Finnische Literatur

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Finnische Sprache und Literatur (Meyers 1905)

[582] Finnische Sprache und Literatur. Das Finnische gehört zu der finnisch-ugrischen Gruppe des uralaltaischen Sprachstammes und bildet neben dem Magyarischen das entwickeltste Glied in dieser. Es zerfällt in zwei Dialekte: den westlichen, tawastländischen, und den östlichen, karelischen (Sprachgrenze von Wasa nach Kymmene). Die Schriftsprache nähert sich dem klangvollen östlichen Dialekt. Sie hat dieselben Vokale wie das Den tsche, außerdem zwölf Diphthonge. Ein Wort darf im Anlaut und im Aus laut nur einen Konsonanten enthalten und unterliegt der Vokalharmonie. Der Akzent ruht immer auf der ersten Silbe. Wie die andern agglulinierenden Sprachen flektiert das Finnische durch Suffixe. Seine 15 Kasus drücken nicht nur Subjekts- und Objektsverhältnisse, sondern auch räumliche, zeitliche, ursächliche und andre Zustände aus und ersetzen somit die Präpositionen der synthetischen Sprachen (z. B. Súomi = Finnland; Súomessa = in Finnland; Súomeen = nach Finnland etc.). Die Sprache kennt keine Geschlechtsunterschiede; die Possessiva werden durch Suffixe ausgedrückt (Suomeni = mein Finnland; Suomemme = unser Finnland). Durch Suffixe können auch die Verben die verschiedensten Nuancen der Grundbedeutung ausdrücken. Die Vorliebe[582] der Sprache für Substantivierung kennzeichnet sich in den fünf Infinitivformen, die durch alle Kasus konjugiert werden können und eine eigenartige Kürze des Ausdrucks gestatten. Adverbien und Postpositionen lassen noch deutlich ihre Abl eitung von Formen des Substantivs erkennen. Die wichtigsten Spezialwerke über die finnische Sprache sind: Eurén, Finsk språklära (Åbo 1849 u. ö.); Derselbe, Finsksvensk ordbok (Tawastehus 1860); Genetz, Lärobok i finska språkets grammatik (Helsingf. 1882); Setälä, Suomen kielen lauseoppi (das. 1884 u. ö.); Jahnsson, Finska språkets satslära (das. 1871); Ahlman, Svenskt-finskt lexikon (2. Aufl., das. 1872); Hahnsson u. a., Svenskt-Finskt lexikon (1899ff.); Ch. C. v. Ujfalvy u. R. Hertzberg, Grammaire finnoise (Par. 1876); Eliot, A Finnish grammar (Oxf. 1890); für den praktischen Gebrauch die Grammatik von Wellewill (Wien 1890). Das sehr brauchbare und wissenschaftlich gehaltene finnisch-lateinisch-deutsche Wörterbuch Renwalls: »Lexicon linguae finnicae« (Abo 1826, 2 Bde.), ist durch Lönnrots großes Wörterbuch: »Suomalais-Ruotsalainen sanakirja« (Helsingf. 1866–82, 2 Bde.) nicht ganz verdrängt worden. Andre Lexika lieferten Rothsten (latein.-finnisch, Helsingf. 1864), Godenhjelm (deutsch-finn., das. 1873), Meurman (franz.-finn., 1877), Geitlin (finn.-latein., 1883) und Erwast (finn.-deutsch, 1888).

Finnische Literatur.

Die Nationalliteratur Finnlands scheidet sich wie die Sprache seiner Einwohner in zwei Gruppen: eine schwedisch-sprachliche und eine finnisch-sprachliche. Die erstere fällt bis zu der politischen Trenn ung Finnlands von Schweden 1809 mit der Literatur Schwedens zusammen; die letztere, abgesehen von der mündlich überlieferten, stammt im wesentlichen aus der Zeit des nationalen Aufschwunges in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.


I. Die schwedische Literatur

des Landes fand ihren ersten großen Vertreter in Franz Michael Franzén (1772–1847). Seine schönsten und eigenartigsten Gedichte entstanden vor und in der Periode der großen Feldzüge gegen Rußland, deren Endergebnis die Vereinigung Finnlands mit Rußland war (1809). Sie bewog Franzén, seine Professur an der Universität Åbo aufzugeben und nach Schweden Überzusiedeln, wo er als Bischof starb. In die konventionelle Pseudoklassik nach französischen Vorbildern, die zu Ende des 18. Jahrh. im Norden wie im übrigen Europa herrschte, trugen seine idyllischen. der traumhaft schönen Natur Finnlands abgelauschten Jugendgesänge einen innigen, frischen Ton, der in dem ganzen folgenden Jahrhundert seinen Nachhall finden sollte. Eine ihm verwandte, wenn auch nicht ebenbürtige poetische Begabung besaß Michael Choräus (1774–1806). Die harten Zeiten des Neuausrichtens nach der russischen Eroberung brachten jedoch auf künstlerischem Gebiete wenig Bemerkenswertes hervor. Die besten Namen des von Franzén beeinflußten Kreises sind Professor Gabr. Linsén (1785–1848), Herausgeber der Zeitschrift »Mnemosyne«, und der Romantiker A. G. Sjöström (1791–1846). Inzwischen reisten an der 1827 nach Helsingfors verlegten Universität junge Leute zu großen vaterländischen Aufgaben heran. Zunächst trat aus ihrer Mitte der größte Dichter in schwedischer Sprache, Johan Ludwig Runeberg (1804–77), hervor, der, erfüllt von glühender Vaterlandsliebe, zum Erwecker des nationalen Bewußtseins und zum Erreger eines tatkräftigen und opferfähigen Patriotismus wurde. In seinen frühesten »Gedichten« (1830,1833), in den Epen »Die Elchjäger« (1832), »Hanna« (1836), »Der Weihnachtsabend« (1841), »König Fjalar« (1844) sowie in den begeisterten Romanzen aus dem Kriege 1808: »Fähnrich Stahls Erzählungen« (1848,1860) enthüllen sich ideale Anschauungsweise und realistische Kunst, verbinden sich einfache Darstellung und kräftige Originalität. Seinem Kreise gehörten unter andern die Wissenschaftler und Dichter I. I. Nerwander (1805–48), Fredrik Cygnäus (1807–1881), M. A. Castrén (1813–42), Elias Lönnrot (1802–85) und I. W. Snellmann (1806–81) an. Letzterer schrieb schwedisch als Dichter, Philosoph und Staatsmann, entfesselte aber eine mächtige Strömung zur Hebung der finnischen Sprache, Kultur und Literatur. Unter dem Einfluß dieser Männer entwickelte sich auch Zachris Topelius (1818–98), dessen Novellenzyklen im Stile Walter Scotts und dessen an Franzén erinnernde Lyrik zartes romantisches Gefühl und eine seltene Beherrschung der dichterischen Mittel auszeichnen. Durch seine Lesebücher und seine Märchenspiele hat die ihm eigne Idealität und Naturfreude einen großen Einfluß auf die heranwachsende In gend Schwedens und Finnlands ausgeübt. Wie bei ihm empfindet man den Nachklang Franzéns bei I. I. Wecksell (geb. 1838), nur mit einer für finnische Dichter ungewöhnlichen Bitterkeit durchsetzt, als ob er sein trauriges Los vorausgeahnt hätte, das ihn mit 24 Jahren aus Irrenhaus fesseln sollte, nachdem er der schwedischen Literatur eines ihrer besten historischen Dramen, »Daniel Hjort«, geschenkt hatte. Au Originalität und Leidenschaft steht ihm L. I. Stenbeck (1811–70) zur Seite, der aus religiösen Gründen seinem poetischen Schaffen früh ein Ende machte. Dieser ältern idealistischen Schule gehören auch E. von Qvanten (1827–1903), Gabr. Lagus (1837–96), Jonatan Reuter (geb. 1859) und Th. Lindh (geb. 1833) an. Modern im Sinne der neuen skandinavischen Literatur ist dagegen der jung gestorbene Lyriker u. Novellist K. A. Tawaststjerna (1860–98), obgleich auch bei ihm Töne von Runeberg und Topelius vernehmlich werden. Seine frische, klangschöne See- und Schärenlyrik hat auf jüngere Talente, wie Arwid Mörne (geb. 1876) und den finnisch dichtenden Eino Leino (geb. 1878), großen Einfluß ausgeübt. Mikaël Lybeck (geb. 1864) und Jakob Tegengren berühren sich in einer gewissen resignierten Melancholie und ihrer Formgewandtheit mit den »Dekadenten« Skandinaviens. – Die moderne Novellistik, von Tawaststjerna begründet, wird von Lybeck, Jac. Ahrenberg (geb. 1847), P. Nordman (geb. 1858), Gerda v. Mickwitz (geb. 1862), Helene Westermarck (geb. 1857) u. a. erfolgreich gepflegt.


II. Literatur in finnischer Sprache.

Die demokratischen Tendenzen der Reformation brachten in Finnland die ersten Erzeugnisse einer Literatur in der Volkssprache hervor. Michaël Agricola, geb. 1506 als Sohn eines armen Fischers, gest. 1557 als Bischof in Åbo, trug durch ein »ABC-Buch« (1544) und religiöse Lehrbücher Sorge für die erste Heranbildung des Volkes und der Geistlichkeit und setzte es auch durch, daß seine Übersetzung des Neuen und Teile des Alten Testaments gedruckt wurden. Unter der Alleinherrschaft des schwedischen Elements hielten sich die spärlichen finnisch-sprachlichen Erzeugnisse in demselben lehrhaften Gleise, bis die Strömung zur Erforschung der altnationalen Denkmäler, die im[583] Anfang des 19. Jahrh. ganz Europa ergriff, auch in Finnland reiche Früchte zeitigte und schließlich (1835), nach der Zusammenfügung des Nationalepos »Kalevala« (s.d.) durch Elias Lönnrot (1802–1885), enthusiastische Arbeit zur Heranbildung der finnischen Sprache anregte. Zunächst bedienten sich die Gelehrten, Lönnrot in der Regel ausgenommen, in ihren Arbeiten über die Schätze der Volksdichtung noch der schwedischen Sprache, in der auch Runeberg und Topelius ihre Nationalwerke schufen. Erst die Tätigkeit der Finnischen Literaturgesellschaft brachte den Umschwung. Dieser Berein, hervorgerufen durch die Initiative des Runebergkreises und freigiebig durch Mitglieder aus allen Ständen unterstützt, ermöglichte es Lönnrot, seine Forschungen weiterzuführen und die überreichen Ergebnisse (unter andern »Kanteletar«, eine 21,007 Verse umfassende Sammlung von Liedern und Balladen) zu publizieren. Lönnrots Sammlung von Prosaerzählungen brachte Eero Salmelainen (Rudbäck) vielfach ergänzt 1852–56 in 4 Bänden heraus (deutsch von Bertram, »Jenseits der Schären«, Leipz. 1854). 1889 umfaßten die Sammlungen der Finnischen Literaturgesellschaft 22,000 epische, lyrische und mythische Gesänge, 13,000 Erzählungen, 40,000 Sprüche, 10,000 Rätsel, 2000 Volksweisen und 20,000 Beschwörungsformeln und Spiele. Seit 1841 erschien ihre wissenschaftliche Zeitschrift »Suomi«. Lönnrot gab die Gedichte der Bauernsänger Pentti Lyytinen und P. Korhonen (1775–1840) nebst einer Anthologie aus den Improvisationen 18 anderer Bauerndichter heraus. Auch Kunstschriftsteller, wie die Dramatiker Major H. F. Lagerwall (1787 bis 1865), der Pfarrer A. Warelius, Peter Hannikainen und der blinde Lyriker Kallio (S. G. Berg, 1803–53), singen allmählich an, sich literarisch zu betätigen, als 1848 die Regierung den Druck von Büchern in finnischer Sprache verbot, ein Resultat der mitteleuropäischen Revolutionen, die übrigens in Finn land keinerlei Widerhall gefunden hatten. Das verfehlte Verbot wurde 1860 wieder aufgehoben, und seitdem kann man Wachstum und Fortschritte auf allen Gebieten, die sich die finnische Sprache allmählich erobert hat, wahrnehmen. Im Volke hatte eine starke pietistisch-religiöse Strömung reges intellektuelles Leben und starken Wissensdrang hinterlassen, und die Literaturgesellschaft beeilte sich, diesem Bedürfnis durch Volksschriften und Übersetzungen entgegenzukommen. Zahlreiche Zeitschriften und Zeitungen fanden begierige Leser bis in die Hütten der ärmsten, entlegensten Gegenden. Kunstdichter traten hervor, zunächst der tiefe, männliche Lyriker Oksanen (Pseudonym für Professor A. E. Ahlqvist, 1826–89) und Suonio (Professor Jul. Krohn, 1835–88). In Oksanens zwei Sammlungen »Funken« finden sich Stücke von erhabener Schönheit der Idee und Form, die von grundlegender Bedeutung wurden. Leider betrachtete sowohl er als Krohn die Dichtung nur als Erholung von anstrengender wissenschaftlicher Arbeit, und ihre Produktivität blieb beschränkt. Einen Künstler, der im dichterischen Schaffen seine Lebensaufgabe fand, gewann die finnische Literatur erst in Alexis Kiwi (Stenwall 1834–72), der allen seinen Vorgängern an Begabung weit überlegen ist. Er war, wie Lönnrot, der Sohn eines armen Dorfschneiders. Erst mit dem 17. Jahre konnte er seine Schulbildung beginnen, kämpfte sich aber durch Entbehrungen und Mißgeschick zu akademischer Bildung durch, freilich auf Kosten seiner Gesundheit und schließlich seiner Geisteskräfte. Seine Komödien und sein höchst eigentümlicher kulturhistorischer Roman »Sieben Brüder« (1870) sind von köstlichem Humor erfüllt und bieten Darstellungen des Volks und der Natur seiner Heimat, wie man sie charakteristischer und lebenswahrer nicht finden kann. Auf der kurz nach seinem Tod errichteten finnischen Bühne blieben seine Volksschauspiele und das schöne biblische Drama »Lea« immer wieder begehrte Repertoirestücke. Auch ist sein Einfluß auf die realistischen Dichter der Gegen wart in stetem Wachsen begriffen. Unter Kiwis Nachfolgern auf der Bühne ist Frau Minna Canth (1844 bis 1897) die hervorragendste. In ihren spätern Dramen und Novellen, die unter dem Einfluß von Georg Brandes' Schule entstanden, tritt sie als mutige, scharfe Gesellschaftsreformator in auf. Unter den vielen Dramatikern der neuesten Zeit verdienen hervorgehoben zu werden der vorzügliche Leiter der finnischen Bühne, K. Bergbom (geb. 1843), E. F. Jahnsson (1844–95), R. Kiljander (geb. 1848), der Shakespeareübersetzer P. Cajander (geb. 1846), I. H. Erkko (geb. 1849) und Gusta sv. Numers (geb. 1848). Erkkos Hauptverdienst liegt jedoch in seiner seinen sinnigen Lyrik, die allmählich ein religiöses Gepräge angenommen hat. Trotz dem allgemeinen Hang zur Prosadichtung, der unsre Zeit charakterisiert, hat die Poesie doch viele Pfleger gefunden, wie Arwi Jännes (Senat or Genetz, geb. 1848), K. Kramsu (1855–95), Kasimir und Cino Leino (Lönnbohm, geb. 1866 und 1878), Kyösti Larsson (geb. 1873), Yrjö Weijola (geb. 1875) u. a. Auch das Volk hat nicht zu dichten aufgehört, obgleich das moderne Volkslied an ergreifender Schönheit dem ältern keineswegs nahekommt. Als ein neuer Ausdruck der großen literarischen Begabung des Volkes sind die Novellen und Romane anzusehen, in denen Bauern Ereignisse meist aus ihrem eignen Leben andern Bauern erzählen. Eine patriarchalische Stellung unter ihnen nahm Pietari Päivärinta (geb. 1827) ein, der sich vom Knecht zum Küster an seiner Heimatkirche emporarbeitete. In seinen Erzählungen »Ich und andere«, »A us meinem Leben« etc. findet man neben großer Herzenswärme oft sehr seine psychologische Auffassung. Die Bäuerin Liisa Terwo, der Schmied Heikki Meriläinen, Kyösti (der Waldwächter Juhana Kokko), Eero Sissala u. a. haben wenig zu ihrer natürlichen Begabung hinzugelernt; dagegen läßt sich bei Alkio (Alex. Filander) und Kauppis Heikki (H. Kauppinen, ursprünglich Knecht, jetzt Vorsteher einer Erziehungsanstalt) der Einfluß der modernen Kunstnovellistik nicht verkennen. Otto Tuomi, der im Gegensatz zu den Vorhergenannten höhere Volksschulbildung besitzt, hat sich allmählich zum Kunstnovellisten ausgebildet. Die moderne, realistische Novellistik, in schwedischer Sprache von Tawaststjerna angebahnt, hat jetzt in Juhani Aho (Brofeldt, geb. 1861) ihren bedeutendsten Vertreter gefunden. Er hat technisch viel von Franzosen und Norwegern ge lernt, seine ganze Dichtart aber, sein Natursinn und sein Humor verbinden ihn direkt mit Runeberg und Kiwi. Seine Sprache, die in vielen Beziehungen Neuerungen aufweist, ist allmählich normgebend geworden. Unter den übrigen Kunstnovellisten ist der Pfarrer Juho Reijonen (geb. 1857) den Bauerndichtern sowohl durch die Wahl seiner Stoffe (die Hungersnot, die lächerliche Großtuerei der reichen Bauern) als durch die oft naive Form der Darstellung ähnlich. Arwid Järnefelt (geb. 1861) und Santeri Ingman (geb. 1866) griffen in ihren ersten Romanen Tagesfragen und soziale Probleme an. Später[584] hat sich Ingman, angeregt durch wissenschaftliche Studien, dem historischen Roman zugewendet, und Järnefelt ist im Leben wie im Dichten ein Verkünder Tolstoianischer Lehren geworden. Von den jüngsten Novellisten erkennen die meisten Aho als ihren Meister an. Ihre Produktion trägt im allgemeinen ein starkes Lokalgepräge. So sind Samuli S. (Suomalainen) und Maila Talvio (Frau Prof. Mikkola, geb. 1871) so wenig als Tawastländer zu verkennen wie Teuwo Pakkala (geb. 1869) und Esko Wirtala (geb. 1864) als Nordfinnen. Die politische Unterdrückung der letzten Jahre hat natürlich ihre Spuren auch in der Literatur hinterlassen. So kehrt in Ahos letzten Werken unter verschiedener Verkleidung immer wieder die Idee zurück, die Unterdrücker durch festes Beharren bei der »Wacholdernatur« des Volkes zu überwinden und sofort durch innere Aufklärung und Volkserziehung neue Lichter anzuzünden, wo der unzeitgemäße Barbarismus die alten auslöscht. Schwedischerseits sind P. Nordman und Pekka Malm durch die politischen Ereignisse zur Novellistik angeregt worden.


III. Wissenschaftliche Literatur.

Für Förderung der Wissenschaften werden vom Staat und von den führenden Gesellschaften große Summen aufgewendet. Die Wirksamkeit der Finnischen Literaturgesellschaft (gegründet 1831) wurde schon kurz erwähnt; ihr zur Seite arbeitet seit 1883 die Schwedische Literaturgesellschaft. Die Finnische Wissenschaftssozietät publiziert seit 1838 die allgemein wissenschaftlich gehaltenen »Acta Societatis« und die »Beiträge« zur Kenntnis von Finnlands Natur und Volk. Zur Förderung der Spezialwissenschaften bestehen die Societas pro Fauna et Flora fennica, seit 1821; die Gesellschaft finnischer Ärzte, seit 1835; die Gesellschaft für Rechtswissenschaft, seit 1856; die Gesellschaft für Altertumskunde, seit 1870; die Gesellschaft für Geschichte, seit 1875; die Gesellschaft für finnisch-ugrische Sprachforschung, seit 1883; der Neuphilologische Verein, seit 1887 etc.

Die Geschichte der wissenschaftlichen Arbeit in finnisch-nationalem Sinne hebt fast auf jedem Gebiete mit dem Professor an der Akademie zu Åbo, Henrik Gabriel Porthan (1739–1804), an. Ihm zur Seite standen der Jurist Mathias Calonius und der Sozialpolitiker und Nationalökonom Anders Chydenius. Der bedeutendste Schüler Porthans auf dem Gebiete der Geschichtsforschung war der Erzbischof Jakob Tengström (1755–1832), der die Geschichte der finnischen Bischöfe und somit die der Kultur des Landes schrieb. Die Errungenschaften der Porthanschule waren binnen kurzem so weit gediehen, daß ein deutscher Gelehrter, Friedrich Rühs, sie 1809 in einem Werke: »Finnland und seine Bewohner«, verwerten konnte. Auf die Forschungen von Universitätslehrern, wie J. J. Tengström (1787–1858), Gabr. Rein (1800–1867) u. a., stützte sich die erste in finnischer Sprache von I. F. Cajan (1815--87) ausgearbeitete und von Lönnrot herausgegebene finnische Geschichte. Um diese Zeit veranlaßte die Eröffnung der Archive neue historische Methoden, weitern Überblick der Quellen und bestimmtere Resultate. An der Spitze der neuen Schule ist der politische Flüchtling A. I. Arwidsson (1791–1858) zu nennen, der aus den Archiven Schwedens 10 Bände Quellenmaterial (1846–58) sammelte. Mehrere junge Forscher arbeiteten die Geschichten der verschiedenen Landesteile aus. Auf dieser soliden Grundlage hat die auch ins Deutsche übersetzte »Finnische Geschichte« von M. G. Schybergson (s. unten, S. 592) zahlreiche Irrtümer und Parteideutungen aufgeklärt, die sich in ältern Werken, z. B. Yrjö Koskinens Handbuch (1869–72, deutsch 1873), fanden. I. R. Danielson hat auf ähnlicher Basis Fragen der nordischen Geschichte neu zu beleuchten gewußt und besonders gegen die angeblichen Ansprüche der russischen Nationalisten gekämpft, doch nahm er später in einflußreichen Schriften einen vermittelnden Standpunkt ein. In Wechselbeziehung zu der Geschichtsforschung steht die Sprachwissenschaft, die, ebenfalls durch Porthan angeregt, von Anfang an, veranlaßt durch den Mangel an urkundlichem Material, die Wege der modernen Dialektforschung einschlug. Unter dem Einfluß des unermüdlichen Rasmus Rask arbeitete G. Renwall (1781–1841) ein gutes finnisch-deutsch-lateinisches Wörterbuch aus (1826); A. J. Sjögrén (1794–1855) unternahm weite Forschungsreisen zu den finnischen Stämmen Rußlands (»Gesammette Schriften«, deutsch 1861), während andre Gelehrte und vor allen Lönnrot (s. oben: S. 583 u. 584) innerhalb des Landes beschäftigt waren. Von bahnbrechender Bedeutung für die Erkenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse der finnisch-ugrischen Sprachfamilie waren die Reisen und Forschungen des zu früh gestorbenen M. A. Castrén (1813–52), dessen Resultate nach seinem Tode deutsch u. d. T. »Nordische Reisen und Forschungen« erschienen (12 Bde.). Die vorhin genannten Dichter und Gelehrten Aug. Ahlqvist und J. Krohn setzten mit großem Erfolg die Forschungen fort, letzterer als Folklorist nach historisch-geographischer Methode. Sein Sohn und Nachfolger K. Krohn hat die populäre Sagensammlung Salmelainens wissenschaftlich neu bearbeitet und ist mit der Herausgabe einer neuen, viele Tausend Erzählungen umfassenden Sammlung beschäftigt. Als vergleichender Sprachforscher hat sich Otto Donner (geb. 1835) besonders durch sein »Vergleichendes Wörterbuch der finnisch-ugrischen Sprachen« (1874 bis 1888) und E. N. Setälä (geb. 1864) durch Arbeiten auf dem Gebiete der Lautlehre, Hugo Pipping als Phonetiker bekannt gemacht. Das Studium der schwedischen Dialekte Finnlands wird unter Leitung von Professor A. O. Freudenthal (geb. 1836) mit Eifer von jüngern Gelehrten betrieben, die bisher weitschichtiges, z. T. unpubliziertes Material gesammelt haben. In schwedischer Sprache schreiben über finnländische Kunst und Literatur die Professoren C. G. Estlander (geb. 1834), W. Söderhjelm, E. Aspelin, J. J. Tikkanen und V. Vasenius.

Vgl. »Finnland im 19. Jahrhundert« (Helsingfors 1392, in viele Kultursprachen übersetzt; schwedische Literatur von C. G...Estlander, finnische von E. Aspelin); Elmgrén, Öfversigt af Finlands litteratur ifrån 1542 till 1863 (Helsingfors 1861–65, 2 Bde.); O. M. Reuter: Finland i dess skalders sång (das. 1394), Notices sur la Finlande (das. 1900), Finland i Ord och Bild (das. 1901); J. Krohn, Suomalaisen kirjallisuuden waiheet (das. 1897); E. Brausewetter, Finnland im Bilde seiner Dichtung und seiner Dichter (Berl. 1899); »Biografinen Nimikirja«; Tor Carpelan, Finsk biografisk handbok (1900–1903); J. W. Lillja, Bibliographia hodierna fennica (Åbo 1846ff.); F. W. Pipping, Förteckning öfver böcker på finska språket (Helsingfors 1856–57); Vasenius, Suomal. Kirjallisuus. Von Zeitschriften für Belletristik, Wissenschaft, Kunst und Politik sind zu nennen: in schwedischer Sprache: »Finsk Tidskrift«, seit 1876; »Ateneum«,[585] 1892–98; in finnischer Sprache: »Walwoja«, seit 1880; in deutscher Sprache: »Finnländische Rundschau« (Vierteljahrsschrift, hrsg. von Brausewetter, Leipz. 1901ff.).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 582-586. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006609899