Der Dichter Firdusi
Heinrich Heine (1797-1856)
Der Dichter Firdusi 1 Goldne Menschen, Silbermenschen! Spricht ein Lump von einem Toman, Ist die Rede nur von Silber, Ist gemeint ein Silbertoman. Doch im Munde eines Fürsten, Eines Schaches, ist ein Toman Gülden stets; ein Schach empfängt Und er gibt nur goldne Toman. Also denken brave Leute, Also dachte auch Firdusi, Der Verfasser des berühmten Und vergötterten »Schach Nameh«. Dieses große Heldenlied Schrieb er auf Geheiß des Schaches, Der für jeden seiner Verse Einen Toman ihm versprochen. Siebzehnmal die Rose blühte, Siebzehnmal ist sie verwelket, Und die Nachtigall besang sie Und verstummte siebzehnmal - Unterdessen saß der Dichter An dem Webstuhl des Gedankens, Tag und Nacht, und webte emsig Seines Liedes Riesenteppich - Riesenteppich, wo der Dichter Wunderbar hineingewebt Seiner Heimat Fabelchronik, Farsistans uralte Kön'ge, Lieblingshelden seines Volkes, Rittertaten, Aventüren, Zauberwesen und Dämonen, Keck umrankt von Märchenblumen - Alles blühend und lebendig, Farbenglänzend, glühend, brennend, Und wie himmlisch angestrahlt Von dem heil'gen Lichte Irans, Von dem göttlich reinen Urlicht, Dessen letzter Feuertempel, Trotz dem Koran und dem Mufti, In des Dichters Herzen flammte. Als vollendet war das Lied, Überschickte seinem Gönner Der Poet das Manuskript, Zweimalhunderttausend Verse. In der Badestube war es, In der Badestub' zu Gasna, Wo des Schaches schwarze Boten Den Firdusi angetroffen - Jeder schleppte einen Geldsack, Den er zu des Dichters Füßen Kniend legte, als den hohen Ehrensold für seine Dichtung. Der Poet riß auf die Säcke Hastig, um am lang entbehrten Goldesanblick sich zu laben - Da gewahrt' er mit Bestürzung, Daß der Inhalt dieser Säcke Bleiches Silber, Silbertomans, Zweimalhunderttausend etwa - Und der Dichter lachte bitter. Bitter lachend hat er jene Summe abgeteilt in drei Gleiche Teile, und jedwedem Von den beiden schwarzen Boten Schenkte er als Botenlohn Solch ein Drittel, und das dritte Gab er einem Badeknechte, Der sein Bad besorgt, als Trinkgeld. Seinen Wanderstab ergriff er Jetzo und verließ die Hauptstadt; Vor dem Tor hat er den Staub Abgefegt von seinen Schuhen. 2 »Hätt er menschlich ordinär Nicht gehalten, was versprochen, Hätt er nur sein Wort gebrochen, Zürnen wollt ich nimmermehr. Aber unverzeihlich ist, Daß er mich getäuscht so schnöde Durch den Doppelsinn der Rede Und des Schweigens größre List. Stattlich war er, würdevoll Von Gestalt und von Gebärden, Wen'ge glichen ihm auf Erden, War ein König jeder Zoll. Wie die Sonn' am Himmelsbogen, Feuerblicks, sah er mich an, Er, der Wahrheit stolzer Mann - Und er hat mich doch belogen.« 3 Schach Mahomet hat gut gespeist, Und gut gelaunet ist sein Geist. Im dämmernden Garten, auf purpurnem Pfühl, Am Springbrunn sitzt er. Das plätschert so kühl! Die Diener stehen mit Ehrfurchtsmienen; Sein Liebling Ansari ist unter ihnen. Aus Marmorvasen quillt hervor Ein üppig brennender Blumenflor. Gleich Odalisken anmutiglich Die schlanken Palmen fächern sich. Es stehen regungslos die Zypressen, Wie himmelträumend, wie weltvergessen. Doch plötzlich erklingt bei Lautenklang Ein sanft geheimnisvoller Gesang. Der Schach fährt auf, als wie behext - »Von wem ist dieses Liedes Text?« Ansari, an welchen die Frage gerichtet, Gab Antwort: »Das hat Firdusi gedichtet.« »Firdusi?« - rief der Fürst betreten - »Wo ist er? Wie geht es dem großen Poeten?« Ansari gab Antwort: »In Dürftigkeit Und Elend lebt er seit langer Zeit Zu Thus, des Dichters Vaterstadt, Wo er ein kleines Gärtchen hat.« Schach Mahomet schwieg, eine gute Weile, Dann sprach er: »Ansari, mein Auftrag hat Eile - Geh nach meinen Ställen und erwähle Dort hundert Maultiere und funfzig Kamele. Die sollst du belasten mit allen Schätzen, Die eines Menschen Herz ergötzen, Mit Herrlichkeiten und Raritäten, Kostbaren Kleidern und Hausgeräten Von Sandelholz, von Elfenbein, Mit güldnen und silbernen Schnurrpfeiferein, Kannen und Kelchen, zierlich gehenkelt, Lepardenfellen, groß gesprenkelt, Mit Teppichen, Schals und reichen Brokaten, Die fabriziert in meinen Staaten - Vergiß nicht, auch hinzuzupacken Glänzende Waffen und Schabracken, Nicht minder Getränke jeder Art Und Speisen, die man in Töpfen bewahrt, Auch Konfitüren und Mandeltorten, Und Pfefferkuchen von allen Sorten. Füge hinzu ein Dutzend Gäule, Arabischer Zucht, geschwind wie Pfeile, Und schwarze Sklaven gleichfalls ein Dutzend, Leiber von Erz, strapazentrutzend. Ansari, mit diesen schönen Sachen Sollst du dich gleich auf die Reise machen. Du sollst sie bringen nebst meinem Gruß Dem großen Dichter Firdusi zu Thus.« Ansari erfüllte des Herrschers Befehle, Belud die Mäuler und Kamele Mit Ehrengeschenken, die wohl den Zins Gekostet von einer ganzen Provinz. Nach dreien Tagen verließ er schon Die Residenz, und in eigner Person, Mit einer roten Führerfahne, Ritt er voran der Karawane. Am achten Tage erreichten sie Thus; Die Stadt liegt an des Berges Fuß. Wohl durch das Westtor zog herein Die Karawane mit Lärmen und Schrein. Die Trommel scholl, das Kuhhorn klang, Und lautaufjubelt Triumphgesang. »La Illa Il Allah!« aus voller Kehle Jauchzten die Treiber der Kamele. Doch durch das Osttor, am andern End' Von Thus, zog in demselben Moment Zur Stadt hinaus der Leichenzug, Der den toten Firdusi zu Grabe trug.
Das Gedicht erschien in Heines Gedichtband "Romanzero" (1851). Heines Hauptquelle war die "Geschichte der schönen Redekünste Persiens" von Joseph von Hammer-Purgstall (Wien 1818)
Firdusi (Firdausi): persischer Dichter, 939-1020, "der größte Dichter nicht nur Persiens, sondewrn des ganzen Morgenlandes" (Hammer-Puurgstall). Sein Werk Schachname (Schach Nameh, Das Königsbuch) erzählt in mythischer Form die Geschichte Persiens von den Anfängen bis zur Eroberung durch die Araber und zum Beginn der Islamisierung im Jahre 651. Es besteht aus etwa 120000 Versen.
Ansari: "König der Dichter", Günstling des Sultans
Thus: Tos, Geburts- und Sterbeort Firdusis
La Illa il Allah: Kein Gott außer Gott, islamisches Glaubensbekenntnis