Hugo, Victor

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Meyers 1907

[612] Hugo (spr. ūgo), Victor Marie, berühmter franz. Dichter, geb. 26. Febr. 1802 in Besançon, gest. 22. Mai 1885 in Paris, war der Sohn eines Offiziers, Sigisbert H., der sich in der Folge zum General und Grafen des Kaiserreichs emporschwang, und der royalistisch gesinnten Tochter eines Reeders von Nantes, Sophie Trébuchet. Für die militärische Laufbahn bestimmt, begleitete er den Vater auf dessen wechselvollen Zügen nach Italien und Spanien. Seine erste Gedichtsammlung, die »Odes et ballades« (1822–26, 3 Bde.), die ihn noch als königstreuen Katholiken zeigt, läßt noch häufig die hergebrachten Muster erkennen, aber der hinreißende Schwung der Sprache, die Kühnheit der Bilder und die ungewohnte Behandlung des Verses verkündigen bereits den künftigen poetischen Revolutionär. Vom König Ludwig XVIII. mit einer Pension von 1000 (später 2000) Frank bedacht, verheiratete sich H. 1822 mit Adéle Foucher (vgl. »Victor H., lettres à la fiancée, 1820–1822«, Par. 1901) und ließ zunächst zwei Romane: »Han d'Islande« (1823) und »Bug Jargal« (1825), erscheinen, worin er sich schon entschlossener von der klassischen Richtung losriß und, wenn zunächst auch nur durch die Vorliebe für das Schauerliche, Mißgeformte und Ungeheure, das Signal zu der großen romantischen Bewegung gab. deren oberster Vertreter er in den nächsten 20 Jahren sein sollte. Weiterhin folgten: das die Verhältnisse eines Bühnenabends weit überschreitende Trauerspiel »Cromwell« (1827), in dessen Vorrede (diese hrsg. von Souriau, 1897) er zugleich sein damaliges ästhetisch-philosophisches Glaubensbekenntnis ablegte; die »Orientales« (1828), Gedichte, welche die Erhebung Griechenlands feiern u. den Zauber des Orients in farbenglühenden Strophen preisen; und die Dramen: »Marion de Lorme« (1829), die Verherrlichung einer durch Liebe rein gewaschenen und verklärten Kurtisane, und »Hernani«, das 1830 zur ersten Ausführung kam und zu einer offenen Schlacht zwischen den Klassizisten und Romantikern Veranlassung gab. Das Stück ist der eigentliche Prototyp des Hugoschen Drama s mit all seinen Gebrechen und Absonderlichkeiten, aber auch mit seinem über alle Bedenken hinwegreißenden Schwung der Sprache und seinen grellen, jedoch durch die Form geadelten Effekten. Mit wechselndem Erfolg lösten sich in den nächsten Jahren auf dramatischem Gebiet ab: »Le roi s'amuse« (1832), nach der ersten Vorstellung verboten; »Marie Tudor« und »Lucrèce Borgia« (1833); »Angelo« (1835); »Ruy Blas« (1838) u. die Trilogie »Les Burgraves« (1843), welch letztere dem Dichter eine so empfindliche Niederlage bereitete, daß er dem Theater für lange Zeit den Rücken kehrte. Fast nur »Hernani« und »Ruy Blas« haben sich auf der Bühne gehalten Von sonstigen Werken fallen noch in diese Periode: der Roman »Notre Dame de Paris« (1831), ein zuweilen absonderliches, aber farbenreiches Kulturgemälde des mittelalterlichen Paris; sodann »Le dernier jour d'un condamné« (1829), ein ergreifendes Plaidoyer gegen die Todesstrafe, dem sich »Claude Gueux« (1834) mit gleicher Tendenz anschloß; die »Feuilles d'automne« (1831), eine Sammlung von Gedichten, in denen die politische und sogar die revolutionäre Saite schon ziemlich vernehmlich anklingt; die »Etudes sur Mirabeau« (1834); die »Chants du crépuscule« (1835) mit dem berühmten Liederzyklus an die Vendômesäule (»A la colonne«); ferner: »Les voix intérieures« (1837); »Les rayons et les ombres« (1840) und »Le Rhin«, Reiseerinnerungen (1842, 2 Bde.). Viele seiner Liebeslieder sind an die schöne Schauspielerin Juliette Gauvain (Frau Drouet) gerichtet, deren Gesichtszüge in dem Standbilde der Straßburg auf dem Concordeplatz verewigt sind, und die H. in der Prinzeß Negroni (in »Lucrèce Borgia«) zu schildern suchte. Das Liebesverhältnis, das von Frau H. geduldet wurde, hat lange Jahre bestanden. Inzwischen war H. 1841 zum Mitgliede der französischen Akademie erwählt worden, und im April 1845 ernannte ihn Ludwig Philipp zum Pair von Frankreich. In politischer Hinsicht war er mehr und mehr zum Liberalismus übergegangen und stand eine Zeitlang den Bonapartisten nahe. Als Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung von 1848 nahm er trotzdem anfangs seinen Sitz auf der Rechten, bis er mit einem kühnen Satz ins Lager der äußersten Linken übertrat. Nach dem Staatsstreich vom 2. Dez. 1851 als einer der ersten proskribiert, zog sich H. mit seiner Familie nach der Insel Jersey, einige Zeit später nach Guernsey zurück und veröffentlichte von hier aus 1852 das Pamphlet »Napoléon le Petit« und 1853 die haßerfüllten Gedichte »Les Châtiments«. In der Verbannung nahm Hugos Lyrik vorwiegend philosophische Tendenzen an, denen er seitdem in zahlreichen, an Wert ungleichen Dichtungen Ausdruck gegeben hat. Dahin gehören: »Les Contemplations« (1856, 2 Bde.); »Chansons des rues et des bois« (1865); »La légende des siècles«, in tühnen, oft dunkeln Visionen alle Zeitalter und Formen der menschlichen Zivilisation umfassend (1859, zweite Serie 1877, letzte 1883); »Le Pape« (1878); »Religions et religion« (1879); »L'âne« (1880), sämtlich in den Jahren des Exils entstanden. Auf dem Felde des Romans kultivierte er um diese Zeit die sozialen Fragen in »Les Misérables« (1862, 10 Bde.), »Les travailleurs de la mer« (1866, 3 Bde.) und »L'homme qui rit« (1869, 4 Bde.). Außerdem entstand damals sein Buch »William Shakespeare« (1864). Gegen das Kaiserreich bis zuletzt unversöhnlich, kehrte er erst nach dessen Sturz 1870 nach Paris zurück, beschenkte die belagerte Stadt mit zwei Geschützen und wurde im Februar 1871 in die Nationalversammlung von Bordeaux gewählt, wo er gegen den Friedensschluß protestierte, jedoch bald darauf austrat. Bei einer zweiten Kandidatur 1872 in Paris unterlag er infolge seiner Sympathien für die Kommune, dagegen wurde er 1876 von den Vertretern der Hauptstadt in den Senat gewählt. Seit seiner Rückkehr publizierte er noch: »L'année terrible« (1872), voll von Rachedurst und den ausschweifendsten Zornergüssen gegen Napoleon III. und gegen die Deutschen; »Quatrevingt-treize«, einen in der Vendée spielenden Roman mit leider ganz falscher Lokalfarbe (1874); »Mes fils«, Gedenkblatt für seine früh verstorbenen Söhne (in Charles Hugos »Hommes de l'esprit«, 1874); »Actes et paroles, 1841–1876« (1875–76, 3 Bde.; deutsch, Berl. 1875–77, 3 Bde.); »L'histoire d'un crime«, die Geschichte des Staatsstreichs vom 2. Dez, nach persönlichen Erlebnissen erzählt (1877); »L'art d'être grand-père«, ein lyrisches Familienbild (1877), und »La pitié suprême«, ein Schlußplaidoyer für die Amnestie der Kommuneverbrecher (1879).[612]

H. ist in den Augen der Franzosen ihr größter und universellster Dichter. Was ihn insbes. über die besten seiner Zeitgenossen erhebt, ist die bei Dichtern so seltene Eigenschaft: Kraft. Gewaltig ist er in der Schilderung menschlicher Leidenschaft wie großer Naturerscheinungen, in der Behandlung der nationalen Sprache, die er nachgerade verjüngt hat, wie in der Struktur des spröden französischen Verses, den er um ungeahnte Modulationen bereichert hat. Auf der andern Seite kann H. den Hang des Romanen zum Überschwenglichen, Schwülstigen und Betäubenden, zum grob materiellen Effekt nie verleugnen. Humor ward ihm kaum verliehen, und witzig ist er nie gewesen. So versinnlicht H. in seiner öffentlichen wie in seiner schriftstellerischen Laufbahn die vollkommenste Form des Franzosen des 19. Jahrhunderts. Nach seinem Tod erschienen: »Théâtreen liberté« (1886) und »La fin de Satan« (1886). Seit 1837 war H. Offizier der Ehrenlegion. Eine Gesamtausgabe seiner Werke (»Ne varietur«) erschien 1880–89 in 48,1889 ff. in 70 Bänden. In deutscher Übersetzung hat man von ihm: »Sämtliche Werke, übersetzt von mehreren« (3. Aufl., Stuttg. 1858–62, 21 Bde.); »Poetische Werke«, übersetzt von L. Seeger (unvollendet; das. 1860–62, 3 Bde.), und eine Auswahl von Hugos Gedichten, übersetzt von Freiligrath (Frankf. a. M 1815). In »Victor H., raconté par un témoin de sa vie« (1863) hat der Dichter seiner eignen Frau die Feder geführt. Sein Briefwechsel erschien in 2 Bänden: »Correspondance 1815–1835« (Par. 1896) und »Correspondance 1836–1882« (das. 1898). Vgl. außerdem Rivet, Victor H. chez lui (1878); P. de Saint-Victor, Victor H. (1885); Barbou, V. H. et son temps (1881; deutsch von Weber, Leipz. 1881); Asseline, V. H. intime (1885); Ulbach, La vie de V. H. (1886); Biré, V. H. avant 1830 (1883), V. H. après 1830 (1891, 2 Bde.) und V. H. après 1852 (1894; Biré ist Reaktionär und ein heftiger Gegner Hugos); E. Dupuy, V. H., l'homme et le poète (3. Aufl. 1898) und La jeunesse de V. H. (1902); Mabilleau, V. H. (3. Aufl. 1902); Renouvier, V. H., le poète (1893) und V. H., le philosophe (1900); Theys, Métrique de V. H. (Lüttich 1895); Claretie, V. H., souvenirs intimes (1902); P. Stapfer, V. H. et la grande poésie satirique (1901); »Victor H., leçons faites à l'École normale« (hrsg. von Brunelière, 1902, 2 Bde.); Glachaut, Essai critique sur le théàtre de V. H. (1902); »Legay, V. H., jugé par son siècle« (1902); T. Gautier, V. H. (1902); Lesclide, V. H. intime (1902); Dannehl, Victor H. (Berl. 1886); Martin Hartmann, Chronologische Auswahl der Gedichte Hugos (Leipz. 1884) und Zeittafel zu Hugos Leben und Werken (Oppeln 1886); Möll, Entstehung der »Orientales« (Heidelb. 1901); Sleumer, Die Dramen V. Hugos (Berl. 1901); Barnett Smith, V. H., his life and works (Lond. 1885); Swinburne, A study of V. H. (das. 1886; Swinburne ist Hugos Hauptnachahmer in England); Nichol, V. H. (das. 1893); P. Ahlberg, V. H. och det nyare Frankrike (Stockh. 1879–80, 3 Bde.); Levin, V. H. (Kopenh. 1902, 2 Bde.).

Von Hugos Söhnen ist Charles (geb. 1826), der an der Seite seines Vaters publizistisch wirkte und auch einige jetzt vergessene Romane schrieb, 15. März 1871 in Bordeaux, der zweite, François (geb. 1828), Verfasser einer lobenswerten Übersetzung von Shakespeares sämtlichen Dramen und Sonetten, 25. Dez. 1873 in Paris gestorben. – Von seinen Töchtern starb Adele in einer Irrenanstalt; Leopoldine ertrank 1843 mit ihrem Gatten, einem Bruder des Schriftstellers Vacquerie, in der Seine. Die Witwe Charles Hugos hat sich 1877 mit dem Politiker Edouard Lockroy (s. d.) wieder verheiratet. Die Tochter Charles', Jeanne, die im »Art d'être grand-père« verherrlicht ist, ist mit dem Sohn A. Daudets vermählt.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 612-613. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000679663X


Pierer

Hugo 2) Victor Marie, geb. den 26. Febr. 1802 in Besançon, der Sohn eines Obersten u. der Tochter eines Capercapitäns aus der Vendée. Sein Vater nahm ihn als zweijähriges Kind mit sich nach Elba; dort blieb er bis 1805, kehrte dann mit seiner Mutter nach Frankreich zurück, kam 1807 nach Italien, wo sein Vater als Gouverneur von Avellino mit den Banditen, bes. mit Fra Diavolo, in stetem Kampfe lag, u. hier empfing er die Eindrücke des Schauerlichen u. Romantischen für seine nachmaligen Schriften. 1809 kehrte er mit seiner Mutter nach Paris zurück u. ging 1811 mit seinen Eltern nach Spanien, wo sein Vater Gouverneur von zwei Provinzen geworden war, kehrte aber 1812 mit der Mutter wieder nach Paris zurück u. widmete sich nun hier den Studien. Als Lahorie, sein Freund, 1812 mit Mallet erschossen wurde, faßte H. einen tiefen Haß gegen das Kaiserreich u. ebenso schloß er sich nach der Julirevolution den Liberalen an. 1841 wurde er Mitglied der Akademie; 1845 zum Pair ernannt, machte er sich 1847 in der Pairskammer durch glänzende Reden für die Freiheit der Wahlen u. die der Presse bemerkbar u. sprach für die Aufhebung der Verbannung Ludwig Napoleons. Am 24. Febr. 1848 rief er auf dem Bastilleplatz die Herzogin von Orleans als Regentin aus, dann wurde er Maire des neunten Arrondissements von Paris u. in die Constituirende Versammlung gewählt, wo er auf der Linken saß, in den Junitagen nahm er persönlichen Antheil an dem Kampfe gegen die Insurgenten, gründete im August mit mehreren Menschenfreunden, an deren Spitze der Bischof von Langres stand, einen Philanthropischen Club, welcher sich um das leibliche u. geistige Wohl der in den Forts untergebrachten Gefangenen bekümmerte, stimmte am 4. Novbr. gegen die Verfassung u. trat 1849 in die Gesetzgebende Versammlung ein, wo er mit der Rechten votirte. Er gehörte zu der sich in diesem Jahre in Paris versammelnden Friedensgesellschaft u. eröffnete am 22. Aug. als Vorsitzender dieselbe. Nachdem er im Mai 1850 der Wahlreform entgegen gewesen war, trat er wieder zur Linken über, war 1851 thätig für die italienisch-republikanische Anleihe, sprach am 17. Juli d. J. gegen die Verfassungsrevision u. wurde von der Linken während der Prorogation der Gesetzgebenden Versammlung (vom 10. Aug. bis 4. Nov.) in die Überwachungscommission gewählt. Nach dem Staatsstreiche vom 2. Decbr. 1851 wurde er aus Frankreich verbannt u. lebte in Brüssel, dann auf der englischen Insel Jersey u. seit 1854 in Guernsey. In der Literatur ist er bes. im lyrischen Gedicht u. Drama Haupt u. Repräsentant der Romantiker (s. Französische Literatur IV.). Er schr. die Gedichte: La statue de Henri IV., Les vierges de Verdun u. Moise sur le Nil; Odes et ballades, Par. 1822–26, 3 Bde., 3. Aufl. 1845; die Romane: Han d'Islande, ebd. 1823, 4 Bde., u. Ausg. ebd. 1845; Bug-Jargal, ebd. 1829, 3 Bde., 2. A. 1839; Le dernier jour d'un condamné, ebd. 1829, 4. A. 1845; Notre Dame de Paris, ebd. 1831, 4. A. 1844 (spanisch 1838); die Dramen: Artaménes, 1816, Athelis, 1817, Cromwell, 1841, u. Le Roi s'amuse; Hernani, Marion, Delorme, Angelo; La Esmeralda, Ruy Blas, Les Burgraves, Lucrèce Borgia, Marie Tudor, 1829–45, gesammelt 1841–47, 3 Serien; Feuilles d'automne, ebd. 1832, 5. A. 1846; Litérature et philosophie mèlées, ebd. 1834, 2 Bde., 2. A. 1841; Les orientales, 2. Ausg. 1845; Les chants du crépuscule, 1835 (englisch: Songs of twilight, 1836 ); Les voix intérieures, 3. Ausg. 1841; Les rayons et les ombres, 1840; Etude sur Mirabeau, 1834; Le retour de l'Empereur, 1841; Le Rhin, 3. A. 1845; Napoléon le petit, Brüssel 1852; Le châtiment u. Belsazar, 1853; Les misères (philosoph. Roman), 1854, 4 Bde.; Les contemplations, 1856; Oeuvres complètes, Par. 1819.–1838, 22 Bde., n. A. 1840 f.; Werke, deutsch, Frankf.[590] 1835, 8 Bde.; von Seybold, Stuttg. 1835 ff.; gab die Mémoires de Mirabeau, ebd. 1834, 8 Bde., u.a.m. heraus, u. redigirte auch mit einigen Freunden den Conservateur litéraire. 3) Jean Abel, Bruder des Vor., geb. 1799, starb im Febr, 1855 in Paris; Historiker u. Dichter; er schr. nach dem Spanischen: Romances histor. Par. 1822; Hist. de la campagne d'Espagne en 1823. ebd. 1824, 2 Bde.; Hist. de l'Empereur Napoléon, ebd. 1832; mit Romieu: Pierre et Thomas Corneille, ebd. 1823; France pittoresque, ebd. 1833; France militaire de 1792 à 1833, ebd. 1834; France historique et monumentale, ebd. 1836–43. 4) Charles, Sohn von H. 2), geb. 1826; von Lamartine nach der Februarrevolution als Aspirant im Cabinet des Auswärtigen angestellt, wurde er, als Bastide dieses Portefeuille übernahm, zum Attaché bei der Legation von Rio-Janeiro ernannt, was einer Verbannung gleich kam, weshalb er seine Entlassung einreichte. In den Jahren 1848, 49 u. 50 war er Mitarbeiter am Corsaire, der Presse u. Evénement. Schon im Juni 1851 wegen Preßvergehen verurtheilt, wurde er im Juli d. J. wegen des Artikels Un aveu verhaftet, in die Conciergerie gebracht u. im Septbr. zu neun Monaten Gefängniß u. 2000 Frcs. Geldstrafe verurtheilt. 5) F. Victor, Bruder des Vor., geb. 1829, ist Mitarbeiter des Evénement.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 590-591. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010140433


Brockhaus 1838

[419] Hugo (Victor Marie, gewöhnlich nur Victor Hugo genannt), ein franz. Dichter, das Haupt der romantischen Schule (s. Franz. Kunst, Literatur und Wissenschaft), wurde am 26. Febr. 1802 zu Besançon geboren. Sein Vater war der General Graf Jean Louis H., der sich besonders in Spanien hervorthat. Die Jugend des Dichters war eine stürmisch bewegte, doch sehr zeitig schon entwickelte sich das poetische Talent desselben. Er schrieb 1817 ein Gedicht, mit dem er sich um den von der Akademie ausgesetzten Preis für das beste poetische Product bewarb, und er soll den Preis nur deshalb nicht erhalten haben, weil die Kunstrichter die Meinung hegten, der Verfasser des Gedichts wolle sie mit seiner Angabe, daß er erst 15 Jahre alt sei, verspotten. Durch seine Mutter war H. eine entschiedene Abneigung gegen die Revolution und gegen Napoleon eingeflößt worden und diese Richtung sprach sich auch in seinen frühern poetischen Leistungen aus. Er erhielt vom König Ludwig XVIII. eine Pension als Belohnung für den Edelmuth, mit welchem er sich eines von den Gerichten verfolgten Jugendfreundes angenommen hatte, und diese Pension setzte ihn in Stand, mit einer Jugendgeliebten sich 1823 ehelich zu verbinden. Mehrmals hatte sich H. schon mit Glück um Preise für Dichtwerke beworben, aber die erste Sammlung seiner Gedichte, welche er 1822 erscheinen ließ, machte doch wenig Aufsehen. Erst nachdem H. seine Gesinnung völlig geändert hatte und nun mit Begeisterung die Ideen aussprach, welche eine zeitgemäße Revolution in der franz. Literatur hervorbrachten, fand er den entschiedensten Beifall. Seine Ode an die Säule auf dem Vendômeplatze machte großes Aufsehen und in seinen spätern Werken bezauberte er die Franzosen ebenso sehr durch seine wahrhaft ausgezeichneten Eigenschaften, wie durch seine nicht minder hervorstechenden Fehler. H. ist in Bezug auf Gewalt der Sprache, Kühnheit der Phantasie, dramatische Wirkung einer der größten dramatischen Dichter, aber seine Neigung das Grausenhafte, ja Abscheuliche herbeizuziehen, um seine Leser und Hörer zu erschüttern, raubt seinen Werken die Würde und Besonnenheit, welcher das wahre Kunstwerk niemals entbehren soll. »Hernani« und »Marie Tudor« sind die ausgezeichnetsten seiner dramatischen Werke und ein nicht minder ausgezeichnetes Werk ist sein Roman »Notre Dame de Paris«, welcher ein Sittengemälde von Paris im Jahre 1482 gibt.

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 419. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000834106


Herders

[363] Hugo, Victor Marie, einer der einflußreichsten und bei uns mehr als genügend [363] bekannter Dichter Frankreichs, geb. 1802 zu Besançon, Sohn eines französ. Oberoffiziers, in Kalabrien, Spanien, zumeist aber in Paris u. im Colleg Ludwigs XIV. erzogen, fand schon 1819 mit seinen Gedichten Anerkennung, entwickelte auch als Romanenschreiber und Dramatiker eine ungemeine Fruchtbarkeit, seitdem er 1822 von der Regierung eine Pension bekommen, wurde seit 1830 das Haupt der s. g. Romantiker, 1845 Pair, saß seit 1848 in der constituirenden und legislativen Versammlung, wurde nach dem 2. Dez. 1851 aus seinem Vaterlande verbannt und wartet in England auf bessere Zeiten. Schon als Kind lernte Hugo Napoleon L hassen; er war Royalist, bis er merkte, daß sein Royalismus seinen dichterischen Erfolgen zu vielen Eintrag thue, schritt unter dem Juliregiment vom gemäßigten Liberalismus zum Radicalismus fort, zeigte sich seit 1848 als feuriger Republikaner und Feind des Präsidenten Napoleon, gegen welchen er 1852 von Brüssel aus die Schrift: »Napoléon le petit« schleuderte, deren Verbreitung auch in deutschen Staaten durch Verbote mehr gefördert als gehindert worden sein soll. Als Dichter ist H. unstreitig in seinen lyrischen Leistungen ausgezeichnet (Oden u. Balladen 1822 bis 1824); Orientales 1828; Herbstblätter 1831) und vereiniget überhaupt große poetische Anlagen mit einer seltenen Meisterschaft der Sprache, aber in seinen Romanen und Dramen schritt die Gluth seiner Phantasie fort zur Zügellosigkeit, die alle Kunstregeln mit Füßen tritt, die Freude am Bizarren u. Gräßlichen (Han der Isländer 1823; Notre-Dame de Paris 1831) hatte ihren ersten und vorzüglichsten Grund in der Sucht nach Effecthascherei und wurde namentlich in den Dramen (Le roi sʼamuse 1832; Lucretia Borgia 1833 u.s.f.) als Freude an Blut, Mord u. Schande offenbar. H.s Werke (die Prachtausgabe von 1840 füllte bereits 13 Bde.) wurden in Deutschland mit Heißhunger übersetzt und gelesen, die Stuttgarter Uebersetzung (1830–1843) füllt 25 Bde. Vgl. Französ. Literatur Bd. II. S. 785–786.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 363-364. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003376931


Brockhaus 1911

[834] Hugo (spr. ügoh), Victor Marie, franz. Dichter, geb. 26. Febr. 1802 zu Besançon, errang schon mit 15 J. die Anerkennung der Akademie (seit 1841 Mitglied) für seine Dichtungen, eifriger Politiker, anfangs royalistisch und katholisch gesinnt, 1845 Pair, 1848 in der Legislative entschiedener Wortführer der demokratisch-sozialen Partei, nach dem Staatsstreich von 1851 als heftiger Gegner Napoleons III. verbannt, hielt sich auf der Insel Jersey, dann auf Guernsey auf, kehrte nach dem 4. Sept. 1870 nach Paris zurück, seit 1876 Senator, gest. 22. Mai 1885; Haupt der romant. Schule, bedeutend als Lyriker (»Odes et ballades«, 1821-26; »Les Orientales«, 1829; »Chants du crépuscule«, 1835; »Les rayons et les ombres«, 1840; »Les contemplations«, 1856, etc.), Dramatiker (»Cromwell«, 1827; »Hernani«, 1830; »Le roi s'amuse«, 1832; »Lucrèce Borgia«, 1833, etc.) und Romandichter (»Notre-Dame de Paris«, 1831; »Les misérables«, 1862; »L'homme qui rit«, 1869; »Quatre-vingt-treize«, 1874, etc.), die meisterhafte Streitschrift »Le dernier jour d'un condamné« (1829), das polit. Pamphlet »Napoléon le petit« (1852) u.a. – Vgl. »Victor H.« (von seiner Frau, 2 Bde., 1863; auch deutsch), Schmeding (1887), Brunetière (1902), Claretie (1902).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 834. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001201247