Armenische Literatur

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Meyers 1905

[782] Armenische Literatur. Die Literatur der Armenier verdankt ihre Entstehung dem Christentum, das gegen Ende des 3. Jahrh. durch Gregor den Erleuchter (s. Gregor) in Armenien eingeführt wurde. Doch gilt den Armeniern mit Unrecht dieser Gregor, wie als der Begründer ihrer Kirche, so auch als der Begründer ihrer Literatur. Diese ist vielmehr erst durch Mesrop ermöglicht worden, der im Anfang des 5. Jahrh. (etwa 402) auf Grund des griechischen Alphabets das nationale armenische Alphabet schuf. Er und der Katholikos Sahak (gest. 439) wollten ihrem Volk eine eigne Quelle christlicher Bildung schaffen, um es von Persien und Syrien unabhängig zu machen und von der griechischen Mutterkirche nicht gänzlich abgeschnitten werden zu lassen, und sie erreichten, von der griechischen Regierung unterstützt, ihren Zweck durch Übersetzung der ihnen geeignet erscheinenden christlichen Werke, voran der Bibel (kritische Ausg., Vened. 1805). Zahlreiche Schüler setzten ihr Werk fort, und schon um 500 n. Chr. gab es eine sehr reiche Literatur von Übersetzungen aus dem Griechischen und, in geringerer Zahl, aus dem Syrischen. Von Schriften. die unmittelbar kirchlicher Interessen wegen übertragen wurden, nennen wir, außer der Bibel, die Kirchengeschichte und die Chronik des Eusebius, die Schriften Philos, die Apologie des Aristides, die Homilien und Kommentare des Joh. Chrysostomus, das Hexaemeron des Basilius Magnus, die Homilien des Severianus, die Katechesen des Cyrillus von Jerusalem, die Werke des Ephrem Syros, die Briefe deck heil. Ignatius, Schriften des Athanasius, Gregoro des Theologen, Gregors des Wundertäters, Gregors von Nyssa etc. Von profanen Werken: die Grammatik des Dionysius Thrax, das Leben Alexanders von Pseudokallisthenes, philosophische Schriften des Aristoteles etc. Während die Übersetzungstätigkeit auch in den folgenden Jahrhunderten blühte, entwickelte sich nun auch eine selbständige literarische Tätigkeit, die aber im wesentlichen auf Theologie und Geschichte beschränkt blieb. Es gehören hierher zahlreiche Kommentare zu den biblischen Büchern, Streitschriften, Homilien, Reden, Briefe, Gebete u. dgl. und eine lange Reihe historischer Werke, die zwar zunächst nur die Geschichte des armenischen Volkes behandeln, aber bei den mannigfachen Beziehungen desselben zu andern Völkern auch für die Geschichte der Perser, Byzantiner, Araber, Seldschuken und Mongolen von Wichtigkeit sind. Von untergeordneter Bedeutung ist die größtenteils erst dem spätern Mittelalter angehörende geographische, astronomische, juristische und medizinische Literatur. Unbedeutend ist auch die dichterische Produktion; neben kirchlichen Hymnen vnd sonstigen geistlichen Poemen ist nur etwa die Fabeldichtung hervorzuheben. Mit dem Schluß des 14. Jahrh. endigt die Blütezeit der armenischen Literatur. Unter den Schriftstellern des 5. und 6. Jahrh. sind neben den schon genannten Mesrop und Sahak d. Gr. hervorzuheben: die Historiker Agathangelos (»Geschichte des Gregor des Erleuchters«), Faustus von Byzanz (»Geschichte Armeniens«; deutsch von Lauer, Köln 1879), Elische oder Elisäus (»Geschichte der Kriege Wardans gegen die Perser«), Lazar von Pharp (»Geschichte Armeniens von 388–485«), der Philosoph David, der Theolog Eznik, vor allem aber der dem 5. Jahrh. angehörende Moses von Chorene, ein Schüler Mesrops, der berühmteste, aber zugleich tendenziöseste Geschichtschreiber Armeniens (vgl. A. v. Gutschmid, Über die Glaubwürdigkeit der armenischen Geschichte des Moses von Khoren, Leipz. 1876), unter dessen Werken (Gesamtausg., Vened. 1865) die »Armenische Geschichte« (deutsch von Lauer, Regensb. 1869) und eine Rhetorik als echt gelten können, während die ihm zugeschriebene Geographie erst im 7. Jahrh. entstanden ist. Aus dem 7. Jahrh. sind hervorzuheben: Johannes der Mamikonier, Theodoros Kherthenavor, Sahak III. (Katholikos), Sebêos; aus dem 8.: Johannes Odsnensis (Katholikos), Stephanus Siunensis, Levond oder Leontius; aus dem 10.: Johannes VI. (Katholikos), Thomas Arlsruni, Chosrow d. Gr., Mesrop der Priester, Grigor Narekensis (Verfasser vieler theologischer Werke), Moses Kalankamensis, Stephanus Asolik; aus dem 11.: Aristakès von Lastivert (»Geschichte Armeniens«, franz., hrsg. von Prudhomme, Par. 1864), Matthêos der Priester, Grigor Magistros; aus dem 12: Nerses Klajetsi mit dem Beinamen Schnorhali (Theolog und Dichter), Matthêos Urrhajensis, Nerses Lambronensis; aus dem 13.: Michael der Syrer, Wardan d. Gr., Kirakos (Cyriacus) von Gandsak, Malakhia der Mönch, Wahram mit dem Beinamen Rabuni, Stephanus Siunensis der Orbelier; aus dem 14. Jahrh. endlich: Sembat. Nach einigen Jahrhunderten des Verfalls der armenischen [782] Bildung und der Entartung der Literatur ist in neuerer Zeit namentlich durch die Wirksamkeit Mechitars (1676–1749) und der von ihm gestifteten Kongregation der Mechitaristen in San Lazaro bei Venedig (später auch in Wien) Armenien aufs neue in Beziehung zur europäischen Kultur gekommen und zu neuem geistigen Leben erwacht, von dem zu erwarten ist, daß es trotz der Ungunst der politischen Verhältnisse seine aufsteigende Richtung fortsetzen werde. Um die Erforschung der armenischen Literatur haben sich in der Neuzeit auch schon vor den Mechitaristen einige Europäer, besonders Italiener und Franzosen, verdient gemacht, aber ihre Leistungen wurden von denen der Mechitaristen weit überholt. Diese haben nicht nur die armenische Altertumskunde, die politische und Literaturgeschichte, die alte und neue Geographie etc. in zum Teil ausgezeichneten Werken bearbeitet, sondern auch eine große Zahl armenischer Handschriften gesammelt und dadurch vor dem Untergang bewahrt und die Hauptwerke der altarmenischen Literatur durch den Druck allgemein zugänglich gemacht. So haben sie nicht nur für die Hebung der Bildung der armenischen Nation selbst viel getan, sondern auch der europäischen Wissenschaft wichtige Dienste geleistet. Ihrem Beispiel folgten nicht nur Armenier aller Länder, sondern auch europäische Gelehrte, wie in Frankreich St. Martin, Dulaurier, Carrière, in Deutschland Petermann, A. v. Gutschmid, de Lagarde, Vetter, Gelzer, in der Schweiz Baumgartner, in England Conybeare. – Um die Sammlungen von Übersetzungen armenischer Historiker hat sich Vict. Langlois, durch französische Übersetzungen Brosset, durch russische Patkanean besonders verdient gemacht. Langlois veröffentlichte »Collection des historiens anciens et modernes de l'Arménie« (Par. 1867–69, 2 Bde.), wovon Bd. 1: Agathangelos, Faustus von Byzanz, Zenob Glak, Johannes den Mamikonier, Bd. 2: Koriun, Leben des heil. Nerses, Moses von Chorene, Elisäus, Lazar von Pharp u.a. enthält. Brosset gab heraus: »Histoire de la Siounie, par Stéphannos Orbélian« (Petersb. 1864); »Histoire chronologique par Mkhithar d'Aïrivank« (13. Jahrh.; das. 1869); »Kiracos de Gantzag« (13. Jahrh.) und »Oukhtanès d'Ourha« (10. Jahrh.; das. 1870, 2 Bde.); »Collection d'historiens arméniens« (Bd. 1 u. 2, das. 1874–76). Vgl. Somal, Quadro della storia letteraria di Armenia (Vened. 1829; deutsch bearbeitet von K. F. Neumann als »Versuch einer Geschichte der armenischen Literatur nach den Werken der Mechitaristen«, Leipz. 1336); Karekin, Geschichte der armenischen Literatur (in armen. Sprache, 2. Aufl., Vened. 1886); Patkanean, Catalogue de la littérature arménienne (im »Bulletin de l'Académie de St-Pétersbourg«, 1860, Teil 2); Derselbe, Bibliographischer Umriß der armenischen historischen Literatur (russ., Petersb. 1880); »Bibliographie arménienne« (Vened. 1883; in armen. Sprache von Karekin); »Catalogue des anciennes traductions arméniennes, siècles IV-XIII« (das. 1889; in armen. Sprache von Karekin).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 782-783. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006251900


Brockhaus 1911

[99] Armenischer Literatur. Sie beginnt im 5. Jahrh. n. Chr. (Bibelübersetzung Mesrops und Sahaks d. Gr.), sinkt im 14. Jahrh. Inhalt hauptsächlich theolog. und histor. Werke, die aus dem Griechischen und Syrischen übersetzt und vielfach nur in armen. Übersetzung erhalten sind; Poesie spärlich. Bedeutendster Historiker Moses (s.d.) von Chorene. Das Interesse für die A. L. wurde gefördert durch die Mechitaristen in San Lazzaro (Venedig) seit 1717 und in Wien seit 1810. – Literaturgeschichte von Neumann (1836), Karekin (armenisch, 1886), Nève, »L'Arménie chrétienne et sa littérature« (1886).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 99. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000917001


Herders

[258] Armenische Sprache und Literatur. Die altarmenische Sprache ist eine Ursprache, zu dem indogermanischen Sprachstamme gehörig, jetzt aber nur mehr Sprache der Kirche und Literatur; das Neuarmenische ist durch die Vermischung mit andern orientalischen Sprachen von der Ursprache bedeutend verschieden, namentlich hat das Türkische stark eingewirkt. Die Literatur der Armenier beginnt mit ihrer Bekehrung zum Christenthume und ist meistens theologischer und chronologischer Natur; viele der bedeutendsten Werke sind Uebersetzungen; so übersetzte Mesrop die Bibel, Sahag, Joseph, Eznich, Johann, Arzan, Leontes und Gorium übersetzten griechische und syrische Kirchenväter und Schriften des klassischen Alterthums, so daß uns einzelne Schriften des Basilius und Chrysostomus, das Chronicon des Eusebius u.a. nur in armenischer Uebersetzung erhalten sind. Unter den Geschichtschreibern und Geographen der Armenier ragt Moses von Chorene hervor, starb 487; ferner ist zu nennen Agathangelos, Zenob der Assyrer, Faustus Byzantinus, Elisäus, Lazarus aus Barb, alle aus dem 4. u. 5. Jahrh.; in neuester Zeit hat Tschamtschenanz die Geschicke seines Volkes beschrieben. Die poetische Literatur ist noch beschränkter; außer den Kirchenhymnen kennt man nur die Gedichte des Nerses Klajensis, die Fabeln des Mechitar Kosch und Vartan. Das Studium der armenischen Sprache und Literatur ist erst in neuester Zeit in Europa einheimisch geworden, besonders durch die Bemühungen der armenischen Mönche auf St. Lazzaro bei Venedig, wo seit 1826 armen. Schriftsteller herausgegeben werden. Vergl. Mechitaristen.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 258. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000320782X