine Tochter des Justizamtmanns Leonhart zu Niedeck, mit der er bald darauf nach Wölmershausen, einem Dorf seines Gerichtssprengels, zog. Bald jedoch faßte er die heftigste Leidenschaft für die jüngere Schwester seiner Frau, die in seinen Liedern unter dem Namen Molly überschwenglich gefeierte Auguste, die nach dem Tod ihres Vaters (1777) eine Zeitlang unter seinem Dach lebte. Das Doppelverhältnis zu den beiden Schwestern bereitete ihm jahrelang die aufreibendste Gewissensqual. Dazu kamen mancherlei häusliche Sorgen. Von seinen Vorgesetzten obendrein wegen nachlässiger Geschäftsführung angeklagt, wurde B. in der angeordneten Untersuchung zwar freigesprochen, doch entschloß er sich, sein Amt freiwillig niederzulegen. Nach dem Tode seiner Gattin (1784) siedelte er nach Göttingen über, um sich durch Privatvorlesungen über Ästhetik, deutschen Stil und ähnliche Gegenstände eine neue Existenz zu begründen, und verband sich im Juni 1785 endlich mit seiner geliebten Molly auch am Altar. Ihr früher Tod (9. Jan. 1786) stürzte ihn von neuem in das tiefste Seelenleid und benahm ihm für einige Zeit die Luft zu dichterischem Schaffen. Die Universität erteilte ihm bei ihrem 50jährigen Jubiläum die philosophische Doktorwürde und bewirkte im November 1789 seine Ernennung zum außerordentlichen Professor (jedoch ohne Gehalt). Der Wunsch nach einem geordneten Hausstand veranlaßte B. zu einer dritten Heirat, der unglücklichsten. Im Oktober 1790 verband er sich mit seinem »Schwabenmädchen« (s. Bürger 2); aber schon nach wenigen Wochen trat die unglückseligste Zerrüttung des Familienlebens ein, der zwar durch eine Ehescheidung (März 1792) ein Ende gemacht wurde, jedoch nicht, ohne daß Lebensmut und Lebenshoffnungen in B. völlig vernichtet wurden. Er hinterließ zwei Töchter und zwei Söhne. 1895 wurde ihm in Göttingen ein Denkmal errichtet. B. war klein und hager, die Gesichtszüge waren zu groß für seine Gestalt, aber Stirn und Nase kühn, und durch die schönen Augen schimmerte der schaffende Dichtergeist. Gesellige Gewandtheit ging ihm ab, und seinem Charakter fehlte bei einem hohen Grad von Herzensgüte die Willensstärke.

Bürgers Dichtertalent gedieh nur langsam zur Entwickelung, wesentlich gefördert durch die kritische Strenge seines Freundes Boie und insbes. durch die[621] Berücksichtigung volkstümlicher Muster. Die Wärme seiner Empfindung, die unmittelbaren und ergreifenden Naturtöne der Innerlichkeit, die Weichheit und zugleich die Kraft des Ausdrucks, die Mannigfaltigkeit der Formen, die er beherrschte, stempeln ihn zu einem der größten deutschen Lyriker, wenn auch Schillers Vorwurf, ihm fehle der ideale Begriff von Liebe und Schönheit, nicht ganz unberechtigt ist. Neben seinen lyrischen Gedichten wurden vor allem seine erzählenden Gedichte im Volkston berühmt. Seine ersten Schöpfungen dieser Art tragen in Nachahmung Gleims einen burlesk-parodistischen Charakter; den wahren Ton der volkstümlichen Ballade fand er erst unter dem Einfluß der englischen Volksliedersammlung Percys, der Aufsätze Herders und der Erstlingsschriften Goethes. Im »Musenalmanach« auf 1774 erschien seine berühmteste Ballade, die »Lenore«. Seine Ansicht, daß Popularität eines dichterischen Werkes das Siegel seiner Vollkommenheit sei, entwickelte er 1776 in dem Aufsatz »Aus Daniel Wunderlichs Buch«. 1778 übernahm B. an Göckingks Statt die Redaktion des »Göttinger Musenalmanachs« und gab die erste Sammlung seiner »Gedichte« (neue Aufl., 1789, 2 Bde.) heraus. Seine Übersetzungen sind, wie der Versuch einer Ilias in Jamben und seine Macbeth-Bearbeitung, meistens durch die Anwendung falscher Übersetzungsprinzipien mißlungen. Eine Sammlung von Bürgers sämtlichen Schriften veranstaltete Reinhard (Götting. 1796–98, 4 Bde.; zuletzt 1823 ‚‚ 24 in 7 Bdn.), der auch Bürgers »Lehrbuch der Ästhetik« (Berl. 1825, 2 Bde.) und das »Lehrbuch des deutschen Stils« (das. 1826) nach seinen in Göttingen gehaltenen Vorlesungen und als einen Supplementband seine »Ästhetischen Schriften« (das. 1832) herausgab. Bohtz besorgte eine »Gesamtausgabe in Einem Band« (Göttingen 1835), Grisebach (Berl. 1873 u. öfter) eine Auswahl nebst biographisch-literarischer Skizze und eine Gesamtausgabe der Gedichte (das. 1889), R. M. Werner »Ausgewählte Werke« (Stuttg. 1898, 2 Bde.). Neue Ausgaben der Gedichte allein mit Einleitung und Anmerkungen veröffentlichten Tittmann (Leipz. 1869), Sauer (Stuttg. 1884) und Berger (Leipz. 1892). Bürgers Leben beschrieben Althof (Götting. 1798), Döring (Berl. 1827; neue Ausg., Götting. 1848), H. Pröhle (Leipz. 1856) und W. v. Wurzbach (das. 1900), während Otto Müller das Leben des Dichters in einem Roman (»B., ein deutsches Dichterleben«) bearbeitete, den Mosenthal (in dem Stück »B. und Molly«) dramatisierte. Außerdem sind über des Dichters Leben zu vergleichen: »Bürgers Ehestandsgeschichte« (Berl. 1812; daraus besonders abgedruckt: »Bürgers letztes Manuskript«, Leipz. 1846); Daniel, B. auf der Schule (Halle 1845); Gödeke, Gottfried August B. in Göttingen und Gellinghausen (Hannov. 1873); »Briefe von und an B.« (hrsg. von Strodtmann, Berl. 1874, 4 Bde.).

2) Elise

eigentlich Marie Christiane Elisabeth, geborne Hahn, geb. 19. Nov. 1769 in Stuttgart, gest. 24. Nov. 1833 in Frankfurt a. M., dritte Gattin des vorigen, dem sie 1789 öffentlich ihre Hand in einem Gedicht antrug, das in Bürgers Schriften zu finden ist. Bürger nahm anfangs die Sache für einen Scherz, gab aber dann eine poetische Antwort, woran sich eine Korrespondenz knüpfte, in der Bürger in einem denkwürdigen Brief seine ganzen frühern Lebensverhältnisse ohne Schleier darstellte. Bürger reiste in den Osterferien 1790 nach Stuttgart und führte im Herbst sein »Schwabenmädchen« zum Altar. Die Ehe ergab sich bald als eine unglückliche, und Bürger empfand nur zu bald die Folgen der Zerstreuungssucht, Eitelkeit und offenbaren Untreue seiner Frau. Sie verließ ihn im Februar 1792 und wurde 31. März gerichtlich von ihm geschieden. Sie trat nun zuerst als Schauspielerin unter dem Namen Elise B. auf den Bühnen zu Hamburg und Altona, zu Hannover und Dresden auf, reiste zuletzt als Deklamatrice und plastisch-mimische Darstellerin in Deutschland umher; schließlich ließ sie sich in Frankfurt nieder. In ihren letzten Jahren war sie erblindet. Man hat von ihr Gedichte und Schauspiele, unter anderm das Ritterdrama »Adelheid, Gräfin von Teck« (Altona 1799). Vgl. Ebeling, G. A. Bürger und Elise Hahn (2. Aufl., Leipz. 1870).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 621-622. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006383548


Brockhaus 1809

[190] Gottfried August Bürger. Wenige Dichter haben das Glück, so allgemein gelesen zu werden, als dieser Lieblingsdichter unsrer Nation. Auch ist nicht nur der Stoff seiner Gedichte der allgemeinen Empfindungsart so angemessen, sondern auch der Ton derselben der lebendigen Mundsprache so entnommen, daß es ihm unmöglich fehlen konnte, unter allen Classen von Lesern Freunde zu gewinnen. Und wiewohl man mit Grund befürchten muß, daß man, indem man ihm den Namen eines Volksdichters beigelegt, vorzüglich an diejenigen Eigenschaften seiner Werke gedacht habe, welche denselben sogleich auch bei den weniger gebildeten Ständen Eingang verschaffen, so würde man doch sehr irren, wenn man glauben wollte, daß er das feinere Gefühl beleidige und für die gebildeten Stände weniger genießbar wäre, wenn er auch das Ideal des Dichters, welches der Recensent seiner Gedichte in der Jenaischen A. L. Z. vielleicht selbst idealisch, entwirft, nicht erreicht haben sollte. Er starb im Jahr 1794 als Professor zu Göttingen, nachdem er die letztern Jahre seines Lebens in mehrerer Rücksicht nichts weniger als glücklich verlebt hatte. Man sieht einer neuen Ausgabe seiner Gedichte wie auch seiner Lebensbeschreibung entgegen.

Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 190. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000745189


Damen Conversations Lexikon 1834

[224] Bürger, Gottfried August, Gottfried August, der Dichter der Lenore, der Pfarrerstochter zu Taubenhain etc., wurde am 1. Januar 1748 zu Wolmerswende bei Halberstadt geboren. Von 1768 an studirte er in Göttingen und war mit im Dichterbunde von Hölty, Stolberg, Leisewitz, Voß, Müller, Cramer, aus welchem später so viel Herrliches für die deutsche Dichtkunst hervorging. Sein Leben war eine fortlaufende Reihe von Unglücksfällen. Er, der die Liebe so herrlich besang, mußte viele harte Prüfungen durch sie erfahren. Als seine erste Gattin starb, ehelichte er ihre, von ihm schwärmerisch geliebte Schwester Auguste (die er in seinen Gedichten unter dem Namen Molly besang); aber schon im folgenden Jahre entriß sie ihm der Tod, und Muthlosigkeit und Gram bemächtigten sich seiner. – Eine dritte Verbindung, welche er mit Elise Hahn (s. Elise Bürger) einging, endete nach den härtesten Prüfungen und Leiden mit einer Scheidung. Schmerz und Krankheit beugten ihn darnieder und verzehrten den Rest seiner Lebenskräfte. Der Lieblingsdichter der Nation starb, kaum zur Noth vor Mangel geschützt, am 8. Juni 1794. Sein Charakter war nicht frei von Wankelmuth und Unbesonnenheit, aber auch ausgezeichnet durch Herzensgüte, Bescheidenheit, Rechtlichkeit. Seine Gedichte, welche in vielen Auflagen erschienen, leben im Munde des Volkes; ihr Werth ist unvergänglich. –n.

Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 224. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001718290


Brockhaus 1837

[351] Bürger (Gottfr. Aug.), der berühmteste unter den deutschen Volksdichtern, geb. 1. Jan. 1748 zu Wolmerswende im Halberstädtischen, wo sein Vater Prediger war, ward bis in sein zwölftes Jahr in seiner geistigen Ausbildung sehr vernachlässigt.

Schon in dieser frühen Zeit offenbarte sich aber das dichterische Talent des Knaben, dessen einzige Vorbilder Bibel und Gesangbuch waren. Nach des Vaters Tode nahm sich der Großvater seiner an und ließ ihn die Schule zu Aschersleben besuchen, wo ihm aber ein Spottgedicht auf den ungeheuern Haarbeutel eines Primaners von Seiten des Rectors eine so unbarmherzige Züchtigung zuzog, daß ihn der sonst strenge Großvater sofort auf das Pädagogium nach Halle brachte, wo er 1764 zur Universität überging, um Theologie zu studiren. Neben mancher ihm später nützlich gewordenen Verbindung knüpfte er hier aber auch andere, welche den lebenslustigen Jüngling zu Ausschweifungen verleiteten und ihm den geistlichen Stand zuwider machten. Daher ging er 1768 nach Göttingen und wendete sich von der Theologie zur Rechtsgelehrsamkeit, gerieth aber von Neuem in seinen frühern unregelmäßigen Lebenswandel, sodaß sein Großvater, dessen Unterstützung ihm bisher fortgeholfen hatte, [351] ihm dieselbe ganz entzog. B. gerieth dadurch in Verhältnisse, daß man ihn kennen und schätzen mußte, um seine Nähe nicht zu meiden. Indessen nahm sich jener literarisch berühmte Freundekreis seiner an, zu dem Hölty, Voß, die Grafen Stolberg und K. F. Cramer gehörten, und trotz aller Misverhältnisse stählte sich seine Dichterkraft durch eifriges Studium alter wie neuer, besonders span. und engl. Muster. Schon hatten einzelne seiner Gedichte Aufmerksamkeit erregt, als es 1772 seinen Freunden glückte, ihm die wenig einträgliche Stelle eines Justizamtmanns zu Altengleichen zu verschaffen, was ihn zugleich mit seinem Großvater versöhnte, der ihm nun 800 Thlr. zu der erfoderlichen Bürgschaft und Bezahlung seiner Schulden vorschoß. Bald nachher erschien seine berühmte Ballade »Leonore«, welche mit der spätern, »Der Pfarrerstochter von Taubenheim« und andern, des Dichters Namen bald durch ganz Deutschland nennen machte. B. verheirathete sich 1774, trug aber schon vor der Trauung den Keim einer Leidenschaft zu der in seinen Gedichten gefeierten Molly, der 14–15jährigen Schwester seiner Gattin, im Herzen, die sich später unwiderstehlich entfaltete und ein Verhältniß herbeiführte, von dem er selbst sagt, weltliche Gesetze würden es nicht zugegeben haben, was sich drei Personen zu ihrer allerseitigen Rettung vom Verderben gestatteten. Nachdem 1784 seine Gattin gestorben und er sein Amt, sowie eine mit Verlust für ihn verbundene Pachtung aufgegeben hatte, heirathete er 1785 die Geliebte und lebte nun in Göttingen anfänglich als Privatdocent, seit 1789 als außerordentlicher Professor, jedoch ohne Gehalt. Schon 1786 starb aber auch seine zweite Gattin und der Gram darüber drückte B. fast zu Boden, allein der Wunsch, seinen Kindern eine Mutter zu geben, ließ ihn dennoch 1790 eine neue Ehe mit Marie Christine Elisabeth Hahn aus Stuttgart schließen, welche dem Anscheine nach von seinen Werken begeistert, ihm in einem Gedichte öffentlich ihre Hand antrug. Nach zwei Jahren wurde jedoch diese unglückselige Verbindung wieder getrennt und B. sagte damals, er habe bisher neben diesem unnatürlichen Weibe wie an einer Schandsäule gestanden. Die Geschiedene durchzog nun als Schauspielerin ganz Deutschland, befand sich nach langem unstäten Leben 1815 in Regensburg als Vorsteherin einer Töchterschule und starb 1834 in Frankfurt am Main. Von den überstandenen Leiden konnte B. sich nicht wieder erholen; geistig und körperlich ermattet, fristete er mit vollends aufreibenden Lohnarbeiten in der Hoffnung besserer Tage kümmerlich sein Dasein, starb aber schon am 18. Jun. 1794 an der Lungenschwindsucht und ein nicht lange vorher erhaltenes Geschenk von der hanöv. Regierung schützte gewissermaßen nur seine letzten Augenblicke vor Mangel. Von Person war B. klein und hager und die starken und großen Züge seines Gesichts vertrugen sich kaum mit seinem unscheinbaren Auftreten. Die erste Sammlung seiner Gedichte erschien 1778 zu Göttingen, die beste Ausgabe seiner Werke aber, besorgt von Karl von Reinhard, in sieben Bänden 1823–25 in Berlin; auch wird B. als Verfasser der »Wunderbaren Abenteuer und Reisen des Freiherrn von Münchhausen« (Götting. 1787) genannt, die er aber nur aus dem Englischen übersetzt hat.

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 351-352. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000816698


Herder 1854

[712] Bürger , Gottfr. Aug., geb. 1. Jan. 1748 zu Wolmerswende bei Halberstadt, studirte zuerst Theologie, dann Jurisprudenz, lebte seit 1768 einige Jahre in Göttingen, wo er Mittelpunkt des dortigen Dichterkreises war. 1772 wurde er Justizbeamter zu Altengleichen, verheirathete sich unglücklich, indem er bereits die Schwester seiner Frau, die Molly seiner Lieder, liebte; durch den Tod seiner Frau kam er 1784 in Mollys Besitz, verlor sie aber schon 1786. Zerrüttet in jeder Hinsicht, besonders auch in ökonomischer, gab er seinen Posten auf, zog als Privatdocent nach Göttingen und beging 1790 die Thorheit, sich mit dem »Mädchen aus Schwaben«, Christine Elise Hahn, zu vermählen, welche Ehe 1792 durch Scheidung gelöst wurde. 1789 wurde er außerordentlicher Professor ohne Gehalt und mußte für den lieben Groschen recensiren, übersetzen etc. Zu diesen Bedrängnissen kam eine Recension von Schiller, die B. und seine Gedichte heruntersetzte (Göthe behandelte B. mit vornehmer Sprödigkeit) u. tief kränkte; der willkommene Tod erlöste ihn den 8. Juli 1794. B.s Leben unterliegt allerdings schwerem u. gerechtem Tadel und hat den Dichter durch Leiden genug gestraft; nichtsdestoweniger ist er einer der ersten deutschen Dichter, namentlich durch seine Balladen, von denen einige in das Volksleben übergegangen sind; auch von seinen Liedern nehmen mehrere einen Ehrenplatz in der deutschen Poesie ein. Von B.s Humor zeugen »die wunderbaren Abenteuer u. Reisen des Freiherrn von Münchhausen«. Seine sämmtlichen Werke in Prosa und Poesie sind vielfach erschienen, zuletzt in Einem Bde. Göttingen 1834. – Seine dritte Frau, Ch. E. Hahn, geb. zu Stuttgart 1769, lebte nach der Scheidung als Declamatorin und Schauspielerin an verschiedenen Orten, st. erblindet zu Frankfurt a. M. 1833. Sie schrieb ein vergessenes Drama und den Roman »Irrgänge des weiblichen Herzens«, Altona 1799; »Gedichte« Hamburg 1812.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 712. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003251047


Pierer 1857

[472]

Bürger, 1) Gottfried August,

geb. 1. Jan[472] 1748 in Wollmerswende bei Halberstadt, wo sein Vater Prediger war; studirte seit 1764 in Halle Theologie u. seit 1764 in Göttingen Rechtsgelehrsamkeit. Ausschweifungen entzogen ihm die Unterstützung seines Großvaters, so daß er in Nahrungssorgen gerieth. Im Verein mit Boie, Hölty, Miller, Voß, den beiden Stolbergs u. A. studirte er die Dichter alter u. neuer Zeit, bes. Shakspeare; wurde 1772 Justizamtmann in Altengleichen im Hannöverschen u. verheirathete sich 1774. Nach dem Tode seiner Frau 1784 heirathete er deren schon längst von ihm geliebte Schwester, die von ihm gefeierte Molly, verlor sie aber kurze Zeit darauf, ebenfalls durch den Tod. Sein Amt, das er mit Widerwillen verwaltete, hatte er schon früher freiwillig niedergelegt u. lebte seit 1785 als Privatdocent in Göttingen, wo er auch 1789 Professor wurde. Aber eine, auf sonderbarem Wege 1790 geknüpfte Ehe (indem er das sich ihm in Versen anbietende Schwabenmädchen, Christiane Elise Hahn, ohne sie gesehen zu haben, eheligte) stürzte ihn aufs Neue in Kummer, u. er ließ sich 2 Jahre darauf scheiden. Von Krankheit, Nahrungssorgen u. Seelenleiden niedergebeugt, hatte er noch den Schmerz, durch Schillers Recension seiner Gedichte seinen dichterischen Ruhm herabgesetzt zu sehen. Er st. am 8. Juni 1794. Unter seinen Balladen ist Leonore die vollendetste. Er gab seit 1778 den Göttinger Musenalmanach heraus u. schr.: Gedichte, Götting. 1775, ebd. 1789, 2 Bde. (auch ins Englische u. Französische übersetzt); Wunderbare Reisen u. Abenteuer des Freiherrn v. Münchhausen, aus dem Englischen, Lond. (Göttingen) 1787, 2. Ausg. 1. Thl. (der 2.–4. Theil, Bodenwerder, 1794–1800, soll von Schnorr sein); Sämmtliche Schriften von Karl Reinhard herausgeg., Götting. 1796–98, 4 Thle.; Hamb. 1812 f., Götting. 1820; Berl. 1824–25, 7 Bde., Götting. 1829–33, 8 Bde., von Bohtz, ebd. 1835, in 1 Bd.; Supplementband zu allen Ausgaben, unter dem Titel: Ästhetische Schriften, Berlin 1832; Lebensbeschreibung von Althof, Götting. 1798; H. Döring, Berl 1825; B-s Ehestandsgeschichte, ebd. 1812; B-s Briefe an Mariane Ehrmann, Weim. 1802; O. Müller, B. ein deutsches Dichterleben, Frkf. 1845; Mosenthal machte B. u. Molly zum Gegenstand seines Drama: Ein Dichterleben; E. Leonhard, B. (in Dichtung), 1851.

2) Elise,

eigentlich Marie Christiane Elisabeth, geb. Hahn, geb. 1769 in Stuttgart; dritte Gattin des Vor., dem sie ihre Hand in einem Gedichte 1790 antrug; 1792 von ihm geschieden, betrat sie als Schauspielerin zuerst die Bühne in Altona, dann in Hannover u. Dresden, zog zuletzt als Declamatrice in Deutschland umher u. st. 1833 in Frankfurt, wo sie zuletzt lebte. Sie schr. den Roman: Irrgänge des weiblichen Herzens, Altona 1799; die Schauspiele: Adelheid, Gräfin von Teck, Hamb. 1799, Das Bouquet u. die Heirathslustigen, Lemgo 1801; Gedichte, Hamb. 1812. 3) B., Botaniker, begleitete 1823 Siebold nach Japan u. blieb auch nach dessen Rückkehr (1830) dort; er lieferte Beiträge zu Zuccarinis Flora japonica.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 472-473. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009609504


Brockhaus 1911

[290] Bürger, Gottfr. Aug., Dichter, geb. 31. Dez. 1747 zu Molmerswende am Harz, seit 1768 in Göttingen, mit dessen Dichterkreis er von Altengleichen aus, wo er 1772 Justizamtmann wurde, in enge Verbindung trat, heiratete 1774 unglücklich, da er seine Schwägerin (Molly) leidenschaftlich liebte, die nach dem Tode seiner Frau (1784) seine Gattin wurde, aber schon 1786 starb; seit 1784 Dozent in Göttingen, 1789 Prof. ohne Gehalt, gest. das. 8. Juni 1794; der Schöpfer der modernen Ballade (»Lenore«), Volkslieder, Sonette; seit 1779 Herausgeber des »Göttinger Musenalmanach«. – Biogr. von Wurzbach (1900). – Seine dritte Frau, Elise, geborene Hahn, geb. 19. Nov. 1769 zu Stuttgart, vermählt 1790, nach Scheidung der Ehe (1792) Schauspielerin, Dichterin, gest. 24. Nov. 1833 zu Frankfurt a. M.

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 290. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000099149X