Objektlyrik
OBJEKTLYRIK & INSTALLYRIK (1998)
Tom De Toys: "ZWISCHENMASCHI(E)NLICHKEIT" 4.5.-7.6.1998 (c) FLY
Die Entwicklung der "Objektlyrik" (Begriff von De Toys) resultierte aus dem Bedürfnis, durch räumlich inszenierte sowie objekthaft umgesetzte Poesie eine ästhetische Symbiose der beiden Disziplinen KUNST & LITERATUR zu ermöglichen. An der von De Toys kuratierten 1.Gruppenausstellung im Kunsthaus Tacheles im Sommer 1998 nahm auch RoN Schmidt teil, der den Neologismus "Installyrik" erfand. Beide hatten schon seit 1995 im "ArToll" (Kunstverein in Bedburg-Hau) gemeinsame Experimente in diese Richtung unternommen, aber erst 1998 kam es zu einer intensiveren theoretischen Reflexion über die Bedeutung solcher Werke. Das dadurch entstandene Manifest von De Toys (siehe unten) ist der ehemaligen Dokumentation auf den damaligen Tacheles-Seiten des G&GN-Institutes entnommen.
Tom de Toys, 21.2.1998 (anläßlich der 1.Gruppenausstellung im Tacheles)
INSTALLYRIK-MANIFEST-FRAGMENTE (WER HAT ANGST VOR GROßEN BUCHSTABEN?) OBJEKTLYRIK überwindet angebliche Unterschiede zwischen Kunst & Literatur OBJEKTLYRIK vergegenständlicht das sogenannte "Geistige in der Dichtung" OBJEKTLYRIK ist die objekthafte Umsetzung unabhängig davon bereits existenter poetischer Schriftstücke WIEVIELE OBJEKTHAFTE UMSETZUNGEN VERTRAGEN DIE WÖRTER EINES GEDICHTES OHNE DESSEN GESAMTGEHALT ZU BESCHRÄNKEN SONDERN ZU BESCHLEUNIGEN OBJEKTLYRIK ist lautlos gesprochene Rede OBJEKTLYRIK kombiniert Empfindungen & Erinnerungen in der Echtzeit OBJEKTLYRIK schafft keine sprachlichen Äußerungen sondern veräußert die bereits zu sich selbst gekommene Sprache des Gedichtes in einer mehrdimensionalen Installation implizierter Assoziationslabyrinthe OBJEKTLYRIK entfaltet das spirituelle Potential poetologischer Formen durch textimmanente Interpretation ihrer minimal-visuellen Komplexität OBJEKTLYRIK erlaubt einen direkten Zugang zur Kraft der Reflexion OBJEKTLYRIK als holistisches Wahrnehmungstraining transzendiert die klassische Reduktion des Bewußtseins auf fantasielose Prozesse linearer Logik durch Einbeziehung der wortlosen Ebenen von Dichtung in ihren skulpturalen Charakter als plastische Leerstellen zur Anregung der kreativen (statt konsumistischen) Lust am ideologiefreien Denken OBJEKTLYRIK öffnet das Bewußtsein für paranormale Kommunikationsenergien OBJEKTLYRIK vereinnahmt den sogenannten Geist dreifach: den Weltgeist (den es nach Auflösung metaphysischer Illusionen nicht mehr gibt), den Hirngeist (dessen neuronales System selbstreferentiell bleibt) und den Sachgeist (dessen subdialektische Substantialität keiner Projektion entrinnt, weil er nur sich selbst bezweckt) OBJEKTLYRIK schafft denkerische Tat-Sachen durch Darstellung des – zwischen den Zeilen schweigsamen – erfundenen sogenannten Unsichtbaren OBJEKTLYRIK schafft keine primären lyrischen Botschaften (wie die sogenannte "visuelle & konkrete" Poesie durch symbiotische Verschmelzung von Form und Inhalt) sondern dient als sinnliche Anwendung metapoetologischer Prämissen innerhalb vorgegebener Buchstabenmuster OBJEKTLYRIK fungiert sowohl als unmittelbare Sekundärliteratur (mithilfe ästhetischer Mittel) wie auch als selbständiger Sprachraum (mithilfe selbständiger Sprachstücke) OBJEKTLYRIK ist greifbarer/ergreifender als jede flächige Schrift und dadurch politischer als jedes Buch und plastischer als jeder noch so verschachtelte virtuelle Sprachraum OBJEKTLYRIK verleiht Gedichtwörtern ein räumliches Wirkungsfeld OBJEKTLYRIK ermöglicht, sich gemeinsam in Gedichten aufzuhalten und deren Botschaft gleichzeitig auszuhalten, ohne den Klangraum eines vortragenden Dichters zu benötigen OBJEKTLYRIK macht Rezitation überflüssig und so Textperformer arbeitslos OBJEKTLYRIK überführt die arationale Autarkie des gewählten Gedichtes in eine beispielhafte optische Repräsentanz OBJEKTLYRIK verdeutlicht durch die skulpturale Erweiterung von Zeilenumbrüchen, Zeichensetzung und orthographischen Eigenwilligkeiten die bildnerische Komponente moderner Lyrik, die in der beschriebenen Fläche nur graphisch komprimiert erscheint OBJEKTLYRIK hilft dem Rezipienten sein eigenes Denken zu aktivieren, indem sie sprachlich verdichtete Ereignisse sinnlich erlebbar macht OBJEKTLYRIK schafft bildhafte Außenräume intellektueller Erlebnisse OBJEKTLYRIK IST ALSO ZUGLEICH EINE LITERARISCHE, GRAPHISCHE, BILDENDE, DARSTELLENDE, ABSTRAKTE UND ANGEWANDTE, SINNLICHE UND GEISTIGE KUNST OBJEKTLYRIK vergrößert keine Wörter aus Selbstzweck sondern betont die bereits vorhandene mentale Größe inspirierter Zeichenstrukturen OBJEKTLYRIK kann als sinnliche Erkenntnisstimulation oder verbale Umweltverschmutzung (ähnlich der Produktwerbung) empfunden werden Die Flucht vor großen Buchstaben findet mit dem realen Körper statt
(im Original auf Mittelachse)
Quelle: Poemie.jimdo.com
Literatur:
RÜTLI-REPORT: Objektlyrik im Kunstunterricht (Ulrike Baade)