Selbstanzeige
[Selbstanzeige]
Von Arno Holz
Phantasus. Berlin. Johann Sassenbach.
Als die jungen Dichter der achtziger Jahre mitten im tiefsten deutschen Literaturfrieden plötzlich über die aufgeschreckte Bourgeoisie herfielen und die Gelbveiglein aus ihren Versen reuteten, um dafür Kartoffeln zu pflanzen, glaubten sie, damit die Lyrik, wie der Kunstausdruck lautete, „revolutionirt“ zu haben. Ich schlug auch die Trommel, schwenkte abwechselnd auch die Fahne, rasselte mit meinem eingebildeten Zahnstocher ebenfalls und bin also über die Stimmung, die damals rumorte, einigermaßen informirt. Wir hatten Glück und stehen heute in den Konversationlexiken als Begründer der sogenannten „Großstadtlyrik“. Dann kam das Jahr 1890, in dem das neue Drama geboren wurde – ich weiß, Spaßvögel behaupten, es sei unterdessen schon längst wieder gestorben –, und die Lyrik, die bis dahin das Interesse, wenigstens der Produzenten, fast ausschließlich behauptet hatte, gerieth im Handumdrehen wieder in Geringschätzung. Die eben noch auf der Barrikade gestanden, die eben noch, eine neue Welt in ihrer Leier, von einem nahen Morgenroth geträumt, das den Speckigen, die nicht durch das Nadelöhr gingen, das Jüngste Gericht bedeuten sollte, den Mühsäligen und Beladenen aber die Auferstehung, – die Göttin von gestern irrte wieder umher, geächtet wie Genoveva. Nur wenige Getreue, die ein vorsorgliches Geschick mit begüterten Vätern gesegnet, folgten ihr in die Einöde, wo der Mond sich in ihren Brillantringen spiegelte; und unter seltsamen Pappeln, die unter seltsamen Himmeln ein seltsames Rauschen vollführten, trieb nun ein seltsamer Kultus sein seltsames Wesen . . . Ich kondensire nur; ich übertreibe nicht. Das Kleid dieser wohlhabenden Jünglinge war schwarz vom schweren Violett der Trauer, sehnend grün schillerten ihre Hände, und ihre Zeilen – Explosionen sublimer Kämpfe – waren Schlangen, die sich wie Orchideen wanden. Der graue Regenfall der Alltagsasche erstickte sie. Sie wollten das schreckliche Leben der Felsen begreifen und erfahren, welchen erhabenen Traum die Bäume verschweigen. Aus ihren Büchern der Preis– und Hirtengedichte, der Sagen und Sänge, der hängenden Gärten und der heroischen Zierrathe, der donnernden Geyser und der unausgeschöpften Quellen dufteten Harmonien in Weiß, vibrirten Variationen in Grau und Grün, schluchzten Symphonien in Blau und Rosa. Noch nie waren so abenteuerlich gestopfte Wortwürste in so kunstvolle Ornamentik gebunden. Half nichts. Ihr Dasein blieb ein submarines und das deutsche Volk interessirte sich für Lyrik nur noch, insofern sie aus den Damen Friederike Kempner und Johanna Ambrosius träufelte.
Allein, wie dreitausend Jahre nach den Propheten schon Börne entdeckte: nichts ist flüchtiger als die Zeit, nichts ist dauernd als der Wechsel! Und so soll denn, wie man sich heute zuflüstert – nicht, wie früher, in den Dachstuben von Berlin N., wo die Begeisterung fieberte, o nein, die Kunst ist inzwischen glücklich exklusiver geworden, sondern in den literarischen Zirkeln von Berlin W., wo der Geschmack domizilirt – die Verstoßene wieder zurückgekehrt sein und beladen mit Schätzen, mit tausend Kleinodien, um die sie die Einsamkeit bereicherte, wieder unter uns weilen als: heimliche Kaiserin.
Heil ihr! Was könnte schöner sein? Ihr galten meine ersten Seufzer und ich war eigentlich in einem Alter, wo man gewöhnlich schon verständiger ist, als [211] ich mir allen Ernstes noch einbildete, ich würde nie in meinem Leben eine Zeile schreiben, die nicht zugleich ein Vers wäre. Alle Kunst war mir Poesie und alle Poesie Lyrik. Ich liebte sie, wie ein Page seine Königin liebt, fühlte mit Wollust auf meinen Armen ihre seidene Schleppe und war selig, wenn ich nachts auf ihrer Schwelle lag. Wenn ich daher im Moment von ihrer heimlichen Kaiserinnenschaft noch nicht ganz überzeugt bin – und ich bins nicht –, so bilde ich mir wirklich ein, daß die Gründe dieser Skepsis einigermaßen schmerzliche sind und nicht blos von einem Individuum herrühren, das das Allerheiligste nie mit Füßen betreten. Ich war noch nicht Zwanzig, als ich die ersten Verse meines ersten „Phantasus“ schrieb, und glaube also mit einigem Recht an die Brust schlagen zu dürfen:„anch‘ io!“
Ich weiß nicht, ob man mir sofort Recht geben wird. Aber der große Weg zur Natur zurück, den seit der Renaissance die Kunst nicht mehr gegangen und den nach den allerdings noch nicht überall und völlig überwundenen Eklektizismen einer Jahrhunderte langen Epigonenzeit endlich breit wiedergefunden zu haben, einer der denkwürdigsten Glückszufälle unseres Zeitalters bleiben wird, den in der Literatur, eine Generation vor uns, zuerst der Roman betrat und dann, erst in unseren Tagen, endlich auch das Drama, – dieser Weg ist von der Lyrik noch nicht beschritten worden. Weder in Deutschland noch anderswo. Wo bisher auch nur der Versuch dazu gemacht wurde, führte Das technisch zu Monstrositäten wie bei Walt Whitman. Das Alte zerbrach, aber ein Neues wurde nicht an seine Stelle gesetzt. Ich halte es nicht für überflüssig, denn ich möchte gerade in diesem Punkt nicht gern mißverstanden werden, hinzuzufügen: ich verehre in Walt Whitman einen der größten Menschen, die je gelebt haben. Nur war – keine Bewunderung kann mir darüber hinweghelfen – in ihm als Künstler eine zu große Dosis Victor Hugo. Nicht unter die großen Bildner seiner Kunst gehört er, sondern unter ihre großen Redner. Ja, er war sogar unzweifelhaft ihr weitaus größter.
Daß wir Kuriosen der Modernen Dichtercharaktere“ damals die Lyrik „revolutionirt“ zu haben glaubten, war ein Irrthum; und vielleicht nur deshalb verzeihlich, weil er so ungeheuer naiv war. Da das Ziel einer Kunst stets das gleiche bleibt, nämlich die möglichst intensive Erfassung desjenigen Komplexes, der ihr durch die ihr eigenthümlichen Mittel überhaupt offen steht, messen ihre einzelnen Etappen sich naturgemäß lediglich nach ihren verschiedenen Methoden, um dieses Ziel zu erreichen. Man revolutionirt eine Kunst also nur, indem man ihre Mittel revolutionirt. Oder vielmehr, da ja auch diese Mittel stets die gleichen bleiben, indem man ganz bescheiden nur deren Handhabung revolutionirt. Dieser Ideengang mag heute vielleicht Manchem bereits selbstverständlich scheinen. In meiner „Kunst“, 1890, lieferte ich zu ihm die Basis. Jedenfalls Zweierlei steht fest: ihn besaß damals noch Niemand von uns, und auch heute noch handhabt die Lyrik ihre Mittel in der selben Weise, in der sie schon unsere Großväter gehandhabt haben. Die Verse selbst der Allerjüngsten bei uns unterscheiden sich in ihrer Struktur in nichts von den Versen, wie sie vor hundert Jahren schon Goethe gekonnt und wie diese sich ja auch wieder nicht von den Versen unterschieden hatten, wie sie bereits das Mittelalter skandirte, oder, wenn man noch weiter will, die Antike. Man kann in die Lyrik – wenigstens in die niedergeschriebene der Kulturvölker, die andere, über die genügende Dokumente noch nicht vorhanden sind, entzieht sich leider [212] unserer Beurtheilung – zurücktauchen, so tief man will: man wird, rein formal, so unzählige Abänderungen es durch alle Völker und Zeiten auch erfahren, stets auf das selbe letzte Grundprinzip stoßen. Daß man auf dieses nicht früher kommen konnte, als bis es sich perspektivisch von einem neuen bot, erklärt sich hinlänglich durch sich selbst. Trotzdem wird es stets etwas Heikles bleiben, ein solches letztes Prinzip präzisiren zu wollen. Namentlich, wenn man es als Erster thut. Der Zweite hat es dann schon leichter. Aber ich möchte es nennen, das alte, das überlieferte: ein Streben nach einer gewissen Musik durch Worte als Selbstzweck. Oder noch besser: nach einem Rhythmus, der nicht nur durch Das lebt, was durch ihn zum Ausdruck ringt, sondern den daneben auch noch seine Existenz rein als solche freut.
In diesem Streben, das ein durchaus äußerliches ist, weil es aus einem Quell für sich fließt und nicht unmittelbar aus dem Wesen dieser Kunst, mit dem es nichts zu thun hat, trifft sich, ich wiederhole, rein formal alle bisherige Lyrik. Aus ihm gebaren sich nach und nach alle ihre Formen. Keine dieser Formen ließ den Worten – den Mitteln dieser Kunst! – ihren natürlichen Werth und eine nach der anderen wirthschaftete ab, sobald es sich ergab, daß die Welt, über die sie sich hatte stülpen wollen, für ihren umcirkelten Mechanismus denn doch ein Wenig zu weit war. Dann war mit ihr gefaßt, was sich mit ihr hatte fassen lassen; und die zu Anderem nichts mehr taugte, wanderte, ein Präparat mehr, in das gelehrte Naturalienkabinet der sogenannten „Poetik „, wo sie nun, zu ihren Schicksalsgenossinnen in Spiritus gesetzt, die Sehnsucht alles nachgeborenen Dilettantenthumes weckt.
Es würde natürlich stutzig machen, wenn es sich ergäbe, daß dieses Streben als ursprünglich letztes formales Grundprinzip sich nur in der Lyrik allein nachweisen ließe. Man würde dann daraus folgern müssen, so sehr sich die Einsicht, die dafür keinen genügenden Grund finden kann, dagegen auch sträubt, daß der Lyrik dieses Streben am Ende doch eigenthümlich sein könnte; und als Schlußfolgerung würde sich dann natürlich ganz von selbst ergeben, daß es also aus ihr auch nicht mehr eliminirbar sein würde. Dem ist aber nicht im Geringsten so. Dieses Streben hat seine Riesenrolle im Gegentheil nicht nur in der Lyrik, sondern auch in ihren beiden Schwesterkünsten gespielt, im Epos und im Drama. Und in diesen Beiden – kein vorwärts Schreitender kann darüber mehr im Zweifel sein – liegt seine Kraft bereits gebrochen. Ein Epiker, der einem vorgefaßten Klangschema zu Liebe sich noch an der Niederschrift, und sei es auch nur einer einzigen Silbe, hindern ließe, ist heute einfach nicht mehr denkbar. Von den üblichen Nachäffern sämmtlicher Epochen sehe ich natürlich ab. Diese Plebs wird es immer geben. Und wenn sich auf der anderen Seite allerdings auch nicht leugnen läßt, daß neuerdings einige, wie es scheint, wieder zurückbleibende Dramatiker unter dem erleichterten Beifall eines darüber natürlich nicht entrüsteten Publikums sich in die alten Eierschalen ihrer Kunst wieder zurückgerettet haben, so darf das abschließende Urtheil über diese Couragierten getrost der Zukunft überlassen werden. Die Entwickelung schreitet über jeden Archaismus unaufhaltsam hinweg, und wer die Unvorsichtigkeit begeht, sich unter ihre Fußspitzen zu verirren, wird, falls er unter diesen Fußspitzen verharrt, sich unter diesen Fußspitzen eines schönen Tages zerquetscht finden. Das ist das Gesetz. Es ist in unser Belieben gestellt, an ihm zu zweifeln, nicht aber, uns durch unseren Zweifel seiner Wirkung zu entziehen.
[213] Die Revolution der Lyrik, von der so Viele schon fabeln, daß sie längst eingetreten sei, wird nicht eher eintreten, als bis auch diese Kunst, gleich ihren voraufgegangenen Schwestern, sich von jenem Prinzip, das sie noch immer einengt und das ihre Schaffenden noch immer in Zungen reden läßt, die schon ihre Urururgroßväter gesprochen, endlich emanzipirt und ein neues, das sie von allen Fesseln, die sie noch trägt, erlöst, das sie von allen Krücken, auf denen sie noch humpelt, befreit, endlich an dessen Stelle setzt. Erst dann wird in die große neueuropäische Literaturbewegung, in der ihre beiden Schwesterkünste sich bereits befinden, endlich auch die Lyrik gemündet sein, und dann erst, nicht früher, werden ihre Anhänger davon träumen dürfen, ihrer heimlichen Kaiserin über ihre Rivalinnen hinweg, falls ihre Kraft sie so weit trägt, die Zukunft zu erobern!
Welches dieses Prinzip sein wird? Ich hatte das alte, das heute noch herrschende, zu definiren gesucht als „ein Streben nach einer gewissen Musik durch Worte als Selbstzweck.“ Oder noch besser: „nach einem gewissen Rhythmus, der nicht nur durch Das lebt, was durch ihn zum Ausdruck ringt, sondern den daneben auch noch seine Existenz rein als solche freut.“ Aus dieser Definition, deren Fassung ich preisgebe, ergiebt sich zwingend die neue: eine Lyrik, die auf jede Musik durch Worte als Selbstzweck verzichtet und die, rein formal, lediglich durch einen Rhythmus getragen wird, der nur noch durch Das lebt, was durch ihn zum Ausdruck ringt. Es scheint, als würde in dieser Lyrik, was man bisher unter „Form“ verstand, keinen Platz mehr finden. Ein Trugschluß. Man schließt ihn immer. Man schloß ihn auch damals, als wir vor nun schon fast einem Dezennium daran gingen, die Papiersprache, um die es sich jetzt endlich, wie mir scheint, auch in der Lyrik handelt, oder doch wenigstens um deren Suprematie, aus dem Drama zu drängen. Es war unglaublich, was wir da zu hören bekamen. Wir waren die stumpfsinnigen Barbaren, die in die blühenden Kulturen uralter Schönheit wie die Hunnen brachen, Ignoranten, die von der voraufgegangenen Herrlichkeit einer glänzenden Reihe von verrauschten Epochen keine Ahnung hatten, und was wir schufen, war „eine Thierlautkomoedie, zu schlecht selbst fürs Affentheater.“ Erst heute, allmählich, zum Theil wenigstens, ist man dahintergekommen: jene Sprache, die wir heraufführten, die wir für eine neue Entwickelungmöglichkeit als nothwendiges unterstes Fundament legten, auf dem der Aufbau, und sollte es auch noch so lange dauern, nun unmöglich mehr gehindert werden kann, diese Sprache, weit entfernt, nicht so differenzirt zu sein wie die, auf die man naiver Weise uns hinwies, setzte im Gegentheil ein Können voraus, das ungleich verfeinerter war als das durch die Zeiten geradezu zur reinen Maschine gewordene der Ueberlieferung, mit dem man heute beliebig sogenannte korrekte Ibsenprosa drechselt, oder gar – mag der Himmel ihr vergeben – fünffüßige Jamben abhackt.
Daß damit gegen die Großen, gegen die Gewaltigen der Geschichte, die in diesen Formen, als sie noch nicht ausgeleiert waren, Unvergleichliches geleistet haben, auch kein Titelchen gewagt war, daß damit das Verdikt vielmehr nur auf Diejenigen fiel, die, mit einer für sie überflüssigen Bescheidenheit nicht gerade behaftet, vor jenen Einzigen jeder lebendigen Respektsempfindung so total baar waren – und es natürlich auch noch sind –, daß dieses Geziefer sich nicht entblödet, die Gefäße, in die jene Leuchtenden ihren Geist gegossen, in seine ver[214]krüppelten Finger zu nehmen, um diese Manipulation nun auch zu versuchen und so jenen Auserwählten gewissermaßen nachträglich Konkurrenz zu machen, – dieser ganze Ideenkomplex, sollte man meinen, war so selbstverständlich, daß es wirklich überflüssig erscheinen mußte, ihn damals auch nur zu streifen; geschweige denn, ihn gar umständlich festzulegen. Trotzdem lese ich noch heute: „Ich glaube nicht, daß Jemand das Wesen unseres modernen Stiles richtig würdigen kann, der wie Holz über Shakespeare zu sprechen vermag.“ Ich habe über Shakespeare noch niemals gesprochen, sondern mich nur begnügt, zu konstatiren, daß unsere Sprache im Drama nicht mehr die seine ist und daß unsere im Gegensatz zu aller voraufgegangenen, die wir nur noch, um mich so auszudrücken, „historisch“ genießen, die heute lebendige ist. Und da kommt Das nun, genirt sich nicht, seine Mikrobenhaftigkeit schützend vor einen Giganten wie Shakespeare zu stellen, und schreibt: „unseres modernen Stiles“, den „richtig würdigen zu können“ dieser kostbar überzeugte Thürhüter des Allerheiligsten, auf den die Entwickelung wirklich erst gewartet zu haben schien, mir absprechen muß. „Unseres“, das heißt also desjenigen Stiles, der, so weit er bereits Stil geworden – denn ein anderer ist, wenigstens bei uns in Deutschland, vorläufig noch nicht zu entdecken – von mir in Gemeinschaft mit meinem Freunde Johannes Schlaf überhaupt erst geschaffen wurde! . . . Es hieße, dieser Sorte, die sich heute, Goethe im Maul und Mikosch im Herzen, in Alles mengt, und zwar in Jedes, wie das Exempel wieder lehrreich belegt, um so dreister, je kläglich weniger sie davon versteht, selbstverständlich zu viel Ehre anthun, wenn man sich auch nur einen Einzigen aus ihr langte und ihn unter die Douche hielte. Die Sekte wird doch nicht alle. Aber ich gestehe gern, ich habe durch diese Leute gelernt und erkläre daher diesmal ausdrücklich: Kein Ruhm der alten Zeit wird dadurch, daß ich heute auch in der Lyrik ihre alten Formen für altes Eisen deklarire, angetastet. Auch ich – die Herren dürfen davon überzeugt sein – weiß ein goethesches Lied über einen Schmarren von Ludolf Waldmann zu stellen und in meinem Schädel befindet sich ein Archiv, mit lyrischen Wunderwerken gewesener Generationen so vollgepropft, daß ich wirklich davon überzeugt bin, es wird in ihrer Art Köstlicheres nie geschaffen werden. Nur eben – und darum dreht es sich, wie es sich stets drehen wird in solchen Fällen –: inihrer Art! Die Menschheit, so weit sie Lyrik betreibt, hat aber – sagen wir – höchstens zehn, fünfzehn Jahrtausende bereits hinter sich und aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens die zehnfache Zeit – auf eine kleine Handvoll Jahrtausende mehr oder weniger kann es ja dabei zum Glück nicht ankommen – noch vor sich. Es wird daher muthmaßlich noch eine ganze Reihe von solchen Arten geben und jede wird ihr Höchstes erreicht haben und dann nothwendig der nächsten Platz machen müssen, nachdem sie im Grunde genommen eigentlich immer wieder nur Das für ihre Zeit geleistet haben wird, was die voraufgegangene bereits für ihre Zeit geleistet hatte. Das ist alles. Mir scheint, es kann Simpleres nicht geben.
Eine Lyrik, die auf jede Musik durch Worte als Selbstzweck verzichtet und die, rein formal, lediglich durch einen Rhythmus getragen wird, der nur noch durch Das lebt, was durch ihn zum Ausdruck ringt. Eine solche Lyrik, die von jedem überlieferten Kunstmittel absieht, nicht, weil es überliefert ist, sondern, weil sämmtliche Werthe dieser Gruppe längst aufgehört haben, Entwickelungwerthe zu sein, habe ich in meinem Buche versucht.
[215] Wozu noch der Reim? Der Erste, der – vor Jahrhunderten! – auf Sonne Wonne reimte, auf Herz Schmerz und auf Brust Lust, war ein Genie, der Tausendste, vorausgesetzt, daß ihn diese Folge nicht bereits genirte, ein Kretin. Brauche ich den selben Reim, den vor mir schon ein Anderer gebraucht hat, so streife ich in neun Fällen von zehn den selben Gedanken. Und man soll mir die Reime nennen, die in unserer Sprache noch nicht gebraucht sind. Gerade die unentbehrlichsten sind es in einer Weise, daß die Bezeichnung „abgegriffen“ auf sie wie auf die kostbarsten Seltenheiten klänge. Es gehört wirklich kaum „Uebung“ dazu: hört man heute ein erstes Reimwort, so weiß man in den weitaus meisten Fällen mit tötlicher Sicherheit auch bereits das zweite. Wir vom Publikum haben dann schon immer antizipirt, womit, um mit Liliencron zu reden, der „Tichter“ nun erst hinterdreinhinkt. Wir hören Witzen zu, wissen aber leider immer schon die Pointen. Das wäre drollig und schade, daß es ausstürbe, wenn es auf die Dauer nicht so langweilig wäre. So arm ist unsere Sprache an gleichauslautenden Worten, so wenig liegt dies „Mittel“ in ihr ursprünglich, daß man sicher nicht allzu sehr übertreibt, wenn man blind behauptet, fünfundsiebenzig Prozent ihrer sämmtlichen Vokabeln waren für diese Technik von vorn herein unverwendbar, existirten für sie gar nicht. Ist mir aber ein Ausdruck verwehrt, so ist es mir in der Kunst gleichzeitig mit ihm auch sein reales Aequivalent. Kann es uns also wundern, das uns heute der gesammte Horizont unserer Lyrik um folgerecht fünfundsiebenzig Prozent enger erscheint als der unserer Wirklichkeit? Die alte Form nagelte die Welt an einer bestimmten Stelle mit Brettern zu, die neue reißt den Zaun nieder und zeigt, daß die Welt auch noch hinter diese Bretter reicht. Gewiß, es mag Individualitäten geben, die sich wohl fühlen werden in dem alten Mausloch bis in alle Ewigkeit. Niemand wird sie daran hindern. Nur wird ihre Thätigkeit für den Fortschritt in ihrer Kunst ungefähr den selben Werth haben, den heute das Soldatenspielen unserer kleinen Kinder für den künftigen Weltkrieg hat. Der Tag, wo der Reim in unsere Literatur eingeführt wurde, war ein bedeutsamer; als einen noch bedeutsameren wird ihre Geschichte den Tag verzeichnen, wo dieser Reim, nachdem er seine Schuldigkeit gethan, mit Dank wieder aus ihr hinauskomplimentirt wurde. Für Struwwelpeterbücher und Hochzeitkarmina kann er ja dann immer noch, je nach Bedarf, durch die Hinterthür wieder eingelassen werden.
Aehnlich die Strophe. Wie viele prachtvollste Wirkungen haben nicht ungezählte Poeten Jahrhunderte lang mit ihr erzielt! Wir alle, wenn wir Besseres nicht zu thun wissen und alte Erinnerungen locken, wiegen uns noch in ihr. Aber eben so wenig wie die Bedingungen stets die selben bleiben, unter denen Kunstwerke geschaffen werden, genau so ändern sich auch fortwährend die Bedingungen, unter denen Kunstwerke genossen werden. Unser Ohr hört heute feiner. Durch jede Strophe, auch durch die schönste, klingt, sobald sie wiederholt wird, ein geheimer Leierkasten. Und gerade dieser Leierkasten ist es, der endlich aus unserer Lyrik heraus muß. Was im Anfang Hohes Lied war, ist dadurch, daß es immer wiederholt wurde, heute Bänkelsängerei geworden.
Es kann natürlich nicht meine Absicht sein, Alles, was die bisherige Form von der zukünftigen trennen wird, hier schon heute positiv und negativ in Paragraphen zu zwängen. Es genügt, daß vorläufig das Prinzip gegeben ist. Man [216] kann unmöglich bereits die Blätter an einem Baum zählen, dessen Keim kaum erst aus der Erde ragt. Ihre ungefähren Umrisse lassen sich bestimmen; ihre Zahl und Pracht ist Sache der Entwickelung.
Wie wenig mir in meinem Buche Das, was mir vorschwebte, schon geglückt ist, fühle ich selbst am Tiefsten. Nur hier und da, in einzelnen Gedichten, in kleinen Absätzen, oft nur in wenigen Zeilen, glaube ich es bereits gelungen. Mein Leben, dessen äußere Umstände leider nie danach geartet waren, daß ich Ideen, die ich für die einzig fruchtbringenden hielt, ungestört nachgehen durfte, hat mich die Zeit, die Konzentration und die Kraft, die dazu gehört hätten, diese Arbeit, die sich als die natürliche Aufgabe einer ganzen Generation darstellt, sofort selbst, allein und bis ins Einzelnste zu bewältigen, nicht aufbringen lassen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß es mir gelingen wird, unterstützt von gleich Ueberzeugten, die mir folgen werden und die, je nach ihrer Individualität, das Angefangene vertiefen und weiterbilden werden, mit jedem neuen Buche meinem Ziel um einen Schritt näher zu kommen.
Es ist mir keinen Augenblick zweifelhaft, daß man mich sofort auf Goethe und namentlich auch auf Heine verweisen wird: Da, sieh Dir an, ihre „Freien Rhythmen“; ist in denen nicht Alles, was Du willst, längst erfüllt? Diese Besserwissenden, ich kann mir nicht helfen, sind ein Bischen schwerhörig. Der geheime Leierkasten, von dem ich behauptete, daß er für feiner Hörende durch unsere ganze bisherige Lyrik klänge, klingt deutlich auch durch jene sogenannten „Freien Rhythmen.“ Sie mögen meinetwegen von Allem frei sein, von dem man <wünscht>, daß sies sein sollen; nur nicht von jenem falschen Pathos, das die Worte um ihre usprünglichen Werthe bringt. Diese ursprünglichen Werthe den Worten aber gerade zu lassen und die Worte weder aufzupusten noch zu bronziren oder mit Watte zu umwickeln, ist das ganze Geheimniß. In diese Formel, so unscheinbar sie auch aussieht, konzentrirt sich Alles. Wenn ich einfach und schlicht – nota benevorausgesetzt, daß mir Dieses gelingt, nur mißlingt es mir leider noch meistens! – „Meer“ sage, so klingts wie „Meer“; sagt es Heine in seinen Nordseebildern, so klingts wie „Amphitrite“. Das ist der ganze Unterschied. Er ist allerdings so wesenstief, daß das Gros, ich gebe mich da absolut keinen Illusionen hin, höchst wahrscheinlich erst hinter ihn kommen wird durch seine Enkel. Die zeitgnössische französische vers-libre-Bewegung – ich habe sie leider zu wenig kontroliren können, aber ich vermuthe, daß ihre letzte Tendenz sich mit meiner deckt – scheint mir in Theorie und Praxis erst bis zu Goethe und Heine gelangt. Jedenfalls: von Allen, die in Deutschland bisher Verse geschrieben, weiß ich nur Einen: Liliencron! Man lese sein Lyrikon „Betrunken.“ Da ist alles bereits erreicht. Aber er wußte offenbar selbst nicht, was ihm gelungen war, und die Wunderthür, die seine Wünschelruthe schon gesprengt hatte, fiel, ohne daß er Dessen, wie im Märchen, gewahr wurde, wieder hinter ihm ins Schloß. Er war zu sehr Dichter, „nur“ Dichter, um zu ahnen, welchen seltsamen Dingen er bereits auf der Spur gewesen. Andere, Jüngere, kamen erst später und waren zweifellos schon beeinflußt. Es waren Kräfte unter ihnen, darunter sogar eine erste Kraft wie Mombert, aber Alles blieb nur ein Tappen. Was mit der einen Leistung bereits errungen war, wurde mit der anderen wieder preisgegeben. Es war überall, falls ich mich hier des ehemaligen Jargons der seligen Gartenlaube bedienen darf, nur erst „Instinkt“, noch nirgends „Ueberlegung“.
[217] Ich habe mir mein Buch, ähnlich wie mein Drama „Sozialaristokraten“, als das erste einer Reihe gedacht. Ich setzte über diese beabsichtigte Reihe meinen alten Titel „Phantasus“, weil es mich drängt, eine Idee, die ich als junger Mensch nur unvollkommen habe ausdrücken können und mit Mitteln, die nicht mir selbst gehörten, heute vollkommener auszudrücken und mit Mitteln, die ich nicht mehr meinen Vorgängern verdanke. Da ich mir jedoch die Zahl der Einzelstücke, die in diesem ersten Theil nur fünfzig beträgt, im vollendeten Werke als eine ungleich größere vorstelle, so glaubte ich, den Versuch, schon jetzt durch diese Fragmente die geplante Komposition durchschimmern zu lassen, noch nicht unternehmen zu dürfen. Es würde also ziemlich aussichtslos bleiben, schon jetzt zwischen den einzelnen Gedichten jenen Faden zu suchen, der unmöglich bereits da sein kann. Die für den ersten Augenblick vielleicht etwas sonderbar anmuthende Druckanordnung – unregelmäßig abgetheilte Zeilen und unsichtbare Mittelachse, die ich für diese Form bereits seit Jahren vorgesehen, inzwischen ist sie glücklich „modern“ geworden – habe ich gewählt, um die jeweilig beabsichtigten Lautbilder möglichst auch schon typographisch anzudeuten. Denn wenn irgend eine bisher, so ist es gerade diese Form, die, um ihre volle Wirkung zu üben, den lebendigen Vortrag verlangt. Und so wenig allerdings eine solche „Typographie“ auch schon genügen mag, uns steht leider ein anderes Mittel für solche Zwecke zur Zeit noch nicht zur Verfügung. Was ich auf diese Weise gegeben, ich weiß, sind also gewissermaßen nur Noten. Die Musik aus ihnen muß sich Jeder, der solche Hieroglyphen zu lesen versteht, allein machen.
Meine ersten Ansätze zu der, wie ich glaube, eigenthümlichen Technik des Buches, der letzte Einfachheit das höchste Gesetz ist, der möglichste Natürlichkeit die intensivste Kunstform scheint und die, wenigstens in solcher Bewußtheit, noch von Keinem bisher durchgeführt wurde, reichen bei mir weit zurück. Das Einleitungsgedicht, das älteste, das in seiner Technik allerdings noch bedenklich zurück ist und dem die Ueberlieferung noch aus allen Poren guckt – ich glaubte trotzdem, nicht von ihm absehen zu dürfen, weil es sich später für mich herausstellte, daß zufällig gerade in ihm psychologisch mein Ausgangspunkt gesteckt –, datirt bereits aus dem Jahre 1886. Dann kamen die Prosaexperimente gemeinsam mit Johannes Schlaf, die in den „Neuen Gleisen“ niedergelegt sind, und erst 1893, also volle sieben Jahre später, gab ich neue Proben. Sie erschienen im „Modernen Musen-Almanach“ von Otto Julius Bierbaum und veranlaßten damals das Schlagwort „Telegrammlyrik“. Hatte die Kritik damals Recht, so stammten sie von einem Idioten. Unterdessen haben sie aber doch in der Stille gewirkt und ich würde deshalb einigermaßen überrascht sein, wenn man heute versichern wollte, daß ich noch mit ihnen allein stünde. Daß ich mit ihnen erst so spät auf den Platz trete, hat, um schließlich auch Das noch nicht unerwähnt zu lassen, seinen Grund darin, daß sieben tote Jahre hinter mir liegen, in denen ich versucht hatte, mich meinen künstlerischen Plänen zu Liebe, die ich anders nicht glaubte durchführen zu können, materiell unabhängig zu machen. Leider vergeblich. Ich diente um die Rahel und kriegte nicht mal die Lea! Erst vor etwa einem Jahr, durch die Initiative des Herausgebers dieser Zeitschrift – ich bitte ihn, mir diese Zeile nicht zu streichen –, war es mir ermöglicht worden, meine unterbrochenen Arbeiten wieder aufnehmen zu dürfen. Meint man, meine Verse seien gar keine, [218] sondern nur abgetheilte Prosa, so habe ich nichts dagegen. Es kommt mir auch hier wieder nicht auf den Namen an, sondern nur auf die Sache. Und die besteht, ich wiederhole, darin, daß ich den Weg, den das Drama bereits gegangen, nun endlich deutlich auch für die Lyrik zeigen will. Daß sie ihn nicht gehen wird, ist vollkommen ausgeschlossen. Er allein führt in die Zukunft.
Es ist merkwürdig, was es für Leute giebt. Man hat sich mit aller Energie, die in Einem ist, Jahre lang über ein Problem das Gehirn zergrübelt und begeht dann die Unvorsichtigkeit, nachdem ein Resultat dabei herausgesprungen scheint, an dieses Resultat nicht nur zu glauben, sondern, was schon bedeutend schwerer fällt, auch diesem Resultat entsprechend zu handeln, – und die Gentleman pflanzen sich sofort auf wie das schönste Ehrenspalier und brüllen: Kennen wir! Wieder Einer, dem die Trauben zu sauer sind, weil sie ihm zu hoch hängen! So las ich erst unlängst: mein Wollen, so weit es sich ums Theater dreht, „würde unbegreiflich sein, wenn nicht klar wäre“: – ich citire wörtlich! – „er will nur gerade so, weil er nicht anders kann, er macht aus seiner Noth eine Tugend für Alle. Diese Erkenntniß (!) können auch die längsten und klarsten Erörterungen <von> Kunstprinzipien nicht verdunkeln; sie würde nur dann als irrthümlich sich erweisen, wenn Holz einmal durch die That bewiese, daß er nur so dichte, weil er Das für das Richtige halte, und auch anders, in der für alt und unwahr (!!) erklärten Weise Dramen zu schreiben vermöge, falls er diese Weise für die rechte erkenne; erst wenn er mal ein Stück schreibt, wie die Anderen es thun, wird man ihm glauben müssen, daß nur künstlerische Ueberzeugung und nicht bemänteltes Unvermögen ihn zwingt, in seiner Weise zu schreiben!“ Der Biedere, der Dieses in seiner Weise geschrieben, mag unbesorgt sein. Ich beabsichtige nicht, von seinem Recht auf Stupidität Gebrauch zu machen. Nur bin ich wirklich neugierig. Wie wird man mir jetzt kommen? Gegen „bemänteltes Unvermögen“ wenigstens glaube ich, diesmal glücklich geschützt zu sein. Ich führe nur einen Beleg an. Ich hoffe, er wird ausreichen. Denn er stammt von einem „Kunstrichter“, der es vor seinen Lesern energisch ablehnte, über mich als Dramatiker auch nur zu referiren, da Elaborate, wie die meinigen, – wahrscheinlich ähnlich wie der Geschundene Raubritter und Verwandtes – „nicht in die Literatur gehörten.“ So tief schätzte er mich in seiner Theaterrubrik. Einige Monate früher, als er von der Redaktion des PANaufgefordert worden war, über „die Entwickelung der neueren Lyrik in Deutschland“ zu schreiben, hatte dieser selbe Mann geglaubt, über mich als Lyriker berichten zu müssen: „Er ist unter den Jüngeren der glänzendste Versequilibrist, der geschickteste und gewandteste Sprachtechniker, der Künstler der Außenform“. Das genügt. Auf alles Uebrige verzichte ich an dieser Stelle. Ich hoffe also, auf meine Zeitgenossen und Mitdeutschen, auf die, man mag sagen, was man will, alles Moralische doch immer noch seine sichere Wirkung übt, einen gewissen Eindruck zu Gunsten meiner Sache nicht zu verfehlen, wenn ich mich jetzt vor sie hinstelle und sage: „Lieber deutscher Michel! Du entschuldigst, daß ich Dich kollektiv anrede. Aber alles, was dieser glänzendste Versequilibrist, dieser geschickteste und gewandteste Sprachtechniker, dieser Künstler der Außenform kann oder, noch besser, was man ihm zuschreibt, daß er es könnte – und Tausende, die danach ringen, würden froh sein, wenn sie es könnten oder wenn man es ihnen zuschriebe, daß sie es könnten –, und wäre es selbst das ungezählt Hundertfache, [219] ist vor Dem, was uns noth thut, noch nicht so viel werth, daß ich es hier auf Daumen und Zeigefinger lege und in die Luft knipse. Er pfeift darauf! Er hat den schönen schillernden Marschallsstab, der dem Zwanzigjährigen in die Träume gefunkelt, schon seit Jahr und Tag wieder in den Tornister gesteckt und ist froh, daß ihm heute, fünfzehn Jahre später, über seine Schultern wieder die Pike hängt. Wir müssen Alles vergessen und Alles von Neuem anfangen! Unsere Väter in ihrer Art, wir in unserer. Nur so kommen wir weiter.“ . . .
Aus einem kleinen, sauber gedruckten Büchlein, das auf seinem Umschlag, gezeichnet von Thomas Theodor Heine, hinter einer vorgehaltenen Löwenmaske einen beliebten Kletterkünstler aus dem Zoologischen Garten zeigt – wie es scheint, in Vertretung des Verfassers –, erfahre ich eben, wo ich diese Zeilen beendet habe, daß ich von allen Jüngeren „der gesundeste und mithin uninteressanteste“ bin. Um meinen Mangel an Originalität zu verdecken, die nicht meine Sache wäre, hätte ich einst „vor lauter Geistlosigkeit den konsequenten Realismus erfunden.“ Ich benutze diese Gelegenheit, um hinzuzufügen, daß ich mir bewußt bin, mit diesem meinem neuen Buche, oder doch wenigstens mit Dem, was ich mit ihm beabsichtige, aus dem gleichen Beweggrunde diese „Erfindung“ heute zum Abschluß zu bringen. Daß ich meinem Schicksal nicht entgehen, daß ich für diesen Wahnwitz hängen werde, weiß ich. Aber ich fürchte den Galgen nicht. Ich kenne ihn. Er ist nur aus Zeitungpapier.
Erstdruck:
Die Zukunft.
Bd. 23, 1898, 30. April, S. 210-219.