Dichten (Maurer)

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Georg Maurer: Kleines ästhetisches Bekenntnis

Dichten heißt: nicht Schamane sein, nicht Beschwörer, nicht Überredner, nicht Gefühlsexentriker. Das heißt, nicht Gefühle über Dinge sagen, sondern die Dinge so sagen, dass sie gefühlt werden können. Nicht eine Sache interessant machen wollen, sondern das Interessante der Sache entdecken. Nicht die eigene Begeisterung hinausposaunen, sondern das Hinreißende der Sache zur Sprache bringen.

In der heutigen Situation unserer Lyrik vor allem gilt es, mehr aus unserer Wirklichkeit herauszuholen, sie zu einem reicheren, differenzierteren Sprechen zu bringen - als wir gemeiniglich von ihr hören.

Wir dürfen den Dingen nicht Unrecht tun, sie sind nicht so mager und abgehärmt, sie sind nicht so nüchtern (auch die Liebe nicht), wie sie uns von der einen Seite geschildert werden – und sie sind auch nicht so zurechtgemacht, gekämmt, mit Lippen- und Wangenrot versehen, wie das mancherorts mit Leichen gemacht wird, damit ihr Anblick für die Trauernden etwas angenehmer sei.


Quelle

  • Georg Maurer, Werke in zwei Bänden. Bd. I. Halle, Leipzig: Mitteldeutscher Verlag 1987, S. 547.

Auch in:

  • Georg Maurer: Was vermag Lyrik? Essays, Reden, Briefe, ‪Was vermag Lyrik: Essays, Reden, Briefe‬. Hg. von ‪Heinz Czechowski‬. Leipzig: Reclam 1982.