Litauische Sprache und Literatur

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Meyers 1908

[612] Litauische Sprache und Literatur. Das Litauische bildet mit dem Lettischen und dem Preußischen den »baltischen« Sprachstamm, der mit dem Slawischen zusammen eines der acht Hauptglieder der indogermanischen Sprachfamilie ausmacht. Es ist die Sprache des Landvolkes in der Gegend um Memel und Tilsit und in den russischen Gouvernements Kowno und Wilna. In manchen Beziehungen, namentlich in bezug auf das rein lautliche, ist das Litauische die altertümlichste von allen lebenden indogermanischen Sprachen und hat daher von Anfang an die besondere Aufmerksamkeit der vergleichenden Sprachforscher erregt. Schon in Bopps vergleichender Grammatik ist die litauische Sprache behandelt, aber A. Schleicher war der erste, der diesen Schatz systematisch zu heben suchte, indem er 1852 eine Art Entdeckungsreise nach Litauen unternahm und den Bauern durch Abfragen die Formen ihrer Sprache sowie verschiedene ihrer volkstümlichen Lieder (Dainos), Fabeln und Märchen entlockte. Die Resultate seiner Reise legte er in einem »Handbuch der litauischen Sprache« nieder, wovon der erste Teil die Grammatik (Prag 1855), der zweite das Lesebuch mit Glossar (das. 1856) enthält; eine Übersetzung des zweiten Teils sind Schleichers »Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder« (Weim. 1857). Seitdem haben oft noch Indogermanisten und Slawisten, z. B. Bezzenberger, Brugmann und Leskien, Studien unter den Litauern selbst gemacht, namentlich um auch die reiche Dialektentwickelung der Sprache näher zu erforschen. Für die Zwecke der Sprachvergleichung verwertete Schleicher das Litauische selbst in seinem »Kompendium der vergleichenden Grammatik« (4. Aufl., Weim. 1876), Brugmann in seinem »Grundriß der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen« (Straßb. 1886–92, 2 Bde.; Bd. 1 in 2. Aufl. 1897) u.a.; zahlreiche Monographien enthalten auch verschiedene Zeitschriften. Wörterbücher lieferten Nesselmann (Königsb. 1851) und Kurschat (Halle 1872–74, 2 Bde.), eine Grammatik (das. 1876) ebenfalls Kurschat, von dem bereits früher »Beiträge zur Kunde der litauischen Sprache« (Königsb. 1843 u. Berl. 1849) erschienen waren; Bezzenberger gab »Beiträge zur Geschichte der litauischen Sprache« (Götting. 1877), O. Wiedemann ein »Handbuch der litauischen Sprache: Grammatik, Texte, Wörterbuch« (Straßb. 1897) heraus. 1879 bildete sich in Tilsit eine Litauische literarische Gesellschaft, die in ihren »Mitteilungen« die Überreste des gegen die Deutschen, Russen und Polen stetig an Boden verlierenden litauischen Sprach- und Volkstums in möglichster Vollständigkeit zu sammeln bestrebt ist. Die Literatur des Litauischen ist äußerst unbedeutend, das einzige größere selbständige Werk in litauischer Sprache ist das Gedicht »Die Jahreszeiten«, das von dem Dichter Donalitius (s. d.) aus dem 18. Jahrh. herrührt und von Rhesa (1818), von Schleicher (Petersb. 1865) und Nesselmann (Königsb. 1868) herausgegeben wurde. Außerdem gibt es nur Gebet- u. Erbauungsbücher, die ältesten aus dem 16. Jahrh.; dagegen besitzen die Litauer eine reichhaltige Volkspoesie. Märchen, Rätsel und Lieder gab, wie erwähnt, Schleicher heraus. Andre Sammlungen von Volksdichtungen veröffentlichten Rhesa (»Dainos«, neue Aufl. von Kurschat, Berl. 1843), Nesselmann (das. 1853), Juszkiewicz (»Lietuviškos dainos«, Kasan 1880–82, 3 Tle.), Brugmann und Leskien (»Litauische Lieder und Märchen«, mit Übersetzung, Straßb. 1882) und Chr. [612] Bartsch (»Dainu Balsai«, Melodien litauischer Volkslieder mit Textübersetzung etc., Heidelb. 1887–89, 2 Tle.). Über litauische Mythologie handelte Schleicher in seinen »Lituanica« (»Abhandlungen der Wiener Akademie«, 1854) und Bezzenberger in den »Litauischen Forschungen zur Kenntnis der Sprache und des Volkstums der Litauer« (Götting. 1882). »Mythen, Sagen und Legenden der Zamaiten (Litauer)« gab Veckenstedt heraus (Heidelb. 1883, 2 Bde.). Die interessanteste Figur des altlitauischen Götterglaubens ist der Donnergott Perkunas (s. d.). Viele Beiträge zur litauischen Volkskunde enthalten die erwähnten »Mitteilungen der Litauischen literarischen Gesellschaft«, die 1894 auch »Litauische Kirchengesänge«, gesammelt von W. Hoffmann, herausgab.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 612-613. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007008473


Brockhaus 1911

[66] Litauische Sprache, ein Teil der sog. litauischen, lettischen oder balt. Familie des indogerman. Sprachstammes, zerfällt 1) in die Altpreußische Sprache (s.d.), 2) in die Lettische Sprache (s.d.) und 3) in die L.S. im engern Sinne. Letztere, gesprochen auf dem Gebiete [66] zwischen den Linien: Labiau-Grodno-Dwinsk (Dünaburg), der Südgrenze von Kurland, Polangen-Labiau, gehört zum kleinern Teil Preußen, zum größern Rußland an. Schriftsprache der preuß. Litauer ist der südlichste Dialekt. – Grammatik von Schleicher (2 Tle., 1856-57), Kurschat (1876); Wörterbuch von Kurschat (2 Tle., 1870-83), Juszkiewicz (1897 fg.). Volkslieder (dainos) gesammelt von Rhesa (2. Ausg. von Kurschat, 1843), Nesselmann (1853), Juszkiewicz (3 Tle., 1880-82), Bartsch (2 Tle., 1886-89, Melodien und deutsche Übersetzungen); Märchen von Schleicher (1857), Leskien und Brugmann (1882), Jurkschat (1898). Alte litauische Drucke u.a. gab Bezzenberger (s.d.) heraus (1874 fg.).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 66-67. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000130982X