Schwarz, Hermann
[665] Schwarz, Hermann, geb. 1864 in Düren, Prof. in Greifswald, Herausgeber der »Zeitschr. f. Philos. u. philos. Kritik«.
S., der zum Teil von Uphues beeinflußt ist, lehrt einen kritischen Realismus, nach welchem die Dinge so sein können, wie wir sie erkennen. Das Gerichtetsein der Wahrnehmung auf ein (Bewußtseins-) Transzendentes, jenseits des Bewußtseins Gelegenes, ist eine psychologische Tatsache. Der. Ausdruck, durch den wir uns die Objekte vergegenwärtigen, tritt nicht selbst ins Bewußtsein. Was die Qualitäten der Dinge anbelangt, so haben die Daten der Tastwahrnehmung keinen Vorzug vor den übrigen; es geht nicht[665] an, jenen objektive Realität zuzuschreiben, den letzteren aber nicht. Diese können ganz wohl objektive Korrelate haben; die vermeintlichen Widersprüche zwischen Sinnesdaten bestehen nicht. »Nur von den gesehenen Farben, den gehörten Tönen wird notwendig behauptet werden müssen, daß sie durch Vermittlung mechanischer Korrelate indirekt durch die Organe bedingt sind. Von ungesehenen Farben, ungehörten Tönen dagegen kann man vielleicht die Existenz bezweifeln, ihre ev. Unabhängigkeit von irgend welchen Organen würde als ein Widerspruch nicht gelten können.« – Die Seele ist immateriell und steht mit dem Leibe in Wechselwirkung.
Die Ethik S.s ist idealistisch, normativ und beruht auf der Psychologie des Willens. Vom Begehren ist der eigentliche Wille zu unterscheiden. Gefallen und Mißfallen sind von den Lust- und Unlustgefühlen verschiedene, ursprüngliche Willensregungen, welche Unterschiede der »Sättigung« zulassen. Gefallen ist die Reaktion der wollenden Seele, wenn die Gegenstände, von denen sie bewegt wird, genossen, besessen, verwirklicht sind. Nach dem »Zentrierungsgesetz« wirken alle Regungen des ungesättigten Gefallens und des Mißfallens zentrierend auf das Vorstellen, sie haben die Tendenz, solche Vorstellungen um sich zu scharen, durch deren Inhalt das Gefallen mehr und mehr gesättigt wird. Das Vorziehen (Lieberwollen, Wählen) ist ein Urphänomen mit eigener Gesetzlichkeit. Dem »voluntaristischen Apriorismus« gemäß walten im Willensgebiet nicht die apriorischen Regeln der Vernunft, sondern eigene apriorische Normen, die Normen des analytischen und synthetischen Vorziehens. Analytisch ist das Vorziehen, wenn es sich richtet »nach dem Verhältnis von solchem Bessern und Schlechtem, das schon vorher anderweitig geprägt ist«. Synthetisch ist dasjenige Vorziehen, das »erst durch einen eigenen Akt anzeigt, wo in einem gegebenen Falle das Bessere liegt«. Von den Naturgesetzen des Begehrens sind die Normgesetze, der »Normzwang« des Willens zu unterscheiden: l. »Das Wollen eigenen Personenwerts steht über der Rücksicht auf die eigenen Zustände.« 2. »Das Wollen religiöser, mitmenschlicher, sozialer und ideeller Fremdwerte steht über dem Wollen von Eigenwerten« (Personenwertmoral, Fremdwertmoral). Gewissen und Pflichttrieb sind im Menschen ursprünglich angelegt, entwickeln sich aber psychologisch. Die sittlichen Gefühle sind Sympathie mit selbstlosen und Antipathie gegen egoistische Handlungen.
SCHRIFTEN: Das Wahrnehmungsproblem vom Standpunkt des Physikers, des Physiologen und des Philosophen, 1892. – Was will der kritische Realismus, 1894. – Die Umwälzung der Wahrnehmungshypothesen durch die mechanische Methode, 1895. – Grundzüge der Ethik, 1896. – Psychologie des Willens als Grundlage der Ethik, 1900. – Das sittliche Leben, 1901. – Glück und Sittlichkeit, 1902. – Der Materialismus als Weltanschauung und Geschichtsprinzip, 1905, u. a.
Quelle: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 665-666. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001833758