Lappe, Karl
Adolf Häckermann in: Allgemeine Deutsche Biographie (1883)
Lappe: Karl L.,
wohl der begabteste unter den lyrischen Dichtern Pommerns, wurde geb. den 24. April 1773 zu Wusterhusen, einem Kirchdorfe zwischen Greifswald und Wolgast, als jüngster Sohn des Predigers daselbst und starb den 28. October 1843 zu Stralsund. Schon im 7. Jahre verlor er den trefflichen Vater, und so entwickelte sich in dem talentvollen Knaben früh eine größere Selbständigkeit und der Drang, sich durch eigene Thatkraft den Weg durchs Leben zu bahnen. Nachdem er in Wolgast unter Kosegarten’s Leitung, der wol zunächst die in ihm schlummernde Liebe zur Poesie geweckt und sein dichterisches Talent genährt, für die gelehrten Studien herangebildet war, bezog er im 17. Lebensjahre die Universität Greifswald, woselbst ihn eine innige Jugendfreundschaft mit seinem später so gefeierten Landsmanne Ernst Moritz Arndt verband. Nach Vollendung seiner theologischen und philosophischen Studien wirkte er acht Jahre meistens als Hauslehrer, zuletzt bei seinem Gönner Kosegarten, der als Propst nach Altenkirchen auf Rügen versetzt war, bis er endlich 1801 an dem Gymnasium zu Stralsund eine Anstellung fand, und wenige Monate später durch die Vereinigung mit dem Mädchen seiner Wahl ein mehr denn 40 Jahre dauerndes, an Freuden und Leiden reiches Familienleben begründete. Mit ganzer Seele seinem Berufe ergeben und ein pflichtgetreuer Führer der Jugend, mußte er nach 16jähriger verdienstvoller Wirksamkeit dem Lehrfache entsagen, da seine durch eine tödtliche Krankheit und manches Familienunglück tief erschütterte Gesundheit unabweisbar Ruhe von aufreibenden Amtsgeschäften erheischte. In der erfrischenden Landluft fand er die gewünschte Kräftigung und, um seine und seiner zahlreichen Familie Existenz zu erleichtern, erwarb er in dem Kirchdorfe Pütte, welches unfern Stralsund malerisch zwischen dem Pütter- und Borgwallsee in anmuthiger Gegend liegt, eine kleine Besitzung, die er selbst bebaute. Wie froh und zufrieden er sich hier im Genuß der freien Natur in heiterer Familiengeselligkeit, seine Zeit zwischen dem Feldbau und den Musen theilend, fühlte, zeigen mehrere seiner Gedichte, in denen er gleich dem „alten Vater Gleim“ seine „Hütte“ und sein ländliches Glück besang. 24 Jahre verbrachte er hier in stiller, beschaulicher Einsamkeit, hauptsächlich mit der Erziehung und geistigen Ausbildung seiner zahlreichen Kinder, nebenher schriftstellerisch fort und fort beschäftigt. Nur einmal brach das Verhängniß in dies idyllische Stillleben erschütternd ein, als am Abend des 10. März 1824 seine „geliebte Hütte“ zugleich mit der Bibliothek und den im Selbstverlag erschienenen Schriften durch ruchlose Brandstiftung eines unentdeckt gebliebenen Widersachers ein Raub der Flammen ward. Bei dieser Gelegenheit gab sich die regste und thätigste Theilnahme für den heimathlichen und echt volksthümlichen Dichter kund; von allen Seiten durch Rohmaterial, durch Hand- und Spanndienste und Geldmittel unterstützt, vermochte er, wie er selbst in einem Gedichte sagt, ein „Haus“ zu bauen, in welches er nunmehr mit einem schönen Liede die zerstreut gewesene Familie heimrief. Noch eine ganze Reihe von Jahren hat er glücklich in seinem verschönten Tusculum verlebt und litterarisch eine reiche Schöpferkraft bewährt. Während seiner amtlichen Wirksamkeit hatte er ein auch anderweitig vielfach gebrauchtes poetisches Magazin für seine Schüler [705] zusammengestellt, hinterher aber 1818 seine „Mitgabe nach Rügen, den Reisenden zur Begleitung und Erinnerung“ und 1820 sein „Pommerbuch, ein vaterländisches Lesebuch für die Provinz Pommern“, welches auch der heimathlichen Jugend zugeeignet ist, folgen lassen. Seitdem er den Sorgen des Schulamtes entrückt, ganz sich selber angehörte, sproßte seine litterarische Thätigkeit immer voller und reicher auf. In dem friedlichen Stillleben gediehen jene duftigen Blüthen seiner Muße; und wie des Dichters Leben, von dem erwähnten Mißgeschick abgesehen, ohne große Schicksalschläge und erschütternde Herzenskämpfe verfloß, so rinnt auch der klare Quell seiner Poesie rein und ungetrübt dahin, widerspiegelnd das Bild eines beschaulichen Geistes mit tiefer Weisheit und Lebenserfahrung und einer liebenswürdigen, schönen Seele, welche sich dem Ewigen und Wahren zugewandt hat. Nur nebenbei erwähnen wir von seinen poetischen Erzählungen den „Froschmäuseler“, „Klimms und Gullivers wunderbare Reisen“, „Die Insel Felsenburg“, von seinen anderweitigen litterarischen Arbeiten „Kellgren’s prosaische Schriften aus dem Schwedischen“. Den Hauptkern seiner eigenen dichterischen Production enthalten die „Blätter von Karl L.“ in drei Heften, 1824–29, später 1836 und 1840 bei Oeberg in Rostock in erster und zweiter Auflage als „Sämmtliche poetische Werke“ in fünf Bänden erschienen, denen auch eine ganze Reihe kleinerer Aufsätze in Prosa beigefügt ist; und nach ihnen zumeist wird man die Werthschätzung seiner poetischen Schöpferkraft zu bemessen haben. Halb der klassischen, halb der romantischen Periode angehörend, hat der Dichter folgerecht die Vorzüge der einen mit den Mängeln der anderen vereinigt; erstere liegen in der schlichten und einfachen Naturwahrheit seiner Lieder – letztere in den hin und wieder bemerkbar werdenden Anklängen und Reminiscenzen theils an Ossian’s einst so hochgeschätzte Nebel- und Mondscheinpoesie, theils an die besonders von Fouqué so vielfach verherrlichte altnordische Sagen- und Götterwelt. Gleichwol zeichnen sich die letzteren durch poetische Kraft und Fülle, wie durch Wohlklang der Sprache aus. Dieselben Eigenschaften lassen sich seinen freien Nachbildungen englischer, schwedischer und dänischer Lieder und Balladen nachrühmen. Höheren Werth aber haben die rein lyrischen, wie didaktischen und episch gefärbten Gedichte der ersteren Gattung, aus denen man herausfühlt, daß des Dichters innerster Drang sie als den getreuen Ausdruck wahrer und wirklicher Seelenstimmungen geschaffen hat. In mancher Beziehung erinnert er an Johann Heinrich Voß, überragt ihn jedoch bei weitem an poetischer Kraft und Innigkeit. Besondere Hervorhebung verdienen die Lieder, welche theils den hohen Werth eines von aller Welt abgetrennten Daseins besingen, theils das trauliche Glück der Selbstbescheidung und der Ergebung in das einmal vom Himmel dem Menschen zugefallene Loos. In seinem schönsten, von vielen Tonkünstlern, besonders von Beethoven, trefflich componirten Lied „So oder So“ gab er diesem Gedanken den vollendetsten Ausdruck. In enger Beziehung zu dieser Gattung steht eine Reihe von Gedichten, die das Landleben oder die selige Freie und Frische der Natur oder das schattige Dunkel der heimathlichen Wälder feiern. Mit Glück ist hier und dort z. B. in der bekannten Frostnacht: „Friede dir, freudiger Frost der Nacht, Blinkende, blanke Blume des Schnees“ der alte Stabreim angewandt. Durchweht sind alle diese Gedichte von dem Hauche echter, tief innerer Frömmigkeit und nicht selten durchzogen von einem höchst wohlthuenden feinen und schalkhaften Humor, der auch in den verschiedenen Hochzeitsliedern, sowie in den prosaischen Schriften, welche aus anziehenden Novellen, Novelletten, Skizzen, Märchen, kurzen Aphorismen und Gedankenspänen bestehen, zur Geltung kommt. Mitunter nimmt seine Muse aus diesem gemüthlichen Stillleben heraus einen höheren, freieren Flug und weiß auch die größten und erhabensten Ideen des menschlichen Geistes in vollklingenden [706] Rhythmen zu feiern. Davon zeugen auch seine Zeitgedichte, in deren vollendetsten er Ereignisse des Jahres 1813 besang; mit diesen, besonders seinen Oden, hat er sich der glänzenden Reihe vaterländischer Freiheitssänger würdig angeschlossen. Seine epische Erzählung „Miranda“ behandelt einen höchst wirksamen Stoff aus dem Zeitalter der Entdeckungen und speciell aus dem Zuge Kabots nach Paraguay; die Schönheit der Darstellung gipfelt in der Schilderung von der erwachenden Gluth der Liebe und Eifersucht des wilden Mangora, die schließlich zur Alles verzehrenden Flamme wird. Endlich ist noch eine Seite der Dichtungen hervorzuheben, die das bedeutsamste Licht auf den Verfasser wirft und ihn am treuesten charakterisirt, das ist die glühende Liebe und Begeisterung für seine engere Heimath. So besingt er bald die verschiedenen Gegenden und Oertlichkeiten Vorpommerns und weiß dabei mit scharfer und dennoch poesievoller Beobachtungsgabe auch bei den kleinsten Fleckchen eine specifische Eigenthümlichkeit herauszufinden und dichterisch zu gestalten, bald besingt er die Naturschönheiten der Insel Rügen, dieser schönsten Perle des deutschen Nordens, zu der ihn gleich dem älteren Freunde Ernst Moritz Arndt immer wieder die unbezwingliche Sehnsucht zieht, so oft er am Strande der Pommernküste weilt, daß er auf Vogelschwingen hinüberdringen möchte nach den dunklen Buchenwäldern, den Kreidefelsen und romantischen Hügeln und Seen, den stillen, dunkelumthürmten Uferauen, bald endlich den ewig neuen und doch ewig gleichen Reiz des die Insel umgürtenden Meeres. In der Schilderung heimathlicher Naturschönheiten ist L. ein vollendeter Meister, besonders in der Zeichnung der wechselnden Erscheinungen der See, mag er nun der Brandung lautes Toben malen, wie sie grollend ans Gestade schlägt, daß die Kreidepfeiler dröhnen und die Dünen Schonung flehen, den überirdischen Klang der Wellenstimmen, die bald schauertragend, bald sehnsuchtweckend, wie Kriegestöne und Liebesgeflüster, wie Prophezeiung von seligen Welten oder wie Todtenruf erschallen, oder den Genuß des Bades in der lauen Fluth, die erquickend die versengte Brust umbrandet und festen Sinn und leichten Muth den Menschen leiht, oder in anmuthigen Weisen die Schönheiten des Winterstrandes und die Reize des Fischergewerbes besingen, welche rüstigen Muth gibt und zum Erbe die Güter der Fluth hat, oder die Wonne der Schiffer, die mit wallendem Wimpel und hüpfendem Kiel auf der rollenden Woge fröhlich dahinschweben, oder endlich das majestätische Hinabsinken des Sonnenballs in den feuchten Meeresschooß. Auch wirft er Cypressen auf die Gräber verdienter und berühmter Heimathgenossen und ebenso hat er in den „Blüthen des Alters“, Stralsund 1841, die letzte Spende seiner Muse gleichsam auf den Altar der engeren Heimath gelegt. Auch darin finden sich wahre Perlen poetischer Didaktik in echt volksthümlicher Fassung; wir nennen nur das Gedicht: „Ducke dich“. Mittlerweile hatte er sich, nachdem seine beiden Söhne in ihren Lebensberuf, seine zahlreichen Töchter als Erzieherinnen in fremde Familien eingetreten waren, in jener ländlichen Abgeschiedenheit zu vereinsamt gefühlt und nach Verkauf der kleinen Besitzung seinen Wohnsitz nach Stralsund im Spätherbst 1842 zurückverlegt, um dort einen heiteren Lebensabend zu verbringen. Auf dem Frankenkirchhofe daselbst fand er bald darauf die letzte Ruhestätte. Sein Grabkreuz zieren die Schlußworte seines schönsten Liedes „Schlaf oder Tod, hell strahlt das Morgenroth“.
Biederstedt’s Nachrichten von den jetzt lebenden Schriftstellern in Neuvorpommern und Rügen, Stralsund 1822, S. 72 ff.; Zober, Bericht des literarisch-geselligen Vereins zu Stralsund, IV. S. 16–28. Hermann Ethé, Münchener Propyläen, 1869, Nr. 33 u. 34 (Strals. Zeitg. 1869, Nr. 216 bis 218): „Ein Dichter des Pommerlandes“. Lappe’s Werke; eigene Erinnerung und Privatmittheilung.
Häckermann.
Artikel „Lappe, Karl“ von Adolf Häckermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 704–706, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lappe,_Karl&oldid=2500952 (Version vom 25. November 2016, 23:49 Uhr UTC)
Literatur
- Biederstedt: Nachrichten von den jetzt lebenden Schriftstellern in Neuvorpommern und Rügen, Stralsund 1822, S. 72ff.
- Adolf Häckermann: Lappe, Karl. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 17, Duncker & Humblot, Leipzig 1883, S. 704–706.
- Otto Stelter: Karl Lappes Leben und Dichten. Ein Beitrag zur Pommerschen Geistesgeschichte, Diss. Greifswald 1926.
- Erich Gülzow: Karl Lappe. In: Pommersche Lebensbilder III. Saunier, Stettin 1939, S. 216–225.
- Gerd Schubert (Hrsg.): Jahrbuch der Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft 2004/2005.
- Karl Gottfried Lappe: STADT oder LAND. Nur nicht zu eng die Räume. Gedichte. Hrsg. Horst Langer. Greifswald: Karl Lappe Verlag, 2012