Hohes Lied

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Brockhaus 1838

[405] Hohes Lied oder das Lied der Lieder, ist ein duftiger Straus biblischer Liebeslieder oder Wettgesänge der Liebe, die nach Einigen dem Jugendalter des Salomo angehören, von Andern als Product mehrer und vorzüglich späterer Dichter angesehen werden. Obschon keiner Gattung der Poesie ausschließend angehörend, nähern sie sich doch der Idylle durch schüchterne Unschuld, Einfalt, Natur und den lachenden Himmel eines ungetrübten Glücks. Ihr durchgängiger Inhalt ist Liebe. »Liebe«, sagt Herder von ihnen, »ist hier gesungen, wie sie gesungen werden muß, einfältig, süß, zart, natürlich. Jetzt feurig und wallend, jetzt sehnend und hebend, im Genuß und im Schimmer, in Pracht und Landeinfalt. Es ist fast keine Situation und Wendung, keine Tages- und Jahreszeit, keine Abwechselung und Einkleidung, die nicht in diesem Liede, wenigstens als Knospe und Keim, vorkäme. Die Liebe des Mannes und Weibes, Jünglings und Mädchens, vom ersten Kuß und Seufzer, bis zur reisen ehelichen Freude – Alles findet hier Ort und Stelle. Vom Schuh des Mädchens bis zu seinem Kopfputz, vom Turban des Jünglings bis zu seinem Fußschmucke, Gestalt des Körpers und Kleidung, Palast und Hütte, Garten und Feld, Gassen der Stadt und Einöde, Armuth und Reichthum, Tanz und Kriegszug, Alles ist erschöpft und genossen« Man hat jedoch in diesen Liebesliedern einen tiefern mystisch-religiösen Inhalt zu finden gesucht. Man sah in dem innigen und zärtlichen Verhältnisse der Braut und des Bräutigams die geheimnißvolle Vereinigung Christi mit der Kirche oder Gottes mit der gläubigen Seele, und bemüthete sich, dem ganzen Buche eine bildliche prophetische Beziehung auf Christus zu geben. So erklärte man das Girren der Turteltaube für die Stimme des kommenden Messias; die hervorbrechende Morgenröthe zeigte die durch ihn zu vollbringende Erlösung an; die kleinen Füchse, die die Weinberge verwüsten, hielt man für die Ketzer der Kirche u.s.w. Ein so zärtliches Buch, worin man in jeder Zeile die nackte Unschuld sehen kann, wollten die Rabbinen von keinem Juden unter dem 30. Jahre gelesen wissen, und auch Luther empfahl bei dem kirchlichen Gebrauch desselben seinen Takt und Vorsicht.

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 405. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000833673


Damen Conversations Lexicon

[309] Hohes Lied, das Lied der Lieder, Salomo's Lied an Sulamit, die schöne Hirtin, deren Gegenliebe er nicht erringen konnte. Es ist ein in Dialogform abgefaßtes Drama und spricht die glühendste Sprache orientalischer Leidenschaft. – Wie herrlich sind nicht Sulamit's Worte »Liebe ist stärker wie der Tod! Ihre Glut ist Feuer, Und Flamme von dem Herrn! Meere löschen sie nicht! Wer all' sein Gut für die Liebe läße, Es gälte doch Alles Nichts!«–

Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 309. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001738429


Herders 1855

[332] Hohes Lied, Lied der Lieder, das schönste und erhabenste der Lieder Salomons, beschreibt in Gesprächen voll orientalischer Glut die keusche Liebe eines Brautpaares, das bei den größten Hindernissen der Vereinigung u. bei den gefährlichsten Versuchungen für die Braut sich getreu bleibt. Das Gedicht enthält 8 Kapitel; die Meinung, der Inhalt sei buchstäblich zu verstehen und das Ganze laufe etwa auf ein Hochzeitslied Salomons zur Feier der Vermählung mit einer ägypt. Prinzessin hinaus, ist schon dadurch widerlegt, weil das h. L. in den Canon der Juden aufgenommen u. von diesen einstimmig als Bild des Verhältnisses Gottes zum auserwählten Volke und zu jedem Gerechten erklärt wurde. Die Kirchenväter deuteten es als Bild des Verhältnisses des Gottessohnes zur Kirche u. zu jedem Christen, eine Deutung, welche mit zahlreichen neutestamentlichen Stellen, z.B. Ephes. 5, 31. im Einklange steht.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 332. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003374076


Pierer 1857

[451] Hohes Lied Salomonis (Lied der Lieder, Canticum canticorum), poetisches Buch des A. T., welches gemeiniglich dem Salomo zugeschrieben wird. Über die Bedeutung u. Form dieses Buches sind die Erklärer sehr verschiedener Ansicht: Einige erklären das H. L. als eine Allegorie von der Vermählung Christi (Salomo) u. der christlichen Kirche (Sulamith), die Töchter Jerusalems sind alle Völker, der Weinberg das Reich Gottes, die Füchse die Heterodoxen etc.; so Joh. Gerhard u. Krummacher, welche Predigten über das H. L. schrieben, u. in neuester Zeit Hengstenberg u. Hahn; Andere erklären es ethisch, es werde darin der Preis der Unschuld, die allen Lockungen widersteht, dargestellt: Sulamith ist ein Landmädchen, von dem König entführt, sie liebt aber einen Jüngling u. widersteht den Anerbietungen des Königs u. dem Zureden der Frauen; selbst die Erhebung zur ersten Gemahlin kann sie nicht gewinnen u. am Ende entläßt sie der König; so Ewald; od. daß darin die Idee der Ehe dargestellt werde, so Delitzsch (zuletzt, nachdem er es früher allegorisch erklärt hatte); Andere prophetisch, als eine Weissagung von den letzten Zeiten der Kirche Christi, wie Goltz; Andere politisch: Das Königthum ist ewig eins mit dem wahren Volksthum; od. sinnlich-erotisch, z.B. die neueren Ästhetiker; Viele halten das H. L. mit Herder für eine Sammlung von Liedern, deren Gegenstand Liebe sei. Statt der gewöhnlichen Annahme, daß das H. L. zur lyrischen Poesie gehöre, hat man seit Stäudlein dasselbe auch für ein Drama gehalten, eine Ansicht, welche in neuester Zeit wieder von Böttcher, E. F. Friedrich u. A. vertheidigt worden ist. Neuere Übersetzung u. Erklärung von Herder 1777, von Hegel 1777, Döderlein 1784, Hufnagel 1784, Velthusen 1786, Ammon 1790, Paulus, im Repertorium, Th. 17, Beier 1792, Justi 1807, Ewald 1826, Umbreit 1828, Döpke, Lpz. 1829; Magnus, 1842; Fr. Delitsch, Lpz. 1851; H. A. Hahn, Berl. 1852; Hengstenberg, ebd. 1853; Lippert, Nürnb. 1855;[451] in Liedern von G. Jahn, 3. Aufl. Halle 1853; J. Böttcher, Die ältesten Bühnendichtungen, Lpz. 1850; Rocke, Das H. L., Erstlingsdrama aus dem Morgenlande, Halle 1851; E. Meier, Tüb. 1854; F. Hitzig 1855; Telschow, Das H. L. S., Stettin 1856; Weisbach, Das H. L. S. erklärt, übersetzt u. in seiner poetischen Form dargestellt, Lpz. 1856; von Hölemann, 1856; Albrecht, 1856; vom Standpunkte der Kunst, vgl. die Schriften von Böttcher, 1850; Loßner, 1851 u. A.; Lessing hat es in lateinische Hexameter übersetzt u. Anton in das (angeblich) ursprüngliche Sylbenmaß, ebenfalls lateinisch, Wittenb. 1799 u. 1800.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 451-452. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010124489


Meyers 1907

[458] Hoheslied Salomos (Canticum canticorum), poetisches Buch des Alten Testaments, im hebräischen Titel »Lied der Lieder«, d. h. schönstes Lied, wurde von Luther auf Grund der von ihm angenommenen mystischen Auslegung Hoheslied genannt. Das Hohelied ist eine Sammlung lyrischer Hochzeitslieder, wie sie noch heute am Hochzeitstag und in der Woche danach (sogen. Königswoche) von den Brautführern und von den Männern und Frauen der Umgebung, teilweise auch vom Brautpaar selbst gesungen werden. Durch die Namen Salomo und Sulamith, d. h. die Mädchen von Sulam (Sunem, die Heimat der Abisag, Davids letzter Gemahlin), wird das Brautpaar bildlich bezeichnet. Die späte Sprache, insbes. die Verwendung griechischer Ausdrücke, schließt Abfassung vor dem Ende des 4. Jahrh. v. Chr. aus. Die Aufnahme in den Kanon hat dieses wertvolle, bei frischer Sinnlichkeit doch zarte und sittige Stück der Volkspoesie der allegorischen Deutung seines Inhalts zu danken. Man sah darin nämlich eine Darstellung der Liebe Gottes zum jüdischen Volk, wozu man durch die prophetischen Vergleichungen der theokratischen Verfassung des israelitischen Volkes mit einer Ehe desselben mit Gott veranlaßt war. Schon unter den Rabbinern setzten einige an Gottes Stelle den Messias als den Liebhaber des Volkes, und seit Origenes fanden die Christen die Liebe Christi zu seiner Kirche, als der Braut, darin geschildert. Einzelne vernünftigere Gelehrte, die, wie in der alten Kirche Theodor von Mopsuestia, zur Reformationszeit Castellio, der allegoristischen Selbsttäuschung entgegentraten, hatten dafür manches zu leiden. Erst seit Herder (»Lieder der Liebe, die ältesten und schönsten aus dem Morgenland«, Leipz. 1778) besteht eine unbefangene Auslegung, die freilich bis in die neuere Zeit durch die Annahme irregeleitet wurde, das Hohelied sei ein Singspiel, das die Liebe der Sulamith (Eigenname) zu einem Hirten darstelle, dem sie, in den Harem Salomos entführt, doch treu bleibt und wieder zurückgegeben wird, nachdem sie die Liebeswerbungen des weibersüchtigen Königs abgewiesen hat. Vgl. Wetzstein, Die syrische Dreschtafel (in der »Zeitschrift für Ethnographie«, 1873); Budde, Was ist das Hohelied? (in den »Preußischen Jahrbüchern«, 1894), und die Kommentare von Budde (Freib. 1898) und Siegfried (Götting. 1898).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 458. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006783341


Brockhaus 1911

[817] Hohes Lied (Lied der Lieder, d.h. schönstes Lied), althebr.-lyrische Dichtung, Sammlung von Hochzeitsliedern, erst der nachexilischen Zeit angehörig, durch Zurückführung, auf Salomo in den Kanon gekommen; schon bei den Juden allegorisch auf Jahves Liebe zu Israel, später auf Christus und die Kirche gedeutet. – Vgl. Siegfried (1898).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 817. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001194763