Reß, Robert
Robert Reß
(* 2. Juni 1871 in Prag; † 9. Februar 1935), deutscher Lyriker, Sänger und Gesangslehrer.
Otto Eduard Lessing 1935
Er ist am 2. Juni 1871 in Prag als Sohn des bekannten Gesangspädagogen Professor Johann Ress geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter wuchs er teils in Wien teils im Kloster Melk a. d. Donau auf. kam noch sehr jung nach Berlin zu seiner Tante Luise Ress, die eine gleichfalls hochgeschätzte Gesangslehrerin war. Von ihr übernahm er die Schule, die er berufsmäßig bis in die letzte Zeit hinein fortführte.
Manch schöner Erfolg war ihm beschieden, da er es verstand, die angeborenen Fähigkeiten seiner Schüler und Schülerinnen organisch zur denkbar höchsten Entfaltung zu bringen, ohne dem Mass des natürlich Gegebenen Gewalt anzutun.
Den Weltkrieg machte er, als Fünfundvierzig-Jähriger 1916 einberufen, an der Ost-Front mit, und all die Leiden, Kümmernisse und Sorgen des Zusammenbruchs und mühsamen Wiederaufbaus hat auch er zu bestehen gehabt, im Vaterland wie zu Hause. Doch glücklicher als tausend Andere blieb er umfriedet von einem schönen Familienleben mit Gattin, Sohn und Tochter, und durch die Geburt eines gesunden Enkels und Stammhalters wurde ihm noch vor wenigen Wochen eine letzte große Freude zuteil.
Zunehmende Krankheit brachte Beschwerden und Schmerzen, aber das Ende war ein beneidenswert leichtes, schnelles Aufhören nach heiterem Zusammensein mit Freunden und nächsten Angehörigen. Er hätte nun wohl gerne länger gelebt wie man einen sonnigen Tag immer festhalten möchte, und war doch in vollkommener Ruhe auf den Abend gefasst. Er durfte sich sagen, dass er stets das Beste seines Wesens gegeben, selbstlose Liebe den Menschen seiner Umgebung und dem Lebenswerk des bewunderten Meisters.
Seit 1892 mit Arno Holz bekannt und unter dessen Einfluß, veröffentlichte er 1899 nach dem Erscheinen der ersten kurzen Phantasusgedichte ein Bändchen Lyrik – »Farben« –, in der neuen, von Arno Holz geschaffenen Form des »immanenten Rhythmus«. So gehörte er von Anfang an als Mitkämpfer zu der kleinen, mutigen Schar der Neutöner, die sich einer verständnislos feindseligen Kritik zu erwehren hatten und damit für die deutsche Dichtung wirkliches Neuland erwarben. Unentwegt blieb er als treuer Kamerad und opferbereiter Freund an der Seite des Dichters. 1913 erschien sein Buch: »Arno Holz und seine künstlerische, weltkulturelle Bedeutung, ein Mahn- und Weckruf an das deutsche Volk«, worauf noch einige Zusätze folgten; 1925 das kühnangelegte, in vieler Beziehung bahnbrechende Buch: »Die Zahl als formendes Weltprinzip. Ein letztes Naturgesetz«.
Von Gedanken des griechischen Philosophen Pythagoras ausgehend, stellte Ress die im Phantasus geschaffene Form des immanenten, natürlichen Rhythmus der Lyrik in den allumfassenden Kreis des kosmischen Geschehens, das nach ganz bestimmten, mathematisch zu berechnenden Zahlenfolgen abläuft: wie im unermeßlichen Sternenraum so auch im kleinsten Lebewesen auf Erden. Ein so weiter Rahmen, über das vom Meister selbst theoretisch Niedergelegte hinaus, schien ihm notwendig, dem deutschen Volke klar zu machen, worin das eigentliche Geheimnis und die Allgemeingültigkeit dieser neuen, vom Wust der Tradition befreiten Wortkunst bestand.
Aus: ROBERT RESS († 9.2.1935) zum Gedächtnis von O. E. Lessing. (Nach der Xerokopie eines Durchdrucks des Typoskripts der von Otto Eduard Lessing gehaltenen Grabrede). Bei: Fulgura Frango
Robert Wohlleben 2013
Robert Reß (1871 bis 1935) stammte aus einer Sängerfamilie. Nach Engagements als Opernbariton an verschiedenen kleineren Bühnen etablierte er sich in Berlin erfolgreich als Gesangslehrer, trat auch als Rezitator auf. Reß setzte sich publikatorisch für Holz ein, vor allem mit Arno Holz und seine künstlerische, weltkulturelle Bedeutung. Ein Mahn-und Weckruf an das deutsche Volk von 1913, gedacht zur Unterstützung des in Stockholm eingebrachten Vorschlags, Arno Holz den Literatur-Nobelpreis zu verleihen. 1926 folgte Die Zahl als formendes Weltprinzip. Ein letztes Naturgesetz. Unveröffentlicht blieb »Die deutsche Form der Wortkunst und ihre Schöpfung durch Arno Holz«. Der Literaturwissenschaftler Otto Eduard Lessing sprach in seiner Grabrede für Reß von einer zwischen Holz und Reß bestehenden »Wahlverwandtschaft des weltanschaulichen Denkens, das man als skeptischen Neutralismus bezeichnen kann«. – Wie die Tochter Sabine Reß (1904 bis 1985) im Gespräch mitteilte, fanden in ihrem Elternhaus regelmäßig spiritistische Sitzungen statt. Ein Gedicht von Reß (p. 11) macht deutlich: schon zur Zeit des Regiments Sassenbach. Arno Holz habe daran teilgenommen. Er fand dort Anregungen zu den Okkultismus-Motiven der Tragödie Ignorabimus, 1913 gedruckt. Reß kannte sich aus in dem Bereich: Wo er in seinem »Mahn-und Weckruf« auf dies ungefüge Grenzwissenschaftsdrama zu sprechen kommt, läßt er gleich zwanzig relevante Namen fallen (S. 214). Das Stück wurde bisher nur zweimal inszeniert: in viereinhalbstündiger Spielfassung 1927 in Düsseldorf von Berthold Viertel, vom ebenso progressiven und noch waghalsigeren Luca Ronconi 1986 ungekürzt und, mit Zwischenaktpausen, zwölf Stunden beanspruchend in der Theaterwerkstatt von Prato bei Florenz, die Premiere war durchaus ein Erfolg.
Aus: Antreten zum Dichten! Lyriker um Arno Holz. Rolf Wolfgang Martens Reinhard Piper Robert Ress Georg Stolzenberg Paul Victor Mit Nachwort herausgegeben von Robert Wohlleben. Leipzig: Reinecke & Voß, 2013, S. 149f