Politische Lyrik 1840-1871

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Damals, vor 100 und mehr Jahren, gab es vieles, was es heute nicht mehr gibt. Einiges darf man auch bedauern. Es gab "Jahresberichte", in denen der aktuelle literarische Jahrgang kritisch beleuchtet wird. Bekannte und viel mehr noch Unbekannte werden dort gewürdigt oder kritisiert. Der Standpunkt der Kritiker ist vielleicht nicht immer gerecht – aber es ist ein Standpunkt und kein bloßes Referieren. Es ist keine "überzeitliche" Objektivität ledergebundener Lexika, sondern eine zeitliche Objektivität, hier des Jahrgangs 1914. Wert, in unserem unsystematisch-labyrinthischen Lexikon verzeichnet zu werden. (Lyrikwiki)


F. Hirth, Lyrik des 18./i9. Jh.: Von Goethes Tod bis zur Gegenwart.

Politische Lyrik von 1840—1871. Allgemeines.

Die „Bibliothek der Aufklärung" setzte ihre Tätigkeit auch in diesem Jahre fort. Hatte sie im Vorjahre die Gedichte F. von Sallets neu belebt (vgl. JBL. 1913, S. 595) und damit einem zu Unrecht vergessenen Dichter wertvolle Dienste geleistet, so wollte sie heuer einer Richtung unserer Literatur zur Neubelebung verhelfen; zwar nicht so sehr der politischen, wie der Untertitel des Bandes lautet, als des antikirchlichen (3620). Etwa 150 Gedichte, oft von extremstem Radikalismus, kennzeichnen diese Tendenz. Ob man mit ihr einverstanden ist oder nicht, zugegeben muss werden, dass manches wirklich ergreifende lyrische Gut damit der Vergessenheit entrissen wurde und auch ein paar Dichter wieder einmal zu Worte kamen, die einstens doch grössere Verdienste gehabt haben müssen, als die Nachwelt zugeben will: Ludwig Pfau, der mit 14 Gedichten vertreten ist, von denen viele weit höher stehen als alle politischen Gedichte Hoffmanns von Fallersleben, Hermann von Gilm, dessen Antijesuitengedichte fortan höher eingeschätzt werden sollten als sein rührseliges „Allerseelen", Adolf Glassbrenner, der weit mehr konnte, als sein populärer „Guckkasten" zeigt usw. Jedenfalls ist hier eine Sammlung geschaffen, worin Töne angeschlagen werden, die heute vielleicht undenkbar wären, und es ist gar kein Zweifel, dass manches der Gedichte, heute geschaffen, dem Zensor ehestens zum Opfer fiele. So kann das Buch bedenklich zum Nachdenken reizen, ob nämlich in unseren demokratischen Anschauungen nicht merkliche Rückschritte festzustellen sind, und ob die Pressfreiheit, über deren Gefährdung man um 1840 so laute Klagen erhob, damals am Ende nicht noch grösser war, als man zugeben wollte. Nicht allzu Gutes denke ich von der raschen Einleitung dieser Gedichtsammlung, die sehr zusammengerafft aussieht. Ausreichend sind die biographischen Notizen. Die Lösung des Pseudonyms des Herausgebers wäre wünschenswert.


In: JAHRESBERICHTE FÜR NEUERE DEUTSCHE LITERATURGESCHICHTE. MITBEGRÜNDET VON ERICH SCHMIDT. HERAUSGEGEBEN VON JUL. ELIAS, M. OSBORN, WILH. FABIAN, F. DEIBEL, C. ENDERS, F. LEPPMANN, B. SCHACHT. FÜNFÜNDZWANZIGSTER BAND (1914). BERLIN-STEGLITZ B. BEHRS VERLAG (F. FEDDERSEN) 1916, S. 565