Proklos
Pierer 1861
[619] Proklos, 1) P. Lykios (P. Diadochos, d. i. der Nachfolger [nämlich seines Lehrers Syrianos]), stammte von lykischen Eltern, geb. in Constantinopel 412 n.Chr.; gebildet in Alexandria durch Olympiodoros u. den Mathematiker Heron, dann in Athen von Plutarchos u. Syrianos, dessen Nachfolger er als Lehrer der Platonischen Philosophie wurde. Er führte ein ascetisch-strenges Leben, verwendete sein Vermögen zu Wohlthaten, suchte das Heidenthum gegen das immer mehr sich verbreitende Christenthum bei dem Volke aufrecht zu erhalten u. durch seine Speculation wieder zu beleben u. st. 485. Über das Wissen stellte er den Glauben, als die genaueste Vereinigung mit dem Guten u. Einen. Sein Grundriß der Theologie enthält den Versuch einer Demonstration des Hauptsatzes, daß es nur Ein Realprincip aller Dinge gebe u. daß dieses die Einheit sei, welche Alles triadisch hervorbringe. Diese Demonstration gründet sich auf Analyse u. Synthese der ontologischen Bestimmungen eines Dinges, dessen allgemeinste Merkmale im Grundprincipe verwandelt u. hypostasirt werden. Die Hauptbegriffe in dieser Demonstration sind: Einheit, Zweiheit, Grenze u. Grenzenlosigkeit, das Gemisch aus beiden od. das Ding, welches Sein, Leben, Denken enthält. Die Götter theilte P. ein in denkbare, denkende, überweltliche, weltliche, dichtete dem göttlichen Namen übernatürliche Kräfte an u. setzte die Theurgie über die Philosophie. Seine drei Abhandlungen über die Vorsehung, das Fatum u. das Böse (welches er nicht aus der Materie, sondern aus der Beschränkung der Kräfte herleitet) entwickeln diese Ideen. Von ihm sind übrig sechs Hymnen; Ηἰς τὴν Πλάτωνος ϑεολογίαν (herausgeg. von Äm. Portus, Hamb. 1618, Fol); Περὶ χρηστομαϑείας (Hann. 1615); Ηἰς τὸν τοῦ Πλάτωνος Τίμαιον ὑπομνήματα (mit Platon, Bas. 1534, Fol.); Ηἰς τὸν Ἀλκιβιάδην I. (herausgeg. von Creuzer, Frankf. 1820, 2 Bde.), u. Commentare über mehre andere platonische Schriften, über des [619] Hesiodos Tage u. Werke; Gesammtausgabe von Cousin, Par. 1819–25, 6 Bde., u. von Creuzer, Oxf. 1835, 3 Bde. Vgl. Marinus, Βίος Πρόκλου, herausgeg. von Boissonade, Lpz. 1814.
2) P., war früher Lector der H. Schrift u. Notar des Patriarchen Attikos in Constantinopel, wurde zum Presbyter geweiht u. vom Patriarchen Sisinnios 426 zum Bischof von Kyzikos ernannt, von den Kyzikenern aber nicht angenommen; nachdem er 429 als Gegner des Nestorius aufgetreten war u. die Benennung der Sta. Maria als ϑεοτόκος vertheidigt hatte, wurde er 434 Bischof von Constantinopel u. st. um 446. Er machte sich um die Beilegung der Streitigkeiten unter den Johanniten verdient u. schr. drei Predigten auf die Maria ϑεοτόκος, herausg. im 1. Bd. von Combesis Patrum bibliothecae novum auctarium, Par. 1647.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 619-620. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010686088
Meyers 1908
[375] Proklos, neuplaton. Philosoph, geb. 411 n. Chr. in Konstantinopel, gest. 485 in Athen, widmete sich in Athen unter des Plutarchos und Syrianos Leitung dem Studium der Platonischen Philosophie, die er sodann hier bis an seinen Tod lehrte. Als Dichter kennen wir ihn noch aus zwei Epigrammen und einigen Hymnen, die erstern in der griechischen Anthologie, die letztern bei Boissonade (»Poetarum graecorum sylloge«, Bd. 8, Par. 1824). Seine übrigen Schriften, herausgegeben von Cousin (Par. 1820–25, 6 Bde.; 2. vermehrte Aufl. 1864) und Creuzer (Frankf. 1821–25, 4 Bde.), waren astronomischen, mathematischen (»Kommentar zu Eukleides«, hrsg. von Friedlein, Leipz. 1873), grammatischen (Kommentare zu Hesiod, Schriften über Homer etc.) und besonders philosophischen Inhalts; letztere teils selbständige Abhandlungen, teils Kommentare und Paraphrasen Platonischer Dialoge, von denen die zu Platons »Staat« teilweise von Schöll (Berl. 1886), vollständig von Pitra (im 5. Teil der »Analecta sacra et classica«, Rom 1888) und Kroll (Leipz. 1899–1901, 2 Bde.) und zu Platons »Timäos« von E. Diehl (das. 1903 bis 1906, 3 Bde.) herausgegeben wurden. Die Lehre des P. schließt sich im allgemeinen an die des Plotinos an, unterscheidet sich aber von ihr dadurch, daß P. das ursprüngliche geheimnisvolle Eins, das Plotinos (s. d.) dem forschenden Geist ganz entrückt hatte, theosophisch mittels subtiler Zahlenkombination zu ergründen sucht, daß er ferner den Glauben an eine unmittelbare Mitteilung der Götter über göttliche Dinge als zweites höheres Erkenntnisprinzip über die Vernunft und ihre Ideen stellt, endlich daß er den Elementen der Dämonologie und der Theurgie weiten Spielraum öffnet, indem er den Aberglauben des Heidentums spekulativ zu rechtfertigen sich bemüht. Ob die »Grammatische Chrestomathie« (abgedruckt in Westphals »Scriptores metrici graeci«, Bd. 1, Leipz. 1866), auf deren von Photios mitgeteilten Exzerpten unsre Kenntnis der griechischen Kykliker beruht, von ihm herrührt und nicht vielmehr von einem Grammatiker P. des 2. Jahrh. n. Chr., ist zweifelhaft. Vgl. Kirchner, De Procli neoplatonici metaphysica (Berl. 1846).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 375. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007292538
Eisler 1912
[572] Proklos, geb. 410 n. Chr. in Byzanz, erzogen zu Xanthos in Lykien (daher »der Lykier«), Schüler der Neuplatoniker Olympiodoros, Plutarch von Athen und Syrianos, lehrte (seit etwa 450) in Athen, wo er 485 starb. Er ist ein tiefer und scharfer Denker von großer dialektischer Kraft, zugleich aber dem Wunderglauben, der Theurgie, Magie u. dgl. zugeneigt. P., der ein außerordentlich fruchtbarer Schriftsteller von großer Gelehrsamkeit war, ist der Systematiker des späteren Neuplatonismus, gewissermaßen auch der »Scholastiker« desselben.
P. treibt die Transzendenz des Gottesbegriffes noch weiter als Plotin und Jamblich, auch schiebt er noch mehr Mittelwesen zwischen dem göttlichen Urwesen und den Sinnendingen ein. Dieses Urwesen ist seinem Wesen nach nicht erkennbar und sagbar, es ist der Urgrund des Seins und des Guten, nicht bloß Eines, sondern auch noch über die Einheit erhaben, überseiend (anaitiôs aition). Die Emanation der Wesen aus dem Absoluten und auseinander faßt P. als eine Art dialektischen Prozeß auf, als »triadische« Entwicklung; aus der Ursache, in der das Erzeugte vermöge seiner Ähnlichkeit verharrt (monê), tritt es infolge seiner Anderheit, Unähnlichkeit heraus (proodos) und wendet sich ihm dann wieder zu (epistrophê), indem es sich mit ihm verähnlicht. Dieser Dreischritt wiederholt sich so lange, bis das niederste Gebilde (die Materie) erzeugt ist, also mit abnehmender Vollkommenheit der Erzeugnisse. Aus der Ureinheit gehen die Henaden (henades), die göttlichen Einheiten hervor, die miteinander verknüpft sind und verschiedenen Rang haben. Die Henaden sind noch überseiend und übergeistig. Aus ihnen emaniert die Trias (Dreiheit) der intelligiblen (noêton), intelligibel-intellektuellen (noêton hama kai noeron) und intellektuellen (noeron) Welt (Theol. Platon. III, 24), entsprechend den Begriffen Güte und Sein (ousia), Kraft und Leben (zôê) und Denken oder Wissen. Die beiden ersten Welten gliedern sich wieder triadisch (Grenze, peras; Unbegrenztes, apeiron; Gemischtes, mixton usw.; drei Triaden: der gedachte, der gedachte und denkende, der denkende Gott). Auf der Grenze beruht alle Vereinigung, auf dem Unbegrenzten alle Vielheit. Die intellektuelle Welt (nous) gliedert sich in sieben »Hebdomaden« (Siebenheiten), deren Glieder ebenfalls Gottheiten sind. Die Ideen (ideai) gehören dem Intelligiblen an.
Die Seele geht aus dem Intellektuellen hervor. Sie ist ewig, unkörperlich und ungeteilt (pan to pros heauto, epistreptikon asômaton estin), lebendig, unsterblich, sie hat Teil an der göttlichen Einheit und Vernunft und erkennt die Dinge vermöge der ihr innewohnenden Prinzipien derselben; sie kann sich zur Anschauung der göttlichen Henaden und der Ureinheit selbst erheben. Die Materie ist unproduktiv, leidend, sie wird durch geistige Formen (logoi) gestaltet.
Schüler des P. sind Marinos, Asklepiodotos, Ammonios, Zenodotos, Isidoros aus Alexandria, Hegias, Hermeias, Damaskios.
SCHRIFTEN: Erhalten sind: In Platonis Timaeum Commentarius, 1534, 1847, 1903-06. – In Platonis rem publicam, 1899-1901. – In Theologiam Platonis, 1618. –Excerpta ex Procli scholiis in Platonis Cratylum, 1820, 1908. – In Platonis Parmenidem,[572] 1840. – In primum Euclidis elementorum librum Commentarii, 1873. – Institutio Theologica, 1583, 1618, 1820-22. – De providentia et fato; de malorum subsistentia, u. a. – Opera, ed. V. Cousin, 6 Bde., 1820-25, in einem Band: 1864. – Vgl. MARINUS, Vita Procli, 1700, 1850 (in der Ausgabe des Diog. Laërt. von Cobet). – A. BERGER, P., 1840.
Quelle: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 572-573. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001831607