Ode

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Ernst Kleinpaul, Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst, 1843

II. Die Ode.

§. 133. Der ursprünglichen Bedeutung des Wortes gemäß nannte man im Griechischen jedes für den Gesang oder musikalische Begleitung sich eignende, also jedes reinlyrische Gedicht eine Ode. Bei uns hat das Wort eine engere Bedeutung. Wir nennen nämlich diejenigen Gedichte Oden, welche mit hoher Begeisterung und in künstlerischer, schöner Form Empfindungen schildern, die die Betrachtung erhabener Gegenstände, mit welchen sich die höhern Jnteressen der Menschheit verknüpfen, erzeugt. Da also das Höhere und Höchste Gegenstand der Ode ist, so nimmt in ihr die Phantasie des Dichters den kühnsten Flug, spricht aus ihr eine auf die höchste Potenz gesteigerte Begeisterung, ist in ihr der erhabendste Schwung der Gedanken herrschend. Natürlich muß die Sprache dem Fluge der Phantasie folgen, der Begeisterung entsprechen und dem Gedankenschwunge gemäß sein. Sie wird sich namentlich durch Bilderreichthum und durch das Gewählte, ja oft Gesuchte des Ausdrucks sehr von der Sprache des gewöhnlichen Lebens und auch von der des Liedes unterscheiden. Was den Rhythmus angeht, so hat man sich nach Klopstock's Vorgange vorzugsweise der antiken Versmaaße, zumal der bekanntern Strophenformen derselben (§. 87 ff.) bedient. Diese Formen sind so herrschend geworden, daß man nicht selten sie als charakteristisches Merkmal angesehen und jedes lyrische Gedicht mit dem Namen Ode bedacht hat, das in solcher Form geschrieben ist. Es wäre jedoch lächerlich, wenn man nur diese Formen als der Ode angemessen erklären wollte. Auch hier entscheidet weder irgend eine Autorität, noch das Herkommen, sondern die Sache, der Jnhalt, und zu diesem passen oft die reindeutschen Verse besser, als Nachbildungen antiker.


§. 134. Wir können uns nicht versagen, hier die geistreiche Charakteristik folgen zu lassen, die der Heros der deutschen Literaturgeschichte, Gervinus, von der Ode entwirft: „Die Ode ist der Culminationspunkt aller lyrischen Poesie; die Spitze der musikalischen Poesie, die sich selbst die Musik ersetzen und des Gesanges entbehren will. Sie sucht sich selbstständig hinzupflanzen, sie kann gelesen und braucht nicht so nothwendig, als das Lied gesungen zu werden. Allein eben diese Selbstständigkeit wird doch nur in der Ode erhalten, indem sie die mangelnde Musik in sich selbst herzustellen sucht. — Aus dem ganz musikalischen Charakter der Ode rührt es her, daß sie uns so leicht verführt, bloß dem Klange nach zu lesen, über den Tonfall uns zu freuen und unvermuthet Sinn und Gedanken zu vergessen. Sie verlangt laut gelesen zu werden; das Ohr, das musikalische Organ, will an ihr seinen vorzüglichsten Genuß; die Ode ist daher dort am trägsten und unleidlichsten, wo sie philosophische Abhandlung oder voll von kopfanstrengenden Allegorien und Bildern ist. — Nicht allein will das Ohr sein Recht im Empfangen der Ode haben, sondern es will auch bei Gesetz und Regel der Ode mitsprechen. Die Ode widersetzt sich und widerstrebt allem logischen verständigen Gange und jeder Regel, die eine bestimmte Ordnung da vorschreiben will, wo der regellose Affekt allein Gesetzgeber sein soll, der vor jedem Gegenstand anders operirt; wo sich eine Empfindung, ein Gefühl aus sich selbst und nach seinem eignen Gesetz zu einem oft sehr gesetzlos erscheinenden poetischem Tonstück formen will.“ Gervinus. Man meine aber nicht, daß in der Ode Planlosigkeit herrschen, daß sie sich des logischen Zusammenhangs ohne Weiteres entschlagen und als rein von der Willkühr erzeugt produciren dürfe. Wie hoch den Dichter seine Phantasie führen mag, nimmer darf sie ihn von seinem Gegenstande ab- und in das Gebiet des Unklaren und Nebelhaften führen. Und selbst die größte Ungebundenheit der Darstellung muß bei genauerer Betrachtung immer eine strenglogische Gedankenkette nachweisen lassen.


§. 135. Erst seit Haller fand die eigentliche Ode Bearbeiter. Was Haller und Cramer in dieser Dichtungsart leisteten, wurde bei weitem überflügelt durch die Oden Klopstock's, die noch immer als Muster dastehen. Nächst Klopstock zeichneten sich aus: Ramler, Uz, Herder, Hölty, Fr. Stollberg, Voß, Schubart und Hölderlin. Die Dichter der neuesten Zeit haben die Ode, wenigstens in antiken Silbenmaaßen, fast gar nicht cultivirt; selbst Platen's vorzügliche Leistungen fanden weder großen Anklang, noch Nachahmung.


Aus: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht bearbeitet und mit Hinweisungen auf die Gedichtsammlungen von Echtermeyer, Kurz, Schwab, Wackernagel und Wolff versehen von Ernst Kleinpaul, Lehrer an der höheren Stadtschule in Barmen. Barmen: W. Langewiesche, 1843. S. 91-94

http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/kleinpaul_poetik_1843


Siehe auch Hymne