Türkei

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Meyers 1909

[815] Türkisches Reich. Das türkische oder osmanische Reich (türk. Memâlik-i Osmanije, »die osmanischen Länder«, oder Devlet-i Alije, »das hohe Reich«) umfaßt die gesamte Ländermasse, die in Europa, Asien und Afrika unter der Herrschaft des Sultans (Padischah) in Konstantinopel steht, d. h. Teile der Balkanhalbinsel, den westlichsten Teil Vorderasiens (Asiatische Türkei, s. unten, S. 823) sowie den Nordosten von Afrika (Tributärstaat Ägypten und als unmittelbaren Besitz Tripolitanien, Barka und Fezzan; vgl. diese Artikel). Es sind teils unmittelbare Besitzungen, teils tributäre oder unter fremder Verwaltung stehende Staaten; letztere gehören nur äußerlich zur Türkei, sind tatsächlich selbständig (Bulgarien mit Ostrumelien, Samos, Kreta) oder von Österreich-Ungarn (Bosnien und Herzegowina) und England (Cypern, Ägypten) besetzt. Große Strecken Landes in Albanien, Kleinasien und Kurdistan sind faktisch der Türkenherrschaft gänzlich entzogen; die Grenzen des Reiches stehen besonders gegen das unabhängige Arabien und Afrika hin nicht fest. Deswegen und wegen des Fehlens jeder brauchbaren offiziellen Statistik sind die Angaben über Grenzen, Areal und Bevölkerung nur annähernd richtig und unterliegen großen Schwankungen. Das ganze Türkische Reich wird in 30 Provinzen oder Wilajets, davon 7 in Europa, und 6 Mutesarrifliks, davon 1 in Europa, geteilt.[815]

Die europäische Türkei

(Hierzu die Karte der europäischen Türkei.)

Die europäische Türkei umfaßt etwa ein Drittel der unter türkischer Oberhoheit verbliebenen Balkanhalbinsel, wo sie den größern westlichen Teil (Albanien, Mazedonien) und einen schmälern Streifen der Osthälfte längs des Ägäischen Meeres (Thrakien) einnimmt. Sie liegt zwischen 39 und 431/2° nördl. Br. und grenzt im N. an Bulgarien und Serbien, im NW. an Bosnien und Montenegro, im W. an das Adriatische und Ionische Meer, im S. an Griechenland, das Ägäische und Marmarameer, im O. an das Schwarze Meer.

Bodenbeschaffenheit. Wie die ganze Balkanhalbinsel ist auch die europäische Türkei überwiegend Gebirgsland und wird größtenteils von verschieden streichenden Gebirgssystemen erfüllt; es lassen sich drei Hauptrichtungen unterscheiden, zwischen denen sich größere und kleinere Becken ausbreiten, die aber nur einen geringen Raum des Gesamtareals einnehmen, z. B. Amselfeld (Kosovo Polje), Becken von Sofia, Janina, Flußniederungen der Maritza, Tundscha, des Wardar (Kampania) und die Küstenebenen der Flüsse. Diese Becken sind mit ihrem fruchtbaren Boden die Kultur- und Siedelungsmittelpunkte des Landes und werden durch gemeinsame Flüsse verbunden, deren Täler bequeme Verkehrsstraßen darstellen, z. B. Morava-Maritzatal mit der Eisenbahn Belgrad-Konstantinopel, Morava-Wardartal mit der Eisenbahn Belgrad-Saloniki, Beckenreihe der Dessaretischen Seen mit der Via Egnatia und der Eisenbahn Monastir-Saloniki. Durch den Wechsel von Gebirgssystemen und Ketten erhält die Balkanhalbinsel eine sogen. Gitterstruktur. Das Faltengebirgssystem des Hämos erstreckt sich vom Tal des Timok an als Hämos im engern Sinn oder Balkan (s. d.) in westöstlicher Richtung bis zum Kap Emine am Schwarzen Meer. Es bildet die Wasserscheide zwischen Donau und Ägäischem Meer. Vom Schar Dagh (s. d., Ljuboten 2510 m) zieht sich eine zweite Hauptmasse, das serbisch-mazedonische Schollenland, auch thrakische Masse oder Rhodopemassiv genannt, durch die mittlere und östliche Balkanhalbinsel. Sie enthält als höchste Erhebung den Mussala (2930 m) im Rilogebirge des Rhodopesystems. Die dritte Hauptrichtung vertritt das illyrische oder dinarische System von Faltengebirgen, die unter verschiedenen Namen (Dinara, Albanesische Alpen, Grammos, Pindos) meist in der Richtung von NW. nach SO., also dem Apennin parallel, laufen und die ganze Westfront der Balkanhalbinsel begleiten. Albanien (s. d.) wird in seinem östlichen Teil von zusammenhängenden, nach S. und SO. streichenden Hochgebirgsketten durchzogen: den nördlichen Fortsetzungen des griechischen Pindos (Smolika 2575 m) und dem Peristeri östlich vom Presbasee (2359 m) bis hinauf zu den Albanesischen Alpen (Bjeschka Nemuna, Prokletijà, 2300 m) längs der Südostgrenze Montenegros. Das Land zwischen dem Adriatischen und Ionischen Meer einerseits und jenen Gebirgen anderseits enthält an den Mündungen der Flüsse ausgedehnte, vielfach versumpfte und von Strandseen erfüllte, fieberreiche Alluvialebenen, die durch Gebirgszüge getrennt werden. Zu Thrakien gehört die das Zentrum der europäischen Türkei bildende, auf allen Seiten von niedrigern und höhern Gebirgszügen umgebene gewaltige Syenitmasse des Witoscha (2290 m, s. d.) südlich von Sofia auf bulgarischem Gebiet. Zwischen Mesta (dem alten Nestos) und Maritza erhebt sich das Rhodopegebirge (s. d.) mit dem Rilogebirge (s. oben) und Pirin Dagh. Es umfaßt eine Reihe von NW. nach SO. verlaufender Bergzüge, zwischen denen sich Längstäler hinziehen. Zwischen Balkan und Rhodope liegen Mittelgebirgszüge, dem erstern parallel streichend und das Tundschatal mit seinen Rosenfeldern im S. begrenzend, wie Sredna Gora und Crnena Gora oder Karadscha-Dagh, und ausgedehnte Ebenen am Oberlauf der Maritza und an ihren Nebenflüssen, während den Ostrand der thrakischen Masse am Schwarzen Meer der Istrandža-Dagh begleitet. Mazedonien (s. d.) wird durch den dem Rhodopegebirge parallelen Pirin Dagh (2681 m) von Thrakien, durch die Pindoskette von Epirus geschieden. Ein Anhängsel bildet die Chalkidike mit ihren drei langgestreckten Halbinseln und dem heiligen Berg Athos. Von Thessalien (s. d.) ist nur der nördlichste gebirgige Teil mit dem Olympos (2985 m) beim türkischen Reich verblieben, der fruchtbare Süden aber 1881 an Hellas abgetreten worden.

An schiffbaren Flüssen ist die europäische Türkei sehr arm; nur Maritza und Wardar sind für flache Kähne benutzbar. Die übrigen bedeutendern Flüsse sind im Gebiete des Schwarzen Meeres: der Kamtschyk, der in Bulgarien zwischen Warna und Misiwria mündet; im Gebiete des Ägäischen Meeres: die Maritza mit Arda, Tundscha und Ergene, in den Meerbusen von Enos mündend, Karasu (Mesta), Struma (Strymon, türk. Karasu), den Tachynosee durchfließend und in den Busen von Orfani mündend, Wardar und Wistritza, in den Meerbusen von Saloniki mündend; im Gebiete des Ionischen Meeres: Arta (Arachthos), in den Meerbusen von Arta mündend, und Kalamas; im Gebiete des Adriatischen Meeres: Viosa, Semeni, Schkumbi, Man, Drin und Narenta. Die bedeutendsten Landseen sind die von Skutari, Ochrida, Janina, der Prespa- und Ventroksee in Albanien, die Seen von Kastoria, Ostrowo, Doiran, Beschik- und Tachynosee in Mazedonien. Vgl. Cvijić, Die Seen Mazedoniens, Altserbiens und von Epirus, 10 Karten (Belgrad 1902).

Geologische Beschaffenheit. Während im Westen der europäischen Türkei die Ketten der Dinarischen Alpen ein etwa der Küste und dem orographischen Streichen paralleles Schichtenstreichen erkennen lassen und durch ganz Albanien und Epirus hindurch, zumal in der Pindoskette, eocäne Ablagerungen (Plattenkalke und Hornsteine sowie Flyschschiefer und Sandsteine, auch Nummulitenkalke mit untergeordneten Einlagerungen von Serpentin) herrschen, also ein auffallend einförmiger Bau gegenüber den Dinarischen Alpen in Bosnien und der Herzegowina sich geltend macht, besitzen in dem umfangreichen östlichen Teil des Landes die mannigfach gegliederten Schichtensysteme, häufig entgegen dem orographischen Streichen, eine im allgemeinen westöstliche Streichrichtung. Im Balkan (s. d.) bilden Gneise, Glimmerschiefer und Stöcke von Granit, Diorit und Syenit den eigentlichen Kern. An dieselben legen sich mantelartig paläozoische Schiefer und in größerer Verbreitung der Trias zugehörige Konglomerate, Sandsteine und Kalksteine, besonders aber Sandsteine der Kreide. Das Rhodopegebirge, die Witoscha und der Rilo-Dagh südlich vom Balkan bilden das eigentliche alte Festland der Balkanhalbinsel. Es sind granitische und syenitische Massen, auf die sich, das Land zwischen dem Balkan und dem Ägäischen Meer, zwischen dem Schwarzen Meer und Albanien erfüllend, Gneise und Glimmerschiefer mit Marmoreinlagerungen im S. und lokal rote Sandsteine und triasische Kalke auflagern. Andesit und [816] Trachyt haben sich nach der Ausrichtung des Balkans über die ältern Gesteine ergossen und bedecken weithin den Nordabhang der Witoscha und große Teile dee Rhodopegebirges südlich von Philippopel und westlich und südlich von Adrianopel sowie an der Küste von Konstantinopel und Warna; auch die Inseln Imbro, Limni und Tenedo westlich vor den Dardanellen sind trachytischer Natur. Eocäne Nummulitenkalke und Flysch sind sehr verbreitet am nördlichen Abhang des Balkans in der Umgegend von Warna, dann aber auch im östlichen Rumelien, so bei Chasköi, Papasby und Tschirpan im obern Maritzatal (zwischen der Rhodope und dem Balkan), ferner südlich von Adrianopel bis zum Ägäischen Meer, zwischen Adrianopel und Konstantinopel und an der Küste des Schwarzen Meeres zwischen Konstantinopel und Midia. Auch neogenes Tertiär, zum Teil mit Braunkohlen (bei Cirkra und Radomir in Rumelien), ist in Rumelien und in den Küstenländern entwickelt. Mediterrane Bildungen finden sich bei Plewna, sonst aber nirgends mehr im östlichen Teil der Balkanhalbinsel südlich der Donau; dafür haben die sarmatischen Schichten eine große Ausdehnung vom Balkan bis zu der Halbinsel Chalkidike und nach Thessalien hinein. Die weiten Tal becken in Rumelien und Bulgarien sind von jüngern diluvialen und alluvialen Schuttmassen ausgefüllt; auch lößartige Gebilde sind hier und da beobachtet. Spuren diluvialer Vereisung sind in Form von Moränen vom Schar Dagh in Albanien und vom Rilo Dagh (Rhodopegebirge) bekannt geworden.

Klima. Die europäische Türkei gehört dem mediterranen Klimagebiete mit subtropischen Regen und Dürre im Sommer an. Die Temperatur ist infolge der vorherrschend gebirgigen Beschaffenheit des Landes sehr wechselnd und wegen der rauhen Nordostwinde kälter als unter gleicher Breite Italien und Spanien. Mittlere Jahresextreme in Konstantinopel 33° und -4°, Saloniki 36° und -6°, Janina 36° und -8°, Prisren (Albanien) 35° und -14°. Der Balkan bildet eine sehr merkliche Wetterscheide, denn während in den nördlichen Gebieten bei regenreichern Sommern die Winter ziemlich schneereich sind und außerordentlich tiefe Temperaturen vorkommen, ist im S. der Winter mild und der Sommer trocken und oft drückend heiß. Die kalten Nordwinde bringen für die Gegenden am Bosporus Schneestürme, dagegen kennt man in den Küstenländern des Ägäischen Meeres und auf den Inseln winterliche Witterung nur auf den Gebirgshöhen. Die Niederschläge nehmen, soweit die spärlichen Beobachtungen erkennen lassen, landeinwärts rasch zu. Es fallen jährlich in Konstantinopel 73, Saloniki 40, Valona 114, Durazzo 107, Skutari (Albanien) 157, Plewlje 75, Skoplje 52 cm. Konstantinopel hat durchschnittlich 96 Niederschlagstage, davon 18 mit Schnee.

Pflanzenwelt. Die Flora der bosnisch-herzegowinischen Gebirge und des Balkans schließt sich zunächst an die alpine Gebirgszone Siebenbürgens an. Dagegen sind die niedriger gelegenen Teile der westlichen Hämushalbinsel sowie Thrakiens und Rumeliens mit Bestandteilen der mitteleuropäischen Waldflora, mit zahlreichen mediterranen Elementen und mit Ausstrahlungen des pontischen Steppengebietes besiedelt. Der allgemeine Charakter wird durch Silberlinden (Tilia argentea), Eichenarten und Nadelhölzer, wie Pinus Omorica in Serbien, Pinus Peuce in Bosnien, Bulgarien und Mazedonien u. a., am besten bezeichnet; auch treten Ostrya carpinifolia, Rhus cotinus, Syringa und Acer tataricum häufig auf. Die Flora Bulgariens besteht zur größern Hälfte aus Arten, die auch im südöstlichen und mittlern Deutschland vorkommen, ebenso verhält es sich mit den alpinen Pflanzen; unter den Glazialpflanzen Rumeliens scheinen jedoch charakteristische Typen, wie Dryas, Gnaphalium, Leontopodium (Edelweiß), Silene acaulis u. a., zu fehlen. Während die durch ihre Wein- und Rosenkultur berühmten Südabhänge des Ostbalkans meist bis zu den Gipfelhöhen mit Laubwald bekleidet sind, ist der Südabfall des Zentralbalkans größtenteils kahl, Nadelholzbestände finden sich auf der Südseite selten. Auf der Nordseite steht fast überall Laubwald, der in den obern Talabschnitten in Nadelholzwald übergeht. Vom Ägäischen Meer nach dem Rhodopegebirge aufwärts durchkreuzt man zunächst eine mediterrane Zone mit lichten Wäldern von Quercus Aegilops und Hainen uralter Platanen sowie immergrünen Macchien; höher hinauf ist der Südzug des Rhodopegebirges mit einem Mischwalde von Eichen-, Ahorn- und Carpinus-Arten bedeckt; über 640 m erscheint die Buche und geht bis zu den Gebirgsgipfeln hinauf; neben ihr treten Nadelholzbestände nur vereinzelt auf. Der Nordzug des Rhodopegebirges wird bis zu 640 m mit Wäldern von Eichen, Carpinus, Silberlinden u. a. bekleidet, dann folgt ein Buchengürtel mit eingesprengten Beständen von Pinus laricio und silvestris, Reine Nadelholzwälder beginnen bei 1020 m und erreichen bei 1900 m ihre obere Grenze. In dieser Region treten viele Formen der mitteleuropäischen Gebirge neben rein südöstlichen Typen auf. Der Krummholzgürtel des Rhodopegebirges geht schnell in alpine Trift- und Felsformationen über. Die Mediterranflora ist an der mazedonischen Küste weit über die Vorgebirge von Chalkidike ausgebreitet, aber auch hier mit zahlreichen Elementen der Steppenflora durchmischt. – Entsprechend dem geringen Kulturzustand des Landes zeigt die Tierwelt noch einen recht ursprünglichen Zustand oder hat sich diesem mit dem Rückgang der Kultur wieder genähert. Die größern Raubtiere sind noch ziemlich verbreitet; so der Bär an der Rila, Witoscha, in Albanien, im Balkan, ebenso der Wolf und der Luchs, letzterer minder häufig. Die höhern Gebirge werden von der Gemse bewohnt; die Waldgebiete beherbergen Rot- und Schwarzwild, letzteres besonders in den sumpfigen Ländereien der albanischen Küste. Die einheimische Vogelwelt hat ein ausgesprochen mittelländisches Gepräge; von den nordischen Zugvögeln überwintert ein Teil auf der Balkanhalbinsel; der Königsadler lebt noch häufig in den Gebirgen; die Beutelmeise nistet kolonieweise auf den Bäumen. Reich ist die Tierwelt an Reptilien, die zum Teil diesem Gebiet eigentümlich sind; die griechische Schildkröte ist Ausfuhrartikel, die Leopardnatter wird als Haustier zum Fangen der Mäuse gehalten. Die Amphibien treten sehr zurück und sind nur durch die auch bei uns vorkommenden häufigsten Formen vertreten. Die Gewässer sind fischreich, die uralte Thunfischerei und der Makrelenfang am Bosporus blühen noch heute, ebenso die Aalfischerei an der Küste von Albanien. Die Molluskenfauna gehört der sogen. levantinischen Provinz der mediterranen Subregion an.

Areal und Bevölkerung.

Über Areal und Bevölkerungsziffern von Bosnien und Herzegowina, Bulgarien und Ostrumelien s. unter diesen Ländernamen. Die »Inseln des Weißen Meeres« werden als Inselwilajet offiziell zu Asien gerechnet. Die erste teilweise Volkszählung im osmanischen [817] Reich fand 1830–31 statt. der seitdem mehrere gefolgt sind. Auf sie ist aber aus verschiedenen Gründen wenig Gewicht zu legen. Die unmittelbaren europäischen Besitzungen des türkischen Reiches in Europa umfassen folgende Wilajets etc.:

Tabelle

Die türkischen Städte tragen sämtlich ein orientalisches Gepräge, und es gibt wegen der überwiegend landwirtschaftlichen Beschäftigung der Bewohner nur wenige Großstädte. Die einzige Millionenstadt ist Konstantinopel. Über 100,000 Einw. zählen Saloniki und in der asiatischen Türkei Smyrna, Damaskus, Aleppo, Beirut und Bagdad, über 50000 Einw. in der europäischen Türkei noch Adrianopel u. Monastir. Durch die Vielgestaltigkeit der Oberfläche ist die politische und ethnographische Zersplitterung der Balkanhalbinsel bedingt, deren Bewohner das bunteste Völkergemisch Europas bilden. Heftigster Nationalitätenstreit und rücksichtsloseste Propaganda herrschen zwischen den einzelnen unter sich und gegen die türkische Herrschaft feindlich gesinnten Nationen (orientalische Frage. mazedonische Frage). so daß die Türkei nur mühsam und durch die europäischen Mächte gedrängt ihre Herrschaft zu behaupten vermag. Aus diesen Gründen ist auch die Nationalitätenstatistik tendenziös gefärbt, und nur über die räumliche Verteilung der Nationalitäten sind wir einigermaßen unterrichtet. Der herrschende Stamm der osmanischen Türken (1 Mill.) sitzt auf der Balkanhalbinsel, von Konstantinopel abgesehen, nirgends in größerer Masse, sondern nur inselartig zerstreut, meist in der Nähe größerer Städte. Den Westen des noch unmittelbar türkischen Gebietes nehmen Albanesen (2 Mill.) ein, von den Grenzen Montenegros und Serbiens an bis in den Peloponnes und vom Adriatischen Meer östlich bis etwa zum 21.° östl. L. In Epirus wohnen sie mit Griechen gemischt, die den Süden von Epirus und Mazedonien, die Chalkidike und viele Küstenpunkte und Inseln des Ägäischen und des Schwarzen Meeres innehaben. Bulgarien, Ostrumelien und das nördliche Mazedonien und westliche Thrakien bewohnen in kompakter Masse Bulgaren, den Nordwesten (Altserbien, wie die nicht mehr türkischen Länder Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro) die Serben. Mohammedanische Bulgaren sind die im Rhodopegebirge wohnenden Pomaken. Im Pindos (Grenze zwischen Epirus und Thessalien) sitzen Zinzaren (Walachen oder Kutzowlachen), in dem nördlichen Mazedonien Serben. Vgl. v. Mach, Beiträge zur Ethnographie der Balkanhalbinsel in »Geographische Mitteilungen«, 1899 (mit Karten).

Die Osmanen (Osmanli), das herrschende Volk, obwohl sie keineswegs die Mehrzahl bilden, sind ein Turkvolk (s. Türken), ein schöner Menschenschlag mit edlen Gesichtszügen. Ihre hervorstechenden Nationalzüge sind: Ernst und Würde im Benehmen, Mäßigkeit, Gastfreiheit, Redlichkeit, Tapferkeit, anderseits Herrschsucht, übertriebener Nationalstolz, religiöser Fanatismus und Fatalismus. Trotz körperlicher und geistiger Befähigung sind sie in der Kultur hinter den meisten europäischen Völkern zurückgeblieben und haben nur langsam und mit Widerstreben der abendländischen Zivilisation Eingang gestattet. Die Ehe ist eine durch zahlreiche Bestimmungen geregelte Polygamie. Die Frauen der Reichen, auf die sich die Polygamie beschränkt, leben in Harems eingeschlossen. Die gemeinen Osmanen haben selten mehr als eine Frau. Die Wohnungen sind unansehnlich und schmucklos, meist von Holz und einstöckig; sie haben im Innern einen viereckigen Hof, nach dem die Fenster gehen, während nach der Straße zu nur einige Gitterfenster vorhanden sind. Bei den Beamten und Vornehmern ist die Nationaltracht durch den fränkischen schwarzen Rock verdrängt worden. Die Osmanen sind die Inhaber der Zivil- und Militärstellen oder treiben Gewerbe, Ackerbau besonders in Kleinasien. S. Tafel »Volkstrachten II«, Fig. 21–24. [Religionsverhältnisse.] Die Hauptreligionen in der Türkei sind die mohammedanische und die griechisch-orthodoxe. Zu jener, zum Islam, bekennen sich die Bewohner osmanischen Stammes sowie die Nachkommen derjenigen frühern Bewohner (Slawen, Griechen. Albanesen), die nach ihrer Unterwerfung diesen Glauben angenommen haben, und die vereinzelten Gruppen neuerer Renegaten. Die Bekenner des Islams heißen Muslimin (danach verderbt Muselmanen). Ihre Heilige Schrift und ihr Gesetzbuch ist der Koran (s. d.). Die Adepten des Koranstudiums, das sowohl zu juristischen als kirchlichen Ämtern befähigt (denn einen Unterschied zwischen Staat und Kirche kennt der Islam nicht), sind die Ulemā (»Gelehrte«). Der Ulemā tritt, wenn er, 10–12 Jahre alt, die Elementarschule verlassen hat, in eine der mit den großen Moscheen verbundenen Medressen (Seminare), in der er als Softa Unterricht in der Grammatik, Logik, Moral, Rhetorik, Philosophie, Theologie, Rechtsgelehrsamkeit, im Koran und in der Sunna erhält. Er empfängt dann vom Scheich ul Islam das Diplom als Kandidat (Mulasim) und kann, dadurch zur untersten Stufe der Ulemā erhoben, Richter (Kadi) werden. Will er aber zu den höchsten Würden gelangen, so muß er noch sieben Jahre auf das Studium der Rechtsgelehrsamkeit, Dogmatik etc. verwenden, worauf er zum Grad eines Muderris befördert wird. Die Gotteshäuser, in denen am Freitag Gottesdienst abgehalten wird, heißen Moscheen (Dschami). Die Geistlichkeit teilt sich in fünf Klassen: die Scheich (»Älteste«), die ordentlichen Prediger der Moscheen, die alle Freitage nach dem Mittagsgottesdienst über moralische und dogmatische Gegenstände Vorträge halten; die Chātib, die alle Freitage in den großen Moscheen das Gebet für den Sultan verrichten; die Imām, denen der gewöhnliche Dienst in den Moscheen, die Trauungs- und Begräbniszeremonien obliegen; die Muessin,[818] die von den Minaretts die Stunden des Gebetes verkündigen; die Kaim, Wächter und Diener der Moscheen, die nebst den zwei vorhergehenden Klassen nicht zu den Ulemā gehören. Wenn die Ulemā gewissermaßen die Weltgeistlichkeit repräsentieren, können die Orden der Derwische als Ordensgeistlichkeit bezeichnet. werden. Die griechisch-orthodoxe Kirche der Türkei hat ihre Verfassung von 857, insoweit dies unter der Herrschaft der Mohammedaner möglich war, treu bewahrt. Die Würden der Patriarchen zu Konstantinopel, Jerusalem und Antiochia bestehen noch. Das höchste Ansehen besitzt der Patriarch von Konstantinopel. Ihm zur Seite steht für religiöse Angelegenheiten die Heilige Synode und für Verwaltungsangelegenheiten ein Nationalrat. Die Mönche und Nonnen folgen der Regel des heil. Basilius; die berühmtesten Klöster sind die auf dem Berg Athos (s. d.) in Mazedonien. Die armenisch-christliche Kirche steht unter den vier Patriarchen zu Konstantinopel, Sis, Achtamar und Jerusalem. Die römisch-katholische Kirche zählt in der Türkei 9 Erzbischöfe, Patriarchen und Bischöfe, von denen 3 auf die europäische Türkei kommen. Die Juden haben in Konstantinopel einen Großrabbiner (Chacham Baschi). Alle nicht zum Islam sich bekennenden Bewohner der Türkei werden unter dem Namen Rajah (Volk, Herde) zusammenbegriffen, obwohl diese Bezeichnung durch eine Verfügung des Sultans Medschid offiziell abgeschafft worden ist. Der Islam duldet die christliche und die jüdische Religion neben sich. Man schätzt die Mohammedaner der europäischen Türkei auf 50 Proz., die Griechisch-Orthodoxen auf 40,4 Proz., die Katholiken auf 4,6 Proz. und die Juden auf 1,5 Proz. der Gesamtbevölkerung.

[Bildung.]

Der nationale Wettstreit der Balkanvölker wird hauptsächlich auf dem Gebiete der Kirche und Schule ausgefochten. Das griechische Schulwesen ist das älteste und am besten eingerichtete. Ihm treten in Mazedonien und Thrakien bulgarische, daneben auch serbische und neuerdings rumänische Schulen entgegen. Dagegen stehen die türkischen, d. h. die für Mohammedaner bestimmten Schulen auf niedriger Stufe. Sie zerfallen in: 1) Elementarschulen, deren notdürftig gelehrte Unterrichtsgegenstände Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion und Türkisch sind, und die von allen mohammedanischen Kindern, die das Alter von sechs Jahren erreicht haben, besucht werden; 2) die Ruschdijeschulen, eine Art Mittel- oder Realschulen für Knaben und Mädchen mit den Lehrgegenständen Türkisch, Arabisch, Persisch, Geschichte, Geographie, Arithmetik und Geometrie; 3) die höhern Schulen, wie das kaiserliche Lyzeum von Galata-Serai, die Verwaltungs-, Rechts-, Kunst-, Forst- und Bergwerksschule, die kaiserliche Universität, die Kriegs- und Marine-, die Artillerie- und Ingenieurschule. zwei medizinische Schulen, die Kadettenanstalten. In den größern Küstenplätzen finden sich auch europäische, meist von katholischen Geistlichen geleitete Schulen. Im allgemeinen steht im türkischen Reiche die geistige Kultur noch auf ziemlich niedriger Stufe.

[Erwerbszweige.]

Den Vorschriften des Korans gemäß beansprucht in der Türkei der Staatsschatz das Obereigentumsrecht alles Grundes und Bodens. Bei der Eroberung eines Territoriums teilte der Sultan letzteres in drei Teile, von denen einer dem Staate, einer den Moscheen und religiösen Stiftungen (Wakuf) und ein dritter der Benutzung der Privaten überlassen ward. Zu den Staatsdomänen gehören: 1) Miri, d. h. Güter, deren Einkünfte in den Staatsschatz fließen; 2) unbewohnte oder unbebaute Landstriche; 3) die Privatdomänen des Sultans und seiner Familie; 4) verwirkte oder verfalleneLändereien; 5) Länder, die den Wesirämtern, Paschas zweiten Ranges, Ministern und Palastbeamten zugewiesen sind. Die Wakufgüter gehören Moscheen, religiösen Instituten und wohltätigen Stiftungen, die von einem besondern Ministerium (Evkaf) verwaltet werden; es sind teils Grund und Boden oder dessen Ertrag, teils Privatpersonen gehöriges, aber mit einer Abgabe belastetes Land. Erst seit 18. Juni 1867 können Fremde Grund und Boden in der Türkei erwerben. Wirtschaftlich ist die gesamte Balkanhalbinsel ein Gebiet landwirtschaftlicher Rohproduktion. die aber noch sehr unvollkommen ausgeübt und wegen der herrschenden Mißwirtschaft und mangelnden Verkehrswege noch verhältnismäßig wenig bedeutend ist. Die Landwirtschaft, insbes. der Ackerbau, steht noch auf tiefer Stufe, obwohl sie die Hauptbeschäftigung ist. Man baut wegen der unredlich gehandhabten, drückenden Besteuerung meist nur das Notwendigste an, so daß ein großer Teil des kulturfähigen Bodens brach liegt. Die Ländereien bleiben in der Regel ein Jahr in der Brache und werden höchstens durch darauf getriebenes Vieh gedüngt. Die Hauptgetreidearten sind: Weizen, Gerste, Roggen, Hafer und Mais, welch letzterer die hauptsächlichste Brotfrucht ist. In dem guten Erntejahr 1905 wurde die Getreideproduktion in der europäischen Türkei geschätzt auf: 800,000 Ton. Weizen, 600,000 T. Mais, 350,000 T. Gerste, 350000 T. Roggen und 250,000 T. Hafer (in der asiatischen Türkei auf 1 Mill. T. Weizen, 650,000 T. Mais, 600,000 T. Gerste, 200,000 T. Roggen und 300,000 T. Hafer). Die Kornkammern der europäischen Türkei sind die Ebenen Thrakiens und Mazedoniens. Von Hülsenfrüchten werden vornehmlich Bohnen, Erbsen und Linsen gebaut; die verbreitetsten Gemüse sind: Zwiebeln, Knoblauch, Kohl und Gurken. Als sonstige Gartengewächse sind zu nennen: spanischer Pfeffer, die Eierpflanze, Melonen, Kürbisse etc. Nicht unbedeutend ist der Obstbau. Besonders werden Pflaumenbäume gezogen, deren Früchte gedörrt ein bedeutender Ausfuhrartikel sind oder zur Branntweinfabrikation (s. Sliwowitz) dienen. Außerdem finden sich Kirsch-, Apfel-, Birn-, Aprikosen-, Quitten-, Nuß- und Mandelbäume an den Küsten. Das Mittelmeerklima begünstigt den Anbau subtropischer Gewächse, wie Oliven, Feigen, Agrumen, Baumwolle, Reis (dieser besonders im Maritza- und Wardarbecken). Sesam wird als Ölpflanze in den Ebenen Thrakiens, im südlichen Mazedonien sowie in einzelnen Gegenden von Epirus gebaut und besonders aus Saloniki ausgeführt. Die Kultur des Weinstocks ist überall verbreitet und hat wie die Weinausfuhr seit der Verwüstung der französischen Weinberge durch die Reblaus bedeutende Fortschritte gemacht. Von Gespinstpflanzen sind Hanf, Lein und Baumwolle, letztere besonders in Mazedonien, hervorzuheben. Tabak wird in Menge gebaut (jährlich 15–18 Mill. kg), der beste in Mazedonien; 1883 wurde die Tabaksregie eingeführt und einem Bankkonsortium auf im Jahre übertragen. Ein Teil wird im Inland verbraucht, der bei weitem größere nach Rußland, England, Österreich ausgeführt. Von Farbepflanzen ist Krapp die verbreitetste. Die Forstwirtschaft steht noch auf sehr niedriger Stufe; die Waldverwüstung ist ungeheuer. Einzelne Provinzen sind stellenweise noch mit dichten Waldungen bedeckt, während es in andern an Holz fast gänzlich mangelt.[819] Die Eichenwaldungen liefern zur Ausfuhr große Mengen von Knoppern (Valonen). Eine Haupterwerbsquelle der Landbewohner der europäischen Türkei ist die Viehzucht. Die türkischen Pferde, klein, aber ausdauernd, dienen hauptsächlich zum Reiten und Lasttragen; die Esel und Maulesel der Türkei wetteifern an Schönheit mit denen Italiens. Die Stelle des Kamels, das nur in Konstantinopel vorkommt, vertritt der Büffel, der die schwersten Fuhren bewältigt und zugleich als Milchtier dient. Das Rindvieh ist klein und gut gebaut. Sehr erheblich ist die Zucht des Kleinviehs, die besonders auf Kosten der immer mehr zerstörten Wälder betrieben wird. Schafe und Ziegen sind die Hauptmilch-, Woll- und Fleischtiere. Die Kleinviehzucht hat noch einen halbnomadischen Charakter. Aus Albanien werden im Frühjahr große Schafherden nach Mazedonien und Thessalien zum Weiden getrieben. Die Wollausfuhr (Produktion jährlich im Durchschnitt 3 Mill. kg) geht aus der europäischen Türkei besonders nach Frankreich; feinere Wolle produziert die Gegend von Adrianopel. Von Wichtigkeit ist auch die Bienen- und Seidenraupenzucht, welch letztere in der europäischen Türkei jährlich 475,000 kg Kokons und erhebliche Mengen Rohseide für die Ausfuhr liefert (besonders in Thrakien). Der Fischfang wird vornehmlich an den Küsten und in den großen Binnenseen betrieben. Hierher gehört auch das Einsammeln von Badeschwämmen an den Küsten des Ägäischen Meeres, während der Blutegelfang in Mazedonien von der Regierung als Monopol betrieben wird. Der Bergbau liegt noch ganz danieder, wiewohl reiche Erzlager vorhanden sind und die Balkanhalbinsel ein altes Bergbaugebiet ist. Groß ist die Zahl heilkräftiger warmer Mineralquellen, besonders längs des Südrandes des Balkans.

Während das Abendland früher eine Menge kostbarer Stoffe (Seidenstoffe, Teppiche, Fayencearbeiten etc.) aus der Türkei bezog, werden sie jetzt, und zwar von besserer Qualität und um wohlfeilern Preis, aus dem Ausland eingeführt. Die industrielle Tätigkeit beschränkt sich, von einigen großen Städten abgesehen, auf Herstellung der notwendigen Verbrauchsartikel durch die bäuerliche Bevölkerung selbst und wird in einigen Gegenden nach ererbten Mustern handwerksmäßig oder als Hausindustrie, selten fabrikmäßig betrieben. besonders die Wollweberei, Waffen-, Metall- und Filigranindustrie, und geht unter der erdrückenden europäischen Konkurrenz immer mehr zurück. Großen Aufschwung zeigen nur die Lederindustrie und Schuhwarenfabrikation. Konstantinopel ist der Hauptsitz der fabrikmäßig betriebenen Gewerbtätigkeit (vgl. Konstantinopel, S. 424). Adrianopel hat 2 Seidenspinnereien, eine Leinwandfabrik, 6 Dampfmahlmühlen, Saloniki 2 Wollspinnereien, eine Dampfziegelei, eine Dampfgerberei, eine Strumpf- und eine Seifenfabrik, eine Bierbrauerei, 7 Dampfmühlen. In den übrigen Landesteilen ist die Industrie ganz unbedeutend oder gleich Null.

Handel und Verkehr.

Haupthindernis des für die Türkei sehr wichtigen Land- und Seehandels sind die immer noch mangelhaften Verkehrsmittel, die Zollplackereien und die im Münz-, Maß- und Gewichtswesen herrschende Verwirrung. Kunststraßen besitzt die Türkei, von den Eisenbahnen abgesehen, nur wenig, und die Landwege sind schlecht. Für den noch verhältnismäßig geringen Binnenhandel sehr förderlich sind, wie in allen Ländern mit noch nicht recht entwickeltem Großverkehr, die Messen und Märkte, die in verschiedenen Orten abgehalten werden, und deren wichtigste vom 23. Sept. bis 2. Okt. in Usundscha Owa, nordwestlich von Adrianopel, stattfindet. Der Außenhandel, der in erster Linie durch Konstantinopel, Dede Aghatsch und Saloniki vermittelt wird, ist bedeutend, befindet sich aber vorwiegend in den Händen Fremder; im Levante- und Küstenhandel sind dagegen auch viele türkische Untertanen beschäftigt. Bankier- und Wechselgeschäfte werden fast nur von Armeniern und Griechen betrieben, in deren Händen sich auch fast ausschließlich der Binnenhandel befindet. 1882 wurden sämtliche Handelsverträge gekündigt und erst seit 1888 neue abgeschlossen. – Die Hauptartikel des auswärtigen Handels des türkischen Reiches waren 1905/06 in Millionen Piaster (à 0,179 Mk.):

Tabelle

Die Ausfuhr besteht hauptsächlich aus Rohprodukten der Landwirtschaft, die Einfuhr aus Fabrikaten aller Art, Kolonialwaren, Petroleum; jene betrug 1,967,236, diese 3,136,602 Piaster. Die Hauptländer für den Handel mit der Türkei sind: England, Österreich-Ungarn, Frankreich, Rußland, Italien, Deutschland, Bulgarien und Persien. Auf England entfällt ein Drittel des gesamten türkischen Außenhandels (1732 Mill. Piaster). Deutschland führte 1905/06 in die Türkei ein für 132,529,000, aus für 122,769,000 Piaster, ungerechnet die über französische und österreichische Häfen gehenden Sendungen. Die meist in griechischen Händen befindliche Handelsflotte des türkischen Reiches bestand 1905 aus 104 Dampfern mit 63,210 und 879 Seglern (über 50 Ton.) mit 178,262 T. Die Schiffsbewegung der türkischen Häfen 1904/05 belief sich auf 182,941 Schiffe (davon 49,235 Dampfer) mit 46,685,621 Reg.-Ton. Konstantinopel allein hatte 1904 einen Seeverkehr von 16,450 Schiffen mit 15,633,534 T. Regelmäßige Dampfschiffsverbindungen werden mit den Hauptseeplätzen der Türkei und den Häfen des Schwarzen, Ägäischen und Adriatischen Meeres durch die deutsche Levantelinie, die Amerika-Levantelinie, die Aktiengesellschaft Atlantic (Bremen), die deutsch-russische Naphtha-Importgesellschaft, den österreichischen Lloyd, die ungarische Levantelinie, die Messageries maritimes, Fraissinet & Comp., Paquet & Comp, Navigazione Generale Italiana, durch 6 englische, eine niederländische, eine russische, eine ägyptische, mehrere kleinere griechische und türkische Linien unterhalten. Münzeinheit ist amtlich seit 1844 der Piaster Gold (gûrusch, Grusch zu 40 Para), deren 100 auf das türkische Pfund (osmanli lira) von 18,452 Mk. Sollwert gehen. Die Münzanstalt in Konstantinopel prägt Goldstücke zu 500,250,100,50 und 25 Piaster; Noten der Ottomanischen Bank sowie fremdes, besonders französisches und englisches Gold (fransiz und ingliz lira) helfen aus. Im Kleinverkehr kursiert neueres Silbergeld zu 20 (Medschidië), 10, 5, 2, 1 und 1/2 Piaster nebst Kupfermünzen zu 10 und 5 Para; fremdes Silber- und Kupfergeld ward 1887 verboten. Schlechte Prägung und der aus dem alten Metalikgeld (vgl. Altilik und Beschlik) entstandene Wirrwarr[820] haben beigetragen, daß in den Provinzen das Aufgeld des Goldes ungleich wechselt; den Medschidië aus Silber setzte die Regierung selbst 1880 auf 19 Goldpiaster herab. Vgl. Tafel »Münzen V«, Fig. 9 u. 18, und Tafel VI, Fig. 15, nebst Übersicht. In bezug auf Maß und Gewicht gilt das metrische System (s. Bd. 13, S. 717). Frühere Gewichtseinheit war die Okka = 1284 g, Getreidemaß das Kilé = 25–37 Lit., Längenmaß der Pik Hâlebi (»Elle von Aleppo«) = 0,686 m. Diese Maße sind noch im Gebrauch. An Eisenbahnen standen 1906 in Betrieb 5589 km (Europa 1994, Kleinasien 2086, Syrien 1509 km). Die Hauptlinien der europäischen Türkei sind: (Belgrad-Sofia-Philippopel-) Mustafa Pascha-Adrianopel-Konstantinopel (354 km), (Belgrad-) Zibeftsche-Üsküb-Saloniki (243 km), Üsküb-Mitrowitza (119 km, Verlängerung nach Bosnien in Aussicht), Saloniki-Monastir, Konstantinopel-Dede Aghatsch-Saloniki. Das Telegraphennetz ist ziemlich ausgedehnt, selbst über abgelegene und schwach bevölkerte Gegenden; es gab im türkischen Reich 1904/05: 42,924 km Linien mit 68,764 km Drahtlänge und 927 Ämtern. Die Post ist seit 1888 dem Weltpostverein angeschlossen; es gab 1904/05: 1279 Ämter. Befördert wurden 24 Mill. Briefe, 1,132,000 Postkarten, 5,3 Mill. Drucksachen und Warenproben, endlich Wertsendungen im Wert von 50,5 Mill. Frank. Wegen der Unzuverlässigkeit der türkischen Post haben das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien etc. ihre Postämter in den größern Hafenstädten beibehalten.

Staatsverfassung und -Verwaltung.

Das osmanische Reich ist eine absolute Monarchie, deren Herrscher, Sultan oder Padischah (»Großherr«), die höchste weltliche Gewalt mit dem Kalifat, der höchsten geistlichen Würde, verbindet. Der Sultan gilt bei seinen Untertanen als Nachfolger des Propheten und hat seine Autorität von Gott. Als oberster Kalif ist er gleichzeitig geistliches Oberhaupt aller Mohammedaner. Der Thron ist erblich im Mannesstamm des Hauses Osman und geht in der Regel auf das älteste Mitglied desselben über. Der Padischah wird in der Moschee Ejub zu Konstantinopel vom Scheich ul Islam mit dem Säbel Osmans, des ersten Sultans der Osmanen (1299), umgürtet, wobei er die Aufrechterhaltung des Islams verspricht und einen Schwur auf den Koran ablegt. Der jetzige Sultan ist Abd ul Hamid II. (s. d.), der 34. Souverän aus dem Haus Osmans und der 28. seit der Eroberung von Konstantinopel. Die Würdenträger des Hofes zerfallen in zwei Klassen: die einen, die Agas des Äußern, wohnen außerhalb des Palastes oder Serails; die andern, die Agas des Innern, bewohnen den Mabeïn, einen Teil des Serails, und sind fast lauter Eunuchen, die zu ihrem Namen den Titel »Aga« setzen. Der erste an Rang mit dem Titel »Hoheit« und nur dem Großwesir nachstehend ist der Kislar-Aga (»Hauptmann der Mädchen«), der Chef der schwarzen Eunuchen. Der Harem (s. d.), der als Staatseinrichtung gilt, unterscheidet mehrere Klassen und enthält 300–400 Frauen. Den Titel Sultanin führen nur die Prinzessinnen kaiserlichen Geblüts. Des Sultans Mutter (Sultan-Walide) hat nach ihm den ersten Rang im Reiche. Zum Hofe gehören ferner der Palaismarschall und zahlreiche Zivilbeamte und Offiziere. Die osmanische Gesetzgebung besteht aus dem theokratischen (religiös-bürgerlichen) Gesetz (Scheriat) und dem politischen Gesetz (Kanun). Ersteres beruht auf dem Koran, der Sunna (Überlieferung), dem Idschma iümmet (die Auslegungen und Entscheidungen der vier ersten Kalifen enthaltend) und dem Kyas oder der Sammlung gerichtlicher, durch die vier großen Imam (Ibn Hanifé, Maliki, Schafi'i und Hambali) gegebener Entscheidungen in den ersten drei Jahrhunderten der Hedschra bis zu den Sammlungen der Fetwas (s. d.). Die türkische Gesetzgebung ist das Werk von 200 Rechtsgelehrten, aus deren Arbeiten man umfassende Sammlungen bildete, welche die Stelle der Gesetzgebung vertreten. Die erste (»Dürrer«, »Perlen«) reicht bis 1470 (848 der Hedschra); die zweite (»Mülteka ül Buhur«, »Verbindung der Meere«), das Werk des gelehrten Scheichs Ibrahim Halebi (gest. 1549) und 1824 gänzlich umgearbeitet, ist religiöses, politisches, militärisches, bürgerliches, Zivil- und Kriminalgesetzbuch; das Handelsgesetzbuch ist im wesentlichen eine ungeschickte Kopie des französischen Code de commerce von 1807. Der Theorie nach gilt die am 23. Dez. 1876 erlassene Verfassung, obwohl die Regierung sich um sie nicht kümmert; seit 1877 ist die Reichsversammlung nicht mehr berufen worden.

[Innere Verwaltung.]

Der Sultan übt seine gesetzgebende und vollziehende Gewalt durch den Großwesir und den Scheich ul Islam aus. Der Großwesir ist der Repräsentant des Sultans, führt im Ministerrat den Vorsitz und ist als Leiter der obersten Staatsverwaltung tatsächlich der Inhaber der Exekutivgewalt. Dem Mufti oder Scheich ul Islam (eingesetzt 1543 durch Mohammed II.) liegt die Auslegung des Gesetzes ob. Er ist der unmittelbare Vertreter der geistlichen Gewalt des Kalifats, oberster Chef der mohammedanischen Geistlichkeit und Richter »schaft, selbst aber weder Priester noch Gerichtsperson. Seine Zustimmung ist notwendig zur Gültigkeit jeder Verordnung, jedes von der höchsten Behörde ausgehenden Aktes. Außerdem stehen an der Spitze der Staatsverwaltung die für die einzelnen Zweige derselben bestimmten Staatsminister, nämlich: der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Kriegs« minister, der Großmeister der Artillerie, der Finanzminister, der Marineminister (Kapudan-Pascha), der Minister des Innern, der Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten, der Minister des öffentlichen Unterrichts, der Minister für Justiz und Kultus und der Intendant des Evkaf (d. h. der den Moscheen und frommen Stiftungen gehörigen Güter). Der Geheime Rat oder Diwan besteht aus dem Scheich ul Islam, den oben genannten Ministern und dem Präsidenten des Staatsrats. Dann folgen die beiden Reichsräte, der für Ausführung der Reformen und der 1868 gegründete Staatsrat (nach dem Muster des französischen Conseil d'État). Die Minister führen den Titel »Muschir« (und »Wesir«), die andern hohen Staatsbeamten der Pforte und die Generale den Titel »Pascha«, die Beamten der Magistratur und der Kanzleien den Titel »Efendi«, die Söhne der Paschas und die obern Offiziere den Titel »Bei«, alle niedern Offiziere und Beamten den Titel »Aga«. Behufs der Verwaltung ist das türkische Reich in Wilajets oder Generalgouvernements eingeteilt. Die Wilajets zerfallen in Liwas oder Sandschaks (Provinzen), diese wiederum in Kasas (Kreise) und Nahije (Amtsbezirke). An der Spitze jedes Wilajets steht ein Wali oder Generalgouverneur. Jedes Liwa wird von einem Mutesarrif verwaltet, jedes Kasa von einem Kaimakam; an der Spitze der Nahijes steht ein Mudir. In jedem Wilajet und in den größern Städten steht dem betreffenden Verwaltungsbeamten ein Medschlis (Verwaltungsrat, Gemeindevertretung) zur Seite, in dem die richterlichen, finanziellen; religiösen [821] Spitzen und 3–4 von der Einwohnerschaft gewählte Personen sitzen. Die meisten der durch das Irade vom 22. April 1896 veröffentlichten Reformen für die Provinzialverwaltung, die den Christen eine geringe Mitwirkung einräumen, ihnen den Kirchenbau erleichtern und bestimmen, daß 10 Proz. der Gendarmen Christen sein sollen, werden wohl ebenso auf dem Papiere stehen bleiben wie die von 1878. [Rechtspflege.] Die türkischen Justizbehörden zerfallen in die ganz mohammedanischen Scher'ije, an deren Spitze der Scheich ul Islam steht, und in die weltlichen Nisâmije, die aus Christen und Mohammedanern zusammengesetzt sind. Die höchste Gerichtsbarkeit wird ausgeübt von dem Appellationshof, dem höchsten Kassationshof und dem Komitee für Kompetenzstreitigkeiten, alle in Konstantinopel. In jedem Wilajet befindet sich ein Scher'ijegericht unter dem Vorsitz eines Mollas mit dem Titel Nâib, der zugleich dem Diwan-Temjisi (Appellationsgericht des Wilajets) präsidiert. Ebenso hat jedes Liwa und Kasa sein Scher'ijegericht, das häufig der Bestechung sehr zugänglich ist, wie überhaupt in allen Zweigen der Staatsverwaltung Zerfahrenheit, Unbildung und Korruption der ungebildeten, schlecht und unregelmäßig bezahlten Beamten herrscht. Für Streitigkeiten zwischen Bekennern verschiedener Religionen, zugleich auch für Kriminalfälle dienen die Nisâmijes. Außerdem bestehen Handels-(Tidscharet-)Gerichte seit 1887 in den größern See- und Handelsstädten (Konstantinopel, Saloniki, Smyrna, Beirut, Bagdad). Sie sind gewöhnlich mit drei türkischen Richtern besetzt; bei Prozessen zwischen türkischen und fremden Staatsangehörigen werden sie durch zwei von den Konsulaten delegierte fremde Kaufleute, die als beisitzende Richter fungieren, verstärkt. Bei Prozessen zwischen fremden und türkischen Staatsangehörigen sind die Tidscharetgerichte nicht bloß für Handelssachen, sondern auch für alle sonstigen Zivilstreitigkeiten, wenn der Wert des Streitgegenstandes 1000 Piaster (ungefähr 180 Mk.) übersteigt und es sich um keine Immobiliarklage handelt, kompetent. Die ottomanischen Gerichte sind in allen Streitfällen zwischen fremden und türkischen Staatsangehörigen zuständig. Doch kann nach den Kapitulationen, d. h. den Verträgen zwischen der Pforte und den Fremdmächten, die gerichtliche Verhandlung nur im Beisein eines Vertreters des zugehörigen Konsulats stattfinden. In Prozessen dagegen, bei denen beide Parteien Fremde sind, entscheiden die Konsulargerichte. [Finanzen.] Die Finanzen der Türkei haben sich nach dem Bankrott vom 13. April 1876 nur wenig gebessert und 1881 zur Einsetzung einer internationalen Finanzkontrolle (s. d.) geführt, wie sie überhaupt wegen des ständigen Defizits eine Quelle unaufhörlicher Einmischung der Fremdmächte in die innern Angelegenheiten des türkischen Reiches sind. Die schweren Lasten, welche die häufigen Kriege und Aufstände und das zahlreiche Heer dem Staat auferlegen, machen die Finanzverhältnisse sehr traurig, weshalb auch die Gehälter sehr unregelmäßig gezahlt werden und Rückstände für mehrere Monate gewöhnlich sind. Die Hauptposten der Einnahmen. soweit sie nicht an die Staatsgläubiger verpfändet sind, sind: Grundsteuer, Einkommensteuer von einzelnen Gewerben, der Zehnte von den Bodenerzeugnissen, der aber in der Höhe von 121/2 Proz. erhoben wird, die Hammelsteuer, die auf den Nichtmohammedanern lastende Steuer für Befreiung vom Militärdienst, der 8proz. Einfuhr- und der 1proz. Ausfuhrzoll. 1897/98 betrugen in türkischen Pfund (zu 18,44 Mk.) die Staatseinnahmen 18,511,322, die Ausgaben 18,429,411 Pfd., wovon allein 6,5 Mill. Pfd., trotz stark reduzierter Zinszahlung. auf die Verzinsung der Staatsschuld entfielen. Letztere betrug 1906 einschließlich der Rückstände der russischen Kriegsschuld 129,1 Mill. Pfd. Vor dem Staatsbankrott betrug die öffentliche Schuld 4,5 Milliarden Mk.; sie wurde 1881 auf die Hälfte reduziert.

Heerwesen und Kriegsmarine.

Das Wehrgesetz von 1880 (letzte Ergänzung 1904) befiehlt für Mohammedaner allgemeine Wehrpflicht vom 21. bis 40. (in Glaubenskriegen bis 70.) Lebensjahr; 3 Jahre aktiv (Nizam), 6 Reserve (Ichtiat), 9 Landwehr (Redif) erster Kategorie, 2 Landsturm (Mustafiz). Berücksichtigungswürdige entfallen in die Redif zweiter Kategorie mit höchstens 9 Monaten präsenter Dienstzeit. Andersgläubige sind gegen eine Wehrsteuer (900 Mk.) vom Militärdienst befreit, desgleichen die Mohammedaner von Konstantinopel, Skutari, Mekka, Medina. Jeder Eingereihte kann sich nach 3 Monaten Aktivdienst mit 50 türk. Pfd. von der weitern Präsenzpflicht loskaufen. Friedensstärke 1905: 20,009 Offiziere, 250,000 Mann, 22,000 Pferde und Tragtiere, 1300 bespannte Geschütze, ohne Gendarmerie und Kaders (10,000 Mann) der Redif. Nizamarmee mit 337 Bataillonen Infanterie zu 300–600 Mann, 208 Eskadrons zu 138 Mann, 271 Batterien zu 60–100 Mann, 146 Festungsartillerie-, 56 technische Kompanien, 24 Trainkompanien; eine Sanitätstruppe (außer dem Krankenwärterpersonal in Konstantinopel) existiert nicht; 136 Bataillone, 233 Eskadrons osmanische Gendarmerie mit 100,000 Mann zu Fuß und 18,000 Reitern. Die mazedonische Gendarmerie, 1 Regiment zu 4 Bataillonen, 5 Eskadrons 1885 Mann, 383 Reiter, ist von europäischen Offizieren kommandiert. Kriegsstärke der Nizam- und Redifarmee, einschließlich der irregulären Kavallerie aus Kurden- und Araberstämmen (Hamidié), 1 Mill. Gewehre, 75,000 Säbel, 1600 Feld- und Gebirgsgeschütze, hiervon mindestens 0,5 Mill. Gewehre, 20,000 Säbel, 1000 Geschütze für einen europäischen Krieg verfügbar. Bewaffnung 7,65 mm-Mauser-Repetiergewehre, 7,5 cm-Gebirgsgeschütze, 12 cm-Feldhaubitzen M/92, ein 7,5 cm-Schnellfeuergeschütz M/1903 ist in Einführung (alle von Krupp). 7 Ordu- (Korps-) Bezirke; 2 selbständige Divisionsbezirke mit zusammen 55 Infanteriedivisionen, 6 Kavalleriedivisionen der Nizam- und Redifarmee im Frieden. Im Kriege 20 Infanteriedivisionen Nizam, 24 Redif erster zu 12,000 Gewehren, 100–400 Säbeln, 18–24 Geschützen; 11 (nach voller Durchführung der Organisation 42) Infanteriedivisionen Redif zweiter Kategorie mit etwas schwächerm Gefechtsstand; 6 Kavalleriedivisionen zu 3000 Säbeln, 18 Geschützen; weiter 3400 Gardezuaven als Leibwache des Sultans, 3000 Mann Gardekavallerie, 4 Spezialjägerbataillone schon im Frieden mit 3200 Mann, 8 Maschinengewehren und 8 Gebirgsschnellfeuergeschützen; 19 Hamidiébrigaden mit 35,000 Reitern. Anstalten: 32 Militärunterrealschulen, 11 Kadetten-, bez. Oberrealschulen (2 für Ärzte), 3 Akademien (Infanterie und Kavallerie, Artillerie und Genie, Ärzte), eine Generalstabsschule, eine höhere Artillerie- und Genieschule, Arsenal in Konstantinopel, Geschützreparaturwerkstätte in Erzerum, Pulverfabrik in Makrikoj. Landesbefestigung: Erzerum mit 14 neuern Werken, Konstantinopel mit den befestigten Zugängen der Seeseite, Bosporus (s. d.) und Dardanellen (s. d.); der Landverteidigung dient die Tschataldschalinie, vorwiegend aus Erdwerken bestehend. Vgl.[822] v. Loebells »Jahresberichte über das Heer- und Kriegswesen« (Berl.); Mach und v. d. Goltz. Die Wehrmacht der Türkei und Bulgariens (das. 1905); »Vierteljahrsreste für Truppenführung und Heereskunde« (das. 1995); Rásky, Die Wehrmacht der Türkei (Wien 1905); »Internationale Revue über die gesamten Armeen und Flotten«, Beiheft 75 (Dresd. 1906). –

Wappenemblem des Turkischen Reiches.

Die Flotte zählte Anfang 1907: 2 alte Linienschiffe von 15,900 Ton., 1 Küstenpanzerschiff, 2 kleine geschützte Kreuzer, 2 ungeschützte Kreuzer, 3 Kanonenboote, 5 Torpedobootszerstörer (außerdem 9 im Bau), 17 Hochseetorpedoboote, 7 alte Küstentorpedoboote, 2 alte Unterseeboote, 2 Schulschiffe, 4 Sultansjachten, 4 Hafenschiffe (alte Panzerschiffe). Personal etwa 10,000 Mann. Die ganze Flotte ist stark vernachlässigt, nur ein Teil der angeführten Schiffe ist seetüchtig und mit moderner Kriegsausrüstung versehen. – Ein eigentliches Wappen hat die Türkei nicht. Als Symbole dienen der Namenszug (Tugra) des regierenden Sultans sowie ein (abnehmender) silberner Halbmond mit silbernem Stern zwischen den Hörnern in Grün oder Rot (vgl. Abbildung). Die Türken sollen den Halbmond schon 1209 (als sie noch in Mittelasien wohnten) bei ihren Kriegen gegen die Chinesen als Fahnenbild gebraucht haben. Das Symbol wird auf den Gestirndienst zurückgeführt, der die Religion der Türken war, ehe sie zum Islam übertraten. Die Landesfarben sind Rot und Dunkelgrün. Grün ist die heilige Farbe der Mohammedaner. Es bestehen vier Ritterorden: der kaiserliche Osman-Hausorden (Chanedani-al-Osman, 1895 für Verdienste um den Sultan gestiftet, eine Klasse), der Erthogrul-Orden (1903 gestiftet, eine Klasse), der Orden des Ruhms (Nischani-el-Ittikhar, 1831 gestiftet) mit fünf Klassen, der Medschidije-Orden (1851 gestiftet, s. Tafel »Orden II«, Fig. 30) mit fünf Klassen, der Osmanje-Orden (1862 gestiftet, s. Tafel »Orden II«, Fig. 31) mit vier Klassen, der Verdienstorden (Nischan-i-Imtijās, 1879 gestiftet), außerdem ein Frauenorden (Nischan-i-Schefakat, 1878 gestiftet). Sonstige Auszeichnungen sind Verdienst- und Rettungsmedaillen, Ehrenkaftane und Ehrensäbel. Die Kriegs- und Handelsflagge (letztere auch bloß rot-grün-rot horizontal gestreift) zeigt auf rotem Grund einen mit den Hörnern nach außen gekehrten weißen Halbmond und darin einen weißen fünfstrahligen Stern (s. Tafel »Flaggen I«).

Die Asiatische Türkei (s. das Nebenkärtchen und Karte »Asien, politische Übersicht« im 1. Bd.) umfaßt in 1) Kleinasien (501,400 qkm mit 9,089,200 Einw., 18 auf 1 qkm) die Wilajets des Archipels, Brussa, Smyrna, Konia, Adana. Angora, Kastamuni, Siwas, Trapezunt und die Mutesarrifliks Ismid und Bigha, 2) Armenien und Kurdistan (186,500 qkm mit 2,470,900 Einw., 13 auf 1 qkm) die Wilajets Erzerum, Mamuret-ül-Aziz, Bitlis, Diarbekr, Wan, 3) Syrien und Mesopotamien (637,800 qkm mit 4,288,600 Einw., 7 auf 1 qkm) die Wilajets Aleppo, Beirut, Syrien, Bagdad, Mosul, Basra und die Mutesarrifliks Libanon, Jerusalem, Sor, 4) Arabien (441,100 qkm mit 1,050,000 Einwohnern, 2 auf 1 qkm) die Wilajets Hidschaz und Jemen. Der Gesamtbesitz in Asien beträgt also 1,766,800 qkm mit 16,898,700 Einw. (ca. 10 auf 1 qkm). Über das Nähere vgl. die Einzelartikel.

[Literatur.]

Vgl. v. Moltke, Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei 1835–1839 (Berl. 1841. 6. Aufl 1893); v. Hellwald und Beck, Die heutige Türkei (2. Aufl., Leipz. 1878–79, 2 Bde.); Zur Helle, Die Völker des osmanischen Reichs (Wien 1877); Menzies, Turkey, historical, geographical, statistical (Lond. 1880, 2 Bde.); L. Diefenbach, Die Volksstämme der europäischen Türkei (Frankf. 1877); V. Cuinet, La Turquie d'Asie (Par. 1891–95, 4 Bde.); J. Baker, Die Türken in Europa (deutsch, Stuttg. 1878); Lux, Die Balkanhalbinsel (Freib. i. Br. 1887); Laveleye, Die Balkanländer (deutsch, Leipz. 1888, 2 Bde.); Th. Fischer, Die südosteuropäische Halbinsel (in Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«, 2. Teil, Wien 1893); Lamouche, La Péninsule Balcanique (Par. 1899); Dupont, Géographie de l'empire ottoman (das. 1907); Aristarchi Bei, La législation ottomane (Konstant. u. Par, 1873 bis 1888, 7 Bde.); Baillie, Digest of mahommedan law (2. Aufl., Lond. 1875–87, 2 Bde.); Nauphal; Système legislatif Musulman (St. Petersb. 1823, 2 Bde.); Albrecht, Grundriß des osmanischen Staatsrechts (Berl. 1905); Loytved, Grundriß der allgemeinen Organisation der Verwaltungsbehörden der eigentlichen Türkei (»Mitteilungen des Seminartz für orientalische Sprachen«, das. 1904); Morawitz, Les finances de la Turquie (Par. 1902; deutsch von Schweitzer, Berl. 1903); »Annuaire oriental de commerce, de l'industrie, de l'administration, etc.« (Konstantinopel); Meyers Reisebücher: »Türkei, Rumänien, Serbien, Bulgarien« (6. Aufl., Leipz. 1902) und »Griechenland u. Kleinasien« (6. Aufl., das. 1906), Karten: »Karte der Balkanhalbinsel« (1:200,000; vom Österreichischen Militärtopographischen Institut; etwa 60 Blätter, als Teil der Österreichischen Generalkarte von Zentraleuropa in 1:200,000); »Karte der europäischen Türkei«, 64 Blätter in 1:210,000 (hrsg. vom Kaiserlich Ottomanischen Generalstab, Konstant, 1899); s. die Textbeilage zum Artikel »Landesaufnahme« (im 12. Bd.) und die bei Kleinasien (s. d.) angeführten Kartenwerke von Kiepert u. a. Vgl. Haardt v. Hartenthurn, Die Kartographie der Balkanhalbinsel im 19. Jahrhundert (Wien 4903); Cvijić, Bibliographie der geographischen Literatur über die Balkanhalbinsel (Belgrad, seit 1896).[823]

Geschichte des türkischen Reiches

(Hierzu »Karte zur Geschichte der europäichen Türkei.«) Tabelle

[Gründung des türkischen Reiches.]

Ein Stamm der Türken, die im Altertum Turan bewohnten, im 8. Jahrh. zum Islam übertraten und dann unter Führung der Seldschuken (s. d.) Vorderasien überschwemmten, wanderte, 50,000 Seelen stark, um 1225 unter seinem Stammeshäuptling Suleiman vor den Mongolen von Chorasan nach Armenien aus. Suleimans Sohn Ertogrul (1231–88) erhielt von Ala ed-din, seldschukischem Sultan von Konia, ein Lehen im nordwestlichen Phrygien. Osman I., Ertogruls Sohn (1299–1326), focht glücklich gegen die Griechen; nach ihm führten die Türken fortan den Namen osmanische Türken oder Osmanen. Türkische Freibeuter eroberten 1308 Chios und plünderten zahlreiche Küstenstädte Kleinasiens. Osmans Sohn Urchan (1326–59), einer der bedeutendsten Herrscher, eroberte 1326 das feste Brussa, wo er sich einen Palast erbaute, dessen Tor die »Hohe Pforte« genannt wurde, und unterwarf bis 1340 das Land bis an die Propontis mit Nikäa und Nikomedeia sowie weite Strecken im Innern. Sein Sohn Suleiman setzte sich 1356 schon auf der europäischen Seite des Hellesponts, in Gallipoli, fest. Unter dem Beirat seines einsichtsvollen Bruders Ala ed-din (gest. 1333), des ersten Wesirs der Osmanen, organisierte Urchan das Reich nach den Satzungen des Korans wie des osmanischen Staatsrechts (Kanun) und teilte es in drei Sandschaks (Fahnen). Auch schuf er ein stehendes Heer und errichtete die Janitscharen (d. h. neue Truppe), ein aus christlichen Knaben rekrutiertes, trefflich geschultes Fußvolk, sowie die reguläre Reiterei der Spahis, die gegen erbliche Dienstpflicht mit den Einkünften von unterworfenen Dörfern belehnt wurden. Die Türken bildeten also ein politisch organisiertes Heerlager, dessen Unterhaltung christlichen Völkerschaften oblag; trotz fortwährender Kriege vermehrte es sich rasch durch massenhaften Übertritt von Christen, denen sofort alle Vorrechte des herrschenden Kriegerstammes gewährt wurden.

Urchans zweiter Sohn, Murad I. (1359–89), eroberte Thrakien, verlegte 1365 seine Residenz nach Adrianopel und beschränkte das griechische Kaiserreich auf Konstantinopel. Serben und Bulgaren zahlten nach der Niederlage auf dem Serbierfeld bei Adrianopel (1371) Tribut und verpflichteten sich zur Heeresfolge; die Fürsten Kleinasiens erkannten die Oberhoheit des Sultans an. Die Erhebung des Serben Lazar, dem sich Kroatien, Bosnien, Albanien, Bulgarien und die Walachei anschlossen, endete mit der blutigen Niederlage auf dem Amselfeld (15. Juni 1389), obwohl der siegreiche Murad auf dem Schlachtfeld selbst von einem verwundeten Serben erstochen wurde. Sein Sohn Bajesid I. (1389–1402) machte die Walachei zinspflichtig, unterjochte Bulgarien, eroberte Mazedonien und Thessalien und drang in Hellas ein; die Länder zwischen Halys und Euphrat beugten sich unter ihn. Die christlichen Kreuzscharen, die König Siegmund von Ungarn herbeiführte, schlug Bajesid 28. Sept. 1396 bei Nikopoli. Doch unterlag er 20. Juli 1402 bei Angora den Mongolen Timurs und geriet selbst in Gefangenschaft, in der er 1403 starb. Von seinen Söhnen Suleiman, Musa und Mohammed glückte es dem letzten 1413, das zerfallende osmanische Reich wieder in seiner Hand zu vereinigen. Seinen Sohn Murad II. (1421–51) zwangen Aufstände in Asien sowie wechselvolle Kriege gegen die Ungarn und Serben unter Johannes Hunyadi und in Albanien gegen Georg Kastriota, Illyrien den Serben und die Walachei den Ungarn abzutreten. Erst als seine Siege über die Christen bei Warna (10. Nov. 1444) und auf dem Amselfeld (17. bis 20. Okt. 1448) die Herrschaft der Osmanen an der Donau dauernd begründet hatten, 1446 auch der Peloponnes erobert worden war, konnte die wieder erstarkte Osmanenmacht unter Murads Nachfolger Mohammed II. (1451–81) sich gegen Konstantinopel wenden, das nach tapferer Verteidigung 29. Mai 1453 fiel und zur Hauptstadt des osmanischen Reiches erhoben wurde.

Macht und Blüte des Reiches.

Die zahlreichen unterworfenen Christen (Rajah) wurden zwar in der freien Ausübung ihrer Religion belassen, waren aber doch der Willkür der Türken preisgegeben, die als herrschendes Kriegervolk die Hilfsmittel der eroberten Länder zu ihrer Bereicherung und zur Verstärkung ihrer militärischen Kraft verwendeten und unaufhörlich ihr Machtgebiet zu erweitern strebten; Krieg war ihnen der normale Zu stand. 1456 fiel Serbien, 1463 Bosnien, 1468 Albanien in türkische Hände; 1461 wurde das Kaiserreich Trapezunt, 1475 der Tatarenchan der Krim zur Unterwerfung gezwungen, 1478 die polnische Moldau unter die Oberhoheit der Pforte gestellt. Unter Mohammeds Nachfolger Bajesid II. (1481–1512) trat in der gewaltigen Machtentfaltung des Osmanenstaates ein Stillstand ein, da seine Kriegsunternehmungen gegen das Abendland wenig glücklich waren; trotz der in seinem Hause bereits üblichen Sitte, die Alleinherrschaft durch Verwandtenmord zu sichern, hatte er fortwährend mit Aufständen zu kämpfen und ward, nachdem er seinen Bruder Dschem und zwei Söhne hatte hinrichten lassen, von seinem jüngsten Sohne, Selim I. (1512–20), vergiftet. Selim besiegte 1514 den Schah von Persien, den er durch die Ermordung von 40,000 auf türkischem Boden lebenden Schiiten zum Kriege gereizt hatte, bei Tschaldyran, eroberte Armenien und den Westen von Aserbeidschân, dann nach Besiegung der Mameluken 1517 Syrien, Palästina und Ägypten und wurde von den heiligen Städten Mekka und Medina als Schirmherr anerkannt, worauf er den Titel eines Kalifen annahm. Unter seinem Nachfolger Suleiman (Soliman) II. (1520–66) erreichte die türkische Macht ihren Gipfel: er eroberte 1521 Belgrad, vertrieb 1522 die Johanniter von der Insel Rhodos, vernichtete 29. Aug. 1526 das ungarische Heer unter Ludwig II. bei Mohács, drang 1529 bis Wien vor und vereinigte Ungarn, nachdem es seit 1533 unter dem siebenbürgischen Fürsten Johann Zápolya ein türkisches Vasallenreich[824] gewesen, 1547 zur Hälfte mit seinem Reiche. Die Venezianer mußten 1540 viele Inseln im Ägäischen Meer und ihre letzten Besitzungen auf dem Peloponnes abtreten. Im Krieg mit Persien (1533–36) gewann er Georgien und Mesopotamien. Seine Flotten beherrschten das Mittelmeer bis Gibraltar und beunruhigten durch Raubzüge im Indischen Ozean die portugiesischen Kolonien. Die Barbareskenstaaten Nordafrikas erkannten seine Oberhoheit an. Er starb 1566 vor Szigetvár in Ungarn.

Verfall des Reiches.

Die Vertilgung aller der Einheit etwa gefährlichen Glieder der Dynastie, die Serailerziehung und strenge Abschließung der Prinzen vom öffentlichen Leben vernichteten die Kraft des Herrschergeschlechts; die Soldateska der Janitscharen wurde immer zügelloser. Der schwache Selim II. (1566–74) ließ seinen Großwesir Mohammed Sokolli regieren. Dieser entriß zwar 1570 den Venezianern Cypern, Zante und Kephallinia; dagegen wurde die türkische Flotte 7. Okt. 1571 bei Lepanto von den Christen besiegt. Murad III. (1574–95), der sich den Thron durch Ermordung von fünf Brüdern sicherte, und Mohammed III. (1595–1603), der 19 Brüder erdrosseln ließ, führten erfolglose Kriege gegen Österreich und Persien; letzterer verlor Tebriz und Bagdad und mußte Frankreich um Vermittelung des Friedens mit Österreich angehen. Ahmed I. (1603–17) schloß 1612 mit den Persern einen ungünstigen Frieden. Sein Bruder Mustafa I. (1617) ward nach dreimonatiger Herrschaft als blödsinnig abgesetzt, Ahmeds Sohn Osman II. (1618–21), als er nach einem unglücklichen Feldzug gegen die polnischen Kosaken die schuldigen Janitscharen vernichten wollte, von diesen ermordet und, nachdem Mustafa 1622 wieder als Sultan anerkannt, aber 1623 zum zweitenmal abgesetzt worden war, Osmans jüngerer Bruder, Murad IV. (1623–40), auf den Thron erhoben. Dieser eroberte im Kriege gegen Persien (1634–38) Eriwan, Tebriz und Bagdad wieder, züchtigte die Kosaken und legte den Venezianern einen nachteiligen Frieden auf; auch stellte er die Mannszucht wieder her und füllte sparsam den Staatsschatz. Sein wollüstiger Bruder Ibrahim (1640–48), unter dessen toller Serailwirtschaft die von Murad gewonnenen Vorteile wieder verloren gingen, ward 1648 von den Janitscharen erdrosselt und sein zehnjähriger Sohn, Mohammed IV. (1648 bis 1687), auf den Thron erhoben.

Durch den Streit um die Vormundschaft ward das Reich der Auflösung nahegebracht: Zerrüttung der Finanzen, Meutereien der Janitscharen, Empörungen der Provinzialstatthalter, Niederlagen gegen die Venezianer (unter Lor. Marcello 1656 in den Dardanellen) und gegen Polen brachen über das Reich herein, bis Mohammed Köprülü, 1656 zum Großwesir ernannt, die Mannszucht in der Armee, den Gehorsam der Provinzen und die Ordnung der Finanzen herstellte und die Venezianer zurückschlug. Sein Sohn Ahmed Köprülü (Großwesir 1661–1676) eroberte im Kriege gegen Österreich Gran und Neuhäusel und behauptete, obwohl 1. Aug. 1664 bei St. Gotthard geschlagen, Serimvár und Ujvár im Frieden von Vasvár, unterwarf 1669 Kreta und zwang Polen im Frieden von Buczacz 1672 zur Abtretung Podoliens und der Ukraine, die durch einen neuen Krieg mit Polen und einen Krieg mit Rußland nebst Asow 1681 wieder verloren gingen. Der neue Eroberungskrieg, den Ahmed Köprülüs Schwager Kara Mustafa gegen Österreich unternahm, verlief nach der vergeblichen Belagerung Wiens (24. Juli bis 12. Sept. 1683) so unglücklich, daß Mittelungarn mit Ofen verloren ging und die Kaiserlichen nach dem Siege bei Mohács (12. Aug. 1687) in Serbien eindrangen; während gleichzeitig die Venezianer den Peloponnes und Kephallinia wieder eroberten. Mohammed ward daher 1687 entthront; aber weder Suleiman III. (1687–91) noch Ahmed II. (1691–95) vermochten den türkischen Waffen wieder den Sieg zu verleihen. Nach den großen Niederlagen bei Slankamen (19. Aug. 1691) und Zenta (11. Sept. 1697) mußte Mohammeds Sohn Mustafa II. (1695–1703) im Frieden von Karlowitz (26. Jan. 1699) Ungarn und Siebenbürgen an Österreich, Asow an Rußland, Podolien und die Ukraine an Polen, den Peloponnes an Venedig abtreten. Des abgesetzten Mustafa Bruder Ahmed III. (1703–30) nahm nach der Schlacht bei Poltawa (1709) den flüchtigen Schwedenkönig Karl XII. gastlich auf, erklärte auch seinetwegen Rußland den Krieg; doch ließ sein Großwesir Baltadschi Mohammed 1711 den am Pruth eingeschlossenen Zaren Peter d. Gr. gegen Rückgabe Asows frei. 1715 ward die Morea den Venezianern wieder entrissen; doch verloren die Türken nach einem neuen unglücklichen Kriege gegen Österreich im Frieden von Poscharewatz (21. Juli 1718) einen Teil von Serbien mit Belgrad. 1730 ward Ahmed wegen eines unglücklichen Krieges mit Persien gestürzt.

Unter Mahmud I. (1730–54) fielen 1737 die Russen in die Krim ein und eroberten Asow wieder; die Österreicher kämpften aber so unglücklich, daß die Pforte im Frieden von Belgrad (1. Sept. 1739) das Gebiet südlich von Save und Donau sowie ihre an Rußland verlornen Grenzfestungen mit Asow zurückerhielt. Auf Mahmud folgte Osman III. (1754–1757), auf diesen sein Vetter Mustafa III. (1757–1773). Die Russen besetzten 1769 die Moldau und Walachei, eine russische Flotte erschien im Ägäischen Meer und vernichtete die türkische 6. Juli 1770 bel Tscheschme; 1771 ward die Krim den Türken entrissen, und 1773 drangen die Russen sogar in Bulgarien ein, so daß Mustafas Nachfolger Abdul Hamid I. (1774–89) im Frieden von Kütschük Kainardschi (21. Juli 1774) die Krim aufgeben, alle Plätze an der Nordküste des Schwarzen Meeres abtreten, den Russen freie Schiffahrt im Schwarzen und Ägäischen Meere zugestehen und für die Moldau und Walachei Verpflichtungen übernehmen mußte, die ein Schutzrecht Rußlands begründeten. Gegen Katharina II. von Rußland, die 1783 die Krim und die Kubanländer mit ihrem Reiche vereinigte und 1786 mit Kaiser Joseph II. ein Bündnis schloß, brach 1788 ein neuer Krieg aus, in dem die Türken zwar Suworows Vordringen nicht hemmen konnten, aber den Österreichern wiederholt Verluste beibrachten. Unter preußischer Vermittelung schloß Selim III. (1789–1807) mit Österreich den Frieden von Sistova (4. Aug. 1791), mit Rußland den von Jassy (9. Jan. 1792) und erhielt von beiden Mächten deren Eroberungen mit Ausnahme des Gebietes rechts vom Dnjestr zurück.

Reformversuche.

Im Innern hatten die wiederholten langwierigen Kriege den Verfall beschleunigt: die Finanzen waren zerrüttet, das Ansehen der Regierung geschwächt; die Einheit des Reiches durch Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Paschas erschüttert. Selims Reformversuche blieben diesen Schwierigkeiten gegenüber wirkungslos. Dazu kamen 1798 der Einfall Bonapartes in Ägypten, 1806 wegen Verletzung des Friedens[825] von Jassy eine neue russische Kriegserklärung. Als Selim die Errichtung eines nach europäischem Muster ausgehobenen und urganisierten Heeres versuchte, ward er 31. Mai 1807 auf Betrieb der beim Volke beliebten Janitscharen durch die Ulemas abgesetzt und Abd ul Hamids Sohn Mustafa IV. zum Sultan ernannt. Als sich der Seraskier Mustafa Bairaktar, Pascha von Rustschuk, für Selim erhob, ward dieser im Gefängnis ermordet. Bairaktar rückte nun auf Konstantinopel, erstürmte bas Serail und setzte im Mustafas Stelle dessen jüngern Bruder, Mahmud (28. Juli 1808), auf den Thron, der einen neuen Aufstand des von den Janitscharen aufgereizten fanatischen Volkes im November 1808 niederschlug und Mustafa IV. hinrichten ließ; sein Großwesir Bairaktar, vom Pöbel in einen Turm eingeschlossen, sprengte sich mit diesem in die Luft.

Mahmud II. (1808–39), als einzig überlebender Nachkomme Osmans von den Türken als rechtmäßiger Herrscher anerkannt, machte sich besonders die Wiederherstellung der Autorität der Pforte gegen die zahlreichen Unabhängigkeitsbestrebungen der Paschas und der christlichen Stämme zur Aufgabe. Die drohende Haltung Napoleons bewog Rußland trotz seiner glänzenden Siege, im Frieden von Bukarest (28. Mai 1812) außer Bessarabien die meisten seiner Eroberungen wieder herauszugeben. Anfang 1822 wurde der unbotmäßige Ali Pascha von Janina zur Übergabe gezwungen und ermordet; durch blutige Ausrottung des sich jeder Neuerung widersetzenden Janitscharenkorps (im Juni 1826) wie durch Errichtung eines regulären, nach europäischem Muster organisierten Heerwesens stellte Mahmud seine Macht wieder her. Dagegen glückte es ihm nicht, den Aufstand der Serben (seit 1804) und der Griechen (seit 1821) zu unterdrücken. Rußland nötigte der Pforte erst den Vertrag von Akkerman (6. Okt. 1826) ab, der die staatsrechtlichen Verhältnisse Serbiens und der Donaufürstentümer im Sinne Rußlands regelte, und nachdem die türkisch-ägyptische Flotte 20. Okt. 1827 bei Navarino durch die vereinigten Geschwader Rußlands, Englands und Frankreichs vernichtet worden war, ließ es im April 1828 seine Heere in Bulgarien und in Armenien einrücken. Zunächst eroberten die Russen bloß Warna, Kars und Achalzych, 1829 aber auch Erzerum, und Diebitsch drang bis Adrianopel vor. Dort kam 14. Sept. unter preußischer Vermittelung ein Friede zustande, worin die Türkei die Donaumündungen und Achalzych an Rußland abtrat, die Privilegien der 2) Donaufürstentümer und des vergrößerten Serbiens bestätigte und die Unabhängigkeit Griechenlands anerkannte.

Nun nahm Mahmud seine Bestrebungen, die Einheit des Reiches wiederherzustellen, von neuem auf, geriet dabei aber in Konflikt mit dem Pascha von Ägypten, Mehemed Ali, dem er für seine beim griechischen Aufstand (1825) geleistete Hilfe große Zugeständnisse hatte machen müssen. Mehemeds Adoptivsohn Ibrahim Pascha fiel 1831 in Syrien ein, schlug die Türken dreimal, eroberte 1832 Akka und drang 1833 bis Kjutahia vor. Die Pforte rief Rußlands Hilfe an, das 15,600 Mann an den Bosporus warf und die Donau überschritt, während Frankreich und England ihre Flotte vor den Dardanellen vor Anker gehen ließen. Jetzt verstand sich Mehemed Ali zum Frieden von Kjutahia (4. Mai 1833), worin der Sultan den Vizekönig als Erbstatthalter Ägyptens anerkannte und ihm auf Lebenszeit die Verwaltung Syriens und Kretas, Ibrahim die von Adana und Tarsos zugestand. Im Vertrag von Hunkjar-Skalessi (8. Juli) verpflichtete sich Mahmud, allen Feinden Rußlands die Dardanellen zu schließen und keinem Kriegsschiff die Einfahrt in das Schwarze Meer. zu gestatten. Nun bemühte sich der Sultan, die kriegerischen Hilfsmittel der Pforte durch straffe Zentralisation zu steigern; den Bosniern, Albanesen und verschiedenen kleinasiatischen Stämmen wurden die Reste ihrer Selbständigkeit genommen, das obere Mesopotamien und Kurdistan unterworfen. Als 1839 Empörungen gegen die ägyptische Herrschaft in Syrien ausbrachen, erklärte im Mai Mahmud dem Vizekönig den Krieg. Doch starb er 1. Juli, ehe er Kunde erhielt von der völligen Niederlage seines Heeres bei Nisib (24. Juni), und 17. Juli lieferte der Kapudan-Pascha Ahmed vor Alexandria die Flotte an Mehemed Ali aus.

Die Lage der Türkei, in der Abd ul Medschid (1839–61), Mahmuds 16jähriger Sohn, die Regierung antrat, war daher kritisch; sie wurde nur gerettet durch die Quadrupelallianz von England, Rußland, Österreich und Preußen (15. Juli 1840), die durch eine österreichisch-englische Flotte Mehemed Ali zur Räumung Syriens zwang und ihm nur die Erbstatthalterschaft von Ägypten ließ. Unter dem Beirat Reschid Paschas erließ Abd ud Medschid 3. Nov. 1839 den Hattischerif von Gülhane, dessen Wichtigkeit in der Bestimmung gipfelte, daß die »Untertanen jeder Nationalität und Religion«, also auch Christen und Juden, gleiche Sicherheit in betreff ihres Vermögens, ihrer Ehre und ihres Lebens haben sollten. Durch Einleitung mannigfacher Reformen auf administrativem und kommerziellem Gebiet hatte der Hatt auch für die Staatswirtschaft eine hohe Bedeutung. Übrigens sollte er nur die Grundsätze aufstellen, aus denen die zu erlassenden Sondergesetze zu fließen hätten; diese Gesetze (Tansimati hairijeh, d. h. »heilsame Organisation«) sollten für das gesamte Pfortengebiet Gültigkeit haben; auch Mehemed Ali mußte sich zu ihrer Annahme bequemen. 1841 wurde in London der Dardanellenvertrag abgeschlossen, durch den sich die Pforte verpflichtete, die Dardanellenstraße und den Bosporus für fremde Kriegsschiffe in Friedenszeiten verschlossen zu halten.

Der Krimkrieg mit seinen Folgen.

Das Jahr 1848 mit seinen Freiheitsideen ging an der eigentlichen Türkei spurlos vorüber. Hoffnungen, die man in Konstantinopel auf die ungarische Insurrektion setzte, wurden durch die Kapitulation von Világos (13. Aug. 1849) vernichtet; doch verweigerte die Pforte wenigstens, unterstützt durch eine vor den Dardanellen erscheinende englische Flotte, die Auslieferung der ungarischen Flüchtlinge. Als die französische Republik im Herbst 1850 eine Reklamation wegen der heiligen Stätten in Palästina erhob und die Pforte die Mitbenutzung einer Kirchentür in Bethlehem den römischen Katholiken zugestand erklärte Kaiser Nikolaus, daß hierdurch das religiöse Gefühl der orthodoxen Russen aufs äußerste verletzt werde, und verlangte für die griechisch-katholische Kirche in der Türkei Bürgschaften, die Rußland ein völliges Schutzrecht über Untertanen der Pforte gewährt hätten. Österreich forderte und erreichte 14. Febr. 1853 unter anderm die Zurückziehung der türkischen Truppen, die damals siegreich in das aufständische Montenegro eingedrungen waren. Nun verlangte auch Kaiser Nikolaus durch den Fürsten Menschikow in schroffer Form den Abschluß eines förmlichen Vertrags über die der orthodoxen Kirche zu gewährenden Privilegien. Die Ablehnung dieser Forderung hatte einen neuen [826] russisch-türkischen Krieg zur Folge (1853–56; s. Krimkrieg). Die türkische Armee erwies sich leistungsfähiger, als man geglaubt hatte, und verteidigte die Donaufestungen mit solchem Erfolge, daß die Russen über die Donau zurückgehen mußten. Dagegen wurde 30. Nov. 1853 die Flotte der Türkei bei Sinope vernichtet, und auch ihre Truppen kämpften, seitdem die verbündete Armee der Westmächte auf dem Kriegsschauplatz erschienen war. nur in Armenien selbständig; in der Krim spielten sie bloß die Rolle von Hilfstruppen.

Für die innern Verhältnisse der Türkei hatte der Krimkrieg besonders die Wirkung, daß die Westmächte zur Rechtfertigung ihrer Hilfe die Einführung gründlicher Reformen forderten. Diese Bemühungen gipfelten in einem neuen großherrlichen Edikt vom 18. Febr., das, von einer Diplomatenkommission zusammen mit dem türkischen Minister des Auswärtigen, A(a)li Pascha, ausgearbeitet, unter dem Namen Hatti-Humajun 21. Febr. 1856 verkündet und später dem am 30. März d. J. zu Paris unterzeichneten Friedensinstrument beigegeben wurde. Dieser Hatt proklamierte die bürgerliche Gleichstellung aller Untertanen, verbot die Bevorzugung einer Religionsgenossenschaft vorder andern, gewährte allen Staatsbürgern gleiches Recht auf Anstellung im Pfortendienst, gleiches Recht auf Schulbesuch, verordnete die Einsetzung gemischter (mohammedanisch-christlicher) Tribunale, die Wehrpflicht der Christen bei Befugnis des Stellvertreterkaufs, das Recht des Grundeigentumserwerbs für Ausländer, unbedingte Toleranz etc. Der Hatt, der den Christen die Wehrpflicht für den von ihnen immer als etwas Feindliches betrachteten Osmanenstaat auferlegte, wurde von diesen mit ebensoviel Verdruß und Argwohn aufgenommen wie von den Mohammedanern aller Parteischattierungen mit patriotischem und religiösem Ingrimm; die türkischen Staatsmänner durften deshalb beanspruchen, daß der Pforte hinlängliche Zeit für die allmähliche Ausführung der Reformen gewährt werde. Durch den Pariser Frieden erhielt die Pforte von Rußland die Donaumündungen, während ein anliegender Streifen Bessarabiens an die Moldau abgetreten wurde. Die Aufnahme der Pforte in die europäische Staatenfamilie und die Gewährleistung ihrer Unverletzlichkeit schienen die Stellung der Türkei in Europa beträchtlich zu heben; dagegen wurden durch die Erneuerung des Dardanellenvertrags und die Gewährung autonomer Stellung an die Donaufürstentümer, unter Bürgschaft der Vertragsmächte gegen Tributzahlung an die Pforte, ihre Selbständigkeit und ihre Macht erheblich verringert. In der Tat wurden die Befugnisse der Pforte über die Vasallenstaaten, da das europäische Konzert, von dem die Türkei bloß einen Teil bildete, sich die oberste Entscheidung beimaß. mehr und mehr verringert. 1859 wurde auf Betrieb Frankreichs in der Moldau und der Walachei derselbe Mann, Cusa, zum Fürsten erwählt und so die Union faktisch durchgeführt. In Serbien wurde der der Pforte ergebene Alexander Karageorgiević 1858 zur Abdankung gezwungen; unter den zurückgerufenen Obrenović wurde Serbien der Herd panslawistischer Agitationen, die 1861 auch einen Aufstand in der Herzogewina erregten. Dem Druck per Großmächte nachgebend, befahl die Pforte 1862 allen außerhalb der Festung Belgrad in Serbien lebenden Türken, auszuwandern, und schleifte mehrere Binnenbefestigungen. Die Reformen in den Immediatprovinzen gerieten bald ins Stocken; immerhin wurden. neue Heerstraßen erbaut, Häfen angelegt, die Post besser Angerichtet und Telegraphenlinien gezogen. Die Kehrseite dieser Fortschritte bildete die Zerrüttung der Finanzen. Während des Krimkriegs war neben einer bedeutenden schwebenden Schuld im Inland eine Anleihe von 140 Mill. Mk. in England aufgenommen worden; dieser folgten 1858, 1860 und 1861 drei weitere Anleihen. Die Ausgaben stiegen infolge der hohen Zinsen auf 280 Mill. Mk, jährlich, während die Einnahmen 180 Mill. Mk. betrugen. 1861 brach eine Handelskrisis aus, der man durch Ausgabe von 1250 Mill. Piaster Papiergeld mit Zwangskurs zu begegnen suchte. Die willkürlich verteilten und mit Härte eingetriebenen Steuern bedrückten die Bevölkerung schwer und führten in den Provinzen allmähliche Verarmung herbei, während die hohen Beamten und die Bankiers sich bereicherten.

Zerrüttung des Staates.

Am 26. Juni 1861 starb Abdul Medschid; sein Nachfolger Abdul Asis (1861–76) galt für nüchtern, sparsam und energisch. Aber sein Eigensinn und das Mißverhältnis zwischen Wollen und Können, Schwermutsanfälle und Despotenlaunen kühlten die Hoffnung auf Besserung bald ab. Die Minister wechselten rasch. die Staatseinkünfte wurden oft unsinnig verschwendet. Ränken der Mächte und Bestechungen der hohen Beamten durch Unternehmer waren Tür und Tor geöffnet. Außerdem verursachten der Fanatismus der mohammedanischen Bevölkerung und die steigende Unzufriedenheit der christlichen Untertanen neue Schwierigkeiten. Zu Dschidda in Arabien wurden im Juni 1858 der englische und französische Konsul ermordet. 1860 wurde im Libanon nach wiederholten Gewaltakten an Christen die friedliche maronitische Bevölkerung von Hasbaia, Raschaia und Deir el Kamer von Drusen massenhaft abgeschlachtet; in Damaskus erlagen unter heimlicher Zustimmung der Behörde 5000 Christen dem Fanatismus der Mohammedaner. Entsetzt über die verübten Greueltaten verlangte die öffentliche Meinung ein Einschreiten der Großmächte. Bis aber diese über die Modalitäten eines solchen schlüssig geworden waren, verstrich einige Zeit. Der Großwesir Fuad Pascha wollte als Kommissar mit unbedingter Vollmacht durch zahlreiche Hinrichtungen in Damaskus und im Libanon eine Einmischung der Mächte unnötig machen. Doch erst durch die Absendung eines französischen Okkupationsheeres nach dem Libanon (im August) wurden die hochgestellten Förderer des Blutbades zur Strafe gezogen und über die Entschädigung der heimgesuchten christlichen Bevölkerung eine Einigung erzielt (Juni 1861). Der Libanon wurde zu einem besondern, direkt von Konstantinopel abhängenden Verwaltungsbezirk gemacht und unter einen christlichen Statthalter (Wesir) gestellt.

Auch in der christlichen Bevölkerung der europäischen Türkei regte es sich unter dem Einflusse der panslawistischen und panhellenischen Agitationen. Auf Kreta, das sich im Frühjahr 1866 erhob, brach der Kampf im Frühjahr 1868 mit erneuter Heftigkeit aus; doch eine Pariser Konferenz der Mächte (Januar 1869) nötigte Griechenland, das den Aufstand unterstützte, sich dem türkischen Ultimatum zu unterwerfen. 1866 trat Serbien mit dem Verlangen der gänzlichen Beseitigung der türkischen Truppen hervor, und im April 1867 fügte sich die Pforte, da Österreich darauf drang. Als aber Ägyptens Vizekönig Ismail Pascha, dem der Sultan 1866 die Zustimmung zur neuen Thronfolgeordnung und 1867 den Titel Chedive mit erweiterten Befugnissen erteilt hatte, 1869 seine völlige Souveränität zu erlangen suchte, befahl ihm die Pforte (29. Aug.), seine Armee nicht über 30,000 Mann zu[827] erhöhen, die im Bau begriffenen Panzerschiffe abzubestellen oder auszuliefern, ohne Genehmigung des Sultans keine Anleihen zu kontrahieren und selbständigen Verhandlungen mit fremden Mächten zu entsagen. Der Chedive unterwarf sich, erlangte jedoch im Juni 1873 durch ein großes Geldgeschenk und Erhöhung des Tributs alles, mit Ausnahme einer Vermehrung der Flotte.

Nachdem Fuad und A(a)li Pascha, die, mit Unterbrechungen, gegen 15 Jahre lang abwechselnd als Großwesir und Minister des Auswärtigen die Regierung tüchtig gehandhabt hatten, 1869 und 1871 gestorben waren, da schwand mit der Geschäftskunde auch das äußere Vertrauen mehr und mehr. Der Sultan behielt bei der Wahl seiner Räte nur das eine im Auge, ob sie ihn bei seinem Plan, durch Einführung des Rechtes der Erstgeburt seinen Sohn Jussuf zum Nachfolger zu bestimmen, unterstützen würden. Zunächst ernannte er den unwissenden und habgierigen Mahmud Nedim Pascha zum Großwesir. Gewissenlos wurden die Finanzen verwaltet. Prachtbauten, Neubeschaffung von Kanonen, Gewehren und Panzerschiffen verschlangen große Summen. Teure Telegraphen und Eisenbahnen, nach den Wünschen der Mächte und dem Vorteil der Unternehmer angelegt, dienten wenig dazu, die Hilfsquellen des Landes zu vermehren. Die nahezu erfolglose Erhöhung der Steuern, Verpachtung von Staatsgütern, von Einkünften und Gerechtsamen, Verminderung des Gehalts der mittlern und niedern Beamten vermehrten nur die Verarmung und Unzufriedenheit im Volke. Zu immer drückendern Bedingungen mußten Darlehen aufgenommen werden. Am 6. Okt. 1875 erklärte sich die Pforte außerstande, von den Zinsen der äußern Staatsschuld (5000 Mill. Frank) mehr als 50 Proz. zu bezahlen, daß sie aber über die restierenden 50 Proz. 5prozentige Obligationen ausstellen wolle, die später bar eingelöst werden sollten. Aber alle Versuche, der Mißwirtschaft im Innern Einhalt zu tun, waren erfolglos. Im Juli 1872 hatte die patriotische Opposition Mahmud gestürzt; aber seine Nachfolger erlagen alle rasch den Ränken des russischen Botschafters Ignatiew, bis im August 1875 Mahmud wieder berufen ward.

Innere Unruhen und neuer Krieg mit Rußland.

Rußland hatte unaufhörlich daran gearbeitet, seine durch den Krimkrieg verlorne Stellung im Orient wiederzugewinnen. Da Ignatiew in Griechenland nicht mehr einen ohnmächtigen Schützling, sondern einen gefährlichen Nebenbuhler sah, so vertrat er fortan neben der orthodoxen Kirche vor allem die Interessen der slawischen Untertanen der Türkei. Von ihm angestachelt, erlangten die Bulgaren im März 1870 die Errichtung eines vom griechischen Patriarchen in Konstantinopel unabhängigen Exarchats. Im Oktober 1870 forderte Rußland, daß das Verbot des Pariser Friedens von 1856. auf dem Schwarzen Meer Kriegsschiffe zu halten, aufgehoben werde; auf der Londoner Konferenz im März 1871 fügte sich die Pforte dem von Bismarck unterstützten russischen Verlangen. Nach diesem Erfolg setzte Ignatiew seine Bemühungen, kein vernünftiges Verwaltungssystem aufkommen zu lassen, die Türkei mit Europa zu verfeinden und im Innern durch Unruhen zu zerbröckeln, fort; Mahmud Nedim Pascha wurde bestochen und der Sultan durch die Aussicht auf russische Unterstützung seines Thronfolgeplanes gewonnen. 1875 brach in der Herzegowina, angeblich durch Steuerdruck hervorgerufen, ein Aufstand aus. Durch zwei befestigte Lager hielt die Pforte Serbien in Schach und schnitt die Insurgenten von Montenegro ab; Ignatiew erzwang jedoch eine Verlegung der türkischen Truppen von der montenegrinischen Grenze. Da wurden in Saloniki 6. Mai 1876 der deutsche und der französische Konsul von fanatischen Mohammedanern, nicht ohne Verschulden der Behörden, ermordet. Die Pforte wurde rasch den strengen Genugtuungsforderungen der Mächte gerecht; doch ihre Isolierung stieg. Rußland erlangte von den beiden verbündeten Kaiserhöfen die Zustimmung zu dem sogen. Gortschakowschen Memorandum, das die Schuld an dem Nichtgelingen der Befriedung der Herzegowina lediglich dem Sultan beimaß und unter Androhung wirksamerer Maßregeln einen zweimonatigen Waffenstillstand verlangte, um mit den Insurgenten wegen des Friedens zu unterhandeln.

Alle Schichten der osmanischen Nation waren überzeugt, daß Rußland auf das Verderben der Pforte sinne, und daß Eigennutz und Unverstand den Großherrn und seinen ersten Wesir dem Erbfeind als Gehilfen zuführten. Am 10. Mai 1876 forderten bewaffnete Softas (theologische Studenten) Entlassung Mahmuds, Entfernung Ignatiews und Krieg gegen Montenegro. Umsonst suchte der Sultan durch Berufung Mehemed Rüschdis auf den Posten Mahmuds sich aus der Verlegenheit zu ziehen. Am 29. Mai vereinigte sich der neue Großwesir mit dem Kriegsminister Hussein Avni und Midhat Pascha, den ältesten Sohn Abd ul Medschids, Murad V., auf den Thron zu erheben. In der Nacht zum 30. Mai ward die Palastrevolution ohne Blutvergießen durchgeführt. Abd ul Asis wurde 4. Juni in dem Palaste Tschiragan auf Befehl der Minister ermordet; man gab vor, er habe sich durch Aufschneiden der Pulsadern selbst getötet. Am 15. Juni wurden zwei Minister, darunter der energische Hussein Avni, im Hause Midhats von einem tscherkessischen Offizier ermordet.

Unterdessen war 4. Mai der von Rußland vorbereitete Ausrottungskrieg der Bulgaren gegen ihre in der Minderzahl befindlichen mohammedanischen Mitbürger ausgebrochen, doch bald blutig gedämpft. Nunmehr überschritt Serbien 2. Juli die Grenze, um den aufständischen Nachbarprovinzen den Frieden wiederzugeben, durch Rußland mit Geld, Waffen, Munition und Mannschaften unterstützt. Siege bei Alexinatz (Ende Oktober) eröffneten jedoch den Türken den Weg in das Herz Serbiens; aber ein Telegramm Alexanders 11. aus Livadia vom 30. Okt. 1876 legte ihnen unter Androhung sofortigen diplomatischen Bruches binnen 24 Stunden Einstellung ihrer Operationen auf. Inzwischen war Murad V. wahnsinnig geworden (gest. 29. Aug. 1904); 31. Aug. 1876 folgte ihm sein Bruder Abdul Hamid II. Er unterzeichnete 31. Okt. die Waffenstillstandsakte, berief seine Truppen zurück und gewährte Serbien 28. Febr. 1877 einen Frieden unter Herstellung des Status quo ante.

Gleich nach dem Abschluß des serbisch-türkischen Waffenstillstandes hatte England eine Konferenz vorgeschlagen, die unter Wahrung der Integrität des Osmanenreiches für die slawischen Balkanprovinzen eine selbständige Verwaltung feststellen sollte. Bei ihrem Zusammentritt in Konstantinopel ließ Midhat Pascha, seit 22. Dez. 1876 Großwesir, den Sultan seinem Reich eine Verfassung oktroyieren, die, 23. Dez. 1876 publiziert, die völlige Rechtsgleichheit aller Pfortenuntertanen verkündete. Die Konferenz endigte ergebnislos. Nachdem sie selbst ihre Beschlüsse herabgemildert, wurden diese dem Großen Diwan (200 angesehenen[828] Personen, darunter 60 Christen) zur Prüfung vorgelegt und einstimmig zurückgewiesen. Doch wurde der tatkräftige Midhat schon 5. Febr. 1877 verbannt und durch Edhem Pascha ersetzt. Daher hatte auch die erste Session der türkischen Kammer im Februar 1877 kein Ergebnis. Um so mehr fühlte sich Rußland zu neuem Vorgehen ermutigt; nachdem es seine Rüstungen vollendet, erklärte es 24. April an die Türkei den Krieg (vgl. Russisches Reich, S. 321). Im obern Kurtal wurde 16. Mai die kleine Festung Ardahan von den Russen erobert. Im Juni gingen die Russen über die Donau, besetzten 6. Juli Trnowo, überstiegen 12. Juli den Balkan, wiegelten die Bulgaren Nordthrakiens auf, erstürmten 19. Juli den Schipkapaß, besetzten Jamboli, Karlowo etc. im Süden des Balkans, eroberten Nikopoli an der Donau und belagerten Rustschuk. Aber bei dem Versuche, die befestigten Höhen von Plewna zu nehmen, erlitten die Russen 20., 21. und 31. Juli Niederlagen. In Thrakien von Suleiman Pascha angegriffen, zogen sie sich in den Schipkapaß zurück; in der Donaugegend wurden sie über den Schwarzen Lom geworfen. Nunmehr nahmen sie die Bundesgenossenschaft der Rumänen an, erlitten aber bei Plewna 7.–12. Sept. abermals Niederlagen. Auch in Asien stritten sie bei Sewin unglücklich und wurden auf ihr eignes Gebiet zurückgeworfen, bis sie 15. Okt. auf dem Aladjaberg siegten. Am 18. Nov. ergab sich Kars, und die Türken wurden nach Erzerum zurückgetrieben. In Bulgarien aber besiegelte der Fall des heldenmütig verteidigten Plewna (10. Dez.) den Verlust der westlichen Bulgarei, in welche die Serben eindrangen, während die Montenegriner in Albanien vorrückten. Anfang 1878 überschritten die Russen den Balkan an mehreren Stellen. Die Armee Suleimans wurde bei Philippopel völlig zersprengt, die Schipkaarmee gefangen genommen und 31. Jan. 1878 in Adrianopel von den Russen, die bis an die Tore Konstantinopels vorgedrungen waren, der Waffenstillstand diktiert. Diesem folgte 3. März der Friede von Santo Stefano. Rumänien und Serbien wurden unabhängig, letzteres und Montenegro vergrößert, die Dobrudscha und ein Teil von Armenien abgetreten, ein autonomes Fürstentum Bulgarien, das außer dem eigentlichen Bulgarien einen Teil Rumeliens und Mazedoniens umfaßte, gebildet und die Zahlung einer beträchtlichen Kriegsentschädigung der Türkei auferlegt.

Die Ausführung des Friedens verzögerte sich indes infolge des Konflikts zwischen Rußland und England, das eine Flotte in das Marmarameer einlaufen ließ. Während die Mächte sich eifrig bemühten, durch einen Kongreß eine friedliche Lösung der orientalischen Wirren herbeizuführen, fehlte es in Konstantinopel an jeder klaren Haltung; Minister kamen und gingen. Die während des Krieges einberufenen Kammern waren schon 14. Febr. aufgelöst und der Traum einer »osmanischen Verfassung« erledigt worden. Eine Verschwörung zugunsten Murads wurde 20. Mai 1878 versucht, aber blutig unterdrückt. Am 28. Mai ward Mehemed Rüschdi Pascha wieder zum Großwesir ernannt; dieser schloß 4. Juni einen geheimen Vertrag, wonach England den Schutz der asiatischen Besitzungen der Türkei übernahm, solange Rußland nicht seine Eroberungen in Armenien herausgegeben haben würde, und dafür das Recht erhielt, Cypern zu besetzen. Savfet Pascha, seit 4. Juni Großwesir, leitete die türkische Politik während des Berliner Kongresses (13. Juni bis 13. Juli 1878). Dadurch fielen Aladschkert und Bajesid in Armenien an die Pforte zurück; Bulgarien wurde auf das Gebiet nördlich vom Balkan nebst Sofia beschränkt, der südliche Teil (ohne Mazedonien und den Küstenstrich) als Provinz Ostrumelien (s. d.) unter türkischer Oberhoheit belassen. Dagegen wurde Österreich 28. Juni mit der Okkupation Bosniens und der Herzegowina beauftragt (durchgeführt im August). Ferner wurde Griechenland das Recht zuerkannt, auf Abtretung des südlichen Thessalien und Epirus mit Larissa und Janina Anspruch zu erheben. Die Pforte erkannte zwar den Berliner Vertrag vom 13. Juli an, beeilte sich aber nicht mit seiner Ausführung. Der endgültige Friede mit Rußland wurde 8. Febr, 1879 unterzeichnet und die Kriegsentschädigung auf 802 Mill. Fr. festgesetzt. Für Bosnien und die Herzegowina wahrte sich die Pforte durch die Konvention vom 21. April 1879 mit Österreich die Souveränität des Sultans.

Neueste Zeit.

Die Macht des osmanischen Reiches war durch den Berliner Frieden erheblich geschwächt worden, und die große Finanznot setzte die Autorität der Pforte im Lande selbst herab. Die Griechen erlangten auf der Berliner Konferenz 1880, daß die Pforte 3. Juli 1881 fast ganz Thessalien und den epirotischen Bezirk Arta abtrat. In Albanien mußte sie 1880 ihre eignen Untertanen in Dulcigno mit Gewalt zur Unterwerfung unter Montenegro nötigen. Ihr Versuch, 1879 bei der Absetzung des Chedive von Ägypten ihre Hoheitsrechte zu vermehren, wurde durch den Einspruch der Mächte vereitelt; ihre Untätigkeit während der von Arabi Pascha 1882 verursachten Unruhen ermöglichte England, Ägypten militärisch zu besetzen. Das 1871 enger an das türkische Reich gekettete Tunis ging 1881 an Frankreich verloren. Dennoch hatte die Pforte, während sie den Anmaßungen Englands ruhig entgegentrat, an Deutschland und Österreich seit Auflösung des Dreikaiserbündnisses eine immer wirksamere Stütze gewonnen, wodurch es ihr möglich wurde, ihren Besitzstand in Europa zu behaupten und ihren Einfluß in Afrika und Asien zu vermehren. Im Innern scheiterte allerdings ein Reformversuch, den der zum Großwesir ernannte Chaireddin Pascha (s. d.) 1879 machte, an dem Widerstand der alttürkischen Partei, Osmans und Mahmud Damats. Indes befreite sich der Sultan allmählich von diesem verderblichen Einfluß. Deutsche Finanzbeamte brachten 1881 eine durch Irade vom 20. Dez bestätigte Einigung mit den Gläubigern zustande, durch die der Betrag der Staatsschuld von 250 auf 106 Mill. Pfd. Sterl. herabgesetzt und für diese ein zunächst auf mindestens 1 Proz. reduzierter Zinsfuß, zugleich aber auch eine Amortisation von 1/3 Proz. und deren Zahlung durch Garantie mehrerer Einkünfte gesichert wurde. Zur Vermehrung der Einnahmen wurde 1883 die Tabaksregie eingeführt. Deutsche Offiziere begannen auf Grund eines 1880 vom Sultan genehmigten Plans eine Reorganisation des Heerwesens und arbeiteten ein Militärgesetz für das ganze Reich aus, das 1887 in Kraft trat. Als 18. Sept. 1885 der Generalgouverneur von Ostrumelien, Chrestowitsch, in Philippopel gestürzt wurde und Alexander von Bulgarien diese türkische Provinz mit seinem Fürstentum vereinigte, gab die Pforte im Februar 1886 ihre Zustimmung, daß der Fürst von Bulgarien zum Generalgouverneur von Ostrumelien ernannt wurde. Auch alle weitern Ereignisse in Bulgarien (Sturz des Fürsten Alexander im August 1886 u. a.) ließ sie geschehen, ohne sich anders[829] als diplomatisch einzumischen, und gab damit tatsächlich die Herrschaft über Ostrumelien auf. Doch nötigte die kriegslustige Haltung Serbiens und Griechenlands die Türkei zur Aufstellung einer großen Heeresmacht, so daß sie neue Anleihen bei der Ottomanischen Bank machen und einträgliche Zölle verpfänden mußte. 1889 gab ein Schiedsspruch der Türkei die Verfügung über die von Baron Hirsch gebauten Eisenbahnen teilweise zurück. Auch begann nun der Bau von Eisenbahnen in Kleinasien.

Als Grundübel erwiesen sich immer wieder die Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit der Behörden; der Sultan blieb in seinem Palast eingeschlossen und von seiner Umgebung mehr und mehr abhängig. In Armenien wurden die versprochenen Reformen nicht durchgeführt und den Räubereien der Kurden nicht gesteuert. Infolgedessen brachen 1894 Unruhen aus, die durch die Mohammedaner blutig erstickt wurden; auch Truppen beteiligten sich an der Niedermetzelung von Christen. Als armenische Verschworne 26. Aug. 1896 die Ottomanische Bank in Konstantinopel überfielen, ließ die türkische Regierung ein mehrtägiges Gemetzel unter der armenischen Bevölkerung zu. Die Mächte forderten Reformen (s. Zeitun); aber die Ausführung ging langsam vor sich; noch 1900 gab es dort neue Unruhen. Ein neuer Aufstand in Kreta schien 1896 durch weitgehende Zugeständnisse des Sultans beendigt zu sein. Da jedoch die versprochenen Reformen verschleppt wurden, brach der Aufstand 1897 von neuem aus und wurde nun offen von Griechenland unterstützt. Durch Einfälle in Mazedonien forderte die Türkei zum Kriege heraus (17. April 1897; über den Verlauf des Kampfes s. Griechenland, S. 317). Trotz ihrer Siege in Thessalien begnügte sich die Türkei schließlich mit einer Kriegsentschädigung von 75 Mill. Mk. und mit einer geringen Verbesserung der mazedonisch-thessalischen Grenze (Friede zu Konstantinopel vom 4. Dez. 1897). Die türkische Herrschaft über Kreta hörte 1898 auf (s. Kreta, S. 640), obwohl die wiederholt erstrebte völlige Vereinigung der seit dem Rücktritte des Prinzen Georg (im September 1906) unter Zaïmis als Oberkommissar stehenden Insel mit Griechenland heute noch nicht erreicht ist.

Überblickt man die türkische Geschichte des letzten Jahrzehnts, so fällt einem vor allem die große Beharrlichkeit und Zähigkeit auf, womit auch die hartnäckigsten Reformbestrebungen der nächstbeteiligten Großmächte, Rußlands und Österreichs, die immer noch nicht genügend mit der innern Verschiedenheit des Orients von Europa zu rechnen gelernt haben, durch passiven Widerstand vereitelt werden. Es war kein freundliches Bild, das sich dem Sultan darbot, als er 31. Aug. 1901 die Feier der 25jährigen Dauer seiner Regierung beging; aber trotz aller Versuche von innen und von außen, die Zustände gewaltsam zu ändern, besteht das osmanische Reich noch heute.

Die Reformpartei der Jungtürken (s. d.), hervorgegangen aus der Unzufriedenheit mit dem unkonstitutionellen Regimente, hat zwar schon verschiedene Male (namentlich 1901 und 1904) schwere Beunruhigungen verursacht, da sich ihre Mitglieder teilweise aus den höchsten Kreisen und sogar der Verwandtschaft des Padischahs selbst rekrutieren; doch erreicht hat sie bisher nichts Greifbares, da die Pforte den Umtrieben stets scharf begegnete. Und während es auf der einen Seite auch in den letzten Jahren keineswegs an gefährlichen Aufständen an der Peripherie des Reiches (besonders 1904/05 in Südarabien; s. Sana) gefehlt hat, ist anderseits eine auffallende Stärkung des panislamischen Gedankens unverkennbar; sie erstreckt sich bis nach Südostasien sowohl wie bis ins Hinterland von Tripolitanien und den mittlern Sudân. Hier hat man das wiederholte Zurückweichen der Pforte vor schroffem Durchdrücken von alten Rechten und neuen Forderungen seitens der Großmächte (Aufhebung der fremden Postämter im Mai 1901; französische Kais zu Konstantinopel Juli bis November 1901 und Februar bis März 1905; nordamerikanische Mission in Kleinasien im August 1904; internationale Flottendemonstration vor Mytilene im Dezember 1905; angloägyptischer Grenzstreit Akaba-Tabah März bis Mai 1906) stets als eigne Demütigung mitempfunden.

An Stelle des griechisch-katholischen ökumenischen Patriarchen Konstantin V. (April 1897 bis April 1901) wurde 7. Juni 1901 der am 11. April 1884 abgesetzte Joachim III. (vom Athos) wiedergewählt und 11. Juni durch den Sultan bestätigt. Doch seit der Abtrennung des bulgarischen Exarchats (1872) und dem von Rumänien geförderten Aufkommen kutzowalachischer Sonderwünsche (s. Zinzaren) hat das kirchliche Ansehen des Patriarchats an Gewicht verloren, und politisch versagt es völlig. Die Spannung zwischen der Pforte und Bulgarien hat sich seit dem Abkommen vom 13. April 1904 merklich gemildert. Dagegen ist Mazedonien nebst den benachbarten Provinzen nach wie vor (s. Mazedonien, S. 490 f.) der Tummelplatz fast anarchisch sich gebärdender, unruhiger Elemente griechischer, serbischer und bulgarischer Nationalität. Die auf Grund der Mürzsteger Punktation vom 1. Okt. 1903 Anfang 1904 geschaffene internationale Gendarmerie, deren Kosten schließlich eine Erhöhung der türkischen Eingangszölle von 8 auf 11 Proz. herbeiführten (9. Nov. 1906), hat sich als nahezu ohnmächtig erwiesen. Mehr ist von der eignen Justizreform Mazedoniens (Plan vom September 1907) zu erhoffen.

Die auswärtigen Beziehungen sind korrekt mit Ausnahme derer zu Persien, die, durch Kurden in dem 1878 Persien zugesprochenen, von der Pforte aber formell niemals ausgelieferten Grenzbezirke Passowa gestört, noch Ende 1907 sehr zu wünschen übrigließen. Das freundschaftliche Verhältnis zum Deutschen Reiche hat sich seit der Orientfahrt Kaiser Wilhelms II. (im Herbst 1898) wiederholt in wirtschaftlichen Fragen (Eisenbahnbau nach Bagdad und Meliorationen in Kleinasien, Mesopotamien und Syrien) als für beide Teile vorteilhaft bewährt.

Vgl. Hammer-Purgstall, Geschichte des osmanischen Reichs (2. Aufl., Pest 1834–36, 4 Bde.); Zinkeisen, Geschichte des osmanischen Reichs in Europa (Hamb. u. Gotha 1840–63, 7 Bde.); Eichmann, Die Reformen des osmanischen Reichs (Berl. 1858); Rosen, Geschichte der Türkei von 1826–56 (Leipz. 1866–67, 2 Bde.); La Jonquières, Histoire de l'empire ottoman (2. Aufl., Par. 1897); Hertzberg, Geschichte der Byzantiner und des osmanischen Reichs (Berl. 1884); Zimmerer im 5. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1905); Jorga, Geschichte des Osmanischen Reiches (Gotha 1908. Bd. 1, bis 1451); Rüstow, Der Krieg in der Türkei 1875–1876 (Zür. 1877); Greene, The campaign in Bulgaria 1877–1878 (Lond. 1903); Maurice, The Russo-Turkish war 1877 (das. 1905); über den griechisch-türkischen Krieg s. Griechenland, S. 320; Testa, Recueil des traités de la Porte Ottomane (Par. 1864–98, 9 Bde.); Engelhardt, Histoire [830] des réformes dans l'empire ottoman depuis 1826 (das. 1882–83, 2 Bde.); Hecquard, La Turquiesous Abdul Hamid II, 1876–1900 (Brüss. 1900); Totomjanz und Toptschjan, Die sozialökonomische Türkei (Berl. 1901); Beckmann, Der Kampf Kaiser Sigmunds gegen die werdende Weltmacht der Osmanen (Gotha 1902); Du Velay, Essai sur l'histoire financière de la Turquie (Par. 1902); Norodounghian, Recueil d'actes internationaux de l'empire ottoman (Bd. 1–4, Leipz. 1897–1903); Graf Mülinen, Die lateinische Kirche im Türkischen Reiche (Berl. 1903); Schopoff, Les reformes et la protection des chretiensen Turquie 1673–1904 (Par. 4904); »The Balkan question« (hrsg. von Villari, Lond. 1905); v. Mach, Der Machtbereich des bulgarischen Exarchats in der Türkei (Leipz. 1906); über die mazedonische Frage s. Mazedonien, S. 491.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 815-831. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000761621X


Brockhaus 1911

[877] Türkisches Reich (Türkei) oder Osmanisches Reich, Memalik i Osmanije [Karten: Balkanhalbinsel I u. II, Asien I u. II, Afrika I u. II, Europa I u. II], Großsultanat (Kaiserreich), umfaßt einen Teil der Balkanhalbinsel (s.d.), Kleinasien, Teile von Armenien und Kurdistan, Mesopotamien, Syrien, den westl. Küstenstrich Arabiens, Ägypten und Tripolis, im ganzen 4.148.000 qkm, 39.800.000 E., davon unmittelbarer Besitz 2.987.100 qkm, 24.028.900 E., und zwar: in Europa 169.300 qkm, 6.130.200 E., Asien 1.766.800 qkm, 16.898.700 E., Afrika 1.051.000 qkm, 1 Mill. E.; Vasallenstaaten (Bulgarien mit Ostrumelien, Samos, Ägypten mit Thasos) 1.091.506 qkm, 13.632.302 E., unter fremder Verwaltung (Bosnien und Herzegowina, Kreta, Cypern) 69.329 qkm, 2.131.601 E.

Die Europ. Türkei, außer dem tributären Fürstent. Bulgarien und den von Österreich-Ungarn besetzten Gebieten Bosnien und Herzegowina sowie Kreta aus den Landschaften Albanien, Mazedonien und dem südl. Thrazien bestehend, ist fast ganz von Gebirgen eingenommen; an der Maritza, in Mazedonien und Albanien größere Ebenen. Klima günstig, ebenso die natürlichen Verkehrsverhältnisse durch die Flußtäler und Küstenbildung. Die Landwirtschaft leidet unter den willkürlichen Bestimmungen über die Besitzverhältnisse (eigentlicher Grundbesitzer der Sultan, der Eigentümer nur Nutznießer), den Mißbräuchen bei der Steuererhebung, den Ausfuhrzöllen auf Landesprodukte und den mangelhaften Verkehrseinrichtungen; trotzdem bedeutende Produktion in Getreide [s. auch Beilage: ⇒ Getreide], Gemüse und Obst, Oliven, Feigen, Wein; sehr wichtig die Tabakskultur, Rosen- und Seidenraupenzucht, Schwamm- und Perlenfischerei. Industie in Seidenspinnerei und Teppichweberei, in Konstantinopel bedeutende Kunstindustrie. Handel, im Innern meist von Griechen und Armeniern, nach dem Auslande von fremden Kaufleuten und Levantinern besorgt; weiteres s. Beilage: ⇒ Europa (sowie die Beilagen: ⇒ Afrika und ⇒ Asien); Handelsflotte s. Beilage: ⇒ Handel und Handelsmarine; Eisenbahnen (1903) 4971 km, davon in Europa 2042, in Kleinasien 2371, in Syrien 558 km [s. auch Beilage ⇒ Eisenbahnen]; Telegraphenlinien (1902/3) 41.462 km. Bevölkerung: herrschender Stamm die Osmanen (Osmanli oder Türken im engern Sinne), jetzt stark vermischt mit griech., bulgar., serb. und albanes. Elementen und an Zahl abnehmend, in der Europ. Türkei nur in den größern Städten, in Thrazien und Bulgarien zahlreicher vertreten, ebenso im Innern Kleinasiens, sonst überall in der Minderzahl; daneben Griechen (Epirus, Mazedonien, an der Küste und in den Städten), Albanesen (im Westen), Walachen (im Pindusgebirge), Serben, Bulgaren, Armenier (in den Städten), Juden etc.

Das T. R., nach der Verfassung vom 23. Dez. 1876 eine konstitutionelle Monarchie, ist trotzdem eine orient. Despotie, der Sultan (Padischah) vereinigt die höchste weltliche mit der höchsten geistl. Gewalt, dem Kalifat; den Thron erbt jedesmal der älteste Prinz des Hauses Osman. Staatsreligion der Islam; Freiheit der Ausübung für die übrigen Kulte; neben dem Sultan ein Ministerrat, an der Spitze der Großwesir; von gleichem Range der oberste Chef der Geistlichkeit, Scheich ul-Islam; allwöchentlich Versammlung des Ministerrats (Diwan) im Gebäude der Hohen Pforte. Das Parlament, bestehend aus Senat (Mitglieder vom Sultan auf Lebenszeit ernannt) und Abgeordnetenhaus (auf je 50.000 Osmanen ein Deputierter durch geheime Wahl auf vier Jahre gewählt), nach zwei Sitzungen (1877) aufgelöst und nicht wieder einberufen. Die Beamten werden in drei Klassen geteilt: Diener des Gesetzes und Kultus, Beamte der Feder und Beamte des Säbels; an der Spitze der Palastbeamten der Kyzlar-Agassy (Chef der schwarzen Eunuchen). Hauptstadt Konstantinopel. Finanzen. Stand der Staatsschuld (1904) 96,65 Mill. türk. Pfd., dazu 241/2 Mill. russ. Kriegsschuld; Einnahmen (1897/98) 18.511.322 Pfd., Ausgaben 18.429.411 Pfd. [s. auch Beilage: ⇒ Finanzen]. Heerwesen. Es besteht allgemeine Wehrpflicht zu 3jährigem, bei der Kavallerie und Artillerie 4jährigem Dienst, doch kann nach dreimonatiger Dienstzeit im stehenden Heere (Nizam) sich jeder Soldat von dem weitern aktiven Dienst (durch 50 türk. Pfd.) loskaufen. Die Dienstpflicht dauert ferner in der Reserve (Ichtiad) 6 bez. 5, in der Landwehr (Redif) 9, im Landsturm (Mustahfiz) 2 Jahre. Im Frieden bestehen 7 Armeekorps mit 308 Bataillonen Infanterie und Schützen, 209 Eskadrons, 271 Feldbatterien, 146 Kompanien Festungsartillerie, 8 Geniebataillone, 3 Geniekompanien etc. Kriegsstärke: Linientruppen 404.000, Redifs 600.000, Ilave (Ersatztruppen) 350.000, Landsturm 100.000, zusammen 1.454.000 Mann. Die Infanterie führt das Mausergewehr M 90 von 7,65 und 9,5 mm-Kaliber, die Feldartillerie Kruppsche Geschütze von 7,5 und 8,5 cm. Die Kriegsmarine zählt 38 veraltete, 40 neuere Fahrzeuge. Kultus und Gerichtswesen. Die Theologie ist durch die Ulemâs in drei Klassen, Imâme (Kultusdiener), Mufti (Gesetzausleger) und Kâdi (Richter) vertreten. Das 1549 [877] gesammelte Zivil-und Kriminalrecht beruht auf dem Koran, der Überlieferung (Sunna), den Entscheidungen der vier ersten Kalifen und den Rechtssprüchen der großen Imâme; danach entscheiden die unter dem Scheich ul-Islam stehenden geistl. Gerichte; über ihm der Appellhof in Stambul; seit 1847 neben den geistl. auch weltliche Gerichte. Elementarschulen teils Primärschulen (sehr dürftig), teils Vorbereitungsschulen; etwas höher stehen die Ruschdije-Schulen, eine Art Realschulen, außerdem das kaiserl. Lyzeum von Galata-Serai, höhere Verwaltungs- und Rechtsschulen, Forst- und Bergwerksschulen, Lehrerseminar, Universität in Konstantinopel (1900) u.a. Wappen zeigt Abb. 1891; Flagge: weißer Sichelmond auf Rot, vor ihm der Stern Jupiter [Tafel: Flaggen]. Orden s. Beilage: ⇒ Orden. Einteilung in Wilajets, welche in Sandschaks und Kazas zerfallen, und in Mutessarifliks. Geschichte. Die Osmanen sind ein oghusisch-türk. Stamm, welcher 1224 vor den Mongolen aus der pers. Landsch. Chorassan nach Kleinasien flüchtete und unter Osman (1288-1326) 1299 das T. R. zwischen Angora und Brussa gründete. Dessen Sohn Orchan (1326-59) eroberte Brussa, das er zu seiner Residenz machte, und faßte 1356 durch die Eroberung von Gallipoli in Europa festen Fuß. Sein Sohn Murad I. (1359-89) verlegte 1362 die Residenz nach Adrianopel, unterwarf Thrazien und fiel 1389 siegend gegen die Serben auf dem Amselfelde. Bajazet I. (1389-1403) besiegte die Christen unter Sigismund von Ungarn 1396 bei Nikopolis, wurde von den Mongolen unter Timur bei Angora 1402 geschlagen und gefangen. Nach langem Zwist seiner Söhne erlangte Mohammed I. (1413-21) die Alleinherrschaft; sein Sohn Murad II. (1421-51) schlug die Ungarn 1444 bei Varna, 1448 bei Kossowa. Mohammed II. (1451-81) eroberte 1453 Konstantinopel (seitdem Residenz), 1461 Trapezunt, 1463 Bosnien, unterwarf 1475 den Tatarenchan in der Krim. Die Regierung seines Sohnes Bajazet II. (1481-1512) war fast tatenlos. Selim I. (1512-20) eroberte Syrien und Ägypten; Soliman II., der gewaltigste türk. Sultan (1520-66), 1521 Belgrad, 1522 Rhodus, 1526 nach dem Siege bei Mohács halb Ungarn, drang 1529 bis Wien vor, gewann 1534 von den Persern die Länder am Wansee, Täbris und Bagdad. Unter Selim II. (1566-74) verloren die Türken die Seeschlacht bei Lepanto 1571; von da an datiert der Verfall des T. R. Unter Murad III. (1574-95), Mohammed III. (bis 1603), Achmed I. (bis 1617), Mustapha I. (bis 1618), Osman II. (bis 1622), Murad IV. (bis 1640) und Ibrahim I. (bis 1648) nahm die Verweichlichung, die Günstlingswirtschaft und der Haremseinfluß immer mehr zu, die Janitscharen rissen die Herrschaft an sich. Unter Mohammed IV. (1648-87) stellte Mehemed Kjöprili mit blutiger Strenge die Ordnung im Innern wieder her; dessen Sohn Achmed, seit 1661 Großwesir, verlor zwar die Schlacht bei St. Gotthard 1. Aug. 1664, erwarb aber 1669 Kreta, 1676 Podolien und einen Teil der Ukraine. 1681 mußten die Türken das Gebiet l. vom Dnjestr an die Russen abtreten; 1683 wurden sie unter Kara-Mustapha vor Wien geschlagen, durch den Sieg des Herzogs von Lothringen bei Mohács 12. Aug. 1687 verloren sie Ungarn. Weder Soliman III. (1687-91), noch Achmed II. (1691-95) vermochten das Verlorene wiederzugewinnen; nach den Niederlagen bei Slankamen (19. Aug. 1691) und bei Zenta (11. Sept. 1697) mußte Mustapha II. (1695-1703) im Frieden von Karlowitz 1699 Siebenbürgen und Ungarn an Österreich, Asow an Rußland, Morea und Dalmatien an Venedig, die Ukraine und Podolien an Polen abtreten. Achmed III. (1703-30) eroberte Morea zurück, mußte aber im Frieden zu Passarowitz 21. Juli 1718 das Banat, Belgrad und die Kleine Walachei Österreich überlassen. Mahmud I. (1730-54) erwarb im Frieden von Belgrad 1739 Belgrad und die Kleine Walachei wieder. Auf Osman III. (1754-56) folgte Mustapha III. (1756-74), der (seit 1769) so unglücklich gegen Rußland kämpfte, daß sein Nachfolger Abd ul-Hamid (1774-89) den ungünstigen Frieden von Kainardža 1774 schließen mußte, durch den Rußland ein gewisses Schutzrecht in der Moldau und Walachei und wichtige Plätze am Schwarzen Meer erwarb. Ein neuer Krieg gegen Rußland und Österreich 1787 wurde von Selim III. (1789-1807) durch den Frieden zu Sistov 1791 mit den Österreichern und zu Jassy 1792 mit den Russen beendet, wodurch nur Otschakow an letztere verloren ging. Ein 1806 abermals ausgebrochener Krieg mit Rußland wurde nach der Absetzung Mustaphas IV. (1807-8) unter Mahmud II. (1808-39) durch den Frieden von Bukarest 28. Mai 1812 beendet, wodurch der Pruth die Grenze gegen Rußland wurde. Indes bedrohten die zerrütteten innern Verhältnisse, insbes. die Aufstände in Ägypten, Syrien, Kleinasien, Serbien und Griechenland den Bestand des T. R. Zwar gelang Mahmud II. die Ausrottung der Janitscharen (1826) und die Unterwerfung mehrerer unbotmäßiger Paschas; nach einem neuen Kriege mit Rußland (1828-29) mußte er aber im Frieden zu Adrianopel die völlige Unabhängigkeit Griechenlands und die fast völlige der Donaufürstentümer anerkennen und nach einem Kriege mit Mehemed-Ali von Ägypten Syrien an diesen im Frieden von Kutahia 4. Mai 1833 abtreten. Letzteres erhielt Abd ul-Medschid (1839-61) durch die Vermittlung der Großmächte 1840 zurück; unter ihm begannen die innern Reformen mit der Promulgation des Hatt-i-Scherif von Gülhaneh 1839, der allen Nationen und Religionen gleich Rechte versprach. Der Krimkrieg (s.d.) brachte im Pariser Frieden 30. März 1856 der Türkei einen kleinen Gebietszuwachs am Pruth, außerdem wurde dieselbe in die europ. Völkerfamilie aufgenommen. Doch wurde es der Pforte immer schwerer, das Reich zusammenzuhalten. Mit Mühe wurde unter Abd ul-Asis (1861-76) ein Aufstand auf Kreta (1866-67) bewältigt; 1875 brach in der Herzegowina, 1876 in Bulgarien ein Aufstand aus. Murad V., der 29. Mai 1876 dem entthronten Abd ul-Asis gefolgt war, ward 31. Aug. für irrsinnig erklärt und durch Abd ul-Hamid II. ersetzt. Inzwischen hatte Montenegro und Serbien der Pforte den Krieg erklärt; der Nachteil der Serben veranlaßte die Einmischung Rußlands und darauf den Zusammentritt einer Konferenz der Großmächte zu Konstantinopel, die 20. Jan. 1877 resultatlos auseinanderging, da der Großwesir Midhat-Pascha 23. Dez. 1876 eine freisinnige Konstitution proklamierte. Als dieser 5. Febr. 1877 gestürzt wurde und 13. April der Krieg gegen Montenegro wieder begann, erklärte Rußland 24. April 1877 der Türkei den Krieg (s. Russisch-Türkischer Krieg 1877-78), welcher durch den Frieden von San Stefano 3. März 1878 beendet wurde. Im Berliner Kongreß Juni 1878 wurde die Unabhängigkeit Rumäniens, Serbiens und Montenegros, die Gebietserweiterungen erhielten, anerkannt, England zur Verwaltung und Besetzung Cyperns, Österreich zu der Bosniens und der Herzegowina ermächtigt, Kars, Ardahan und Batum an Rußland abgetreten, Bulgarien als Tributfürstentum und Ostrumelien als autonome Provinz organisiert. Der definitive Friede mit Rußland wurde 8. Febr. 1879 in Konstantinopel unterzeichnet. 1881 erfolgte nach langen Verhandlungen die Abtretung Südthessaliens an Griechenland. Durch die Erhebung der Bulgaren in Ostrumelien 18. Sept. 1885 erfolgte die faktische Vereinigung dieser Provinz mit dem Fürstentum Bulgarien. 1897 entstand ein neuer Aufstand auf Kreta, der zu einer Einmischung Griechenlands und zum Kriege mit diesem führte. Griechenland wurde besiegt, doch mußten die Türken das eroberte Thessalien gegen eine Geldentschädigung räumen. Kreta wurde Autonomie gewährt, und Prinz Georg von Griechenland zum Oberkommissar der Insel ernannt. Wiederholte Aufstände in Mazedonien (1902 und 1903) veranlaßten die Großmächte, auf Verwaltungsreformen zu dringen, deren Durchführung je ein russ. und ein österr. Zivilkommissar zu beaufsichtigen haben, und da die Finanznot der Türkei die Reformen zu hindern drohte, so erzwangen die Großmächte Dez. 1905 durch eine Flottendemonstration die Einsetzung einer internationalen Finanzkommission für Mazedonien.

Vgl. von Hellwald und Beck (2. Aufl., 2 Bde., 1878-79), zur Helle, »Die Völker des Osman. Reichs« (1876); Diefenbach, »Völkerkunde Osteuropas« (2 Bde., 1880); Truma »Die östl. Balkanhalbinsel« (1885); Boué (2 Bde., 1889); Cuinet (franz., 1890-94 u. 1896-1901); Grothe (1903); Geschichte von Hammer-Purgstall (2. Aufl. 1835-36), Zinkeisen (7 Bde., 1840-63), Hertzberg (1883), de la Jonquière (Par. 1881).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 877-879. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001637983


Damen Conversations Lexikon 1838

Türkei (Frauen)

[238] Türkei (Frauen). Nur selten geben uns Reisende eine richtige Schilderung der muselmännischen Sitten; auch die Verhältnisse der Türkinnen unterliegen vielfachen Mißdeutungen und falschen Ansichten. Jedenfalls kann man jetzt annehmen, daß das Loos derselben bei weitem besser ist, als man gemeinhin glaubt, sowie daß die Polygamie keineswegs so schreckliche Folgen habe. Zwar sind in neuerer Zeit wieder sehr strenge Verbote gegen das Erscheinen der Frauen auf der Straße, in den Verkaufläden etc. erlassen worden; nur arme Frauen, und auch diese verschleiert, erblickt man auf der Straße, und die türk. Mädchen haben mit ungemeiner Aengstlichkeit die strengste Beobachtung des Anstandes nebst der äußersten Zurückhaltung sich zur Regel zu machen: – allein in der Nähe werden schon viele dieser zwangathmenden Gesetze zu bloßen Blumengehägen der Gewohnheit und erträglichen Beschränkungen. Der Ehemann, der gewöhnlich für einen absoluten Tyrannen seines Hauses gilt, kann nie seinen eigenen Harem betreten, wenn zufällig eine fremde Frau bei der seinigen auf Besuch ist; er muß warten, bis sie sich verschleiert hat und man gehörig vorbereitet ist ihn zu empfangen. Die vielen Besuche ihrer nähern Verwandten gewähren den Frauen auch mannichfache Unterhaltung. Da sie ängstlich darauf bedacht sind, keinen Besuch schuldig zu bleiben, so wird der größte Theil des Jahres bloß mit[238] diesen gegenseitigen Besuchen der nähern Bekannten zugebracht. Das Hauptglück der Frauen in den mittleren Ständen besteht in der Aufsicht über ihre Haushaltung, der Erziehung ihrer Kinder und in weiblichen Arbeiten. Alltäglich bringen sie einige Stunden mit Spinnen, Nähen und Sticken zu. Alle stillen, wenn es nur irgend geht, ihre Kinder selbst. Müssen sie aber eine Amme annehmen, so wird diese auf das Freundlichste und Sorglichste behandelt und fortan für immer als Familienglied betrachtet. Die Kinderwiegen sind zierlich von Hasel- oder Wallnußholz gefertigt und mit Perlmutter ausgelegt. Alle Kinder erhalten ihre Erziehung zu Hause. Für die Mädchen nimmt man keine besondern Lehrer an. Einige der letztern lernen zwar lesen und schreiben, doch sind der Katechismus und einige Vorschriften der Moral gewöhnlich der einzige Gegenstand des Unterrichts. Gleichwohl zeichnen sie sich durch die Richtigkeit ihres Urtheils, durch Scharfsinn und eine seine Beobachtungsgabe aus. Ihre Haltung und ihr Benehmen ist edel; ihre Conversation voll Reiz. Im zwölften oder vierzehnten Jahre heirathen sie; verwitwen sie früh, so treffen sie meist sehr schnell darauf eine zweite Wahl, da prüde Witwen ebenso wenig wie alte Jungfrauen in der Türkei angesehen sind. Die Vielweiberei ist überdieß keineswegs so verbreitet, als man anzunehmen geneigt ist. Nicht gar zu oft trifft man vier Frauen, – die Zahl, welche das Gesetz erlaubt, – in einem Hause. Auch steht es einer türk. Dame frei, im Heirathscontracte sich das Alleinrecht als Gattin zu stipuliren. Diese Frauen wohnen keineswegs immer bei einander, oft besorgt der Gatte für jede derselben besondere Zimmer und Sclaven. Die Sclavinnen, die der Türke außerdem hält, sind nie bloße Maitressen; sie sind ausdrücklich durch das Gesetz gestattet und ihre Kinder so legitim als die ehelichen. Eine Frau von zweideutiger Aufführung wird sammt ihrem Mann und ihrer Familie allgemein verachtet. Bemerkenswerth ist noch, daß in der Türkei die Arzneikunde meist von Frauen ausgeübt[239] wird, welche wenig Wissenschaft, aber eine desto größere Erfahrung besitzen. Im ganzen Reiche gibtb es keine Accoucheurs; bloß Frauen, Eben Cadinn genannt, liegt dieser Dienst ob. Zu dem würde die Gegenwart eines Mannes bei einer Entbindung eine Familie für immer schänden. – Die Kleidung der Türkinnen besteht in einem atlasnen oder tastnen, nach Verhältniß der Jahreszeit auch mit Pelz besetzten Oberkleide, welches ein weiter, langer Mantel mit weiten, bis zum Ellbogen gehenden Aermeln ist. Unter diesem Kleide tragen sie ein anderes, auf der Brust offenes, und an beiden Seiten mit Knöpfen versehenes Kleid von dünnerem Seiden - oder auch Gold- oder Silberstoff mit bis zur Hand gehenden Aermeln. Ueber den Hüften schlingt sich um den Unterleib ziemlich lose ein Gürtel von gesticktem Sammet, Atlas oder Leder, oder auch nur ein Caschmirshawl. Weite seidene Pantalons umhüllen die Beine bis an die Knöchel. Außerdem liebt es die vornehme Türkin, sich mit Perlen und Edelsteinen, namentlich mit rosenförmig geschliffenen Diamanten, sowie mit reichen Arm- und Halsbändern zu schmücken. Minder Wohlhabende tragen wenigstens Goldmünzen am Halse. Außerdem färben meist alle den Rand der Augenlider mit Surmah, einem seinen schwarzen Pulver, welches mit einem Bürstchen aufgetragen wird. Auch die Nägel werden mit Alhanna braun, roth oder dunkelgelb gefärbt. Vergleiche außerdem den Artikel Harem. B.

Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 238-240. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001773119


Türkei (Geographie)

[224] Türkei (Geographie). Wie ein golddurchwirkter Riesenschmetterling breitet dieses überreiche Zauberland des Halbmondes seine Flügel über die purpurbesäumten Küsten zweier Welttheile aus: das goldene Kleinasien mit Syrien etc. bildet die rechte, das machtreiche, von zwei Meeren bespülte Land zwischen Ungarn, Rußland und Hellas die linke Flügeldecke; am Leibe glüht der silberne Wassermann, welcher das schwarze Meer mit dem ägäischen verbindet, und hier an der Stelle des Herzens liegt auch das Herz des Reichs, das stolzgethürmte Stambul. In heißer Umarmung vereinte sich hier Asiens Palme mit dem Kastanienbaume Europa's; doch ein Cypressenkranz umschlingt jetzt beide; und eine dunkle Sage wandelt wie eine verschmachtende Pilgerin durch Syriens Wüsten, wie über die Felsenkanten des Balkans, an der Hütte der Armuth vorüber wie durch die Straßen von Constantinopel, – eine dunkle Sage vom Erbleichen des Halbmonds in Europa, vom einstigen Untergange des ganzen osmanischen Reichs. – Mit Wehmuth verweilen wir bei dem Anblicke der europäischen Türkei . Dem goldenen Schooße dieser Erde, die jetzt erstarrt und verödet unter den Wirren der Ohnmacht und rohen Gewalt, entsproß einst das Wunderkind des schönen hellenischen Himmels, die Humanität. Hier entfalteten Macedoniens Könige ihr stolzes Panier; hier wurde eine Welt der Kunst und Wissenschaft geboren, die befruchtend[224] immer neue Welten gebar, hier ist jedes Thal, jeder Hügel, jeder Fußbreit Landes balsamisch durchweht vom Zauberhauche der Klassicität. Nur ein loses Band, schwankend in jedem Luftzuge, verknüpft jetzt die einzelnen Provinzen. Interesse wie Nationalität sind die gewaltige Kette, welche die einzelnen Silberfelder des seidenen Teppichs mit ihrem Doppelfaden trennt. Serbien, die Moldau und Wallachei sind halb entfremdet dem Mutterstaat; frei wehen die Winde über Hellas Gebirge; unaufhaltsam gestaltet sich die Zukunft neu. Daher hier, in Berücksichtigung des nahen Wechsels des noch Bestehenden, nur ein loses Gemälde jener europäischen Länder (8400, nach Andern bis 11,000 Quadrat M. groß), welche die Pforte noch für sich in Anspruch nimmt. Im Norden grenzt die europ. Türkei an Kroatien, Savonien, Ungarn, Siebenbürgen, die Bukowina und Rußland, im Westen an Kroatien, Dalmatien, das adriatische und jonische Meer, südlich an Griechenland, und östlich an den Archipelagus, das Marmora- und schwarze Meer. Die gegliederten Küsten werden von einer Menge Meerbusen, Einbuchten und Canälen zerrissen. Wie ein Triumphbogen wölbt sich an der Westküste der Golf von Drino gegen Albanien zu; seiner Südseite entwindet sich keck das Kap Palo, um das malerische Becken erzeugen zu helfen, welches den Namen des Meerbusens von Durazzo führt. Bemerkenswerth sind auf dieser Seite nur noch die Busen von Valona und Arta. Flache Monotonie charakterisirt die Nordküste des schwarzen Meeres; nur südlicher wird sie steiler und erhebt sich zu einem groteskdurchbrochenen Wald von Felsenbergen, mit den Landspitzen Gülgrad, Emineh, Baglar und Inada. Eben sind die Gestade des Marmora-Meeres steiler die des Bosporus, felsig die Ufer an den Dardanellen. Gleich riesigen Perlenmuscheln erglänzen südlicher die Busen von Saros, Contessa, Salonichi, Volo und Zeitun, bei welchem letzteren Griechenland beginnt. Eine hochgethürmte Felsenmauer scheidet in der Mitte das Land und trennt Bosnien, Serbien, Bulgarien, Wallachei und Moldau von den[225] südlichen Provinzen Rumili, Macedonien, Albanien und Thessalien. Aus Kroatien tritt sie als Wellebit und Vistrogo Gebirge (dinarische Alpen) in die Türkei ein, erhält auf ihrem weitern Laufe verschiedene Namen (Zamora, Argentara etc.) und entsendet fast in der Mitte des Landes östlich den Hauptarm Schartag oder Karadag mit dem 9000 F. hohen Orbelus, auch Egrisu genannt, der höchsten Spitze des ganzen Landes. Dieser Hauptarm theilt sich wiederum in zwei Arme, deren nordöstlicher, der Balkan und Eminehdag, sich zum schwarzen Meere, der südwestliche aber als Despotogebirge an die Ufer des Marmora-Meeres und des Archipelagus zieht. Alle diese Bergketten sind eben so unwegsam und zerrissen als steil und undurchforscht; zwei Pässe nur bieten brauchbare Uebergänge dar: der Paß über den Eminehdag, und der schon den Römern bekannte Paß Sulu Derbent aus dem Thale der Isker in das Thal der Maritza. Eben so zerrissen und unwegsam sind auch die gigantischen Grenzhüter Siebenbürgens: die rauhen Karpathen Vom adriatischen, mittelländischen, jonischen, ägäischen, Marmora- und schwarzen Meere umspühlt, ist die europäische Türkei bis auf einzelne wenige dürre Districte auch vielfach von Flüssen und Bächen bewässert. Die königliche Donau tritt bei Orsowa aus Serbien in das osmanische Reich ein, durcheilt die Fluren der Wallachei und Bulgariens bis Galatz, wo der Pruth einmündet und ergießt sich in sieben Armen in das schwarze Meer. Die Save (s. d.), welche die Unna, den Verbasch, die Bosna und endlich die Drina aufnimmt, vereinigt sich mit der Donau bei Belgrad. Weiter gegen Osten trifft mit ihr die Morawa, der Isker, Wid und die Jantra zusammen. Nördlich aber ergießen sich in dieselbe der Schiul oder Schyl, die Aluta, der Ardschisch, die Jalonitza, der Sered und der schon erwähnte Pruth, welche alle in den Karpathen entspringen. Ein anderer bedeutender Fluß, die Maritza, hat ihren Ursprung im Balkangebirge, zieht die meisten Gewässer Thraciens an sich, nimmt bei Adrianopel die Arda und den Tundsja[226] auf und strömt in den Meerbusen von Enos im ägäischen Meere. In eben dieses Meer ergießen sich auch der Karasu, die Struma mit dem Egrisu, der Vardar, die Vistritza und Salambria; und in das adriatische die Narenta, die Drina, die Bojussa und der Aspropotamo. – Das ganze europäische Osmanenreich erscheint in seiner vielfach zerrissenen äußeren Gestalt wie ein Schlachtfeld riesiger Naturkräfte, deren Entwicklungsgeschichte in der Titanensage niedergelegt ist. Mit ihrer ganzen Gewalt kämpfen die Titanen gegen Jupiter's stolzes Herrschergebot, thürmten den Ossa auf den Pelion, um den Olymp, wahrscheinlich ein großer feuerspeiender Berg, zu erstürmen. Aber Jupiter siegte; und voll heimlichen Grolls schnauben die Titanen nun im tiefen Schooß der Erde zuweilen wuthentbrannt und speien Flammen ihres Zornes. Enge Bergpässe, groteske Aufthürmungen, tiefe Schluchten, regellose Umrisse der Gebirge zeigen noch die Spuren jenes Kampfes; außerdem ist das ganze Land auch noch geheiliget durch Hellas reiche Geschichte. Waltete doch vor Jahrtausenden hier ein kunstsinniges Geschlecht und drückte dem Lande den Stempel seines Genius auf. Da ist kein Fels, kein Baum, kein Bach, der nicht erzählte von der Vergangenheit; da säuselt keine Quelle, an der nicht ein herrliches Lied der Vorwelt erklungen wäre; jeder Stein predigt von der grauen Vorzeit. Oder sind die Ruinen von Athen, die Cyklopenmauern von Böotien, die Trümmer der Palaste von Salona. und so viel tausend Säulen, Hallen und Tempelgewölbe etc. nicht ein unschätzbarer Perlenschmuck des osmanischen Reichs! Dabei schaut der freundlichste Lenzhimmel auf das prachtvolle Land herab, welches ausgestattet mit allen Reizen der Tropengegenden, doch von keiner ihrer Beschwerden heimgesucht wird. Nur jenseits des Balkan hat der Winter eine eigentliche Residenz; sonst naht sich überall im Februar schon das süße Himmelskind, der Lenz. Kein Wunder, daß Pomona hier ihr goldenes Füllhorn mit verschwenderischen Händen leerte! Eine Ueberfülle goldener Garben reift in den[227] Saatwellen der Moldau, Wallachei, von Rumili und Macedonien; eben so gesegnet ist die Mais- und Hirseernte. Im Süden und auf den Inseln feiert Bacchus die süßesten Triumphe, erglühen im dunkeln Laube die Goldorangen und Oliven. Flachs und Hanf bringt der ganze Norden, Baumwolle Macedonien hervor; Tabak und Obst wird in allen Provinzen reichlich erbaut. - Dichte Waldungen von allen Arten europäischer Forstbäume überschatten magisch die nördlichen Gebirge; an der großen Menge hier wachsender Galläpfel haben die Einwohner ein wichtiges Ausfuhrproduct; aromatische Kräuter, herrliche Blumen schmücken die Hügel und Fluren des Südens; hier prangen auch Cedern, Platanen, Lorbeerbäume, Oleander, und der Schmuck aller Mosleminsgräber, Cypressen. Auf den Bazar, wo die animalischen Schätze dieses Reiches vereint glänzen, senden die nördlichen Provinzen ihre stolzen Rosse. Rumili und Bulgarien Esel und Maulesel, und alle Districte zahlreiches Wild, treffliches Rindvieh, Schafe und Ziegen. In der Wallachei birgt sich noch der Auerochse, auf den Karpathen die Gazelle, auch Bären, Wölfe und Luchse haben noch hier und da ihre Lagerstätten. Macedonien zeichnet sich durch seine Bienenzucht, die südl. und östl. Provinzen im Süden des Balkans durch ihren Seidenbau aus. Zu den uralten Plagen des Landes gehören die Heuschrecken. Das Reich der Gnomen enthält hier der Schätze viel; doch Unwissenheit und Despotismus haben seine Pforten verschlossen; nur an einigen Orten gewinnt man Gold, Silber, Blei, Eisen, Kupfer und Schwefel. Desto reicher ist die Ausbeute an Stein- und Seesalz und Salpeter. Die Industrie liegt bis auf einige wenige Gewerbe noch darnieder. Ackerbau und Viehzucht bilden die Hauptbeschäftigung, doch in mehreren Gegenden befinden sich berühmte Gerbereien für Saffian und Corduan, Färbereien in türkisch Roth, Waffen- und Stahlwaarenfabriken und Seiden- und Baumwollenmanufacturen. Der Handel im Innern ist eben so unbedeutend als erschwert durch Unsicherheit der wenigen Fahrstraßen; [228] wichtiger der See- und Grenzhandel, welcher meist in den Händen der Griechen und Armenier und der andern europ. Nationen ist. Hauptausfuhrgegenstände sind Baumwolle, Getreide, Wolle, Wein, Seide, Häute, Tabak und Hausthiere. – Die aus allen Nationen der alten Welt gemischte Bevölkerung (ihre schwer zu bestimmende Anzahl wird auf 7–12 Mill. angegeben) läßt sich auf die drei Hauptstämme der Türken, Griechen und Slaven zurückführen. Herren des Landes sind die Türken oder Osmanli, ein tatarisches Volk von etwa 3–4 Mill. Köpfen von stolzem Wuchs und einem sehr edlen Profil, – körperliche Eigenschaften, welche es jedoch nicht sowohl seiner Abkunft nach besitzt, sondern vielmehr der Vermischung mit den schönen Griechinnen, Cirkassierinnen etc. zu verdanken hat. Vieles Einzelne über dasselbe findet man in den verschiedenen ethnographischen Bemerkungen in den Artikeln über die größeren Provinzen, Städte etc. und den sittengeschichtlichen Artikeln überh. Freunde der Ruhe, welche in Unthätigkeit ihr Lebensglück finden, sind die Türken im Allgemeinen ernst, lieben prächtige Kleidung, sind im Schlaf, Essen und Trinken mäßig, gastfrei und dankbar, aber unduldsam gegen Andersgläubige. Alle haben rasirte Köpfe, so daß nur ein kleiner Haarbüschel auf dem Wirbel steht, und tragen meist lange Bärte. Ungebildet in Künsten und Wissenschaften, noch unendlich weit gegen das übrige, civilisirte Europa zurück, sind ihnen auch noch die Vergnügungen und Unterhaltungen der gebildeten Europäer, als Schauspiele, Bälle und Concerte, fremd. Hazardspiele sind selten; chinesische Schattenspiele und Seiltänzer dagegen sehr beliebt. Das Weinverbot ist in neuerer Zeit unter gewissen Bedingungen aufgehoben worden; außerdem wird Opium getrunken, doch nicht in so großer Menge, als man glaubt. Hauptvergnügungen sind die Bäder (s. d.), der Kasse und die Tabakspfeife. Die meisten Türken halten in 24 Stunden nur eine Hauptmahlzeit und zwar Mittags. – Fast alle Häuser in den Städten sind auf dieselbe Art erbaut. Eine steinerne Wand erhebt sich vier[229] bis fünf Fuß über die Grundmauern, auf derselben ruht ein hölzernes Grundgebäude von zwei Stockwerken. Die erste Etage erstreckt sich viel weiter in die Straßen als das Erdgeschoß. Die Neugierde, welche aus einem Hause in das andere zu lugen liebt, ist hier auf das Aergste verpönt: und nirgends wird das Geheimniß der Penaten strenger bewahrt als in der Türkei. Die meisten Häuser sind außen bemalt; die rothe, weiße und gelbe Farbe sind als ein Privilegium nur den Osmanlis gestattet; die Rajahs (s. d.) dürfen ihre Wohnungen nur mit denjenigen Farben bemalen lassen, welche sie an ihren Halbstiefeln tragen, nämlich grau und dunkelbraun. Jedoch haben jetzt diese Verordnungen von ihrer Strenge nachgelassen. In einem türkischen Hause wohnt immer nur eine Familie, denn die Mysterien des Harems gestatten keinen Nachbar; es besteht aus zwei Abtheilungen, wovon die eine von dem Hausherrn, die andere von den Frauen bewohnt ist. Alles in demselben ist darauf berechnet sich den Augen des Publikums zu entziehen und der möglichst freien Luft und Tageshelle zu genießen. Die Zimmer des Hausherrn haben keine andere Ausschmückung als mehr oder weniger kostbare Teppiche, Divane von Seidenstoff und zuweilen einige Wandgemälde; die kostbarste Ausstattung von Möbeln wird in der Regel für den geheimnißvollen Harem aufgespart; denn selbst der Luxus des Türken trägt den Charakter des Geheimnißvollen und Verborgenen wie sein ganzes übriges Leben. Die einzige Ausnahme, die in diesem Puncte bei den Reichen und Vornehmen statt findet, besteht in dem öffentlichen Gepränge mit einer großen Anzahl von Pferden und Sclaven. – Die Griechen (vielleicht 3 Mill.) leben überall zerstreut als Landbauer, Handwerker und Kaufleute hart gedrückt; auch dienen sie als Matrosen auf den türkischen Kriegsschiffen. Einige Stämme derselben, die Sulioten, Kimariolen und Ssagloien (auf Kandia) leben als unabhängige Klephten in ihren Gebirgen. Die Bulgaren (s. Bulgarien) im nordöstl Theile des Landes sind Ackerbauer, haben eine eigene Sprache[230] slavischen Stammes und bekennen sich zur griech. Kirche. Die Wallachen (s. Moldau und Wallachei), ein Mischlingsvolk von Slaven und Römern, nennen sich selbst Romuni oder Rumini, sind von untersetztem, starkknochigem Körperbau, träge, unempfindlich, wild, halsstarrig, rachgierig, ausschweifend, wollüstig und ausgelassen lustig. Die Moldovani, ein schöner, starker, schlanker und dabei kräftiger Menschenschlag, wollen für Ureinwohner der Moldau gehalten sein. Die Serbier (s. Serbien) sind ein mannhaftes Slavenvolk und sprechen die wohlklingendste unter allen slavischen Sprachen. Die Bosnier (s. Bosnien) sind kühne und tapfere, aber auch rohe und blutgierige Krieger, und im häuslichen Leben wenig bedürfende, stille Menschen. Die Albanesen (s. Schypetars), sind ein wildes, kriegerisches, altillyrisches Stammvolk von starken Muskeln, lebendigen Augen und rothen Wangen. Außerdem finden sich in der T. noch Juden, Armenier oder christliche Juden vom ausgeprägtesten Wucher- und Schachercharakter, und, hauptsächlich in der Moldau und Wallachei, Zigeuner. Europäer, hier Franken genannt, leben nur in den Handelsstädten. Ueber die Religion der Türken oder den Islam, s. Muhammed. Die Türken bekennen sich zur Secte der sogenannten Suniten. Die Geistlichen (Ulemas) zerfallen in Imans, Chatibs, Muetsins, Derwische (Mönche) und Scheikhs; der erste Geistliche des Reichs ist der Mufti. Auch die Richter, Kadis, und Mollas, werden zu den Geistlichen gerechnet. Die christlichen Bewohner sind meist griechischen nicht unirten Ritus, und Monophysiten. Seit alten Zeiten theilt man die europ. T., außer den Fürstenthümern Moldau und Wallachei, in die 7 Provinzen: Rumili (Romanien), Bulgarien, Serbien, Bosnien, Albanien, Macedonien und Thessalien (Janjah.) – Die 20–24,000 Quadrat M. große asiatische T. grenzt nördlich an das schwarze Meer, nordöstlich an das asiatische Rußland, im Osten an Persien, südöstlich an den persischen Meerbusen, im Süden an Arabien, im Westen an das[231] mittell. Meer und nordöstlich an das Marmora-Meer und die aus demselben führenden Straßen von Constantinopel und den Dardanellen. Sie besteht aus der Halbinsel Kleinasien (s. d.) und den alten Landschaften Armenien (s. d.), Assyrien (s. d.), Mesopotamien, Babylonien (s. d.) und Syrien (s. d.), ist mit Ausnahme der arabischen und mesopotamischen Sandwüsten meist Hochland und wird von dem Taunus durchzogen, welcher weiter im Osten das armenische Gebirge heißt, während sein am Mittelmeere hinlaufender südl. Zweig der Libanon genannt wird. Hauptflüsse sind der Tigris und Euphrat, ferner die dem schwarzen Meere zuströmenden Kifilirmak und Sakarja; nur zwei Seen, der Wan und das todte Meer (s. d.), sind wegen ihrer Größe bemerkenswerth. Groß, aber wenig benutzt sind des Landes mineralische Schätze. Wein, Oel, Baumwolle, Südfrüchte, Reis, Getreide, Tabak etc., südlicher auch die Dattelpalme, gedeihen vortrefflich. Hier finden sich außer den gewöhnlichen Hausthieren im Süden Schakals, Löwen, Leoparden, Unzen, Hyänen, angorische Ziegen, Schafe mit Fettschwänzen und das Kameel. Die zu drei Theilen vom Ackerbau und Viehzucht lebenden Einwohner, deren Anzahl sich gar nicht bestimmen läßt, sind Türken, Griechen, Syror, Armenier, Araber, Juden, Zigeuner, Franken, und verschiedene Nomadenvölker, wie im Westen die Turkmanen, im Osten die Kurden (s. d.). Auf einer hohen Stufe der Vollkommenheit steht die Weberei, Färberei, Gerberei und Metallwaarenfabrication, sowie die Verfertigung von Teppichen und die Stickerei. Der Seehandel ist meist in den Händen der Europäer; der Binnenhandel wird durch Karawanen betrieben. Das ganze Land wird in sieben, wiederum in Ejalets oder Paschaliks zerfallende Provinzen getheilt; in Anadoli oder Natolien, Georgien, Armenien, Kurdistan, Mesopotamien, Irak Arabi und Syrien. B.

Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 224-232. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001773097


Türkei (Geschichte)

[232] Türkei (Geschichte). Rose, du rothe, was neigst du das Haupt! Was säuselt so bang der Westwind durch das Myrtengebüsch, welches wie ein hellgrüner Reigen der Hoffnung die[232] glänzende Sophienkirche umwebt? So mild und sanft sank ja der 29. Mai des Jahres 1453 vom Frühlingshimmel hernieder auf das alte Byzanz! Purpurhauche und goldene Lenzahnungen wehen von Abydos Küste herüber; die Gestade des Bosporus ergrünen und glühen von tausend lieblichen Propheten des Sommers, den Blumen des Mais. Aber ach, ein anderer Prophet erschien mit der blutigen Fahne des Halbmondes, mit dem zuckenden Schwerte, mit dem Feldgeschrei des Fanatismus. Bange Schatten lagern sich über Constantinopels glänzende Zinnen. Jammergeschrei tönt durch die Straßen; Greise, Frauen, Kinder, Alles eilt klagend, mit verhülltem Antlitz in die Sophienkirche, um von dem Ewigen Rettung zu erflehen für die Altäre der Stadt, für den heimischen Heerd, für das eigene Leben. Der greise Patriach Leo besteigt die geistliche Rednerbühne und beginnt mit bewegter Stimme: »Christliche Freunde, die Stunde der Entscheidung ist erschienen. Weinend verhüllt Griechenlands Genius das Haupt; um die goldene Wiege der Humanität brausen die Schlachtgesänge der Barbaren; schon ein Mond ist entflohen, seit Muhammed unsere Mauern bestürmt. So sollst du denn fallen, du leuchtendes Byzanz? wo einst die Musen ihre goldene Saat säeten? auf welches der Himmel den Gnadenkuß der Versöhnung durch den göttlichen Erlöser drückte? Verstummen sollen die heiligen Tempelhymnen? das Kreuz von den stolzen Kuppeln herabsinken in den Staub? Ach zum letzten Kampfe ist der Kaiser ausgezogen mit seinem treuen Bundesgenossen, dem edlen Genueser Giustiniani. Laßt uns feiern das letzte Liebesmahl«.... Der Redner konnte nicht fortfahren; dumpfes Waffengeräusch tönte aus der Ferne. Wehe, Wehe! riefen tausend Stimmen auf den Straßen, – Constantin Paläologus, unser Kaiser, ist gefallen an der goldenen Pforte, es naht der Feind! Und schon rückte Muhammed II. herein mit seinem Heer von 150, 000 Mann; seufzend stürmten die Wellen des Bosporus empor; ein elektrischer Schlag voll tödtlichen Schreckens zuckte durch den ganzen Occident:[233] aus tausend Wunden blutete Byzanz; – und geschlagen hatte die Stunde, wo Griechenland untergehen sollte, um sich zu beugen unter das Joch der Türken! – Mythisches Dunkel lagert auf der Urgeschichte dieser barbarischen Sieger. Vom Altaigebirge stiegen sie in früher Zeit nieder längs des Aralsee's in das nach ihnen Turkistan benannte Steppenland. Hier gründeten sie ein Reich, das außer Turkistan einen großen Theil von Kabul, Persien und der jetzigen Türkei enthielt; doch schon 1100 zerfiel dieses türkische oder seldschuckische Reich in Trümmer. Nach langer Erstarrung entsproß der zertretenen Saat ein neues, frisches Reis; unter dem Anführer Osman erhob sich (1289) ein Stamm des Volkes am Olympus in Kleinasien. Dieser Osman ist der eigentliche Gründer des türkischen oder osmanischen Reichs. Wie eine dunkeläugige, glühende Odalik erhob dieses das geringelte Haupt über Ilions altklassischen Boden; leuchtend in jugendlicher Kraft entfalteten sich ihre Schwingen über Armeniens Gefilde; ein stählernes Gewand umschloß früh den zarten Busen; – doch bald befleckte verbrecherisches Blut ihr Kriegergewand. Gegen seine eigenen Verwandten wüthete Osman, und Brudermord wurde die Losung aller Sultane. Acht Fürsten folgten Osman in der Regierung, gleich ausgezeichnet durch Kraft wie Tapferkeit, und unter ihnen (1326–1566) vergrößerte sich der Anfangs so kleine Staat zu einer europ. Hauptmacht. Der nächste darunter, Orkan, erhob Brussa in Kleinasien zu seiner Hauptstadt. Von dem Thore seines Palastes heißt noch jetzt das ganze Reich die hohe Pforte. Er errichtete die ehernen Phalanxen des Halbmondes, die Janitscharen und Spahis, und unterwarf seinem eisernen Scepter die ganzen Goldebenen Kleinasiens. Betroffen schaute das in sich selbst zerspaltene Europa auf das neue Gestirn Asiens; doch noch stolz auf den goldenen Schweif seiner altergrauen Heldenthaten, verharrte es in Unthätigkeit bei dem Entfalten des blutigen Roßschweiss. Wie ein alter schwacher Hünenwächter stand Griechenland auf den Ruinen seiner alten Herrlichkeit und hielt in kraftloser Hand das Schwert zur Vertheidigung[234] der Pforten Europa's. So betrat Orkan's Sohn, Soliman 1355 Europa, und besetzte die Meerenge, welche beide Welttheile scheidet. In seines Sohnes und Nachfolgers, Amurat I., Hände fiel 1360 das stolze Adrianopel; Macedonien, Albanien und Serbien erzitterten unter seinen Herrschertritten; doch nach dem Siege von Kaschau fiel er durch einen Dolchstich (1389). Nach ihm drang Sultan Bajazed mit dem Beinamen »der Blitz,« mit Blitzesschnelle in Thessalien ein und bedrohte Constantinopel; gleich einem verderbenschwangeren Wetterleuchten fiel er den 28. Sept. 1396 auf die Christen unter Siegmund von Ungarn und Böhmen bei Nikopolis nieder, als aber Timur (s. d.) seine asiatischen Staaten bedrohte, kehrte er über den Bosporus zurück und wurde in der Riesenschlacht bei Ancyra (1402) von diesem besiegt und gefangen. Bald sollte selbst auch der germanische Adler, der sonst emporflog, um die Sonne zu trinken, vor dem Halbmond erbeben: Bajazed's vierter Sohn, der kluge Muhammed 1., trug seine Waffen bis Salzburg und Baiern. Ebenso siegreich erklang die osmanische Schlachtentrommete unter seinem Nachfolger, dem weisen Murad II.; er schlug die Christen bei Varna (1444) und Kaschau (1449). Nur der tapfere Skander-Beg (Fürst Georg Kastriota), Hunyad, Fürst von Siebenbürgen, und die Feste Belgrad machten mit seltener Hartnäckigkeit der hohen Pforte den Schlüssel streitig zu den innersten Gemächern des ganzen südöstlichen Europa. Als aber Muhammed II. (1451–81) Constantinopel erobert und es als Stambul zu seinem Herrschersitz erhoben; als er die Dardanellenschlösser gegründet und Morea unterjocht; als sein Enkel Selim I. die Macht der Perser bis an den Euphrat und Tigris zurückgedrängt und Aegypten, Syrien und Palästina erobert: – da war es umsonst, wenn die Päpste den Kreuzzug predigten gegen die Ungläubigen, denn Europa wie Asien ergriff tödtliche Furcht vor den Waffen der Osmanen. Wie einst Rom's Mütter ihre weinenden Kinder zum Schweigen brachten durch Hannibal's schrecklichen Namen; so erklang[235] im ganzen Abendlande der Name Selim's wie eine Stimme blutigen Verderbens. In der gesammten Christenheit wurden eigene Gebete gegen die schrecklichen Feinde angeordnet; die milden Abendglockenklänge, welche jetzt die friedliche Stille des Abends einlauten, ertönten damals als bange Hilfsrufe gegen die Macht des andrängenden Islams; und alle europäischen Lande jubelten und frohlockten, als die stolze Macht Soliman's II. (1519–66) des Besiegers der Johanniter, der Ungarn und Perser, sich an den Mauern von Wien (1529) brach. Zugleich widerstanden die Venetianer und Genueser; ein einziger Mann mit einem Häuflein entschlossener Ungarn, Zriny, vertheidigte die Feste Zigeth gegen das ganze türkische Heer; und waren dieß nur schwache Bemühungen, um Europa zu retten, konnte selbst Karl's V. Staatsklugheit nur auf kürzere Zeit dem Eindringen des Stromes wehren, so entwickelte nach Soliman's Tode (1566) der türkische Staat in sich selbst den Keim seiner nachherigen Ohnmacht, indem er, seine Kräfte nach Außen zersplitternd, nicht im Innern nach einer organischen Gestaltung, nach einer friedlichen Ausbildung seiner Kräfte strebte. Und auch die Luft nach Außen zu wirken, erlahmte in Weichlichkeit und dem feigen Gelüste, auf den erfochtenen Lorbeeren nun lieber zu ruhen. Fortan gingen die Herrscher nur aus den Frauengemächern des Serails hervor; an die Stelle der Gesetzgebung und richterlichen Ahndung trat gegen die Großen der Dolch und die seidene Schnur, und in den Provinzen die grausame Willkühr und Raubsucht der nur zum Schein abhängigen Paschas. Planlosigkeit bezeichnete der Pforte äußere Politik; und gleich den römischen Cäsaren seit Errichtung der Prätorianer, erzitterten die Sultane in ihrem eigenen Kaiserpalast unablässig vor den Empörungen der Janitscharen und Statthalter. Zum letzten Male entfaltete der Halbmond seinen Glanz im Herzen von Europa unter Muhammed IV.; abermals erbleichte er an den Mauern von Wien (1683) und gar dauernder, vor Sobieski's (s. d.) blitzendem Wetterleuchten. Eine Perle nach der andern entfiel[236] der osmanischen Krone. Mit gewaltiger Hand rüttelten der Held Eugen, Peter der Große und der russ. Feldherr Münnich an den diamantenen Säulen des Islams. Im Vertrage zu Carlowitz (1699) verlor die Pforte Siebenbürgen, das ganze Land zwischen der Donau und Theiß, Morea, Podolien und Asow; der passarowitzer Vergleich (1718) entriß ihr Temeswar und Belgrad mit einem Theile von Serbien und der Wallachei. Nur durch fremde Vermittelung erhielt sie später einen Theil des Verlorenen zurück, gewann aber nie die verlorene Achtung wieder, seitdem (1787) Katharina II. durch ihre glückliche Kriegführung die ganze Ohnmacht des türkischen Staates enthüllt hatte. Selim III., ein Fürst von Geist und Kenntnissen, war zu schwach, um durchgreifende Verbesserungen bewirken zu können. Der Glaube an seine geistliche Obergewalt als Muhammed's Nachfolger war erschüttert worden durch Sectirerei, und die Furcht vor seiner weltlichen Macht verschwunden, seitdem so viele Paschas dem Divan zum Trotz selbstständig gleich kleinen Sultanen ihre Provinzen beherrscht hatten. Alle europäische Großmächte gaben jetzt in den türkischen Conseilverhandlungen ihre berathende, zu oft entscheidende Stimme ab; immer matter erglänzte nun der Halbmond, und wie eine todtmüde Tochter der Freude lag jetzt Stambul ausgestreckt an den Ufern des Hellesponts. Rußland, Frankreich, England drängten bald einzeln, bald zugleich auf die geängstigte Pforte ein; Constantinopel gerieth in Aufruhr; Selim III. wurde (29. Mai 1807) von dem Mufti abgesetzt und Mustapha IV. an seiner Stelle als Khalif begrüßt. Bald aber wurde auch dieser vom Throne gestoßen, und der jetzt regierende Großsultan Mahmud II., der einzige noch übrige Fürst aus Osman's Geschlecht, übernahm mit kräftiger Hand die Zügel der Regierung. Bekannt sind die Thaten dieses Regenten, wie er die Janitscharen niederschmetterte, wie er der griechischen Revolution (s. Griechenland, Geschichte). wie er den Angriffen der Russen nach Kräften widerstand. und wie er, schwieriger als alles dieß, fortwährend Asiens[237] starre Elemente mit Europa's Civilisation zu verschmelzen sucht. Aber ein Stern nach dem andern erlischt über Stambuls Zinnen; der Pforte Macht brach am Fuße der Pyramiden; von Afrika's Küste weht die dreifarbige Fahne; längs der Donau waltet moskowitisches Gebot; Hellas entwand sich jugendlich dem Staube der Entwürdigung. Der Säbel des Propheten ist nicht mehr von dem Blute seiner Feinde getränkt; vom Balkan bis zum Libanon weht ein banger Klageruf; und hinter dem mystischen Vorhange der Weltgeschichte starrt bleich und seelenlos die Zukunft des osmanischen Reiches hervor. B.

Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 232-238. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001773100


Brockhaus 1839

[356] Osmanische (das), ottomanische oder türkische Reich, die Türkei oder die hohe Pforte nimmt die Oberherrschaft über ein Ländergebiet von ungefähr 46,500 ! M. mit etwa 23 Mill. Einw. in Anspruch, wovon 8720 ! M. in Europa, 21,030 in Asien und 16,750 ! M. in Afrika liegen, von denen aber kaum die Hälfte noch der unmittelbaren Botmäßigkeit des türk. Sultans oder Kaisers unterworfen sind. Da die wichtigsten Theile desselben aus der östlichsten von den drei großen südeurop. Halbinseln und der Kleinasien genannten, asiat. Halbinsel bestehen, so bietet es dem mittelländ. Meere und den damit in Verbindung stehenden Gewässern des adriatischen, ägäischen, Marmora- und schwarzen Meeres überall seine Küsten dar. Allein auch die afrikan. Provinzen werden zum Theil vom Mittelmeere, östl. auch vom rothen Meere, die asiat. auf einer kleinen Strecke an der Mündung des Euphrat auch vom pers. Meerbusen begrenzt. Außerdem ist das türk. Gebiet in Europa nördl. von den Kaiserreichen Östreich und Rußland, südl. vom Königreiche Griechenland, in Asien vom asiat. Rußland, von Persien und Arabien mit seinen Wüsten, in Afrika von der libyschen Wüste, der Wüste Sudah und westl. vom Gebiete von Algier umschlossen. Seinen Namen hat das osman. Reich von den Begründern und noch darüber herrschenden Bewohnern desselben, den Osmanen oder Osmanli, welche jetzt zwischen 8 und 10 Mill. seiner Bevölkerung ausmachen, sich zur Lehre Mohammed's (s.d.) bekennen und bis auf die neueste Zeit gegen die von ihnen seit Jahrhunderten unterjochten Völker in der Stellung der Eroberer verharrt und ihrer höhern Bildung und Gesittung fremd geblieben sind. Hartnäckig bei ihren rohen Sitten beharrend, gilt daher auch heute noch von ihnen zum Theil das alte Sprüchwort: Wo ein Osmane den Fuß hinsetzt, gedeiht kein Grashalm mehr. Ursprünglich ein Stamm der oghusischen, d.i. westl. Türken, verwerfen sie gleichwol diesen von andern Völkern ihnen beigelegten Namen, mit dem sie blos herumziehende Horden bezeichnen. Bei den Alten schon werden Turcae unter den Bewohnern des asiat. Sarmatiens genannt und seit dem 6. Jahrh. sind die Türken als ein tatarischer Stamm bekannt, der ursprünglich im Altaïgebirge heimisch, in das von Sibirien, dem Aralsee und Tibet begrenzte, fruchtbare Steppenland einwanderte, welches nach ihnen Turkestan, von den Persern Turan, auch die Tatarei genannt wird und dessen südl. Theil die große und die kleine Bucharei (s.d.) ausmachen. Im 6. Jahrh. kam das Gebiet der östl. Türken oder Uiguren unter chines. Botmäßigkeit, das der westl. oder oghusischen Türken aber wurde von Persien abhängig, welches die Araber sich unterworfen hatten. Sie nahmen nun die mohammedanische Religion an, dienten vom 10.–12. Jahrh. in den arab. Heeren und wurden insbesondere die Leibwächter, bald aber auch die Beherrscher der in Schwäche und Geringschätzung versinkenden Khalifen von Bagdad und Begründer mehrer Regentenlinien, welche in Palästina, Syrien, Ägypten, in Persien und Indien in dieser Zeit geboten. In Vorderasien gelangte seit dem 11. Jahrh. der türk. Stamm der Seldschuken zu ansehnlicher Macht und stiftete ein großes Reich, gegen das nach dessen Schwächung durch Theilungen und innere Kriege im 12. und 13. Jahrh. die Mongolen (s.d.) ihre verheerenden Züge richteten. Wider dieselben leistete Ertogrul, Emir oder Häuptling einer in Kleinasien vom Raube lebenden türk. Horde, dem letzten seldschukischen Sultan von Ikonium (Konjeh) Beistand und eroberte auch für ihn vom griech. Kaiserthum einen Theil des alten Phrygiens. Dieses anfangs kleine Gebiet, welches die Familie des Ertogrul als Grenzhüter des seldschukischen Reiches gegen das griech. in Lehn erhielt, ward die Wiege der türk. Macht. Durch gelegentliche Eroberungen von Ertogrul's ältestem Sohne Osman, d.i. Beinbrecher (geb. 1258), wurde es so weit vergrößert, daß sich derselbe nach dem Untergange des Reiches der Seldschuken in Ikonium zu Ende des 13. Jahrh., als unabhängiger Fürst der um den Olympos gelegenen Gebiete behaupten konnte und so der Begründer des osman. Reiches in Asien wurde. Zur Erweiterung und Befestigung trug sein tapferer, auch als Gesetzgeber ausgezeichneter Sohn Orchan durch Eroberung von Brussa (1326), der ersten großen Stadt, welche den Osmanen zufiel und die zunächst die Residenz ihrer Herrscher wurde, sowie durch Einnahme von Nikäa (1330), der wichtigsten östl. Grenzfeste des griech Kaiserthums bei. Nikomedia fiel 1339 unter seine Botmäßigkeit, der er Kleinasien bis an den Hellespont unterwarf; seine Vermählung mit einer Tochter des griech. Kaisers Kantakuzenos begründete jedoch ein gutes Vernehmen mit dem Hofe zu Konstantinopel. Von Brussa aus, wo zuerst das Thor seines Palastes die hohe Pforte hieß, traf er die dem aufblühenden Reiche nach seinem Sinne gedeihlichen Anordnungen, unter denen natürlich das Heerwesen am angelegentlichsten bedacht ward. Durch ihn, der zuerst ein stehendes Corps Fußvolk errichtete, aus dem die Janitscharen (s.d.) hervorgingen und eine regelmäßigere Reiterei, die Spahi (s.d.) einführte, ward der Grund zu jener Überlegenheit in den Waffen gelegt, welche, unterstützt von religiösem Fanatismus und unbegrenzter Beutelust, die Osmanen bis in die Mitte des 16. Jahrh. den Europäern gegenüber behaupteten. Einige Jahre vor Orchan's Tode (1360) begründete sein ältester Sohn Soliman durch Eroberung[356] der Stadt und Halbinsel Gallipoli die osman. Macht zuerst in Europa und machte sich zum Gebieter des Hellesponts. Sein Bruder Murad I. (1360–89) wegen Soliman's frühen Todes der Nachfolger von Orchan, dehnte auf Kosten des oström. Reiches die osman. Eroberungen in Europa so weit aus, daß dem byzantin. Kaiser nur ein kleines Gebiet um Konstantinopel blieb und verlegte seine Residenz von Brussa nach dem 1361 eingenommenen Adrianopel. Gegen ihn kam 1368 die erste Verbindung der Fürsten von Serbien, Bosnien, Walachei und Ungarn zu Stande, allein ihr doppelt stärkeres Heer wurde durch nächtliche Überrumpelung besiegt. Durch die Eroberung von Nikopolis machte Murad I. die Unterwerfung der Bulgarei (s.d.) gewiß und erkämpfte 1390 noch einen großen Sieg über die Christen bei Kossowa oder auf dem Amselfelde, ward aber nachher auf dem Schlachtfelde von einem schwerverwundeten Serbier niedergestoßen. Murad's Sohn und Nachfolger Bajazet (s.d.) erhielt wegen der Schnelligkeit seiner Kriegsunternehmungen und Eroberungen den Beinamen der Blitz und würde wahrscheinlich der Eroberer von Konstantinopel geworden sein, hätte ihn nicht der Angriff der Mongolen unter Timur nach Asien gerufen, von dem er besiegt und gefangen wurde.

In Folge dieses Ereignisses schien das osman. Reich seiner Auflösung nahe; mehre vertriebene asiat. Fürsten nahmen ihre Länder wieder in Besitz und um den Rest von Kleinasien stritten sich Bajazet's Söhne Musa und Mohammed, während der älteste, Soliman, sich in Europa zu behaupten suchte. Zehn Jahre dauerte diese Zersplitterung, bevor Mohammed I. 1413 alle Provinzen wieder unter seiner Herrschaft vereinigte. Er regierte mit Glück und Ansehen, dehnte seine Kriegszüge bis nach Salzburg und Baiern aus, durch seinen berühmten Großvezier Ibrahim aber ward jene türk. Seemacht geschaffen, welche die nachherige Eroberung der Inseln im mittelländ. Meere begünstigte. Mohammed I. früher Tod rief 1421 seinen Sohn Murad II. auf den osman. Thron, dessen Unternehmungen gegen Serbien, Albanien und Ungarn von Joh. Hunnyades (s.d.) und Georg Castriota, genannt Skanderbeg (s.d.), lange Zeit sehr erschwert wurden. Auch Belgrad wurde vergebens belagert und nach langem Kampfe ging Murad II. den Waffenstillstand von Szegedin ein und legte die Regierung nieder. Des beschworenen Friedens ungeachtet drang aber 1444 Wladislaw IV. von Ungarn, den der Papst seines Eides entbunden hatte, in Bulgarien ein, ward jedoch bei Varna von Murad II., der bei der drohenden Gefahr die Regierung wieder übernommen hatte, gänzlich besiegt und mit dem ihn begleitenden päpstlichen Legaten erschlagen. Zum zweiten Mal entsagte er nun der Herrschaft, trat aber von Neuem an die Spitze des Reiches, als ein gefährlicher Janitscharenaufruhr zu dämpfen war. Ein neuer Feldzug gegen Ungarn endigte siegreich mit der dreitägigen Schlacht bei Kossowa und bei Murad II. Tode (1450) schien der Macht der Osmanen nichts mehr widerstehen zu können. Sein Nachfolger Mohammed II. (s.d.) machte dem oström. Reiche durch die Eroberung von Konstantinopel im J. 1453 ein Ende, das nun die Residenz der osman. Herrscher wurde. Das kleine Kaiserthum Trapezunt in Kleinasien fiel ebenfalls in die Gewalt dieses unermüdlichen Eroberers, der auf einem Zuge gegen Persien 1481 starb, aber in Bajazet II. (1481–1512), in Selim I. (1512–20), dem Schöpfer einer Seemacht, welcher die von Venedig und Genua unterlagen und der Mesopotamien, Syrien, Palästina, Ägypten eroberte und den Scheikh von Mekka unterwarf, sowie in Soliman II. (1520–66) drei seiner würdige Nachfolger hatte. Der Letztere, der berühmteste und mächtigste aller osman. Herrscher, brachte das türk. Reich nach allen Seiten auf den Gipfel seines Glanzes. Belgrad wurde von ihm 1521, die Insel Rhodus 1522 erobert; König Ludwig II. von Ungarn verlor in der Schlacht bei Mohacz 1526 gegen ihn Sieg und Leben und 1529 belagerte er Wien, von dem er zwar unverrichteter Sache abziehen mußte, aber doch ganz Niederungarn in seiner Gewalt behielt. Von Persien wurden in wiederholten Feldzügen ebenfalls große Gebiete errungen, die türk. Flotten aber beherrschten das mittelländ. Meer, an dessen afrik. Küste der Seeräuberfürst von Algier (s.d.) sich in den Schutz der Pforte begab und Tunis, Tripolis und die 14 Inseln der Venetianer im Archipel für dieselbe eroberte. Unerwarteten Widerstand erfuhr jedoch Soliman II., als er die von Rhodus vertriebenen Johanniter auch aus ihrem neuen Sitze Malta verjagen wollte, aber mit großem Verluste zurückgeschlagen wurde, und starb im Lager vor Szigeth in Ungarn, ehe noch der heldenmüthige Vertheidiger Graf Zriny der ungeheuren Übermacht erlag. Durch Soliman II. ward 1538 auch die geistliche Oberherrschaft über alle Bekenner des Islam oder die Würde der Khalifen (s.d.) mit der Pforte vereinigt, allein mit seinem Tode begann auch der allmälige Verfall des osman. Reiches, dem keiner seiner Beherrscher innere Festigkeit zu geben verstand. Schon Soliman II. Nachfolger, Selim II. (1566–74), der an den Folgen der Trunkenheit starb, behauptete das Ansehen der Pforte nur durch die Klugheit seines Großveziers Sokolli; Cypern wurde jedoch auf Selim's eignen Betrieb erobert. Die bei Lepanto durch Juan von Austria vernichtete türk. Flotte wurde zwar bald wiederhergestellt, allein die Wiedereinnahme des verlorenen Tunis blieb auf lange Zeit die einzige Kraftäußerung derselben.

Die meist feigen und unfähigen Nachfolger Selim II. waren mehr oder weniger das Spiel von Hof- und Haremsränken und Meutereien der Truppen, Empörungen der Statthalter und gewaltsame Regentenveränderungen, von dem durch Mohammed II., um innere Kriege dadurch zu hindern, gesetzlich gemachten Brudermorde der Thronfolger begleitet, führten zu immer größerer Erschöpfung. Östreich war schon seines jährlichen Tributes von 30,000 Dukaten an die Pforte ledig, als Murad IV. (1623–40) zur Herrschaft gelangte, der mit seinem wilden Kriegesmuth zwar vieles Verlorene wieder zu gewinnen, aber die moralische Kraft des sinkenden Reiches doch nicht von Neuem zu beleben vermochte. Sein Sohn und Nachfolger Ibrahim, verächtlich durch Laster und Grausamkeit, ward in Folge einer Empörung 1648 erdrosselt und der erst sieben Jahre alte Mohammed IV. bestieg den Thron, während dessen Minderjährigkeit die allgemeine Verwirrung noch wuchs. Seine Großmutter und seine Mutter machten sich ihren Einfluß streitig und die Janitscharen und Spahi kämpften um die Habe der von ihnen gestürzten Großveziere, bis es dem eisernen Willen des Veziers Mohammed Köprili (1656–61) gelang, durch grausame Maßregeln im Innern [357] und Krieg nach außen das Reich herzustellen. Sein Sohn und Nachfolger Achmed Köprili erlitt zwar 1664 bei St.-Gotthard gegen das kais. Heer und dessen Verbündete eine große Niederlage, focht aber glücklicher gegen Polen und Russen und nahm den Venetianern 1669 die Insel Kandia. Ein neuer Krieg mit Östreich führte den Vezier Kara Mustapha 1683 bis vor Wien, von wo er aber durch Johann Sobiesky von vereinigten poln. und deutschen Truppen zurückgeschlagen wurde. Die folgenden Jahre brachten für die Türken namhafte Verluste in Ungarn und eine Hauptniederlage bei Mohacz mit sich, während die Venetianer sich Moreas bemächtigten, welche Unfälle einen Aufruhr in Konstantinopel veranlaßten, der Mohammed IV. im J. 1687 um den Thron brachte. Sein Nachfolger Soliman III. vermochte erst nach großer Anstrengung den Krieg fortzusetzen und der Vezier Mustapha Köprili erfocht am Ende für die Regierung einige Vortheile, blieb aber 1691 in der verlorenen Schlacht bei Salankemen gegen Markgraf Ludwig von Baden. Der mit Östreich, Polen und Rußland fortgesetzte Krieg ward endlich 1699 mit dem Frieden von Karlowitz beschlossen, der zunächst eine Folge des von Prinz Eugen 1697 bei Zenta gewonnenen großen Sieges war und durch welchen Östreich den Besitz von Ungarn und Siebenbürgen, mit Ausnahme des Banats von Temeswar, Polen den von Podolien und der Ukraine, Rußland den von Asow und Venedig Morea und die Inseln im Archipel wie vor dem Kriege, zugesichert erhielt.

Das Selbstbewußtsein der verlorenen Übermacht bewog die Pforte zunächst ein friedliches System anzunehmen und ihrem Vortheil ganz entgegen, ward unter Achmed III. (1702–30), der Unruhen in Ungarn und des span. Erbfolgekriegs ungeachtet, das gute Vernehmen mit Östreich nicht gestört. Mit großer Mühe nur vermochte Karl XII. (s.d.) 1710 Feindseligkeiten wider Rußland herbeizuführen, das vom Großvezier 1711 völlig eingeschlossene Heer des Zars entging aber durch Bestechung leicht genug mit der Rückgabe von Asow seinem Untergange. Der 1715 mit der Einnahme von Morea gegen Venedig begonnene Krieg führte auch zu Feindseligkeiten mit Östreich, ward aber nach Eugen's Siegen bei Peterwardein und Belgrad durch den Frieden von Passarowitz 1718 beigelegt, welcher Belgrad und einen Theil von Serbien und der Walachei an Östreich brachte, jedoch den Türken Morea, den Venetianern aber ebenfalls ihre in Dalmatien und Albanien gemachten Eroberungen ließ. Die Vortheile eines mit Persien 1721–27 geführten Krieges gingen in dem 1729 erneuerten so schnell verloren, daß der Unwille darüber einen Aufruhr in Konstantinopel veranlaßte, welcher 1730 allen hohen Beamten das Leben und Achmed III. den Thron kostete, welchen Mahmud I. bis 1754 einnahm. In dem 1736 mit Persien geschlossenen Frieden wurden wenigstens die alten Grenzen behauptet; der im nämlichen Jahre mit Rußland ausbrechende Krieg, welchem 1737 auch Östreich beitrat, ward ohne bleibende Verluste 1739 beendigt, indem die Russen zwar die Krim, Asow, Oczakow, Orsowa und die Moldau eroberten, die östr. Heere dagegen in beständigem Nachtheil blieben und von dieser Seite daher auch Belgrad und das sonst im passarowitzer Frieden Erworbene wieder zurückgegeben, von Rußland aber keine der gemachten Eroberungen behalten wurde. Die Politik der Pforte blieb jetzt auch unter Mahmud I. Nachfolgern, Osman III. (1754–57) und Mustapha III. (1757–74), eine friedliche bis zur Erneuerung des Kriegs mit Rußland im J. 1768, der aber nach schweren Verlusten zu Lande und Verbrennung der türk. Flotte durch Alexis Orloff (s.d.), durch den nachtheiligen Frieden von Kutschuk-Kainardsche kurz nach dem Regierungsantritte des Sultan Abdul Hamid (1774–89) beendigt ward und wodurch Asow und die Hoheit über die Krim verloren ging, wo den Russen ebenfalls mehre feste Plätze blieben und die 1783 ganz mit Rußland vereinigt wurde. Der Groll über dieses Umsichgreifen Rußlands hatte 1787 einen neuen Krieg gegen dasselbe zur Folge, das in Östreich einen abermals nicht glücklichen Verbündeten erhielt und der mit letzterm ohne Verlust, mit Rußland 1791 im Frieden von Gallacz und Jassy von Selim III. (1789–1807) nach Abtretung von Oczakow, der Krim und dem Lande zwischen Bug und Dniestr beendigt, nur durch die Eifersucht der europ. Mächte der Pforte größere Verluste ersparte.

Die nächste kurze Zeit der Ruhe verwendete Selim III. zur Vorbereitung mancher, von aufgeklärten Vezieren und Sultanen längst beabsichtigten wesentlichen Veränderungen in der Verfassung, die aber bisher stets an den Janitscharen hartnäckige Widersacher gefunden hatten. Er führte unter Anderm 1792 einen Staatsrath ein und wiederholte den schon unter Mahmud I. von dem franz. Renegaten Bonneval, unter Mustapha III. vom Baron Tott vergeblich gemachten Versuch der Umbildung des Heerwesens nach europ. Muster, welche er mit mehren Großen seines Reiches als wesentlich zur Behauptung der Stellung desselben erkannt hatte. Von franz. Offizieren ward zu dem Ende ein kleines Corps eingeübt, das den Namen Nisam Dschedid, d.i. nach der neuen Ordnung, bekam. Bonaparte's Zug nach Ägypten nöthigte indessen Selim III. 1798 an Frankreich den Krieg zu erklären und mit Rußland und England gemeine Sache zu machen. Doch wurde nach dem Abzuge der Franzosen der Friede 1802 hergestellt und der rasche Wechsel der Verhältnisse brachte die Pforte bald wieder in so feindliche Stellung gegen das schon mit Persien und Frankreich in Krieg verwickelte Rußland, daß dieses noch vor im Dec. 1806 erfolgter Kriegserklärung die Moldau und Walachei besetzte. Im Febr. 1807 drang auch eine engl. Flotte durch die Dardanellen (s.d.) bis vor Konstantinopel, mußte sich aber in Folge der unter Leitung des franz. Gesandten General Sebastiani gegen sie genommenen Vertheidigungsmaßregeln bald wieder entfernen. Dagegen errangen die Russen wesentliche Vortheile; die schon 1801 gegen ihre Bedrücker aufgestandenen Serbier fanden bei ihnen bereitwillige Unterstützung und nach fortgesetztem Kampfe konnte ihnen die Pforte 1815 unter Anerkennung ihrer Oberherrlichkeit die Verwaltung des Landes durch eigne Fürsten nicht mehr verweigern. (S. Serbien.) Aber auch die den eingeführten Neuerungen feindliche Partei der Janitscharen, in deren Interesse schon 1797 in Widdin durch Paßwan Oglu eine so mächtige Empörung ausbrach, daß der Sultan dem Haupte derselben die Herstellung der dortigen alten Einrichtungen und die Statthalterschaft selbst zugestehen mußte, erregte mit dem über die Unfälle der osman. Waffen unwilligen Volke in Konstantinopel selbst einen Aufruhr, der nach vielem Blutvergießen am 29. Mai 1807 die Absetzung Selim III. und die Erhebung [358] seines blödsinnigen Neffen Mustapha IV. auf den Thron zur Folge hatte, der alle neuen Einrichtungen abschaffte und mit Rußland im Aug. den Waffenstillstand von Slobodin abschloß. Die damit gewonnene Ruhe nach außen benutzte der tapferste und treueste Feldherr Selim III., Mustapha Bairaktar, Pascha von Rustschuk, im Jul. 1808 zu dem Versuche, mit Hülfe der von ihm errichteten regelmäßigen Truppen, Seimen genannt, die Herstellung Selim III. zu versuchen, den Mustapha IV. zwar sogleich umbringen ließ, allein doch entthront wurde, indem Bairaktar den noch regierenden Mahmud II. zum Großherrn ausrief. Zu dessen Großvezier ernannt, kostete ihm die Herstellung der neuen Einrichtungen im Nov. 1808 durch eine neue Empörung der Janitscharen das Leben, bei der auch Mustapha IV. umkam, sodaß Mahmud III., der während des Blutbades Konstantinopel verlassen und nachdem er später auch Mustapha's Nachkommenschaft hatte vertilgen lassen, der einzige noch übrige Fürst aus Osman's Stamme war. Seiner Beharrlichkeit in der Einführung neuer Einrichtungen (s. Mahmud II.) erlagen endlich nach blutigen Kämpfen 1826 auch die Janitscharen, allein wie vorher nicht in dem von 1809–12 mit den Russen geführten und durch den Frieden von Bukarescht beendigten Kriege, so wenig vermochten nachher in dem von 1828–29 und durch den Frieden von Adrianopel beschlossenen, die in Asien und Europa zugleich angegriffenen türk. Heere den Sieg zu gewinnen. Nicht minder unzureichend bewies sich oft Mahmud II. Macht zur Unterdrückung von Empörung und Züchtigung widerspenstiger Statthalter, und wurden auch die Mamluken, sowie die Wechabiten oder Wahabis (s.d.), welche Mekka und Medina eingenommen hatten, durch den ägypt. Statthalter Mohammed Ali (s.d.) dauernd überwunden, so benutzte dieser doch gleichzeitig seine Macht, um seine unabhängige Herrschaft über Ägypten und die von ihm damit verbundenen Provinzen Kandia und Syrien, sowie die in Arabien und Abyssinien gemachten Eroberungen vorzubereiten. In den Jahren 1831–33 kam es zwischen ihm und der Pforte zu offenen Feindseligkeiten und die letztere ward nur durch von Rußland erbetenen, bewaffneten Beistand und die Dazwischenkunft der Gesandten der europ. Großmächte vor einer gänzlichen Niederlage bewahrt. Allein noch steht Mohammed Ali dem Sultan gerüstet gegenüber und nur der Einfluß der europ. Mächte scheint ihn zu bewegen, dem Sultan wenigstens den jährlichen Tribut zu entrichten. Auch andere Statthalter und ganze Provinzen suchten zu verschiedener Zeit eine mehr oder weniger große Unabhängigkeit zu erlangen, so 1810 der Pascha von Bagdad und der nur durch List 1822 überwundene Ali (s.d.), Pascha von Janina, der Aufstand der Griechen aber im J. 1821 brachte nach vergeblichem Bemühen, ihn zu dämpfen, für die Pforte den Verlust des ganzen Gebiets des heutigen Königreichs Griechenland (s.d.) mit sich. Die Moldau und Walachei stehen in Folge der Kriege mit Rußland, an das auch in Asien große Gebiete am schwarzen Meere verloren gingen, blos noch unter der mit jenem getheilten Schutzherrschaft der Pforte, die jeden Anspruch auf Algier aufgeben muß, seitdem dies in Frankreichs Besitze ist, von dem auch das nachbarliche Tunis in besondern Schutz genommen wird. In Tripolis gelang es jedoch 1835 einer türk. Flotte, das Ansehen der Pforte wiederherzustellen, die aber auch in Albanien und Bosnien Empörungen zu bekämpfen hatte. Ein von ihr im Jul. 1833 mit Rußland zu Chunkiar-Iskelessi auf acht Jahre eingegangenes Angriffs- und Vertheidigungsbündniß, durch welches zunächst den Kriegsfahrzeugen aller Gegner Rußlands die Fahrt durch die Dardanellen ins schwarze Meer verboten wurde, gab zu heftigen Verhandlungen mit den westl. Seemächten Anlaß. In der neuesten Zeit scheint indessen die Pforte durch größere Annäherung an England und Frankreich, mit denen 1838 auch ein neuer Handelsvertrag abgeschlossen worden ist, für jenen nordischen Bundesgenossen ein Gegengewicht bilden zu wollen.

Die Verfassung des osman. Reiches ist völlig despotisch und das Oberhaupt desselben, der Großherr, Großsultan und Padischah, dem auch wol die Titel Alempenah oder »Zuflucht der Welt«, Zilullah oder »Schatten Gottes« und Hunkiar, d.i. »Todtschläger« gegeben werden, weil er über Leben und Tod seiner Unterthanen gebietet, besitzt die unumschränkteste weltliche und als Khalif oder Haupt der Gläubigen auch die höchste geistliche Würde und Macht. Anstatt der bei christlichen Fürsten üblichen Krönung wird er in der Moschee Eyub mit dem Schwerte Mohammed's umgürtet und beschwört beim Regierungsantritte blos die Erhaltung und weitere Verbreitung der mohammedanischen Religion. Nur die bestimmten Vorschriften des Koran (s.d.) können als Schranken seines Willens betrachtet werden, der außerdem alleiniges Gesetz ist, ohne jedoch für ihn selbst mit zu gelten; doch ist auch sein Wille durch Sitte und Herkommen gebunden, die er in vielen Punkten, besonders gegen die Mohammedaner, nicht überschreiten darf, ohne Aufruhr befürchten zu müssen. Die Verwaltungsordnung oder das Kanun-Name Soliman II., sowie die von Murad II. und Mohammed II. erlassenen Gesetze sind nur zum Theil noch gültig und namentlich von Mahmud II. in vielen Bestimmungen geändert worden. Außerdem ist die »Multeka« genannte Sammlung von Vorschriften der Khalifen und angesehener Lehrer das Hauptgesetzbuch der Türken. Stellvertreter des Sultans in weltlichen Dingen ist der Vezir-Azem oder Großvezier, in geistlichen der Scheik-ul-Islam oder Mufti (s.d.); der erste führte sonst im Divan oder Staatsrathe den Vorsitz, was aber Mahmud II. jetzt auch selbst thut. Mitglieder desselben sind die Minister des Innern (Kiaja Beg) und des Äußern (Reis Effendi), der Hof- und Reichsmarschall (Tschausch Baschi), Schatzminister (Defterdar Kapussi), Großadmiral (Kapudan Pascha) und andere hohe Reichsbeamte. Aber auch bei dem aus einer Unzahl von Weibern und ihren Sklavinnen, aus Verschnittenen, Garden und Beamten aller Art bestehenden Hofstaate des Sultans befinden sich durch ihre vertraute Stellung zu ihm einflußreiche Personen, wie z.B. der Kislar-Agassi oder das Haupt der schwarzen Verschnittenen, unter dem das Innere des Serails, die Wohnungen der Frauen, die Erziehung der Kinder u.s.w. stehen. Eine eigentliche Gemahlin hat der Sultan nicht und in seinen Harem darf nie eine freigeborene Türkin aufgenommen werden, indem das Staatsgesetz ihm die Vermählung mit Töchtern einflußreicher Familien verbietet, damit künftig keine derselben Ansprüche auf den Thron aus einer solchen Verbindung herleiten könne. Dieser vererbt jetzt auf den ältesten Sohn, sonst auch, um die Regierung eines Minderjährigen [359] zu vermeiden, auf den ältesten Prinzen des regierenden Hauses, was aber gewöhnlich von Aufruhr begleitet war. Sonst wuchsen die jungen Prinzen in dem Theile des Harems heran, welcher Kafes (Käfig) heißt und den sie nie verlassen durften, auch war das Lesen des Koran und die Geschichte des osman. Reiches, sowie nach Mohammed's Gesetz die Erlernung eines Handwerks Alles, wozu sie. Anleitung erhielten; der jetzige Sultan läßt jedoch seinen Söhnen eine mehr ihrer Bestimmung angemessene Erziehung geben. Die Rechtspflege haben in größern Städten Richter, welche Molla, in den kleinern Kadi heißen, täglich zu Gericht sitzen und nach sehr einfachen Formen entscheiden. Die Obergerichte in den Provinzen verwalten die Paschen, das höchste Gericht aber, der Diwan-Chaneh, hält unter dem Vorsitze des Großveziers seine Sitzungen; ferner hat der Sultan eine Art Berufung an seine Person hergestellt, indem er zu bestimmten Zeiten öffentliche Bittschriften annimmt, auch übrigens mancherlei Veränderungen im Rechtsgange angeordnet hat. Die Ulema bilden die Körperschaft der Gesetzverständigen, gehören aber, weil der Koran allen Gesetzen zum Grunde liegt, zugleich zum geistlichen Stande und waren zeither fast allein im Besitz der Gelehrsamkeit. Eigentliche Diener der mohammedan. Religion sind die Scheichs oder gewöhnlichen Prediger in den Moscheen, die Khatibs, welche an den Freitagen das Gebet für den Sultan verrichten, die Imams, welche vorbeten und die Geschäfte bei Verheirathungen, Beschneidungen und Begräbnissen besorgen, die Muessins oder Ausrufer von den Minarets und die Kaszims oder Aufwärter in den Moscheen; sonst gehören auch hierher die Derwische (s.d.). Alle übrigen Religionsbekenntnisse werden von den Osmanen verachtet, dürfen aber in ihren Tempeln jetzt frei ausgeübt werden und stehen unter Patriarchen, Bischöfen u.s.w. Mohammedanische Schulen befinden sich fast immer bei den Moscheen und es gibt deren höhere, wo Sprachlehre, Logik und Philosophie, Rechtswissenschaft, Auslegung des Koran, Geschichte, Geographie und einige andere Lehrgegenstände nach alten Lehrbüchern getrieben werden; in den niedern wird blos dürftiger Unterricht im Lesen und Schreiben gegeben und ein Theil des Korans auswendig gelernt. Geschmack für die Künste geht den Osmanen eigentlich ab, doch besitzen sie mehre Dichter und in Konstantinopel besteht eine Gesellschaft der Dichtkunst. Auch in der Baukunst haben sie Einiges geleistet, Malerei und Bildhauerei werden aber zufolge eines Verbots Mohammed's, Menschen abzubilden, nicht getrieben; indessen hat neuerdings der Sultan selbst, indem er sich vielfach malen ließ und sein Bildniß verschenkte, das Beispiel zur Hintansetzung jenes Verbots gegeben. Ihre bisherige Musik war mehr betäubend als wohltönend, allein sie sind leidenschaftliche Freunde dieser Kunst, die jedoch bei ihnen auch durch die Unvollkommenheit der Instrumente in ihrer Ausbildung gehemmt war. Neuerdings hat aber europ. Militairmusik und Geschmack am Schauspiel in Konstantinopel Eingang gefunden. Das Arabische ist Hof-, Kirchen- und gelehrte Sprache und der türk. Literatur und Gelehrsamkeit liegt auch hauptsächlich die arab. und die pers. zum Grunde, die aber von ihr nicht überflügelt worden sind; in neuester Zeit ist jedoch Vieles zur Belebung der in der Blüte des osman. Reiches von ihren Herrschern keineswegs vernachlässigten Wissenschaften geschehen und die zwar seit 1727 eingeführte, aber ziemlich unbenutzt gelassene Buchdruckerkunst wird vielleicht auch dort der Hebel des Geistes werden.

Mit Ausnahme der Nachkommen Mohammed's (s. Emir) und der Veziere Ibrahim Khan Oglu und Köprili, welche einige Bevorzugungen genießen, kennt man in der Türkei keine Geburtsvorzüge und nur Verdienste oder Gunst bahnen den Weg zu Amt und Ehren, welche selbst Sklaven, wenn sie die Freiheit erlangt haben, sämmtlich erreichbar sind; doch kann ein Türke nie Sklave sein oder werden. Die sehr mannichfaltige Bevölkerung des osman. Reiches wird nach den vorzüglichen Stämmen eingetheilt in Osmanen, von denen im Vorhergehenden schon viel gesagt ist und die zu den stattlichsten Volksstämmen gehören; eine gewisse ernste Würde des Benehmens ist allen eigen und am Volke im Ganzen Redlichkeit, Mäßigkeit und Sittenreinheit zu rühmen, wozu sich aber ungemessene Verachtung aller andern Völker, häufig Geiz und eine alle Schranken überspringende Leidenschaftlichkeit gesellen. Bei denen aber, die Ämter bekleiden und nach der Gunst des Hofes streben, pflegen Heuchelei, Habsucht, sklavische Unterwürfigkeit gegen Vorgesetzte und Härte gegen Untergebene nicht selten zu sein. Die Frauen sind durchaus in geselliger Hinsicht auf den Verkehr mit ihrem Geschlecht beschränkt und jeder Moslem kann sich vier rechtmäßige Gattinnen, außerdem aber so viele Beischläferinnen nehmen als er erhalten kann. Ihr Aufenthalt ist der Harem (s.d.) und eine gewisse Wohlbeleibtheit wird als wesentlich zur Schönheit angesehen. Bei den Griechen, den zahlreichsten Bekennern des Christenthums im osman. Reiche, haben unter dem Drucke ihrer Beherrscher die edlen Eigenschaften ihrer Vorfahren freilich sehr verloren und verrätherische Feigheit ist an die Stelle der Tapferkeit, Verstellung und List an die der Gewandtheit getreten; am liebsten beschäftigen sie sich daher mit Handel und nichts kommt dabei ihrer Verschlagenheit gleich. Einige Freiheitsliebe blieb jedoch besonders in Morea und auf den Inseln heimisch, im Ganzen aber sind die Griechen ein geistig bewegliches, fröhliches Volk, für Tanz und Gesang leidenschaftlich eingenommen, stehen aber an Sittlichkeit den Türken meist nach, von denen sie in Tracht und Lebensweise viel angenommen haben. Die Armenier (s. Armenien) leben zahlreich in Konstantinopel, sowie außerdem in der ganzen Türkei zerstreut und sind bei ihrer ernsten, blos nach Gewinn trachtenden Betriebsamkeit zufrieden, wenn man sie ruhig ihre Handelsgeschäfte machen und des Vortheils sich freuen läßt; übrigens hat die auch die Muselmänner nicht hintansetzende Wohlthätigkeit dieses Volkes ihm von den Ulema den Namen »der Perle der Ungläubigen« eingebracht. Zu den slaw. Völkern gehören die Bosnier, Serbier, Bulgaren, Montenegriner; für Abkömmlinge der alten Macedonier wollen die Bewohner Albaniens (s.d.) gehalten sein, die Wlachen nennen sich gern Rumini oder Römer. Dazu kommen Juden und Zigeuner, Turkmanen, Tataren, Kurden, Drusen, Araber und Angehörige aller europ. Nationen, welche vorzüglich der Handel zu den Osmanen führt und die sämmtlich unter der Benennung Franken begriffen werden.

Die Landesproducte anlangend, ist es bei der den Ackerbau bedrückenden Einrichtung des osman. Reiches vorzüglich als eine Folge des herrlichen Klimas und der großen [360] Fruchtbarkeit des Bodens anzusehen, daß der Handel noch einige wichtige Ausfuhrartikel hier findet, wie Seide, Baumwolle, Wein und Südfrüchte von den Inseln und aus Kleinasien, sowie Öl, Taback, Rosinen, Krapp, Galläpfel, Mastix, Safran und einige andere Farbestoffe. Der Kunstfleiß der Osmanen ist gering und beschränkt sich auf einige der gewöhnlichern Handwerke und Gewerbe, während die meisten andern, sowie der Betrieb von Fabriken und größerer Handelsgeschäfte meist den Christen überlassen bleibt. Ausgezeichnetes leisten blos die Saffian- und Corduanarbeiter, die Waffenschmiede und die Färbereien; vorzüglich berühmt und erst seit nicht lange auch in Deutschland in gleicher Güte gefärbt, ist das als türkisches bekannte, rothe baumwollene Garn. Die bisher wenig benutzten Schätze des Mineralreichs sollen jetzt durch europ. Bergbauverständige ausgebeutet werden. Die Staatseinkünfte betragen nach den sehr abweichenden Schätzungen 12–18 Mill. Thlr., rühren vom Ertrage des Charadsch oder der Kopfsteuer der Ungläubigen und der Abgaben von ihren Grundstücken, vom Zehent der Muselmänner, von Pachtgeldern, Zöllen und dem Tribut der Schutzländer her und fließen in den Miri oder Reichsschatz, der ganz verschieden von dem kais. Schatze (Chasim Odassi) ist, zu dem die Einkünfte von den Domainen, das eingezogene Vermögen abgesetzter Staatsbeamten, Geschenke u.s.w. kommen. Das Landheer wird nach der neuen Organisation durch Mahmud II. auf 70,000 M. europ. eingeübtes oder regulaires und 25,000 M. irregulaires Fußvolk und 124,000 M. Reiterei geschätzt, auch ist seit 1834 noch eine Miliz oder Art von Landwehr eingerichtet. Die Seemacht er litt in der Schlacht bei Navarin (s.d.) einen noch nicht ersetzten Verlust und besteht aus etwa 10 Linienschiffen und 24 Fregatten. Das osman. Reich pflegt zunächst in zwei Haupttheile, den europ. und den asiat., geschieden zu werden und der erste, die europ. Türkei, 8720 ! M. mit 12 Mill. Einw., von, denen über zwei Drittheile Christen sind, gehört im Allgemeinen zu den Gebirgsländern. Aus Kroatien geht ein Zweig der dinarischen Alpen in südöstl. Richtung auf türk. Gebiet, vereinigt sich in der Nähe des Zusammenflusses der beiden Drina mit dem Tschar-Dagh, den Hauptgebirgsknoten der osman. Gebirge und führt, wie dieses, in seinen zahlreichen Fortsetzungen eine Menge Specialnamen. Vom Tschar-Dagh südl. erstreckt sich das hellenische Gebirge, zu dem auch das Mezzowogebirge oder Pindus gehört; der östl. Theil des Hauptgebirgszuges endlich heißt der Hämus oder Balkan (s.d.). Messungen ausgezeichneter Höhen dieser zum Theil äußerst zerklüfteten, schroffen und rauhen Gebirge sind nur wenige bekannt, da jedoch keine derselben das ganze Jahr hindurch mit Schnee bedeckt ist, läßt sich annehmen, daß sie sich nicht über 8–9000 F. erheben. Die Abhänge sind zum Theil mit dichten Waldungen bedeckt, wo zahlreiches Wild und Bäre, Wölfe, Luchse und ähnliche Raubthiere hausen, doch mangelt in einigen Gegenden auch das Holz gänzlich und getrockneter Kuhmist muß als Brennmaterial dienen. Von den Flüssen entspringt keiner von einiger Wichtigkeit auf der ganzen Halbinsel, aber zahlreiche kleinere Gewässer strömen theils der im N. am osman. Gebiete entlang und in das schwarze Meer fließenden Donau (s.d.) zu, theils in die angrenzenden Meere. Landseen sind viele, aber auch meist unbedeutende vorhanden und der Dorohe in der Moldau, der Babada und Rasem an der Donaumündung, die Seen von Ochrida und Janina gehören zu den ansehnlichsten. Die nicht mehr unmittelbar unter der osman. Herrschaft stehenden Länder Serbien, Moldau und Walachei (s.d.) abgerechnet, wird das ganze Gebiet von den Türken in die beiden Hauptstädte Konstantinopel, Adrianopel und die vier Ejalets oder Landschaften Rumili oder Romanien, Bosna, Dschesair oder der Inseln und Kirid abgetheilt. Die Europäer pflegen sich jedoch an die Eintheilungen nach den alten Landschaften zu halten und hiernach begreift das Ejalet Rumili, außer den Haupt- und Residenzstädten Konstantinopel und Adrianopel (s.d.), die Landschaften Bulgarien oder die Bulgarei (s.d.), Arnaut oder Albanien (s.d.), nebst Theilen von Macedonien (s.d.), dessen Hauptstadt Salonichi mit 70000 Einw. an der östl. Bucht des danach benannten Meerbusens liegt; Thessalien (s.d.) mit den Städten Trikola mit 10,000, Jenischehr mit 25,000 Einw., in dessen Nähe das im Alterthume berühmte Thal Tempe liegt, wo sich jetzt die vorzüglichsten türk. Rothgarnfärbereien befinden; Epirus (s.d.) und Thracien (s.d.). Das Ejalet Bosna umfaßt die Landschaft Bosnien, Theile von Dalmatien und Kroatien und Hersek oder die Herzegowina. (S. Bosnien.) Das Ejalet Dschesair oder der Inseln wird von Küstenlandschaften Macedoniens und Thraciens, allen türk. Inseln des Archipels mit Ausnahme von Kandia und auch einigen Gebieten in Natolien gebildet; namentlich gehört dazu in Europa: die Halbinsel Galipoli mit der festen Stadt Galipoli, dem Sitze des Kapudan Pascha, mit 17,000 Einw. am Ausgange der Dardanellenstraße ins Meer von Marmara, an welchem Rodosto mit 6000 Einw., Silivri mit 8000 Einw. und einem Hafen, und Erekli liegen. Keschan hat 10,000, das wegen seines wichtigen Baumwollenhandels bekannte Seres am Egrisu und Stronza 30,000 Einw., Keßrje 16,000, Betaglia oder Bitoglia 15,000 Einw. Ferner die Inseln Taso oder Taschos, 34/5 ! M. und 6000 Einw.; Samothraki, 11/2 M. und 2000 Einw.; Imbro 4 ! M. und 4000 Einw.; Limije, Stalimene oder Lemnos 12 ! M. und 8000 Einw., wo die im Alterthume und noch in der Türkei als bewährtes Mittel gegen Schlangenbisse und Gift geltende Siegelerde, lemnische Erde genannt, jährlich nur einmal unter feierlichen Gebräuchen gegraben wird. Von asiat. Landschaften und Inseln gehören zu diesem Ejalet die Statthalterschaft Kodscha Ili am Marmarameere mit den Städten Isnikmid (Nicomedia) 3500 Einw.; Skutari mit 40,000 Einw., was als Vorstadt von Konstantinopel (s.d.) gilt; Isnik mit 4000 Einw., das alte Nicäa, wo in der jetzigen Moschee Orkhans im I. 325 eine berühmte Kirchenversammlung stattfand, und die Demonnesi- oder Prinkiposinseln im Marmarameere. Die Statthalterschaft Bigha mit den asiat. Dardanellen (s.d.), den Städten Bigha, Baba und den Inseln: Marmara mit 4000 Einw., Kutali und andern im Marmara-, und Tenedos, dem Schlüssel der Dardanellenstraße, mit 7000 Einw., im ägäischen Meere. Die Statthalterschaft Sighla enthält die wichtigste Handelsstadt der Levante, Smyrna (s. Natolien), den Hafenplatz Tschesme und unter mehren Inseln Samos mit 32,000 griech. [361] Einw., Patmo oder Patmos mit 2900 Einw., zur Römerzeit ein Verbannungsort, wo auch der h. Johannes eine Zeit lang war, Kalymnos mit 9000 Einw. Zur Statthalterschaft Midillii gehörten die Insel Mitylene (Lesbos) 121/2 ! M. und 50,000 Einw., mit der Hauptstadt Kastro, und die bis auf eine unbewohnten Musconisi- oder Miosconisiinseln, zur Statthalterschaft Saki die Insel Scios oder Saki 181/2 ! M. mit 20,000 meist griech. Einw., deren sie aber vor dem griech. Freiheitskriege, welchem die Insel sich anschloß und deshalb von den Türken auf das gräßlichste verheert wurde, 120,000 durch Öl-, Wein- und Mastixbau (s. Mastixbaum) sehr wohlhabender Einw. zählte. Gleiches Geschick hatte 1824 die benachbarte Felseninsel Psara oder Ipsara, damals mit 20,000, jetzt kaum 1000 Einw. Auch die Statthalterschaft Rhodos besteht nur aus Inseln, von denen der ehemalige Sitz der Johanniterritter Rhodus (s.d.), 21 ! M. mit 30,000 Einw., die wichtigste ist. Das letzte europ. Ejalet Kirid endlich oder die Insel Kandia (s.d.) gehört jetzt unter die von Mohammed Ali von Ägypten verwalteten Provinzen.

Die asiat. Türkei, 21,000 Qu. M. mit ungefähr 11 Mill. Einw., von denen sich gegen 31/2 Mill. zum Christenthume bekennen, begreift die vier Haupttheile Kleinasien, Mesopotamien, türk. Georgien und Turkomanien, d.h. türk. Armenien mit Irak-Arabi und Kurdistan; außerdem gehört dazu der oben schon erwähnte, asiat. Theil des Ejalats Dschesair und das jetzt unter der Herrschaft Mohammed Ali's von Ägypten stehende Syrien (s.d.), der sich auch das Ejalet Yemen an der arab. Westküste unterworfen hat. Boden und Klima sind außerordentlich verschieden in diesem ausgedehnten Gebiete, das sich von den Gebirgen und Hochebenen Armeniens (s.d.), wo der Euphrat oder Frat und der Tigris entspringen, allmälig gegen O. und W., schneller gegen S. abdacht. Das wilde Karduchangebirge, westl. der Karadscha-Dagh, bilden den Südrand Armeniens und das letztere, vom Tigris durchbrochen, zieht sich unter vielerlei Namen nach Mesopotamien (s.d.) hinein. Gegen W. setzt sich das armen. Hochland in nördl. und westl. sich senkenden Hochebenen fort, welche zwischen 3–5000 F. über das Meer aufsteigen, von zahlreichen Bergzügen durchschnitten werden und bald baumlose Grastriften, bald öde Flächen mit salzigen Seen, bald fruchtbare Ackerländer sind. Den minder hohen Nordrand der kleinasiat. Hochebenen endlich bildet der von den armen. Hochgebirgen ausgehende, überall wild und schroff und mit dichten Nadelholzwäldern bedeckt, zum schwarzen Meere abfallende Antitaurus oder Hassan-Dagh, den höhern Südrand aber der zum Theil schneebedeckte Taurus, der unter vielerlei örtlichen Benennungen sich durch die Halbinsel bis ans ägäische Meer erstreckt, mit seinen südl. Ausläufern die meist schroffe und mit Wald bedeckte Küste des Mittelmeeres bildet und dessen höchster Gipfel der mit ewigem Schnee bedeckte Ardschisch in Karamanien ist. Östl. von der syr.-arab. Wüste begrenzt, dehnt sich als ein schmaler Streifen am Mittelmeer Syrien hin, wo der Libanon (s.d.) und Antilibanon sich erheben. Da, wo Tigris und Euphrat die hohen Grenzgebirge Armeniens durchbrechen, gelangen sie zunächst in das theils gebirgige, theils ebene und fruchtbare Mesopotamien, ihr südl. Bett aber liegt in Irak-Arabi, dessen fetter Boden häufig Überschwemmungen ausgesetzt und von zahlreichen Kanälen durchschnitten ist. Andere bemerkenswerthe Flüsse sind der Jeschil Irmak und der Kisil Irmak oder Halys der Alten, welche ins schwarze Meer münden; der Sarabat und Bujuk Mindar oder Mäander (s.d.) ergießen sich ins ägäische Meer, der Duden, der Karasu oder Cydnus der Alten, in dem Friedrich Barbarossa ertrank, der Dschihan und Sihan und der Aasi in Syrien münden ins Mittelmeer. Der Jordan verliert sich im todten Meere oder Bahr Lud, d.i. Loth's Meer, welches mit dem See von Wan oder Ardschisch, dem galiläischen Meere oder See von Genezareth, und dem See von Antakia oder Antiochien zu den wichtigsten der asiat. Türkei gehört. Das Klima dieser Gebiete ist sehr mannichfaltig, der Winter in den armen. Hochgebirgen sehr rauh und der Sommer selbst hat kalte Nächte und häufige Stürme; in Natolien bringt der Winter zwar auch Schnee in den Gebirgen, in den Ebenen aber nur Regen und kalte Nordwinde und geht schnell in den heißen Sommer über, wo Regen selten ist, sodaß, wo keine Bewässerung stattfindet, Alles vertrocknet. Die obern Gegenden am Euphrat und Tigris sind gemäßigt, südlicher bringt der Winter keinen Frost mehr und in der Nähe ihrer Mündungen ist der Sommer ausnehmend heiß. Zu den Landeserzeugnissen gehören die meisten der im mittlern und südl. Asien einheimischen wilden Thiere und selbst Löwen hausen in den Schilfdickichten am Euphrat und Tigris; vorzügliche Hausthiere sind Schafe mit Fettschwänzen, angorische Ziegen, Kameele, Pferde, Esel und Maulthiere. Das Pflanzenreich bietet Mais, Reis, Weizen, Datteln, Pisang, Kokospalmen, Südfrüchte, Aprikosen, Pflaumen und alles ähnliche Obst, vortreffliche Gemüse, Taback, Wein, Oliven, Kapern, Mohn zur Opiumgewinnung, Zuckerrohr, Safran, Indigo, Krapp, Cochenillepflanzen, Mastix, Storax, Sodapflanzen, Baumwolle, Flachs und Hanf; Tulpen, Hyacinthen, Ranunkeln, Lilien wachsen wild; unter den Waldbäumen sind die Cedern (s.d.) von Libanon berühmt und die in den nördl. Landschaften häufigen Eichen liefern auch vorzügliche Galläpfel. Wenig benutzt sind die meisten Producte des Mineralreichs, zu denen außer edeln Metallen und Edelsteinen, Kupfer, Eisen, Reißblei, Koch- und Steinsalz, der beste Meerschaum, Braun- und Steinkohlen, Porzellanerde u.a.m. gehören. Nach der türk. Eintheilung des Landes zerfällt dasselbe in 17 Ejalets, wovon sechs auf Natolien (s.d.) kommen; das alte Cilicien und Pamphylien bildet jetzt großentheils das Ejalet Ischil, wo Tarfes, mit 30,000 Einw., ein bedeutender Handelsort und Geburtsstadt des Apostels Paulus, Itschil und Sis zu bemerken sind. Armen. Landschaften umfassen die Ejalete: Kars mit der durch den Handel nach Persien wichtigen Stadt Kars von 12,000 Einw.; Erzerum mit der festen Stadt Erzerum, die 100,000 Einw., wichtigen Handel nach dem Innern, Eisen- und Kupferwaarenfabriken besitzt; in Karahissar mit 3000 Einw. befinden sich Baumwollenwaaren- und Alaunfabriken. Das Ejalet Wan besteht aus Theilen von Armenien und Kurdistan und hier liegt am See Wan die meist von Armeniern bewohnte Stadt Wan mit 20,000 Einw.; andere bemerkenswerthe Orte sind Bidlis, Bajesid und Aklat. Ein Theil von Kurdistan (s.d.) ist das Ejalet Shehrsor mit der gleichnamigen Stadt, die an einem Felsen liegt, in welchem viele zu Wohnungen benutzte Höhlen ausgehauen [362] sind; die Stadt Arbil mit 4000 Einw. ist das durch Alexander's Sieg über Darius berühmte Arbela; zu Kerkuk befindet sich das angebliche Grab des h. Dionysius, auch gehören hierher mehre kurdische Fürstenthümer. Mesopotamien und Theile des alten Assyrien bilden die Ejalete: Bagdad mit den Städten Bagdad (s.d.), Imam-Hussein, Merdin, Nezibin; Basra mit der Stadt Basra von 60,000 Einw., die nur 4 M. vom pers. Meerbusen entfernt liegt und ein Hauptplatz für den Verkehr zwischen Indien, Persien und Konstantinopel ist; Mossul, wo die Stadt Mossul mit 60,000 Einw. am Tigris liegt, die durch Handel und Gewerbfleiß wichtig ist; Diarbekr mit der festen Stadt Kara Emid oder Diarbekr von 35,000 Einw. am Tigris; Rakka mit den Städten Rakka am Euphrat, Orsa oder Roha, dem alten Edessa und dem als Abraham's Aufenthaltsort in der Bibel genannten Haran oder Charan. Ein besonderes Ejalet bildet die Insel Cypern (s.d.) und von Syrien (s.d.), sowie von den unter die Herrschaft der Pforte gerechneten Ländern in Afrika ist in besondern Artikeln (s. Ägypten, Algier, Tripolis, Tunis) die Rede.


Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 356-363. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000850675


Herders 1856

[420] Osmanisches Reich, Türkei, Reich der Hohen Pforte, begreift in Europa außer den mittelbar abhängigen Fürstenthümern Moldau, Walachei und Serbien die Provinzen Rumelien, Bosnien, Herzegowina, Albanien, Bulgarien, Macedonien, Thessalien, die meisten Inseln des alten Griechenlands; in Asien: Kleinasien oder Anatolien, Armenien, Kurdistan, Mesopotamien, Irak Arabi, Syrien mit Palästina, die hl. Städte in Arabien; in Afrika: Aegypten mit Nubien, Tunis, Fezzan u. Tripoli, im Ganzen eine Ländermasse von 64000 QM. mit vielleicht 35 Mill. E. (Ueber diese verschiedene Länder vgl. die einzelnen Artikel.) Die Bevölkerung besteht aus etwa: 12–13 Mill. Osmanen od. Türken, 90000 stammverwandten Turkomanen, gegen 5 Mill. Araber, Drusen und Maroniten, 150000 Juden, 240000 Armeniern, 2 Mill. Griechen, 11/2 Mill. Albanesen, 4 Mill. Wlachen, 7 Mill. bulgar. und serb. Slaven. Herrschende Religion ist der sunnitische Islam mit etwa 21 Mill. Bekennern; die Zahl der Christen beläuft sich auf beinahe 14 Mill., die mit Ausnahme von 640000 lat. Katholiken, 75000 unirten Armeniern, 25000 unirten Griechen, 20000 unirten Syrern u. Chaldäern, 140000 Maroniten, 150000 Kopten u. 40000 Nestorianern, der sogen. orthodoxen griech. Kirche angehören. Die sich in der Türkei aufhaltenden Europäer heißen Franken. Der Sultan (Padischah) aus dem Geschlechte Osmans vereinigt alle weltliche und geistliche Macht in sich und ist Herr über Leben und Eigenthum aller seiner Unterthanen. Haupt der Reichsverwaltung [420] ist der Großvezier od. sein Stellvertreter (Kaimakan); den Staatsrath od. Divan bilden mit ihm die Minister verschiedener Verwaltungszweige; im außerordentlichen Divan haben auch der Mufti (Scheich al Islam) u. andere Notabeln Sitz. An der Spitze des Justizwesens steht als Stellvertreter des Sultans der Mufti, der Ausleger des Korans, welch letzterer auch das Gesetzbuch der Moslemin ist; das höchste Gericht hält der Großvezier, in der betreffenden Provinz der Pascha; die niederen Gerichte verwalten in den größeren Städten die Mollahs, in den kleineren die Kadis. Der Stand der Rechtsgelehrten, Ulemas, fällt wegen der doppelten Bedeutung des Koran als Religions- u. Gesetzbuch mit dem der Geistlichen zusammen; den Gottesdienst in den Moscheen verrichten aber die Imams, in den Klöstern die Derwische. Die eigentlichen Provinzen sind in Ejalets od. Paschaliks getheilt, diese in Livas, letztere in Kazas; militärisch sind die Ejalete in Sandschaks eingetheilt. Die Nichtmoslemin, Rajahs, können kein öffentliches Amt begleiten u. sind außerdem einer Kopf- u. Grundsteuer unterworfen. Was seit dem Hatischerif von Gülhane für sie geschehen ist, hat kaum einen andern Werth, als daß es geschrieben steht, denn nach wie vor sind die Rajahs gelegentlich jeder Erpressung u. Mißhandlung ausgesetzt. Indessen sind auch die höchsten Beamten vor plötzlicher Absetzung u. Plünderung nicht sicher, obwohl jetzt nicht mehr wie ehedem die Hinrichtung das Ende der meisten politischen Größen ist. Auf den Gang der Regierung übt nämlich der Hofstaat (das Serail) einen großen Einfluß aus. Der innere Hofstaat besteht aus den Weibern des Harem, Sultaninen, die einen Sohn geboren haben, der Sultanin Mutter, den Odalisken, Sklavinen, dem Aga der schwarzen und weißen Verschnittenen (Kislar- u. Kapi-Aga); der äußere Hofstaat hat weniger Einfluß und dient mehr zum Pompe u. zur Sicherheit des Sultans. Die jährlichen Einnahmen des Reichs werden zu 731 Mill. Piaster (1 Piaster à 40 Paras, 1 Para à 3 Asper, sonst = 1 Thlr. 10 Sgr. = 1 fl. 562/3 kr. C.-M., jetzt nur mehr = 1 Sgr. 94/9 Pfg. – 5 kr. C.-M.) oder 45 Mill. Thlr. – 78750000 fl. C.-M. veranschlagt; sie bestehen in der Kopf- und Grundsteuer der Rajahs, dem Zehnten von den Moslemin, den Ein- und Ausgangszöllen, den Steuern der Kaffehäuser, Provinzialtaxen. Die Ausgaben sind gegenwärtig bedeutend höher; die Staatsschuld mag 100 Mill. Thlr., das in Curs gesetzte Papiergeld 10 Mill. Thlr. betragen. Die Landmacht besteht aus etwa 100000 Mann regulärer Truppen und 1700000 Redifs, d.h. Milizen; die Seemacht aus 1 brauchbaren Linienschiffe, 10 Segelfregatten, 6 Dampffregatten u. kleinern Schiffen, im Ganzen aus ungefähr 60 Fahrzeugen mit 3000 Kanonen. – Das Wappen des Reichs ist ein silberner Halbmond in grünem Felde; der einzige Orden der 1852 gestiftete Medschidieh; der regierende Sultan ist Abdul Medschid, geb. 6. Mai 1822, regiert seit 1. Juli 1839. – Die Osmanen sind ein oghusisch-türk. Stamm, der um 1224 vor den Mongolen aus seiner Heimath Khorasan nach Westen floh; etwa 400 Familien traten unter Ertoghrul in die Dienste des feldschukisch-türk. Sultans von Iconium und machten sich unter Osman (geb. 1259) unabhängig, der seit 1289 sich in Phrygien und Mysien auf Kosten der Byzantiner vergrößerte. Als er 1326 starb, hatte er durch Zuzug von Stammverwandten, durch die Aufnahme von Sklaven u. Gefangenen bereits die stärkste Kriegsmacht Vorderasiens errichtet und diesem folgten in beispielloser Reihe 200 Jahre kriegerische Regenten, die für ihre Eroberungspolitik zugleich die zweckmäßigsten Mittel wählten. Orchan I. nahm 1326 Brussa, rückte an den Hellespont vor und sein Sohn Solyman setzte sich 1357 in Sestos und Gallipoli fest. Orchan errichtete auch das Corps der Janitscharen (s. d.), eine disciplinirte Truppe, welche der abendländischen Lehenmiliz um so mehr überlegen war, weil der Sultan (Padischah) bei seiner unumschränkten Gewalt eine consequentere Politik verfolgen konnte, als die von mächtigen und meistens ungehorsamen Vasallen umgebenen abendländischen[421] Monarchen. Murad I. vervollkommnete die Janitscharen u. schuf in den Timarioten (von Timar d.h. Lehen, weil sie eroberte Landgüter zu Lehen, aber nicht als Erblehen bekamen) eine treffliche, kampfbegierige Reiterei, weil der junge Reiter nur durch Krieg u. Sieg in den Besitz eines Lehens kommen konnte. Murad I. schlug seinen Sitz in dem 1362 eroberten Adrianopel auf u. besiegte 1389 auf dem Amselfelde die Albanesen und Serben. Bajazet umspannte bereits Konstantinopel von allen Seiten mit seinem Gebiete, besiegte 1396 das große abendländische Heer des Königs Sigismund von Ungarn u. Böhmen bei Nikopolis, u. obwohl der Sturm des Mongolen Timur u. Streitigkeiten um die Nachfolge nach 1402 die türk. Herrschaft erschütterten, so vereinigte doch schon 1413 Mohammed, Bajazets 4. Sohn, das Reich wieder. Murad II. vernichtete 1444 bei Varna ein poln.-ungar. Heer, schlug 1448 den Helden Hunyad durch die Schlacht von Kossowa nach Ungarn zurück, schuf eine Seemacht u. nahm so Konstantinopel jede Hoffnung auf abendländische Hilfe. Mohammed II. eroberte es 1453, deßgleichen Morea, Trapezunt, Epirus, ganz Bosnien, Negroponte, Lemnos, Kaffa u. machte den Khan der krimmʼschen Tartaren abhängig; nur der Tod hinderte seinen nachdrücklichen Angriff auf Italien, wo er bereits Otranto genommen hatte. Selim I., sein Enkel, warf die Perser über den Tigris zurück, eroberte 1517 Syrien und Aegypten, und nahm die heiligen Städte unter seine Schutzherrlichkeit. Den größten Glanz erlangte das Reich unter Soliman II.; dieser eroberte Mesopotamien u. Georgien, mehr als die Hälfte von Ungarn, erwarb durch Haireddin Barbarossa die Oberherrschaft über die Barbareskenstaaten und eine Seemacht im mittelländ. Meere, mit der er Rhodus eroberte; zugleich zeigte ihm aber die vergebliche Belagerung Wiens und Lavalettas, daß er gegen Westen nicht weiter vordringen könne. Unter ihm wurde die Einrichtung des Reichs, die Mohammed II. begonnen hatte, vollendet: unumschränkte Despotie des Sultans; Hausgesetze, welche den Sultan und die Thronfolge sicherten (Hinrichtung der Brüder des Sultans; Erdrosselung der von den Töchtern des Sultans gebornen Kinder etc.); unumschränkte Gewalt der Beamten, gezügelt durch den Schrecken vor der Strafe des Sultans im Falle des Mißbrauchs. An eine innere Vereinigung der Theile des Reichs war schon bei der despotischen Einrichtung, die jede Bewegung hemmte, nicht zu denken, um so weniger, als der Gegensatz zwischen den herrschenden Moslemin und den unterworfenen Christen, so lange der Koran gilt, ein nie zu beseitigender bleiben muß. Die großen Sultane ließen zwar den unterworfenen Rajahs die meisten ihrer Einrichtungen, ja sogar eine gewisse Selbstregierung, aber diese war durch kein Gesetz gesichert und wurde durch brutale Unterdrückung vielmal unterbrochen. Nach Soliman II. (gest. 1566) begann der Zerfall mit der Haremsregierung; unter Selim II. wurde zwar noch Cypern erobert, aber die Seeschlacht von Lepanto verloren; unter Murad III. (1574–95), Mohammed III. (1595–96), Achmed I. (1596–1617), Osman II. (1617–1619), Murad IV. (1623–1640), wurde ohne Glück gegen Oesterreich, Venedig u. Persien gekämpft und begann en die Janitscharen ihnen mißfällige Sultane abzusetzen u. zu ermorden. Dem raschen Sinken des Reichs durch innere Verderbniß thaten im 17. Jahrh. die Köprilis (s. d.) Einhalt, aber der Sieg Montecuculis bei St. Gotthard (1664), die Niederlagen vor Wien (1683), bei Mohacz (1687), bei Salankemen (1691), bei Zentha (1797), bei Peterwardein (1716), bei Belgrad (1717), brachen den Siegesmuth der Osmanen, u. im Frieden von Passarowitz 1718 mußte die hohe Pforte an Oesterreich beträchtliche Gebiete abtreten. Zwar gab Peter I. nach seinem unglücklichen Feldzuge 1711 Asow wieder heraus, verloren die Venetianer Morea wieder und mußte Oesterreich 1739 Eugens Eroberungen zurückgeben; dafür trat aber Rußland um so furchtbarer auf u. erschütterte durch die Kriege von 1768–74 u. 1787–92 das osman. Reich in seinen Grundfesten. Die Oberhoheit über die Krim, das Land vom [422] Dniepr bis zum Dniestr ging verloren, deßgleichen die Bukowina, u. außerdem nahm Rußland seit 1774, dem Frieden von Turkmantschai, eine Art Schutzrecht über die griech. Rajahs in Anspruch. Seitdem arbeitete Rußland unaufhörlich u. mit allen Mitteln an der Zerstörung der Türkei, die sich nur darum bisher erhalten hat, weil sie zur Bedingung des europäischen Gleichgewichts geworden ist. Seit 1792 wechselten Aufstände der Paschas, der Rajahs u. russ. Kriege regelmäßig ab und das Bestreben der Sultane, den Staat und vor allem das Heerwesen nach europäischer Weise zu reorganisiren, hat offenbar nur zur schnelleren Auflösung beigetragen. Sultan Selim III. wurde deßwegen 1807 von den Janitscharen abgesetzt und ermordet, Sultan Mahmud vernichtete zwar 1826 die Janitscharen, aber damit auch den besten Theil der türk. Wehrkraft. Ueberdies führte er lauter unglückliche Kriege; nach dem Kriege von 1806 bis 1812 gegen Rußland wurde im Frieden zu Bukarest Bessarabien abgetreten; 1801–14 erkämpften die Serben eine gewisse Unabhängigkeit; der griech. Aufstand endlich, 1821–29, der durch die Einmischung Rußlands, Englands und Frankreichs gelang, entriß der Pforte nicht nur die südl. Provinzen, sondern schadete ihrem Ansehen unheilbar in den Augen der Rajahs, während das Königreich Griechenland seine Bestimmung darin suchen muß, sich auf Kosten der Türkei zu vergrößern. Außerdem vernichtete Rußland durch den Krieg von 1828–29 das kaum errichtete neue türk. Heer, gewann einen wahrhaft beherrschenden Einfluß auf Montenegro, Serbien, die Moldau u. Walachei, die Herrschaft über die Donaumündungen, in Asien Anapa und Achalzik, wodurch es die kaukas. Bergvölker vollends umzingelte. Die Empörung des Vicekönigs von Aegypten (s. Aegypten u. Mehemet Ali) war 1832–33 ebenfalls gegen die Waffen des Sultans glücklich, der sich durch russ. Hilfe in Konstantinopel vor seinem Vasallen sichern mußte, und 1839 wies allein das Bündniß Rußlands, Oesterreichs, Preußens u. Frankreichs den Aegyptier in seine Gränzen zurück, was Mahmud II. (gest. 1. Juli 1839) nicht mehr erlebte. Sein 16jähriger Sohn u. Nachfolger Abdul Medschid bemühte sich bisher vergebens, eine geordnete Verwaltung herzustellen, ebensowenig hat der Hatischerif von Gülhane, der allen Unterthanen Sicherheit der Personen und des Eigenthums, geordnete Steuererhebung, Gleichheit vor dem Gesetz zwischen Rajahs u. Türken, und letzteren statt der willkürlichen Aushebungen eine geordnete Conscription versprach, Erfüllung gefunden u. finden können. Theils hinderten dies Aufstände, die indessen glücklich gedämpft wurden, theils die Natur der Dinge selbst, indem sich Türke u. Grieche niemals als gleichberechtigt ansehen werden u. können. Endlich wollte sich Rußland 1853 seinen entscheidenden Einfluß in Konstantinopel gegenüber den Anstrengungen Frankreichs und Englands neu sichern, und brachte durch Menschikows Sendung die Krisis zum Ausbruche, indem sich die Türken nicht einschüchtern ließen und im Vertrauen auf abendländische Hilfe die fortdauernde Besetzung der Moldau und Walachei als Kriegsfall erklärten. Der im Nov. 1853 durch das Gefecht von Oltenitza eröffnete Krieg hat zwar den kriegerischen Geist der Türken aufʼs Neue bewährt, aber auch bewiesen, daß sie den Russen keine Hauptschlacht mehr zu liefern im Stande sind. Im Januar 1856 hat Rußland die Forderungen Oesterreichs, welches diese vorher mit den Westmächten vereinbarte, unbedingt annehmen müssen; mag aber der Friede ausfallen wie er will, jedenfalls steht die Türkei schwächer u. erschöpfter als je da. (Ueber die Geschichte des Osmanischen Reichs vergl. die class. Schriften von Hammer (s. d.); Poujoulat »Histoire de Constantinople, comprenant le Bas-Empire et lʼempire ottoman« Paris 1853.)

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 420-423. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003457222


Pierer 1864

[2] Türkisches Reich (Osmanisches Reich), die gesammten Ländermassen, welche unter der unmittelbaren Herrschaft des Sultans (Padischah) in Constantinopel stehen, sich in Europa, Asien u. Afrika um das Becken des Mittelmeeres ausdehnen u. zusammen einen Flächeninhalt von über 86,000 QM. einnehmen, mit einer Bevölkerung von 37 Mill. Einwohnern. A) Die Europäische Türkei (Osmanisches Europa); grenzt an Süd-Rußland, Österreich, Galizien, Siebenbürgen, Ungarn, Slawonien, Kroatien u. Dalmatien, das Adriatische Meer, Griechenland, das Ägäische u. Schwarze Meer; von der Asiatischen Türkei wird sie durch die Straße der Dardanellen, das Marmorameer u. die Straße von Constantinopel geschieden; sie begreift auch den größten Theil der den Archipelagus bildenden Inseln, 9776 QM., u. bildet mit Griechenland die östlichste der großen Halbinseln Südeuropas, die sogenannte Balkan- d. Türkisch-Griechische Halbinsel. Offenbar hat die Europäische Türkei unter allen Halbinseln Europas die glücklichste Weltstellung. Im Norden ist sie durch ihre Landgrenze in Berührung mit zwei der mächtigsten Staaten des Erdtheiles, Rußland u. Österreich, u. die Donau könnte sie unmittelbar an alle Handelsinteressen Mitteleuropas knüpfen; aus der Südseite bildet sie das vermittelnde Glied zwischen Abend- u. Morgenland, beherrscht den Zugang zum Schwarzen Meere, sowie das Agäische Meer u. die ganze Osthälfte des Mittelmeeres, u. es gibt keinen Punkt in Europa, welchen die Natur ausdrücklicher zum Sitze eines Welthandels bestimmt zu haben scheint, als die Hauptstadt Constantinopel. Die Küstenlänge beträgt 383 Meilen, so daß 25 QM. auf 1 Meile Küste kommen. Das Gebiet besteht aus unmittelbaren u. mittelbaren Ländern. Die unmittelbaren Länder sind die alten Provinzen Thracien, Bulgarien, Bosnien mit Türkisch-Kroatien u. der Herzegowina, Albanien, Macedonien u. Thessalien, sowie die Inseln; die mittelbaren Länder (Schutzstaaten) sind die Moldau, Walachei u. Serbien. Im Allgemeinen ist die Oberfläche gebirgig, doch ist das Gebirgs system nicht durch eine hohe Centralkette zu einem organisch gegliederten Ganzen gebildet, sondern das Land ist von verschiedenartig gelagerten Bergketten durchzogen. Am Meerbusen von Fiume zweigt sich von den Julischen Alpen der Zug der Dinarischen od. Dalmatiner Alpen südöstlich ab, welche sich in ihrem Verlaufe zu dem Gebirgsstocke von Montenegro vereinigen. Von hier weiter nach Südosten thürmt sich der wahrscheinlich höchste Gebirgsstock der Halbinsel aus, der Schar-Dagh, dessen Gipfel aus 8000 Fuß geschätzt werden. Der Gebirgsrücken, welcher vom Schar-Dagh als Wasserscheide zwischen Donau u. Agäischem Meere nach Osten zieht, führt verschiedene Namen: Argentarogebirge, Egrisu-Dagh, Kurbetska, Planina, Orbelus. Von ihm zweigt sich östlich der Balkan ab, zunächst in einem Hauptzuge, weiter im Osten in Parallelketten, eine nördliche, der Kleine Balkan, u. eine südliche, der Große Balkan, welcher im Cap Emineh, am Schwarzen Meer endigt. Wahrscheinlich übersteigt die höchste Höhe der Balkangipfel nicht 3500 Fuß. Längs des Schwarzen Meeres streicht vom Ostende des Balkan das Strandscheagebirge bis an den Bosporus; vom Westende des Balkan zieht südöstlich der Despoto-Dagh (Rhodope), weiterhin Tekiri-Dagh genannt, bis zum Marmorameer. Von dem Berglande von Montenegro u. dem Schar'Dagh zieht südwärts die Kette des Bora-Dagh (Pindus), welche bis 7000 Fuß steigen mag u. von welcher sich nach Westen die wilden Terrassenlandschaften von Albanien abzweigen; am Südende des Bora-Dagh (unter 40° nördl. Breite) liegt der 3000 Fuß hohe Gebirgsknoten von Mezzowo (Lakmon der Alten), welchen man die Wurzel aller Halbinselgebirge nennen kann; nach allen Himmelsrichtungen strahlen Gebirgsmassen u. Ketten von ihm aus: nach Osten das Voluzzagebirge zum Busen von Saloniki, nach Nordwesten u. Südwesten die unzugänglichen Gebirgsmassen von Epirus, in denen einzelne Punkte 7000 Fuß erreichen. Die Ebenen zwischen diesen Gebirgsgliedern sind von verhältnißmäßig geringer Ausdehnung, so die der Save, der Narenta in der Herzegowina, die des Salambria in Thessalien, die des Vardar in Makedonien, die des Maritza in Thracien; am bedeutendsten sind die Ebenen im Norden der Donau, wo erst weit ab von diesem Strome das Walachische Tiefland zu Anhöhen aufsteigt, welche mit dem Gebirgszuge in Verbindung stehen, der in weiter Krümmung die Walachei u. Moldau von Siebenbürgen trennt u. 7–8000 Fuß aufsteigt. Hier in den Niederungen der Walachei finden sich auch ziemlich häufig seeartige Sümpfe. Von den Vorgebirgen sind die bedeutendsten am Adriatischen Meere: Cap Rodoni, Pali, Laghi, Linguetta (Glossa); am Ägäischen Meere: C. Hag. Dimitri, Zagora, Paliuri, Drepano, Monte Santo (C. Hag. Giorgi), Stiliburm; am Marmorameer: C. Anastasia u. am Schwarzen Meere: C. Karaburnu, Emineh Burnu u. Kali Akra (Tscheligra Burnu). Geognostisch herrschen die krystallinischen Schiefergebirge, die Kreide- u. die tertiären Bildungen unter allen Formationen am meisten vor; unter diesen überwiegen wieder die beiden letzteren an Ausdehnung die krystallinischen Schiefer. Von den vielen Pässen über die Gebirge sind die hauptsächlichsten: in Bosnien die von Bielopolje, Sienitza u. Pristina; in Albanien die von Prisrend, Tattowo, Konidscha, Lepeni, Ochrida, Mezzowo u. Trikala; in Thessalien der von Palatmina; von Serbien nach Macedonien der Paß von Katschanik; aus Bulgarien nach Thracien das Eiserne Thor (Demir-Kapu), ferner die Pässe von Gebrowa nach Kasanlik, von Osmanbazar nach Karnebat, von Parawady nach Aidos u. von Varna längs der Küste. Die bemerkenswerthesten Meerbusen sind an der Westküste: die von Drino, Durazzo, Avlona u. Arta; im Ägäischen Meere die von Volo, Saloniki, Kassandra, Monte Santo, Orphano, Euos u. Saros;[1] im Schwarzen Meere die Busen von Burgas u. Varna. Die bedeutendsten Halbinseln sind die Chalcidische u. die von Galipolis. An schiffbaren Strömen ist die Europäische Türkei verhältnißmäßig arm. Hauptstrom ist die Donau, Grenzfluß auf einer Strecke gegen Österreich; nimmt auf der Südseite die Save (ebenfalls Grenzfluß mit Österreich, mit den Nebenflüssen Unna, Verbas, Bosna, Drina, Kolubara türkischer Seits), die Morawa, den Timok, Isker, Jantra, Kara- od. Ake-Lom u.a., auf der Nordseite den Schyll, Aluta, Ardschisch mit Dumbowitza, Ialonitza, Sereth, Pruth u.a. auf. Viele von diesen Flüssen sind schiffbar, die Donau auch für Dampfschiffe. Küstenflüsse sind: des Adriatischen Meeres: Drin, Tobi (Iskumi), Vojussa; des Ionischen: Dris, Kalamas, Arta, Aspropotamo (in Griechenland mündend); des Ägäischen: Salambria, Vistrizza, Barbar, Karasu (Strymon), Maritza (Hebros), größter Fluß der Europäischen Türkei außer der Donau, mit den Nebenflüssen Stanimak, Usundscha, Arda, Tundscha, Gernitza, Erkene u.a.; des Schwarzen Meeres: der Kamsik; zum Marmormeer laufen ganz unbedeutende Gewässer. Unter den vielen Landseen sind die bedeutendsten: die von Skutari, von Ochrida u. von Janina in Albanien, der Karlas in Thessalien, der Kastoria, Betschik, Jenidsche, Presbau u. der Takinos in Macedonien, der Jesero in der Herzegowina, der Ramsin in Bulgarien, die Seen längs der Donau u. in der Walachei u. Moldau, der Jalpuch, Sasyk od. Kurduk, Schassany, Alibai u.a. in der Moldau. Von den bekannten Mineralwassern sind die meisten warme u. Schwefelquellen, da diese den Türken bei ihrer Gewohnheit häufig zu baden am meisten zusagen; geringere Aufmerksamkeit ist auf die kalten Mineralwasser verwendet. Außer in Albanien u. Bulgarien gibt es überall warme Quellen. Sauerbrunnen kennt man nur in Serbien u. Bosnien. Klima durch den Balkan verschieden; obgleich es überall mild ist, ist es doch nördlicher rauher, oft Frost, auch Schnee bringend, südwärts freundlicher, mit wenig Frost u. selten Schnee, aber mit zuweilen drückender Hitze, jedoch oft durch Winde vom Schwarzen Meer gemildert. Die Luft ist gesund, zuweilen erscheint jedoch die Pest, bes. im Süden, in neuerer Zeit seltener; Erdbeben kommen auch vor. Die hauptsächlichsten Producte sind aus dem Thierreich: Pferde (von besonderer Güte), Kameele, Maulthiere, Esel, Rindvieh, Schafe, Schweine, Ziegen (alle mehr od. weniger Gegenstände der Viehzucht), Roth- u. Schwarzwildpret, Hasen, Kaninchen, Gemsen, Moufflons, Gazellen, Auerochsen, Bären, Wölfe, Luchse; Seesäugethiere: Seehunde u. Delphine. Man zieht Tauben u. einiges Hausgeflügel; es gibt auch viel wildes Geflügel; die Gewässer bringen viele Fische, als Störe u. Hausen (auch zu Caviar benutzt), Welse u.a. Süßwasserfische, Thun- u.a. Seefische, so wie auch Überfluß an Muscheln, Tintenwürmern, Seeigeln; Bienen, Spanische Fliegen, Seidenwürmer, Kermesschildläuse werden benutzt; als Plage sind giftige Schlangen u. Heuschrecken häufig. Aus dem Pflanzenreiche: fast alle Getreidearten, Hülsenfrüchte, Gemüse, gute Melonen, Obst, auch edlere Südfrüchte, Wein (mit Gewinn auch von großen u. kleinen Rosinen); Färbe- u. Arzneikräuter, als bes. Mohn (zu Opium), Färberröthe, Soda, Mastix), Süßholz, Galläpfel u.a., Gummi-Traganth, Tabak, Baumwolle, viel Holz, darunter Oliven, Lorbeerbäume, Platanen. Das Mineralreich liefert Gold, Silber, Eisen, Blei, Kupfer, Steinkohlen, Schwefel, Salz (Stein- u. Seesalz), Marmor, Farben- u. Walkererde, Salpeter, Lemnische Erde, Meerschaum u.m. Vieles liegt noch ungenutzt u. verborgen.

Die Einwohner sind ein Gemisch verschiedener Nationen: a) die Osmanen, das Herrschervolk, obgleich nicht das zahlreichste (etwa 1 Mill.), sind ein Stamm der Türken (den Namen Türken halten sie aber für einen Schimpfnamen u. gebrauchen ihn nur von den im Zustande der Roheit gebliebenen Nomadenhorden der Turkomanen), schön von Gestalt u. Gesichtszügen; der Osmane ist von klarem, gesundem Verstand, würdevoll u. tapfer, abgehärtet, ernst, gastfrei, mäßig im Essen, üppig in der Kleidung, das Alter ehrend, redlich im Handel u. Wandel, bigott im Islam, blind dem Fatalismus anhangend, sich daher um kein nahe bevorstehendes od. bereits geschehenes Lebensunglück bekümmernd, aber fest an eine stets waltende Vorsehung glaubend (Selbstmord ist unter ihnen fast unbekannt), abergläubisch (man glaubt an das böse Auge, die günstige od. nachtheilige Einwirkung von Edelsteinen, Prophezeihungen, Astrologie, Zauberer u. Hexen, wofür bes. die alten Juden u. Zigeuner gelten etc.), verehrt die Wahnsinnigen u. tastet sie unter keinen Umständen an, sondern gibt ihnen vielmehr in den Moscheen Aufenthalt; außerdem ist der Osmane herrschsüchtig, verachtet alle übrigen Nationen, am meisten die Christen u. Europäer; ferner ist der Osmane ohne Ausbildung seiner guten natürlichen Fähigkeiten u. Anlagen u. ohne Sinn, für Verbesserungen, dabei zum Aufruhr geneigt. Schlechter ist der Charakter der am Hofe Lebenden, welche oft Hinterlist, Feigheit, Habsucht, Sklavensinn zeigen; Sittenlosigkeit herrscht bei Vielen (Opiumgenuß u. Knabenliebe). Die Frauen, deren jeder Osmane vier (Nikiahfrauen), u. Beischläferinnen, so viel er will, haben kann, werden bei den Reichen in Harems eingeschlossen. Dennoch haben die gemeinen Osmanen selten mehr als Eine Frau, die Ärmeren leben ganz ehelos. Die Ehe ist bei den Osmanli nur ein bürgerlicher Contract, welcher vor Gericht von dem Mann mit der Familie der Frau geschlossen u. worin das Eingebrachte, das Leibgedinge der Frau, was ihr nach dem Tode des Mannes od. im Fall der Scheidung verbleiben soll etc., verzeichnet sind; der Kadi unterschreibt ihn. Solche Verschreibungen sind selbst vor Vermögensconfiscation sicher; oft verschreibt daher ein Großer, um im Fall der Absetzung u. Vermögensconfiscation noch wohlhabend zu bleiben, sein ganzes Vermögen seiner Frau. Oft bedingt sich die Frau, daß der Mann keine zweite Frau nehmen darf. Dennoch sind die Kinder der Sklavinnen eben so legitim, als die der wirklichen Frauen. Der Imam segnet die Ehe ein; über die Hochzeitsceremonien selbst s.u. Hochzeit S. 431. Zur Scheidung ist nur nöthig, daß der Mann einen Scheidebrief gibt, doch ist dies eine Seltenheit; auch die Frau darf darauf antragen. Die Frauen erscheinen immer mit, durch zwei Musselinbinden oben u. unten verbundenem Gesicht, so daß nur die Augen durchblicken. In mehren Gegenden, bes. Asiens, gehen aber die türkischen Frauen unverschleiert u. mit unverbundenem Gesicht. Kranke Frauen entschleiern sich nur bei größter Gefahr u. in Gegenwart des Mannes od. einer Dienerin dem Arzte, aber[2] auch wo möglich nur theilweise; so lassen sie Augen, Zunge sehen, verdecken aber das übrige Gesicht. Den Puls darf der Arzt nur durch eine Musselinschleife fühlen. Weiber verrichten die meisten Curen u. dienen als Hebammen (Eben Kadine); ein Accoucheur wäre bei Entbindungen auch bei der größten Gefahr unerhört. Die Frauen besuchen sich oft u. erwidern den Besuch stets, außerdem conversiren sie mit Bekanntinnen viel u. lange in den Bädern. Die Anwesenheit einer anderen Frau im Harem wird durch Pantoffeln vor dem Frauengemach angedeutet, u. der Mann darf dann, so lange diese dastehen, den Harem nicht betreten. Die Frauen besuchen oft anmuthige Orte vor den Städten u. Vergnügen sich hier mit Spielen; Männer halten sich von solchen Orten fern. Nie aber erscheinen sie mit dem Manne. Von Männern nehmen Frauen keinen Besuch an, nur selten bei großen Festen, Heirathen, Entbindungen, Beschneidungen machen die nächsten Verwandten, wie Vater, Bruder etc., ihnen Besuche, aber nur in Gegenwart des Mannes od. von Sklavinnen. Hier erscheinen die Frauen unverschleiert. Auch Mädchen halten sich sehr züchtig u. gehen stets verschleiert; nie ist eine Frau Hökerin od. Krämerin, nur in die Harems tragen alte Weiber Kleinigkeiten zu Putzsachen zum Verkauf. Nur Ärmere gehen allein auf den Straßen, Vornehme stets in Begleitung von Eunuchen od. anderen Sklaven; oft fahren sie auch in geschlossenen u. mit Vorhängen umhängten Wagen (Araba). Die Frauen genießen im Harem manche Rechte u. haben auch Einfluß, sie leiten die Erziehung ihrer Kinder, verachten aber die europäischen Verhältnisse. Untreue der Frauen kommt selten vor u. wird, wenn erwiesen, von dem Gatten in hergebrachter Weise damit bestraft, daß der Verführer ermordet, die Verführte ertränkt wird. Auch türkische Freudenmädchen gibt es trotz der Vielweiberei. Die erste Klasse (Almehs) sind in Dichtkunst, Saitenspiel u. Tanz sehr erfahren; ihre gemeineren Schwestern aber wohnen in größeren Städten in eigenen Stadttheilen u. stehen unter einer alten Kupplerin. Im Harem bringt der Osmanli den größten Theil seiner Zeit mit untergeschlagenen Füßen, der allgemeinen Weise der Osmanen, auf Polstern sitzend u. bequem lehnend, mit Tabaksrauchen zu. Auch die Frauen rauchen. Nahrung: Brod, oft von Mais, Hammelfleisch od. Geflügel, Gemüse, Eier-, Mehl- u. Milchspeisen, Pilau (s.d.), bei Ärmeren das Hauptgericht, Käse, Weintrauben, Wassermelonen od. süße Reisspeise mit Rosinen, bes. aber Pastetchen u. Kuchen aller Art. Der Osmane frühstückt nicht, od. nimmt höchstens eine Tasse Kaffee, u. hält dann zwei Mahlzeiten, Morgens zwischen 10 u. 11 Uhr u. Abends nach Sonnenuntergang die Hauptmahlzeit (Akscham); Getränk: in der Regel Wasser, seltener Milch, dagegen ist schwarzer, sehr starker Kaffee, aus sehr kleinen Tassen getrunken, ihnen fast unentbehrlich. Das Enthalten vom Genuß des Weines ist jetzt bei den vornehmen Osmanen bei weitem nicht so streng als sonst, auch das betreffende Gesetz ist seit 1826 von Mahmud II. aufgehoben. Außerdem ist der Genuß des Opiums sehr im Gange. Mit diesem u. bes. mit Wein u. Branntwein Berauschte sind indessen bei den Türken verachtet; Weinschenken u. Kaffeehäuser sind Regal der Regierung u. werden verpachtet; auch Restaurationen gibt es in den größeren Städten, in kleineren u. Dörfern ersetzen die Bäcker deren Stelle. Die Wohnungen sind unansehnlich u. schmucklos; die Privathäuser sind nach der Lehre des Koran (welcher jede Stadt der Osmanen nur als ein Feldlager betrachtet wissen will), meist von Holz u. einstöckig gebaut (daher u. aus Mangel an Feuerspritzen die vielen Feuersbrünste in großen Städten, welche oft mehre tausend Wohnungen verzehren) u. haben im Inneren einen viereckigen Hof, nach welchem die Fenster gehen, während nach außen nur ein eng vergitterter Vorsprung, wo die Frauen sitzen u. Beobachtungen anstellen, u. einige Gitterfenster vorhanden sind. Die Fenster sind gewöhnlich rund, meist ohne Glas, welches nur bei Reichen u. in großen Städten üblich ist; bei schlechtem Wetter setzt man in Ermangelung desselben nur einen Rahmen mit geöltem Papier vor. Der Hof ist bei Reichen mit Marmor ausgelegt, auch wohl mit Säulen umgeben, oft bei schönem Wetter mit Teppichen belegt u. ringsum mit Diwans besetzt. Ähnlich sind die kleinen Zimmer eingerichtet, sie sind meist geweißt, selten zieren Arabesken die Wände u. Decken; auch hier sind außer den Diwans, Teppichen auf dem Fußboden u. Vorhängen, welche die Fenster verdecken, keine Meubles vorhanden, doch enthält das Zimmer meist Wandschränke; auch haben die Häuser fast durchgängig keine Keller. Stets ist die Wohnung des Mannes u. seiner Diener (Salem-Lik) von dem Harem, der Wohnung für die Frauen, durch eine Mauer getrennt. Die Dächer sind meist flach. Türkische Architekten gibt es nicht, meist baut sich der Bauherr sein Haus selbst od. nimmt Griechen, Armenier u. Franken dazu. Die Osmanlis lieben die Gärten sehr; stets sind in denselben Kiosks u. Pavillons von Platanen beschattet u. neben ihnen ein od. einige Springbrunnen angebracht. Die öffentlichen Gebäude, bes. die Moscheen (s.d.), sind im maurischen u. persischen Baustyl, überladen u. pomphaft, wegen der häufig angebrachten Kuppeln neben den schlanken Minarets, auf deren Spitze der Halbmond glänzt, aber zierlich gebaut, doch meist ohne richtiges Verhältniß u. Symmetrie. Säulen werden häufig zur Verzierung, aber nicht in edeln Verhältnissen verwendet. Die Brücken sind selten von Stein, meist von Holz. Malerei u. Bildhauerkunst sind den Türken schon aus Religionsgründen fremd, da der Islam Darstellungen von menschlichen Figuren, als zur Abgötterei führend, verbietet; Griechen u. Armenier fertigen aber Arabeskenzierrathen für Moscheen, Diwans u. Gebäude der Reichen. Zuweilen zieren rohe Landschaften u. Städtegemälde die Häuser der Vornehmen u. Reichen, bes. die Harems. Die Nationalkleidung: bei Männern, welche nicht in Militär- od. Civildienst stehen, ein faltenreicher Rock (Kaftan), weite lange Beinkleider, eine Weste ohne Kragen unter dem Kaftan, eine lange Binde von farbigem Zeug um den Leib geschlungen, ein langes Hemd, meist gelbe Pantoffeln, bei schlechtem Wetter mit weiten Schuhen darüber, bunte od. gestickte Stiefeln, Turban bei Vornehmen mit Reiherbusch, ein langer, sorgsam gepflegter Bart, bei jüngeren Leuten ein Schnurrbart, glatt abgeschorene Haare, bis auf einen langen Büschel (Kiba) auf dem Scheitel, im Gürtel ein Dolch (Khandiar), an der Seite ein Säbel; die Frauen in ähnlicher Kleidung, auch mit weiten Beinkleidern, das Gesicht mit Schleiern (s. oben) tief umhüllt u. am Fuß gelbe Pantoffeln, beim Ausgehen doppelte übereinander, von denen, sie ein Paar beim Eintritt in fremde Harems zurücklassen, [3] Schmuck aller Art, Ohrringe, Halsbänder von türkischen Ducaten, Edelsteine in das Haar geflochten; weiße u. rothe Schminke, selbst Schminkpflästerchen legen sie fast immer an, malen die Augenbrauen schwarz u. färben sich die Nägel mit Alkanna. Die Beamten tragen jetzt ein eigenes Costüm, wo der krapprothe, gesilzte, weit über die Ohren gezogene Feß mit großer blauer Quaste u. ohne Schirm den Turban, der polnische schwarze Oberrock den Kaftan, die Pantalons die weiten Beinkleider verdrängt haben. Statt des langen Bartes trägt man einen Schnurrbart. Regen- u. Sonnenschirme sind noch nicht allgemein üblich. Religion ist der Islam (s.d.), u. zwar gehören die Türken zur Partei der Sunniten. Die Kinder werden nach der Geburt beschnitten (s. Beschneidung) u. ihnen dabei der Name gegeben. Von den Hochzeitgebräuchen s.u. Hochzeit S. 431; von den Gebräuchen bei der Bestattung der Todten u. ihren Leichenäckern s.u. Todtenbestattung S. 651 u. Todtenacker. Sprache: die Türkische (s.d.); die heilige, Hof- u. Gelehrtensprache ist die Arabische. Vergnügungen der Männer sind gymnastische Spiele, vorzüglich das Dscheridwerfen, die der Frauen das Schaukeln (s.d.), außerdem wird hier u. da Federball gespielt. Auch ergötzen sich die Türken an Tänzen, welche Griechen aufführen u. die zuweilen sehr obscön sind, s.u. Tanz S. 242. Auch Kunstreiter u. Taschenspieler haben neuerdings viel Beifall gefunden. Mit theatralischen Vorstellungen ist kaum ein Anfang gemacht. Die Kaffeehäuser werden stark besucht, u. es gibt dort eigene Erzähler, welche mit Geschichten u. Märchen das rauchende Publicum unterhalten. Zum türkischen Stamme gehören außerdem noch die Yurucken, welche in geringer Anzahl auf den Hochebenen des Despotogebirges nomadisiren u. während des Winters in ihre Dörfer in der Ebene von Seres u. längs der Bergkette nordöstlich von Saloniki herabkommen; sowie die Tataren, welche, bes. Viehzucht treibend, etwa 35,000 Köpfe, sich in der Dobrudscha angesiedelt haben, u. die Magyaren, 45,000 Seelen, in der Moldau u. in geringer Anzahl in der Walachei.

b) Zum Griechischen Stamme gehören die eigentlichen Griechen u. die Skipetaren (Albaner, Arnauten). Die Griechen bewohnen das ganze Gestade des Ägäischen, Marmora u. Schwarzen Meeres u. haben ihr Centrum in der Chalcidischen Halbinsel, wo sie meist ganz unvermischt leben; auf den Inseln bildet das griechische Volk die einzige Einwohnerschaft mit Ausnahme weniger Dörfer u. einiger Quartiere in befestigten Städten. Seit den Byzantinern nennen sich die Griechen in der Türkei Romanen (Ῥωμαῖοι), von den Türken werden sie Rumler (Singular: Rum), von den Slawen Reki genannt; ihre Sprache ist das Neu-Griechische (s.d.); sie sind sämmtlich Christen u. betragen etwa 1 Mill. Seelen. Die Skipetaren, wie sie sich selbst nennen u. was so viel wie Gebirgsbewohner bedeutet, bewohnen hauptsächlich Albanien (Epirus); sie mögen von den alten Illyriern abstammen, sind aber später durch hellenischen Einfluß gräcisirt worden. Nach einem der früheren Stämme, Albani, wurden sie von den Byzantinern in Arvaniti (Ἀρβανιτοί) corrumpirt, woraus die Türken den Namen Arnauten machten. Durch den Fluß Schkum sind sie in nördliche (Ghegen) u. südliche (Tosken) getrennt; zu den ersteren gehören die Stämme der Klementi, Pulati, Dukaginen u. Mirditen, zu den letzteren die Japiden, Chamiden u.a. Das Volk liebt vorzugsweise kriegerische Gewohnheiten u. läßt sich daher oft zum Heere anwerben. Nach einer gewissen Dienstzeit werden sie dann in Dörfern angesiedelt, woher es kommt, daß man an den verschiedensten Punkten der Türkei Arnautendörfer antrifft. Die nördlichen Stämme sind meist ganz unabhängig; sie sind theils katholischer, theils griechischer Religion, theils Muhammedaner; ihre Gesammtzahl wird auf 1,400,000 angegeben. c) Rumänen u. Zinzaren, zusammen etwa 4,300,000 Seelen. Die Rumänen sind die Bewohner der Walachei u. Moldau; sie selbst nennen sich Rumuni (Singular: Ruman), den Namen Walachen (s.d.) haben sie von der Bezeichnung Vlachi erhalten, welche ihnen zuerst die Byzantiner u. Magyaren beilegten. Außer in den Donaufürstenthümern findet man sie auch in Bulgarien (längs der Donau herauf bis Silistria u. in der Umgegend von Vratscha) u. im östlichen Theile von Serbien, Die Zinzaren, mit den Rumänen nahe verwandt, sind zerstreut über Niederalbanien, Thessalien u. das westliche Macedonien. d) Slawische Völkerschaften, zusammen nahe an 8 Mill. Seelen, sind: die Serben, in Serbien, Bosnien, Türkisch Kroatien, in der Herzegowina u. im nördlichen Albanien; die Bulgaren in Bulgarien u. in einem großen Theile von Macedonien u. Thracien; außerdem zerstreut unter den Albanern, Griechen u. Walachen. Russen sind in geringer Anzahl vorhanden in der Moldau u. in der Dodrudscha; die in der Moldau sind Anhänger der Secte Origenisten (Skoptzi), die in der Dobrudscha gehören der Secte Starowertzi (Altgläubige) an. Polen gibt es nur eine einzige Colonie an der Mündung des Salambria e) Semitischen Stammes gibt es Juden u. Araber. Die Juden, deren man 70,000 rechnet, sind über die ganze Türkei zerstreut, bes. in den Donaufürstenthümern zahlreich vertreten u. bewohnen in Philippopolis u. Saloniki ganze Stadttheile. Araber finden sich nur als eine mitten unter Türken bei Basardschik in der Dobrudscha lebende Kolonie. f) Armenier, etwa 400,000 Köpfe, von denen die Hälfte in Constantinopel lebt, die andere Hälfte über das ganze Land zerstreut ist u. in größerer Anzahl sich nur in Adrianopel, Philippopel, Bucharest u. Jassy vorfindet. Sämmtliche Armenier des T. R. bilden eine Nation, deren weltliche Angelegenheiten durch eine unter Bestätigung der Pforte wählbare Rathsversammlung von 20 Mitgliedern geregelt werden. In Allem, was innere Verhältnisse, Gemeindeausgaben, Schulen etc. betrifft, verwalten sie sich selbst. g) Zigeuner gibt es bes. in den Donaufürstenthümern, in Serbien, in Albanien u. an der obern Maritza; man schätzt ihre Zahl auf 200,000 Köpfe. h) Deutsche gibt es in geringer Anzahl in den größeren Städten, wie Constantinopel, Belgrad u. Bucharest, u. außerdem eine Colonie von etwa 1200 Personen in der Dobrudscha, am Südufer der Donau. Bei den Serben heißen sie Schwabi, bei den Rumänen Niamtz, bei den Türken Nemtsche. Die Gesammtzahl der Einwohner der Europäischen Türkei beträgt demnach etwa 161/2 Million. Der Religion nach sind von diesen etwa 41/2 Mill. Muhammedaner (Türken, Tataren, Bulgaren, Serben u. Skipetaren), 111/2 Mill. griechische Christen (Griechen, Rumänen, Serben, Bulgaren u. Skipetaren) u. Armenier,[4] 600,000 katholische Christen, die übrigen Juden, Zigeuner u. Protestanten (etwa nur 5000).

Obwohl im Allgemeinen die Europäische Türkei einen außerordentlich fruchtbaren Boden hat, steht dennoch der Ackerbau auf einer sehr niedrigen Stufe, theils in Folge der Indolenz der Osmanen überhaupt, theils in Folge von den Gewaltmaßregeln der Regierung, welche früher die Producenten zwang das Getreide etc. zu bestimmten Preisen zu liefern, welche oft noch dazu nicht bezahlt wurden. So kommt es, daß weite fruchtbare Strecken unbebaut liegen u. die Hauptstadt Constantinopel mit russischem Getreide aus Odessa versorgt werden muß. Man reißt den Boden mit einem schlechten Pflug mehr auf, als daß man eigentlich pflügt, räumt die Steine u. das Unkraut, bes. die Disteln, nicht weg, säet nachlässig, schneidet das Getreide sehr unordentlich ab u. vernachlässigt die Strohnutzung. Das Getreide wird meist gleich auf dem Felde ausgedroschen od. durch Vieh ausgetreten, sonst bewahrt man es im Freien, seltner in kleinen Scheunen auf. Nur die Gegenden um die Städte u. einzelne Thäler werden mehr benutzt. Getreidearten (Mais, Weizen, Gerste, Hirse, Moorhirse, Reiß u.a.) sind die Feldfrüchte, welche man erbaut, doch wird auch Lein, Hanf, Safran, Spanischer Pfeffer, Rosinen, Lablab vulgaris u. Arzneikräuter, Hibiscus esculentus, Cerasus halepensis (letzter zu Pfeifenröhren), gewonnen. Der Gemüsebau zieht Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen, Pferdebohnen, Kohl, Salat, Gurten, Kürbisse, Melonen, Pilze etc., seltener Artischocken, Rettiche u. Radischen, Linsen, Portulak, Spinat, Schnittlauch, Petersilie, Schalotten, Thymian etc. Der Obstbau gewinnt, außer mittelmäßigen Birnen, Äpfeln u. Pflaumen, Johannis-, Erd- u. Stachelbeeren, noch Oliven, Maulbeeren, Granatäpfel, Mandeln, Pfirsichen, Kirschen, Nüsse, Feigen; Südfrüchte gedeihen am besten in Thessalien, in Südalbanien u. auf den Inseln. Weinbau wird nur von den Christen betrieben; die Moldau allein liefert jährlich über 1 Mill. Eimer, sehr viel auch die Walachei, sowie der Wein überhaupt in allen Provinzen gedeiht, auf einigen Inseln sogar ganz vorzügliche Sorten. Die Gunst des Klimas u. der häufig für den Wein sehr geeignete Boden ersetzen, was an Cultur abgeht. Nur in der südlichen Türkei trocknet man die Trauben zu Rosinen, doch siedet man den Most zu Peckmes, einem braunen Syrup, ein. Der Ölbau wird in Thessalien u. Südalbanien bes. lebhaft betrieben, Mohn zu Opium bereitet; Baumwolle u. Tabak, beide sehr gesucht, gewonnen; Krapp wird häufig angebaut u. zu Türkisch Roth verwendet: Blumen, bes. Rosen, werden mit vieler Sorgfalt u. reichlich gezogen; Nutzholz liefern in Menge die noch immer ansehnlichen Waldungen, bes. in den nördlichen u. westlichen Provinzen; Forstcultur existirt dabei gar nicht. Von anderen Erzeugnissen aus dem Pflanzenreiche sind bes. zu nennen: Pistacien, Sumach, Knoppern, Galläpfel, Ladangummi (auf Candia), Mastix u.a. Die Viehzucht, durch treffliche Weiden befördert, wird mehr betrieben; Pferde (von guter Race), Rindvieh (in großen Herden), Schafe (in der Moldau u. Walachei allein 6 Mill. Stück, in einigen Gegenden mit Fettschwänzen), Ziegen, Schweine u. Federvieh, geben nicht nur den Bedarf, sondern auch zur Ausfuhr, Fleisch, Milch, Butter, Käse (mehr Quark ähnlich), Häute, Wolle etc. werden reichlich gewonnen. In bergigen Gegenden steigt der Hirt mit seinem Vieh den Sommer bei zunehmender Wärme immer höher u. kehrt ebenso im Herbst wieder zurück, bis er im November im Thal anlangt dort den Winter zubringt; Stallfütterung kennt man nicht. Bienenzucht nicht unbedeutend u. viel Wachsgewinn zur Ausfuhr; Seidenbau wird in südlichen Gegenden ziemlich stark betrieben. Blutegel gibt es in großer Menge u. sie bilden einen wichtigen Ausfuhrartikel. Der Bergbau könnte ergiebiger sein, viele Gegenden sind noch wenig benutzt u. nicht untersucht. Hauptsächlich hinderlich ist der Mangel an Bergleuten u. Bergbauverständigen. Am besten sind noch die Kupfer- u. Eisenminen bei Karatova, Egri Palanka, Klissura, Samakow u. einige in Bosnien. Das Hüttenwesen ist höchst unvollkommen bestellt. Steinsalz gibt es in großen Lagern in der Moldau u. Walachei, Boysalz wird an den Küsten gewonnen. Über die Industrie u. den Handel s. unten. Der Seehandel geht nur durch fremde Schiffe u. die Griechen haben ihn meist in Händen. Eingetheilt ist die Europäische Türkei in die 14 Ejalete: Tschirmen (Edirné, das alte Thracien), Silistria, Widdin, Nisch (Bulgarien), Selanik (Theile von Macedonien u. Thessalien), Yania (Janina, Südalbanien), Uskiup (Ostalbanien), Bosna (Bosnien u. Kroatien), Rumili (Mittelalbanien u. ein Theil von Macedonien), Djizaïr (Archipel), Kryt (Creta); dazu die Schutzstaaten: Eflek (Walachei), Boghdan Moldau) u. Syrp (Serbien). Hauptstadt, wie überhaupt aller osmanischen Besitzungen, Constantinopel (Stambul).

B) Asiatische Türkei (Osmanisches Asien), umfaßt eine Anzahl verschiedenartiger Gebiete, welche zusammen den westlichen Theil Asiens ausmachen u. die im Süden von Arabien, im Osten von Persien u. Russisch Transkaukasien, im Norden vom Schwarzen Meer u. im Westen vom Marmora-, Ägäischen u. Mittelmeer begrenzt werden. Mit Ausschluß Arabiens, welches nur zu einem kleinen (nicht genau bestimmten) Theile dazu gehört, wird der Flächeninhalt dieser Länder zu etwa 24,000 QM. geschätzt, mit einer Bevölkerung von 16 Mill. Seelen. Die Bestandtheile dieses weiten Gebietes sind: Kleinasien, Armenien, Kurdistan, Irak-Arabi, Mesopotamien, Syrien mit Palästina, die Halbinsel Sinai u. ein Theil von Arabien. Das Land ist zu einem großen Theile Hochland, dessen Gebirgsstock der Taurus, vom Kaukasus ausgehend, ist. In Nordost steigen die höchsten Gipfel auf; davon abgehende Zweige sind der eigentliche Taurus u. Antitaurus, der Almatagh (Amanisches Gebirg), Libanon, Antilibanon, Sindschar, Dschudi, an der persischen Grenze das Zagrosgebirg. Im Südosten, nach dem Persischen Meerbusen u. Arabien zu, breiten sich größere, jetzt unfruchtbare, früher zum Theil durch reichliche Kanalbewässerung fruchtbare Ebenen (Mesopotamien, Syrische Wüste) aus; manche Ebenen sind salzig. Flüsse: der schiffbare Tigris u. Euphrat, gehen nach dem Persischen Meerbusen; außerdem durchziehen nur kleinere Neben- u. Küstenflüsse das Land. Zum Schwarzen Meere gehen: Tschoroch, Jeschil-Irmak, Kisil-Irmak, Sakarja; zum Ägäischen: der Sarabad u. Meinder (Mainder, Mäander); zum Mittelmeer: der Sihon; Aras (Arasch) u. Kur gehen nach Russisch Transkaukasien in das Kaspische Meer, der Jordan zum Todten Meer. Seen: das [5] Todte Meer (Bahr et Lut), ohne Abfluß, der See Genezareth (Tabarieh), der Wan, Ulubad, Beg-Schehr u. Sidi-Schehr, Akserai u.a. Vorgebirge u. Busen am Schwarzen Meere: Hermonassa u. Jassun (am Busen Vona), Termeh u. Tscherehambe (am Busen Samsum), Jedsje, Kerempe, Babu (am Busen Sakarja), Kara; im Ägäischen Meere: Baba (am Busen von Edremid), Tschesme, Mentesche u. die Busen Sandarlik u.a.; am Mittelmeere: die Busen von Makri, von Santalia (mit den Vorgebirgen Chelidoni u. Anemur), von Skanderun u.a.; am Rothen Meer: das Vorgebirge Ras Mahomet mit den Busen von Suez u. von Akaba. Das Klima ist im Ganzen sehr mild, nur in den Ebenen u. Thälern ist die Hitze oft drückend, während andererseits auf den Hochländern von Armenien, Kurdistan u. Kleinasien oft eine rauhe Luft herrscht. Der Boden ist namentlich in Kleinasien u. Mesopotamien sehr fruchtbar, jedoch wird der Landbau sehr nachlässig betrieben; am wichtigsten ist Öl- u. Seidenbau; Viehzucht ist die Hauptbeschäftigung der zu einem großen Theile nomadisirenden Bewohner. Die bemerkenswerthesten Naturerzeugnisse sind: Öl, Mohn, Baumwolle, Krapp, Tabak, einige Arznei u. Gewürzpflanzen, Galläpfel, im Süden auch Palmen, auf dem Libanon Cedern, in Armenien u. Kleinasien Nadel- u. Laubwälder. Das Thierreich bietet viele u. zum Theil sehr gute Pferde, Büffel, Kameele, Schafe, Angoraziegen, Seidenraupen u. Purpurschnecken; wild Schakals, Hyänen. Edle u. unedle Metalle sind in Menge vorhanden, auch finden sich Steinkohlen, aber bei dem höchst mangelhaften Bergbau ist hier die Ausbeute verhältnißmäßig noch geringer als in der Europäischen Türkei. Die Industrie u. den Handel s. unten. Handelsplätze: Smyrna (bes. Seehandel), Damask, Aleppo, Brusa, Basra, Trabesun, Bagdad, Angora u.a. Bergbau bes. auf Kupfer in Tokat u. Egerum, auf Blei in Chalkis u. auf dem Ida. Von den Einwohnern sind die Osmanen das Herrschervolk, über 121/2 Mill.; außerdem leben hier: Griechen u. Armenier (zusammen etwa 300,000), Araber, Georgier, Lasen, Truchmenen, Kurden, Nosairen, Drusen, Juden (80,000), Zigeuner u. in den Handelsstädten Franken. Die Araber, Truchmenen, Kurden leben meist nomadisch, treiben Räuberei, transportiren Waaren u. gehören mehr dem Namen nach als wirklich zum T-n R. Hauptreligion: der Islam; neben ihm das Christen- u. Judenthum; die Drusen u. Kurden haben eigene Gottesverehrung. Man spricht türkisch, arabisch, griechisch, armenisch, persisch, kurdisch. Für die Verwaltung ist das asiatische gesammte Gebiet in 21 Ejalete (mit Ausnahme Arabiens) eingetheilt; je nach Umständen wird aber von einem Ejalet ein od. das andere Gebiet als Paschalik abgesondert, um zeitweilig von einem besonderen Pascha verwaltet zu werden. Die Ejalete sind: Chudawendiguiar, Aïdin, Kastamuni, Bezuk, Trapezunt, Siwas, Karaman, Adana u. Charput (in Kleinasien), Erzerum, Kars u. Wan (in Armenien), Diarbekr, Mossul u. Bagdad (Kurdistan), Bassora (Irak Arabi), Rakka (Mesopotamien), Aleppo, Damaskus, Tarabulus u. Akka (in Syrien). Die Häupter der kurdischen Stämme sind fast nur dem Namen nach der Pforte unterthan, in Wirklichkeit ganz unabhängig. C) Osmanisch Afrika. Dazu gehört Ägypten (Missr) mit Nubien, Tripolis (Tarablusi Gharb) mit Barka u. Fezzan u. endlich Tunis, welche nur dem Namen nach als türkische Provinzen betrachtet werden können; Ägypten u. Tripolis mehr, Tunis aber, welches nicht einmal Tribut zahlt, weniger. Der Flächengehalt dieses Gebietes beträgt etwa 44,000 QM. mit einer Bevölkerung von 5 Mill. Seelen. Über die innere Beschaffenheit, die Lage, den Boden, über Producte, Handel, Religion u. Sprache des Türkischen Afrikas s. die genannten einzelnen Länder desselben.

Die Staatsverfassung des T-en R-s trägt durchaus den Charakter einer absoluten Monarchie. Das ganze Reich steht unter dem Großsultan (Großherrn, Padischah) in Constantinopel, welcher dessen weltliches u. geistliches Haupt ist. Er nennt sich Nachfolger der Khalifen, indem Selim I. 1517 diesen Titel nach Bezwingung des damaligen Khalifen von Ägypten annahm, welchen Titel aber die rechtgläubigen Araber nicht anerkennen, da der osmanische Padischah nicht von Muhammed abstamme. Dennoch ertheilt er an muhammedanische Fürsten, welche auch nicht unter seiner Hoheit stehen, die Investitur. Obgleich der Padischah sich nach einigen von dem Koran ausgesprochenen (wie die Beschneidung, die Vielweiberei, das Verbot des Weines, des Schweinefleisches etc. aufrecht zu erhalten) od. von seinen Vorgängern gegebenen Gesetzen (sechs Kanunmanen) richten soll, so ist doch seine Regierung unumschränkt u. er ist Herr über Leben u. Tod aller Rajah (Nichtmuhammedaner), während er die Osmanlis nicht ohne Rechtsspruch tödten lassen soll. Thronerbe ist in der Regel der älteste Sohn, doch kann der Sultan auch ein anderes Glied seiner Familie zum Nachfolger bestimmen (einen Bruder, jüngeren Sohn). Er wird mit dem 15. Jahre mündig, Frauen sind absolut vom Throne ausgeschlossen. Um Aufstände u. Thronentsetzungen zu vermeiden, bestand seit Bajazet I. das Gesetz, daß alle Brüder des Padischah bei dessen Thronbesteigung hingerichtet werden sollten. Erst 1687 milderte Solyman III. dies Gesetz u. ließ seine Brüder eng u. ganz abgeschlossen in einem Schloß verwahren; der Kislar-Aga führt hier die Aufsicht über sie. Mehrmals kamen jedoch auch später noch Fälle vor, wo sie gleich bei der Thronbesteigung od. bei einem Aufruhr dennoch erdrosselt wurden. Auch der barbarische Gebrauch, alle Kinder der Töchter des Großherrn gleich nach der Geburt zu tödten, fand statt u. erst Mahmud II. machte hiervon eine Ausnahme u. ernannte seinen Enkel gleich zum Pascha von drei Roßschweifen. Der Titel des Padischah ist sehr schwülstig; er nennt sich Alempenah, d.i. Zuflucht der Welt, Zilullah, d.i. Schatten Gottes, Hunkiar (eigentlich Todtschläger), Herr über Leben u. Tod, Khalif (s. oben), oberster Imam etc. Statt der Krönung wird dem Sultan der Säbel Osmans in der Moschee Ejub in Constantinopel umgürtet, vorher muß der Schwur auf den Koran, als das höchste Gesetzbuch, von ihm abgelegt werden. Dem Großherrn werden, wenn er ins Feld zieht, sieben Roßschweife vorgetragen. Im diplomatischen Verkehr erhält der Sultan den Titel Kaiserliche Majestät, im Französischen Hautesse (nicht Altesse); bei eigenen Ausfertigungen gebraucht derselbe einen sehr ausführlichen, mit überschwänglichen Bezeichnungen versehenen Titel, in welchem namentlich der Herrschaft über die drei Städte Mekka, Medina u. Kuds (Jerusalem), gegen welche die[6] ganze Welt ihr Angesicht wendet, wenn sie betet, an erster Stelle gedacht ist. Das Reichswappen wird durch einen grünen Schild mit einem wachsenden silbernen Mond gebildet. Den Schild umgibt eine Löwenhaut, auf welcher ein Turban mit einer Reiberfeder liegt, dahinter sind zwei Standarten mit Roßschweifen schräg gestellt. Die Namenschiffer des Sultans heißt Thogra (s.d.). Die vielen Frauen des Großherrn sind eigentlich nur Sklavinnen (Odalisken), zum Theil ihm von seiner Mutter, seinen Schwestern, Tanten u. Großen geschenkte, reizende Mädchen, welche im Tanzen, Singen u. in allen Künsten der Koketterie unterrichtet sind, zum Theil gekauft, u. bewohnen große Säle. Mit den wenigsten pflegt der Padischah Umgang, findet aber eine Odaliske durch mehrfachen Umgang beim Großherrn Beifall, so schenkt er ihr einen kostbaren Pelz, sie heißt dann Kadine (Khadune, Frau, Madame, deren in der Regel sieben sind) u. erhält eine abgesonderte Wohnung. Wird ihm von einer ein Kind geboren, so heißt sie Hasseki (Assäki) Sultane, die erste, bei welcher dies geschieht, Sultane Favorite; feierlich vermählt wird nach einem Staatsgesetz, um Aufwand zu vermeiden, dem Padischah keine; die Mutter des Padischah heißt Sultane Valide; alle diese haben ansehnliche Einnahmen, letztere bedeutenden Einfluß auf die Geschäfte des Hofes u. des Staates. Auch die Töchter des Großherrn heißen Sultane. Oft verheirathet der Großherr Odalisken aus seinem Harem, selbst Kadinen, denen er den Scheidebrief gibt, od. Töchter u. Schwestern an Großwürdenträger od. Lieblinge, welche dadurch sich sehr geehrt fühlen u. sogleich ihrerseits ihren früheren Frauen den Scheidebrief geben müssen. Nur eine Kadine, welche dem Großherrn ein Kind geboren hat, kann nicht mehr verschenkt werden. Die Kadinen eines verstorbenen Großsultans kann der neue nicht zu Gemahlinnen nehmen, wohl aber gehören ihm dessen Odalisken; erstere werden mit ihrem Schmuck u. Schätzen in ein anderes Serail versetzt; ihre Söhne folgen ihnen, da sie im Gewahrsam des Kislar-Aga bleiben, so wenig als ihre Töchter, welche bis zu ihrer Verheirathung unter der Kehaja Kadine im Serail bleiben, wo sie dann ihre Mütter zu sich nehmen. Der Hofstaat ist sehr ansehnlich u. ceremonienreich; er zerfällt in äußeren u. inneren. Jener begreift die Personen, welche zum Dienste des Großherrn selbst bestellt sind u. unter dem Kapu-Agassi, gewöhnlich einem weißen Verschnittenen, stehen; sie sind getheilt in die Abtheilungen Khaß-Oda, Khassine-Odassi (Schatzkammer), Kilar-Odassi (Kellerei), Seferli-Odassi (weiße Zeugkammer), Bujük-Oda (große Kammer) u. Kutschük-Oda (kleine Kammer). Besondere Abtheilungen sind die Küche, der Stall, die Jägerei, die Vorbeter, Gärtner od. Gartenwächter (Bostandschis); sie u. ihr Vorgesetzter (Bostandschi-Baschi, sind jetzt durch die Garden u. den Capitän der Garde ersetzt), Hofärzte, die Kapitschi-Baschi, eine Art Kammerherren, welche die Kapitschis od. Thorwächter befehligen. Auch vier Mollas (s. unten) sind bei Hofe angestellt, der Hofprediger od. Almosenier, der Leibarzt, welcher oft nichts von der Arzneikunst versteht, aber aus den Mollas hervorgegangen sein muß, ein Richter über die Angelegenheiten von Mekka u. Medina, der Estambul-Effendi, welcher die Verproviantirung Constantinopels besorgt u. zugleich die Aufsicht über den Handel, die Künste hat, auch Erster Richter in Constantinopel ist. Niedere Diener sind: die Pagen (Itschoglams), sonst meist im Islam erzogene Christenkinder, welche zum Tribut eingeliefert u. zur Bedienung des Großherrn erzogen wurden, auch später oft wichtige Posten bekleiden, die Stummen, die Zwerge, die Musikanten, die Steigbügelhalter u.m.a., in allen mehr als 8000 Personen. Der innere Hofstaat begreift die Frauen des Serails, welche unter dem Kislar-Agassi, d.i. dem Haupt der Mädchen, einem schwarzen Verschnittenen, stehen u. von lauter Verschnittenen bedient werden. Dieser Kislar-Agassi meldet dem Großherrn jede Geburt eines Sohnes; er gilt oft auch in Staatsangelegenheiten viel u. ist oft sehr gefürchtet. Der Hof ist der Schauplatz der Intriguen der Verschnittenen, Sultaninnen, Odalisken u. anderer Personen. Gewöhnliche Residenz ist das Schloß Delmabaghdsche in Constantinopel (Pera); im Sommer (Mai) wird der Aufenthalt nach den Lustschlössern am Kiaghid Hane od. süßem Wasser verlegt, wo die Odalisken, dicht eingeschlossen, in officieller Zurückgezogenheit (Halvet) leben, unverschleiert in den schönen Parks umherschwärmen u. sich vergnügen. Manches von diesen Einrichtungen des Hofes hat sich indessen seit Mahmud II. geändert.

Alle Ämter des Reiches zerfallen in vier Klassen: wissenschaftliche od. Ämter des Lehrstandes (Ulema), Ämter der Feder (Kwalemüre od. Administrationsbeamte), Ämter des Säbels (Armee u. Flotte), Hofämter. Die höchsten Staatsbeamten u. die Generale führen den Titel Pascha, je nach dem Grade mit ein, zwei od. drei Roßschweifen; ihnen folgen im Range die Efendi. Die Söhne der Paschas u. die oberen Offiziere führen den Titel Bai, alle niederen Offiziere u. Beamten den Titel Aga. Die gesetzgebende u. vollziehende Gewalt wird vom Sultan durch Vermittlung zweier Personen ausgeübt, welche ihm insoweit am nächsten stehen, des Großveziers (Sadri Azam) u. des Mufti (Scheich-ül-Islam). Beide führen den Titel Hoheit. Der Großvezier gilt als der Alter ego des Großherrn; er führt im Geheimenrath den Vorsitz, bewahrt das Siegel des Sultans u. war sonst zugleich oberster Befehlshaber im Krieg u. Frieden. Er hat seinen amtlichen Aufenthalt bei der Hohen Pforte od. Pforte des Pascha, weshalb auch die ganze Regierung oft als die Ottomanische Pforte bezeichnet wird. Der Scheich ül-Islam od. Mufti ist der Wahrer des Gesetzes u. Chef der Ulema, selbst aber weder Priester noch Gerichtsperson, der höchst controlirende Beamte, so daß sein Gutachten (Fetwa) für jede Verordnung u. für jeden von der höchsten Behörde ausgehenden Act nothwendig ist. Nächst diesen beiden obersten Beamten sind die Geschäfte nach verschiedenen Branchen in der Art von Staatsministerien vertheilt. Die Staatsminister, mit dem Titel Muschir, sind: der Seraskier als der Kriegsminister u. oberste Befehlshaber des Heeres; der Kharidschijié-Naziri od. Minister der auswärtigen Angelegenheiten; der Umuri-Malié-Naziri (sonst Defterdar) od. Finanzminister; der Kapudan-Pascha od. Marineminister; der Evkaf-Naziri od. Minister der geistlichen Angelegenheiten, Generalinspector der Wakufs, d.i. der Moscheen u. der den frommen Stiftungen gehörigen Güter; der Tidjaret-Naziri als der Handelsminister; der Zabtijié-Muschiri als der Polizeiminister; der Harbié-Naziri als der Feldzeugmeister, Großmeister der [7] Artillerie u. Generalinspector der Festungen; der Zarbchane-Muschiri als der Minister des kaiserlichen Privatschatzes u. Oberaufseher der Münze. Mit den Geschäften des Ministers des Innern ist der Musteschar od. erste Rath des Großveziers betraut. Alle Minister vereinigen sich in wichtigen Fällen bes. bei Berathung der Fragen auswärtiger Politik unter dem Vorsitze des Großveziers u. unter hinzutritt des Scheich-ül-Islam, so wie des Präsidenten des Staatsraths zum Diwan od. Geheimenrathe. Der Diwan versammelt sich gewöhnlich zweimal wöchentlich im Serail; außerdem werden auch außerordentliche Sitzungen, in denen gewöhnlich der Sultan zugegen ist, unter tiefem Geheimniß gehalten. Der Diwan ist an die Entscheidung der Ulema's u. des Mufti gebunden. Mit jedem der ministeriellen Departements, ausgenommen dem der auswärtigen Angelegenheiten, sind permanente Räthe verbunden, welche die Fragen vorbereiten u. die Verordnungen ausarbeiten. Der wichtigste dieser Räthe ist der seit 1840 errichtete, aus einem Präsidenten, neun Räthen u. zwei Secretären zusammengesetzte Staatsrath der Justiz od. höchste Rath, etwa dem Staatsrath in civilisirten Staaten entsprechend. Zu seinem Ressort gehört die Bearbeitung alles dessen, was die Gesetzgebung u. innere Verwaltung betrifft. Als Gerichtshof erkennt er zugleich über alle Staatsverbrecher, namentlich über Mißbräuche, welche von hohen Beamten in Ausübung ihres Amtes begangen worden sind. Deshalb fungirt er zugleich als Rechnungshof u. hat die Bücher aller Finanzbeamten, nachdem sie bereits von dem Rechnungsrath geprüft worden sind, nochmals zu prüfen. Einmal im Jahre, am ersten Moharrem, d.i. dem ersten Tage des Jahres moslemitischer Zeitrechnung (18. Juni), erscheint der Großherr selbst im Staatsrath, läßt sich von der Lage der Angelegenheiten Rechnung ablegen u. ertheilt selbst seine Befehle. Außerdem besteht noch ein Rath des öffentlichen Unterrichts mit einem Präsidenten, acht Räthen u. zwei Secretären, ein Rechnungsrath mit einem Präsidenten, 11 Räthen u. zwei Secretären, ein Rath der öffentlichen Arbeiten unter dem Minister des Handels mit sechs Räthen u. einem Secretär, ein Rath der Bergwerke unter dem Minister der Münze mit fünf Räthen u. einem Secretär, der Polizeirath mit einem Unterpolizeidirector u. 12 Räthen, ein oberster Kriegsrath mit 15 Mitgliedern, welcher zugleich als letzte Revisions- u. Appellationsinstanz für militärische Vergehen fungirt, ein Feldzeugamt mit einem Präsidenten, sechs Räthen u. einem Secretär, der Admiralitätsrath mit einem Präsidenten, sieben Mitgliedern u. zwei Secretären, der Rath der Militärfabriken mit vier Mitgliedern, das seit 1840 errichtete Obersanitäts- u. Medicinalcollegium, bei welchem außer neun ordentlichen Mitgliedern auch sieben Abgeordnete der in Constantinopel residirenden Gesandtschaften von Rußland, Österreich, England, Frankreich, Preußen, Italien u. Griechenland fungiren, u. das Bureau der Übersetzer (Terdschuman-Odassi), eine unter dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten stehende Behörde, welche bes. für die Vermittlung des völkerrechtlichen Verkehrs mit den fremden Nationen thätig ist. Behufs der provinziellen u. localen Verwaltung ist ein Unterschied zwischen den unmittelbaren u. mittelbaren Ländern. Die mittelbaren, wozu in Europa die Moldau, Walachei u. Serbien, in Afrika Ägypten, Tunis u. Tripolis, in Asien verschiedene Bezirke Arabiens u. Syriens gehören, haben ihre eigene Verfassung u. ihre eigenen Fürsten, welche der Pforte nur tributär sind; die unmittelbaren werden unmittelbar vom Mittelpunkt der Regierung, aus verwaltet. Mit Einschluß der mittelbaren Besitzungen ist das ganze Reich in Ejalets od. Generalgouvernements getheilt, welche in Livas od. Provinzen zerfallen; die letzteren sind dann wieder in Kazas (Gazas) od. Districte getheilt. Im Ganzen zählt man 36 Ejalets, 171 Livas u. 1636 Kazas; die Europäische Türkei allein umfaßt 15 Ejalets, 46 Livas u. 370 Kazas. An der Spitze eines jeden Ejalets steht der Vali od. Mutessarif als Chef der gesammten Verwaltung. Auch in den unmittelbaren Besitzungen ist die Macht dieses Beamten eine sehr ausgedehnte. Er hat das Recht, unter seiner eigenen Verantwortlichkeit die Gouverneure der Livas, die Vorsteher der Kazas, überhaupt alle Civilbeamte seines Bezirks ein- u. abzusetzen; er kann die bewaffnete Macht in Anspruch nehmen u. ist nur der Pforte für seine Maßregeln verantwortlich. Als berathende Behörde steht ihm ein permanenter Rath (Medschlissi Kebir) zur Seite, welcher aus einem von der Pforte ernannten Präsidenten u. zwei Secretären, ferner aus dem Defterdar od. Obersteuereinnehmer des Gouvernements, den katholischen, griechischen od. armenischen Bischöfen, den Oberrabbiner u. mehren Kodscha Baschis, d.i. Abgeordneten der Gemeinden, zusammengesetzt ist. Jede Liva wird durch einen Kaïmakam od. Mohassil verwaltet, welcher in allen Beziehungen als Stellvertreter des Generalgouverneurs erscheint. Unter dem Beistand des Militärcommandanten der Provinz überwacht er die Recrutirung u. bildet mit den Mitgliedern des Civilgerichts u. Provinzialrathes (Medschli) das Criminalgericht der Provinz. Er führt den Vorsitz bei der Steueranlage, welche durch eine jährlich von den Gemeinden ernannte Commission bewirkt wird, u. hat außer der Militärmacht, welche er requiriren kann, selbst eine Anzahl Polizeitruppen unter seinem Befehle. Die Kazas unterstehen der Verwaltung von Mudirs, denen wiederum ein Rath der Notabeln (Wudschuk) zur Seite steht. Sie werden von den Valis ernannt u. sind Unterbeamte des Kaïmakams. Bezüglich der Verfassung der Ortsgemeinden (Nahijes) besteht ein Unterschied zwischen Stadt u. Landgemeinden. Jede Landgemeinde hat eine Gemeindevertretung, welche aus drei bis zwölf der angesehensten Bewohner (in den muselmanischen Dörfern Sabit, in den griechischen Proastos od. Protogeros, bei den Bulgaren Subaschi genannt) gebildet wird, u. einem Kodscha Baschi, welcher als amtlicher Abgeordneter des Dorfes die Vermittlung mit den oberen Behörden besorgt. Gemeindevertreter, wie Kodscha Baschi, werden jedes Jahr von den Dorfeinwohnern gewählt. Das Geschäft der Gemeindevertreter ist in der Regel ein unbesoldetes Ehrenamt; der Kodscha Baschi dagegen erhält meist eine mäßige Belohnung. Als ein vorzügliches Vorrecht der Gemeindevertretung ist das ihnen in neuerer Zeit übertragene Geschäft der Einziehung des Karadsch, d.i. der Gemeindesteuer, anzusehen, welche früherhin unter vielen Mißbräuchen nur von türkischen Steuereinnehmern erfolgte. Die Kodscha Baschis haben die Gemeindekassen zu führen, die Civilstandregister zu halten, treten als Friedensrichter auf, wenn die Parteien sich vereinigen vor ihnen anstatt vor dem Kadi od. Bischof die Sache zur Entscheidung zu bringen, u.[8] üben noch sonst manche Geschäfte der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie Verabfassung u. Bestätigung von Verträgen, Beglaubigung von Unterschriften, Versiegelungen etc. Die Verfassung der Stadtgemeinden ist der Verfassung der Dorfgemeinden ähnlich, nur daß in den Hauptstädten u. den von den Türken besetzten Festungen die Befehlshaber u. Gouverneure eine ausgedehntere Macht ausüben, u. in den Städten, welche mehre Kirchspiele od. Anhänger verschiedener Religionen umfassen, jede Religionsgemeinde gewöhnlich ihre besonderen Vertreter u. Beamten hat. Unter den griechischen Rajahs ist ihre Zahl nach den Kirchspielen geordnet; jedes Kirchspiel hat seine Ephoren, gewöhnlich drei, einen Administrator, Schreiber u. Kassirer, welche jedes Jahr durch allgemeine Abstimmung gewählt werden; ein Ephimerios des Patriarchen ertheilt ihnen die Investitur. Die Geschäfte des Ephoren sind dieselben wie die des Kodscha Baschi, mit Ausnahme der richterlichen Befugniß. Auch haben diese Vertreter in der Regel nichts mit der Gerichtsbarkeit zu schaffen, welche dann gewöhnlich dem Diwan des Patriarchen od. anderen Gerichten zusteht.

Unter den Osmanen besteht eine völlige Gleichheit der Stände, u. jeder, welcher sich auszeichnet, kann zu Ämtern u. Ehrenstellen gelangen, ja die türkischen Großen lieben es die Ämter mit Leuten des niedersten Standes u. mit nur mittelmäßigen Köpfen zu besetzen, um die Untergebenen ganz in der Hand zu haben u. nicht von ihnen übersehen zu werden. Nach Verlust seiner Stelle tritt der Angestellte wieder unter das Volk zurück. Höchstens unterscheidet man Scherifs (Emirs, Nachkommen Osmans u. Muhammeds, welche die grüne Farbe zu tragen berechtigt sind), als eine Art Adel. Auch gibt es Lehnsherrn (Timarli, Timarioten), welche größere Grundstücke erhalten u. persönlich u. mit einem Theil ihrer Leute im Kriege beritten erscheinen müssen. Manche Familien haben auch Erbbesitz, so sind die Districtshauptmannschaften in Bosnien erblich, die Familie Ghaurini besitzt mehre Dörfer in Macedonien, die Tschapan-Oglu um Angora, die Kara-Osman-Ogludeglo um Pergamo. Die türkischen Unterthanen theilen sich im Allgemeinen in Osmanlis, Rajahs (d.i. Volk, Heerde, die Nichtmuhammedaner) u. Sklaven; letztere thun die Arbeit für die Osmanen, über ihre Verhältnisse u. Lage s.u. Sklaverei S. 176 f. Nur ein Muselman darf Sklaven laufen, Eunuchen darf nur der Großherr u. die Würdenträger des T-n R-es besitzen. Unter den Nichttürken, bes. unter den Slawen u. Griechen, besteht ein Adel. Rajahs erlangen in der Regel keine öffentliche Anstellung, doch wirken sie als Dolmetscher, Kaufleute u. unter der Hand desto mehr.

Die Gesetzgebung zerfällt in zwei Haupttheile: das religiöse Gesetz (Scheriat) u. das politische Gesetz (Kanun). Das Scheriat, welches indessen auch mit vielen bürgerlichen Rechtsvorschriften durchwebt ist, hat zu seinen Quellen den Koran, die Sunna od. religiöse Tradition, das Idschma i ümmet, d.i. die Erklärungen, Auslegungen u. Entscheidungen der vier ersten Khalifen, u. das Kazas od. die Sammlung gerichtlicher Entscheidungen der vier großen Imams Ebu Hanifé, Maliki, Schafii u. Hambeli (s.u. Türkische Literatur S. 951). Im Anschlusse hieran ist die Rechtsdisciplin durch eine Menge Rechtsgelehrter ausgebildet worden. Aus den Arbeiten derselben sind verschiedene Sammlungen hervorgegangen, welche ebenfalls als Rechtsquelle benutzt werden. Die erste dieser Sammlungen führt den Namen Perlen (Düvar) u. enthält Rechtssprüche u. Auslegungen bis zum Jahr 1470; die zweite führt den Namen Mülteka ül buhur (Verbindung der Meere) u. rührt von dem gelehrten Scheich Ibrahim Halebi (gest. 1549) her. Ursprünglich in Arabischer Sprache verfaßt, wurde die letztere Sammlung erst später in das Türkische übersetzt u. im Jahr 1824 revidirt. Sie bildet vorzugsweise die Grundlage für die bürgerlichen Rechtsverhältnisse u. das Civil- u. Criminalverfahren. Daneben haben auch noch die Provinzialgewohnheiten (Adets) große Bedeutung. Die neueren Verordnungen der Hohen Pforte führen verschiedene Namen. Organische Gesetze, welche der Sultan als Beherrscher der Gläubigen mit religiöser Sanction erläßt, werden Hatti-Scherif (erlauchte Schrift), Hatti-Humaium (hohe Schrift) od. einfach Hat (Schrift im eminenten Sinne) genannt; Befehle, welche der Sultan nur als politischer Herrscher erläßt, heißen Iradé; Verordnungen, welche sich auf Verwaltungsangelegenheiten beziehen, Fermans; diplomatische Conventionen Seneds; Verordnungen, welche die Ausführung eines Hatti-Scherif betreffen, Tansimat. Besonders bemerkenswerth sind unter den neueren Reformgesetzen des Sultans Abdul Medschid ein neues Strafgesetzbuch vom Jahr 1840, ein Handelsgesetzbuch von 1850, der Hatti-Scherif von Gülhane vom 2. Nov. 1839, der kaiserliche Hat vom 7. Sept. 1854 u. der Hatti-Humaium vom 18. Febr. 1856 (vgl. Petermann, Beiträge zur Geschichte der neuen Reformen des T. R-s, Berl. 1843). Durch den Hatti-Scherif von Gülhane geschah der große Schritt, um die bis dahin noch nicht bestandene Rechtsgleichheit der Rajahs mit den Bekennern des Islams anzubahnen. Nach dem eigentlichen moslemitischen Gesetz ist der Ungläubige rechtsunfähig, seine Rechtsfähigkeit hängt, wenn ihm das Leben geschenkt u. er nicht zum Sklaven gemacht wird, lediglich von der Gnade des Siegers ab, sein bisheriges Grundeigenthum geht auf den Staat über, wird ihm der Besitz gelassen, so ist derselbe lediglich ein widerruflicher, von welchem der Rajah Steuern u. Zehnten zu entrichten hat, deren Auferlegung früher meist nur von der Laune des Paschas abhing. Der Hatti-Scherif von Gülhane sicherte dagegen auch den Rajahs volle Gewähr sowohl ihres Lebens, als ihrer Ehre u. ihres Eigenthums zu; er versprach die Einführung einer regelmäßigen Art der Besteuerung u. ebenso die Einführung gleicher Grundsätze über die Aushebung zum Militär u. über die Dauer des Kriegsdienstes; auch sollten die unschuldigen Erben eines Verbrechers nicht ihrer gesetzlichen Rechte beraubt u. die Güter des Verbrechers nicht confiscirt werden. Diese Grundsätze wurden hierauf auch durch mehre Fermans (Tansimat, s.d.) näher geregelt u. in Ausführung gesetzt. Die wirkliche Befolgung der hiermit gegebenen Vorschriften wurde jedoch von den wenigsten Paschas eingehalten. Um dem Tansimat eine strengere Anwendung zu sichern u. den Grundsätzen des Hatti-Scherif eine weitere Entwickelung zu geben, erfolgte die Verkündigung des kaiserlichen Hat vom 7. Sept. 1854, welcher die volle Anwendung des Gesetzes bei den Gerichten, die Gerechtigkeit in allen Angelegenheiten, Ordnung[9] der Finanzen u. Verbesserung des Looses aller Klassen der Unterthanen als die Aufgabe der Regierung proclamirte. Noch größere Versprechungen enthält der Hat-Humaium vom 18. Febr. 1856. Derselbe verkündigte in 21 Punkten zunächst nochmals die Aufrechterhaltung des Hatti-Scherifs von Gülhane u. der Tansimatgesetze, neue Gewährleistung der der Griechischen u. Armenischen Kirche von Alters her zuständigen Vorrechte, Entbindung der Patriarchate u. Synoden von aller weltlicher u. gerichtlicher Gewalt u. Einrichtung einer besonderen Verwaltungsbehörde für die griechischen u. armenischen Rajahs, Gleichstellung der verschiedenen Culte u. allgemeine Erlaubnißertheilung zur Erbauung christlicher Kirchen, Verzicht auf Verfolgung wegen Glaubenswechsels, Zulassung der Christen zu allen Staatsämtern, Errichtung allgemeiner Volksschulen, Einführung weltlicher Gerichtsbarkeit für die Rajahs u. Bildung von aus Rajahs u. Muhammedanern zusammengesetzten Gerichtshöfen bei Streitigkeiten zwischen Gläubigen u. Ungläubigen, Codification aller Civil- u. Criminalgesetze mit Übersetzungen in allen Reichssprachen, Reform der Gefängnisse u. der Polizei, Zulassung der Christen zu allen militärischen Graden, Umgestaltung der Provinzialbehörden, Fähigkeit der Franken zum Erwerb von Grundbesitz, Einführung directer Besteuerung, Verbesserung der Straßen u. Kanäle, Einführung eines Voranschlags für den Staatshaushalt, Vertretung der Christen im Staatsrats Errichtung von Creditinstituten u. Reform der Münzeinrichtungen. Von allen diesen Reformen sind jedoch bei weitem die meisten auch jetzt noch nur auf dem Papiere zu finden. Ein Haupthemmniß jeder freieren Entwicklung bildet der schlechte Zustand der in moslemitischen Glaubenssätzen befangenen Rechtspflege. Der oberste Gerichtshof ist der Arzodassi, welcher in zwei Abtheilungen (Sudurs), die eine für Rumelien od. Europa (Sadri-Rumili od. Rumili-Kazi-Askeri), die andere für Anatolien od. Asien (Sadri-Anatoli od. Anatoli-Kazi-Askeri), jede mit einem Kazi Asker als Vorsitzender an der Spitze u. zehn Beisitzern zerfällt. Unter der Sanction des Scheich-ül-Islam besetzen beide Sudurs alle Richterstellen in ihren bezüglichen Departements. Eine Art Mittelinstanz bilden die 21 Mevleviets der unmittelbaren Länder, an deren Spitze je ein Mollah steht. Die Gerichte erster Instanz sind die Kazas (Gazas), deren es 120 gibt. Jedes dieser Gerichte besteht aus einem Richter (Mollah od. Kadi), einem Staatsanwalt (Mufti), einem Hülfsrichter (Naïb), einem Gerichtsvollzieher (Ayak Naïb) u. einem Schreiber (Basch Kiatib). Außerdem bestehen noch Orts- u. Friedensgerichte; die Christen wenden sich zur Entscheidung ihrer Rechtsstreitigkeiten oft an die Bischöfe, die Juden an den Rabbiner. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen Einheimischen u. Fremden gibt es gemischte Handelsgerichte u. Polizeistrafbehörden, für Streitigkeiten, bei denen blos Fremde betheiligt sind, die Consulatsgerichte der betreffenden Nationen. Die Gerichtssitzungen der türkischen Richter (Meskemes) geschehen ohne Beisitzer, nur der Schreiber protokollirt zu Füßen des Diwans, auf welchem der Richter sitzt; beim Zeugenverhör wird der Rajah als Zeuge gegen den Moslem nicht angenommen. Die Entscheidung wird meist sehr summarisch ertheilt. Die Schuldgesetze sind sehr streng; der siegende Gläubiger erhält entweder sogleich Befriedigung od. der Schuldner wandert in das Gefängniß, wenn er nicht einen Bürgen zu stellen vermag. Das Hypothekenrecht ist durchaus unausgebildet. Testamente werden meist mündlich vor Zeugen errichtet. Bei Erbschaften erhält meist der Jüngste das Haus. Unter den Criminalstrafen spielt die Todesstrafe eine sehr bedeutende Rolle; sie wird bald durch Kopfabschneiden mit dem Jattagan, bald durch Hängen, auch durch Ertränken vollzogen. Sonstige Strafen sind die Bastonade, bei welcher der Verbrecher Stockprügel auf die durch ein Bret gesteckten Fußsohlen empfängt, gewöhnliche Stockprügel u. Gefängniß. Die Folter besteht noch in großer Ausdehnung. Vgl. J. von Hammer, Staatsverfassung u. Verwaltung des Osmanischen Reichs, Wien 1815, 2 Thle.; A. von Bassé, Das Türkische Reich, Lpz. 1854; von Reden, Die Türkei u. Griechenland in ihrer Entwickelungsfähigkeit, Frankf. a. M. 1856.

Landesreligion ist der Islam (s.d.), nach der Secte der Sunniten. Oberstes Haupt des Islam ist der Großherr; das heilige Buch ist der Koran (s.d.); die Gelehrten, welche dasselbe erklären u. deuten, sind die Ulema's; an deren Spitze steht der Scheich-ül-Islam od. Großmufti, welcher in sich nächst dem Sultan die oberste Gewalt der Gesetzgebung u. das höchste kirchliche Amt vereinigt; er umgürtet bei der Thronbesteigung den Sultan mit dem Säbel Osmans u. seine Gutachten (Fetwa) sind von höchster Bedeutung. Der Ulema, gewöhnlich aus den niederen Klassen recrutirt, tritt, wenn er 10 od. 12 Jahre alt die Schule verläßt, als Novize in eine der mit den großen Moscheen verbundenen Medressés (die Seminarien des Islam), in welcher er als Softa 10–15 Jahre verbringt u. Unterricht in der Grammatik u. Arabischen Syntax, in der Logik, Moral, Rhetorik, Philosophie, Theologie, Rechtsgelehrsamkeit, im Koran u. in der Sunna erhält. Hinlänglich vorbereitet wird der Softa durch den Großmufti zum Wulazim ernannt, als welcher er Richter (Kadi) werden kann. Wenn er aber zu den höheren Würden des Gesetzes gelangen will, muß er von Neuem 7 Jahre auf das Studium des Rechtes, der Dogmatik u. mündlichen Auslegung etc. verwenden. Hierauf wird er vom Mufti zum Müderris ernannt. Die Gotteshäuser der Muhammedaner werden gewöhnlich Moscheen genannt; die größeren heißen Dschami, die kleineren Medschid. Die Geistlichkeit ist in fünf Klassen getheilt: die Scheichs, d.h. Älteste, sind die Hauptprediger in den Moscheen; die Khatib sind die Vorbeter des Khutbé (des öffentlichen Gebetes für den Sultan); die Imams besorgen den gewöhnlichen Dienst in den Moscheen u. die Trauungs- u. Begräbnißfeierlichkeiten; die Muëzzin verkünden von den Minarets die Stunden des Gebetes; die Kaïms sind die Wächter u. Diener der Moscheen. Die beiden letzten Klassen gehören nicht zu den Ulema's. Neben der Weltgeistlichkeit gibt es auch eine Ordensgeistlichkeit, die Derwische, eine Art Mönche. Die Geistlichkeit trägt hellgrüne Turbans, die Derwische hohe spitze Mützen von grauem Filz u. weite Röcke. Geduldet werden außerdem alle Anbeter nur Eines Gottes, die Götzendiener aber gebietet der Koran zu vernichten. Es besteht daher im T-n R. der griechische, katholische, armenische Cultus, so wie die Mosaische Religion; der Protestanten gibt es wenig. Alle die Andersgläubigen (Rajahs, s. oben) waren sonst in einem vollkommen rechtslosen Zustande; in neuerer Zeit sind mehre Gesetze[10] zu ihren Gunsten erlassen (s. oben S. 9), ohne daß jedoch hierdurch Ausbrüche der Volkswuth gegen sie in einzelnen Provinzen ihr Ende gefunden hätten. Die Griechisch-orthodoxe Kirche zählt noch, wie zu alten Zeiten, ihre Patriarchen von Constantinopel, Antiochia, Jerusalem u. Alexandria; die drei letzteren haben aber wenig Bedeutung. Der Patriarch von Constantinopel ist der ökumenische, das Haupt der Morgenländischen Kirche; er präsidirt der Heiligen Synode, welche aus den drei übrigen Patriarchen, zwölf Metropoliten u. Bischöfen u. zwölf angesehenen Laien besteht, u. hat die Große Schule der Nation unter sich. Unwissenheit der Geistlichen u. der Verkauf der geistlichen Stellen sind ganz gewöhnlich. Die Römisch-Katholische Kirche besteht theils aus Lateinischen Christen, theils aus Unirten Armeniern, Griechen etc. u. zählt 28 Patriarchen u. Bischöfe, von denen fünf auf die Europäische Türkei kommen. Die Armenier haben vier Patriarchen an der Spitze ihrer Glaubensgemeinschaft, in Constantinopel, Sis, Aktamar u. Jerusalem. Jede von der Pforte anerkannte Religionsgesellschaft (Millet) ist der Regierung gegenüber durch ihren Chef vertreten, die Juden durch ihren Großrabbiner in Constantinopel. Von einer geistigen Cultur der Muhammedaner, im Sinne der christlichen, kann keine Rede sein. Der öffentliche Unterricht ist im Jahr 1847 neu organisirt worden u. man hat die Lehrerstellen in drei Kategorien gebracht. In Elementarschulen wird Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion, Erdbeschreibung u. Geschichte des Osmanenreichs, sowie Türkische Sprache gelehrt; die Eltern müssen die Kinder in die Schulen schicken; der Unterricht ist unentgeldlich; wenn die Schule sich nicht aus eigenem Vermögen zu erhalten vermag, hilft die Regierung nach. In Mittelschulen wird Religionsgeschichte, Mathematik etc. gelehrt; auch hier ist der Unterricht frei u. die Anstalten werden von der Regierung unterhalten. Die höchsten Anstalten sind die Specialschulen, wie die beiden Schulen in den Moscheen der Sultane Achmed u. Selim für zum Civildienste bestimmte junge Leute, die 1850 gegründete Schule der Sultanin Mutter für den Unterricht in den höheren Zweigen der Staatsverwaltung u. Diplomatie, die Medresses für die Ulema's, die von Mahmud gegründete Medicinische Schule von Galata Seraï, die Kriegsschule, die Genie- u. Artillerieschule, die Marineschule, die Veterinärschule u.a. Die Christen haben ihr eigenes Schulwesen, welches jedoch häufig genug in sehr vernachlässigtem Zustande ist; in Bosnien u. der Herzegowina kommt beispielsweise auf 100 Dörfer kaum eine Schule. Der höhere Unterricht der Griechen steht unmittelbar unter dem Patriarchat u. wird durch die sogenannte Große Schule der Nation in Constantinopel bewirkt. Auch die Juden haben ihre eigenen Lehranstalten, doch in sehr armseliger Verfassung. Öffentliche Bibliotheken findet man in namhafter Anzahl, in Constantinopel allein etwa 40, aber der Zutritt ist durch die Statuten den Nichtmuhammedanern sehr erschwert. Seit 1851 besteht in Constantinopel auch eine Akademie der Wissenschaften u. seit 1853 eine Société orientale zu Durchforschung des Orients in culturhistorischer, naturwissenschaftlicher u. artistischer Beziehung. Die periodische Presse ist verhältnißmäßig schwach vertreten. Im Jahr 1853 gab es 34 periodische Blätter, von denen in Constantinopel 13, in Smyrna 6, in Kairo 2, in Alexandrien 1, in Serbien 8, in den Donaufürstenthümern 4 erschienen, davon waren in türkischer Sprache 4, in arabischer 1, in griechischer 3, in armenischer 2, in französischer 10, in italienischer 3, in bulgarischer 2, in serbischer 4, in walachischer 2, in deutscher Sprache 2 Blätter geschrieben. Die periodische Presse ist der Censur unterworfen. Die Zahl der Buch- u. Steindruckereien hat in den letzten Jahren sehr zugenommen. Über die wissenschaftliche Bildung s. Türkische Literatur.

Was die Finanzverwaltung betrifft, so sind die Nachrichten darüber, obwohl seit 1856 ein förmlicher Etat ausgestellt wird, noch sehr unregelmäßig. Jedes Ejalet hat einen Generaleinnehmer (Defterdar), jede Liwa einen Untereinnehmer (Mal Müderi), welcher in seinen Befugnissen auch die Überwachung gewisser besonderer Einnahmen, wie von Zöllen, Posten, Brückengeldern, Salinen, Fischereien etc. hat. Jährlich werden die Rechnungsgeschäftsbücher dem Finanzministerium zur Controle übersendet. Nach dem neuesten Etat von 1863–64 sollen die Gesammteinnahmen 12,042,160 Pfd. Sterl., die Ausgaben 11,876,000 (davon etwa 31/2 Mill. für die öffentliche Schuld) Pfd. Sterl. betragen, so daß sich ein Überschuß von 166,160 Pfd. Sterl. (à 125 Piaster) ergeben würde, während bisher noch immer sich alljährlich ein starkes Deficit gezeigt hat. Nach dem im April 1862 dem englischen Parlament vorgelegten Etat für das Finanzjahr 1859/60 betrugen die Einnahmen: Einkommensteuer 2,224,320, Loskauf vom Militär 476,873, Zehnten 2,844,515, Abgabe von Schafen, Schweinen u. Fischereien 866,851, Zölle 1,385,438, Tabaksteuer 205,822, Stempel u. Accise 62,436, Gewerbeconcessionen 813,258, Post 50,142, Salzminen 85,237, Tribute 374,296, Arsenaleinkünfte 118,719, Verschiedenes 203,701, zusammen 9,711,608 Pfd. Sterl. Die Ausgaben dagegen: Staatsschuld 1,577,823, Pilgerfahrt nach den heiligen Orten 384,252, Wohlthätigkeitsanstalten u. Pensionen 215,304, Einziehung entwertheter Münzen 261,336, Armee u. Marine 4,337,551, Civilliste 1,253,878, Auswärtiges 205,412, Handel u. öffentliche Arbeiten 77,940, Justiz 85,244, Inneres 1,524,333, Öffentlicher Unterricht 22,419, Polizei 110,373, Finanzverwaltung 1,022,348, Verschiedenes 10,370, zusammen 11,088,583 Pfd. Sterl., so daß sich ein Deficit von 1,376,975 Pfd. Sterl. ergab. Die Staatsschuld besteht in einer inneren u. einer äußeren. Die innere Schuld bestand 1861 aus: 6 Proc. consolidirte Schuld (Essams Djeddidés) 250 Mill. Piaster, 6 Proc. Schatzscheine (Hasné-Jahvili) 280 Mill. Piaster, 6 Proc. Schatzobligationen (Sherghis) 430 Mill. Piaster, Renten (Essams Mamtuzés) 75 Mill., Schuld von Galata 634 Mill., Papiergeld (Kaïméhs) 70,341,000, schwebende Schuld 550 Mill., zusammen 2,289,341,000 Piaster od. 18,312,000 Pfd. Sterl. (ungefähr 120 Mill. Thlr.); die äußere Schuld beträgt: Anleihe von 1854 zu 6 Proc. 3 Mill. Pfd. Sterl., Anleihe von 1855 zu 4 Proc. 5 Mill., Anleihe von 1856 zu 6 Proc. 5 Mill., französische Anleihe von 1860 zu 6 Proc. 2,037,220, Anleihe von 1862 in London zu 6 Proc. 8 Mill., zusammen die äußere Schuld (nach Abrechnung 1/2 Mill., welche bereits getilgt ist) 22,537,220 Pfd. Sterl. Die gesammte Staatsschuld betrug 1861, mithin beinahe 41 Mill. Pfund Sterling (ungefähr 280 Mill. Thlr.). Das Papiergeld (Kaïméh) wurde im Jahr 1856 auf 300 Mill. Piaster geschätzt,[11] ist aber seitdem allmälig eingezogen worden u. soll gegenwärtig ganz getilgt sein. Eine geordnete Finanzverwaltung würde die türkischen Staatsfinanzen mit zu den blühendsten in der Welt machen können, denn die Türkei besitzt überreiche Hülfsquellen in seinem so fruchtbaren Boden, in den unausgemessenen Waldungen u. in den kaum gekannten Bergwerken. Doch haben Verschleuderung der Gelder u. die verkehrtesten Besteuerungsverhältnisse das Reich dem Staatsbankerott nahe geführt. Die hauptsächlichsten Steuern sind: die (meist verpachteten) Zehnten, von Getreide, Obst, Schafen, Ziegen, Schweinen u. Bienenkörben erhoben, u. zwar in Rohprodukten. Die Einkommensteuer; sie ist sehr drückend, indem Getreide, Obst, Vieh etc. mit dem Zehnten eine doppelte Steuer, u. wenn dergleichen Gegenstände nach dem Auslande od. von u. nach Rumelien od. Kleinasien gebracht werden, sogar noch eine dritte Besteuerung tragen müssen; Seidenwaaren u. Tabak haben selbst noch eine vierte u. fünfte Steuer zu zahlen. Die Kopfsteuer (Kharadsch) wurde früher von den Rajahs für die Befreiung von Kriegsdiensten erhoben, allein seit 1856 sollen diese auch zum Kriegsdienste herangezogen werden, die nicht Eingestellten aber eine Militärsteuer zahlen; die Gewerbesteuer auf Boden u. Magazine wird nach dem Umfang der darin betriebenen Geschäfte mit monatlich 10–60 Piastern erhoben; die Stempelsteuer wird für alle an öffentliche Behörden gerichtete Eingaben für Eigenthumstitel etc. geleistet; die Accise wird von allen Lebensmitteln erhoben, welche vom Lande durch die Thore einer Stadt nach Thorschluß gebracht werden. Die Salinen u. Fischereien sind verpachtet. Zölle werden 5 Proc. von der Einfuhr, 12 Proc. von der Ausfuhr erhoben; die bedeutendsten Zollämter sind Varna, Constantinopel, Salonich, Janina, Skutari, Smyrna u. Beirut. In früherer Zeit waren Vermögensconfiscationen sehr häufig, seit dem Hatti-Scherif von Gülhane (1839) sollen sie jedoch nicht mehr vorkommen.

Die türkische Kriegsmacht steht unter dem Oberbefehl des Sultans. Die Centralleitung der militärischen Angelegenheiten der Landarmee wird durch den Seraskier (Kriegsminister) u. das Seraskierat (Kriegsministerium) ausgeübt. Für das Artilleriewesen, die Festungen u. die Militärfabriken bestehen eigene Commissionen. Das Seraskierat hat seinen Sitz zu Constantinopel; es ist zusammengesetzt aus dem Seraskier, vier Feriks, fünf Liwas, dem Molla (oberstem Militärrichter), fünf höheren u. einer Anzahl niederer Offiziere u. Beamten. Die gegenwärtige Organisation der Armee wurde nach europäischem Muster von Mahmud II. begonnen, doch erst dessen Nachfolger Abdul-Medschid vermochte von 1843 an mit der Neubildung der Armee wesentlich vorwärts zu kommen, u. noch gegenwärtig sind die Formationen nicht ganz beendet, obgleich auch der jetzige Sultan Abdul-Aziz das Reformwerk mit größter Energie fortsetzt. In der Armee bestehen folgende Chargen: Serdar (Generalissimus, nur in besonderen Fällen), Muschir (Marschall), Ferik (Divisionsgeneral), Liwa-Pascha (Generalmajor), Miri-Alaj (Oberst), Kaimakam (Oberstlieutenant), Alai-Emini (Verwaltungsmajor), Bim-Baschi (Bataillonscommandeur), Kolassé (Adjutantmajor), Juz-Baschi (Compagniechef), Mulazimi-Zani (Oberlieutenant), Mulazimi-Evvel (Uterlieutenant). Die Armee besteht aus dem Nizam (Linie), Redif (Landwehr), Hijadé (Reserve) u. den irregulären Aufgeboten. Der Nizam besteht aus sechs Ordu (Armeecorps) u. einigen in diese Armeecorps nicht eingetheilten Truppen. Die erste Ordu (Gardecorps) u. die zweite haben ihren Stab zu Constantinopel, die dritte zu Monastir, die vierte zu Kerberut, die fünfte zu Damaskus, die sechste zu Bagdad. Jede Ordu wird befehligt von einem Muschir; dessen Stab besorgt die Verwaltung u. die Generalstabsgeschäfte u. zählt einen Ferik, einen Liwa, drei Miri-Alajs od. Kaimakams u. zwei Ulemas (Gesetzkundige). Ein besonderes Corps des Generalstabes existirt nicht im türkischen Heere. Jede Ordu soll an Truppen enthalten sechs Regimenter Infanterie, vier Regimenter Cavallerie u. ein Artillerieregiment. Je zwei Infanterie- od. Cavallerieregimenter bilden eine Brigade, je zwei Brigaden eine Division. Die Zusammensetzung der Armeekörper ist aber von dieser reglementaren Formation meist sehr abweichend. Die Organisation der Ordu befindet sich in sehr verschiedenen Stadien. Bei den zwei ersten Armeecorps, welche als Elite betrachtet werden, ist dieselbe vollständig durchgeführt, der Sollstand der Truppen ist sogar überschritten; von dieser Überzahl werden zeitweise Chargen u. Leute an die in der Formation zurückgebliebenen Corps abgegeben. Die dritte Ordu hat seit 1859 ihre Formation vollendet. Bei der vierten u. fünften Ordu kann man höchstens die Infanterie dem Plane gemäß formirt annehmen; die Cavallerieregimenter sind zwar auch formirt, aber weit unter dem Stand u. auch in der Ausbildung zurück; die Artillerieregimenter haben ihre Batterien noch nicht ausreichend bemannt u. sind sehr unvollkommen ausgerüstet. Bei der sechsten Ordu befinden sich auch die Infanterieregimenter noch weit unter der Sollstärke, die Cavallerie besteht nur aus schwachen irregulären Haufen u. die Artillerie hat nur vier schlecht ausgerüstete Batterien. Jedes Infanterieregiment hat vier Bataillone (Tabor) zu acht Compagnien; jedes vierte Bataillon ist ein Jäger- od. Zuaven- (Dschidschanedi-) Bataillon. Jede Compagnie zählt 100 Streitbare, jedes Bataillon hat als Sollstärke 27 Offiziere u. 784 Mann, jedes Regiment 118 Offiziere u. 3191 Mann. Die Zuavenbataillone sind ganz neu errichtet u. ihre Formation ist noch nicht vollendet. Jedes Regiment hat zwei Fahnen, eine grüne, die Prophetenfahne, welche nur bei Feierlichkeiten gebraucht wird, u. eine rothe, welche mit ins Feld genommen wird. Die gesammte Cavallerie ist leichte Reiterei. Jedes Regiment hat sechs Escadronen, die erste u. letzte mit Säbeln, die vier Mittelescadronen mit Lanzen bewaffnet; eine Escadron soll zwei Hauptleute, zwei Lieutenants u. 149 Mann zählen, ein Regiment 933 Mann mit 871 Pferden. Fahnen od. Standarten hat die Cavallerie nicht. Die Artillerieregimenter unterstehen in technischer u. administrativer Beziehung dem Artillerieinspector, in den übrigen dienstlichen Angelegenheiten dem Muschir. Der Regimentskommandeur (Topschi-Pascha) hat den Rang eines Brigadegenerals. Das Regiment zählt 1638 Köpfe u. 12 Batterien (einschließlich einer Gebirgsbatterie) in fünf Abtheilungen; jede Batterie hat sechs Geschütze (Acht- od. Zwölfpfünder); bespannt sind die Geschütze mit sechs od. acht Pferden, die Gebirgsgeschütze werden jedes durch drei Tragthiere fortgeschafft. Das Artilleriematerial ist im Allgemeinen gut u. die Feldartillerie ist die am besten[12] geschulte Waffe im türkischen Heere. Man ist darüber die gezogenen Geschütze einzuführen u. hat solche sowohl im Anstände bestellt, als auch im Artilleriearsenal anfertigen lassen. Außer diesen sechs Ordu gehören noch zum Nizam: die zwei Artilleriebrigaden des Bosporus u. der Dardanellen; jede Brigade besteht aus zwei Regimentern, jedes Regiment ist in zwei Bataillons zu drei Compagnien gegliedert; jedes Regiment besetzt die Werke an einem Ufer der Meerengen u. zählt 900 Mann; in den Batterien jeder Meerenge befinden sich 400 bis 500 schwere Geschütze; Bombenkanonen sind davon sehr wenige, gezogene Kanonen sind noch gar nicht vorhanden, dagegen gibt es Kammergeschütze (Kamerlins), welche ungeheure Steinkugeln schießen; das Geniecorps, zwei Bataillone (jedes hat eine Mineur-, zwei Sappeur u. eine Pontoniercompagnie; die letztere hat zwei Biragosche Brückenequipagen) in der Stärke der Infanteriebataillone; die selbständige Brigade auf der Insel Kreta, 4000 Mann; die Gendarmerie, noch in der Bildung begriffen, zählt gegenwärtig erst 4000 Mann, soll aber noch bedeutend verstärkt werden, so daß jedes Ejalet ein selbständiges Corps erhalten kann; vom Artilleriehandwerkerregiment zu drei Bataillonen, jedes etwa 600 Mann, sind die beiden ersten Bataillone im Artilleriearsenal zu Tophana, das dritte in den Gewehrfabriken zu Dolmabaghdsche zu Zeitum-Burnu verwendet; die bestehenden zwei Arbeitercompagnien sind in der Lederfabrik zu Beykos verwendet zur Herstellung des für die Armee nothwendigen Riemzeuges. Der Redif (Landwehr) soll Truppen aller Waffen in derselben Anzahl, Stärke u. Formation erhalten, wie der Nizam. Im Frieden sind nur die Cadres aufgestellt, die übrige Mannschaft ist beurlaubt u. wird in jeder Ordu von einem Brigadegeneral beaufsichtigt; zur Ergänzung der Regimenter sind dem Redif stets dieselben Bezirke angewiesen wie dem Nizam. Bestimmungsmäßig soll die Redifmannschaft alljährlich einen Monat zu Waffenübungen einberufen werden, man hat aber von diesem Gesetz noch keine Anwendung gemacht. Die Organisirung des Redif ist bei den beiden ersten Ordu völlig durchgeführt, beim 3. u. 4. Corps noch unvollständig u. beim 5. u. 6. noch nicht begonnen. Die Hijadé (Armeeserve) wird aus den vom Redif entlassenen Mannschaften gebildet, von den Behörden des Redif geleitet u. soll lediglich im Kriege zur Completirung der Armee angewendet werden. Die irregulären Truppen sind der Zahl u. dem Werthe nach von den politischen Verhältnissen der einzelnen Theile des Reichs abhängig u. entziehen sich daher jeder genauern Schätzung. Sie bestehen aus Baschi-Bozuks, den Freiwilligen, den Miriditen u. den Jerli-Toptschis. Die Baschi-Bozuks (d.h. Tollköpfe) sind zumeist schlecht bewaffnete Infanteriehorden; vor Ausbruch eines Krieges, bei innern Unruhen etc. erhalten die Gouverneure der Ejalete den Auftrag eine bestimmte Anzahl Mannschaft anzuwerden; die Gouverneure übergeben sodann die Werbung in der Regel an Stammhäuptlinge od. andere Unternehmer, welche die billigsten Forderungen stellen; von den Werbegeldern erhalten jedoch die Geworbenen den kleinsten Theil, das Meiste behalten Gouverneur u. Unternehmer. Die so geworbenen, undisciplinirten Horden werden gewöhnlich als Vor- u. Sicherheitstruppen, sowie zu den kleinen Diensten des Heeres verwendet, leben hauptsächlich von Plünderung u. Erpressung, da ihnen gewöhnlich kein Sold, nur Brod gewährt wird, sind theils mehr eine Geisel für das eigene Land als ein Schrecken für den Feind u. leiden meist sehr durch Desertionen. Im Kriege von 1853 sollen die Baschi-Bozuks 30,000 Köpfe gezählt haben. Die muselmännischen Freiwilligen, meist Reiterabtheilungen, werden bald Spahis, bald Beduinen etc. genannt; das Hauptcontingent dieser Freiwilligen stellen die arabischen Stamme. Die Leute formiren größere od. kleinere Trupps unter Anführung ihrer Beys (Stammhäupter), welche eine unumschränkte Gewalt ausüben u. meist strenge Disciplin aufrecht erhalten; daher sind diese Reiterschaaren gewöhnlich recht brauchbar. Das Erscheinen dieser Freiwilligen hängt lediglich von dem guten Willen der Beys ab, welche daher durch Versprechungen od. Geschenke gewonnen werden müssen. Im letzten Russisch-Türkischen Kriege gab es etwa 10,000 solcher Freiwilligen. Bei großen politischen Gefahren des Reiches wird die Fahne des Propheten aufgepflanzt u. die Gläubigen werden zur Vertheidigung des Islam aufgeboten; in solchem Falle läßt sich erwarten, daß die moslemitische Bevölkerung sich massenhaft erheben u. die Mängel der Übung u. Formation durch Fanatismus ersetzend, doch Entscheidendes zu leisten vermag. Die Miriditen sind die katholischen Albanien u. bilden unter ihren Häuptlingen kleine Infanterietrupps, zusammen etwa 1500 geübte Schützen, welche sich stets, bes. aber 1853 bei Oltenitza, vor allen Irregulären ausgezeichnet haben. Die Jerli-Toptschis sind eine Art Nationalgarde in den festen Plätzen, hauptsächlich zum Artilleriedienst in denselben bestimmt u. von Jugend auf dafür eingeübt; der hartnäckige Widerstand, welchen türkische Festungen gewöhnlich leisten, ist zum Theile ihnen zuzuschreiben, da sie mit dem Platze zugleich ihre Habe u. ihre Familien vertheidigen. Die Armeeverwaltung: Ergänzt wird das Heer durch Conscription, bei welcher das Loos dann entscheidet. Die Stellungspflichtigkeit beginnt mit dem vollendeten 20. Lebensjahre u. erstreckt sich gesetzlich auf die gesammte Bevölkerung, in Wirklichkeit aber fast ausschließlich auf Muhammedaner. Jeder Gestellte kann sich mit der Summe von 5000 Piastern loskaufen. Die Dienstzeit beträgt 5 Jahre im Nizam, dann 7 Jahre im Redif u. hierauf 5 Jahre in der Hijadé. Zum Redif gehört die Mannschaft, welche im Nizam die Dienstzeit vollbracht hat, u. alle jene Stellungspflichtigen, welche für diensttauglich befunden, sich aber durch das Loos vom Eintritt in den Nizam befreit hatten. In die Hijadé wird nur die Mannschaft eingetheilt, welche aus dem Redif entlassen ist. Die Christen entziehen sich der Aushebung meist durch Zahlung eines Kopfsteuerzuschlages (60–250 Piaster). Die Aushebungscommissionen, aus Offizieren, Ulemas u. Ärzten zusammengesetzt, nehmen in jedem Frühjahr die Recrutirung vor; doch die schlechte Beamtenwirthschaft, sowie Abneigung der Bevölkerung gegen den Dienst im Heere, sind Hindernisse, welche das Aushebungsgeschäft sehr in die Länge ziehen; es zeigt sich hie u. da selbst thätlicher Widerstand gegen die Recrutirung, so daß die Behörden dann förmliche Menschenraubzüge zur Erlangung der nöthigen Anzahl Recruten anwenden. Die Last der Heeresergänzung tragen fast ausschließlich die ärmeren Klassen der Moslims; sie ist für dieselbe um so[13] drückender, als die vorherrschend von Muhammedanern bewohnten Gegenden relativ geringer bevölkert sind. Das Militärbildungswesen steht im Allgemeinen noch auf niedriger Stufe. Von Truppenschulen gibt es nur Batterie- od. Compagnieschulen bei der Artillerie u. beim Geniecorps. In dem Hauptorte jeder Ordu befindet sich eine Vorbereitungsanstalt für die beiden Offizierschulen: die allgemeine Militärschule, seit 1830 nach der Militärschule von St. Cyr gegründet, u. die Artillerieschule für Artillerie u. Genie. Die Zöglinge dieser beiden Schulen, deren jede 100 zählt, treten als Offiziere in die Armee, meist mit bevorzugtem Avancement. Die Mehrzahl der übrigen Offiziere geht aus Unteroffizieren hervor. Die Subalternoffiziere werden von den Muschirn, bei der Artillerie u. den technischen Truppen von dem Seraskier, Generale u. Stabsoffiziere von dem Sultan ernannt. In der Regel sollen die Beförderungen nach dem Dienstalter gehen, doch herrscht darin die größte Willkür. Der Bedarf der Armee an Pferden wird durch die Truppenkörper mittelst Handeinkauf u. bei dem großen Pferdereichthum ganz im Inlande gedeckt. Die Pferde für die Artillerie werden durch Remontedepots beschafft, deren in Rumelien zwei, in Kleinasien eins sich befindet. Außer der vollständigen Bekleidung u. Bewaffnung, Unterkunft, Transportmitteln u. Spitalverpflegung erhalten die Militärs Sold u. Naturalverpflegung. An monatlichem Sold wird gewährt: einem Gemeinen (Nefer) 4,20 Francs, einem Sergeant 8,40 Frcs., dem Unterlieutenant 35 Frcs., dem Oberlieutenant 42 Frcs., dem Hauptmann 56 Frcs., dem Adjutantmajor 112 Frcs., dem Major 150, Oberstlieutenant 280, Oberst 420, dem Generalmajor 1050, dem Divisionsgeneral 1500, dem Muschir 6000 Frcs.; Rationen erhält Jeder bis einschließlich des Oberlieutenants täglich 1, der Hauptmann 2, der Brigadegeneral 32, der Muschir 128; eine solche Ration ist im Frieden 13 Loth Reis od. Gemüse, 15 Loth Fleisch, 54 Loth Brod u. außerdem eine geringe Quantität Öl, Butter, Salz u. Holz; im Kriege ist die Ration doppelt so stark. Obwohl mithin die Naturalverpflegung reich bemessen ist, sind die Truppen doch selten gut verpflegt, theils in Folge der ungeordneten Finanzverhältnisse des Staates, theils in Folge der Bestechlichkeit der Beamten u. höheren Offiziere; auch der Sold wird oft unregelmäßig ausgezahlt u. zwar desto öfter, je weiter die Truppe von der Hauptstadt entfernt ist. Im Frieden sind die Truppen in den größeren Städten des Landes in Kasernen untergebracht, welche häufig musterhaft sind. Die Kasernen haben große Höfe u. Bäder, die Zimmer sind durchgängig sehr rein gehalten, wozu die Sitte beim Eintritt die Fußbekleidung abzulegen nicht wenig beiträgt; die Mannschaft schläft auf Teppichen; die Subalternoffiziere sind ebenfalls kasernirt, u. die Offiziere einer Compagnie bewohnen in der Regel ein Zimmer. Im Felde haben die Truppen Zelte. Die Bekleidung wird durch Unternehmer in Constantinopel geliefert u. von hier aus an die Truppen versendet; dabei leiden die Truppen in den entfernteren Provinzen oft am Notwendigsten Mangel. Bekleidungsmagazine gibt es nicht, bei Erhöhung des Truppenbestandes muß Alles neu beschafft werden; nur für den Redif sind die Bekleidungen zum Theil in den Hauptorten der Bezirke vorhanden. Permanente Spitäler gibt es nur in Constantinopel u. in Schumla; in den übrigen Garnisonen werden dieselben nach Bedarf errichtet; die Leitung der Spitäler ist in der Regel europäischen Ärzten anvertraut; im Frieden ist die Krankenpflege gut, u. die Anstalten zeichnen sich durch Reinlichkeit u. Ordnung aus (das Spital der Garde in Constantinopel ist vielleicht das schönste derartige Etablissement in Europa). Dagegen ist im Kriege die Sanitätspflege ganz unzureichend. Ein geregeltes Fuhrwesen hat die Armee nicht; der Transport der Armeebedürfnisse geschieht durch requirirte Saumthiere; der Train türkischer Heeresabtheilungen ist im Felde daher zahlreich u. schwerfällig. Die Bewaffnung des Nizam ist gut; die Gewehre sind gezogen; die Säbel der Cavallerie haben Körbe; für den Redif bestehen Waffendepots, nicht aber für die irregulären Truppen. Die Feldartillerie besitzt ein gutes u. sehr reichliches Material, weniger entsprechend ist die Festungsartillerie; man arbeitet gegenwärtig daran für die Feldartillerie die gezogenen Geschütze nach dem französischen System La Hitte einzuführen. Außer den Schulen sind an Militäretablissements vorhanden: das Artilleriearsenal zu Tophana, die Eisengießerei zu Samakof für Marine- u. Festungskanonen, die Waffenfabrik in Zeitum-Burnu, die Pulverfabriken, welche hinreichend gutes Pulver liefern, die Lederfabrik in Beykos u. die Feßfabrik in Ejub. Die Rechtspflege der Militärs findet nach einem eigenen Gesetzbuche statt durch ein Gericht, welches aus Offizieren u. Mannschaften, je nach dem Grade der Inquisition, zusammengesetzt ist. Als oberstes Militärgericht fungirt eine Abtheilung des Seraskierats unter dem Vorsitze des Molla. Das Disciplinarstrafrecht steht jedem Abtheilungscommandanten zu; als Strafen werden Arrest, Degradirung, selten Stockhiebe (u. nur bei der Mannschaft) angewendet. Die Willkür, mit welcher früher die höheren Befehlshaber selbst über Offiziere Peitschenhiebe, od. wohl gar auch die Todesstrafe disciplinarisch verhängten, ist aus der Armee verschwunden. Uniform ist bei der Infanterie dunkelblauer Waffenrock mit rothen Passepoils, grauer Mantel mit Kapuze, dunkelblaue Pantalons mit rothen Streifen, Schuhe mit Ledergamaschen, Kopfbedeckung ein rother Feß mit einem Messingringe u. blauer Quaste am Scheitel; der Tornister ist aus Kalbfell, Patrontasche u. Bajonnet werden an einem schwarzen Kuppel getragen. Die Offiziere haben goldene Epauletten u. goldene Litzen am Kragen, die Stabsoffiziere auch Goldborden an den Pantalons. Die Zuavenbataillone haben arabische Kleidung: dunkelblauen Spenser u. Weste mit rothen Tressen, rothe Hose, weißen Turban u. als Waffe einen Dornstutzen mit Haubajonnet. Die Cavallerie trägt dunkelblaue Attilla mit rothen Passepoils, dunkelblaue Weste, als Fußbekleidung Halbstiefel, Feß, Pantalon u. Mantel wie die Infanterie; bewaffnet ist die Cavallerie mit Säbel u. zwei Pistolen, die Flügelescadronen außerdem mit einem Karabiner, die Mittelescadronen mit einer Lanze. Die berittenen Artilleristen sind der Cavallerie, die unberittenen der Infanterie ähnlich bekleidet. Die berittene Gensdarmerie trägt einen Stahlhelm, sonst wie die Flügelescadronen der Cavallerie; die unberittene Gensdarmerie trägt einen Kalpak (statt des Feß), sonst wie die Infanterie. Der Redif ist ganz wie der Nizam bekleidet, hat jedoch weiße Mäntel. Die wichtigsten Festungen[14] des T-n R-s sind: Tultscha, Matschin, Hirsowa u. Ismail, Rassowa, Silistria, Turtukai, Rustschuk, Nikopoli, Rahowa u. Widdin, sämmtlich an der Donau; im Balkangebirge Schumla, am Schwarzen Meere Varna, in Serbien Belgrad, Semendria u. Schabatz, in Asien Kars u. Erzerum, außerdem eine große Menge kleiner befestigter Plätze in Bosnien, der Herzegowina, Albanien etc. u. die Befestigungen am Bosporus u. an den Dardanellen. Die Reglements sind dem französischen nachgebildet. Die Disciplin in der Armee ist im Allgemeinen gut; der türkische Soldat ist nüchtern u. mäßig, sehr gehorsam, treu u. gelehrig; Excesse kommen beinahe nie vor; zwischen Offizieren u. Soldaten besteht große Vertraulichkeit. Die Gesammtstärke der Armee (einschließlich der Irregulären), nach ihrer bisher vollendeten Organisation, kann man auf etwa 205,000 Mann berechnen, darunter 35,000 Reiter mit 552 Geschützen, wozu noch die Hülfscontingente von Ägypten, Tripolis u. Tunis mit etwa 17,000 Mann (darunter 3000 Reiter) u. 32 Geschützen kommen.

Die Kriegsmarine hat in der neueren Zeit wiederholt schwere Verluste erlitten. Bei Navarin wurde sie 1827 beinahe vernichtet; die Gründung eines selbständigen Griechenlands beraubte sie des besten Theiles ihrer Bemannung; 1840 gingen durch Verrath 22 größere Fahrzeuge an Ägypten verloren u. bei Sinope wurden 1854 13 Hochbordschiffe zerstört. Immer aber ist die Flotte wieder auf einen achtunggebietenden Stand gebracht worden. Das Marineministerium steht unter dem Kapudan-Pascha (Großadmiral), welchem ein Admiralitätsrath beigegeben ist. Gegenwärtig zählt die Flotte 126 Kriegsfahrzeuge mit 2607 Geschützen. Die Dampfflotte zählt 5 Schraubenlinienschiffe, 16 Fregatten, 12 Corvetten, 5 Kanonenboote u. 42 kleine Dampfer, zusammen 80 Fahrzeuge mit 1240 Geschützen u. 17,740 Pferdekraft. Die Segelflotte zählt 6 Linienschiffe (davon 2 nur als Hafenschiffe brauchbar), 5 Fregatten, 3 Corvetten, 6 Goëletten, 14 Briggs u. 12 Avisos, zusammen 46 Fahrzeuge mit 1367 Kanonen. Die Construction der Schiffe ist sehr gut, meist sind sie in England od. auf inländischen Werften von englischen Ingenieuren erbaut; das Material ist vortrefflich: die Bauhölzer kommen aus Kleinasien, die Masten aus Bulgarien u. den Donaufürstenthümern, Segel u. Taue aus Rußland, Eisen u. Kupfer aus den Minen von Samakof u. Tokat. Das Hauptarsenal ist in Constantinopel, kleinere Arsenale u. Werfte befinden sich in Sinope, Egreli, Matalin u. Rhodus. Das Matrosencorps zählt 18,000–20,000 Mann u. wird aus den Küstenprovinzen nach denselben Grundsätzen wie die Landarmee rekrutirt; auch Christen werden für die Marine ausgehoben. Die Marineinfanterie besteht aus zwei Regimentern à zwei Bataillonen, jedes Bataillon zu acht Compagnien mit etwa 900 Mann. Die Seeoffiziere ergänzen sich theils aus den Matrosen, theils aus der Marineschule zu Constantinopel, welche 90 Zöglinge hat. Die Dienstzeit in der Marine dauert acht Jahre. Die bedeutendsten Kriegshafen sind Constantinopel, Galipoli u. Varna. Die Flagge ist roth mit weißem Halbmond, die Kauffartheiflagge roth.

Das Reichswappen (Tenghra) ist ein grüner Schild, mit einem wechselnden silbernen Mond (das Enblem, welches Muhammed II. nach der Eroberung von Constantinopel auf seine Fahnen setzen ließ). Den Schild umstiegt eine Löwenhaut, auf welcher ein Turban mit einer Reiherfeder liegt; hinter demselben sind zwei Standarten mit Roßschweifen schräg gestellt. Der Sultan führt aber in seinem Wappen seinen u. seines Vaters od. Vorfahren Namenszug mit dem Beisatze: unüberwindlicher Kaiser u. einer Blume aus sechs Blättern als Beizeichen. Die Orden im T-n R-e sind: der 1799 gestiftete Orden des halben Mondes (für Verdienste von Ausländern) in drei Klassen, wozu noch eine Medaille kommt; der Orden des Ruhms (Nifschani iftichar), 1831 gestiftet, in vier Klassen; der 1852 gestiftete Medschidiaorden mit fünf Klassen. Außerdem gibt es eine Ehrenmedaille für die Teilnehmer an der Schlacht von Abukir (für die englischen Militärs in Gold) mit der türkischen Chiffre Selim III., ferner vier silberne Kriegsmedaillen von 1856 für Silistria, Kars, die Krim u. eine allgemeine Kriegsmedaille (die letztere für Offiziere in Gold). Sonst bestehen als Auszeichnungen Ehrenkaftane u. Ehrensäbel.

Über Acker-, Gemüse-, Obst-, Wein-, Ölbau, über Viehzucht, Bergbau etc. der Türken s. oben S. 6. Die gewerbliche Thätigkeit findet im T-n R-e noch ganz nach alter Art statt. Mit Ausnahme der für den täglichen Verkehr unentbehrlichen Gewerbszweige sind die übrigen auf gewisse Orte u. gewisse Personen beschränkt. Von der Regierung gar nicht unterstützt, durch die wachsende Einfuhr fremder Fabrikate in jeder Weise gehemmt, ist die Industrie auf sehr enge Gebiete gewiesen, wenn nicht vom Untergange bedroht, wie dies mit einigen Artikeln schon wirklich der Fall ist. In früheren Zeiten bezog das Abendland eine Menge kostbarer Stoffe aus dem T-n R-e; jetzt haben die dortigen Fabriken nicht allein ihre auswärtigen Käufer verloren, sondern sie stoßen im eigenen Lande auf fremde Waaren, welche besser u. wohlfeiler als die heimischen Erzeugnisse sind. Es gibt Windmühlen, bes. am Ägäischen Meere u. auf den Inseln; Wassermühlen, gewöhnlich mit Turbinen, sind weniger vorhanden, als man bei der großen Menge von Gebirgswässern vermuthen sollte; im Innern des Landes werden meist Handmühlen angewendet, doch hat die neueste Zeit auch Dampfmühlen gebracht; so gibt es auch Säge-, Walk-, Tabaks- u. Pulvermühlen. Viele Handwerker in der Türkei, Zimmerleute od. Bauhandwerker (denn eigentliche Maurer gibt es nicht, s. oben), Tischler, Sattler, Töpfer, Buchbinder etc., stehen noch auf einer sehr niedern Stufe, da sie nur nach türkischer Weise arbeiten; selbst die Schneider u. Schuster arbeiten schlecht, die feineren Kleider liefern europäische Arbeiter, gut sind dagegen die Bäcker, Pastetenbäcker, Fleischer u. Metallarbeiter, bes. Kessel-, Blech-, Messer- u. Klingenschmiede, welche treffliche Arbeit (vgl. Damasciren) liefern. Bes. geschickt sind die Gerber, namentlich in Saffian u. Corduan. Auch Weberei von grobem Tuch u. Seide, so wie Stickerei (von Frauen gefertigt) verstehen die Türken gut, können aber mit fremden Fabriken nicht Preis halten; Shawls fertigt man in der Türkei nicht, sondern erhält die sogenannten Türkischen Shawls von Persien u. Kaschemir, die ordinären von England. Die türkischen Teppiche sind berühmt, eben so die Echtheit ihrer Farben, Posamentirerarbeiten liefern bes. die Griechen u. Juden. Die Luladgiler, Leute, welche Pfeifenköpfe[15] aus Siegelerde od. Meerschaum schneiden, sind sehr zahlreich; Branntwein destilliren die Griechen aus Zwetschen, der Liqueur kommt aber aus Europa, Rosenwasser u. Rosenöl wird bes. in Thracien bereitet, Seife wird viel verfertigt; Pottasche u. Salpeter wird bes. im Norden der Europäischen Türkei gewonnen, ebenso Seesalz an den Maremmen des Agäischen u. Schwarzen Meeres, Steinsalz in der Walachei, viel wird auch eingeführt, Holzkohlen in Macedonien u. Bosnien bereitet, Papier nur in wenigen Fabriken, in Smyrna, Constantinopel u. in Serbien, alles andere eingeführt. Die verschiedenen Handwerke (Sahanat) bilden eigene Zünfte (Esnat), von denen jede unter ihrem Usta Baschi steht, welcher die Gerichtsbarkeit übt, sie bei den Behörden vertritt u. das Mittelglied zwischen beiden ist, auch selbst zu den Ortsbehörden gehört, doch sind die Zünfte nicht so scharf geschieden wie in Europa. Für Ausländer sind die Gewerbe von Staatsabgaben frei, jedoch müssen diejenigen, welche auch von Einheimischen zunftmäßig betrieben werden, an diese Gewerke eine kleine Abgabe geben. Schlosser, Schmiede, Klempner, Tischler, Kunstdrechsler, Sattler u. Riemer, Wagenbauer, Uhrmacher, Gold- u. Bijouteriearbeiter, Lithographen etc. sind sämmtlich Ausländer. Producte der gewerblichen Thätigkeit des T-n R-s waren auch auf den Ausstellungen in London u. Paris vertreten u. neuestens war sogar eine Industrieausstellung in Constantinopel veranstaltet. Sowohl der Land- als Seehandel sind im T-n R. von größter Wichtigkeit, aber das Haupthinderniß für den ersteren sind die schlechten Verkehrsmittel, u. so entspricht denn der Umfang des Handels der Größe des Reichs keineswegs. Obwohl schon 1847 vom Sultan angeordnet worden ist, daß alle Beamte sich aufs thätigste mit Verbesserung der Communicationen u. namentlich mit Herstellung eines Systems von Straßen nach den großen Mittelpunkten des Verkehrs im Reiche beschäftigen sollen, gibt es doch noch nicht so viele Kunststraßen, wie in einem der Mittelstaaten Deutschlands, die meisten Wege sind nur Saumpfade, auf einzelnen kurzen Strecken gepflastert. Eisenbahnen hat man kurze Strecken erst in allerneuester Zeit angelegt. Von größtem Nutzen für den Binnenverkehr, welcher fast ausschließlich durch Tragthiere (in Asien namentlich Kameele) betrieben wird, sind die Messen u. Märkte, von denen die wichtigsten zu Usundschowa in Thracien (23. Sept. bis 2. Oct.), Seres, Folticzeny (Moldau), Nevrocope u. Marassia (Thracien), Scharkoi, Karusa u. Giuma (Bulgarien), Kumi u. Fersala (Thessalien). Der Handel von Mittel- u. Westeuropa mit dem T-n R. befindet sich vorzugsweise in den Händen der Ausländer, von denen die Griechen einen zahlreichen Bestandtheil ausmachen; im Levantiner u. Küstenhandel hingegen sind auch viele türkische Unterthanen, namentlich Griechen, Armenier u. Bulgaren, beschäftigt. Bankiers u. Wechsler sind fast nur Armenier u. Griechen, in deren Händen sich auch fast ausschließlich der Binnenhandel befindet. Hinsichtlich des Umfanges des Handelsverkehrs mit dem Auslande fehlen officielle Nachrichten; doch haben ihn die bedeutendsten Statistiker zu schätzen versucht u. die Einfuhr zu etwa 70 Mill., die Ausfuhr zu 60 Mill. Thalern berechnet, wobei in erster Linie England, Österreich mit Deutschland u. Frankreich, in Asien aber Persien vertreten sind. Ausgeführt werden besonders: Vieh, bes. Schweine (bis Elsaß), Schöpfe, Wolle, Ziegenhaare, rohe Seide, Baumwolle, Öl, Oliven, Reis, Tabak, Kaffee, Haute u. Felle (vom Bär, Dachs, Luchs u. Hasen), Honig, Wachs, Spanischer Pfeffer, Rosinen, getrocknete Zwetschen, Eichen-, Cedern- u. Buchsbaumholz, Färbehölzer, Galläpfel, Knoppern, gefärbtes Garn, Schildkrötenschalen, Kermes, wohlriechende Pasten u. Rosenwasser, Seife, Pottasche, Blutegel. Eingeführt werden besonders: Getreide, Metalle, bes. Eisen u. Stahldraht, Shawls, Luxusartikel aller Art, seines u. Mitteltuch, Baumwollenzeuge, Colonialwaaren, Töpfe, Porzellan u. Fayence, Glas u. Glaswaaren, Spiegel, Holz- u. Spielwaaren, Pulver, Munition, Waffen, Uhren, Bronzewaaren, Spitzen, Leinwand, Papier, Esel u. Maulesel etc. Die bedeutendsten Handelsplätze sind: Constantinopel, Adrianopel, Salonich, Galatz, Ibraila, Jassy, Bukarest u. Varna in Europa, Trapezunt, Smyrna u. Beirut in Asien, Alexandrien u. Kairo in Afrika. Die Grundlage des jetzigen handelspolitischen Systems der Pforte ist der unterm 16. Aug. 1838 (mit Zusätzen von 1841) mit England abgeschlossene Handels u. Schifffahrtsvertrag, nach welchem die Verträge mit Frankreich (1838 u. 1840), mit den Hansestädten (1839), Belgien (1839), Sardinien (1839 u. 1854), Schweden u. Norwegen (1840), Spanien (1840), Niederlande (1840), dem Deutschen Zollverein (1840 u. 1850), Dänemark, Neapel, Portugal, Rußland u. Griechenland (1855) gefolgt sind. Mit Österreich besteht ein Handelsvertrag seit 1784, mit Nordamerika seit 1830. Zur Förderung des Handels hat man auch Banken errichtet, zuerst 1848 in Constantinopel, dann in Smyrna, Jassy, Belgrad, Bukarest etc. Regelmäßige Dampfschiffverbindungen werden unterhalten durch den österreichischen Lloyd, die französische Mesagerie Imperiale, durch englische, russische u. italienische Dampfer, sowie durch die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Das Postwesen ist seit 1840 neu eingerichtet. Die Postverbindungen mit dem Auslande sind gut u. verhältnißmäßig wohlfeil, weil sie durch die Regierungen von Österreich u. Rußland landwärts u. durch die Lloydgesellschaft in Triest u. die französische Mesagerie Imperiale über Marseille bewirkt werden. Die Hauptpostlinien sind: von Constantinopel über Adrianopel nach Sophia, von Constantinopel nach Salonich u. von hier nach Janina u. Skutari. In Constantinopel u. Belgrad sind österreichische Postämter; s.u. Post S. 428. In Asien ist eine regelmäßige Postverbindung noch nicht hergestellt u. Briefe werden durch Boten (Tataren) gesendet. Eisenbahnen hat das T. R. erst seit allerneuester Zeit u. erst einige kurze Strecken (von Smyrna nach Aidin, von Tschernawoda nach Kustendsche u. zwischen Constantinopel u. Adrianopel), doch sind größere Strecken noch projectirt. Telegraphenlinien bestehen mehre u. zwar ist Constantinopel verbunden mit Varna (u. von hier mit der Krim), u. mit dem russischen System, ferner über Belgrad u. Bukarest mit den österreichischen Linien, mit Smyrna, Salonichi etc. Wirthshäuser: nach Art der europäischen nur in den größeren Städten, die Karawanserais u. Hans (s. b.) sollen sie ersetzen, doch findet man nichts als Wasser, die vier Mauern u. Obdach.

Münzen, Maße u. Gewichte. Gerechnet wird im ganzen Reiche nach türkischen Piastern (bei den Türken selbst Grusch) zu 40 Paras à 3 Asper[16] also zu 120 Asper, man theilt jedoch auch den Piaster in 100 Asper od. Minas; der Werth dieses Piasters ist aber in neuerer Zeit immer schlechter geworden u. während er 1764 221/2 Sgr. (3/4 Thlr. preuß.), 1822 aber noch 5 Sgr. 6 Pf. betrug, kommen jetzt 5 Piaster auf 1 Franc, also 1 Piaster = 1 Sgr. 8 Pf.; große Summen werden nach Beuteln (Keser), s.d., zu 500 türkischen Piastern bestimmt; der Beutel Gold (Kitze od. Chise) zu 30,000 türkischen Piastern, früher auch wohl zu 15,000 Zechinen, ist nur bei Geschenken gewöhnlich. Juk, Juck od. Jux soll eine Summe von 100,000 Aspern, nach älteren Angaben von 12 Beuteln bedeuten. Wirklich geprägte Münzen: a) ältere Münzen in Gold: Fonduks (Sequins od. Zechinen) zu 5, halbe zu 21/2 u. viertel zu 11/4 alten od. Goldpiaster, die 5 Piasterstücke von 1835 (581 Stück auf die Rauhe, 697,2 auf die Feine Mark, 20 Karat sein) heißen Memduhié-Roudiësi; Altüns (Zerimahbubs, Zermahbubs, auch Zindsjerli) zu 31/2 u. halbe zu 13/4 Piaster, neuere Onekilik zu 12, Onlik zu 10, Jeremilik zu 20, Kirklik zu 40 Piaster. Die gegenwärtig allein ausgeprägten Goldmünzen sind Stücke zu 100 u. 50 Piaster. b) Ältere Münzen in Silber: Piaster od. Grusch zu 40 Paras, Iselota od. Doppel-Zolota (Almichlek, Altmischlik) zu 11/2, Ikilik (Ikigrusch) zu 2, Juzlik od. Juspara zu 21/2 Piaster; kleinere Münzen: Solota (Zolota) zu 30, Jarimlik (Ighirmischlik) zu 20, Onbeschlik (1/2 Zolota) zu 15, Onlik (Onpara) zu 10, Beschlik (Beslik) zu 5 Para, Paras zu 3 Asper u. Asper (Ahdsje), welche weggeblasen werden können. Die gegenwärtig im Verkehr befindlichen Silbermünzen sind Stücke zu 20, 10, 5, 2, 1 u. 1/2 Piaster. c) Kupfermünzen gibt es zu 1, 5, 10 u. 20 Para. Alle älteren Münzen zieht die Regierung ein. Papiergeld sind die Kaïmé, welche gegenwärtig ebenfalls eingezogen werden, u. die Essam (Singuler Sehim), welche als Schatzobligationen an Lieferanten ausgegeben werden. Maße: Längenmaße: die Draá, Pik, Elle für Seidenwaaren u. Tücher ist = 3/4 englische Yard, 0,6557876 Meter od. 304 Pariser Linien, 100 solche Draàs = 102,826 preußische Ellen; die Endaseh (Hendazéh) für alle übrige Mannfacte ist = 0,6525 Meter od. 289,235 Pariser Linien, 100 Endaseh = 98,830 preußische Ellen; der Halebi od. Arschin der Feldmesser ist = 27,9 englische Zoll = 0,708647 Meter od. 314,140 Pariser Linien, 100 Halebi = 106,254 preußische Ellen; die türkische Meile, Agatsch, ist = 0,72 od. ungefähr 3/4 geographische Meile, 205/6 auf den Grad des Äquators; von einer andern Meile, Bern, sollen 75,3, nach Andern 662/3, von den türkischen Seemeilen 842/3 u. dem armenischen Farsang 25 auf den Grad des Äquators gehen. Getreidemaß: der Fortin hat 4 Kiló (Kisloz, Kilóts), der Kiló ist = 35,266 Liter, 100 Kilós = 64,165 preußische Scheffel; der Kiló Reis soll 10, der Kiló Korn 21–24 Oka wiegen; seit dem 17. Nov. 1841 ist der Kiló von Constantinopel allgemein für das ganze Reich eingeführt u. der von Smyrna, Saloniki etc. sind aufgehoben, 3 Kilós in Constantinopel = 2 Kilós in Smyrna, 4 Kilós in Constantinopel = 1 Kiló in Saloniki. Flüssigkeiten werden meist nach dem Gewicht, der Oka etc. verkauft, im Kleinhandel ist für die Oka ein entsprechendes Maß, ungefähr wie das Wiener Seidel, gewöhnlich; die Alma od. Almud für Öl hält 5,20466 Liter, sie soll 8 Oka wiegen, 100 Alma = 454,543 preußische Quart, sie wird auch für einige andere Flüssigkeiten gebraucht. Gewichte: der Kantar (Centner, Cantaro) hat 44 Oke, auch 100 Rottel (Rotoli, Pfund, blos in Rechnungen gewöhnlich); die Oka (Ocka, im Plural Oke, Ocche) hat 400 Drachmen (Derhem, Dram) u. wiegt 1278,48 Gramm od. 26,000 holländische As, 100 Oke = 273,348 preußische Pfund; der Kantar Baumwollengarn wird zu 45 Oke gerechnet. Gold-, Silber-, Juwelen- u. Medicinalgewicht: das Cheky (Tscheki, Scheki), genau 1/4 Oka, hat 100 Derhems à 16 Killo od. Kara (Karat) à 4 Grän, 1 Cheky = 319,62 Gramm od. 6650 holländische As, 100 Cheky = 136,674 preußische Mark. Andere kostbare Waaren werden nach Metikal od. Medikal zu 11/2 Drachme gewogen, der Batman persische Seide hat 6 Oke, der Teffeh Seide von Brussa hält 610 Drachmen, ein Cheky Opium ist 250 Drachmen od. 21/2 gewöhnliche Cheky, für Kameelhaar 800 Drachmen, also 8 gewöhnliche Cheky od. 2 Oke; Mazzo bedeutet 50 Stück bei zählenden Gütern.

Vgl. J. H. Stöber, Historisch-statistische Beschreibung des Osmanischen Reichs, Hamb. 1784; P. W. G, Hausleutner, Das T. R. nach seiner Geschichte, Religions- u. Staatsverfassung, Sitten etc., Stuttg. 1788; von Tott, Mémoires sur les Turcs et les Tártares, Amsterd. 1785, 3 Thle. (deutsch mit von Peysonels Verbesserungen u. Zusätzen, Nürnb. 1788–89, 2 Thle.); W. Eton, Schilderung des T-n R-s, aus dem Englischen von J. A. Bergk, Lpz. 1805; G. A. Olivier, Reise durch die Türkei, Ägypten, Syrien u. Mesopotamien, aus dem Französischen von J. A. Bergk, Lpz. 1805, 2 Thle., von Sprengel u. Ehrmann, Weim. 1802–1808, 3 Bde.; Poucqueville, Reise durch Morea u. Albanien nach Constantinopel u. mehre andere Theile des Osmanischen Reichs, aus dem Französischen von K. L. M. Müller, Lpz. 1805, 3 Bde.; Th. Thornton, Das T. R. in allen seinen Beziehungen, aus dem Englischen übersetzt von F. Herrmann, Hamb. 1808; K. A. von Gruber, Das Osmanische Reich geographisch, statistisch u. geschichtlich dargestellt, Wien 1812; J. von Hammer, Die Staatsverfassung u. Staatsverwaltung des Osmanischen Reichs, ebd. 1815–1816, 2 Bde.; A. E. Castellan, Sitten, Gebräuche u. Trachten der Osmanen, Lpz. 1815, 3 Bde.; H. von Forbin, Reise nach dem Morgenlande, aus dem Französischen übersetzt von F. L. Rammstein, Prag 1823–25, 4 Lieferungen; J. Carne, Letters from the East, Lond. 1826, 5 Bde. (deutsch als Leben u. Sitte im Morgenlande, auf einer Reise nach Constantinopel durch das griechische Inselmeer, Ägypten, Syrien u. Palästina etc., von W. A. Lindau, Dresden 1826–27, 4 Thle.); d'Aubignosc, La Turquie nouvelle jugée au point où l'on amenée les réformes du Sultan Mahmoud, Par. 1829, 2 Bde.; Slade, Travels in Turkey 1829–31, 2. Aufl. Lond. 1833, 2 Bde.; Urquhart, Turkey and its resources, Lond. 1833; Frederick Smith, The present state of the Turkish empire, Lond. 1839 (ursprünglich französisch vom Marschall Marmont); Ami Boué, Esquisse géologique de la Turquie d'Europe, Par. 1840; Derselbe, La Turquie d'Europe, ebd. 1840, 4 Bde.; Reid, Turkey and the Turks, Lond. 1840; B. Poujoulat, Voyage à Constantinople, dans l'Asie mineure etc., ebd. 1840, 2 Bde.; Eusèbe de Salle, Pérégrinations en Orient historiques et politiques pendant les années[17] 1837–40, ebd 1840, 2 Bde.; Geographisch-statistische Übersicht des Osmanischen Reichs in Europa u. Asien etc., Lpz. 1844; Rigler, Die Türkei u. deren Bewohner, Wien 1852; A. von Bessé, Das Türkische Reich, Lpz. 1854; Wantery, On the religion, manners, customs and constitution of the Turk. empire, Lond. 1850; Michelsen, The Ottoman empire, 2. Ausg. Lond. 1854; Ubicini, Lettres sur la Turquie, Par. 1853; Derselbe, La Turquie actuelle, Par. 1855; Tchihatcheff, Lettres sur la Turquie, Brüssel 1859; Joanne u. Isambert, Itineraire descript., hist. et archéol. de l'Orient, Par. 1861.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 1-18. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011159421


[18] Türkisches Reich (Gesch.).

Das jetzt schlechtweg Türken, eigentlich Osmanen genannte Volk ist blos ein Zweig des großen Volksstammes der Türken (s.d.). Diese kommen bereits bei Plinius u. Mela als Turcä vor u. wohnten damals in Sarmatien in den Wäldern an der Wolga (Rha), wo sie sich blos von der Jagd nährten; noch der Geographus Nubiensis läßt die Wolga, ehe sie sich gegen Osten wendet, durch das Land der Tork gehen. Neuere Gelehrte haben auch in den Iyrkä des Herodot die Türken wiederfinden, od. vielmehr Iyrkä in Tyrkä ändern wollen. Nach der Sage sollen die Türken von Japhets Sohne Turk abstammen. In vorgeschichtlicher Zeit trennten sich von ihren Stammgenossen, welche als Uiguren im Osten blieben, die Oghusen u. zogen gegen Westen, wo sie sich in mehre Stämme theilten u. mehre Ländereien besetzten. Der bedeutendste u. mächtigste Stamm war der der Seldschuken (s.d.), welche außer in Iran auch noch in Kerman, Haleb, Damask u. Rum Dynastien errichtet hatten, welche aber sämmtlich bis Anfang des 14. Jahrh. gestürzt wurden. An der Stelle der Seldschuken traten nun als Repräsentanten der Westtürken in Vorderasien die Osmanen auf.

Unter dem seldschukischen Sultan Dschelal Eddin von Khowaresm, welcher mit den Seinen längst Muhammedaner u. Gegner Dschingis Khans war, lebte der Emir Solyman Schah, welcher sich, als sein Vaterland von den Mongolen überwältigt wurde, 1224 mit seinem Stamme nach Westen wendete. Als er nach Dschingis Khans Tode heimkehrte, ertrank er 1231 im Euphrat, worauf sein Stamm sich zerstreute. Von seinen vier Söhnen kehrten zwei nach Khorassan zurück; die beiden andern, Dündar u. Ertoghrul, fanden mit 400 Familien Aufnahme im Gebiet Ala Eddins, des Seldschukensultans von Rum, wo ihnen Sitze an der westlichen Grenze des Gebiets von Angora angewiesen wurden. Ertoghrul (st. 1288) focht für Ala Eddin siegreich gegen die Mongolen u. Byzantiner, worauf ihm Ala Eddin beim ehemaligen Doryläon in Phrygien einen District (Sultan oni) als erbliches Lehn gab, welcher der Stammsitz der osmanischen Macht in Kleinasien wurde. Ertoghruls ältester Sohn, Osman, nach welchem sein Stamm den Namen Osmanen erhielt, erfocht 1288 bei Lemnos einen Sieg über die Byzantiner, eroberte Karahissar von denselben u. machte sich von dem Sultan von Rum unabhängig, so wie beim Zerfall dieses Reiches zu Anfang des 14. Jahrh. die andern osmanischen Lehnsfürsten desselben. Osmans Reich war die Landschaft um den Olympus; er vertheilte die Güter an seine Krieger, nahm seinen Sitz in Jenischehr, ermordete seinen Oheim Dündar, setzte seine Kriege gegen Byzanz bis 1307 fort u. eroberte 1308 die Insel Chios. Zwar wendete sich der byzantinische Kaiser Andronikos an den Mongolenkhan Gehasan um Hülfe, aber dennoch nahm Osman alle griechischen Schlösser bis zum Schwarzen Meere. Während dessen wurde die Südgrenze seines Reiches durch einen Einfall der Tataren bedroht, aber sein Sohn Orkhan schlug sie 1317. 1326 st. Osman; sein Nachfolger Orkhan eroberte 1326 Brusa, wo er seine Residenz nahm, ernannte seinen Bruder Ala Eddin zum Vezier, eroberte 1327 Semendria. Aïdos u. Nikomedien, führte seit 1328 die von Ala Eddin entworfene, bis auf die neueste Zeit beibehaltene Staatsverfassung ein, organisirte 1329 das Heer (Janitscharen, Spahis u. Zaims) u. nahm den Titel Sultan an; er schlug 1330 den Kaiser Andronikos bei Philokrene u. eroberte nach langer Belagerung Nikäa. Er gründete darin mehre Moscheen u. Unterrichtsanstalten u. setzte dort seinen ältesten Sohn Solyman zum Statthalter ein, welcher 1333 die nördliche Küste von Kleinasien mit Kios nach dreijähriger Belagerung eroberte. Bis dahin hatten die zehn Türkenstämme Kleinasiens in Frieden unter einander gelebt, von jetzt an aber verschonte Orkhan auch die Stammgenossen nicht mehr. Die zwei Söhne des Fürsten von Karasi (dem alten Mysien) stritten damals um die Herrschaft. Der jüngere erkaufte den Beistand Orkhaus durch Abtretung mehrer Städte, wurde aber von dem älteren ermordet, u. nun eroberte Orkhan 1335 Pergamos u. verjagte den Usurpator. Er schloß 1333 auch den ersten Frieden mit den Byzantinern u. erneuerte denselben 1341, da eine Landung der Türken in Europa 1337 von den Griechen zurückgeschlagen worden war. Unter dem Kaiser Johannes Kantakuzenos fand eine genaue Verbindung zwischen Byzantinern u. Türken statt, u. diese stauben den Ersteren gegen die Serbier u. Bulgaren bei; u. um dieses Bündniß noch mehr zu befestigen, vermählte Kantakuzenos 1346 eine seiner Töchter mit Orkhan. Orkhan verband sich 1353 mit den Genuesern gegen die Venetianer. Als Johannes Kantakuzenos mit seinem Mitkaiser Johannes Paläologos um die Alleinherrschaft stritt, verlangten Beide den Beistand Orkhaus, dessen Sohn Solyman dies benutzte, um 1356 im europäischen Griechenland festen Fuß zu fassen. Gerade damals hatte Orkhan dem Kantakuzenos 10,000 Reiter gesendet, welche sich 1357 in Kallipolis festsetzten, u. die Unterhandlungen Kantakuzenos', um diese Stadt wieder zu erhalten, blieben erfolglos. 1358 st. Solyman, der erste Osmanenfürst, welcher in Europa begraben wurde, u. 1360 auch Orkhan. Murad I Gehasi, Orkhaus jüngerer Sohn, folgte ihm; nachdem er den Fürsten von Kerman gezwungen hatte ihm Ankyra abzutreten, ging er nach Europa über u. eroberte mehre Schlösser u. Städte, unter ihnen 1362 auch Demotika, Adrianopel u. Philippopel, so wie das ganze Land bis zum Hämus. Nun schloß er Frieden mit dem byzantinischen Kaiser, da sich die Fürsten von Ungarn, Serbien, Bosnien u. der Walachei gegen ihn verbündet hatten. Die Verbündeten waren 1363 bis Marizza, zwei Tagemärschen von Adrianopel, vorgedrungen; wurde aber von dem türkischen Feldherrn Hadschi il Beki überfallen u. geschlagen. Damals kam die Thogra (s.d.) in Gebrauch. Nachdem Murad I. seine Residenz von Demotika 1365 nach Adrianopel verlegt hatte, ließ er die Eroberungen in Thracien fortsetzen u. bis Mösien u. Bulgarien ausdehnen. Murad[18] selbst eroberte 1372 Apollonia u. andere Küstenstädte, u. nachdem er noch zwei Feldzüge gegen den Despoten Lazarus von Serbien u. gegen den Bulgarenkönig Sisman gethan u. auch den Waffen-Platz Nissa erobert hatte, schloß er 1375 Frieden mit Serbien u. Bulgarien; beide Fürsten wurden tributpflichtige Lehnsleute von ihm. Durch die Vermählung seines Sohnes Bajazet mit der Prinzessin von Kerman erwarb dieser den größten Theil von Kerman. Darauf kaufte er dem Fürsten von Hamid den Landstrich zwischen Kerman u. der türkischen Grenze ab u. eroberte 1382 durch seinen Feldherrn die Städte am Rhodopegebirg u. Axios, sowie Sophia jenseit des Hämus. Während Murad I. 1384 einen Aufruhr in Asien unterdrückte, zettelten seine u. des Kaisers Johann Söhne, Andronikos u. Sardschi, eine Verschwörung gegen ihre Väter an. Murad I. kehrte deshalb nach Europa zurück u. Sardschi floh nach Demotika; Murad I. erstürmte diese Stadt 1385 u. ließ den Empörer hinrichten. In Folge eines Angriffs des byzantinischen Prinzen Manuel nahm der Vezier Ghair Eddin 1386 Salonichi ein. 1387 von dem Sultan Ala Eddin von Kerman, seinem Eidam, angegriffen, setzte Murad nach Asien über, schlug Ala Eddin in der Ebene von Ikonion u. ernannte seinen Feldherrn Timurtasch zum Pascha von drei Roßschweifen (eine neue Würde), zugleich befahl er, daß die in dieser Schlacht beobachtete Schlachtordnung für alle nachfolgenden Gefechte als Gesetz gelten sollte. Als 1387 die Bulgaren u. Serbier die Türken in Bosnien besiegt hatten, schickte Murad den neuen Großvezier Ali Pascha mit einem Heer nach Europa, welcher die Bulgarei eroberte, die zum T-n R. geschlagen wurde. Mit dem König Lazarus von Serbien traf Murad 1389 bei Kossowa auf dem Amselfeld zusammen; die Schlacht wurde gewonnen, aber der Sultan selbst blieb, von einem Serbier, Milosch Kobilowich, erstochen. Durch diesen Sieg endigten die Türken die Selbständigkeit der slawischen Donauländer u. unterwarfen sich dieselben.

Murads I. Sohn Bajazet I. (Bajasid) Ildirim (d.i. Blitzstrahl) folgte. Er gab dem Sohn des Königs Lazarus von Serbien, Stephan, einen Theil seines Landes gegen Tributzahlung u. Stellung von Hülfstruppen zurück, dann half er dem byzantinischen Prinzen Andronikos 1390 seinen Vater, den Kaiser Johann, entthronen, bald aber leistete er diesem wieder Beistand, wofür der Kaiser ihm einen jährlichen Tribut zahlen u. 12,000 M. Hülfstruppen stellen mußte, mit denen der Sultan Philadelphia, die letzte Stadt der Byzantiner in Asien, eroberte. Hierauf verheerte Bajazet I. Chios, Euböa, Attika u. nach dem Tode des Kaisers Johann Paläologus 1391 das byzantinische Gebiet bis Constantinopel u. belagerte diese Stadt von 1391 an sieben Jahre lang. Während dessen streifte ein anderes türkisches Heer in der Walachei, Bosnien u. Ungarn u. zwang den Fürsten der Walachei zur Unterwerfung. König Sigismund von Ungarn ging den Türken 1392 bis in die Bulgarei entgegen, siegte zwar Anfangs, wurde aber bald zum Rückzug gezwungen. Unterdessen drang in Asien der Fürst von Kerman bis Angora u. Brusa vor u. nahm durch einen Überfall Timurtasch gefangen. Bajazet aber schlug den Fürsten u. vereinigte Kerman mit dem T-n R. Darauf unterwarf er auch die noch übrigen Turkomanengebiete, auch Amasia. Im Sommer 1396 belagerte König Sigismund von Ungarn mit 60,000 M. Nikopolis; aber der Sultan schlug ihn am 28. September 1396 vor dieser Stadt u. streifte bis Steyermark. Darauf eroberte Timurtasch alles Land vom Halys bis zum Euphrat, Bajazet selbst aber drang in Thessalien ein, besetzte die wichtigsten Städte u. übertrug dann die Überwältigung des Peloponnes seinen Feldherren, welche die Bewohner als Sklaven nach Asien verpflanzten, dagegen das Land mit Turkomanen u. Bulgaren neu besetzten. Auch Athen, damals die Hauptstadt eines Herzogthums, fiel 1397 in die Hände der Türken. Unterdessen war Timur, der Mongolenkhan in Dschagatai, gegen Bajazet, welcher die Gebiete Siwas u. Ersentschan, dessen Fürst Timurs Lehnsmann war, überwältigt u. Timurs Gesandte, welche eine Rückgabe der Eroberungen verlangten, gemißhandelt hatte, bis zum Euphrat vorgedrungen u. eroberte 1400 Siwas (Sebaste) wieder. Bajazet hob die Belagerung von Constantinopel eiligst auf u. rückte Timur, welcher bereits Aleppo, Balbek, Damask u. Bagdad überwältigt u. im Spätjahr 1401 Winterquartiere bezogen hatte, entgegen. Erst am 20. Juli 1402 trafen Bajazet I. u. Timur bei Ankyra zur Völkerschlacht zusammen. Timurs Heer war dem Heere Bajazets an Zahl weit überlegen, u. da während der Schlacht auch noch die Asiaten in Bajazets Heere zu Timur übergingen, so wurden die Türken, trotz der Tapferkeit u. bessern Disciplin der europäischen Truppen, geschlagen u. Bajazet gefangen. Von seinen fünf Söhnen retteten sich drei, Solyman, Muhammed u. Musa; Isa gerieth mit dem Vater in Gefangenschaft u. der zwölfjährige Mustapha verscholl. Timur behandelte den gefangenen Sultan mit Achtung u. ließ ihn erst, als er zu fliehen versuchte, in einer vergitterten Rohrsänfte von Lager zu Lagertragen (daraus entstand die Sage von dem eisernen Käfig, in welchem er verwahrt worden sein soll). Bajazet I. st. 1403 in der Gefangenschaft, Timur aber kehrte nach Samarkand zurück, nachdem er Bajazets Reich so unter dessen drei Söhne vertheilt hatte, daß Solyman I., der älteste, die europäischen Länder mit der Residenz Adrianopel, Musa u. Muhammed die asiatischen Länder erhielten u. jener in Brusa, dieser zu Amasia residirte. Da Muhammed seine Macht in Asien ausdehnte, so daß er seinem Bruder Solyman gefährlich werden zu können schien, ging dieser mit seinem Großvezier Ali Pascha nach Asien u. eroberte Brusa, Ankyra u. vieles Gebiet. Muhammed vertheidigte sich u. unterstützte seinen Bruder Musa, welcher nach Europa überging u. sich Adrianopels bemächtigte. Nun kehrte Solyman I. nach Europa zurück u. gewann 1406 durch den Sieg bei Constantinopel wieder die Oberhand, drang bis über die Donau u. fiel 1408 in Kram u. nochmals in Bosnien ein. 1408 verhandelte auch Venedig den Frieden u. zahlte jährlich 1600 Ducaten Tribut für die Abtretung der Stadt Patras u. den Fortbesitz des albanischen Gebietes. Musa suchte fortwährend den Sultan zu stürzen; 1410 gelang es ihm denselben im Bade zu überfallen; Solyman entfloh u. wurde auf der Flucht ermordet. Musa, nun Herrscher des Osmanenreichs in Europa, überfiel die Serbier, eroberte dann Thessalonich u. forderte von dem byzantinischen Kaiser Tribut, belagerte, als er denselben nicht erhielt, 1410 Constantinopel u. schlug seinen zum Entsatze herbeieilenden Bruder Muhammed[19] zweimal. Dieser kehrte aber 1413 zum dritten Male wieder u. siegte mit den Serbiern verbündet in der Ebene von Tschamurti. Da Musa auf der Flucht umgekommen war, so vereinigte Muhammed I. wieder das ganze Osmanische Reich. Er gab dem byzantinischen Kaiser die Schlösser u. Festungen in Thessalien u. an der Propontis zurück, schloß dann mit den Venetianern einen Vertrag u. ging nach Asien über, wo er bis 1415 den Empörer Dschuneid unterwarf, Smyrna eroberte u. das empörte Kerman zum Gehorsam brachte. Seine gegen den Herzog von Naxos gerüstete Flotte gerieth aus Mißverstand mit der venetianischen in Streit u. wurde am 29. Mai 1416 bei Kallipolis völlig geschlagen, jedoch der Friede mit Venedig nicht unterbrochen. Darauf ließ Muhammed Einfälle in Bosnien u. Steyermark machen, doch wurden die Türken bei der Belagerung von Radkersburg 1419 zweimal von den Deutschen u. am 14. October 1419 vom König Sigismund zwischen Nissa u. Nikopolis geschlagen. Während dieser Vorgänge war in Asien ein Betrüger aufgestanden, welcher sich für den vermißten Mustapha, jüngsten Sohn des Sultans Bajazet I. (s. oben), ausgab u. eine neue Religionslehre verkündigte, welche viele Anhänger fand. Er wurde jedoch geschlagen u. floh nach Thessalonich zu Manuel. Muhammed I. st. 1421; seine Veziere verheimlichten seinen Tod 40 Tage lang, bis sein Sohn Murad II. aus Asien ankam u. die Herrschaft übernahm. Jetzt erschien von Thessalonich ein anderer falscher Mustapha (deren standen nach u. nach gegen 30 auf), welcher von dem Empörer Dschuneid berathen, den Thron in Anspruch u. Adrianopel in Besitz nahm. Während seine Anhänger ein Heer Murads II. bei Adrianopel besiegten, rüstete Dschuneid in Asien ein zweites Heer aus u. schloß mit Genua einen Vertrag wegen der Überfahrt nach Europa. Indeß Mustapha wollte den Sultan in Asien angreifen, erlitt jedoch bei Ulabad eine Niederlage u. mußte, von seinen Anhängern u. von Dschuneid verlassen, nach Europa fliehen, wo er in die Hände Murads II. fiel, welcher ihn hängen ließ u. seinen Sitz in Adrianopel nahm. Nun bewilligte dieser den Genuesen große Handelsvorrechte u. belagerte im Juni 1422 Constantinopel von Neuem, um den byzantinischen Kaiser zu bestrafen, mußte aber im August die Belagerung ausheben, da auf Betrieb des Kaisers in Kleinasien ein neuer falscher Mustapha aufgestanden war. Der Empörer wurde aber schnell überwunden u. hingerichtet. Während Murad 1423 den Fürsten von Sinope, Isfendiar, bekriegte, unterwarfen seine Feldherren den Peloponnes u. Albanien. Darauf schloß er 1424 Frieden mit dem Kaiser, einen zweijährigen Waffenstillstand mit Ungarn u. erneuerte mit den übrigen Bundes- u. Vasallenfürsten die Verträge. 1425 erregte Dschuneid in Asien abermals einen Aufruhr u. nahm Smyrna u. Ephesus in Besitz, ward aber endlich überwältigt u. mit seiner Familie hingerichtet. Sein Aufstand hatte auch einen Krieg mit Kerman zur Folge, welcher erst 1428 geendigt wurde. Darauf brach wieder der Krieg mit Serbien, welches tributbar gemacht wurde, u. mit Ungarn aus, welches König Sigismund nach der Niederlage bei Kolumbacz an den Sultan abtreten mußte; 1430 eroberte Murad Salonichi von den Venetianern u. ließ die Bevölkerung theils niederhauen, theils gefangen fortführen. Die Venetianer eroberten u. schleiften dagegen ein Dardanellenschloß u. erneuerten darauf den Frieden. Nun wollte Murad den Despoten von Serbien züchtigen, welcher sich zweideutig bewiesen hatte, doch versöhnte ihn dieser durch Geschenke u. gab ihm seine Tochter in die Ehe. 1438 überfielen die Türken Siebenbürgen, eroberten nach langer Belagerung Semendria u. schlugen ein ungarisches Heer, welches zum Entsatze heranrückte. Bis dahin waren die Türken immer gegen Ungarn siegreich gewesen; doch von 1440 an trat ihnen Johann Hunyades entgegen u. gewann am 18. März 1442 die Schlacht bei Hermannstadt, in welcher 20,000 Türken blieben, u. eine zweite bei Vasag. 1443 eröffnete Hunyades mit Unterstützung deutscher Kreuzfahrer den sogen. Langen Feldzug, in welchem er binnen fünf Monaten fünf Hauptschlachten gewann u. mehre türkische Feldherren gefangen nahm. Die letzte Hauptschlacht bei Jalowacz erfolgte am 24. December 1443; die Pässe des Hämus wurden erstürmt, die wichtigsten Plätze der Bulgarei erobert u. da Murad II. eben in einem dritten Kriege mit Kerman u. in Bekämpfung der Epiroten unter Skanderbeg seine Streitkräfte erschöpft hatte, schloß er 13. Juni 1444 mit Ungarn u. dessen Bundesgenossen auf 10 Jahre den Frieden zu Szegedin; er gab Serbien u. die Herzegowina an Georg Brankowitsch zurück, trat die Oberherrschaft über die Walachei an Ungarn ab, legte, durch diese Unfälle geärgert, die Regierung nieder ernannte seinen noch minderjährigen Sohn Muhammed II., unter Aufsicht der Veziere, zum Sultan. König Wladislaw von Ungarn brach aber, das Osmanische Reich für wehrlos haltend, den beschwornen Frieden u. überfiel die Türken. Auf die Nachricht hiervon ging Murad II. selbst mit 40,000 Mann über den Bosporus u. schlug die Ungarn am 10. Nov. 1444 bei Varna gänzlich, legte die Regierung zum zweiten Mal nieder u. begab sich nach Magnesia. Doch schon 1445 nöthigte ihn ein Aufruhr der Janitscharen die Regierung wieder zu übernehmen, welche er nun bis an seinen Tod in Händen behielt. Zunächst wendete er sich gegen Griechenland, eroberte 1446 mehre Städte u. gewährte dem Kaiser Johann VII. den Frieden gegen einen erhöhten Tribut. Von der gänzlichen Unterwerfung des Byzantinischen Reiches wurde er durch die Ungarn abgehalten, welche Johann Hunyades mit 24,000 Mann abschickten, um die Niederlage bei Varna zu rächen. Murad II. zog ihm mit 150,000 Mann entgegen u. schlug ihn am 17. Oct. 1448 bei Kossowa, indem die Walachen zu den Türken übergingen. Ein gefährlicher Feind der Türken war Georg Castriota, genannt Skanderbeg, welcher seit 1443 in Epirus u. dem Peloponnes mit Glück gegen sie focht; er schlug 1443 das Heer des Ali Pascha bei Kroja, besiegte 1446 zwei andere türkische Heere u. 1448 den Pascha Mustapha, welchen er selbst gefangen nahm. 1449 u. 1450 entriß ihm zwar Murad II. mehre Festen, konnte aber Kroja nicht erobern u. kehrte nach Adrianopel zurück, wo er am 2. Febr. 1451 starb. Nun eilte sein Sohn Muhammed II aus Asien herbei, um den Thron in Besitz zu nehmen, ließ seinen Bruder Achmed umbringen u. bestätigte den Frieden mit allen europäischen Fürsten, um eine Empörung in Kerman zu unterdrücken; dann kehrte er nach Europa zurück u. rüstete sich zur Überwältigung des Byzantinischen Reiches. Der Kaiser Constantin XIII. suchte den Sultan durch Unterwürfigkeit zu besänftigen u. gestattete demselben sogar ein Schloß auf der europäischen[20] Seite des Bosporus zu erbauen, wodurch Muhammed Herr der Meerenge wurde. 1452 begannen die Feindseligkeiten der Türken gegen alle außerhalb Constantinopel wohnenden Griechen, welche ermordet od. gefangen fortgeführt wurden. Im April 1453 erschien Muhammed II. selbst mit 150,000 Mann vor Constantinopel u. schloß die Stadt von der Landseite ein, während 400 Schiffe die Belagerung von der Seeseite unterstützten. Von den christlichen Mächten schickten blos Venedig u. der Papst dem Kaiser 30 Galeeren zu Hülfe, welche aber von dem griechischen, durch fanatische Priester aufgereizten Pöbel fast feindselig empfangen wurden; auch der Genuese Giustiniani unterstützte den Kaiser mit 4000 Mann Söldnern, aber seine in Galeta wohnenden Landsleute standen mit den Türken in heimlicher Verbindung u. verriethen Giustinianis Anschlag die türkische Flotte zu verbrennen. Muhammed II. ließ, um in den innern Hafen zu kommen, 70 Schiffe zwei Stunden weit auf Walzen über Land um die Stadt ziehen u. der Versuch der Byzantiner diese zu vernichten mißlang. Als der Kaiser die Aufforderung zur Übergabe abgelehnt hatte, ließ der Sultan am 29. Mai die Stadt stürmen u. eroberte sie, s. Byzantinisches Reich S. 531.

Sultan Muhammed II. begann schon drei Tage nach der Einnahme die neue Einrichtung u. Bevölkerung Constantinopels. Er gestattete den Griechen die freie Ausübung ihres Gottesdienstes, gebot selbst die Einrichtung eines griechischen Patriarchen u. ertheilte den griechischen Einwohnern durch Schutzbriefe bürgerliche Rechte. Nun überfiel er Serbien, eroberte Ostrowitz, konnte aber Semendria nicht bezwingen u. kehrte, nachdem er das Land verwüstet hatte, heim. Da aber bald darauf sein Feldherr von den Serbiern u. Ungarn geschlagen worden war, so unternahm er 1455 einen zweiten Feldzug, auf welchem er Novaborda eroberte. Zugleich führte er einen Seekrieg gegen die Johanniter auf Rhodus u. gegen Lesbus, Chius u. Kos, ohne aber viel auszurichten. Im Juni 1456 belagerte er mit 150,000 Mann Belgrad u. sperrte, um den ungarischen Entsatz von der Wasserseite abzuwehren, mit 200 Schiffen die Donau. Um dem Vordringen der Türken Einhalt zu thun, hatte der Papst Calixtus III. einen Kreuzzug predigen lassen; eine zusammengelaufene Schaar unter Johann von Capistrano kam dahin, u. mit ihr sprengte Hunyades die türkische Flotte, führte Verstärkung nach Belgrad u. leitete deren Vertheidigung. Am 21. Juli erstürmte Muhammed II. die äußere Stadt, wurde aber aus deren Besitz gleich wieder verdrängt u. mußte mit dem Verlust alles Belagerungsgeschützes bis nach Sophia fliehen. 1458 unterjochte der Großvezier Serbien, während Muhammed selbst gegen Griechenland zog u. in zwei Feldzügen Athen, Kalamata u. Arkadia überwältigte. Dagegen gewann Skanderbeg drei große Schlachten gegen türkische Heere, u. Muhammed II. sah sich genöthigt selbst ihm einen ehrenvollen Frieden anzubieten, da er nach Asien ziehen mußte. Dort hatte schon längst das Kaiserthum Trapezunt (s.d.) die Ländergier der Türken gereizt, dessen Besitz ihnen zur ungestörten Behauptung Kleinasiens unentbehrlich war. Muhammed überfiel 1461 Amastra, die Hauptstadt der genuesischen Niederlassungen am Schwarzen Meer, darauf Sinope, welches er dem Turkomanenfürsten Ismael durch List entriß, u. erschien dann vor Trapezunt. Der Kaiser David übergab gegen freien Abzug mit seinen Schätzen die Stadt; dennoch ließ der Sultan ihn mit seiner Familie hinrichten. Von jetzt an nannte Muhammed II. sich Herrscher zweier Erdtheile. Gleich darauf 1462 zog er gegen Drakul, Fürsten der Walachei, welcher nicht nur den bedungenen Tribut verweigerte u. 20,000 Türken hatte umbringen lassen, sondern auch verheerend in die Bulgarei eingefallen war, u. besiegte ihn. 1463 überwältigte er Lesbus. Gleichzeitig mit dem bosnischen Kriege begann der Venetianische Krieg, welcher 16 Jahre lang zu Land u. Meer geführt wurde. Anfangs war der Vortheil auf der Seite der Türken, welche Korinth entsetzten u. dann Argos eroberten; bald darauf aber wurden die Türken von Skanderbeg, dem Verbündeten Venedigs, mehrmals geschlagen u. Muhammed II. griff vergebens Kroja an, bis Skanderbegs Tod 1467 ihn von diesem Feinde befreite. 1466 unterjochte der Sultan auch Kerman, fiel 1467 in Slawonien, Steuermark u. Kram ein u. drang bis Cilly vor, dagegen verlor er Ainos, Phokäa u. die Inseln Imbrus u. Lemnus an die Venetianer. Dies zu rächen zog er mit zwei Heeren u. 800 Schiffen gegen Negroponte; aber die venetianische Besatzung vertheidigte sich so tapfer, daß die Belagerer binnen 17 Tagen in fünf Stürmen 50,000 Mann verloren, ehe sie am 12. Juli 1470 die Stadt u. einige Tage darnach das Castell eroberten. 1468–72 wurde Muhammed II. durch den Karamanischen Krieg beschäftigt, denn unter Usum Hassan, Fürsten der Turkomanen vom weißen Hammel, war die ganze Bevölkerung gegen die Türken aufgestanden. Sein Sohn Mustapha erfocht zwar 1472 einen Sieg über die Empörer am Korailisee, dagegen wurde 1473 das türkische Hauptheer von Usum Hassan selbst am Euphrat geschlagen; aber bald darauf erlitt Usum Hassan bei Terdschan von dem Sultan selbst eine Niederlage. Mustapha, zum Statthalter von Kerman ernannt, führte den Krieg fort u. eroberte mehre Festungen, starb aber noch vor dem Ausgange des Krieges. Ihm folgte sein jüngerer Bruder Dschem (Zizim) als Statthalter, welcher 1475 Kerman völlig beruhigte. Um Syrmien festzuhalten, erbauten die Türken die Festung Schabacz, welches König Matthias vergeblich zu hindern suchte, u. von 1470–80 an thaten alljährlich türkische Reiterschren Streifzüge in Kroatien, Krain, Kärnten u. Steyermark, ohne daß der Kaiser Friedrich III. Vorkehrungen dagegen traf. Größere Unternehmungen der Türken waren 1474 die Belagerung von Skutari, welche erst nach einer Niederlage der türkischen Flotte durch die venetianische aufgehoben wurde; dann 1475 der Feldzug gegen die Moldau wegen verweigerten Tributs, wo aber das 100,000 Mann starke Heer der Türken in der Schlacht am See Rakowiz, 17. Januar 1475, von dem Fürsten Stephan völlig aufgerieben wurde. Muhammed II. rüstete sich indessen die Krim zu bekriegen; am 1. Juni 1475 erschien seine Flotte mit 40,000 Mann vor Kassa, dem Hauptstapelplatz der Genueser für ihren levantischen Handel, u. schon am dritten Tage ergab sich die Stadt. Gleich darauf fielen auch Asow u. andere Festen. Der levantische Handel der Genueser war hierdurch vernichtet u. der Khan der Krim mußte dem Sultan als Lehnsmann huldigen. Nun ließ Muhammed Akjerman einnehmen, dann brach er selbst in die Moldau ein u. besiegte am 26. Juli 1476 den Fürsten Stephan im Weißen Thale.[21] Die Moldau ging hierauf aus der polnischen Lehnsherrschaft in die türkische über. Nach fruchtlosen Friedensverhandlungen begannen die Feindseligkeiten gegen Venedig 1477 aufs Neue, u. Muhammed ließ Lepanto, Skutari u. Kroja belagern. Endlich erschien er selbst vor Skutari u. zwang diesen Platz zur Übergabe, worauf am 26. Jan. 1479 der Friede mit Venedig geschlossen wurde, Venedig erhielt alle Besitzungen in Albanien, Morea u. Dalmatien, außer Kroja u. Skutari, zurück, gab aber die eroberten Plätze heraus u. zahlte einen Theil der alten streitigen Schuld. Hierauf zog ein türkisches Heer nach Siebenbürgen u. verheerte das Land, es wurde jedoch am 13. Nov. 1479 in Brodfelde vom Grafen Kinisi von Temesvar gänzlich geschlagen u. 50,000 Türken blieben. Noch eroberte Muhammed II. Zante. Endlich unternahm er 1480 einen Feldzug gegen die Johanniterritter auf Rhodus u. landete im Frühjahr daselbst, mußte aber die Belagerung nach drei Monaten aufheben. Kurz darauf starb Muhammed II. am 3. 1481.

Ihm folgte sein Sohn Bajazet II. Gleich nach seiner Thronbesteigung mußte er gegen seinen jüngeren Bruder Dschem (Zizim), Statthalter von Kerman, zu Felde ziehen, welcher ihm in Kleinasien den Thron streitig machte. Bei Nikäa geschlagen, floh Dschem nach Ägypten u. dann nach Rhodus; endlich dem Papst Alexander VI. ausgeliefert ließ ihn dieser in Folge einer Übereinkunft mit Bajazet 1495 vergiften. Die Kriege seines Vaters in Italien u. gegen Ungarn setzte Bajazet ohne Energie fort. Der Sultan von Ägypten hatte stets die aufrührerischen Karamanier unterstützt u. jetzt, als ihn ein Turkomanenfürst um Hülfe bat, einen Theil von Kleinarmenien erobert. Anfangs waren die Ägyptier in drei Feldzügen u. drei großen Schlachten siegreich; 1490 kam durch Vermittelung des Fürsten von Tunis ein Friede zu Stande, in Folge dessen die Ägyptier im Besitz einiger eroberten Schiffer blieben. Darauf wollte Bajazet 1492 Belgrad durch Überrumpelung nehmen, wurde aber zurückgeschlagen. Von da wandte er sich nach Albanien u. ließ zugleich Steyermark, Kärnten, Siebenbürgen u. Kroatien verwüsten, aber bei Villach wurden die Räuber von einem christlichen Heerhaufen überfallen u. erschlagen. Dagegen gewann ein türkisches Heer im Sept. 1493 durch Verrath eine Schlacht gegen die Ungarn, doch rächte der Ungar Paul Kinisi diese Schmach durch einen Zug ins türkische Gebiet. Obgleich 1495 ein Waffenstillstand mit Ungarn auf drei Jahre zu Stande kam, fielen die Türken doch 1496 u. 1497 in Bosnien u. Dalmatien ein. 1490 u. 1493 hatte Bajazet Friedensverträge mit Polen geschlossen, welche aber 1497 der König Johann Albrecht von Polen brach, um die Moldau wieder zu erobern, weshalb die Türken 1498 zweimal in Polen einfielen. Gereizt durch den Papst u. die mit ihm alliirten Mächte Italiens, begann Bajazet II. 1499 den Krieg gegen Venedig, u. am 28. Juli erfocht seine Flotte den Sieg bei Sapienza u. eroberte am 26. Aug. Lepanto, u. ein türkisches Heer streifte nach Friaul u. Kärnten. Die Venetianer eroberten dagegen Kephalonia, die Türken aber Modon, Navarin u. Koron 1500. Nachdem die Venetianer 1502 Sta. Maura genommen hatten, wurde Friede geschlossen; Venedig behielt Kephalonia, gab aber Sta. Maura zurück. Die letzten Regierungsjahre Bajazets II. wurden durch die Empörungen u. Kriege seiner Söhne unter einander beunruhigt, welche sich den Thron sichern wollten. 1509 erhob sich der älteste, Korkud, welcher aber nach Ägypten fliehen mußte. Bajazet II. ernannte darauf seinen zweiten Sohn Achmed zum Thronfolger; dagegen lehnte sich aber der dritte Sohn Selim auf, welcher zwar 1311 eine Niederlage bei Adrianopel erlitt, aber in Asien gegen den Großvezier siegte, worauf die Janitscharen Selim nach Constantinopel beriefen, ihn für den rechtmäßigen Thronerben erklärten u. Bajazet II. 1512 zur Niederlegung der Regierung zwangen; er starb auf dem Wege nach seinem Verbannungsorte Demotika.

Selim I., der Henker, ließ sogleich die Söhne seiner Brüder ermorden. Darüber entspann sich ein Krieg mit seinen noch lebenden Brüdern, Korkud u. Achmed, welcher sich mit deren Besiegung u. Hinrichtung endigte. Murad, ein Sohn Achmeds, floh nach Persien zum Schah Ismael, u. deshalb brach ein Krieg mit diesem aus. Selim ließ eine Verfolgung der Schiiten in seinem Reiche anstellen u. 1514 an 40,000 derselben hinrichten, u. da der Schah in Persien mit den Sunniten das Gleiche that, so zog Setim gegen den Schah u. schlug denselben am 14. Aug. 1514 bei Dschaldern. Selim I. eroberte darauf Mesopotamien u. Amadia, traf eine neue Heereintheilung u. verminderte die Zahl der Janitscharen bis auf 12,000. Hierauf griff er Ägypten an, weil der dortige Sultan Kansu Gauri den aufrührerischen Ismael unterstützt hatte; durch den Sieg bei Aleppo am 24. August 1516 gewann er Aleppo, Palästina mit Jerusalem u. ganz Syrien u. verleibte dies Land dem T-n R. ein. Als Tumanbeg, der neue Sultan von Ägypten, die Anerkennung der türkischen Oberherrschaft verweigerte, rückte Selim in Ägypten ein, schlug 1517 Tumanbeg bei Ridania, zog in Kairo ein, fing endlich Tumanbeg, den er hinrichten ließ, verleibte Ägypten ebenfalls seinem Reiche ein, sowie er auch Mekka unterwarf; zugleich nahm er den Namen Khalif an, welchen die ägyptischen Sultane bis dahin geführt hatten. 1518 hatte Selim einen gefährlichen Aufruhr zu dämpfen, welchen ein Schwärmer Dschelali in Asien erregte; er starb, im Begriff einen neuen Zug gegen Persien zu unternehmen, am 22. Sept. 1520.

Ihm folgte sein einziger Sohn Solyman II der Große od. der Prächtige. Ein Aufruhr, welchen der ehemalige Großvezier von Ägypten, Ghasali, welcher sich zum Sultan von Ägypten aufgeworfen hatte, erregte, wurde durch die Schlacht bei Aleppo am 6. Febr. 1521 gedämpft u. darauf ein Krieg gegen Ungarn begonnen, wo Habacz, Semlin u. 25. Aug. 1521 Belgrad genommen wurden. Darauf griff Solyman Rhodus an; am 24. Juni 1522 landete der Großvezier Mustapha Kialu daselbst u. am 28. Juli erschien der Sultan mit 300 Segeln u. 100,000 M. Der Großmeister Villiers wehrte sich auf das Tapferste u. ergab sich erst am 24. Oct. Darauf beschäftigte den Sultan eine Empörung Achmed Paschas in Ägypten, welcher sich 1524 zum Sultan von Ägypten erklärte, u. ein Aufruhr der Janitscharen; beide wurden gestillt. Seit der Eroberung von Belgrad 1521 war Ungarn u. Kroatien den Türken stets offen gewesen; schon 1522 eroberten sie Ostrowicza u. Skardona, wurden aber bei Knim u. Krupa geschlagen; 1524 erlitten sie in Syrmien eine Niederlage u. mußten sich endlich von der Belagerung Jaiscas mit großem Verlust zurückziehen. Solyman II. erstürmte dagegen am 27. Juli Peterwardein u. schlug das ungarische Heer[22] am 29. Aug. 1526 bei Mohacz; in Folge dieses Sieges fielen Ofen (10. Sept.), Maroth u. andere Städte in türkische Hände. Im Jahr 1527 nahmen Empörungen der Fürsten von Kerman u. von Rum die Aufmerksamkeit u. Kräfte des Sultans in Anspruch; doch gelang es endlich dem Statthalter von Adana die Aufrührer zu bezwingen. Als 1529 Joh. Zapolya, Fürst von Siebenbürgen, u. König Ferdinand sich um die Krone Ungarns stritten, zog Solyman Ersterem unter der Bedingung, daß Ungarn der Pforte lehnbar würde, zu Hülfe nach Ungarn. Ofen, welches 1527 wieder in die Hände Ferdinands gefallen war, wurde am 3. Sept. erobert u. Joh. Zapolya als Lehnkönig von Ungarn eingesetzt. Dann brach Solyman gegen Österreich auf u. begann am 27. Sept. die Belagerung von Wien. Das türkische Heer zählte über 120,000 M. u. führte 20,000 Kameele, 800 Donauschiffe u. 400 Stück schweres Geschütz bei sich, Wien aber wurde nur von 16,000 M. unter dem Pfalzgrafen Philipp, Grafen Nikolas von Salm u. Freiherrn von Roggendorf vertheidigt. Als am 10. bis 12. u. am 14. Oct. von der Besatzung mehre Stürme auf zwei durch Minen geöffnete Breschen u. ein Generalsturm abgeschlagen worden waren, hob Solyman II. die Belagerung auf u. trat am 15. Oct. mit seinem um die Hälfte geschmolzenen Heere den Rückzug an. Trotz dieses Unfalles wies Solyman II. Ferdinands erneuerte Friedensanträge zurück, da er den König Joh. Zapolya nicht aufgeben wollte u. von Frankreich gegen Österreich aufgereizt wurde; er unternahm vielmehr 1532 einen neuen Feldzug gegen Ferdinand. Unterwegs wurden viele feste Schlösser erobert, aber Günz wehrte sich unter Nikolaus Jurischitz mit 700 M. drei Wochen lang tapfer, u. dadurch gewann Kaiser Karl V. u. Ferdinand Zeit Verstärkungen an sich zu ziehen u. die erneuete Belagerung von Wien, den Hauptzweck des Feldzugs, zu vereiteln. Nur Steyermark wurde ausgeplündert, Kasimbeg aber, Befehlshaber der leichten Reiterei, hierbei mit 16,000 M. aufgerieben. Der Sultan trat nun den Rückzug nach Ungarn an. Während dessen war Koron am 19. Sept. 1532 von dem kaiserlichen Admiral, Andreas Doria, erobert worden, welcher auch die Küste von Sikyon u. Korinth verwüstete. In dem am 23. Juni 1533 geschlossenen Frieden behielt König Ferdinand nur den von den Türken noch nicht eroberten Theil von Ungarn. Der längst beschlossene Feldzug gegen Persien wurde nun unternommen; der Schutz, welchen der Schah Thamasp einem abgefallenen türkischen Statthalter gewährte, gab den Vorwand dazu. Schon im Juli 1534 eroberte der Großvezier die Hauptstadt Tebris; Solyman II. selbst besetzte Bagdad u. nahm daselbst Winterquartiere, lehrte aber Anfang 1536 nach Constantinopel zurück. Hier schloß er ein Freundschaftsbündniß mit Frankreich u. ließ dann den Großvezier Ibrahim, welcher seit 14 Jahren alle Staatsgeschäfte geleitet hatte, hinrichten, weil derselbe dem Sultan vorbehaltene Herrscherrechte sich angemaßt hatte. Schon am 8. Aug. 1533 war Koron von den Türken unter Haireddin Barbarossa wieder erobert worden, welcher deshalb zum Großadmiral erhoben wurde. Derselbe nahm 1534 Tunis u., von da mit Hülfe des Kaisers Karl V. vertrieben, dafür Algier ein. Das freundschaftliche Verhältnis welches 35 Jahre hindurch mit Venedig bestanden hatte, wurde jetzt unterbrochen, indem der Sultan auf Haireddins Antrieb 1537 eine Landung auf Korfu unternehmen ließ. Dieses Unternehmen mißlang jedoch u. nur die kleine Insel Paxo wurde erobert. Dagegen machte ein türkisches Landheer in Dalmatien beträchtliche Fortschritte u. ein anderes fiel ungeachtet des bestehenden Friedens in Ungarn ein u. erfocht am 1. Nov. 1537 einen Sieg über die Österreicher. Darauf eroberte Haireddin 14 Inseln der Venetianer im Archipelagus, die Belagerung von Napoli di Romania hob er nach anderthalb Jahren auf, gewann aber am 28. Sept. 1538 die Seeschlacht bei Prevesa über die vereinigte Flotte des Papstes, Spaniens u. Venedigs. Nachdem der Krieg mit Venedig drei Jahre mit abwechselndem Glück geführt worden war, wurde im Juli 1539 Friede geschlossen; Venedig trat Napoli di Malvasia in Morea, einen Strich der dalmatischen Küste u. die Inseln des Archipelagus ab. Der Tod des Königs Johann Zapolya von Ungarn veranlaßte einen neuen Krieg mit Österreich, denn Ferdinand beanspruchte Nieder-Ungarn, welches Solyman II. für den Sohn des Verstorbenen vertheidigen wollte. Ferdinands Truppen rückten in Ungarn ein u. belagerten Ofen, eroberten Pesth, Waizen, Wissegrad u. Stuhlweißenburg, wurden aber vor Ofen vom Pascha von Semendria geschlagen u. verloren Pesth wieder. Zapolyas Wittwe, Isabella, sandte den Tribut von 30,000 Ducaten an Solyman II., welcher dafür ihren Sohn als König von Ungarn bestätigte u. zu einem Feldzuge gegen Österreich rüstete, aber, bei Ofen 1541 angelangt, solche Maßregeln traf, daß man deutlich sah, er wolle Ungarn seinem Reiche einverleiben. Ferdinand hatte unterdessen deutsche Hülfstruppen erhalten, drang in Ungarn vor u. schlug 1543 die Türken bei Sallas. 1544 wurde ein Waffenstillstand geschlossen u. nach mehrmaliger Verlängerung am 19. Juni 1547 in einen Frieden auf fünf Jahre verwandelt, nach welchem der Sultan alles in Ungarn Eroberte behielt u. von Österreich für das Übrige einen jährlichen Tribut von 30,000 Ducaten bekam. Nun that Solyman einen neuen Feldzug gegen Persien, um Elkas Mirsan, den Bruder des Schah Thamasp, in seinen Ansprüchen auf einen Theil von Persien zu unterstützen; er eroberte Tebris u. später auch Wan, u. während er selbst nach Constantinopel zurückkehrte, gewann sein Heer noch Georgien. Um zu verhindern, daß Siebenbürgen an Österreich kam, machte Solyman 1552 wieder einen Feldzug nach Ungarn; Veszprim u. Temesvar wurden gewonnen, wodurch das Banat an die Türkei kam. Dagegen wurde Erlau von den Türken lange vergeblich belagert. Der Persische Krieg war unterdessen mit geringem Erfolg fortgesetzt worden; daher ging Solyman II. im Spätsommer 1553 selbst dahin, drang über Erzerum nach Kars vor u. unterwarf die Landschaften Nachtschiwan, Eriwan u. Karabagh, worauf am 29 Mai 1555 der Friede zu Amasia zu Stande kam, in welchem Georgien, Wan u. Mosul an die Türken abgetreten wurden. Solyman II. gestattete daheim der ränkevollen Sultanin Roxolane zu vielen Einfluß; auf ihre Verdächtigung ließ er seinen ältern Sohn von einer andern Mutter, Mustapha, Statthalter von Kerman, 1553 in Aleppo hinrichten; auf ihren Rath wurden die Großen des Reichs ab- u. eingesetzt, u. alle waren blinde Werkzeuge ihres Willens. Sie st. 1558 u. 1559 brach der Bruderkrieg ihrer Söhne aus. Selim, der Thronfolger,[23] hatte sich den Lüsten ergeben; daher der jüngere Sohn Bajazet bei Volk u. Heer in größerem Ansehen stand; da aber ein kraftvoller Herrscher dem Großvezier Rustan nicht angenehm schien, so entzweite er beide Brüder, um den jüngeren zu verderben. Als Bajazet, von ihm verleitet, sich erhob, unterstützte er Selim mit einer großen Streitmacht; Bajazet wurde bei Konieh am 29. Mai 1559 geschlagen u. floh mit seinen vier Söhnen zum Schah nach Persien, welcher sie aufnahm u. ihnen Anfangs Schutz gewährte, nachher aber sie dem Sultan auslieferte, welcher sie 1561 erwürgen ließ. Unterdessen waren in Ungarn von beiden Seiten Städte genommen u. verloren worden; doch hatte Österreich im Ganzen mehr verloren; endlich kam 1562 ein Friede zu Stande; die Festung Tata blieb in den Händen der Türken, Österreich entsagte allen Ansprüchen auf Siebenbürgen u. verstand sich zu der früheren Abgabe von 30,000 Ducaten. Da jedoch dieser Friede von Solyman II. nicht unterzeichnet war, so fuhren die türkischen u. österreichischen Statthalter in Ungarn fort einander zu bekriegen. Nach Haireddin Barbarossas Tod 1546 erhielt Piali, ein Kroat, den Oberbefehl über die Flotte im Mittelmeer, welcher durch seine kühnen Unternehmungen die Küsten in Schrecken setzte. Auch machte sich Dragut, welcher Tripolis eroberte, die spanischen, sicilianischen u. neapolitanischen Küsten verheerte u. die christlichen Flotten schlug, sehr gefürchtet. Als der Vicekönig von Neapel, von allen Seemächten Italiens unterstützt, Dscherbe eroberte u. Tripolis belagerte, gewannen Piali u. Dragut am 14. Mai 1560 einen Sieg über die christliche Flotte u. eroberten Dscherbe zurück. Da die Johanniter auf Malta noch immer gefährliche Feinde der Türken waren u. Malta öfter zum Vereinigungspunkt der christlichen Seemächte diente, so beschloß Solyman II. ihre völlige Vertreibung aus dem Mittelmeere, u. im Mai 1565 erschien Piali mit 130 Segeln vor Malta, landete u. begann den Angriff des Forts St. Elmo, welches am 23. Juni genommen wurde; dagegen mußten die Türken die Belagerung des Schlosses St. Michael nach vielmaligem vergeblichen Stürmen am 11. Sept. aufheben, da die spanische Flotte zum Entsatz erschien. Um diese Scharte auszuwetzen, begab sich Solyman II. 1566 persönlich zu dem gegen Ungarn bestimmten Heere, wo die Feindseligkeiten immer fortgedauert u. die Ungarn 1565 Tokai erobert hatten. Am 4. Aug. langte er vor Szigeth an, welches von Zriny vertheidigt wurde; nach vierzehntägiger Belagerung wurde die Stadt genommen u. Zriny in das Schloß gedrängt; zwei Stürme schlug er hier ab, als aber eine große Bresche geöffnet war, machte er mit 600 M. einen Ausfall auf den Feind; zugleich flog auf seine Veranstaltung der Pulverthurm auf, von dessen Trümmern 3000 Feinde erschlagen wurden. Am 6. Sept. 1566 war Solyman II. im Lager gestorben, der Großvezier Sokolli verheimlichte aber seinen Tod dem Heere, bis der Thronfolger in seinem Lager angekommen war.

Selim II. war friedliebend u. unthätig, aber der Ruhm seines Vaters u. die kluge Leitung des Großveziers Sokolli sicherten die Macht des Reiches. Er schloß 1568 Friede mit Österreich, wobei die Türken eine kleine Grenzerweiterung erhielten, im Übrigen blieb alles wie vor dem Kriege. Die in Basra u. in dem von Ägypten aus eroberten Yemen ausgebrochenen Empörungen hatten diesen Friedensschluß u. die Erneuerung der Verträge mit den übrigen europäischen Mächten, so wie 1569 mit Persien nöthig gemacht. Doch entstand jetzt Krieg mit Rußland; denn auf des Statthalters von Kaffa Betrieb wurde 1569 Astrachan belagert, aber die Russen schlugen das Belagerungsheer zurück. Die Stillung des Aufruhrs in Arabien wurde 1570 durch Sinan-Pascha vollbracht. 1570 u. 1571 erfolgte die Eroberung Cyperns, s.d. (Gesch.). Unterdessen führten die türkischen Flotten den Krieg auch gegen die übrigen venetianischen Besitzungen fort. Candia u. Cerigo, Zante u. Cefalonia u. mehre Städte an der Küste wurden genommen. Da die Bitten der Venetianer um Frieden vom Sultan zurückgewiesen wurden, schlossen diese mit dem König von Spanien u. dem Papste ein Bündniß gegen die Türken; die Flotten dieser Mächte sammelten sich im Hafen von Messina unter Don Juan d'Austria u. segelten, 207 Galeeren, 30 Schiffe u. 6 schwimmende Batterien stark, mit 1815 Kanonen u. 28,000 Soldaten, auf die Höhe von Lepanto, wo in der Bucht die türkische Flotte, 222 Galeeren u. 60 andere Schiffe mit 750 Kanonen u. 34,000 Soldaten lag. Am 7. Oct. 1571 kam es zur Schlacht u. die Christen erkämpften einen vollständigen Sieg. Die Türken verloren fast alle ihre Schiffe u. 30,000 M.; an 350 Kanonen wurden von den Siegern erbeutet u. 15,000 christliche Gefangene befreit. Die Uneinigkeit der Verbündeten hinderte aber Don Juan den Sieg zu benutzen, die Türken ergänzten ihre Flotte schnell u. im Sommer 1572 erschienen wieder 250 türkische Schiffe im Adriatischen Meere. Venedig, welches von Spanien nicht hinreichend unterstützt wurde, schloß nun am 7. März 1573 Frieden mit der Pforte u. erhielt die türkischen Eroberungen in Dalmatien zurück. Unterdessen hatte Don Juan Tunis erobert; 1574 landete aber ein türkisches Heer u. eroberte diese Stadt wieder. Gleichzeitig wurde der Woiwode von der Moldau, welcher sich empört hatte, nach einer dreitägigen Schlacht am 11. Juni 1574 überwunden u. hingerichtet. Selim II. erneuerte noch den Frieden mit Österreich u. st. am 12. Dec. 1574.

Sein Sohn Murad III war ein beschränkter Fürst; Sokolli verlor sein Ansehen, u. als er 1579 starb, nahm die Unordnung in der Verwaltung überhand. Mit Österreich gab es unaufhörliche Kämpfe, obgleich kein Krieg erklärt war, u. die türkische Flotte plünderte die italienische Küste, ohne mit einer christlichen Macht im Kriege zu stehen. In Persien waren mehre Thronrevolutionen erfolgt, welche das Reich geschwächt hatten u. den Türken Lust zu Eroberungen machten, doch focht das türkische Heer Anfangs unglücklich, dann aber gewann es am 9. Aug. 1578 bei Tschildir eine Hauptschlacht, worauf sich die georgischen Fürsten unterwarfen u. die Türken ein großes Landgebiet gewannen. Eine zweite Schlacht wurde am 9. Nov. nach dreitägigem Kampfe am Kur ebenfalls gewonnen. Dagegen erfocht der persische Prinz Hamsa am 21. Nov. bei Aresch einen vollständigen Sieg über die Türken, doch erhielten sie im Frieden Tebris, Karabagh, Georgien, Schirwan abgetreten. 1593 wurde der Krieg gegen Österreich erklärt; er begann mit der Belagerung von Sissek, doch wurden am 22. Juni die Türken geschlagen. Nun erschien der Großvezier Sinan-Pascha selbst u. eroberte Veszprim, dagegen erlitt am 3. Nov. ein türkisches Corps bei Stuhlweißenburg durch General Hardegg eine Niederlage. Im Frühjahr 1594 belagerte [24] Erzherzog Matthias zwar Gran vergebens, dagegen eroberte Erzherzog Maximilian Gora, Petrinia, Sissek; Tata u. Raab gingen an die Türken verloren. Die Fürsten von der Walachei, der Moldau u. Siebenbürgen verbündeten sich nun mit Österreich; der Großvezier bat um Hülfe u. die heilige Fahne wurde nach dem Lager gebracht; Murad III. st. im Jan. 1595. Muhammed III., sein Sohn stillte einen heftigen Aufruhr der Janitscharen durch Geld u. begann dann den Krieg gegen Ungarn wieder. Mehre Niederlagen erlitt Sinan-Pascha in der Walachei u. von den Kaiserlichen wurden die Türken am 4. Aug. bei Gran geschlagen u. diese Festung erobert. Der Großvezier Sinan-Pascha wurde deshalb entsetzt; sein Nachfolger, Ibrahim, eroberte am 28. Sept. 1596 Erlau; die Schlacht bei Kereszdes am 24. Octbr. war bereits von den Ungarn u. Deutschen gewonnen, als die Sieger zur Plünderung des türkischen Lagers sich zerstreuten, nun von dem Vezier Cigala überfallen u. völlig geschlagen wurden; doch hatte dieser Sieg wegen der Ungeschicklichkeit der türkischen Feldherren wenig Folgen. 1597 wurde Tata von den Türken, dagegen Papa von den Kaiserlichen genommen u. im November ein türkisches Heer bei Waitzen geschlagen. 1598 eroberten die Kaiserlichen Raab u. belagerten Warasdin. Um dies zu entsetzen u. Temesvar zu belagern, zog der Seraskier Saturdschi nach langer Unthätigkeit erst im Herbst heran, aber auf die Nachricht von der Niederlage eines Corps durch die Walachen, kehrte er nach Belgrad um, weshalb er hingerichtet wurde. Der Erzherzog Matthias hatte indessen Ofen vergebens belagert. Der Großvezier Ibrahim, geizig, arglistig u. grausam u. mehrmals ab- u. wieder eingesetzt, übernahm 1599 das Commando, that aber auch nichts. Erst im Juni 1600 wurde Papa von der Besatzung selbst den Türken überliefert u. Kanischa am 11. Sept. erobert. Die Ursache der lassen Kriegsführung in Ungarn lag in der schlechten Regierung, welche durch nie Sultanin Walide u. deren Günstlinge verwirrt wurde. Bestechungen u. Ungerechtigkeiten herrschten in allen Provinzen des Reichs u. riefen Empörungen hervor; so 1598 in Kerman u. Yemen, 1600 in Constantinopel von den Spahis, wobei die Günstlinge der Sultanin den Empörern Preis gegeben wurden. Noch vorher erregte Abdul Halim Achisade, an der Spitze der Kurden u. Turkomanen, in Asien eine Empörung, bemächtigte sich Edessa's u. erzwang dadurch, wie sein Bruder Deli Hussein, eine Statthalterschaft schlug darauf ein Heer des Sultans, welches gegen ihn ausgeschickt war, am 25. April 1600 bei Kaissarieh u. nannte sich darauf Kaiser von Asien. In Ungarn eroberte 1602 Erzherzog Matthias Pesth u. belagerte Ofen, der Großvezier aber bemächtigte sich Stuhlweißenburgs. Ein Aufruhr der Spahis in Constantinopel wurde 1603 im Januar unterdrückt, u. zugleich unterwarf sich Deli Hussein. Die Besatzung von Tebris hatte die Landschaft Aserbeidschan geplündert u. den Befehlshaber von Selmas genöthigt Schutz bei dem Schah Abbas zu suchen. Dieser ergriff den Vorwand zum Kriege, erschien mit einem Heere vor Tebris, schlug am 26. Sept. 1603 die türkische Armee u. eroberte die Stadt. Muhammed III. st. am 22. Dec. 1603. Sein Sohn Achmed I. war erst 14 Jahre alt, als er den Thron bestieg. Der Krieg gegen Persien wurde unglücklich geführt, der Schah Abbas eroberte nach achtmonatlicher Belagerung Eriwan, nahm die Huldigung der georgischen Lehnsfürsten an, gewann darauf auch Kars u. schlug die Türken unter Cicala am 6. Aug. 1605 bei Tebris. In Ungarn zog der Großvezier 1604 ins Feld u. eroberte am 29. Sept. 1605 Gran; seine Unterfeldherren aber Veszprim, Wissegrad u. Neuhäusel. Dann unterwarf er die Walachei u. setzte einen neuen Fürsten ein. Ein Heer ließ er in Steyermark einfallen; den Fürsten Boczkai von Siebenbürgen rief er im Nov. 1605 zum König von Ungarn aus. Der Friede mit Österreich, welcher wegen der asiatischen Angelegenheiten nothwendig wurde, kam am 11. Novbr. 1606 zu Sitvatorok auf 20 Jahre zu Stande; dieser Friede war der erste, welchen die Pforte mit einer europäischen Macht mit völliger Gleichstellung des anderen Theiles schloß u. worin sie Verpflichtungen übernahm, da sie früher nur Zugeständnisse u. Bewilligungen eingeräumt hatte. In ihm wurde gegen eine Geldsumme der jährliche Tribut Österreichs aufgehoben, Österreich behielt das, was es hatte, die Türken Ofen, Gran, Erlau u. Kanischa; Boczkai entsagte der Krone von Ungarn zu Gunsten Österreichs. Der Großvezier ging nun selbst nach Asien u. unterwarf die Empörer Kalender-Oghli u. Tschanbulad. Da der Krieg gegen Persien unaufhörlich zu Ungunsten der Türken geführt wurde, so schloß Achmed 1612 mit dem Schah Frieden, nach dessen Bestimmungen alle Länder, welche Murad III. u. Muhammed III. den Persern entrissen, Schah Abbas aber zurückerobert hatte, in dessen Händen blieben. Der Seekrieg mit mehren christlichen Mächten wurde indessen mit abwechselndem Glück geführt. Von 1611–13 hatten die Türken entschiedenes Unglück, bis der Kapudan-Pascha Muhammed abgesetzt wurde. Sein Nachfolger Khalif machte bald den türkischen Namen wieder gefürchtet; er unternahm einzelne Landungen auf Malta, bezwang den empörten Dei von Tunis u. die im Aufstand begriffenen Mainoten. Dagegen landeten im Nov. 1614 die Donischen Kosacken bei Sinope, plünderten diese Stadt u. verheerten die Gegend. Gegen Persien mußte 1616 ein neuer Feldzug unternommen werden, weil Schah Abbas seine Grenze überschritten hatte; Eriwan wurde vergebens von den Türken belagert, u. auf dem Rückzuge kam ein großer Theil des Heeres vor Hunger um. In der Moldau dagegen wurde der von den Kosacken vertriebene Fürst wieder eingesetzt. Es kam darüber u. wegen Einfälle der unter türkischer Hoheit stehenden Tataren mit Polen zu Mißhelligkeiten, doch hinderte der Vertrag von Brusa am 27. Sept. 1617 den Ausbruch des Krieges; nach diesem Vertrage sollten die Kosacken den Dnjepr nicht überschreiten u. die Polen sich nicht in die Angelegenheiten der Moldau, Walachei u. Siebenbürgens mischen.

Am 22. Nov. 1617 st. Sultan Achmed I. Da seine sieben Söhne noch unmündig waren, so folgte sein blödsinniger Bruder Mustapha I., doch wurde er bereits nach drei Monaten entsetzt u. Achmeds ältester Sohn Osman II. zum Sultan ausgerufen, welcher erst 12 Jahre alt war, aber bereits nach zwei Jahren die Regierung selbst übernahm. Schon unter Mustapha hatten die Türken gegen Persien abermals eine Niederlage erlitten u. schlossen am 26. Sept. 1618 den Frieden zu Seraw auf die früheren Bedingungen. Bald aber brach mit Polen,[25] wegen Absetzung des Fürsten Gratiani von der Moldau, ein Krieg aus. Der Großvezier rückte, von den Krimischen Tataren begleitet, in die Moldau ein, schlug am 20. Sept. 1620 die Polen u. trieb sie bis zum Dnjester, wo sie am 6. Oct. eine zweite Niederlage von den Tataren erlitten. 1621 zog der Sultan selbst gegen die Polen; da er aber das verschanzte Lager derselben bei Choczim trotz einem viermaligen Sturm vom 8. bis 14. Sept. nicht nehmen konnte u. seine Soldatesca wegen der bereits vorgerückten Jahreszeit nicht länger im Felde stehen wollte, so sah er sich genöthigt Ende 1621 Frieden zu schließen. Die Janitscharen erregten deshalb einen Aufruhr, stürzten den Sultan Osman am 20. Mai 1622 vom Throne u. setzten Mustapha wieder darauf. Indeß sowohl die Janitscharen als die Ulemas waren mit Mustapha unzufrieden u. setzten ihn am 30. Aug. 1623 abermals ab u. erhoben den zwölfjährigen Bruder des ermordeten Sultan Osman II., Murad IV. Ghasi, zum Sultan. Anfangs führte die Sultanin Walide u. der Großvezier die Regierung; nach drei Jahren ergriff er selbst die Zügel der Regierung u. führte sie energisch, er verbot u.a. das Weintrinken u. Tabaksrauchen bei Todesstrafe, obgleich er den Wein selbst sehr liebte. Bald erregten die Janitscharen u. Spahis einen Aufstand, weil ihnen, wegen Erschöpfung des Schatzes, das gebräuchliche Thronbesteigungsgeschenk nicht hatte gezahlt werden können. Als dieser unterdrückt war, mußte eine Empörung in Asien bekämpft werden. Dort hatte sich noch zu Osmans Zeit Bekir des Paschaliks Bagdad bemächtigt u., nachdem er von den Türken geschlagen worden, sich an den Schah Abbas gewendet, welcher ein Heer schickte u. Bagdad in Besitz nahm. Dies hatte die Absetzung des Großveziers zu Folge. Dessen Nachfolger Muhammed schlug den Empörer Abasi, welcher den Tod Osmans II. rächen wollte, am 15. Aug. 1624 bei Konieh, mußte ihm aber doch das Paschalik Erzerum bewilligen, wodurch Kleinasien beruhigt wurde. Fast gleichzeitig hiermit schickte der Sultan ein Heer gegen den Khan der Krim, Muhammed, welcher abgesetzt werden sollte, aber das türkische Heer bei Babatagh schlug, die Türken aus Kaffa vertrieb u. die Donauländer verwüsten ließ u. schließlich dennoch als Khan anerkannt wurde, weil der Krieg mit Persien alle Streitkräfte in Anspruch nahm. Der neue Großvezier, Hafis-Pascha, war gegen die Perser gezogen u. hatte im Mai 1625 bei Kerkuk einen Sieg erfochten; hierauf belagerte er Bagdad, wurde aber, nachdem er in drei Schlachten den Entsatz zurückgeschlagen, durch eine Empörung des Heeres am 21. Juni 1627 abzuziehen genöthigt. Hierauf folgte die wiederholte Empörung des Abasi in Erzerum; gegen ihn zog der neue Großvezier Chalil u. belagerte vom Anfang August an Erzerum, mußte aber des kalten Winters wegen im Nov. 1627 die Belagerung aufheben u. wurde deshalb abgesetzt. Sein Nachfolger Khosrew schloß Abasi abermals ein u. brachte ihn durch Unterhandlungen zur Unterwerfung. Gegen Ungarn waren unterdeß auf Antrieb des siebenbürgischen Fürsten Bethlen Gabor mehre Einfälle geschehen u. am 13. Sept. 1627 wurde der Friede zu Szöny auf 25 Jahre erneuert. Khosrew zog 1629 gegen Bagdad, gewann am 27. April 1630 die Schlacht bei Miseban u. schloß Bagdad ein, mußte aber nach viermonatlicher Belagerung im Novbr. 1630 wieder abziehen. Er wurde hingerichtet, u. seine beiden nächsten Nachfolger traf gleiches Loos. Soldatenempörungen in Constantinopel u. in Asien zerrütteten nun das Reich u. bedrohten selbst das Leben des Sultans, indeß er wußte die Aufrührer zu entwaffnen, dann entzog er den Spahis viele ihrer Vorrechte u. ließ die Rebellenhäupter hinrichten. Um den Krieg gegen Persien nachdrücklich zu führen, ging er selbst nach Asien über, strafte die schuldigen Beamten u. ließ selbst den Großmufti hinrichten, was noch kein Großsultan gewagt hatte. Als er deshalb einen Aufruhr fürchtete, kehrte er von Nikomedien nach Constantinopel zurück, der Großvezier aber überwältigte im Oct. 1633 den Drusenfürsten Fakhr-Eddin, welcher 30 Jahre lang im Aufstande gegen die Pforte gestanden hatte. Gleichzeitig hatte der Statthalter von Widdin mit den Tataren einen Feldzug gegen Polen gethan, war aber am 22. Oct. 1633 bei Kaminiec geschlagen worden. Murad IV. wurde seit 1634 immer grausamer u. schonte selbst seine Lieblinge u. Vertrauten nicht; von Persien aus, wo er am 8. Aug. 1635 Eriwan einnahm, gab er den Befehl zur Hinrichtung seiner Brüder Bajazet u. Solyman; nachdem er noch Tebris genommen hatte, kehrte er nach Constantinopel zurück. Unterdeß eroberten die Perser den 1. April 1636 Eriwan zurück u. es geschah nichts gegen sie. Zum Theil waren daran die Unruhen in Siebenbürgen schuld, um dessen erledigten Fürstenstuhl sich Stephan Bethlen, der Schützling der Pforte, u. Rakoczy, von den Ungarn unterstützt, bewarben. Die benachbarten türkischen Paschas von Ofen u. Bosnien brachten ein Heer für Bethlen zusammen, welches aber am 3. Oct. 1636 bei Temesvar eine Niederlage erlitt, worauf Rakoczy von der Pforte bestätigt wurde. 1638 zog Murad IV., nachdem er noch seinen Bruder Kasim hatte hinrichten lassen, nochmals gegen Persien; er nahm Eriwan wieder, eroberte Bagdad nach vierzigtägiger Belagerung u. schloß darauf Frieden mit Persien; Bagdad mit ganz Mesopotamien blieb dem T-n R-e. Gleichzeitig mit diesem Siege hatte der Kapudan-Pascha eine Seeschlacht gegen die Kosacken auf dem Schwarzen Meere gewonnen. Ein Seekrieg gegen Venedig wurde durch Vermittlung der europäischen Mächte geendigt. Murad IV. st. am 9. Febr. 1640. Er hatte an 100,000 Menschen hinrichten lassen.

Ihm folgte sein Bruder Ibrahim I, weichlich, dabei grausam u. ein Werkzeug seiner Weiber u. Günstlinge, welche im raschen Wechsel erhoben u. hingerichtet wurden. Mit Polen u. Rußland gab es der Kosacken wegen große Weiterungen. Ernstlicher waren die Feindseligkeiten mit Österreich, gegen welches Rakoczy die Pforte zu Kriegsrüstungen bewog, da er mit ihrem Beistande Oberungarn unterwerfen wollte. Da aber seine Waffen im Verlauf des Krieges unglücklich waren, so gebot der Sultan die Feindseligkeiten zu endigen u. erneuerte 1645 den Frieden von Szöny. 1642 wurde Asow, nachdem es fünf Jahre in den Händen der Kosacken gewesen, zurück erobert u. neu befestigt. Die Hauptanstrengung der Pforte war zu jener Zeit auf die venetianische Insel Candia gerichtet. Der Krieg wegen derselben begann 1645 u. währte 24 Jahre. Eine Flotte landete auf der Insel u. eroberte nach einer langen Belagerung Canea, trotz der tapfern Vertheidigung Cornaros. Die venetianische Flotte hatte unterdeß auf Morea gelandet u. 5000 Sklaven mit fortgeführt, weshalb der Sultan[26] alle in seinem Reiche befindlichen Christen ermorden lassen wollte. Der weitere Erfolg der türkischen Waffen wurde aber durch Aufstände in Cypern u. Kleinasien 1646 u. 1647 aufgehalten; in Candia wurde allein Retimo noch erobert, dagegen die Belagerung der Hauptstadt aufgehoben. In Dalmatien hatten die Venetianer entschieden das Übergewicht. In einem Aufruhr der Janitscharen, denen auch die Ulemas beitraten, wurde Ibrahim abgesetzt u. am 18. August 1648 erdrosselt. Sein Sohn Muhammed IV., erst sieben Jahre alt, bestieg nun den Thron, die Regierung führte in seinem Namen der Großvezier unter der Leitung der Großmutter u. Mutter des Sultans, aber diese waren uneinig, dazu wurde das Reich durch Aufstände u. zwei religiöse Parteien, die Orthodoxen u. die Mystiker, erschüttert, eine Münzverschlechterung erregte großes Mißvergnügen u. einen Auflauf der Kaufleute, in Folge deren der Großvezier hingerichtet wurde. Nun erhielt die Partei der jungen Walide das Übergewicht u. die alte, welche während der Regierung von vier Sultanen geherrscht hatte, wurde erdrosselt. Bei diesen inneren Zerrüttungen wurde der Krieg gegen Venedig nicht mit Nachdruck geführt u. die türkische Flotte am 10. Juli 1651 von der venetianischen geschlagen. Dagegen machten die Venetianer einen vergeblichen Angriff auf Dalmatien, u. am 10. Mai 1654 gelang es auch dem Kapudan-Pascha die venetianische Flotte zu schlagen. Noch vor diesem Siege hatten Irrungen mit Polen statt, da Chmelnicki, der Hetman der Zaporoger Kosacken, von dem König von Polen abgefallen war u. sich der Pforte unterworfen hatte. Um die Polen zu beschäftigen, unterstützten die Türken den Tatarkhan, welcher in Polen einfiel, aber bei Zynkowce geschlagen wurde, u. so kam am 17. December 1653 der Friede zu Kaminiec zu Stande. 1655 kam ein neuer Aufstand in Constantinopel zum Ausbruch u. machte auch den Empörern in Kleinasien Muth aufs Neue sich zu erheben. Eine Flotte, welche gegen die Venetianer auslief, wurde am Eingange in die Dardanellen am 6. Juli 1656 gänzlich geschlagen. Die Venetianer eroberten Tenedus, Samothrake u. Lemnus. In Folge dieser Unfälle überkam 1656 Muhammed Köprili, der Sohn eines französischen Renegaten, das Großvezirat u. die Leitung der Regierung; er unterdrückte die Intriguen des Harems u. verhinderte unnütze Grausamkeiten, übte aber gegen Empörer u. Pflichtvergessene Strenge. Obgleich die türkische Flotte am 2. Mai 1657 im Golf von Skalanora u. am 17. Juli d. J. in den Dardanellen von den Venetianern geschlagen wurde, so eroberte Köprili doch Tenedus u. Lemnus wieder, brach dann im April 1658 im Vereine mit einem polnischen Heere u. den Tataren in Siebenbürgen ein, eroberte den größten Theil des Landes u. erhob an Rakoczys Stelle den Barcsay zum Fürsten von Siebenbürgen. Von der gänzlichen Vernichtung Rakoczys wurde Köprili durch einen Aufruhr abgerufen, welchen in Kleinasien Abasa Hassan erregt hatte. Er ging selbst dahin, u. obgleich sein Oberfeldherr Murtesa-Pascha am 11. Decbr. 1658 von Abasa geschlagen wurde, so gelang es ihm selbst doch die Anhänger Abasas durch Verrath in seine Gewalt zu bekommen u. so die Ruhe herzustellen. Wegen Siebenbürgens entstanden schon jetzt Zwistigkeiten mit Österreich; die Kaiserlichen rückten in jenem Lande ein, u. der Pascha von Ofen eroberte Temesvar am 14. Juli 1660. Zugleich hatte eine türkische Armee den Tatarkhan gegen Rußland unterstützt, welcher am 10. Juli 1660 ein russisches Heer bei Maigli an der Wolga vernichtete. Dagegen hatten die Venetianer Skiathus erobert, von der französischen, päpstlichen u. maltesischen Flotte unterstützt, den Türken mehre Schlösser auf Candia abgenommen u. erfochten am 30. September 1662 einen Seesieg über die türkische Flotte bei Kos. Unterdessen war 1661 Köprili gestorben u. ihm folgte als Großvezier sein Sohn Achmed Köprili. Der Thronstreit Apafi's u. Kimeny's in Siebenbürgen veranlaßte 1663 einen Krieg der Pforte mit dem Kaiser. Der Feldzug gegen Ungarn wurde vom Großvezier im August mit einem Siege bei Gran eröffnet, welchem am 27. September die Eroberung von Neuhäusel folgte. Hierauf bemächtigten sich die Türken noch der Städte Neutra, Lewenz u. Neugrad, während die Tataren Schlesien u. Mähren überschwemmten. Dagegen unternahm Nikolaus Zriny einen glücklichen Streifzug an der Mur u. Drau u. eroberte mehre Städte. Das Waffenglück der Türken bewog die deutschen Fürsten u. den König von Frankreich dem Kaiser Hülfstruppen zu senden, durch welche Montecuculi das Übergewicht erhielt; ein türkisches Heer unter Kutschuk-Pascha wurde bei Heiligenkreuz an der Gran geschlagen u. Neutra am 7. Mai 1664 von den Christen wieder genommen. Doch eroberte der Großvezier, nachdem er Kanischa entsetzt hatte, am 29. Juni Serinwar, den eigentlichen Zankapfel des Krieges, u. dann die von den Kaiserlichen während des Feldzugs besetzten Festungen wieder. Während dessen siegte Souches am 19. Juli 1664 bei Lewenz über den Pascha von Neuhäusel. Montecuculi hatte sich, um sich mit den französischen u. Reichstruppen zu vereinigen, auf das linke Ufer der Raab zurückgezogen; auf dem rechten rückte der Großvezier gegen St. Gotthard vor, erlitt aber hier am 1. August 1664 durch Montecuculi eine völlige Niederlage u. zog sich nach ungeheurem Verlust zurück. Gegen alle Erwartung schlossen die kaiserlichen Minister am 10. August 1664 den Frieden von Vesvar, in welchem Neuhäusel, Serinwar u. Großwardein in den Händen der Türken blieben. Den Großvezier beschäftigten neue Empörungen in Asien u. die inneren Angelegenheiten mehre Jahre, dann unternahm er 1667 die Eroberung von Candia, aber erst am 6. September 1669 gelang es ihm die Stadt Candia zu erobern, worauf sogleich der Friede zu Stande kam, nach welchem Candia dem T-n R. einverleibt wurde. 1672 begann Achmed Köprili einen Krieg mit Polen, um die Ukrainischen Kosacken, welche sich der polnischen Lehnshoheit entzogen hatten u. zum Gehorsam zurückgebracht werden sollten, zu unterstützen. Johann Sobieski, der polnische Feldherr, konnte wegen zu geringer Unterstützung nicht widerstehen, u. die Türken eroberten die wichtige Festung Kaminiec am 25. August 1672, worauf der König Michael am 18. September 1672 den Frieden zu Buczacz schloß, wodurch er die Ukraine an die Kosacken u. Podolien an die Pforte abtrat u. sich zu einem jährlichen Tribut verpflichtete. Da aber der Reichstag diesen Frieden nicht genehmigte, so unternahm der Großvezier 1673 einen zweiten Feldzug gegen Polen, wurde aber am 11. November, als er bei Choczim über den Dnjester gehen wollte u. die Brücke brach, von Sobieski total geschlagen. Da[27] der König Michael starb, so hielten die Wahlunruhen die Polen ab den Sieg zu verfolgen, u. der Großvezier konnte 1674 durch Kara Mustapha am 4. September Human erstürmen lassen u. das Land zwischen Dnjester u. Dnjepr unterwerfen. Ibrahim verheerte Volhynien, u. Lemberg wurde nur durch die schnelle Ankunft des neuen Königs gerettet, welcher im August 1675 die Türken abermals schlug. Er wurde jedoch von den Reichsständen nicht hinreichend unterstützt u. mußte sich 1676 auf die Vertheidigung des verschanzten Lagers von Zurawno beschränken u., von dem türkischen Heere eingeschlossen, den ihm von den Großvezier vorgeschriebenen Vertrag vom 27. October 1676 annehmen u. Kaminiec, Podolien u. 1/3 der Ukraine in den Händen der Türken lassen. Drei Tage darnach st. Achmed Köprili, der beste Großvezier des T-n R-s; ihm folgte Kara Mustapha im Großvezirat. Der Abfall des ukrainischen Kosackenhermans Doroszenko, welcher sich der russischen Lehnshoheit unterwarf, veranlaßte 1677 einen Krieg gegen Rußland. 40,000 Türken griffen Cheryn an, wurden aber 14. August 1677 geschlagen u. mußten am 7. September die Belagerung aufheben. Darauf zog 1678 Muhammed IV. selbst gegen die Russen u. eroberte Cheryn; am 11. Februar 1681 wurde der Friede zu Rodzin geschlossen u. den Russen Asow abgetreten.

In Ungarn unterstützte die Pforte die Insurgenten u. erkannte den Emmerich Tököly als Lehnskönig von Mittelungarn an; als die Nachricht von dem am 31. März 1683 zwischen dem Kaiser u. Polen geschlossenen Bündniß eintraf, ging das türkische Hauptheer, nachdem es eine Menge fester Städte u. Schlösser erobert, Raab aber vergeblich angegriffen hatte, am 8. Juli über die Raab. Die kaiserliche Armee hatte sich zurückgezogen, u. am 9. Juli erschien der Großvezier Kara-Mustapha mit 200,000 M. vor Wien u. begann sogleich die zweite Belagerung Wiens. Der Commandant Graf Starbemberg, welcher nur 13,000 M. Besatzung u. 7000 Bürger als Beihülfe hatte, ließ alle Vorstädte diesseit der Donau abbrennen u. vereitelte mehrmals den Versuch der Türken eine Brücke über die Donau zu schlagen, um auf das linke Ufer zu kommen. Die Türken ängstigten indessen Wien durch heftige Beschießung, durch Sprengung von Minen u. durch 18 Stürme. Am 6. September ließ der Großvezier wieder 24 Stunden ununterbrochen stürmen, aber am 9. brach er auf die Nachricht, daß das christliche Heer im Anzuge sei, das Lager ab u. zog auf den Leopoldsberg u. die Wiener Waldgebirge. Am 12. September vereinigten sich die Polen u. Baiern mit den Sachsen u. Kaiserlichen u. griffen sogleich das Gebirg an. Sobieski befehligte den rechten Flügel, den linken der Herzog von Lothringen u. das Centrum die Kurfürsten von Baiern u. Sachsen. Die Janitscharen wurden aus den Hohlwegen von Nußdorf u. Heiligenstadt nach Döbling gedrängt. Um 2 Uhr des Nachmittags brachen die Polen aus dem Walde von Dornbach hervor u. stürmten in die Feinde; um 4 Uhr waren die Türken bis in ihr Hauptlager vor Wien zurückgedrängt; daselbst währte der Kampf noch eine Stunde, u. dann löste sich das türkische Heer in wilder Flucht auf. Das ganze Lager, 300 Stück Geschütz u. der ganze Schatz des Großveziers fiel in die Hände der Sieger; 10,000 Türken blieben u. sehr viele kamen noch auf der Flucht um. Die Türken hatten während der Belagerung über 50,000 M. verloren; dagegen war auch die Besatzung gänzlich erschöpft. Der Großvezier setzte, nachdem er die Festung Tata gesprengt hatte, seine Flucht nach Ofen fort. Der König von Polen u. der Herzog von Lothringen zogen sich längs der Donau hinunter bis gegen Gran. Auf dem Wege dahin wurden die Polen am 7. October in einen Hinterhalt gelockt u. 2000 M. niedergehauen. Am 9. October kam es bei Parkany (Barakan) zur Schlacht, in welcher die Türken 7000 M. u. in Folge davon Gran verloren. Durch die Unfälle der Türken kühn gemacht, brach der vormalige Fürst der Moldau, Stephan Petreischik, mit Kunicki, dem Hetman der Zaporoger Kosacken, in Bessarabien ein, wurden aber nach einem Siege am 4. Decbr. 1683 gezwungen das Türkische Gebiet zu räumen. Wegen der Niederlage bei Parkany wurde der Großvezier Kara Mustapha 25. November in Belgrad hingerichtet; sein Nachfolger, Ibrahim Scheitan, konnte das Glück der Türken in Ungarn nicht herstellen. Der Herzog von Lothringen eroberte am 18. Juni 1684 Wissegrad, darauf gewann er am 27. Juni die Schlacht bei Waitzen u. nahm diese Stadt, ging dann über die Donau u. belagerte Ofen. Obgleich ein türkisches Entsatzheer am 22. Juli bei Hamsabeg u. an demselben Tage ein anderes türkisches Heer bei Veroviz in Kroatien besiegt u. diese Stadt erobert wurde, so fiel Ofen doch nicht. Gleichzeitig wurde auch die von den Polen unternommene Belagerung von Kaminiec aufgehoben. Auch Venedig erklärte nun am 15. Juli 1684 der Pforte den Krieg u. ließ eine Armee durch Dalmatien nach Bosnien vorrücken. Zur See eroberten die Venetianer am 8. August Sta. Maura u. darauf Prevesa; dagegen wurde die venetianische Flotte, welche den Kapudan-Pascha bei Skio eingeschlossen hielt, am 24. October durch einen Sturm zerstreut. In Dalmatien wurde die von den Venetianern u. Morlachen belagerte Festung Sign am 7. April 1685 entsetzt; dagegen empörten sich in Morea die Mainoten u. verjagten die Türken. In Ungarn war noch vor Beginn des Feldzugs Waitzen durch Verrath wieder in die Hände der Türken gefallen, die Kaiserlichen eroberten dagegen Szolnok u. Szarvas. Darauf belagerten die Türken Gran, die Kaiserlichen dagegen Neuhäusel u. nahmen, nach dem Siege bei Gran am 16. August, am 19. jenen Platz mit Sturm, eroberten auch Vihiz in Kroatien. Da der Großvezier Kara Ibrahim diese Unfälle den christlichen Vasallenfürsten beimaß, so ließ er ihnen seinen Zorn fühlen; Fürst Tököly von Siebenbürgen wurde nach Wardein gelockt u. von da in Ketten nach Constantinopel abgeführt; der Wojwode von der Walachei mußte eine große Geldstrafe erlegen, der von der Moldau verlor sein Fürstentum. Der König von Polen, welcher in die Moldau einfiel, wurde bei Bojan geschlagen. Im März 1686 wurde der Friede der Türkei mit Rußland erneuert. Das Unglück der türkischen Waffen gegen Österreich mußte der Großvezier Ibrahim entgelten; er wurde abgesetzt u. Solyman Aindschi zu seinem Nachfolger ernannt, welcher nun mit ausgedehntester Vollmacht im Mai 1686 nach Ungarn aufbrach. Tököly hatte er in Freiheit gesetzt, um durch ihn dem von Österreich begünstigten Apafi das Gegengewicht zu halten. Unterdessen hatten die Kaiserlichen am 18. Juni die Belagerung von Ofen ernsthaft begonnen. Das Belagerungsheer[28] unter dem Herzog von Lothringen bestand aus 90,000 M. Ungarn, Kroaten, Deutschen u. Freiwilligen von allen Nationen Europas; Ofen dagegen wurde von 16,000 M. unter Abdurhaman Pascha vertheidigt. Binnen 14 Tagen wurden drei Stürme abgeschlagen u. nur die äußere Mauer erobert; am 22. Juli flog das Hauptpulvermagazin in die Luft, wodurch ein Wallbruch entstand, u. obgleich der Großvezier selbst zum Entsatz herbeikam, wurde Ofen am 2. Septb. durch Sturm erobert, nachdem es 145 Jahre im Besitz der Türken gewesen war. Darauf nahm der Herzog von Lothringen nach einander Segedin, Simontorega, Fünfkirchen, Eszek u. andere Städte. Der venetianische Feldherr, Graf Königsmarck, hatte unterdessen den Seraskier von Morea geschlagen u. am 2. Juni Navarin erobert, u. bemächtigte sich nach u. nach Moreas, so wie der Städte Patras, Lepanto u. Athen. In Dalmatien aber wurde Castelnuovo am 30. September 1687 erobert. Am 12. August 1687 wurde das türkische Heer bei Mohacz geschlagen u. mußte sich nach Peterwardein zurückziehen. Der Herzog von Lothringen eroberte alle feste Plätze in Slavonien u. auch Siebenbürgen unterwarf sich den Kaiserlichen. Erbittert über diese Unfälle, erregten die Paschas des Heeres einen Aufstand gegen den Großvezier Solyman Aindschi u. wählten Siwa Pascha zum Großvezier, welche Wahl der Sultan bestätigen mußte. Dennoch wurde die Ruhe dadurch nicht hergestellt; das Heer rückte auf Constantinopel los, u. Muhammed IV. wurde des Thrones entsetzt.

Solyman III., Bruder Muhammeds IV., welcher der Ermordung seiner übrigen Brüder entgangen war, weil er sich nie mit Staatsgeschäften, sondern allein mit Andachtsübungen beschäftigt hatte, wurde nun Padischah. Gleich nach seiner Thronbesteigung plünderten die Janitscharen mit dem Pöbel die Häuser der Vornehmen u. ermordeten auch den Großvezier Siwa Pascha. In Ungarn ging Erlau, Peterwardein, Weißenburg u. am 6. September 1688 Belgrad, in Griechenland Theben u. in Dalmatien Knin verloren u. in Aleppo u. Candia brachen Empörungen aus. Ferner machten die Kaiserlichen auch in Slavonien Fortschritte, u. blos gegen die Polen u. Russen hielt der Tatarkhan die türkischen Angelegenheiten aufrecht u. entsetzte das belagerte Kaminiec. In Dalmatien erfochten die Venetianer einen Sieg u. wiegelten die Bergvölker Huf, gegen welche die Paschen von Skutari u. Herzegowina vergebens kriegten; in Griechenland siegten Venedigs Waffen ebenfalls, das Schloß von Athen wurde gesprengt u. nur die Belagerung von Negroponte mußte nach 100 Tagen aufgehoben werden. Nach mehren vergeblichen Friedensanträgen wurde Rescheb Pascha zum Oberfeldherrn gegen die Kaiserlichen ernannt. Von den Türken wurde zwar Zwornik erobert u. Orsowa entsetzt, dagegen Rescheb am 30. Aug. 1689 bei Baludschina (Palascin) überfallen u. so wie am 24. September durch den Markgrafen von Baden bei Nissa geschlagen, worauf Nissa fiel. Nun übernahm der Großvezier selbst den Heeresbefehl, die Kaiserlichen aber eroberten noch St. Florentin, Feth-Islam u. Widdin. Dagegen wurden die Russen bei Perekop, das polnische Belagerungsheer bei Kaminiec geschlagen u. die Venetianer zur Aufhebung der Belagerung von Malvasia gezwungen. 1689 setzte Solyman III. den Großvezier ab u. Mustapha Köprili wurde dessen Nachfolger. Dieser stellte die Ordnung in der Verwaltung her, führte strenge Sparsamkeit ein, schaffte mehre drückende Auflagen ab u. war duldsam gegen die nichtmuhammedanischen Religionsparteien. Er erließ ein Aufgebot an alle Moslemin u. trat an die Spitze des so gewonnenen Heeres. Zugleich hatte er in Siebenbürgen unter Tököly ein Heer aufgestellt. Während nun dieser den österreichischen General Fleister besiegte u. Veterani u. der Markgraf von Baden zur Rettung Siebenbürgens herbeieilten, eroberte der Großvezier 1690 Nissa, Semendria u. am 9. October Belgrad, belagerte Eszek u. schlug das Entsatzheer unter Veterani, mußte aber wegen des nahenden Winters die Belagerung dennoch aufheben. Die Venetianer eroberten Malvasia, die letzte den Türken noch gehörige Stadt in Morea, u. der venetianische Admiral Daniel besiegte die türkische Flotte bei Mytilene. Am 23. Juni 1691 starb Solyman II. u. ihm folgte sein Bruder Achmed II., von Köprili, mit Zurücksetzung der Söhne Solymans, auf den Thron erhoben. Bei der Beschränktheit des Sultans führte Köprili die Regierung, blieb aber bereits am 19. Aug. 1691 in der Schlacht bei Szalankemen, welche die Österreicher unter dem Markgrafen von Baden gewannen, worauf sich das türkische Heer nach Belgrad zurückzog, welcher Platz, in den nächsten Jahren wieder hart von den Österreichern bedrängt wurde. So sehr auch der Sultan den Frieden mit dem Kaiser wünschte u. so sehr England u. Holland denselben zu vermitteln strebten, so hintertrieben doch Frankreichs Intriguen denselben. Im Jahre 1694, wo die Pforte unglücklich gegen die Araber focht, am 12. Sept. Skio an die Venetianer verlor u. 6. Nov. eine Niederlage an dem Dnjestr von den Polen erlitt, starb auch der Sultan Achmed; ihm folgte sein Neffe Mustapha II., Muhammeds IV. Sohn. Er begann seine Regierung mit Kraft u. Einsicht u. wurde vom Großvezier Elmas in Herstellung der Ordnung unterstützt. Dem tuneser Seeräuber Mezzomorto wurde ein Theil der Flotte anvertraut, welcher damit im Febr. 1695 Skio zurück eroberte u. dafür Kapudan-Pascha wurde. Auch gegen die Russen waren die Türken 1695 siegreich, indem sie im Oct. den Czar Peter, welcher Asow angriff, zurückschlugen. Gegen den Kaiser zog Mustapha selbst ins Feld, nahm Lippa am 7. Sept. durch Sturm u. Titul u. schlug ein österreichisches Corps bei Karansebes, unweit Lippa, wobei Veterani blieb. Das kaiserliche Hauptheer commandirte der Kurfürst von Sachsen, August der Starke; derselbe belagerte 1696 Temesvar, zog sich aber vor dem Großvezier in ein festes Lager unter Bega u. erlitt am 15. Aug. eine Niederlage. Beinahe gleichzeitig eroberten die Russen Asow nach einer zweimonatlichen Belagerung. 1697 begann der Sultan mit 130,000 Mann u. 50,000 Ungarn u. Siebenbürgen unter Tököly den Feldzug gegen Ungarn, um die Belagerung von Peterwardein zu beginnen, aber beim Übergang über die Theiß bei Zenta wurde fast sein ganzes Heer vom Prinzen Eugen von Savoyen am 11. Sept. 1697 aufgerieben, indem dasselbe theils in der Theiß ertrank, theils niedergemacht, theils gefangen wurde. Mustapha selbst, welcher auf der anderen Seite der Theiß dem Untergang des Heeres zugesehen hatte, flüchtete mit den Trümmern des Heeres nach Temesvar. Im Nov. 1698 begannen nun die Friedensunterhandlungen[29] zu Karlowitz mit allen Mächten, gegen welche die Pforte im Krieg lag. Abgeordnete waren von Seiten der Pforte: Rami Mehemed Effendi u. Alexander Maurocordato; von Seiten des Kaisers: Wolfgang Graf von Öttingen u. Leopold Graf von Schlik; von Rußland: Procop Loydanowitz; von Polen: der Wojwode von Posen; von Venedig: Rigim; Lord Paget von englischer Seite u. Colliere von holländischer machten die Vermittler. Die Zusammenkunft fand unter Zelten statt, u. da man sich um das Ceremoniell stritt, so wurde ein rundes Gebäude von Holz gebaut mit eben so viel Thüren, als Gesandte waren, u. die Gesandten traten alle auf ein gegebenes Signal zugleich ein u. setzten sich auch zugleich. Zuerst kam den 25. Dec. 1698 ein Waffenstillstand zwischen den Russen u. Türken auf zwei Jahre zu Stande; beide Theile behielten ihre Eroberungen. Am 15. Jan. 1699 wurde ein ewiger Frieden mit Polen geschlossen; diese Republik bekam die Ukraine, Podolien u. Kaminiec wieder, gab dagegen mehre Plätze in der Moldau zurück. Hierauf folgte ein 25jähriger Zeitfrieden zwischen Österreich u. der Pforte; er wurde den 26. Jan. 1699 geschlossen, später 1703 in einen 30jährigen Frieden verwandelt, 1710 nochmals auf 30 Jahre verlängert, 1714 gebrochen, im Frieden von Passarowitz aber 1718 wieder erneuert. Siebenbürgen, so wie es Michael Apafi besessen hatte, kam an den Kaiser, die Türken behielten Temesvar, u. die anliegenden österreichischen Plätze sollten geschleift werden, das Gebiet zwischen der Theiß u. Donau blieb kaiserlich, eine von der Mündung der Marosch bis an die der Bossut in die Sau gezogene Linie sollte für Ungarn östlich u. die Sau bis zu ihrem Zusammenfluß mit der Unna südlich die Grenzen bilden. Der Friede mit Venedig kam noch etwas später zu Stande; Venedig behielt Morea, Sta. Maura u. Engina, gab aber Lepanto, Prevesa u. Romania heraus, nachdem diese Plätze geschleift worden waren. Die Tributzahlung wurde für immer aufgehoben.

Dieser für die Pforte nachtheilige Friedensschluß erregte bei allen Osmanen großes Mißvergnügen u. der Großvezier wurde abgesetzt. Da sein Nachfolger, der Seraskier Mustapha Daltaban, auf Anreizungen Frankreichs den Krieg wieder beginnen wollte, ließ ihn der Sultan hinrichten. Aber Janitscharen u. Volk in Constantinopel empörten sich u. zogen nach Adrianopel, wo sich Mustapha II. befand. Hier erhielten die Empörer eine Verstärkung von 50,000 M., welche vom Sultan gegen sie geschickt wurden, aber gemeinschaftliche Sache mit ihnen machten, ernannten einen neuen Großvezier u. forderten den Sultan auf die Regierung niederzulegen. Mustapha II. entsagte daher am 24. April 1702 dem Thron, welchen sein Bruder Achmed III. einnahm. Dieser zeigte sich Anfangs als milder u. einsichtsvoller Regent; die Empörer, denen er seine Erhebung zu danken hatte, vertheilte er in die Provinzen u. ließ dann die Häupter derselben hinrichten. Gleich seinem Bruder war er friedliebend u. benutzte die vortheilhafte Gelegenheit nicht, welche ihm der Spanische Erbfolgekrieg darbot den Kaiser anzugreifen. Seine Friedensliebe theilte mit ihm sein Großvezier Ali Pascha, welchem er seit 1705 die ganze Regierung überließ. Daher war König Karl XII. von Schweden, M er 1709 nach der Niederlage bei Pultawa nach der Türkei floh, kein willkommener Gast. Doch erhielt er eine Freistätte in Bender, u. erst 1711, nachdem Ali Pascha abgesetzt war durch die Intriguen des von Frankreich beeinflußten Serails der kriegerisch gesinnte Baltadschi Mehmed das Reichssiegel erhielt, begann der Krieg gegen Rußland. Der Großvezier rückte mit 150,000 M. von Adrianopel gegen die Moldau vor, deren Fürst Kantemir sich mit Rußland verbündet hatte. Peter der Große langte im Juni 1711 mit 80,000 M. am Pruth an, doch verlor er durch Mangel, Krankheit u. Desertion bald über die Hälfte davon u. wurde von dem türkischen Heere, zu welchem noch 40,000 Tataren gestoßen waren, völlig eingeschlossen, doch gelang es seiner Gemahlin Katharina ihn zu retten, indem dieselbe den Großvezier mit ihrem Schmucke bestach. Nach dem Vertrage von Falschi gestattete der Großvezier dem russischen Heere freien Abzug, wogegen Peter Asow zurückgab, die Festungen Kamienska, Samara u. Tighan schleifte, auch in die Angelegenheiten der unter polnischem u. türkischem Schutz stehenden Kosacken sich nicht einzumischen versprach. Zwar genehmigte Achmed III. den Frieden nicht, sondern entsetzte den Großvezier u. ließ Rußland abermals den Krieg erklären, aber der neue Großvezier, Ibrahim Mollah, ließ sich ebenfalls von Rußland bestechen, u. am 12. April 1712 kam ein neuer Friede zu Stande, worin Kiew u. die Ukraine diesseit des Dnjestr an Rußland abgetreten wurde. Noch einmal gelang es der schwedischen Partei die Pforte zum Kriege gegen Rußland zu bewegen, doch auch diesmal siegte das russische Geld. Der Großvezier wurde wieder gestürzt u. der Friede mit Rußland durch Englands u. Hollands Vermittelung am 24. Juni 1713 auf 25 Jahre geschlossen. Karl XII. mußte am 1. Oct. 1714 das Türkische Gebiet verlassen. 1711 brach auch eine Empörung in Kairo aus u. wurde erst 1714 gestillt. Unter dem Verwände, daß 1714 Venetianer dem widerspenstigen Pascha von Damask Waffen geliefert hätten, beschloß der neue Großvezier Kumurdschi-Ali u. der Diwan den Krieg gegen Venedig, indeß Kaiser Karl VI. erklärte, daß er als Garant des Karlowitzer Friedens der Pforte den Krieg ansagen werde, sobald diese Venedig bekriege. Die Pforte setzte sich daher gegen Ungarn in Vertheidigungszustand u. stellte auch gegen Rußland u. Polen Beobachtungscorps auf. Ein Heer in der Ebene von Adrianopel sollte zur Reserve dienen u. eins von 70,000 M. u. eine Flotte von 90 Segeln u. 60 Galeeren unter dem Kapudan-Pascha Dianun Pascha war zur Eroberung von Morea bestimmt. Während der General-Proveditore von Morea, Delfino, in dem Hafen von Elsimeno mit seiner gebrechlichen Flotte u. geringen Mannschaft auf die Türken wartete, landete der Kapudan- Pascha bei Cerigo, welches sich ihm sogleich, wie Napoli di Romania, ergab, u. zugleich drang der Großvezier durch die Landenge von Korinth in Morea ein u. eroberte Korinth. Ende 1715 war ganz Morea mit allen Festungen in türkischer Gewalt. Zugleich war der Pascha von Bosnien in Dalmatien eingefallen, fand aber hier entschlossenen Widerstand u. konnte nichts ausrichten. Kaiser Karl VI. schloß Anfang 1716 ein Schutz, u. Trutzbündniß mit Venedig u. stellte drei Heere in Ungarn unter Prinz Eugen auf, eins unter dessen Specialbefehl, an 70,000 M., das zweite, unter Graf Guido von Starhemberg, 30,000 M., das[30] dritte, unter dem General Heister, 25,000 M. stark. Zugleich kündigte er durch seinen Internuntius der Pforte an, daß, wenn bis zum 15. März nicht ein türkischer Unterhändler an der ungarischen Grenze erschiene, der Krieg erklärt sei. Der Großvezier erhielt nun den Oberbefehl über das bis 150,000 M. verstärkte Heer gegen Ungarn. Temesvar wurde in der Eile befestigt u. auch Belgrad mit 40,000 M. besetzt. Während sich Anfangs Juni der Großvezier mit 120,000 M. gegen die Save u. Belgrad wendete, zogen 30,000 M. zur Deckung von Temesvar. Der Großvezier verbot seinen Untergeneralen die Feindseligkeiten zuerst zu beginnen, um nicht als Verletzer des Karlowitzer Friedens zu erscheinen. Dennoch griffen die Türken den Grafen Palfy, welcher ihren Übergang über die Save beobachtete, zuerst bei Karlowitz an u. zwangen ihn zum Rückzuge auf das bei Peterwardein versammelte Hauptheer, welches nun, 80,000 M. stark, die Türken bei Peterwardein angriff u. sie schlug; die meisten Paschas blieben u. auch der Großvezier Kumurdschi-Ali starb den Tag darauf in Karlowitz an seinen Wunden; Verlust der Türken über 12,000 M., der der Kaiserlichen etwa 6000 M. Der Seraskier von Bosnien übernahm nun den Oberbefehl. Prinz Eugen ließ Temesvar einschließen u. erhielt diesen Platz 13. October durch Übergabe, worauf er das ganze Banat besetzte. Gegen Venedig hatten die Türken auch kein Glück gehabt u. der Kapudan-Pascha hatte die seit Anfang des Jahres unternommene Belagerung von Korfu wieder aufgehoben. Der Winter verlief unter eifrigen Rüstungen; die Kaiserlichen verstärkten sich bis auf 140,000 M. u. von der Pforte wurde der Pascha von Belgrad, Astschi-Ali, zum Großvezier ernannt, Rakoczy u. andere Feinde des Kaiserhauses aus Frankreich zurückgerufen; die Landarmee sollte Temesvar, der Kapudan-Pascha aber Korfu erobern. Dagegen war von den Kaiserlichen die Eroberung von Belgrad beschlossen worden, welche Festung Prinz Eugen am 18. Juni 1717 mit 100,000 M. einschloß, sein Lager vor derselben fest verschanzen u. am 22. eine Brücke, der Citadelle gegenüber, über die Donau, so wie auch eine über die Save schlagen ließ, um die Verbindung zu erleichtern. Er hatte bereits große Fortschritte gemacht u. sein Geschütz ängstigte Belgrad sehr, als am 16. Juli die Vorhut des türkischen Heeres auf den Höhen von Belgrad erschien u. sich im Rücken des Prinzen Eugen aufstellte, welcher nun in der rechten u. linken Flanke von der Donau u. Save u. im Rücken von der 150,000 M. starken Armee des Großveziers eingeschlossen war, während er vor der Fronte Belgrad hatte. Der Großvezier ließ vom 3. Aug. an das kaiserliche Lager wirksam beschießen, welches auch durch das Feuer der Festung viel litt. Der Prinz beschloß daher dem Großvezier eine Schlacht zu liefern; er ließ den Feldmarschalllieutenant Brown mit einem Corps zur Deckung des Lagers zurück u. griff am 16. Aug. mit etwa 60,000 M. die Türken an, u. bald verbreitete sich das Gefecht vom rechten Flügel der Kaiserlichen über die ganze Schlachtlinie. Die Spahis u. Tataren empfingen die kaiserliche Cavallerie mit Muth u. verschafften den Janitscharen Zeit sich zu sammeln. Mehrmals schwankte die Schlacht, endlich siegten die Kaiserlichen u. stürmten das türkische Lager. Verlust der Türken 10,000 Todte, 5000 Verwundete u. 3000 Ertrunkene, der Kaiserlichen 5000 Todte u. Verwundete; unter den Ersteren sechs Generale, verwundet war der Prinz Eugen selbst. Belgrad capitulirte nun am 18. Aug. die Besatzung erhielt freien Abzug. Bald darauf räumten die Türken auch Semendria u. Schabacz u. selbst Orsowa ergab sich dem General Mercy; nur Swornik blieb unerobert. Die Friedensunterhandlungen begannen nun unter Vermittelung Englands u. Hollands wieder, doch ließ sich der Kaiser auf keinen Separatfrieden ohne Venedig ein u. verlangte auch den ganzen Bezirk, welchen seine Armee jetzt besetzt hatte., u. außerdem noch Bosnien, Serbien u. einen Theil der Walachei. Der Sultan verwarf diese Bedingungen u. der Kaiser gab nach. Hierauf wurde zu Passarowitz ein Congreß eröffnet, welchem von kaiserlicher Seite der Graf Wirmont u. der Baron Tallmann, von venetianischer der Ritter Ruzzini u. von türkischer die Agas Ibrahim u. Muhammed beiwohnten; der Lord Montaign von britischer u. der Baron Collier von holländischer Seite waren als Vermittler zugegen. Am 21. Juni 1718 wurde der Friede zu Passarowitz unterzeichnet; der Friede von Karlowitz diente zur Grundlage, doch wurden die Grenzen zwischen Siebenbürgen u. Polen geregelt, Temesvar, Belgrad u. ein Theil von Serbien, Bosnien u. der Walachei an Österreich abgetreten; dagegen behielt die Pforte einige Plätze in Dalmatien u. die Insel Cerigo, auch Morea.

Als Peter der Große 1722 die inneren Unruhen in Persien zur Eroberung von Daghestan u. Schirwan benutzte, forderten Janitscharen u. Volk Krieg gegen Rußland, indeß kam durch Frankreichs Vermittelung ein Vertrag zwischen Rußland u. der Pforte zu Stande, wodurch beide sich ihre von Persien eroberten Provinzen verbürgten. Unterdessen, war der Schah Mir-Mahmud von einem Usurpator Aschraf verdrängt worden, welcher mit Schah Thamasp, Sohn des früheren Schah, um den Thron kämpfte. Gegen diesen zogen die Türken zu Felde u. eroberten 1725 Ardabil, auch gewannen sie vor Tebris am 25. Mai eine Hauptschlacht; aber am 20. Nov. 1726 schlug Aschraf die Türken bei Andscheden gänzlich, woraus am 3. Oct. 1727 ein Friede mit ihm zu Stande kam u. er als Schah von Persien anerkannt wurde, die Türken, aber im Besitz ihrer Eroberungen blieben. In Ägypten u. in Kleinasien kamen viele Empörungen vor, so belagerten Turkomannenstämme Ardebil, wurden aber zurückgetrieben. Indessen bewies der Großvezier Ibrahim sich thätig für die Verbesserung der Reichsverwaltung u. Einführung zweckmäßiger Einrichtungen, er legte sogar Bibliotheken an u. errichtete 1729 eine Buchdruckerei in Constantinopel, auch nahm er den Franzosen Bonneval in Dienst, welcher wesentliche Verbesserungen bei dem Heere einführte u. die türkische Politik in Einklang mit der der anderen europäischen Höfe brachte. Ein neuer Krieg begann 1730 mit Persien, wo Thamasp endlich den Schah Aschraf vom Throne gestoßen hatte u. nun die von der Pforte eroberten persischen Provinzen zurückforderte u. die Vergleichsvorschläge der Pforte abwies. Aber da Achmed III. trotz seiner aufgehäuften Schätze kein Geld zu den Rüstungen hergab, sondern eine Steuer auf den Kleinhandel legte, so erregte dies allgemeinen Unwillen. Achmed III. ging selbst mit dem Großvezier zur asiatischen Armee ab, u. da die Hauptstadt ohne Aussicht blieb, so brach am 28. Sept. 1730 eine Empörung aus; man verlangte die Auslieferung[31] des Großveziers u. des Großmufti u. eine Änderung der Regierung. Achmed III. eilte nach Constantinopel zurück u. ließ den Großvezier u. die übrigen verhaßten Großen hinrichten; doch nun verlangten die Empörer seine eigene Absetzung, u. er mußte sich in sein Schicksal fügen.

Ihm folgte sein Neffe Mahmud I, ein Sohn Mustapha's II., welcher Anfangs ganz in der Gewalt der Empörer war, welche die Staatsgeschäfte nach ihrer Willkür lenkten, bald aber die Gunst des Volks verloren, worauf Mahmud I. 500 von ihnen hinrichten ließ. Während dessen hatte der türkische Feldherr Rustan am 15. Sept. 1731 die Schlacht bei Kordischan gegen die Perser gewonnen, u. es erfolgte am 25. Februar 1732 der Friede mit Persien, worin ganz Georgien den Türken abgetreten, das Land jenseit des Araxes aber den Persern zurückgegeben wurde. Der Großvezier Topol Osman, welcher diesen Frieden geschlossen hatte, wurde als angeblicher Christenfreund abgesetzt. Darauf erklärte Nadir Schah, welcher den Schah Thamasp in Persien entthront hatte, daß er den Frieden mit der Pforte nicht gelten lassen würde, u. rückte gegen Bagdad vor, schloß aber nach wechselndem Kriegsglück den 13. Dec. 1733 einen Waffenstillstand mit der Pforte auf 1 Jahr. Während der Zeit erneuerte er jedoch seine Forderung der Zurückgabe aller Länder am rechten Ufer des Araxes, ging im Winter von 1734–35 über das Gebirge u. schlug am 14. Juni 1735 die Türken unter Abdullah Köprili bei Arbatschei gänzlich. Nun wurde im September 1736 Friede geschlossen, in welchem die Pforte alle seit Muhammed IV. gemachten Eroberungen in Persien zurückgab u. den Persern den Besuch heiliger. Orte im Türkischen Gebiet gestattete, auch Nadir Schah als Beherrscher von Persien anerkannte. In den polnisch-russischen Händeln hatte Mahmud I. die Partei des Königs Stanislaw genommen u. sich gegen Rußland erklärt, welches mit Österreich verbunden war. Zwar versuchte der Großvezier Ibrahim den Krieg durch einen Congreß zu Nemirow zu vermeiden, aber während desselben rückte ein russisches Heer vor Oczakow u. ein kaiserliches unter Wallis in der Walachei ein. Nachdem sich der Congreß im Juli 1737 aufgelöst hatte, übernahm der kaiserliche Feldmarschall von Seckendorff im Juni 1737 den Oberbefehl; das Heer, im Ganzen 70,000 M., war in drei Armeen getheilt, von denen die Hauptarmee von den Feldmarschällen Philippi u. Khevenhüller, die Armee von Kroatien vom Prinzen Joseph von Hildburghausen u. die siebenbürgische Armee vom General Wallis commandirt wurde. Zunächst erhielt Seckendorff am 3. August Nissa, die Hauptstadt Serbiens, durch Übergabe; darauf sendete er Khevenhüller gegen Widdin, während Wallis die Donauufer nach der Walachei hin besetzte. Der Prinz von Hildburghausen war am 25. Juli vor Banyaluka in Bosnien angekommen, mußte aber am 6. August die Belagerung aufheben u. sich zurückziehen. Da die Türken eine bedeutende Verstärkung nach Widdin geworfen hatten, so gab Seckendorff den Plan auf diese Festung auf u. wendete sich gegen Swornik. Er ließ also Khevenhüller an den Timok zurückmarschiren, um die Walachei, das Banat u. Serbien zu decken, u. zog selbst nach Bosnien. Am 29. September eroberte er zwar das feste Schloß Uschitze, aber wegen Austretens der Drina konnte er gegen Swornik nichts unternehmen, lehrte zu Anfang October an die Save zurück u. bezog bei Schabacz ein festes Lager. Khevenhüller hatte während der Zeit ruhig bei Pristol am Timok gelagert, war am 9. September über diesen gegangen u. hatte unsern der Donau ein Lager bezogen, aus welchem er Nissa verproviantiren u. die kaiserlichen Provinzen decken sollte, wurde aber hier bei Radejowitz am 28. September von den Türken angegriffen u. zog sich am 29. auf Brsa-Palanka zurück. Der größte Unfall in diesem Feldzug aber war der Verlust von Nissa an die Türken; durch Seckendorffs u. Khevenhüllers Rückzug sah sich auch Wallis, welcher unterdessen ruhig an der Donau gestanden hatte, zum Rückmarsch nach Siebenbürgen genöthigt; er vereinigte sich bei Kladowa mit Khevenhüller u. beide bezogen bei Temesvar Winterquartiere. Glücklicher waren die Russen; 1736 nahm Münnich die Linien von Perekop u. die Stadt selbst (28. u. 30. Mai 1736) u. darauf Baktschiserai, die Residenz des Tatarenkhans; Lascy eroberte Asow (4. Juli) u. Leontschew Kinburn. 1737 ging Münnich mit 60–70,000 M. über den Dnjeper, erhielt am 13. Juli Oczakow in Übergabe u. lehrte, nachdem er eine Besatzung unter Stofflen daselbst zurückgelassen hatte, in die Ukraine zurück. Zwar erschienen die Türken bald vor Oczakow, mußten aber im October die Belagerung wieder aufheben. Die Türken eröffneten den Feldzug in Serbien schon im Februar 1738, eroberten Uschitze wieder, sowie Alt-Orsowa u. Mehadia, Neu-Orsowa konnte aber der Pascha von Widdin nicht nehmen. Herzog Franz von Lothringen, an Seckendorffs Stelle mit dem Oberbefehl betraut, entsetzte am 4. Juli Neu-Orsowa u. eroberte am 15. Juli Mehadia wieder, als aber der Großvezier Sigen-Pascha mit Verstärkungen bei dem türkischen Heere ankam u. wieder gegen Neu-Orsowa vordrang, zog sich der Herzog über die Donau zurück. Mehadia ging noch einmal an die Türken verloren, auch Neu-Orsowa ergab sich nach einer Belagerung von sechs Wochen u. ebenso fielen Semendria u. Uj-Palanka wieder an die Türken, welche dann bis Nissa zurückgingen, während ihre Streifcorps die Gespannschaft Temesvar verwüsteten. Khevenhüller erhielt jetzt den Oberbefehl wieder; er verjagte zwar die Türken wieder aus Uj-Palanka, mußte sich aber dann auch zurückziehen u. bezog am 8.November hinter der Donau Winterquartiere. Bei den Russen brach Münnich zu Ostern 1738 mit 35,000 M. gegen den Dnjester auf, ging am 4. Juli über den Bug u. schlug am 11. die Türken am Flusse Rodima u. am 19.am Sabran; als er aber Anfangs August mit seinem geschwächten Heere am Dnjester ankam, fand er dort eine türkische Armee von 60,000 M. wohl verschanzt, welche ihm den Übergang verwehrte, u. er zog sich am 17. August nach einem Verluste von 20,000 M. durch Hunger u. Krankheit nach dem Bug u. im September weiter nach der Ukraine zurück. Der Feldmarschall Lascy hatte in der Krim eben so wenig ausgerichtet u. Kassa nicht erobern können; zugleich mußten Oczakow u. Kinburn geräumt werden. Bei den Kaiserlichen erhielt der Feldmarschall Wallis den Oberbefehl über das Heer, welches, das Corps Neippergs an der Drave (10,000 M.) eingeschlossen, noch nicht 40,000 M. zählte u. Neu-Orsowa belagern sollte. Am 27. Juni 1739 ging Wallis bei Mirowa über die Save u. griff am 2. Juli bei Grotzka die türkische Armee unter dem Großvezier Elias-Muhammed-Pascha[32] u. dem Pascha Bonneval an, wurde jedoch geschlagen. Er zog sich an die ungarische Grenze nach Szalankemen zurück, u. die Türken erschienen am 29. Juli vor Belgrad. Wallis, welcher sich außer Stande sah Belgrad zu entsetzen, bot den Türken gegen die Abtretung dieser Festung Frieden an. Der Kaiser Karl VI. verwarf aber diesen, übertrug die Unterhandlungen dem General Neipperg u. sendete den General Schmettau zum Heer, um sich von dem Stande der Dinge zu überzeugen. Dieser bewog Wallis wieder gegen Belgrad umzukehren, wo er gegen Ende August ankam, allein dennoch wurde am 1. September der Friede von Belgrad unterzeichnet, dem zu Folge Belgrad, Schabacz, Neu-Orsowa u. ganz Serbien wieder unter türkische Herrschaft kamen. Dieser Friede wurde am 8. September von Karl VI. ratificirt. Mit 65,000 M. war Münnich mit den Russen am 27. Juni aus seinem Hauptquartiere aufgebrochen u. erreichte schon am 29. Juli den Dnjester u. überschritt ihn am 30. bei Grobeck. Ihm gegenüber befehligte der Seraskier 90,000 Türken, welche am Pruth bei Choczim ein festes Lager bezogen, welches aber die Russen am 28. August erstürmten, worauf die Türken nach Bender flüchteten. Choczim selbst fiel am 30. Aug., u. am 23. Sept. rückten die Russen in Jassy ein, wo Münnich die Nachricht vom Beitritt Rußlands zum Frieden von Belgrad erhielt. In der Krim hatte Lascy ebenfalls die Oberhand behalten u. Asow behauptet, welches zu Folge des Friedens wieder in türkische Hände kam, aber die Festungswerke mußten geschleift werden. Als Grenze wurde an der Westseite der Dnjeper angenommen, wie sie 1706 bestimmt worden war; der Handel im Schwarzen Meer blieb den Türken ausschließlich u. Münnich mußte die Moldau wieder räumen. Durch den glücklichen Ausgang des Krieges ermuthigt, machte die Pforte große Schwierigkeiten bei Vollziehung des Friedens gegen Österreich u. benutzte die durch den Tod des Kaisers Karl VI. entstandenen Verwirrungen, um seiner Nachfolgerin Maria Theresia noch Gebiet abzubringen. Gleiche Versuche mit Rußland schlugen fehl, im Gegentheil erweiterten die Russen ihre Grenzen dem Vertrage zuwider u. ließen die Beschwerden darüber unberücksichtigt. Seit dem Belgrader Frieden suchte die Pforte mehr durch diplomatische Künste, als durch Waffenmacht bei den europäischen Mächten sich in Ansehen zu erhalten. Nadir Schah von Persien forderte 1742 die Abtretung von Diarbekr u. die Anerkennung seiner Ansprüche auf Oberarmenien, u. da die Pforte hierauf nicht einging, so erschien er mit 100,000 M. vor Bagdad u. belagerte Mosul, mußte aber nach einem Verluste von 30,000 M. am 20. October 1743 wieder abziehen u. ward auf dem Rückzuge im Passe Senne von den Türken geschlagen. Wegen des Krieges mit den Persern wurde die Pforte immer nachgiebiger gegen die europäischen Mächte; auf Rußlands Klagen setzte sie den Khan der Krim ab u. wegen des Österreichischen Erbfolgekrieges erließ sie eine Neutralitätserklärung 1744 (die erste türkische) u. gestattete keine Caperei mehr in den Meeren. Nadir Schah setzte währenddem zugleich die Friedensunterhandlungen u. Feindseligkeiten fort, vernichtete im April 1744 in Georgien ein türkisches Heer unter Jussuf Pascha vor Achalzik u. schlug am 31. Mai u. 24. August das Hauptheer bei Kars, welchen Platz er belagerte, mußte jedoch des strengen Winters wegen die Verlagerung wieder aufheben. Nachdem auch der Seraskier Dschegen Muhammed bei Eriwan eine völlige Niederlage erlitten hatte, kam es am 4. Sept. 1746 zum Frieden von Teheran, nach welchem alles im Statu quo blieb. Bedeutsam war gleichzeitig der Tod des 96jährigen Kislar Aga Bessir, welcher 30 Jahre lang nach einer gemäßigt friedlichen Politik mit Einsicht u. Glück die Staatsgeschäfte gelenkt hatte. Die Janitscharen u. das Volk forderten jetzt wieder mit Ungestüm Krieg u. erregten deshalb 1748–51 mehre Aufstände, welche indeß keine Veränderung der Politik der Pforte bewirkten. Ein Aufruhr in Ägypten endigte 1748 mit Niedermetzelung der Mamluken, dagegen brachen in Arabien die Unruhen der Wechabiten (s.d.) aus, deren Niederwerfung die Pforte über 50 Jahre beschäftigte. Auch in Serbien, in Bessarabien, am Euphrat u.a.O. fanden Aufstände statt, begünstigt durch Mahmuds I. schwache Regierung.

Mahmud I. st. Ende 1754, u. ihm folgte sein Bruder Osman III., ein beschränkter, friedlicher Fürst. Unter ihm verlor Frankreich, des Bundes mit Österreich gegen Preußen halber, den Einfluß, welchen es bei der Pforte besessen hatte. Raghib Pascha trat als Großvezier an die Spitze der Reichsgeschäfte. Osman III. st. bereits 1757. Sein Sohn Mustapha III. hatte viel Neigung zum Selbstherrschen, da er aber ohne Kenntniß der auswärtigen Angelegenheiten war, so überließ er solche seinem Großvezier u. beschäftigte sich ausschließlich mit dem Innern, welches er mit Milde verwaltete. Raghib-Pascha beharrte auf dem friedlichen System der Pforte u. ließ sich durch Englands Andringen zu einem Kriege mit Österreich nur dazu bringen, 1781 ein Beobachtungsheer an der ungarischen Grenze aufzustellen, doch schloß er, aller Intriguen Frankreichs u. Rußlands ungeachtet, am 12. Dec. 1761 ein Freundschaftsbündniß mit Preußen. Nach Raghibs Tod 1763 dämpfte der neue Großvezier Unruhen in Georgien, welche durch Rußland hervorgerufen u. genährt wurden. Darauf brachen 1766 u. 1767 Empörungen in Cypern, Arabien u. wieder in Georgien aus, welche auch unterdrückt wurden. Die Schritte der Kaiserin Katharina II. gegen Polen beunruhigten die französische Regierung, welche den Sultan Mustapha III. am 30. October 1768 zum Kriege mit Rußland vermochte. Der Großvezier Muhammed Emir sammelte ein Landheer von 200,000 M., während der Kapudan-Pascha Gazhi-Hassan eine Flotte von 30 Schiffen ausrüstete u. der Khan der Krim in Rußland einfiel. Galyzin, welcher das russische Heer befehligte, griff am 30. April die Verschanzungen bei Choczim an, bekam aber erst am 18. September die Festung in seine Gewalt, worauf die Russen unter General Stofflen Jassy, Galacz u. Bucharest eroberten, 1770 Giurgewo bedrohten, am 28. Januar ein türkisches Lager bei Braila nahmen u. diese Stadt verbrannten u. am 3. Febr. den Seraskier bei Giurgewo u. am 5. Mai ein türkisches Corps bei Braila schlugen. Indessen brach Romanzow, welcher an Galyzins Stelle den Oberbefehl erhalten hatte, mit der Hauptarmee aus Podolien auf u. wendete sich gegen Choczim, während eine andere russische Armee unter Panin von der Ukraine aus gegen den Dnjester zog, um Bender zu erobern. Von türkischer Seite sollte der Tatarkhan über den Pruth setzen, während der Großvezier bei Isakdschi am rechten Donauufer eine Stellung[33] nahm. Romanzow kam aber dem Khan zuvor u. schlug ihn am 28. Juni am Kalmassu u. am 18. Juli an der Larga u. am 1. August den Großvezier. Der Tatarkhan zog sich gegen Ismail zurück, wohin ihm der General Repnin mit 12,000 M. folgte. Dieser fand Ismail verlassen u. besetzte es am 6. August; er rückte hierauf vor Kilia, welches sich am 18. August ergab, u. ließ Akjerman durch den General Igelström einschließen, welches am 6. October fiel. Romanzow hatte unterdessen ein Lager am See Elpuch bezogen u. Braila einschließen lassen, welches sich am 5. November ergab. Auf der andern Seite war Panin am Dnjester glücklich, denn er erstürmte Bender in der Nacht vom 26.–27. September. Im Frühjahr 1770 segelte eine russische Flotte unter dem Admiral Spiritow in den Archipelagus, um die Mainoten zu unterstützen, welche sich gegen die Türkei erhoben hatten. Der Flotte Spiritows folgte die von Elphinstone, u. über beide sollte Gregor Orlow den Oberbefehl führen. Spiritow landete mit 500 Russen unter Theodor Orlow in der Maina, welche sich mit 50,000 Mainoten verbanden; sie nahmen nur Navarin, wurden aber am 19. April bei Tripolizza geschlagen u. schifften sich im Juni wieder ein u. überließen die Griechen ihrem Schicksale. Unterdessen hatten die Flotten von Elphinstone u. Spiritow sich mit einander vereinigt u. am 5. Juli schlug Gregor Orlow den Kapudan-Pascha bei Skio. Beide Admiralschiffe flogen bei diesem Kampfe in die Luft u. Orlow u. Spiritow retteten sich mit Mühe; die Überreste der türkischen Flotte flüchteten sich aber in die Bai von Tschesme, wo sie von den Russen sogleich blockirt u. am 16. Juli von Elphinstone fast ganz verbrannt wurde. Orlow blockirte die Dardanellenausgänge u. belagerte Lemnos, von wo er aber durch den neuen Kapudan-Pascha am 24. October vertrieben wurde. Da die Friedensunterhandlungen an den hohen Forderungen der Kaiserin Katharina II. gescheitert waren, so sammelte der Großvezier Seliktar Muhammed ein Heer an der Donau, dessen Artillerie durch den Baron Tott neu geregelt worden war. Bevor aber der Großvezier den Feldzug eröffnen konnte, eroberte der russische General Olitz am 1. März 1771 die Stadt Giurgewo u. General Weißmann am 4. April das Schloß Tuldscha. Darauf wendete sich der Letztere gegen Isakdscha, eroberte u. schleifte das feste Schloß u. die Magazine u. zog sich hierauf nach Ismail zurück; die Türken besetzten nach seinem Abzüge aber Isakdscha wieder. Gegen Ende Mais eröffneten die Türken endlich den Feldzug u. der Seraskier Musson Oglu schlug am 15. Juni Potemkin u. Gudowitsch u. eroberte am 20. Juni Giurgewo wieder. Achmed-Pascha hatte sich zu derselben Zeit mit 10,000 M. gegen Bucharest gewendet, war aber am 21. Juni von Nepnin zum Rückzuge gezwungen worden. Währenddessen stand der Großvezier jenseit der Donau bei Babadagh im Lager, wo sich seine Armee durch Entsendungen u. Desertion bald bis auf 10,000 M. verminderte. Romanzow aber war von Jassy bis an den See Kagul vorgerückt u. General Essen griff das Lager des Seraskiers bei Giurgewo in der Nacht vom 17.–18. August u. dann wieder am 12. September vergebens an. Dagegen scheierten auch die Versuche des Pascha von Widdin gegen Bucharest, u. auch an anderen Orten zogen die Türken den Kürzern. Am 1. November eroberte General Weißmann die Stadt Babadagh, worauf sich der Großvezier nach Adrianopel zurückzog. Von da wendete sich Weißmann gegen Isakdscha u. eroberte es am 4. November, u. am Ende des Feldzugs war das ganze linke Donauufer in der Gewalt der Russen. In der Krim stürmte am 21. Juni der russische General Dolgoruki die Linien von Perekop, u. als der General Prosorowski am 8. Juli ein tatarisches Corps bei Szuwasch schlug, so capitulirte auch die Stadt Perekop. Dolgoruki schlug am 10. Juli den Seraskier der Krim bei Kaffa u. eroberte Kaffa, Kertsch, Jenikale u. Sutak fast ohne Schwertstreich. Der Khan floh nach Constantinopel u. die Krim unterwarf sich den Russen; aber ein Versuch Dolgorukis Oczakow u. Kinburn zu erobern wurde im August zurückgewiesen. An die Stelle des Großveziers Seliktar Muhammed trat nun Muhsinsade. Dieser nahm schon im December 1771 sein Hauptquartier in Schumla, indessen gelang es Preußen u. Österreich einen Waffenstillstand zu Wege zu bringen, welcher am 10. Juni 1772 abgeschlossen u. sechs Wochen später auch auf die Flotten ausgedehnt wurde. Im Juli 1772 versammelten sich zu Fokschani die Friedensabgeordneten, aber die Unterhandlungen scheiterten an den hohen Forderungen der Russen u. an dem Starrsinn der Ulemas, u. am 22. März 1773 löste sich der Congreß auf. Der Feldmarschall Romanzow wollte 1773 über die Donau gehen u. ließ daher den General Suworow mit einer Abtheilung der russischen Armee in der Walachei am, 10. Mai bis Turtukai u. andere Streifcorps bis Karassu vordringen. Mitte Mais sendete nun der Großvezier mehre Corps aus dem Lager von Schumla gegen die Donau ab. Aber wenn auch der Seraskier von Rustschuk den General Repnin bei Rustschuk schlug u. gefangen nahm so besiegte dagegen Weißmann am 8. Juni die Türken bei Karassu u. wendete sich nun gegen Silistria, während Romanzow bei Balia über die Donau setzte. Am 29. Juni ließ Romanzow Silistria u. das Lager bei dieser Stadt durch 3 Colonnen vergebens stürmen; die Türken machten einen glücklichen Ausfall u. Romanzow ging am 1.–8. Jui bei Kainardschi über die Donau nach der Walachei zurück. Auch Soltikow, welcher mit dem walachischen Armeecorps gegen Rustschuk vorgerückt war, erhielt Befehl zum Rückzug. Die Türken wollten Anfangs diese glücklichen Erfolge benutzen, gaben aber die Offensive auf, als Suworow am 4. September den Versuch Hirsowa wieder zu erobern vereitelte. Während nun Kamenskoi Rustschuk u. Potemkin Silistria einschloß, ging Dolgoruki mit 6000 M. bei Hirsowa über die Donau u. vereinigte sich am 27. October bei Karamurad mit dem General Ungern, welcher mit 4000 M. bei Babadagh gestanden hatte, u. am 28. October schlugen Beide ein türkisches Corps wieder bei Karassu; zwei Paschas wurden gefangen u. das verlassene Basardschik besetzt. Hierauf zog Dolgoruki gegen Schumla, Ungern gegen Varna; aber Erster wich schnell, als ein türkisches Corps gegen ihn anrückte, u. Ungern ging, nach einem mißlungenen Angriff auf Varna, nach Ismail in die Winterquartiere. Zur See war 1773 nichts von Bedeutung geschehen, u. ein Versuch Orlows auf Bodrun wurde von dem Kapudan Pascha zurückgewiesen. Am 24. Dec. 1773 starb Mustapha III., u. sein Bruder Abdul Hamid folgte; er war 48 Jahr[34] alt u. hatte 43 Jahre im Kerker gelebt, war geistlos u. beschränkt u. wünschte den Frieden mit dem Großvezier u. dem Heer. General Romanzow zeigte an, daß er zur Wiederaufnahme der Unterhandlungen ermächtigt sei, aber die Ulemas bestanden darauf, daß die Abtretung türkischer Festungen gegen die Grundsätze des Islam streite. Ehe aber ein neuer Feldzug gegen die Russen begann, war es der Pforte gelungen die von den Russen unterstützten Empörungen des Ali Bei in Ägypten u. des Schah Tahir in Syrien zu unterdrücken. Im April 1774 eröffneten die Türken den Feldzug u. operirten gegen Hirsowa. Im Mai brach auch Kamenskoi von Ismail auf, warf den Vortrab des Reis Effendi von Basardschik zurück u. vereinigte sich am 18. Juni mit Suworow. Am 19. schlugen beide die Türken bei Kosludschy u. trieben dieselben über den Balkan nach Karnabad, wo eine Reserve von 8000 Mann stand, mit welcher der Großvezier sich in die Verschanzungen von Schumla zurückzog. Am 7. Juli erschien Kamenskoi vor dem Lager u. dehnte, um den Großvezier von Adrianopel abzuschneiden, seinen Flügel auf den, Schumla beherrschenden Höhen aus, ließ aber am 14. Juli den Balkanpaß bei Tschalykawak erobern u. den General Miloradowitsch in den Rücken der Türken an den Kamtschykfluß vorrücken, wodurch der Großvezier eingeschlossen war. Während Kamenskois Operationen gegen Schumla entschloß sich der Divan endlich zum Frieden u. schickte den Kiaja Beg u. den Reis Effendi, nachdem mehre frühere Friedensanträge nicht angenommen worden waren, mit ausgedehnter Vollmacht ab, u. diese schlossen 21. Juli 1774 den Frieden zu Kutschuk Kainardschi mit dem Fürsten Repnin ab. Die Freiheit der Tataren in der Krim, in Bessarabien u. am Kuban wurde ausgesprochen, nur sollte der Pforte in Sachen der Religion die Protection über dieselben als Muhammedaner bleiben; Kertsch, Jenikale, Asow u. Kinburn an die Russen abgetreten, u. so die Türken ihrer Hauptschutzwehren beraubt; zugleich stipulirte sich Rußland die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen u. Mittelmeere u. die Protection der griechischen Confessionsverwandten im ganzen T. R.; die Pforte erhielt die Moldau u. Walachei zurück, übernahm aber die Verpflichtung die dortigen Christen mild u. gerecht zu behandeln; außerdem mußte die Pforte noch 4 Mill. Rubel Kriegskosten an Rußland bezahlen u. ihre Flotte sogleich aus dem Archipelagus zurückziehen. Polen, die Hauptursache des Kriegs, war gar nicht erwähnt. Dieser für Rußland so günstige Friede war eigentlich der Ausgangspunkt der Orientalischen Frage. Obgleich in diesem Frieden die Freiheit der Krim u. des Kuban ausdrücklich ausgesprochen u. im Vergleiche von 1779 von Neuem bestätigt war, erklärte dennoch am 3. April 1783 die Kaiserin Katharina II. durch ein Manifest beides für russische Provinzen, da sie ihr der Khan gegen ein Jahrgeld abgetreten habe, u. die Pforte mußte diese Besitznahme bestätigen. Sie erneuerte 1784 den Frieden mit Rußland u. hatte nichts dagegen, daß sich der Fürst Heraclius von Georgien dieser Macht unterwarf. Eben so nachgiebig zeigte sich die Pforte gegen den Kaiser von Österreich, an welches sie 1784 die Bukowina abtrat, ohne jedoch dadurch die 1787 erfolgende Zusammenkunft des Kaisers Josephs II. von Österreich mit der Kaiserin Katharina von Rußland in Cherson, welche offenbar gegen die Pforte gerichtet war, verhindern zu können. Die Verhandlungen in Cherson wurden aber der Pforte von den Gesandten Englands, Preußens u. Hollands im gefährlichsten Lichte dargestellt, u. sie erklärte daher am 24. August 1787 vielfacher Kränkungen wegen den Krieg an Rußland. Rußland war nicht gerüstet u. suchte durch Unterhandlungen Zeit zu gewinnen, u. da die Türken ebenfalls unvorbereitet waren, so beschränkten sie sich für dieses Jahr auf einen Versuch Kinburn wieder zu erobern. 1788 rückte Romanzow mit einem Heere bis an den Dnjester vor, während Repnin ein anderes zwischen Dnjeper u. Dnjester sammelte u. Potemkin in der Krim Anstalten traf Oczakow zu erobern; der Prinz von Nassau commandirte die russische Flotte im Schwarzen Meeree. Indessen hatte auch Kaiser Joseph II., nachdem ein österreichisches Corps in der Nacht vom 2. zum 3. Dec. 1787 einen vergeblichen Versuch gemacht hatte Belgrad zu überrumpeln, am 9. Febr. 1788 den Krieg an die Pforte unter dem Vorwand erklärt, daß diese seine Vermittelung abgelehnt habe, u. war mit dem Feldmarschall Lascy u. 200,000 Mann an der türkischen Grenze erschienen, welche von Kroatien aus bis zur Bukowina einen langen Cordon zogen. Der Großvezier Jussuf ließ von seiner 120,000 Mann starken Armee alle Festungen besetzen, behielt aber doch ein Corps stark genug, um die kaiserliche Linie überall zu durchbrechen. Zwar eroberte der Prinz von Koburg im Verein mit 10,000 Russen unter Soltikow am 30. Septbr. Choczim u. der Kaiser nahm Schabacz am 28. April mit Sturm, dagegen konnte der Fürst Liechtenstein in Kroatien nichts ausrichten u. erlitt vor Dubicza eine Schlappe. Während Joseph II. u. Lascy die Belagerung von Belgrad vorbereiteten, vereinigte sich der Großvezier im Juli mit dem Seraskier von Widdin u. rückten gegen die kaiserliche Hauptarmee vor. Joseph II. zog sich über die Save zurück, u. nun ging der Großvezier bei Kladova über die Donau, jagte das Corps des Generals Wartensleben von den Höhen bei Mehadia herab u. drang am 8. August ins Temesvarer Banat ein. Die Kaiserlichen hielten erst Stand, als der Kaiser mit 40,000 Mann bei Slatina zu Wartensleben gestoßen war. Hier griff der Großvezier seit 14. Sept. wiederholt das österreichische Lager an, u. am 20. Sept. traten die Österreicher den Rückzug nach Temesvar an, welcher bei Lugos in förmliche Flucht ausartete. Siebenbürgen schwebte in der größten Gefahr, aber durch das Vorrücken der österreichischen Flügelcorps wurde der Großvezier zum Rückzug nach Belgrad gezwungen, wohin ihm der Kaiser folgte, welcher sich bei Semlin wieder mit den früher dort zurückgelassenen 30,000 Mann vereinigte, aber im Novbr. 1788 einen Waffenstillstand auf drei Monate schloß. In Kroatien hatte Laudon den Fünften Liechtenstein abgelöst u. dort den Sachen eine andere Wendung gegeben. Am 28. Aug. hatte er Dubicza u. am 3. Oct. Novi erobert. In der Walachei ruhten die Waffen. Thätiger wurde der Krieg von den Russen in der Krim, wo Potemkin u. Suworow das Commando hatten, am thätigsten aber der Seekrieg geführt, wo der Prinz von Nassau die russische Ruderflotte u. der Contreadmiral Paul Jones die Segelflotte befehligte, u. der Kapudan-Pascha Hassan ihnen gegenüber stand. Ende Mais erschien Hassan mit 10 Linienschiffen u. sechs Fregatten vor Oczakow, nachdem er auf der hohen[35] See eine zweite Flotte von acht Linienschiffen u. acht Fregatten zurückgelassen hatte. Aber er wurde in mehren Gefechten vom 27. Juni bis 1. Juli, dann nochmals vom 1. u. 2. Aug. geschlagen, hielt aber doch bis zum Oct. die See, worauf er nach Constantinopel zurückkehrte. Potemkin hatte sein Heer Ende Juni bei Sokoli gesammelt u. erschien Anfang Augusts vor Oczakow, um diese Festung zu belagern, welche er aber erst am 17. Dec. durch Sturm nahm, worauf er die Werke schleifen ließ. Der Großvezier Jussuf eröffnete schon früh den Feldzug von 1789 gegen die Österreicher; indem er an der Niederdonau eine Beobachtungsarmee gegen die Russen stehen ließ, ging er mit 90,000 Mann im März bei Rustschuk über dieselbe u. drang gegen Hermannstadt vor. Die österreichische Hauptarmee gegen ihn commandirte der Feldmarschall Haddik, während Laudon in Kroatien den Befehl führte. Es waren die günstigsten Aussichten für die Türken, als Abd-ul-Hamid 7. April 1789 st. u. Selim III. den Thron bestieg. Dieser, ein Sohn Mustaphas III., aber von seinem Oheim Abd-ul-Hamid sorgfältig erzogen, rief den Großvezier Jussuf zurück u. an dessen Stelle trat Kustschuk-Hassan, welcher aber seinem Vorgänger an Talent u. Erfahrung weit nachstand. Dieser führte das türkische Heer über die Donau zurück, u. da bald darauf Haddik die Armee verließ, so erhielt Laudon, welcher am 9. Juli Berbir (Gradiska) erobert hatte, den Oberbefehl. Dieser ließ den General Clairfait bei Semlin zurück u. rückte vor Belgrad (14. Sept.), das sich ihm am 9. Oct. ergab, worauf er auch Semendria eroberte u. Neu-Orsowa blockirte. Eben so glücklich als Laudon, hatte in diesem Feldzuge der Prinz von Koburg im Verein mit Suworow gefochten u. den Seraskier am 31. Juli bei Fokschani u. den Großvezier am 22. Sept. bei Martinjesty geschlagen. Die russische Hauptarmee unter Potemkin hatte am 1. Mai 1789 Galacz erobert u. den Kapudan-Pascha Hassan, welcher das türkische Landheer in Bessarabien commandirte, bei Tobacz geschlagen; am 13. Oct. capitulirte Akjerman u. am 15. Bender. Im Jahre 1790 wurde der Krieg Anfangs lässig geführt; die Fortschritte der Russen hatten die westlichen Mächte bedenklich gemacht, u. um die Türkei nicht Rußland preiszugeben, hielten England, Österreich u. Preußen eine Conferenz in Reichenbach (s.d. 3) wegen Erhaltung der Türkei u. schlossen hier am 27. Juli die darauf bezügliche Convention. Deshalb zog sich auch Suworow, welcher sich am 15. Aug. mit dem Prinzen von Koburg vereinigt hatte, nach Kilia zurück u. blieb hier bis zu Ende Sept. Der Admiral Ribas aber lief mit der Ruderflotte in die Donau ein u. eroberte Tuldscha; sein Bruder bemächtigte sich der Stadt Isakdscha u. General Müller belagerte in der Mitte Sept. Kilianow, welche Festung sich am 15. Oct. an den General Gudowitsch ergab. Anfangs Nov. rückte dieser vor Ismail u. durch 40,000 Mann unter Suworow verstärkt, ließ er durch die Donauflotille die Stadt von der Wasserseite einschließen u. beschießen u. nahm sie am 22. Dec. mit Sturm. Über 30,000 Türken nebst dem Seraskier u. fünf Paschas blieben hierbei. In Folge der Reichenbacher Convention schloß der Kaiser Leopold II. am 23. Sept. einen Waffenstillstand mit den Türken. Um vorteilhaftere Bedingungen zu erzielen, ließ er noch vorher Widdin u. Giurgewo belagern, aber im Sept. sprengten die Türken die Linien der Kaiserlichen vor Giurgewo u. zwangen sie zur Aufhebung der Belagerung. Im Nov. 1790 versammelten sich hierauf türkische u. österreichische Bevollmächtigte, u. es kam am 4. Aug. 1791 mit Österreich der Friede zu Sistowa auf dem Status quo zu Stande. Gegen Rußland, welches den angebotenen Frieden nicht angenommen hätte, setzten die Türken den Krieg fort. Der Großvezier brach gleich nach Ismails Fall von Schumla gegen Rustschuk auf u. verstärkte die Besatzungen von Braila, Silistria u. Barna. Im Januar 1791 vereinigten sich die Generale Kutusow u. Galyzin, gingen am 6. April über die Donau, verjagten 18,000 Türken aus Matschin u. besetzten am 8. diese Stadt, wurden aber vor Braila am 12. April geschlagen u. zum Rückzuge nach Galacz genöthigt; auch gelang den Türken der Überfall zu Hirsowa am 25. Jan. Repnin erschien am 10. Juli mit 30,000 Mann vor dem türkischen Lager von Matschin, eroberte dasselbe u. zwang den Großvezier zum Rückzug nach dem Balkan. Kurz zuvor hatten die Russen auch in der Asiatischen Türkei Fortschritte gemacht u. am 3. Juli Anapa erobert. Zwar besiegte am 19. Juli der Kapudan-Pascha die russische Flotte unter dem Admiral Uschakow im Schwarzen Meer bei Jenikale, erlitt aber hier auch am 9. u. 11. Sept. eine Niederlage. Unterdessen hatten im August Friedensunterhandlungen mit Rußland zu Galacz begonnen, welche später in Jassy fortgesetzt wurden u. am 19. Jan. 1792 kam der Friede zu Jassy mit Rußland zu Stande. Die Türken traten Oczakow u. das Land am linken Ufer des Dnjesters ab, so daß dieser von nun an die Grenze bildete. In Ägypten hatten sich unterdessen die Mamlukenbeis u. in Aleppo die Janitscharen empört, der Pascha von Bagdad wollte den erblichen Besitz seiner Provinz erzwingen, auch die andern Paschas in Asien versagten den Gehorsam u. in Europa hielten die Paschas die Einkünfte nach Gutdünken zurück. Um mehr Ordnung u. Festigkeit in die innere Regierung zu bringen, führte Selim III. einen Staatsrath von 12 Mitgliedern ein, wodurch die Gewalt des Großveziers beschränkt u. selbst durch gesetzliche Formen gebunden wurde. Eine Menge Neuerungen gingen nun vom Reis Effendi Raschid aus; die Wissenschaften wurden begünstigt, die in Verfall geratenen Buchdruckereien wieder in Thätigkeit gesetzt, zur Herstellung der Seemacht eine Ingenieurakademie unter Leitung französischer Offiziere gestiftet, neue Gieß- u. Zeughäuser errichtet u. die Arbeiten auf den Schiffswerften eifrig betrieben. Hierauf ließ Selim III. durch eine Commission (Nizam Dschedid) die europäische Disciplin u. Bewaffnung bei den Truppen einführen, u. weil die Janitscharen sich hiergegen sträubten, so beschloß der Staatsrath die Aufhebung derselben u. machte damit in den Grenzprovinzen den Anfang. Die deshalb in Belgrad u. mehren Orten ausgebrochenen Unruhen wurden zwar bald gedämpft, nicht aber in Widdin, wo Paswan Oglu, verletzt durch die Confiscation seiner väterlichen Güter, sich an die Spitze der Janitscharen stellte, mit den Einwohnern von Widdin den Pascha Vertrieb u. sich offen empörte. Der Staatsrath bewilligte zwar dem Paswan Oglu Verzeihung u. Ersatz für die eingezogenen Güter, aber dieser behielt die Gewalt in den Händen, forderte das Paschalik von Widdin für sich u. griff, als dieses ihm verweigert wurde, 1797 aufs Neue zu[36] den Waffen. Er besiegte überall die Truppen der Pforte u. bemächtigte sich mehrer Städte an der Donau; selbst der gegen ihn ausgesandte Kapudan-Pascha Hussein konnte nichts gegen ihn ausrichten, u. die Pforte schloß am 28. Oct. 1798 einen Vertrag mit ihm u. bewilligte ihm das Paschalik von Widdin. Zu dieser Nachgiebigkeit sah sich die Pforte bes. durch den Krieg veranlaßt, in welchen sie unerwartet u. unvorbereitet mit Frankreich verwickelt wurde, als Bonaparte im Juli 1798 Ägypten besetzte. Die Kriegserklärung der Pforte erfolgte am 10. Sept., u. am 23. Dec. 1798 u. 5. Jan. 1799 schloß sie Bündnisse mit Rußland u. England. Wenig leisteten die Türken in Ägypten, mehr in Syrien, wo sie sich in St. Jean d'Acre tapfer hielten, u. endlich wurden die Franzosen durch die Engländer u. Türken gezwungen Ägypten 1801 zu räumen, s.u. Französischer Revolutionskrieg S. 653 f. Kaum war dieser Krieg durch den Frieden zu Paris, am 25. Juni 1802, beendigt, als der Aufstand der Serbier unter Czerny Georg der türkischen Regierung neue Unruhen bereitete. Die Serbier bekamen die Oberhand, Czerny Georg belagerte Belgrad u. eroberte am 13. Dec. 1806 die Stadt u. am 30. Jan. 1807 auch die Citadelle, s.u. Serbien S. 868. Bei dem erneuerten Kriege zwischen Frankreich u. Rußland 1805 suchten beide Mächte die Pforte für sich zu gewinnen. Der Diwan hatte sich zwar, durch russischen u. britischen Einfluß bewogen, Anfangs geweigert Napoleon als Kaiser anzuerkennen, aber nach der Schlacht bei Austerlitz stieg Frankreichs Ansehen so, daß 1806 die Anerkennung Napoleons erfolgte u. den russischen Schiffen der Durchgang durch das Schwarze Meer gesperrt wurde. Als nun im August d. J. General Sebastiani als französischer Gesandter nach Constantinopel kam, wurde die französische Partei im Diwan bald überwiegend; die für Rußland gestimmten Hospodare der Walachei u. Moldau, Ypsilanti u. Morusi, wurden abgesetzt, obgleich der russische Botschafter erklärte, daß er die Absetzung als einen Kriegsfall ansehen müsse, u. am 20. Dec. 1806 wurde von den, Türken der Krieg gegen Rußland erklärt. Während aber Rußland mit den Franzosen in einen nachtheiligen Krieg verwickelt war, hatte der Großherr mit den Serbiern zu kämpfen, war Ägypten u. Arabien in Aufstand, herrschte in Rumelien u. Bulgarien Anarchie, kühne Räuber bedrohten selbst Adrianopel u. Ali-Pascha von Janina schaltete in Macedonien ganz als eigener Herr. Schon vor der Kriegserklärung hatte im November eine russische Armee unter Michelsen, Essen u. Richelieu Choczim u. Bender eingeschlossen u. am 29. Nov. Jassy besetzt; am 23. Decbr. schlug Michelsen ein türkisches Corps bei Grodau u. besetzte am 27. Bucharest. Der britische Botschafter in Constantinopel übernahm zwar noch einmal das Geschäft eines Vermittlers u. drang auf Entfernung des französischen Gesandten, da aber sein Vorschlag abgelehnt wurde, so verließ er am 25. Jan. 1807 Constantinopel u. am 18. Febr. segelte der britische Admiral Dukworth mit 5 britischen Linienschiffen u. 3 Fregatten durch die Dardanellen, verbrannte auf der Höhe von Galipoli eine türkische Escadre u. erschien am 20. Febr. vor Constantinopel, kehrte aber, da der Diwan erklärte, daß er erst weiter unterhandeln wolle, wenn die britische Flotte das Marmormeer verlassen habe, am 1. März nach Tenedos zurück. Da die Pforte dem russischen Heere nur schwache Streitkräfte entgegensetzen konnte, so vermochte sie Michelsen nirgends zu widerstehen u. die Vereinigung der Russen mit den Serbiern, am 7. Juni bei Groß-Ostrowa, nicht zu hindern. Am 19. Juni erstürmte ein Corps der Verbündeten die türkischen Verschanzungen bei Malainitza, während die russische Hauptarmee sich gegen Giurgewo u. Ismail wendete. Hier aber erschienen in der Mitte Juli der russische Fürst Wollinski u. der französische Oberst Guilleminot mit der Nachricht von dem Frieden zu Tilsit im russischen Hauptquartier, in dessen Folge zwischen Rußland u. der Pforte ein Waffenstillstand eintreten sollte, welcher am 24. August auf dem Schlosse Slobosia bei Giurgewo bis zum 8. April 1808 abgeschlossen wurde u. worin die Russen versprachen die Fürstenthümer binnen 36 Tagen zu räumen, was aber nicht geschah u. was zu dem Ausbruch eines neuen Krieges führte. Der Seekrieg war ebenfalls für die Türken sehr unglücklich ausgelaufen; am 4. April war die türkische Flotte bei Tenedos von dem russischen Admiral Siniävin, geschlagen u. jene Insel erobert worden; die Türken hatten 5 Linienschiffe u. 3 Fregatten verloren; am 1. Juli verloren sie in der Seeschlacht bei Lemnos von 22 Schiffen 9; aber auch Siniävin segelte nach der Schlacht, nachdem er die Werke von Tenedos hatte zerstören lassen, nach Korfu zurück. In der Asiatischen Türkei hatten die Russen am 24. April Anapa erobert u. am 18. Juni 1807 den Seraskier von Erzerum am Flusse Arbatschei geschlagen. Auch hier machte der Waffenstillstand den Feindseligkeiten ein Ende.

Als der Großvezier Ibrahim 1807 gegen Rußland zu Felde zog, kam eine Verschwörung gegen den Sultan u. bes. den Nizam Dschedid zum Ausbruch. Der Kaimakam stellte sich an deren Spitze, vertrieb am 25. Mai die neuen Soldaten aus den Dardanellen, drang in Constantinopel ein u. entsetzte am 31. Mai Selim III. u. erhob Mustapha IV., einen Sohn Abd-ul Hamids, auf den Thron, welcher sogleich die Einrichtungen seines Vorgängers wieder abschaffte u. sich dem französischen Interesse geneigt zeigte, ohne aber den Krieg gegen Rußland mit Nachdruck zu führen. Als der Pascha von Rustschük, Mustapha Bairakdar, im Juli 1808 eine Gegenrevolution machte, um Selim III. aus dem Kerker wieder auf den Thron zu führen, ließ Mustapha IV. den Sultan Selim 28. Juli ermorden, Bairakdar aber entsetzte nun Mustapha IV. u. erhob dessen Bruder Mahmud II. am 28. Juli auf den Thron. Mahmud II., 22 Jahre alt u. der einzige noch übrige Fürst aus Osmans Geschlecht, war heftig u. zur Grausamkeit geneigt, doch auch thätig u. auf Verbesserungen bedacht. Er ernannte Mustapha Bairakdar zum Großvezier u. wollte mit ihm die Verbesserungen des Heeres vollenden; doch die Janitscharen erregten am 14. Nov. 1808 einen Aufstand, in welchem Mustapha Bairakdar gedrängt, sich 16. Nov. mit den Seinigen in einen Thurm des Serails zurückzog u. sich hier mit ihnen in die Luft sprengte; Mustapha IV. wurde aber hierauf im Kerker getödtet. Um die Ruhe herzustellen, mußte Mahmud II. die Abschaffung der eingeführten Verbesserungen bestätigen. Im Anfange nahmen die inneren Angelegenheiten seine Thätigkeit allein in Anspruch. Am 5. Jan. 1809 hatte die Pforte in Constantinopel mit England Frieden geschlossen u. im Februar war endlich ein Friedenscongreß zu Jassy mit Rußland eröffnet[37] worden. Die russischen Bevollmächtigten forderten aber als Basis für die Präliminarien die Abtretung der Moldau u. Walachei, so wie die Entfernung des britischen Gesandten aus Constantinopel; Bedingungen, welche die türkischen Unterhändler verweigerten u. worauf sie Jassy verließen. Der Diwan erließ nun sogleich ein Kriegsmanifest u. erklärte den Krieg für einen heiligen. Jussuf Pascha wurde zum Großvezier ernannt u. in der Asiatischen Türkei ein Aufgebot erlassen. Bevor aber der Großvezier etwas unternehmen konnte, hatte der in der Moldau stehende russische General Prosorowski schon Befehl zum Vorrücken erhalten; seine Avantgarde unter Miloradowitsch hatte ein türkisches Corps bei Slobosia geschlagen u. Giurgewo eingeschlossen, aber jetzt verhinderte das Anschwellen der Flüsse den Fortgang aller Operationen, welche hier erst am 27. Juli durch den Übergang der Russen über die Donau bei Galacz wieder begannen. In Serbien hatte Czerny Georg, von einem russischen Corps unter dem General Nenadowitsch unterstützt, einen Angriff der Türken auf Sisakowa zurückgewiesen, war dann am 29. Juli über die Kolubra gegangen u. hatte die Türken bis zur Drina zurückgetrieben. An der Nieder-Donau hatte General Saß Isakdscha eingeschlossen, während die russische Donauflotille Ismail umgab u. Miloradowitsch Giurgewo vom 5. Aug. an blockirte. Der General Saß nöthigte Ismail sich am 26. Sept. zu ergeben, bald darauf fielen auch Matschin u. Hirsowa u. blos in Silistria leisteten die Türken Widerstand. Der Großvezier sendete den Pascha Pechliwan mit 15,000 Mann zum Entsatz dieser Festung ab, Bagration aber, welcher an des gestorbenen Prosorowski Stelle getreten war, ging ihm entgegen, zog sich jedoch nach der Kanonade bei Tatariza am 3. Nov. bei Hirsowa über die Donau zurück u. beendigte den Feldzug. In Asien hatten die Russen am 14. Nov. Poti erobert. Während des Winters auf 1810 waren neue Friedensversuche gemacht u. in Bucharest Unterhandlungen gepflogen worden, aber an der Forderung des Kaisers von Rußland, daß die Türken die Moldau u. Walachei abtreten sollten, scheiterten auch diese. Die Russen standen mit 8 Divisionen in Bessarabien, der Moldau u. Walachei, konnten den Serbiern die Hand bieten u. hatten Ismail, Hirsowa u. Matschin besetzt. Die Türken dagegen sammelten sich in dem festen Lager bei Schumla u. waren noch im Besitz mehrer Festungen auf beiden Donauufern. Das türkische Heer wurde von dem Großvezier Jussuf befehligt, an Bagrations Stelle aber kam der General Kamenskoi II. Gegen Ende Mai gingen die Russen in 4 Corps vorwärts. Während Kamenskoi II. selbst mit Langerons Corps Silistria einschloß, wendete sich Saß gegen Turtukai u. bombardirte es u. Kamenskoi I. mit dem 4. Corps unter Markow marschirte am 27. Mai auf Basardschik u. nahm diese Stadt am 3. Juni mit Sturm. Indessen blockirte Saß Rustschuk u. Langeron zwang Silistria am 11. Juni zu capituliren. Kamenskoi II. brach hierauf mit dem Langeronschen Corps gegen Schumla auf, wohin er auch die Corps von Kamenskoi I. u. Markow befehligte, besetzte Jenibazar u. griff am 23. Juni den Großvezier auf den Anhöhen von Schumla an, gab jedoch seit dem 25. den weiteren Angriff auf u. ging in eine Blockade über, um Schumla abzuschneiden; da aber am 7. Juli von Adrianopel her eine große Karavane wohlbehalten bei dem Großvezier ankam, so hob Kamenskoi II. die Blockade auf, übertrug seinem Bruder, Kamenskoi I., die Beobachtung des Veziers u. zog selbst mit dem größten Theile der Armee vor Rustschuk, wo Bosniak Aga commandirte u. welches Saß eingeschlossen u. am 21. Juli vergebens gestürmt hatte. Als Kamenskoi II. ankam, erhielt Saß den Oberbefehl auf dem linken Donauufer, wo er Giurgewo einschloß; Kamenskoi II. selbst aber blieb auf dem rechten Ufer, ließ die Donauinseln besetzen u. am 3. Aug. Rustschuk stürmen, konnte es aber auch nicht erobern. Gleich nach dem Abmarsche Kamenskois II. war Langeron, welcher den rechten Flügel der Belagerungsarmee commandirte, am 20. Juli von dem Seraskier von Braila, Achmet Effendi, bei Kadikioi u. Kamenskoi I. vom Großvezier unweit Tschesmelä erfolglos angegriffen worden; kurz darauf zogen sich die Russen nach Aflotar zurück, während Markow sich bei Karassu aufstellte u. Varna beobachtete, Langeron aber mit zur Belagerungsarmee vor Rustschuk gezogen wurde. An der Jantra, zwischen Kriwena u. Sistowa, sammelten die Söhne Ali Paschas von Janina, Muktar- u. Weli-Pascha, eine Armee von 40,000 Mann u. bezogen eine starke verschanzte Stellung, während der Großvezier über Rasgrad die russische Armee zu umgehen drohte. Um diesem zu begegnen, sollte der bei Krasna u. Tschernawoda aufgestellte General Kulnief gegen die türkischen Stellungen vorrücken; aber in Folge des Gefechts bei Bjela zog sich Kulnief zurück, die Paschas aber rückten bis Kriwena (Battin), 4 Meilen oberhalb Rustschuk vor, wo sie am 19. August ein Lager bezogen. Hierher folgte ihnen Kamenskoi II., nachdem er den General Woinow von Silistria an sich gezogen hatte, u. schlug hier die Türken am 7. Sept. gänzlich. Das türkische Lager war erobert, der Seraskier todt, Achmet-Pascha ergab sich am andern Morgen mit dem Rest des türkischen Heeres, die nach Rustschuk bestimmte türkische Proviantflotille wurde zum Theil erobert u. der Rest nach Sistowa zurückgejagt, wo er dem General St. Priest in die Hände fiel. Kamenskoi II. kehrte hierauf vor Rustschuk zurück, welches mit Giurgewo am 26. Sept. capitulirte u. nach 14 Tagen übergeben wurde. Nachdem Kamenskoi II. am 27. noch Nikopolis mit dem gegenüberliegenden Turna in Übergabe empfangen hatte, trat er den Rückmarsch in die Walachei an u. nahm sein Hauptquartier in Bucharest. Nur Essen blieb mit einer Division an der Donau, zu Rustschuk, Silistria u. Nikopolis, zurück. Der General St. Priest unternahm Mitte Januar 1811 einen Streifzug gegen den westlichen Balkan, eroberte Plewna u. nahm Loftscha mit Sturm.

Die gespannten Verhältnisse Rußlands zu Frankreich hatten die Abberufung von vier Infanteriedivisionen zur Folge, von denen zwei nach Podolien zogen, zwei aber am Pruth u. Dnjestr in Reserve blieben. An Kamenskois II. Stelle trat im März 1811 Kutusow als Obergeneral; er theilte die noch aus vier Infanterie- u. zwei Cavalleriedivisionen bestehende Armee in vier Corps, von denen das erste unter Langeron am Saborafluß die Mitte bildete; den rechten Flügel in der Kleinen Walachei bei Krajowa befehligte Saß u. dessen Spitze in Serbien General Orurk; den linken in der Großen Walachei bei Obileschte Woinow; das vierte Corps, unter Essen III., hatte in Rustschuk überwintert. Kutusow, auf die Defensive beschränkt, berief St. Priest von Loftscha zurück, ließ Nikopoli u. Silistria[38] schleifen u. behielt blos Rustschuk besetzt. Bei den Türken war an Jussufs Stelle der Seraskier von Braila, Achmet, Großvezier geworden; er stellte sich im Juni an die Spitze der 60,000 M. u. 78 Geschütze starken, in dem Lager bei Schumla versammelten Armee u. wollte Rustschuk wieder erobern. Kutusow aber ließ bei dessen Annäherung das Langeronsche Corps nach Giurgewo marschiren, ging dann am 1. Juli über die Donau u. stellte sich eine Stunde jenseit Rustschuk auf der Straße nach Rasgrad mit 18,000 M. auf. Hier griff ihn am 4. Juli der Großvezier mit 50,000 M. an, zog sich aber darauf in sein Lager zurück. Aber auch Kutusow trat in der Nacht den Rückzug an u. räumte Rustschuk am 5. Juli. Bosniak Aga nahm sogleich wieder Besitz von Rustschuk, während der Großvezier in dessen Umgebungen ein Lager bezog. Kutusow u. Langeron blieben in Giurgewo, Essen beobachtete Turtukai u. ein Corps setzte sich bei Turna fest. In der Nacht vom 8. zum 9. Sept. ging der Großvezier oberhalb Rustschuk über die Donau, u. am 14. Sept. standen bereits 30,000 Türken mit 50 Kanonen verschanzt am linken Donauufer, u. auf dem rechten Ufer befanden sich ebenfalls zwei verschanzte Lager. Aber während der Großvezier seinen Angriff auf die Russen verzögerte, erhielt Kutusow Verstärkung vom Pruth u. Dnjestr u. theilte jetzt die Armee in zwei große Corps, von denen das erste von Markow, das zweite von Essen III. befehligt wurde, Langeron aber ernannte er zu seinem Lieutenant. Vom 18. Sept. bis 2. Oct. griffen die Türken wiederholt die russischen Verschanzungen vergebens an. Dagegen eroberte Markow am 12. Oct. das Lager am rechten Donauufer, worauf der Großvezier aus dem Lager am linken Ufer sich eiligst flüchtete u. dem Pascha Tschapan-Oglu den Befehl über die Armee auf dem linken Stromufer übertrug. Die Lage dieses Corps wurde bald verzweifelt, da es rings von Feinden umgeben u. aus 200 Kanonen beschossen wurde (die russische Flotille war auch herbeigekommen), als am 28. Oct. in Folge der Eröffnung des Friedenscongresses zu Giurgewo die Feindseligkeiten eingestellt wurden. Am 8. Dec. streckten, vermöge einer Übereinkunft, die Türken auf dem linken Donauufer die Waffen u. wurden an der Olta in Cantonirung gelegt. In der Kleinen Walachei erhielt Ismael-Bei im August fortwährend Verstärkungen; aber dennoch nöthigte ihn General Saß endlich zum Rückzug über die Donau. Kutusow hatte im Winter von 1811 sein Hauptquartier u. den Friedenscongreß nach Bucharest verlegt. Die Unterhandlungen zogen sich in die Länge, denn die Pforte wollte nicht in Rußlands Forderungen willigen, da die Verhältnisse mit Frankreich immer gespannter wurden. Um ein Ende zu machen, kündigte Kutusow am 19. Jan. 1812 den Waffenstillstand auf u. schickte am 13. Febr. ein russisches Corps über die Donau, welches gegen Süden vordrang, aber wegen eintretenden Thauwetters sich bald wieder über die Donau zurückzog. Bald darauf knüpften die türkischen Abgeordneten die Unterhandlungen wieder an, u. am 28. Mai schloß Admiral Tschitschakow den Frieden zu Bucharest ab. Der Pruth wurde jetzt die Grenze Rußlands u. der Türkei, in Asien blieb Alles beim Alten u. den Serbiern wurde Amnestie versprochen.

Während dieses Krieges hatte ein blutiger Kampf zwischen den türkischen Paschas u. den Wechabiten (s.d.) in Arabien statt gehabt u. Letztere waren 1811 von dem Vicekönig von Ägypten besiegt worden. Seitdem leitete der Günstling des Sultans, Haled-Effendi, die Staatsgeschäfte u. bereitete die Maßregeln zur allmäligen Aufhebung der Janitscharen vor. Er gewann zu dem Zweck einige ihrer Häupter durch Geschenke u. Ehrenstellen, andere ließ er aus dem Wege räumen, die übrigen entzweite er unter einander u. schwächte sie auf alle Weise. Auch die Paschas demüthigte er u. beschränkte ihre Macht; nur Ali-Pascha von Janina u. Mehemed-Ali von Ägypten behaupteten durch richtige Tributzahlungen u. durch Klugheit ihre Stellung. Die Wechabiten schlug im Oct. 1818 Ibrahim, der Pflegesohn des Paschas von Ägypten, bei Drehijeh u. zertrümmerte nach dem Falle ihres Hauptes Abdallah ihre Macht für immer. 1821 brach der Aufstand der Griechen aus (s. Griechischer Freiheitskampf S. 618 ff.). Die Pforte konnte nicht kräftig gegen die Griechen auftreten; denn ein fortdauernder Aufstand des Pascha Ali von Janina u. ein ausbrechender Krieg mit Persien hielt sie in Schach. Indessen besiegte Khurschid-Pascha den Ali Pascha im Febr. 1822 u. wendete nun seine Macht gegen die Griechen. Rußland suchte vermittelnd einzuschreiten, wodurch zwischen dieser Macht u. der Pforte. Mißhelligkeiten entstanden, welche England u. Österreich beizulegen sich bemühten. Unterdeß kämpften die Griechen, auf Morea concentrirt u. von den Freunden ihrer Sache aus allen europäischen Ländern durch Freiwillige, Waffen u. Geld unterstützt, mit glücklichem Erfolg, erfochten mehre Vortheile über die türkischen Paschas, nahmen 1823 Athen, Napoli di Romania u. waren bes. zur See glücklich, wo sie 1821–1823 mehre Siege errangen (s. ebd. S. 620 f.). Durch die Griechischen Unruhen hatten die Janitscharen im Diwan großen Einfluß erhalten, auf ihr Verlangen mußte der Sultan seinen Rathgeber Haled-Effendi aufopfern, auch mehrmals die Großveziere u. andere hohe Reichsbeamtete hinrichten lassen. Die Finanzen waren gänzlich zerrüttet. Am 23. Juli 1823 wurde mit Persien der Friede zu Erzerum geschlossen. Gegen die Griechen berief endlich die Pforte den Pascha von Ägypten, welcher im Febr. 1825 20,000 M unter Ibrahim Pascha in Morea landen ließ. Dieser eroberte die ganze Halbinsel (s. ebd. S. 623). Nach dem Tode des Kaisers Alexander von Rußland vereinigte sich der Kaiser Nikolaus am 4. April 1826 in Petersburg mit England zur Vermittlung der Griechischen Sache. Ausdrücklich hatte sich aber Kaiser Nikolaus ausbedungen, daß die Behandlung der russisch-türkischen Angelegenheiten völlig unabhängig hiervon u. ohne Einmischung fremder Mächte geschehen sollten. So kamen Seid Mehemed Hadi Effendi u. Seid Ibrahim Iffet Effendi am 5. Aug. in Akjerman an, wo sich schon Fonton, Woronzow u. Ribeaupierre russischer Seits befanden, u. am 6. Oct. 1826 wurde der Vertrag von Akjerman abgeschlossen, in welchem die genaue Vollziehung des Friedens von Bukarest nochmals versprochen wurde. Rußland erhielt freie Schifffahrt für seine Flagge auf dem Schwarzen Meere u. Sicherheit gegen die Barbaresken, Errichtung von Diwans in der Moldau u. Walachei, Wiedererwählbarkeit der dortigen Hospodare nach ihrer siebenjährigen Verwaltung, Herstellung der Privilegien Serbiens, wo die Türken blos die Festungen besetzt halten sollten, Anerkennung der durch eine gemischte Commission[39] zu liquidirenden Privatforderungen der russischen Unterthanen; die Grenzbestimmung vom 2. Sept. 1817 an der Donau wurde anerkannt; die asiatischen Grenzen sollten bleiben, wie sie bestanden. Der zum russischen Botschafter bei der Pforte bestimmte Marquis von Ribeaupierre begab sich sodann nach Constantinopel, um die Vollziehung jener Convention zu betreiben u. vorzüglich den Unterhandlungen sich anzuschließen, welche der britische Botschafter daselbst in Betreff Griechenlands bereits eingeleitet hatte.

Noch vor dem Abschluß dieses Vertrages führte Sultan Mahmud II. die längst beschlossene Aufhebung der Janitscharen aus u. errichtete an ihrer Stelle ein neues, auf europäische Weise gebildetes Heer (Askeri Muhemidije), in welches einzutreten er die Janitscharen durch erhöhten Sold u. andere Vortheile zu bewegen suchte, doch in der Nacht auf den 15. Juni 1826 erregten sie einen Aufstand, stürmten das Haus ihres Aga, mordeten dessen Familie u. plünderten mehre Häuser der Großen u. den Pfortenpalast. Mahmud hatte unterdessen den Hussein-Pascha mit den neuen Truppen u. mit den Artilleristen nach Constantinopel berufen u. ließ nun die Kasernen der Empörer durch Artilleriefeuer angreifen u. ihre Kasernen verbrennen. Drei Tage dauerte der Kampf, u. nur die Aufsteckung der Fahne Muhammeds, das Zeichen für alle Moslems sich unter derselben zu scharen u. zu fechten, entschied den Sieg. Über 7000 Janitscharen blieben. Am 17. Juni wurden die Janitscharen definitiv aufgehoben, der Großmufti belegte ihren Namen auf ewig mit dem Fluch u. verbot jedem Moslem ihren Namen nur zu nennen. Ein furchtbares Blutgericht wurde darauf gehalten u. Ende Juli waren schon 16,000 Strafbare od. Verdächtige hingerichtet, 30,000 aber nach Asien verbannt. Auch die Jamaks, die Besatzung der Dardanellen, wurden, blos weil sie gefährlich schienen, entwaffnet u. 1000 niedergehauen, 3000 auf die Flotte geschleppt. In Constantinopel aber herrschte allgemeine Unzufriedenheit, welche sich am 31. August durch die Anlegung einer Feuersbrunst kund gab, wobei fast alle Paläste der Großen u. gegen 6000 Häuser verzehrt wurden. Um die Gemüther zu beruhigen, gab der Sultan mehre Polizeigesetze. Den Rajahs wurde eine strenge Kleiderordnung vorgeschrieben u. eine Sicherheitspolizei nach Art der französischen eingeführt. Dagegen wurde die Eröffnung von 2000 Wein u. Branntweinschenken erlaubt, allen Proselyten aber die Beschneidung erlassen u. das Weintrinken gestattet u. beides durch Fetwas des Großmufti gebilligt. Aber desto heftiger wurden die Complotte u. Brandstiftungen der echten Moslems. Endlich wurde am 22. October auch eine weitverzweigte Verschwörung entdeckt; die heimlichen Anhänger der Janitscharen, od. welche man für solche hielt, wurden überfallen u. nebst ihren Anhängern niedergemetzelt. Gleichzeitig entstanden in mehren Provinzen gefährliche Empörungen. In Bagdad erhob sich der Georgier Muhammed-Kiaja; der Pascha schlug zwar die Aufrührer mit gewaffneter Hand, konnte dieselben aber keineswegs unterwerfen. In Epirus u. Macedonien erhob sich die christliche Bevölkerung, mordeten die türkischen Beamten u. flüchteten in die Gebirge, von wo aus sie einen Raubkrieg gegen die Türken führten. In Kairo brach ein Aufruhr gegen den Vicekönig aus, welchen dieser zwar dämpfte, aber davon den Vorwand hernahm dem Sultan die geforderte Truppenverstärkung nach Morea abzuschlagen. In Griechenland waren die türkischen Waffen auch 1826 glücklich; Missolunghi u. Athen wurden erobert u. die gänzliche Bezwingung u. Vernichtung der Griechen stand nahe bevor, als sich endlich 1827 die europäischen Großmächte zur Vermittelung entschlossen, zu welchem Zweck am 6. Juli 1827 der Vertrag zu London zwischen Frankreich, England u. Rußland zu Stande kam, durch welchen die drei Mächte den Frieden zwischen der Pforte u., den Griechen zu bewirken sich verpflichteten. Ihren auch von Österreich u. Preußen unterstützten Antrag zum Waffenstillstand wies der Sultan in einem Tone zurück, daß die Gesandten Constantinopel verließen u. sich am Bord segelfertig in Hafen liegender Schiffe begaben. Als der Sultan die Nachricht von der Vernichtung der türkisch-ägyptischen Flotte in der Schlacht bei Navarin am 20. October durch die englisch-russisch-französische unter dem englischen Admiral Codrington am 1. Nov. erhielt, gerieth er in solchen Zorn, daß es nur den Bemühungen des österreichischen u. preußischen Gesandten gelang die Vergießung von Strömen Christenbluts in Constantinopel zu verhindern, u. am 3. November erklärte der Reis-Effendi den Dragomans der Gesandten der drei Mächte, daß ihre Anwesenheit in Constantinopel der Pforte gleichgültig sei. Der Diwan annullirte schon an 5. November alle Verträge mit England, Rußland u. Frankreich u. hierauf erklärte der Reis-Effendi dem österreichischen Internuntius, daß an Herstellung des Friedens blos dann zu denken sei, wenn die Convention vom 6. Juli 1827 aufgehoben u. für die Verluste bei Navarin hinlänglich Entschädigung u. Genugthuung geleistet werde. Am 10. November antworteten die Gesandten auf diese Erklärung ablehnend, aber dennoch dauerten die Unterhandlungen fort; endlich aber verließen die Gesandten Frankreichs u. Englands am 8. Dec. u. der russische am 11. Constantinopel. Der Sultan aber rief am 20. Dec. alle Moslems zu den Waffen u. entbot eine Versammlung der Notablen seines Reiches für den Januar 1828 nach Constantinopel, welche aus den reichen Grundbesitzern von den Bewohnern der Städte u. Flecken gewählt worden waren. Diese sprachen den Entschluß aus einen kräftigen Verteidigungskrieg zu führen, welcher beginnen sollte, sobald die Russen die Donau überschritten hätten, u. außerdem ermächtigten sie den Großherrn jedes Mittel zur Kriegführung zu ergreifen, welches der Großmufti u. die Gesetzkundigen billigen würden. Hierauf ließ die Pforte den Bosporus sperren u. verwies alle Russen, Engländer u. Franzosen aus Constantinopel. Da die Janitscharen aufgehoben, u. die neue Armee noch nicht hinlänglich organisirt war, blieb die Macht der Türken weit hinter den Erwartungen zurück. Nach Abzug der Truppen in den Festungen, der Streitmacht Redschid Paschas in Griechenland u. der 15,000 M., welche zum Schütze des Bosporus nöthig waren, blieben für die Armee in Asien blos 30,000 M., meist unregelmäßige Truppen, für das Lager bei Adrianopel etwa 20,000 M. unter Hussein-Pascha, für das bei Schumla unter Halil Pascha etwa 32,000 M. u. für die Donaufestungen u. die Verteidigung dieses Stromes höchstens 25,000 M. übrig. Nachdem der Großvezier Muhammed Selim im Lager bei Adrianopel angekommen war, übernahm der Seraskier [40] Hussein Pascha den Oberbefehl über das Lager von Schumla.

Zu Anfang des Jahres 1828 hatten die Russen 178,000 M. unter Witgenstein in Südrußland u. 70,000 gegen Kleinasien unter Paskewitsch zusammengezogen. Am 26. April wurde von Rußland der Krieg gegen die Pforte erklärt, das russische Heer ging über den Pruth u. besetzte Jassy u. Bucharest. Am 10. Mai wurden die Türken bei Galacz zum Rückzuge nach Braila genöthigt, vor welcher Festung gleich darauf Witgenstein u. am 21. Mai der Kaiser Nikolaus selbst ankam. Nachdem Witgenstein am 7. Juni unweit Isakdschi den Donauübergang erzwungen hatte, ließ er Braila auch vom andern Donauufer einschließen. Isakdschi ging schon am 11. Juni über, aber Braila wies am 15. Juni einen Sturm ab u. capitulirte erst, nachdem ein großer Theil der Stadt durch das russische Bombardement verbrannt war. Nun ergaben sich auch Matschin, Tultscha, Hirsowa u. Kostendsche. Am 6. Juli brach Witgenstein mit 50,000 M. aus dem Lager bei Karassu gegen Oglu Basardschik auf, während der General Roth mit etwa 40,000 M. bei Hirsowa die Donau überschritt u. Silistria u. Giurgewo blockiren ließ. Den Russen gegenüber standen blos einige Corps leichter Truppen, welche sich begnügten den Marsch derselben zu beunruhigen. Erst zu Anfang Augusts ging der Großvezier in das Lager bei Schumla, wo die russische Hauptarmee am 19. Juli erschienen war. Am 26. August überfiel Halil Pascha die Russen bei Tschengalik u. Eski Stambul u. that ihnen großen Schaden. Eben so wenig Glück hatte der rechte Flügel der Russen, welcher Silistria belagerte u. dessen äußerstes Flügelcorps unter General Geismar Widdin gegenüber stand. Am 18. August war Geismar von dem Pascha von Widdin mit 20,000 M. bei Galacz angegriffen u. bis Choral bei Krajowa zurückgedrängt worden. Am 14. Mai hatte der Admiral Greigh, welcher die russische Flotte im Schwarzen Meere befehligte, den General Mentschikow mit etwa 24,000 M. vor Anapa aus Land gesetzt, welches sich am 9. Juni den Russen ergab. Daraus erschien Mentschikow am 20. Juli vor Varna, eroberte am 2. August einige Hügel vor der Stadt u. setzte sich mit der Flotte in Verbindung, welche ihm Verstärkung zuführte, wurde aber bei einem Ausfall am 27. August tödtlich verwundet, worauf Woronzow den Oberbefehl über die Belagerung übernahm. Der Großvezier rüstete sich nun zum Entsatz Varnas u. zog deshalb 12,000 Albanesen unter Omer Vrione an sich; dieser drang auch Ende September gegen Varna vor, wurde aber vom Prinzen Eugen von Württemberg bei Hadschi Hassan Kear am 20. September zurückgeworfen u. mußte sein Vorhaben aufgeben. Inzwischen war Varna durch das russische Geschützfeuer so beschädigt worden, daß der Untergouverneur Jussuf Pascha die Stadt für unhaltbar erklärte. Alle unter seinen Befehlen stehenden Truppen legten die Waffen nieder, auch der Kapudan-Pascha zog sich mit 300 M. in die Citadelle zurück, u. die Russen besetzten am 11. October die Stadt. Der Kapudan-Pascha aber schloß eine Separatcapitulation, der zu Folge er sich mit den Seinigen nach Aidos begab. Bei Silistria u. Giurgewo erschwerten die Türken durch häufige Ausfälle die Belagerungsarbeiten, u. da vor Silistria der zu Ende October fallende Regen die russischen Trancheen füllte, so hob der Fürst Tscherbatow die Belagerung am 10. November auf. General Geismar aber überfiel die verschanzte Stellung des Pascha von Widdin bei Bojeletschi unweit Krajowa in der Nacht auf den 27. Sept., schlug die Türken in die Flucht, machte große Beute u. nahm auch 500 M. gefangen. Die vor Schumla stehende russische Hauptarmee hatte zwar am 31. August bei Jenibasar ein glückliches Gefecht gegen die Türken bestanden, mußte sich aber bald darauf wegen Mangels u. Krankheiten Anfangs November auf die Belagerungsarmee von Silistria zurückziehen. Das 3. Corps unter Rudzewitsch bildete die Nachhut, welche von Hussein Pascha lebhaft bedrängt wurde. Auch in der Walachei herrschte die größte Noth; bes. in Bucharest u. Umgegend wüthete die Pest u. war Mangel an Lebensmitteln. Im Winter wurde übrigens der Großvezier Muhammed Selim seiner Würde entsetzt, weil er Omer Vriones Versuch Varna zu entsetzen nicht hinlänglich unterstützt hatte, u. Reschid Pascha kam an seine Stelle. In Asien zog Paskewitsch im Juni seine Armee an dem Flusse Arbatschei bei dem befestigten Dorfe Gumry zusammen u. brach gegen Kars auf, welches er am 5. Juli erstürmte, worauf er eine Regentschaft des Paschaliks Kars niedersetzte u. den Graf Sipiäghin von Tiflis aus gegen Pott an der Mündung des Rioni entsendete, welches sich am 27. Juli ergab, worauf er Achalkalaki in 2 Tagen zur Übergabe zwang u. am 17. August vor Achalzik am Kur erschien, wo Mustapha u. Kios Muhammed den Russen den Übergang über den Kur zu wehren suchten. Paskewitsch schlug am 21. August die beiden Paschas, welche ihn plötzlich angegriffen hatten, u. nahm hierauf am 24. August Achalzik. Nun ergaben sich Aikhour, Bajazet, Diadin u. Topra-Kale u. Paskewitsch bezog im October Winterquartiere. Der heimliche Beistand der armenischen Christen hatte viel zu den glücklichen Erfolgen der Russen in Asien beigetragen.

Mahmud II. wollte noch während des Winters von 1828 auf 1829 den Russen alle Eroberungen wieder entreißen u. erneute daher das allgemeine Aufgebot. Der Großvezier sollte Varna unter jeder Bedingung wieder erobern; deshalb wurde Tschapan Oglu mit 12,000 M. nach Aidos gesendet, wo sich das Heer des Veziers sammelte u. wohin auch die Paschas Halil u. Alik so wie der Seliktar-Aga ihre Truppen führten. Die Besatzungen von Silistria, Giurgewo, Rustschuk, Semendria u. Widdis wurden vermehrt u. Verstärkung nach Asien geschickt, dagegen das Heer am Balkan aus Mangel an Proviant geschwächt. Aber alle Bemühungen Mahmuds II. den Krieg volkstümlich zu machen waren vergebens, es geschah beim Heere sehr wenig. Bei dem russischen Heere herrschte im Winter 1828–1829 großer Mangel, da die übeln Wege die Zufuhr von Kriegsbedürfnissen u. den Anmarsch von Verstärkungen fast unmöglich machte. Besser als die Hauptarmee befand sich das Corps des Generals Roth in u. um Varna; es hatte Prawady u. Basardschik befestigt u. besaß Kriegsmaterial u. Lebensmittel. Schon im Januar 1829 kam es zu mehren Gefechten; am 13. griff Ibrahim Pascha eine Abtheilung Russen bei Kosludsche an; dagegen erstürmten die Russen am 24. Januar die kleine Festung Kale, am 11. Januar ergab sich auch Turna an Langeron, am 18. Februar ward die türkische Flotille unweit Nikopolis überfallen u. verbrannt. Schon im Mai begann die Belagerung[41] von Giurgewo u. die Einschließung von Silistria. Bei der russischen Hauptarmee hatte während des Winters Feldmarschall Diebitsch den Oberbefehl erhalten. Um den Großherrn durch Landungen an den Küsten für seine Hauptstadt besorgt zu machen u. zur Schwächung seiner Armee am Balkan zu bewegen, lief der Contreadmiral Kumany schon am 23. Februar mit 5 Kriegs- u. mehren kleinen Schiffen, welche 2 Infanterieregimenter am Bord hatten, von Varna aus u. erschien am 27. Februar vor Sisebolu, welches Halil Pascha schon am 28. an die Russen übergab. Zwar ließ der Sultan eine Flotte am 23. März nach dem Schwarzen Meere absegeln, aber diese wagte nicht Kumanys Zug zu stören. Vergebens suchte auch Hussein Pascha von Burgas aus Sisebolu mit 6000 M. wieder zu erobern. Am 13. April lief der Admiral Greigh von Odessa mit der großen Flotte aus u. segelte in das Schwarze Meer; auch der Kapudan-Pascha verließ am 20. Mai mit 6 Linienschiffen u. 8 Fregatten den Bosporus u. griff kurz darauf 4 russische Schiffe in der Bai von Erekli an u. erfocht einen Sieg über dieselbe, doch kehrte auch der Kapudan-Pascha in den Bosporus zurück. Am 10. Mai brach der Feldmarschall Diebitsch mit 34 Bataillonen, 5 Kosackenregimentern, 8 Escadronen u. 121/2 Compagnien Artillerie auf, kam am 17. bei Silistria an, ging dort nach einem hartnäckigen Gefechte in 3 Colonnen über die Donau, schloß Silistria vollkommen ein u. sicherte auch die Verbindung des Belagerungscorps mit den Plätzen Kosludsche, Basardschik u. Prawady. Während dieses Marsches war es bei dem Rothschen Armeecorps schon zu hartnäckigen Gefechten gekommen. Der Großvezier hatte durch fliegende Corps die Communicationen zwischen Varna u. Isaldschi bedrohen lassen u. griff am 17. Mai mit 15,000 M. 3 russische Regimenter an, welche unweit Prawady bei Eski-Arnautlar aufgestellt waren, u. belagerte hierauf Prawady, indem er Diebitsch ganz außer Acht ließ, welchen er für zu schwach hielt, um etwas unternehmen zu können. Diebitsch aber brach am 4. Juni mit Pahlens Corps von Silistria, dessen Belagerung er dem General Krassowski übertrug, auf u. vereinigte sich am 10. Juni mit Roth. Auf die Nachricht von dieser Vereinigung hob Redschid Pascha die Belagerung von Prawady auf u. rückte mit 40,000 M. gegen die Defileen von Kulertscha vor. Am 11. Juni kam es zur Schlacht bei Madara, in welcher die Türken so geschlagen wurden, daß der Großvezier nur mit 15,000 M. nach Schumla zurückkehrte. Hier bot Diebitsch dem Großvezier Friedensunterhandlungen an; dieser nahm dieselben zwar an, aber sie zerschlugen sich, weil der Sultan auf Englands u. Frankreichs Hülfe hoffte, welche Mächte wieder Botschafter nach Constantinopel geschickt hatten. Indessen ergab sich Silistria am 30. Juni, u. da jetzt die russische Reserve unter dem General Witt in der Nähe der Donau ankam, so konnte Diebitsch den Übergang über den Balkan unternehmen. Da Reichid Pascha seine ganze Aufmerksamkeit auf die Pässe bei Schumla richtete u. selbst den untern Kamtschik von Truppen entblößt hatte, ließ Diebitsch den General Roth auf der linken Flanke mit 10–12,000 M. den Übergang über den untern Kamtschik erzwingen u. Rüdiger mit etwa 8000 M. gegen das Dorf Köpriköi am obern Kamtschik vordringen; Pahlen folgte beiden in kurzer Entfernung mit 12–15,000 M., das Centrum, 18,000 M. unter Krassowski, rückte aber gegen Schumla vor, um den Großvezier dort festzuhalten u. so die russische Operationslinie zu decken. Die Russen trieben allenthalben, den Kamtschik überschreitend, die Türken den 18.–20. Juni, bes. bei Köpriköi u. Derwisch-Irwan, aus ihren Verschanzungen. Der Großvezier, welcher erst am 20. Juni das Vorrücken der Russen erfahren hatte, sendete am 21. ein Corps unter den Paschas Ibrahim u. Muhammed dem Posten von Köpriköi zu Hülfe; aber dieser war schon in russischen Händen, u. die Türken mußten sich nach Aidos zurückziehen. Die rechte russische Flügelcolonne stieg bereits am 22. Juli den südlichen Abhang des Balkan herab, die an den Engpässen aufgestellten Türken vor sich hertreibend, u. an demselben Tage rückte auch General Roth mit dem linken Flügel über den Balkan bis Paliobona vor, vertrieb 7000 M. unter dem Pascha Abdul Rahman aus Monoster Köi u. wendete sich mit einem Theile seines Corps gegen Misiwri, welches schon am 23. sich ergab. Am 23. Juni fiel auch der Hafen Achioljü u. am 24. drang die Vorhut des Generals Roth mit den fliehenden Türken zugleich in Burgas ein. Unterdessen hatte sich Rüdiger gegen Aidos gewendet, wohin auch ein Theil des Rothschen Corps u. Pahlens Reserve zogen. Hier waren die Paschas Ibrahim u. Muhammed nach ihrem Rückzuge von Köpriköi stehen geblieben u. rückten am 25. Juli den Russen mit ihrer Cavallerie entgegen; Rüdiger schlug diese zurück, eroberte Aidos mit Sturm u. trieb dann das türkische Corps in die Berge nach Karnabad u. Schumla. Diebitsch nahm aber am 26. Juli in Aidos sein Hauptquartier. Unterdessen besetzte die Vorhut des Generals Rüdiger am 27. Juli Karnabad u. am 31. hatte Tschermetew bei Jambol ein Gefecht mit Halil Pascha, in dessen Folge am 2. August die Türken Jambol räumten. Krassowski hielt während der Zeit den Großvezier fortwährend bei Schumla fest u. Diebitsch brach mit der Hauptarmee, etwa 50,000 M., gegen Adrianopel auf, schlug am 12. August bei Sliwno das Corps des Seraskiers u. erschien am 19. August vor Adrianopel. Die Umgebungen dieser Stadt sind zum Widerstand trefflich geeignet, auch befanden sich dort neben 100,000 bewaffneten türkischen Einw. noch 10,000 M. Infanterie u. 1000 Reiter, aber seit der Überschreitung des Balkans dachte Niemand ernstlich an Vertheidigung. Schon am 20. August erschienen Abgeordnete des Seraskiers im russischen Lager u. boten eine Capitulation an. Diebitsch bewilligte sie, doch mußte ihm alles Eigenthum der Regierung ausgeliefert u. alle Truppen entwaffnet in ihre Heimath geschickt werden. Hierauf rückten die Russen noch an demselben Tage in Adrianopel ein. Unterdessen hatten die an der Donau zurückgelassenen russischen Untergenerale einen lebhaften kleinen Krieg mit türkischen Streifcorps zu führen, welche aus dem Lager von Nikopolis hervorkamen; deshalb erstürmte der in Turna befehligende russische Oberst Gowarow das Lager bei Nikopolis am 25. Juli, dagegen sah er sich am 14. August von den Türken in Turna eingeschlossen, wo ihn blos die schnelle Ankunft Kisselews rettete. Kurz darauf eroberten die Türken Rahowa u. stellten so die Verbindung zwischen Widdin u. Nilopolis wieder her; auch ihre Flotille erschien von Giurgewo her wieder auf der Donau u. zugleich kam der Pascha von Skutari in Widdin an[42] u. fiel in die Kleine Walachei ein, konnte aber dem General Geismar bei Kalafat nichts anhaben. In Asien hatte der Seraskier von Erzerum 50,000 M. zusammengebracht, von denen er 30,000 u. Hagki Pascha 20,000 M. befehligte. Mitte Juni brachen beide gegen Kars auf u. nahmen am Fuße des Sangabou eine feste Stellung; Paskewitsch aber ging am 26. Juni mit dem rechten Flügel über das Gebirge u. schloß die Türken so ringsum ein. Am 30. Juni griff er nun den Seraskier unweit Kainli an u. jagte ihn in die Berge; am 2. Juli aber den Hagki-Pascha, welchen er bei Milliduse zersprengte. Während dessen war auch der Plan des Paschas von Wan, die Festung Bajazet wieder zu erobern, gescheitert. Paskewitsch rückte nun am 8. Juli vor Erzerum. Von dort entflohen die Überreste der Armee des Seraskiers nach Tokat, u. Erzerum capitulirte am 9. Juli. Am 19. Juli nahm General Burtzow die Festung Baiburt, aus der Straße nach Trapezunt, u. wendete sich darauf gegen Gümisch-Chane, wo sich 10,000 Türken unter dem Pascha von Anapa gesammelt hatten. Am 31. Juli griff Burtzow die Türken an, wurde aber zum Rückzug nach Baiburt genöthigt. Aber nun eilte Paskewitsch mit dem Murajewschen Corps nach Baiburt, vernichtete am 8. August bei Chart eine Abtheilung von 2000 Lastern u. zersprengte am 9. bei Bahar ein anderes Corps von 3000 M. Am 24. Aug. griff General Simonitsch den Pascha von Trapezunt an, welcher in der Nähe von Gümisch-Chane auf dem Berge Ghians-Dey sich aufgestellt hatte, schlug ihn u. besetzte dann Gümisch-Chane.

Das rasche Vordringen der Russen in Asien brachte in Constantinopel Furcht u. Schrecken hervor. Die Überbleibsel der Janitscharen u. deren Anhänger rotteten sich zusammen u. verweigerten den Gehorsam. Zwar wurde durch die Strenge des Seraskiers Khosrew-Pascha die Ruhe in Constantinopel erhalten, doch wurde Mahmud II. nachgiebiger, als der französische u. englische Botschafter ihm die große Gefahr vorstellten, in welcher er schwebte, u. bes. als der preußische Generallieutenant von Müffling, welcher seit dem 4. August in Constantinopel war, ihm im Namen seines Königs die Integrität des Reichs zusicherte, wofern er sich den billigen Forderungen des russischen Kaisers fügen u. den Tractat von Akjerman (s. oben S. 39 f.) erfüllen würde. Es kam in Adrianopel zu Unterhandlungen u. endlich am 14. September 1829 zum Friedensschluß. Zufolge des Adrianopler Friedens gab Rußland die Walachei u. Moldau, sowie die in Bulgarien u. Rumelien gemachten Eroberungen an die Pforte zurück; doch wurde die Macht der Pforte in der Moldau, Walachei u. Serbien dadurch ganz geschwächt, daß diese Länder freiere Verfassungen erhielten; als Grenze zwischen Rußland u. der Türkei wurde der Pruth u. das rechte Donauufer von seiner Mündung an festgesetzt; das Küstenland am Schwarzen Meere von der Mündung des Kuban bis Nikolajew, die Kaukasusländer u. der größte Theil des Paschaliks Achalzik mit der Stadt Achalzik u. der Festung Achalkalaki behielten die Russen, welche sich zugleich Handelsfreiheit im ganzen T-n R-e, freie Handelsschifffahrt auf der Donau, sowie im Schwarzen u. Mittelmeere, dazu 11/2 Mill. Ducaten Entschädigung für die russischen Unterthanen u. 10 Mill. Ducaten Kriegskosten ausbedangen. Die Schiffe aller mit der Pforte befreundeten Mächte sollten freien Durchzug durch die Dardanellen, haben. Durch diesen Friedensschluß wurde die Übermacht Rußlands in Osteuropa u. Westasien befestigt, die Freiheit der Griechen (s.u. Griechischer Freiheitskampf S. 627) anerkannt u. die Moldau u. Walachei bis zur Bezahlung der Contribution in russischen Händen gelassen. Der Sultan unterzeichnete am 27. September den Frieden, aber erst in der Mitte des October hörten überall die Feindseligkeiten auf, das letzte Gefecht bestand die Vorhut des Generals Geismar den 17. October 1829 bei Arnaud Kaleb, unweit Sophia. Die Friedensbedingungen wurden nach u. nach erfüllt, Giurgewo geräumt, die früher verbannten katholischen Armenier zurückberufen u. die sechs früher von Serbien abgerissenen Districte wieder mit demselben vereinigt. Um aber eine Minderung der Kriegscontribution zu erlangen, schickte Mahmud II. im November Halil-Pascha nach Petersburg, welcher wirklich (Mai 1830) die Erlassung von 3 Mill. Ducaten bewirkte.

Die Türkei hatte nun den Frieden, aber im Innern loderte überall die Empörung; in Bosnien, Albanien u. Macedonien war Alles in Aufruhr; in Kleinasien brachen Unruhen wegen Steuerdrucks aus, in Aleppo erregten die Reste der Janitscharen einen Aufruhr gegen Ali Bey u. selbst in Constantinopel wurden geheime Verbindungen entdeckt. Am gefährlichsten aber war die Spannung zwischen der Pforte u. dem Vicekönig von Ägypten. Mahmud II. konnte diesem die Kapitulation von Morea Anfang 1828 (s. Griechischer Freiheitskampf S. 626) so wenig verzeihen, als dieser jenem das über ihn verhängte Todesurtheil, u. daher erfüllte auch Mehmed Ali die Forderung des Sultans im Jahre 1829, 20,000 Mann unter Ibrahim nach Constantinopel zu senden, nicht, ob er gleich später seinen Antheil an der Kriegscontribution für die Russen zahlte u. noch im Nov. 1829 1/2 Mill. Talaris auf Abschlag nach Constantinopel schickte. Dabei sank der Großsultan im Vertrauen des türkischen Volkes immer tiefer, welchem die neuen Einrichtungen u. die europäischen Sitten, die er angenommen hatte, der Alleinhandel mit asiatischen Waaren, die Monopolisirung des Kaffeeschauks, die Erhöhung der Zölle verhaßt waren. Diese böse Stimmung äußerte sich in Brandstiftungen u. Unruhen aller Art. Gelang es nun auch dem Großvezier Reschid Pascha Bulgarien u. Rumelien zu beruhigen, auch die rebellischen Seybecks bei Magnesia im April 1830 u. dann bei Jenedschik unweit Smyrna im Mai 1830 zu schlagen, so erregte dagegen um diese Zeit Mustapha Pascha von Skutari in Albanien einen Aufstand, welcher selbst Bosnien mitergriff. Aber Reschid Pascha knüpfte mit den albanesischen Häuptlingen zu Bitoglia Unterhandlungen an u. ließ diese bei einem Manöver, zu welchem er sie einlud, ermorden, eroberte Perga u. Prevesa u. stellte so die Ruhe wieder her. Im Nov. 1830 wurde endlich auch Fürst Milosch als erblicher Fürst mit Serbien belehnt. Als im Jahre 1831 Rußland mit Polen engagirt war, glaubte der Sultan von dorther nichts zu befürchten zu haben u. nahm den Befehl zur völligen Räumung Griechenlands zurück, jedoch nach der Besiegung Polens schloß er sich um so fester an Rußland an, dessen Einfluß jetzt selbst den Englands überwog. Um diese Zeit durchreiste Mahmud II. die Europäische Türkei, u. die Sorgfalt, welche er auf die verarmten Provinzen wendete, machte einen günstigen Eindruck. In Albanien sachte der ehemalige Pascha Mustapha einen[43] neuen Aufruhr an; Reschid Pascha zog gegen ihn, u. wenn schon sich 12,000 Bosnier mit Mustapha vereinigten, schlug doch Reschid Pascha die Empörer u. zwang Mustapha sich nach Skutari zurückzuziehen, wo er von dem Pascha Muhammed von Rustschuk vom Juli 1831 an belagert wurde u. sich am 10. Nov. ergeben mußte. Die Unterwerfung Bosniens erfolgte erst im Mai 1832. Auch in der Asiatischen Türkei wütheten während des Jahres 1831 Empörung u. Pest. In Bagdad hatte sich Daud-Pascha empört u. wurde von Ali-Pascha von Aleppo in Bagdad vom 7. Juli an belagert u., als am 15. Sept. Ali-Pascha stürmte, von den Einwohnern gefangen u. ausgeliefert. Die Paschas von Wan u. von Damask waren ebenfalls im Aufruhr, aber der erstere wurde von dem Pascha von Erzerum, der andere von den Einwohnern der Stadt selbst besiegt. In Constantinopel häuften sich die Feuersbrünste als Zeichen der Unzufriedenheit mit den Maßregeln des Sultans; allein dieser änderte deshalb in seinem Vorgehen nichts, er ließ den aus der Verbannung zurückgekommenen katholischen Armeniern ihre von den Türken in Besitz genommenen Häuser zurückgeben u. erlaubte ihnen eine Kirche in Galata zu bauen, ertheilte den Rajahs von Kleinasien, welche an der griechischen Insurrection Theil genommen hatten, Amnestie u. gab ihnen ihre Güter zurück; ebenso erhielten auch die Bewohner von Chios u. Tenedos ihre während der griechischen Revolution eingezogenen Güter zurück. Am 1. Nov. erschien das erste Blatt des Moniteur Ottoman, die erste türkische Zeitung, in Französischer u. Türkischer Sprache. Mit dem Vicekönig war es schon seit 1830, wo derselbe Candia besetzte, zu Mißhelligkeiten gekommen; als er 1831 nun auch Syrien besetzen ließ, so kam es zwischen ihm u. der Pforte zum völligen Bruch; es wurde in Constantinopel der Bann über ihn u. Ibrahim ausgesprochen u. im März 1832 Hussein-Pascha zum Seraskier des Heeres gegen Ibrahim ernannt. Gegen den Bannspruch des Sultans erklärte der Vicekönig, daß dem T-n R-e u. der Landesreligion ein gänzlicher Verfall unter Mahmud II. drohe u. daß er daher sich berufen fühle als Beschützer des Reiches u. der Religion aufzutreten. In diesem Kriege zwischen Ägypten u. der Pforte wurde Akre u. Damask von den Ägyptiern erobert, Hussein Pascha von Ibrahim bei Hems am 7. Juli gänzlich geschlagen u. die Türken über den Taurus geworfen, so daß man bereits in Constantinopel einen Angriff der Ägyptier fürchtete (s.u. Ägypten S. 216). Im Feldzug 1832 wurde der Großvezier Reschid Pascha, welcher das Commando übernommen hatte, am 21. Dec. bei Konieh geschlagen (s. ebd.). Mahmud II, hatte schon im Nov., wiewohl vergebens, um Englands Vermittlung nachgesucht, nun wandte er sich im Febr. 1833 an den Kaiser Nikolaus mit der Bitte um Hülfe zu Land u. See. Ibrahim Pascha hatte einem Befehl seines Vaters vom 16. Jan. 1833 zufolge zu Kutahia auf der Straße nach Brussa Halt gemacht, u. unterdessen gelang es dem General Murawiew den Vicekönig von Ägypten zur Einstellung der Feindseligkeiten zu vermögen. Am 6. Febr. kam er mit dieser Nachricht nach Constantinopel zurück, u. am 14. Febr. ging von Sebastopol aus ein russisches Geschwader unter Lasarew nach Constantinopel unter Segel, um die Pforte in jedem Falle zu sichern. Auch in London u. Paris hatte man sich über Mittel berathen das T. R. zu retten u. zugleich Rußlands überwiegenden Einfluß in Constantinopel zu hemmen, u. am 17. Febr. kam der Admiral Roussin als französischer Botschafter dort an u. that am 19. Febr. dem Reis-Effendi den Vorschlag, daß die Pforte die Vermittlung Rußlands ablehnen möge, weil er den Frieden mit Ägypten abschließen wolle, da aber schon am 20. Febr. das russische Geschwader bei Bujukdere vor Anker ging, so war die Ablehnung der russischen Intervention unmöglich. Unterdessen waren türkische Abgeordnete nach Alexandrien u. ins Hauptquartier Ibrahims abgereist, um den Frieden zu unterhandeln, aber erst, als am 5. April das russische Hülfscorps bei Constantinopel ankam u. ein Lager auf der kleinasiatischen Seite bezog u. als Englands u. Österreichs Gesandten zum Frieden ermahnten, gab der Vicekönig nach, u. am 4. Mai 1833 wurde der Friede abgeschlossen, dem zufolge er zwar Vasall der Pforte blieb, in den Paschaliks von Ägypten u. Candia aber bestätigt wurde u. außerdem noch die Paschaliks Damask, Tripolis, Saida, Aleppo, Akre, Jerusalem u. Nablus erhielt. Am 24. Mai trat hierauf Ibrahim den Rückmarsch von Konieh an u. am 10. Juli verließ das russische Hülfsheer den Bosporus, nachdem am 8. Juli vom Grafen Orlow mit der Pforte eine Offensiv- u. Defensivallianz zu Hunkiar Iskallesi auf 10 Jahre abgeschlossen worden war, welcher zufolge die Pforte versprach auf Verlangen Rußlands die Dardanellen zu sperren u. mit keiner andern Macht ein Bündniß zu schließen. Diese Allianz gab zu mancherlei diplomatischen Verhandlungen Anlaß, es erschienen englische u. französische Flotten im Archipelagus, welche aber im Dec. in ihre Stationen zurückkehrten, u. im Febr. 1834 überreichten der britische u. französische Botschafter dem Reis-Effendi eine Note, in welcher sie Auskunft über die Verfahrungsweise verlangten, welche die Türkei zufolge ihrer Verbindlichkeiten gegen Rußland zu befolgen genöthigt sei, damit man entscheiden könne, ob Englands u. Frankreichs Verhältnisse mit der Pforte durch dieselben verändert werden könnten. Die Pforte aber wich dieser Antwort aus u. entgegnete, daß ohne Erlaubniß des Sultans kein Schiff das Recht habe in die Dardanellen einzulaufen. Am 29. Jan. 1834 wurde ein neuer Vertrag in Petersburg zwischen der Pforte u. Rußland abgeschlossen, dem zufolge der Rest der türkischen Contribution auf 1/3 ermäßigt u. bestimmt wurde, daß noch im April d.J. die Hospodare der Moldau u. Walachei ernannt u. dann diese Länder von den Russen geräumt werden sollten.

Unterdessen war Albanien, welches eine eigene Regierung wie Serbien verlangte, im Aufstand u. auch Kleinasien blieb unruhig, doch wurden schon im Jan. 1834 hier überall die Rebellen geschlagen. Dagegen brachen in Bosnien wieder Unruhen aus u. die Insel Samos, welche zu Folge des Londoner Protokolls wieder unter türkische Botmäßigkeit kommen sollte, weigerte sich die Oberherrschaft der Pforte wieder anzuerkennen, doch wurde letztere durch eine Escadre unter Hassan Bey im Juli 1834 unterworfen. Mahmud II. bewilligte ihr kurz darauf Handelsvortheile u. erlaubte ihren Schiffen freien Eintritt in die Dardanellen. Am 6. April 1834 hatte Mahmud II. Alexander Ghika zum Hospodar der Walachei u. Stourdza zum Hospodar der Moldau ernannt, worauf die russische Verwaltung der Fürstenthümer im Mai aufhörte u. im Juli die feierliche Belehnung der Hospodare erfolgte. Im Mai befahl der Sultan die Errichtung[44] einer bewaffneten Miliz durch das ganze Land, bei welcher Schulen des gegenseitigen Unterrichts angelegt wurden; überall wurden Straßen abgesteckt u. zu bauen angefangen u. ein regelmäßiger Postenlauf sollte eingerichtet werden. Die Organisation der Armee schritt rasch vorwärts, die Dardanellen wurden unter Aufsicht preußischer Ingenieurs neu befestigt u. auf den Werften herrschte große Thätigkeit. Am 11. Aug. 1834 gelangte der griechische Gesandte Zographos zur Übergabe seines Creditivs beim Großvezier. Am 31. Aug, setzte Mahmud II. plötzlich den Patriarchen von Constantinopel ab u. ernannte selbst einen neuen (eine Ernennung, welche blos der Heiligen Synode zukam), was auf die Rajahs einen üblen Eindruck machte. Gleiches geschah 1835 mit dem Oberrabbiner der Juden. Mitte 1834 wurden die Verhältnisse in Ägypten, da sich der Vicekönig der Bezahlung des Tributs weigerte u. ein Aufstand in Syrien gegen den Vicekönig dem Großherrn die Hoffnung gab diese Provinz den Agyptiern wieder zu entreißen, verwickelter. Mahmud II. ließ deshalb eine Flotte ausrüsten u. schickte reguläre Truppen nach Asien, welche Reschid Pascha bei Konieh in einem Lager sammelte. Die Unzufriedenheit mit den Ägyptiern wuchs in Syrien, u. Mehmed-Ali sah sich genöthigt selbst mit Verstärkung nach Jaffa zu gehen, um Ibrahim beizustehen. Für den Augenblick gelang ihm die Unterwerfung Syriens, aber kaum hatte er das Land verlassen, als die Empörung wieder ausbrach. Die Zeit war für den Sultan günstig, aber die Vorstellungen Englands, Rußlands u. Frankreichs bewogen ihn seine Flotte nicht auslaufen zu lassen u. sein Heer an den Grenzen zurückzuhalten, doch bestand er auf der Räumung des Bezirks von Orfa. Endlich wurden die Streitigkeiten gegen Ende 1834 durch britische Vermittlung beigelegt. In Constantinopel wurde im Jan. 1835 eine Verschwörung gegen Mahmud II. entdeckt u. zahlreiche Hinrichtungen konnten die Aufregung nicht beschwichtigen. Eine Umänderung türkischer Serailsitten zeigte sich bei der Geburt eines Enkels Mahmuds II.; er hatte im Juli 1834 seine älteste Tochter an den ehemaligen Kapudan-Pascha Halil verheirathet, u. als diese am 23. März 1835 einen Sohn gebar, beglückwünschte der Sultan, anstatt daß früher die Söhne der Töchter des Padischah sogleich nach der Geburt ermordet worden waren, unter Begleitung der vornehmsten Personen des Hofes, die junge Mutter. Im Frühjahr 1835 sendete Mahmud II. eine Escadre nach Tripolis in Afrika, welches ihm nach dem Verlust von Algier seiner Lage wegen höchst wichtig war. Diese Flotte brachte Tripolis wieder in unmittelbare Abhängigkeit von der Pforte (s. Tripoli S. 842). 1836 erlaubten sich die Türken in Bosnien schmähliche Bedrückungen gegen die Christen, so daß mehre Tausende der Verfolgten nach Serbien auswanderten. Den Versuch Mahmuds II. dort seine Reformen auszuführen wiesen die Bosnier im März mit Gewalt zurück, erlitten aber am 18. Sept. im Engpasse von Wrondik eine entscheidende Niederlage. 1837 wurde wieder eine Verschwörung gegen Mahmud II. in Constantinopel entdeckt, dennoch fuhr er fort sein Reich nach europäischer Weise zu reformiren, verordnete 1838 die Einführung von Prüfungen zur Erlangung eines Amtes, türkische Gesandte wurden an die Monarchen Europas geschickt, zur Erlernung des Französischen eine officielle Schule gegründet, gegen die Pest in Constantinopel Quarantaineanstalten errichtet, die Binnenzölle im Innern abgeschafft, Handelsverträge mit England u. Frankreich abgeschlossen, die Stelle eines Großveziers am 30. März 1838 aufgehoben u. dafür ein Staatsrath, Khosrew Pascha an der Spitze, eingesetzt. Der bisherige Großvezier Rauf Pascha wurde Minister des Innern u. Premierminister. 1833 brach der Krieg mit Ägypten von Neuem aus, indem die Pforte den die größten Umgriffe sich erlaubenden Vicekönig Mehemed Ali in seine Schranken zurückdrängen u. wo möglich vernichten wollte, doch wurden die Türken am 24. Juni bei Nesbi (Nisibi), indem die neugebildeten türkischen Truppen beim ersten ernstlichen Angriff davon tiefen, vollständig geschlagen (vgl. Ägypten S. 216). Bald darauf starb Mahmud II. am 1. Juli 1839.

Ihm folgte sein 16jähriger schwächlicher Sohn, Abdul Medschid Khan. Die wichtigste Gefahr drohte dem neuen Großherrn durch die Ägyptier von Syrien aus, wo Ibrahim mit einem großen Heere lagerte. Zwar stand dem Großherrn eine russische Flotte von 84 Schiffen u. ein russisches Landheer in Bessarabien, Grusien u. Armenien gegen die Ägyptier zu Gebote, aber diese Hülfe konnte leicht Conflicte mit England veranlassen, zudem war der Großherr von der eigenen Bevölkerung bedroht, welche zum größten Theil dem Reformwesen des vorigen Sultans gewaltsam ein Ende zu machen große Neigung hatte. In dieser Verlegenheit hatte er Niemand zum Beistand, als den alten Khosrew u. seine Mutter, die Sultanin Walide. Beide waren darin einverstanden, daß die neuen Organisationsversuche Mahmuds II. mindestens eine Beschränkung erleiden müßten, u. so wurde denn zunächst die Würde eines Großveziers wieder hergestellt u. Khosrew damit bekleidet u. die regelmäßigen Gesandten aus den Hauptstädten Europas wieder abberufen. Da führte plötzlich der Kapudan Pascha, Achmed Feazi Pascha, der bitterste Feind Khosrews, am 8. Juni 1839 die türkische Flotte (8 Linienschiffe, 11 Fregatten, 2 Corvetten, 2 Briggs) nach den Dardanellen u. am 5. Juli gegen den Befehl des Sultans, sich nicht weiter zu begeben, nach Alexandrien u. übergab die Flotte 14. Juli an der Vicekönig Mehemed Ali (vgl. Ägypten S. 216). Nun mußte Abdul Medschid nachgeben; da aber der Vicekönig alle gütlichen Vorschläge zurückwies, legten sich die Großmächte ins Mittel u. begannen über diesen Fall Conferenzen in London zu halten. Nur Frankreich blieb aus Rücksicht für Mehemed Ali hierbei passiv u. wollte denselben nicht durch Gewalt zur Anerkennung der Beschlüsse der Conferenz genöthigt wissen. Da gab Abdul Medschid plötzlich am 3. Nov. 1839, beredet durch Reschid Pascha, welcher das Princip des Fortschritts vertrat, ein neues Grundgesetz, den Hattischerif von Gülhanie (Tansimat), indem er die Großwürdenträger des Reiches, die Großen, welche sich gerade in Constantinopel befanden, die Scheiks der Derwische, die drei Patriarchen, die Oberrabbiner, das diplomatische Corps, die Ulemas, die Mollas, die Vorsteher der Corporationen u. viel Volk um den Kiosk von Gülhanie, einen Pavillon der Gärten des neuen Serails, versammeln u. den Hattischerif dort proclamiren ließ; er erklärte durch denselben, daß den Unterthanen Leben, Ehre u. Vermögen gesichert, Regelmäßigkeit u. Öffentlichkeit des Rechts verbürgt, die Auflagen regelmäßig u. gleich bestimmt[45] (der Charadsch [s.d.] der Rajahs also wegfallen), die Aushebung aus den Moslems zum Soldaten gleichmäßig u. eine feste Dienstzeit festgesetzt werden sollte; die Verkäuflichkeit u. Verpachtung der Ämter wurden ausdrücklich aufgehoben u. die Gleichheit der Rechte jedes Unterthanen, ohne Unterschied der Religion, gesichert u. feste Besoldungen versprochen. Da indeß die Volksstimme der Ausführung dieser Bestimmungen viel Schwierigkeiten entgegensetzte, so blieb das Meiste noch beim Alten, wie denn auch die Paschas auf alle mögliche Weise dieser türkischen Constitution ungestraft entgegenhandelten. Als Frankreich auf keine Weise dazu zu bringen war in Gewaltmaßregeln gegen Mehemed Ali zu willigen, so beschloß die Londoner Conferenz auch ohne Frankreich zu handeln, u. es kam der Vertrag vom 15. Juli 1840 zwischen England, Österreich, Rußland u. Preußen mit der Pforte zu Stande, worin erklärt wurde, daß die vier genannten Mächte Maßregeln ergreifen würden, um diejenige Übereinkunft zu verwirklichen, welche vom Großherrn dem Vicekönig bewilligt, werden würde. Hiernach sollte Mehemed Ali die Verwaltung von Ägypten erblich u. die Verwaltung von Südsyrien lebenslänglich erhalten, wenn er die von der Pforte gestellten Bedingungen binnen zehn Tagen annähme, Arabien, Candia u. Adana räume, die türkische Flotte zurückgäbe u. sich überhaupt verpflichte seine Streitkräfte als einen Theil der Streitkräfte der Pforte zu verwenden. Dieser Vertrag wurde 15. Sept. 1840 in London ratificirt. Da aber Mehemed Ali diese Bedingungen nicht annahm, so ward er in einem außerordentlichen Diwan zu Constantinopel entsetzt u. feierlich der Bann über ihn ausgesprochen u. statt seiner Izzet-Muhammed zum Pascha von Ägypten erhoben. Die britische Flotte bombardirte nun Beirut u. nahm es am 20. Sept. im Besitz; 10,000 Türken setzten von Cypern nach Syrien über, denen sich gegen 1500 englische u. österreichische Truppen beigesellt hatten u. Saida wurde am 27. Sept. gestürmt u. die Garnison gefangen. Auch vom. Libanon aus organisirte sich ein Aufstand gegen die Ägyptier. Am 8. Oct. war bereits das ganze nördliche Syrien, Tripoli u. St. Jean d'Acre ausgenommen, erobert. Ibrahim selbst wurde am 11. u. 12. Oct. bei Beirut durch den Briten Napier von 8000 Türken angegriffen u. mußte sich zurückziehen. Am 17. Oct. fiel Tripoli u. am 4 Novbr. nach einem Bombardement der vereinigten Flotte St. Jean d'Acre, worauf diese unter Napier vor Alexandrien erschien. Jetzt bequemte sich Mehemed Ali zu Unterhandlungen, welche sich aber erfolglos bis ins Jahr 1841 hinzogen, wo es zu einem allgemeinen Aufstand der Christen auf Candia kam, welcher bis zum August die volle Thätigkeit der Pforte in Anspruch nahm. Endlich gab Mehemed Ali nach, u. nachdem er die türkische Flotte herausgegeben, Syrien u. Arabien geräumt hatte, wurde ihm die Erblichkeit der Verwaltung des ägyptischen Paschaliks zugesichert u. die Investitur darüber am 10. Juni 1841 ertheilt. Kaum war Syrien von den Ägyptiern ganz geräumt, als die Christen, welche Ibrahim mit den Ägyptiern bisher geschützt hatte, Feindseligkeiten u. Insulten wieder ausgesetzt wurden, während der Kampf der Maroniten u. Drusen fortwährte, ohne daß die Pforte ihn stillen konnte. Unterdessen hatte das alte Spiel der Intriguen im Innern des Serails die Oberhand gewonnen, der alte Khosrew Pascha war gestürzt, worden u. der Widerwille gegen die Reformen u. gegen die Verwirklichung des Hattischerifs von Gülhanie immer offener hervor getreten; bes. kam es in Constantinopel zu mehren Verschwörungen gegen das Leben des jungen Sultans u. in den Provinzen herrschte Unzufriedenheit u. Gährung. Im August 1843 kam es in Bosnien zu einem Aufstand, wo sich die Türken dem neuen Besteuerungssystem widersetzten, weil dasselbe die Christen mit den Türken gleichstellte. Im Sept. folgte ein Aufstand in Albanien, wohin ein türkisches Heer von 20,000 Mann beordert wurde. In Syrien sollten 40,000 Recruten ausgehoben werden, aber die Bevölkerung setzte sich, obgleich 1843 im regulären Heere die feste Dienstzeit von fünf Jahren ausgesprochen worden war, bewaffnet entgegen. In Jerusalem legten dem Bau einer protestantischen Kirche die Muselmanen, trotz der unterdessen dort errichteten französischen, englischen, russischen u. sardinischen Consulate, Hindernisse in den Weg u. bei Aufsteckung der Flagge des französischen Consuls zu Jerusalem überfiel am 26. Juli 1843 das Volk das Consulat u. zerriß die Flagge. 1845 erreichten die Kämpfe der Drusen im Libanon einen solchen Höhegrad, daß endlich die völlige Entwaffnung des Libanon angeordnet ward. Allein hierbei erlaubten sich die türkischen Soldaten die gröbsten Excesse, gegen welche die Pforte endlich auf Requisition der europäischen Gesandten die ernstlichsten Maßregeln ergriff. Tausende von Christen waren indessen von Schebik Effendi, dem damaligen Machthaber in jener Gegend, aus ihrem Eigenthum vertrieben worden. Gleich zu Anfang des Jahres 1845 erließ Abdul Medschid einen Hattischerif an die Minister, worin er sich über die Erfolglosigkeit mancher Regierungsmaßregeln beschwerte. Bald darauf wurden aus allen Provinzen Abgeordnete eingerufen, um über die verschiedenen Landestheile Bericht zu erstatten. Beides blieb ohne Wirkung. Am 7. März erschien eine Kundmachung, in welcher der Großherr die vom obersten Reichsrath in Antrag gebrachte Bildung eines zeitweiligen Unterrichtsraths genehmigte. Der europäischen Diplomatie wurde zugesagt, daß das Gesetz, welches gegen Glaubenswechsel die Todesstrafe ausspricht, nicht mehr zur Ausführung kommen werde. Am 6. August 1845 wurde auch der Seraskier, Riza Pascha, bisher Günstling Abdul Medschids, durch eine Serailintrigue entsetzt u. Soliman Pascha erhielt seine Stelle, der bisherige Kapudan Pascha Halil Pascha wurde aber Mitte August entlassen u. Said Pascha Mitglied des obern Reichsraths. Ein Aufstand in Wan, welcher den Charakter einer fanatischen Reaction gegen alle Reformen der neuern Zeit annahm, so wie der Umstand, daß auch in mehren Provinzen zu derselben Zeit ein Aufruhr auszubrechen drohte, gab Veranlassung zur Wiedererrichtung von Janitscharen. Im Oct. 1845 wurde Reschid Pascha, als Haupt der Reformpartei, von seinem Gesandtschaftsposten in Paris zurückberufen u. zum Minister der Auswärtigen Angelegenheiten ernannt. Er neigte sich der Politik Frankreichs mehr hin, ohne es aber mit den verschiedenen Parteien zu verderben. Anfangs Januar 1846 wurde Khosrew Pascha in den Diwan zurückberufen u. zwei Ministerien für Ackerbau u. Polizei geschaffen. Ein Fortschritt war auch die aus der Notabelnversammlung zu Constantinopel vom Jahre 1845 hervorgegangene Errichtung von Municipalräthen für jede Provinz, durch welche die allerdings schon unter Mahmud[46] durch Benehmung des Rechtes über Leben u. Tod, mehr noch jetzt durch die neuen Steuergesetze beschränkte Gewalt der Provinzialstatthalter noch weiter beschränkt ward, indem Letztere verpflichtet wurden bei allen wichtigen Fragen die Entscheidung des Municipalrathes einzuholen. Zu Mitgliedern desselben wurden eine Anzahl Muhammedaner geistlichen u. weltlichen Standes u. außerdem je ein Vertreter der anderen Religionsgenossenschaften berufen. Hinsichtlich des Schulwesens wurde die in Galata Serai bestehende medicinische Lehranstalt zu einer Chirurgisch-medicinischen Akademie erweitert, eine höhere wissenschaftliche Unterrichtsanstalt für künftige Beamte gegründet u. ein Schulplan für die Kinderschulen u. die Religionsschulen erlassen. Um den Reformen willigeren Eingang zu verschaffen, unternahm der Sultan im Mai 1846, in Begleitung von Reschid Pascha, eine Reise durch die Provinzen, auf welcher die versammelten Primaten vorzugsweise auf die rechtliche Gleichstellung der Bekenner der verschiedenen Religionen hingewiesen wurden. Wenige Wochen nachher traf der Vicekönig von Ägypten, Mehemed Ali, in Constantinopel ein, um ein Zeugniß seiner Unterordnung unter die Pforte zu geben.

Neben diesen, die Zustände der Pforte in günstigem Lichte darstellenden Erscheinungen, traten jedoch auch andere Ereignisse ein, welche nur zu sehr geeignet waren jene wieder in den Schatten zu stellen. Dahin gehörten namentlich die Verhältnisse der evangelischen Armenier u. der geheimchristlichen Gemeinden in Albanien, sowie die Zustande in Bosnien. Unter den Armeniern war schon seit einiger Zeit in Folge der Bemühungen einer presbyterianisch-amerikanischen Mission in Constantinopel eine nicht geringe Anzahl für den evangelischen Glauben gewonnen worden u. Anfangs hierbei auch unbehelligt geblieben; nachdem aber, bei immer weiterer Ausdehnung der Bewegung, jetzt außer dem armenischen Patriarchat in Constantinopel auch die russische Regierung auf deren Unterdrückung gedrungen hatte, erfolgte in der Hauptstadt wie in den größeren Städten der Provinzen eine Reihe von Verfolgungen gegen die bei dem neuen Glauben Beharrenden; ja selbst der erste Prediger der Gemeinde in Constantinopel wurde ermordet. Bisher hatten sich die Vorstellungen der englischen u. preußischen Gesandtschaften bei der Pforte als machtlos erwiesen, da die Gewalt Reschid Paschas durch den Einfluß der alttürkischen Partei nicht wenig beschränkt war; erst jetzt ließ sich die Pforte bewegen jenen Bekehrten den Austritt aus ihrem Nationalverbände zu gestatten u. Maßregeln zu ihrem Schütze zu treffen, demnach aber wurden im Sommer 1846 die Christen in vier albanesischen Dörfern auf das Roheste gemißhandelt u. ihre Dörfer zerstört. Bosnien wurde im Jahr 1846 wieder der Schauplatz einer Erhebung, indem in der Kraina Mahomed Bey an die Spitze der Unzufriedenen trat u. über 30,000 Mann um sich versammelte, doch gelang es dem Vezier Kiamil Pascha Anfangs Nov. 1846 die Aufständischen bei Banialuka zu schlagen u. zu zerstreuen; sämmtliche Rädelsführer mußten ausgeliefert werden, welche dann nach Asien verbannt wurden. Im Libanon dagegen hatten sich die Verhältnisse günstiger gestaltet, indem auf wiederholte Reclamationen der Diplomatie die Entwaffnung nun auch bei den nichtchristlichen Stämmen durchgeführt ward; die Gerichtsbarkeit wurde geregelt, die Entschädigungsgelder ausgezahlt u. das Vertrauen zur Regierung wuchs dergestalt, daß selbst von christlicher Seite ein türkischer Befehlshaber erbeten wurde. Bezüglich der auswärtigen Politik war es in dieser Zeit nur zu einer vorübergehenden Spannung mit Frankreich wegen des Empfanges des Bey von Tunis in Paris gekommen. Nämlich durch den offenen Schutz Frankreichs ermuthigt, hatte der Bey seit geraumer Zeit die Tributzahlung an die Pforte eingestellt, wodurch die Souveränetätsrechte der letzteren über Tunis gänzlich aufgehoben zu werden schienen; um allen weiteren Entwicklungen auszuweichen, ernannte die Pforte den Bey Ende 1845 zum Ferik-Pascha auf Lebenszeit u. entsagte aller Tributzahlung für die Folge. Als jedoch der Bey im Herbst 1846 auf französische Veranlassung nach Paris kam u. dort mit allen einem Souverän gebührenden Ehren empfangen wurde, legte die Pforte dagegen Protest in einer besonderen Denkschrift nieder. Als wesentliche Folge des Streites blieb die zeitweilige Beschränkung des französischen Einflusses in Constantinopel zurück.

Die hervortretenden Ereignisse des Jahres 1847 waren der Kampf gegen die Kurden in Wan, ein neuer Aufstand in Albanien u. die Differenz mit Griechenland. Schon seit 1843 war die nestorianisch-christliche Bevölkerung des Districtes Hekkari am See Wan in Kurdistan den Verfolgungen des Kurdenhäuptlings, Beder Han Beg, ausgesetzt gewesen, indem ihre Dörfer zerstört u. die Menschen zu Tausenden niedergemacht worden waren; trotz der Intercessionen der christlichen Diplomaten bei der Pforte hatte sich 1846 das Blutbad unter den Christen erneut u. 1847 wurde der Bevölkerung jakobitischen Glaubens ein gleiches Schicksal bereitet. Da endlich sandte die Pforte ein Heer unter Omer Pascha gegen die aufrührerischen Districte, welches Ende Mai von Diarbekr aus auf dem rechten Ufer des Tigris vordrang, die kriegerischen Stämme des Gebirges unterjochte u. am 13. Juni in der Hauptschlacht bei Dschesireh Beder Han Beg völlig aufs Haupt schlug. Von da an galt Kurdistan für völlig sicher; Wan, Dschesireh u. Dschulamerk behielten Besatzungen. Da zugleich im Juni auch die Ratificirung des in Erzerum verhandelten Vertrages mit Persien (s.d. S. 862) eintraf, so war für jetzt der normale Zustand im Osten des Reiches gesichert. Der in demselben Jahre in Albanien ausgebrochene Aufstand hatte einen noch gefährlicheren Charakter als die früheren, indem Nord- u. Südalbanien sich vereinigten, unter Dsulaka u. Zeinel Bey die Offensive ergriffen, bei Kopraine die türkischen Truppen schlugen u. Berat eroberten; dagegen wurden die Aufständischen nach wenigen Monaten bei Berat u. Argyrokastro besiegt u. zum Gehorsam zurückgeführt. Zu Griechenland waren die Beziehungen der Türkei von vornherein keine freundlichen gewesen u. die Spannung war vielfach genährt worden durch Griechenlands Verhalten bei den Verhandlungen über einen gegenseitigen Handels- u. Schifffahrtsvertrag (1840), durch seine zweideutige Rolle bei dem Aufstand in Candia (1841), durch die nach Kolettis Eintritt ins Ministerium offen begünstigten Umtriebe zum Sturz der türkischen Regierung; jetzt brachte eine vom Könige von Griechenland dem türkischen Gesandten in Athen zugefügte Kränkung den Groll endlich zum Ausbruch (s.u. Griechenland S. 614). Erst gegen Ende des Jahres wurde durch[47] die Dazwischenkunst der Großmächte der Streit beigelegt, u. zwar in einer Weise, daß die Pforte hauptsächlich durch Englands Unterstützung einen diplomatischen Sieg davontrug; die Verhältnisse zu Griechenland blieben von da ungetrübt. Als der Sultan den Papst Pius IX. zu seiner Thronbesteigung durch einen außerordentlichen Gesandten begrüßen ließ, schickte der Päpstliche Stuhl, zugleich in der Hoffnung mit Umgehung der katholischen Höfe nun directen Einfluß im Oriente zu gewinnen, den außerordentlichen Nuntius Ferrieri im Jan. 1848 mit einem zahlreichen Gefolge nach Constantinopel ab. Derselbe wurde zwar glänzend empfanden, als er jedoch seine Absicht auf Vortheile für seine Kirche gegenüber den anderen christlichen Glaubensbekenntnissen kund werden ließ, so ging die Pforte auf seine Forderungen nicht ein.

Das Jahr 1848 ließ die Türkei als Ganzes ruhig, nur in den obersten Regionen bewirkte die französische Februarrevolution einen Umschwung in antiliberalem Sinne, indem die alttürkische Partei, dem Sultan das Verderbliche des von Reschid Pascha vertretenen Fortschrittssystems an dem Beispiele des Abendlandes darlegend, den Sturz Reschid Paschas, nachdem dieser eben die französische Republik anerkannt hatte, am 27. April durchsetzte; seine Stelle als Großvezier erhielt nun Sarim Pascha, während Rifaat Pascha Minister des Auswärtigen wurde. Bald jedoch wurde der Sultan gegen die zur Macht gelangte Partei mißtrauisch, u. am 11. Aug. wurden die neuen Minister entlassen u. Reschid Pascha nebst Ali Pascha wieder ins Ministerium berufen. Das neue Ministerium erließ ein Rundschreiben an die Statthalter der Provinzen, worin die Verbesserung der allgemeinen Zustände, das Aufhören der Mißbrauche, der Erpressungen u. der Bestechlichkeit im Beamtenstande, die Aufrechthaltung der neuen Reformen als bes. nothwendig hingestellt, den Anhängern des alten Systems aber mit harten Strafen gedroht wurde. Die heimlichen Wühlereien der Gegenpartei, denen namentlich auch die damals zahlreichen Feuersbrünste in der Hauptstadt zugeschrieben wurden, fand eine gewaltthätige Unterdrückung in der Beseitigung einiger fanatischer Häupter. Inzwischen hatte das Umsichgreifen der europäischen Revolutionen die Pforte zu ausgedehnten Vorsichtsmaßregeln u. Rüstungen aufgefordert; dazu kam die Besorgniß wegen Rußland in Bezug auf die Donaufürstenthümer. Die Ereignisse in der Moldau (s.d. S. 361) gingen wohl ohne namhafte Verwickelung vorüber, obschon es Rußland verdroß, daß die bedrängten Bojaren den Schutz der Türkei angerufen hatten, welcher ihnen auch in sofern gewährt worden war, als ein türkischer Commissär in der Moldau erschien u. den Proceß der Bojaren leitete, worauf diese später exilirt wurden. Sobald aber Duhamel als russischer Commissär dort angekommen war, wurde der türkische Einfluß völlig überwogen. Viel größere Schwierigkeiten bereiteten nun aber die Zustände in der Walachei (s.d. Gesch.), in welcher bei weitem extremere Forderungen an den Fürsten Bibesco gestellt worden waren. Die nach dessen Entfernung niedergesetzte provisorische Regierung rief den Schutz der Pforte an, u. diese sandte im Juli Suleiman Pascha als Commissär nach Bukarest, als derselbe aber nach Auflösung der provisorischen Regierung eine Statthalterschaft eingesetzt u. dann eine allgemeine Amnestie ausgesprochen hatte, erklärten sich die Russen mit solch mildem Auftreten so wenig einverstanden, daß Duhamel die Moldau besetzen ließ. Die Pforte dagegen lehnte die Aufforderung des russischen Commissars gleichfalls Truppen nach der ohnehin völlig beruhigten Moldau zu senden ab, verstärkte jedoch das an der Donau stationirte Armeecorps bis auf 40,000 M. Bald fand aber der neue Commissär für die Walachei, Fnad Effendi, nachdem er statt der Statthalterschaft den Fürsten Kantakuzeno als provisorischen Statthalter eingesetzt hatte, für nöthig zur Unterstützung fernerer Maßregeln die türkischen Truppen in Bukarest einrücken zu lassen. Sofort entsandte Duhamel, gegen die Vorstellungen der Pforte, ein starkes russisches Truppencorps nach der Walachei u. gestattete sich bald auch Eingriffe in die innere Verwaltung des Landes. Die hierauf folgende Spannung wurde erst durch den von Rußland der Pforte endlich abgedrungenen Vertrag von Balta-Liman vom 1. Mai 1849 gehoben. Abgesehen von den die Verhältnisse der Donaufürstentühmer speciell berührenden Stipulationen desselben sicherte sich Rußland zunächst auf die nächsten sieben Jahre so ziemlich gleiche Rechte mit der Türkei auf die Donaufürstenthümer, indem vorläufig eine gemischte Occupationsarmee von 35,000 M. dort aufgestellt bleiben, nach Wiederherstellung der Ruhe auf 10,000 M. vermindert u. nach Beendigung der organischen Verbesserungen ganz zurückgezogen werden, indeß in der Nähe bleiben sollten, für den Fall, daß wichtige Ereignisse ähnliche Maßregeln erheischten. Eine günstigere Wendung für die Pforte im Jahr 1848 nahmen die ägyptischen Verhältnisse, indem Ibrahim Pascha, welcher für Mehemed Ali die Leitung der Geschäfte übernommen hatte, im September in Constantinopel die Belehnung als Statthalter Ägyptens erhielt. Nach seinem schon im November erfolgenden Tode wurde Mehemed Alis Enkel, Abbas Pascha, berufen, dessen Belehnung aber auf Bedingungen hin ertheilt, welche die Rechte der Pforte entschiedener als früher sicherten (s. Ägypten S. 217). Dagegen gerieth die Pforte nun wieder in die gefährlichsten Verwickelungen durch die Stellung, welche sie gegenüber der Ungarischen Revolution eingenommen hatte. Gemäß der Ansicht, daß die neuen Zeitverhältnisse der Türkei Zuwachs an Ansehen u. Macht verschaffen müßten, hatte Reschid Pascha sich den Ideen der politischen Propaganda immer williger zugeneigt. Die Bevollmächtigten u. Paschas der Pforte verkehrten mit den Magyaren aus dem freundschaftlichsten Fuße, wenn man auch in Constantinopel ihr Verhalten desavouirte; auf Andringen Rußlands u. Österreichs wurde Kossuths Bevollmächtigter, Baron Splenyi, aus Constantinopel gewiesen, dagegen unmittelbar darauf Andreassy als neuer ungarischer Botschafter zugelassen. Schaaren politischer Flüchtlinge, bes. Polen u. Italiener, zogen über Constantinopel nach Ungarn, während Andere als revolutionäre Agenten zurückblieben. Die Pforte selbst suchte zu verhindern, daß die Russen von der Walachei aus den Siebenbürgern zu Hülfe zögen, u. wies später einen Antrag Rußlands u. Österreichs, wonach ein russisches Armeecorps südlich von der Donau durch Serbien in Siebenbürgen einzurücken ermächtigt werden sollte, geradezu zurück. Nach der Katastrophe von Vilagos (13. Aug. 1849, s.u. Ungarn Gesch.) traten 4500 ungarische u. polnische Flüchtlinge, unter ihnen die Häupter der Ungarischen Revolution, [48] Kossuth, Bem. Dembinski u.a., Letztere nach ausdrücklicher Zusicherung des Schutzes, auf türkischen Boden über u. blieben zunächst in Widdin. Alsbald verlangten der österreichische u. russische Gesandte, gestützt, auf die Artikel der beiderseitigen Verträge (Karlowitzer Tractat von 1699, Passarowitzer u. Belgrader Tractat hinsichtlich Österreichs, Vertrag von Kutschuk-Kainardschi von 1774 hinsichtlich Rußlands), die Auslieferung der Revolutionshäupter. Die Pforte lehnte den Antrag ab, bot aber die Bürgschaft dafür an, daß die Flüchtlinge in Gewahrsam gehalten u. an weiteren Umtrieben verhindert würden. Jetzt verlangte Kaiser Nikolaus von der Pforte eine Verstärkung der Truppen in den Donaufürstenthümern zur Abwehr weiterer Übertritte zu schicken. Der türkische Ministerialrath erhielt seine Weigerung aufrecht, versprach jedoch die Entfernung der Flüchtlinge von der Grenze od. ihre Übersiedelung in entlegene Provinzen. Der russische u. österreichische Gesandte brachen am 17. Sept. den diplomatischen Verkehr mit der Pforte ab. Fuad Effendi aber ging als besonderer Abgesandter nach Petersburg, um das Antwortschreiben des Sultans auf das des Kaisers zu überbringen. Inzwischen begann man in Constantinopel im Stillen zu rüsten, u. eine englische u. französische Flotte näherte sich den Dardanellen; die englische lief bald nachher (4. Nov.) in den Dardanellen ein u. legte sich bei Barbieri vor Anker, während die französische bei Burlac stationirte; auf Rußlands Beschwerde verließ jedoch auch die englische Flotte bald wieder die Dardanellen. Von den auf türkischem Boden zurückgebliebenen Flüchtlingen wurden bis zum 3. Nov. Kossuth, Bem, Meszaros, Kmeti, Batthyanyi u.A., zusammen 320 Köpfe, von Widdin nach Schumla übergesiedelt. Die Verhandlungen währten indessen fort, u. noch war keine Aussicht auf friedlichen Austrag des Streites, zumal Rußland, statt gemäß dem Vertrag von Balta-Liman sein Heer in den Donaufürstenthümern auf 10,000 M., zu reduciren, dasselbe auf 40,000 M. brachte; u. Österreich erklärte in der Angelegenheit ganz mit Rußland gehen zu wollen. Da zugleich Serbien eifrig im Sinne Rußlands bearbeitet wurde, so setzte die Pforte ihre Rüstungen, bes. hinsichtlich der Flotte, fort. Mitte December trat jedoch bei gegenseitigem Nachgeben eine friedliche Ausgleichung ein. Rußland gegenüber willigte die Pforte ein aus ihren Staaten alle von Rußland namhaft gemachten Polen zu verweisen, welche als russische Unterthanen in Folge der Ereignisse in Ungarn sich nach der Türkei geflüchtet hatten, die aus ihrer Zahl zum Islam Übergetretenen nach Aleppo od. Konieh zu verbannen u. hinsichtlich der künftig mit fremden Pässen anlangenden Polen, welche der Anspinnung von Intriguen gegen Rußland verdächtig wären, auf Verlangen der betreffenden Gesandtschaften deren Vertreibung zu vollziehen. Gegenüber Österreich verpflichtete sich die Pforte alle ihr von Österreich namhaft gemachten Flüchtlinge zu Konieh in Kleinasien zu interniren; den zum Islam Übergetretenen sollten Aleppo, Konieh od. Cypern zum Aufenthaltsort angewiesen werden, worauf unter dem 6. April der diplomatische Verkehr mit Österreich wieder hergestellt wurde. Am Ende des Jahres 1849 verließen nun auch die verbundenen Flotten das Türkische Gebiet. Die Pforte aber traf sofort Anstalten den hinsichtlich der Flüchtlinge übernommenen Verpflichtungen nachzukommen, am 15. Febr. 1850 wurden Kossuth, Batthyanyi u. And. von Schumla nach Kiutahia übergesiedelt; am 24. gingen die zum Islam übergetretenen Flüchtlinge von Schumla nach Aleppo ab; ein dritter Transport brachte die ausgewiesenen russischen Flüchtlinge nach Malta. Zugleich war eine Beurlaubung der Truppen in großem Maßstabe eingetreten.

Die inneren Zustände hatten während dieser Wirren nicht gelitten, gaben im Gegentheil Zeugniß von den heilsamen Folgen der eingeführten Reformen; namentlich war dem Bestechungssysteme der Beamten kräftig Einhalt gethan worden. Nur in Bosnien, welches 1848 allen Aufreizungen von Seiten der Südslawen widerstanden hatte, war nach Besiegung der Ungarischen Revolution wieder ein Aufstand entzündet worden, dessen hauptsächlicher Herd abermals die Kraina war. Der ostensible Grund war, neben der anbefohlenen Stellung von Mannschaft zum regulären Heere, bes. die Auslegung einer neuen Grundsteuer, wonach jeder Türke u. Christ der Regierung 1/10 des Bodenertrages, jeder Christ außerdem noch den Spahis 1/3, von Heu u. Gartengewächsen aber die Hälfte entrichten sollte. Die christliche Bevölkerung hielt sich Anfangs jedem Widerstand fern, dagegen forderte ein Türke, Ali Keditsch, Anfang Juli 1849 zum bewaffneten Widerstände auf u. fand unter den Türken zahlreichen Anhang. Am 23. Juli erschienen die Insurgenten vor der Festung Bihac u. begannen dieselbe zu belagern, bemächtigten sich auch derselben am 1. März 1850. Darauf erklärten die meisten festen Städte ihren Beitritt zum Aufstand; die wenigen Anhänger der Regierung flüchteten zumeist auf österreichisches Gebiet. Jetzt griff die Bewegung auch tief nach Bosnien bis in die Herzegowina hinein, hier bes. zur Abwehr der Conscription. Der hiermit beauftragte Beamte wurde erschlagen, der Vezier am 15. Oct. aus Mostar vertrieben u. diese Festung selbst von den aufständischen Bewohnern in Vertheidigungszustand gesetzt. Inzwischen war Tahir Pascha gestorben u. Omer Pascha, der Statthalter von Bosnien, an die Spitze der bosnischen Armee getreten. Diesem gelang es die Insurgenten am 30. Oct. bei Zepse, am 19. Nov. bei Modrich, zwischen Dervent u. Kotarsko, u. am 20. Nov. bei dem Übergang über die Bosna zu schlagen. Nachdem die Insurgenten auch am 9. Febr. 1851 von Muhammed Skander Beg nach Mostar zurückgedrängt u. dies von den türkischen Truppen besetzt worden war, wurde der Aufstand für unterdrückt angesehen. Doch auch auf anderen Seiten nahmen Unruhen u. Ausstände im Jahre 1850 das Einschreiten der Pforte vielfach in Anspruch. Samos war schon im Sept. 1849 der Schauplatz einer bedenklichen Erhebung gewesen, indem die von dem Stellvertreter des Fürsten von Samos, Vogorides, hart gedrückten Samioten denselben verjagt u. die türkische Flagge herabgerissen hatten, worauf erst nach Erklärung der Insel in Blockadezustand (27. Oct.) die Ordnung durch den Kapudan Pascha, Mustapha Pascha, wieder hergestellt wurde. Am 12. April 1850 brach jedoch ein neuer Ausstand aus, welcher zwar schon binnen drei Tagen durch Mustapha Pascha unterdrückt wurde, doch es gährte fort. Als eine nach Constantinopel abgegangene Deputation, welche die Abstellung vieler Mißbräuche nachsuchen u. die Gewaltschritte gegen den Fürsten Vogorides rechtfertigen sollte, erfolglos zurückgekehrt war, wurde auch der provisorisch ernannte [49] Statthalter Konomenos vertrieben, u. es begann nun eine grenzenlose Anarchie. Erst nach längerem Zögern schritt die Pforte ein, indem am 4. Jan. 1851 die Insel in Belagerungszustand erklärt wurde, worauf sich die Aufständischen am 1. Febr. Mustapha Pascha unterwarfen. Von bedenklicherer Art war ein zunächst in Aleppo am 16. Oct. 1850 ausbrechender, wider die Christen gerichteter Aufstand, welcher sich dann weiter in Syrien ausbreitete. Neben den Beschwerden der Araber über die öffentlichen Processionen u. über das kirchliche Geläut der Christen, sowie über die erfolgreiche Thätigkeit der christlichen Missionäre u. die Bereicherung der christlichen Kaufleute, war es zunächst die Befreiung der Christen von der neu angeordneten Recrutirung, welche den lange verhaltenen Haß zum Ausbruch brachte; Gesindel nebst Arabern der Wüste begann in dem christlichen Stadttheil zu rauben, zu morden, Weiber zu mißhandeln u. Häuser in Brand zu stecken, u. trieb dies bei der Feigheit der türkischen Behörden mehre Tage ungehindert. Erst vom 30. Oct. an, nachdem aus Damask, wo Emin Pascha ähnliche Greuel unterdrückt hatte, noch zwei Bataillone türkische Truppen angelangt waren, ermannte sich der Militärcommandant Kherim Pascha zu kräftigeren Maßregeln, u. nachdem er am 4. Nov. die Araber vergeblich aufgefordert hatte die Waffen abzulegen, die bestimmte Zahl Recruten zu stellen u. den verursachten Schaden zu ersetzen, wurden die Araber angegriffen u. bis zum 7. Nov. der ganze rebellische Stadttheil erobert u. zerstört, die Araber aber, welche an 1000 M. verloren hatten, zersprengt. Die zwölf gefangenen Häuptlinge wurden nach Europa abgeführt u. über 320 Rebellen ein Gericht in Aleppo niedergesetzt. Starke Truppensendungen langten in Syrien an u. die Ruhe blieb nun ungestört. Fortgesetzte Streifzüge der Montenegriner (s. Montenegro S. 418) auf Türkisches Gebiet machten eine Truppenaufstellung an der Grenze nothwendig; doch trat rechtzeitig eine Ausgleichung ein. Im Ministerium war bereits im April eine Veränderung in so fern erfolgt, als Fuad Effendi als Minister des Innern eintrat u. Talat Effendi am 27. April an Stelle des abgetretenen Nafiz Pascha das Finanzministerium übernahm. Zeugniß von dem noch immer befolgten System des Fortschrittes gaben verschiedene Maßregeln; so die Anordnung, daß die von den Christen zu entrichtende Kopfsteuer nicht mehr von türkischen Beamten erhoben, sondern von den christlichen Gemeinden selbst vertheilt u. eingeliefert werden sollte; zur Unterdrückung der verderblichen Agiotage erfolgte eine Regulirung des Münzfußes; nach dem Vorbild von Constantinopel wurde auch für andere Orte, Kairo, Alexandrien, Smyrna etc. die Errichtung von gemischten (halb türkischen, halb fremden Unterthanen) Handelstribunalen angeordnet, so wie die Errichtung besonderer Gerichtshöfe für Fremde; Bastonnade, Peitsche u. Tortur wurden untersagt.

Unter den Ereignissen des Jahres 1851 stand eine Differenz mit dem Vicekönig von Ägypten im Vordergrund. Um Ägypten seine Abhängigkeit von der Pforte fühlbarer zu machen, wurde von derselben im Sept. 1851 eine Reihe von Forderungen an den Vicekönig gestellt, namentlich Verminderung des stehenden Heeres bis auf 18,000 Mann, Abtakelung der Flotte od. vielmehr Stellung derselben zur alleinigen Verfügung der Pforte; stetige Residenz eines Generalinspectors in Ägypten; Herausgabe der der muhammedanischen Geistlichkeit unter Mehemed Ali abgenommenen Ländereien; Verzichtung auf das Recht über Leben u. Tod; Einstellung der Eisenbahnarbeiten auf der Landenge von Suez bis zur Vorlegung des Nachweises, daß dazu die Hülfsquellen des eigenen Schatzes ohne Belastung des Landes u. fremde Subsidien ausreichten u. die Bahn von keiner fremden Macht gebaut werde. Der Vicekönig zeigte sich wenig geneigt auf diese Forderungen einzugehen u. setzte sich in Vertheidigungszustand. Zu Anfang 1852 ging Fuad Effendi in außerordentlicher Sendung nach Kairo u. ihm gelang es den Zwist zu schlichten, namentlich die Eisenbahnfrage wurde nach dem Wunsche des Vicekönigs erledigt u. hinsichtlich der Todesurtheile sollten diejenigen der großherrlichen Bestätigung noch auf weitere fünf Jahre entzogen bleiben, wobei es sich um die Concurrenz von Civilparteien handelte (19. April.). Kurz nach Aufstellung der Forderungen an Ägypten wurde von der Pforte an den Bey von Tunis das Verlangen einer förmlichen Annahme der Tansimat gerichtet; doch zogen sich die betreffenden Verhandlungen ohne bestimmtes Resultat in die Länge. In der Flüchtlingsangelegenheit begannen, nachdem das Jahr abgelaufen war, für welches die Pforte die aus Ungarn u. Siebenbürgen übergetretenen ungarischen u. polnischen Insurgenten festzuhalten versprechen u. nachdem die Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika sich bereit erklärt hatte dieselben aufzunehmen: 1851 neue Unterhandlungen mit Österreich u. Rußland über die Freilassung derselben aus der Provinz Kiutahia. Unterstützt wurde diese Freilassung von Frankreich u. England, u. es wurde schließlich mit Österreich eine Einigung dahin getroffen, daß bei Entlassung der Übrigen wenigstens Kossuth, Batthyanyi, die beiden Perczel, Meszaros, Wysocki u. Arboth bis zum 9. Sept. d.J. von der Pforte überwacht würden. Neue Verwickelungen erwuchsen der Pforte gleichzeitig durch den jetzt auftauchenden Streit um das Heilige Grab, da der französische Gesandte im Namen seiner Republik u. des Papstes die Ansprüche der abendländischen Christenheit auf dasselbe gegenüber der morgenländischen geltend machte, wogegen sich Rußland im Namen der letzteren auf den verjährten, bei mehren Veranlassungen bisher nie angefochtenen Besitz stützte; einstweilen war noch kein Erfolg der diplomatischen Verhandlungen abzusehen, obschon die Pforte sich offenbar mehr dem überwiegenden Einflusse Rußlands hingab. Dagegen fand die so lange schwebende Frage wegen der vertragswidrigen Occupation der Donaufürstenthümer durch die Russen endlich ihre Lösung; seit 24. April zogen sich die russischen u. osmanischen Truppen zurück, worauf Schekib Effendi als Generalinspector in den Donauprovinzen dahin abging. Hinsichtlich der inneren Zustände des Landes erhob sich der kaum bezwungene Aufstand in der Kraina (Bosnien) schon Anfang März wieder; Jayca, am linken Ufer des Verbas u. der Pliva, ergab sich am 4. März den Insurgenten unter Omer Aga Hassanagin, indeß gelang es am 19. März Omer Pascha dieselben zwischen Jayca u. Gjulhissar zu schlagen, wobei das Haupt der Rebellen, Ladia Kapik, umkam, u. nach den Siegen bei Kozarak u. bei Bihacs konnte der Aufstand für gedämpft angesehen werden. Das Finanzwesen anlangend war die Regierung[50] in Constantinopel in diesem Jahre, gegenüber der beständig wachsenden Staatsschuld, bedacht gewesen möglich große Reductionen im Staatshaushalt herbeizuführen, u. es wurde zu diesem Zwecke namentlich das Polizeiministerium aufgehoben u. dem Kriegsministerium einverleibt, auch die Besoldungen der Gouverneure der Provinzen u. Districte ermäßigt. Zur Abhülfe der Finanznoth wurden unverzinsliche Staatsschuldscheine (Kaimé, s.d.) auf 10 Piaster lautend, creirt u. ausgegeben.

Im Jahre 1852 schritt Omer Pascha in Bosnien, um das nur noch locker mit dem Hauptlande zusammenhängende, tatsächlich in der Hand einiger Adelsfamilien befindliche Gebiet wieder unter die Souveränetät der Pforte zurückzuführen u. in die jetzt allgemein angestrebte Centralisation hineinzuziehen, mit den äußersten Gewaltmaßregeln vor. Besonders hatten jetzt die Christen, welche nun, auch die Lust zum Abfall u. die Hinneigung zu Österreich offener zeigten, die härtesten Verfolgungen zu erleiden. In dem durchaus militärisch besetzten Lande wurde eine allgemeine Entwaffnung aller Griechen u. Katholiken vorgenommen, viele Geistliche u. irgendwie einflußreiche Männer verhaftet, die katholische Geistlichkeit gezwungen von ihren Klostergütern den Zehnten zu entrichten. Selbst auf die österreichischen Unterthanen dehnte sich die Strenge Omer Paschas aus. Auch nachdem derselbe endlich abberufen worden war, milderte sich unter seinem Nachfolger das Loos der Christen nicht, weshalb Tausende nach Österreich auswanderten. Das Wiener Cabinet sah sich deshalb auch zu ernsten Vorstellungen bei der Pforte veranlaßt, u. die hiermit eintretende Spannung zwischen Österreich u. der Pforte wurde noch vermehrt durch den türkischer Seits gemachten Versuch auf einem türkischen Streifen Landes in Dalmatien Strandbefestigungen anzulegen, weshalb auch zwei österreichische Kriegsschiffe nach der Bucht von Cattaro abgingen, um die gebotene Einstellung der Arbeit zu unterstützen. Unter die in diesem Jahre angegriffenen neuen Maßregeln der Regierung gehörte namentlich die Einführung einer gemischten Personal- u. Vermögenssteuer, welche im Durchschnitte mit 20 Piastern auf den Kopf bemessen worden war. Auch die Anordnung einer Art Censur für die im Reiche lebenden Fremden wurde in Folge der Verbreitung vieler Broschüren über die Zustände des T-n R-es beliebt, wonach der Druck von Büchern u. Broschüren ohne vorhergängige Autorisation verboten war. Das Ministerium unterlag in diesem Jahre den wesentlichsten Veränderungen; am 26. Jan. 1852 wurde Reschid Pascha seines Amtes als Großvezier entsetzt u. dasselbe an Rauf Pascha übertragen (ein vorübergehender Sieg des russischen über den englischen Einfluß). Den äußeren Anlaß zu dem Systemwechsel gab die Angelegenheit wegen Regulirung der Verhältnisse des Heiligen Grabes, welche dann am 14. Febr. eine vorläufige Erledigung mit Anerkennung der Gleichberechtigung aller Confessionen fand. Reschid Pascha wurde zwar bereits am 5. März wieder zum Großvezier erhoben, jedoch schon im August durch Ali Pascha verdrängt, welcher aber am 3. Oct. wieder dem bisherigen Marineminister Mehemed Ali Pascha weichen mußte, welcher zur Fortschrittspartei gerechnet wurde. Der letztere Wechsel wurde in Verbindung gebracht mit der in Paris u. London negociirten Anleihe, welche als eine mit Ungläubigen unmittelbar getroffene Vereinbarung des widrigsten Eindruckes nicht verfehlte, die Bestätigung derselben wurde darum auch hintertrieben u. die bereits gemachten Zahlungen zurückgestellt, statt derselben aber eine Nationalanleihe ausgeschrieben, an welcher sich der Sultan selbst mit 40 Mill. Piaster u. der Hingabe von einem großen Theile seines Silbergeräthes betheiligte; außerdem wurde dem Vicekönig von Ägypten die Vorauserlegung eines zweijährigen Tributes abgefordert. Zugleich wurde die Errichtung einer Bank beschlossen. Die inneren Verhältnisse verlangten aber auch ungewöhnliche Anstrengungen, namentlich waren in Asien die Zustande wieder sehr gefahrdrohend geworden. Im östlichen Syrien befand sich die arabische Bevölkerung in offenem Aufstande; in Mesopotamien spielten einzelne Stämme derselben völlig den Meister; eine Expedition gegen die Araber in Jemen endigte mit einer völligen Niederlage der Türken unter Mustapha Pascha. Ebenso vermochte die Bekämpfung der Drusen in Syrien keinen nachhaltigen Erfolg herbeizuführen; erst die angeordnete Berufung eines Provinzialrathes, welchem auch die Drusenhäuptlinge beiwohnen sollten, ließ einige Ordnung in den empörten Landstrichen zurückkehren. Und hierzu kam nun noch eine neue Differenz mit Montenegro. Hier hatte der neue Vladika Danilo Njegosch durch Rußland die fast unumwundene Erklärung seiner Unabhängigkeit von der Pforte erhalten (s. Montenegro S. 418). Die Pforte hatte sich zunächst mit einem Protest begnügt: als aber die Nahié Piperi, auf Überredung Osman Pascha von Skutari, abgefallen war u. durch den Versuch des Vladika im November dieselbe mit Waffengewalt wiederzugewinnen ein allgemeiner Kampf in Montenegro ausbrach, wobei der Vladika bei seinem Angriff auf die Piperi mit dem bei Podgorizza aufgestellten türkischen Hülfstruppen in blutige Conflicte gerieth, so versetzte die Pforte die oberalbanesische Küste in Blockadezustand, zu dessen Handhabung eine Flotte ausgesendet wurde, u. ließ 55,000 Mann gegen die Grenze ziehen. Am Ende des Jahres währte der Krieg noch mit aller Heftigkeit fort. Inzwischen drohten auf anderer Seite neue Verwickelungen durch das von Constantinopel aus ergangene Verbot der fremden Dampfschifffahrt im Bosporus. Die Heilige Grabangelegenheit fand dagegen jetzt eine zeitweilige u. theilweise Erledigung durch die Verordnung des Sultans, wonach den Griechen das Recht jährlich zweimal in der Kapelle des Ölberges Messe zu lesen eingeräumt wurde, während den römischen Katholiken dies nur einmal erlaubt war; ebenso wurden die Rechtsansprüche der Orientalischen Kirche auf das Besitzthum des Heiligen Grabes anerkannt.

Unter solchen Verhältnissen brach nun das verhängnißvolle Jahr 1853 für die Türkei an, von dem schon nach altem Volksglauben die Vernichtung des nun eben 400jährigen Osmanenreichs in Stambul erwartet wurde. Wirklich waren auch für die Türkei auf allen Seiten so ernste Verwickelungen vorhanden, daß die Erfüllung jener Erwartung nicht unmöglich zu sein schien. Die Pforte war mit Rußland u. den katholischen Mächten entzweit wegen der Heiligen Stätten, mit sämmtlichen Gesandtschaften wegen eines neuen Gesetzes über die Außercurssetzung ausländischer Münzen; mit England u. Österreich wegen, des Verbotes der Schifffahrt im Bosporus; mit Österreich wegen der Angelegenheit[51] des bosnischen Christen; mit England u. Frankreich wegen der Anleihe. Der Krieg gegen Montenegro, mit wechselndem Glück geführt, dauerte bis gegen Ende Februar, wo dann in Folge der Vermittelung Österreichs u. Rußlands die Feindseligkeiten aufhörten (s. Montenegro S. 418 f.). Inzwischen war aber ein viel drohenderes Ereigniß eingetreten; am 30 Jan. war Graf Leiningen als außerordentlicher Botschafter Österreichs in Constantinopel eingetroffen u. verlangte im Namen seiner Regierung von der Pforte Herstellung des Statusquo in Montenegro sowohl in territorialer als administrativer Beziehung u. Räumung des Landes von den türkischen Truppen; sofortige Internirung der in der Nähe der österreichischen Grenzen sich aufhaltenden österreichischen Flüchtlinge; Anerkennung der türkischen Enclaven Kleck u. Suttorina (s.d.) in Dalmatien als neutralen Bodens; Zusicherung einer gerechten u. menschlichen Behandlung der Rajahs in Bosnien u. der Herzegowina; Aufhebung der in den genannten Provinzen widerrechtlich erhobenen Zollaufschläge auf österreichische Ein- u. Ausfuhrartikel, ebenso der widerrechtlichen Besteuerung des Tabaksbaues u. des Ausfuhrverbotes von Holz; endlich Befriedigung der gerechten Ansprüche einer Anzahl von österreichischen Unterthanen an die Pforte. Als der Großvezier diese Forderungen unbedingt ablehnte, wurde das an der Unna stehende österreichische Observationscorps auf 50,000 Mann gebracht u. die österreichische Gesandtschaft bereitete sich zur Abreise von Constantinopel. Zugleich nahm auch Rußland eine kriegerische Miene an; das fünfte russische Armeecorps war bereits an die türkische Grenze gerückt. Auf das am 10. Febr. vom Grafen Leiningen übergebene Ultimatum fand am 12. Febr. eine nochmalige Berathung der Pfortenminister statt, in Folge deren alle Ansprüche Österreichs zugestanden wurden; als geheime Artikel in der getroffenen Übereinkunft wurden bezeichnet: die Berechtigung Österreichs, bei Gebietsverletzungen durch türkische Grenznachbarn, sofort die Grenze zu überschreiten u. sich selbst Genugthuung zu nehmen, u. ferner das Zugeständniß des österreichischen Oberhoheitsrechtes über die christliche Bevölkerung Bosniens u. der Herzegowina. Die nächste Wirkung von diesem siegreichen Auftreten Österreichs gab sich in der Beilegung der Montenegrohändel kund; eine zweite in den Verhältnissen Bosniens. Hier sollten nach einem großherrlichen Ferman Christen u. Juden gleiche Rechte mit den Türken genießen, in ihrem Eigenthum ungeschmälert bleiben u. in dem großen Verwaltungsrathe für Bosnien Sitz u. Stimme haben; statt des bisherigen Besteuerungs u. Pachtsystems eine Häuserconscription u. Verzeichnung alles beweglichen u. unbeweglichen Eigenthums stattfinden u. danach die Regelung der Steuer erfolgen. In kurzer Zeit kehrte der größte Theil der auf österreichisches Gebiet geflüchteten Christen nach Bosnien zurück. Anderwärts war dagegen das Schicksal der Rajahs wieder sehr in Frage gestellt durch die laut großherrlichem Ferman vom 22. Jan. verfügte Aufhebung des wichtigeren Theiles der Tansimat, wodurch den Provinzialstatthaltern fast der volle Besitz ihrer früheren, beinahe unbeschränkten Gewalt wiedergegeben wurde.

Der Conflict mit Österreich war jetzt kaum in einer die Pforte tief demüthigenden Weise geschlichtet worden, als nun Rußland wieder feindselig gegen die Türkei auftrat. Schon am 16. Febr. Überreichte der russische Geschäftsträger dem Minister des Auswärtigen eine Note, in welcher das Petersburger Cabinet sich über den Angriff auf Montenegro beklagte u. die Unabhängigkeit des Landes als eine zweifellose Thatsache hinstellte. Kurz darauf traf nun aber Fürst Mentschikow in besonderer Mission in Constantinopel ein, welcher durch seine Verletzung der am türkischen Hofe so hoch gehaltenen Etikette bewies, daß es auf eine tiefe Demüthigung der Pforte abgesehen sei. Als Hauptpunkte der Forderungen seines Kaisers bezeichnete Mentschikow die Vergütung von 40 Mill. Piaster als Kriegskosten während der Besetzung der Donaufürstenthümer im Jahre 1850, die Rücknahme des zu Gunsten Frankreichs erlassenen Fermans in Betreff der Heiligen Stätten u. endlich die Lösung der schwebenden Differenzen über dieselben zu Gunsten der Griechischen Kirche. Die Natur dieser Forderungen, sowie Mentschikows Auftreten, führten nun zunächst die Entlassung des Ministers des Äußern, Fuad Effendi, herbei, an dessen Stelle der fügsamere Rifaat Pascha berufen wurde. Der Fürst hierdurch nicht befriedigt, stellte ein Ultimatum für seine Forderungen. Darauf erklärte der Sultan, daß er auf dieselben nicht eingehen könne, u. rief sofort den Schutz Englands u. Frankreichs an. Hierauf traten an die Stelle von Begebenheiten weitläufige diplomatische Verhandlungen. Nicht ohne Zusammenhang mit den obschwebenden Verhältnissen war wohl die in jene Zeit fallende Gewährung aller der Zugeständnisse an den Vicekönig von Ägypten, welche demselben noch im vorigen Jahre verweigert worden waren: Verleihung eines, ihn über alle Paschas, selbst über den Großvezier stellenden Titels u. des Rechtes über Leben u. Tod, ohne die früheren Beschränkungen, sowie einer unbeschränkten Autorität über alle Glieder der Familie Mehemed Alis. Erst mit dem, Mitte Aprils erfolgenden Eintreffen des englischen u. französischen Gesandten schien die Entscheidung wieder näher gerückt zu werden. Nach Empfang neuer Instructionen reichte Fürst Mentschikow am 7. Mai aufs Neue seine Forderungen ein, dieselben bezogen sich besonders auf das Protectorat Rußlands über die griechischen Christen im T-n R., der russische Gesandte in Constantinopel nebst allen russischen Consuln u. Agenten in der Türkei sollten das Recht besitzen die Kirche gegen allen Druck u. alle Verfolgung zu schützen, die Patriarchen von Constantinopel, Antiochien, Alexandrien u. Jerusalem sollten nicht mehr ohne rechtmäßigen Grund abgesetzt werden können; außerdem sollte der Diwan zu Jerusalem die Aufrechthaltung der durch die letzten Fermane festgesetzten Verhältnisse verbürgen u. sich verpflichten daran ohne vorherige Vereinbarung mit Rußland nichts zu ändern. Die Pforte lehnte die Erfüllung dieser Forderungen ab u. am 13. Mai trat Rifaat Pascha sein Ministerium an Reschid Pascha ab, dessen Abneigung gegen Rußland offenkundig war; Mustapha wurde Großvezier. Die Streitfrage wegen der Heiligen Stätten war übrigens laut des jetzt veröffentlichten Ferman als in einer allseitig befriedigenden Weise gelöst zu betrachten. Um so mehr bestand Mentschikow, alle Vermittelungsversuche der übrigen Gesandten zurückweisend, auf der Erledigung der hinsichtlich der griechischen Christen gestellten Forderungen, und als sich keine Aussicht auf eine fügsame Entscheidung[52] der Pforte eröffnete, reiste er, noch vor Ablauf des von ihm gestellten Termins, am 22. Mai ab u. wenige Tage darauf wurden alle diplomatischen Verbindungen zwischen der Pforte u. Rußland abgebrochen. In Folge davon gerieth der Handel in Stockung, schlugen die Curse bedeutend auf. Die Pforte betrieb nun die Kriegsrüstungen eifrig; die alttürkische Partei namentlich zeigte große Begeisterung für den Krieg; die Landwehr wurde einberufen u. die Flotte stellte sich theils im Bosporus, theils bei Varna auf; sie bestand aus 4 Linienschiffen von 80–100 Kanonen, 2 Fregatten, mehren Kriegsdampfern, 12 Corvetten u. verschiedenen kleinen Segeln. Zugleich wurde aber auch Seitens der Pforte der europäischen Diplomatie am 2. Juni ein rechtfertigendes Memoire hinsichtlich ihrer Politik gegen Rußland übergeben. England u. Frankreich schienen jetzt auch offen auf die Seite der Türkei getreten zu sein. Mitte Juni nahmen die vereinigten Flotten beider Mächte, 31 Schiffe von 1620 Kanonen, ihre Stellung in der Besikabai vor der Straße der Dardanellen. Dagegen näherten sich nun aber auch die russischen Heere, zusammen mindestens 120,000 M. stark, der türkischen Grenze u. die russische Flotte im Schwarzen Meere bestand aus 13 Linienschiffen, 8 Fregatten, 6 Corvetten u. 12 kleinern Fahrzeugen. Während so die Situation ein durchaus kriegerisches Ansehen genommen hatte, traf am 9. Juni das letzte russische Ultimatum ein, im Wesentlichen aus folgenden Forderungen bestehend: die Pforte verspreche die griechischen Christen u. die griechische Geistlichkeit des Reiches bei denjenigen Privilegien u. Immunitäten zu erhalten, welche sie von Alters her besessen, sowie diesen Christen u. der kaiserlichen Botschaft alle Rechte einzuräumen, welche den Christen anderer Confessionen u. den Gesandten anderer Souveräne zugestanden worden seien od. zugestanden werden würden; die Pforte verspreche ferner in den Angelegenheiten des Heiligen Grabes Alles im Statusquo zu lassen u. die Bekenner der griechischen Kirche bei den Privilegien u. Immunitäten zu belassen, welche sie von Alters her besessen; sie willige sodann ein, daß zu Jerusalem eine griechische Kirche u. ein griechisches Hospital für die russischen Pilger erbaut werde, welches unter dem russischen Generalconsulat für Syrien u. Palästina stehen werde; die Pforte mache sich endlich anheischig sofort die nöthigen Befehle zur Anfertigung des betreffenden Fermans zu erlassen. Nach Ablauf einer achttägigen Bedenkzeit werde Rußland im Falle der Weigerung die Grenzen überschreiten. Inzwischen hatte die Pforte durch einen unter dem 6. Juni erlassenen Ferman an die geistlichen Häupter aller christlichen Genossenschaften, nach Hinweis auf den bisher den verschiedenen Glaubensgenossen gewählten Schutz, denselben die Zusicherung ertheilt, daß alle noch vorhandenen Mißbräuche vollständig entfernt u. die besonderen geistlichen Privilegien der Kirchen u. Klöster, sowie ihrer Besitzungen, unverletzt erhalten werden sollten. Das russische Ultimatum wurde jedoch nach Berathung mit den europäischen Gesandten verworfen, u. am 20. Juni reiste der russische Gesandtschaftssecretär ab, wogegen der Kaiser von Rußland das Manifest von Peterhof am 26. Juni erließ, worin er seinen Entschluß verkündete die Donaufürstenthümer besetzen zu lassen; am 2. Juli begann die russische Armee, vorläufig 25,000 M., bald jedoch 50,000 M. stark, den Übergang über den Pruth; binnen sechs Tagen war die ganze Donau besetzt. In der russischen Circulardepesche vom 2. Juli wurde namentlich auch das Erscheinen der englisch-französischen Flotte in der Besikabai als Grund jener Besetzung angegeben. Die Pforte ihrerseits zog um Schumla im Corps von 95,000, bei Erzerum ein zweites von 80,000 M. zusammen, während der Vicekönig von Ägypten 20,000 M. mit 13 Linienschiffen in Alexandrien zur Überfahrt bereit hielt, von denen der eine Theil im Juli auch wirklich von Ägypten abging. Inzwischen war aber die angebotene österreichische Vermittelung angenommen worden. Freiherr von Bruck traf am 25. Juni als österreichischer Internuntius in Constantinopel ein u. fand von allen Seiten ein vertrauensvolles Entgegenkommen. Zugleich schickte Österreich ein Beobachtungscorps von 30,000 M. an die Grenze. In dem Ministerium riethen Mustapha u. Reschid Pascha, gegenüber der Kriegspartei im Ministerium, Mehemed Ali Pascha an der Spitze, beharrlich zum Frieden. Gegen die Besetzung der Donaufürstenthümer, in denen übrigens die russische Truppenmacht nur noch um beiläufig 20,000 M. vermehrt worden war, erließ die Pforte einen Protest vom 14. Juli. Mit der am 24. Juli erfolgten Eröffnung einer diplomatischen Conferenz zu Wien, bei welcher Frankreich, England, Österreich u. Preußen vertreten waren, schien endlich eine bestimmte Aussicht auf friedliche Beilegung der orientalischen Wirren gegeben zu sein. Die von da ausgegangenen Vorschläge kamen auf Folgendes hinaus: Die Pforte ziehe die vom Fürsten Mentschikow an sie gerichteten Vorstellungen sowie das innige Interesse, welches der russische Kaiser an der Aufrechthaltung der seiner Religion in den Staaten des Sultans zustehenden geistlichen Privilegien u. Immunitäten nimmt, in Erwägung u. erkläre, daß es eine Ehrensache für sie sei diese Rechte u. Privilegien für immer ungeschmälert zu erhalten; sie sei entschlossen den Buchstaben wie den Geist der beiden Verträge von Kutschuk-Kainardschi u. Adrianopel streng zu beobachten, um den Bekennern des Griechischen Glaubens dieselben Vortheile u. Begünstigungen zu gewähren, welche sie künftig den übrigen christlichen Confessionen ihres Reiches gewähren werde; zugleich würden dann feierlichst die die Heiligen Stätten betreffenden Fermans bestätigt u. erklärt, daß der daraus hervorgehende Statusquo für immer aufrecht erhalten, od. daß wenigstens keine Veränderung ohne vorgängige Zustimmung Englands u. Frankreichs damit vorgenommen werden solle; endlich verspreche die türkische Regierung die zur Erbauung der russischen Kirche, des Klosters u. Hospizes in Jerusalem, welche unter russischen Schutz gestellt werden sollen, nöthigen Befehle zu ertheilen. Der Kaiser von Rußland erklärte seine Zustimmung damit, u. so schien die Differenz endgültig geschlichtet. Nun aber erhob die Pforte unerwartet Widerspruch, indem sie zwar nicht den ganzen Entwurf verwarf, dennoch aber auf mehre dem Anschein nach allerdings wenig wesentliche Abänderungen drang, wodurch alle die Ausdrücke entfernt werden sollten, welche es in Zweifel stellen konnten, daß Rußland kein Recht zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten habe. Dabei wurden die Rüstungen in einer Großartigkeit fortgesetzt, wie sie Niemand dem anscheinend zerfallenden Staate zugetraut hätte. Geldmittel kamen auf unbegreifliche Weise zum Vorschein, die Donaulinie,[53] die Balkanpässe u. alle sonstigen wichtigen Pässe waren stark befestigt; von den 250,000 M., welche der Sultan aufstellte, standen 150,000 M. unter Omer Pascha an der Donau, 100,000 M. unter Abdi Pascha u. Rizat Pascha in Asien. Am 14. August langte auch die erste Division des ägyptischen Hülfsheeres, 12 Schiffe mit 610 Kanonen u. 7100 M., an, auch der Bey von Tunis stellte Hülfstruppen. Der Kaiser von Rußland verwarf die Modificationen der Pforte u. verlangte einfache Annahme des Wiener Entwurfes. Am 25. Sept. wurde behufs der letzten Entscheidung ein Diwan versammelt, bestehend aus den Ministern, dem hohen u. niedern Clerus, den höhern Civil- u. Militärbehörden, welcher sich einverstanden mit dem vom Ministerium bereits gefaßten Beschlüsse, auf keine weiteren Verhandlungen einzugehen, erklärte. Hierauf ertheilte der Sultan seine Sanction zu dem Beschlusse u. so wurde von der Pforte der Krieg an Rußland erklärt (s. Russisch-Türkischer Krieg S. 608). Omer Pascha, dessen Heer inzwischen auf 100,000 M. Infanterie mit 250 Kanonen u. 10 Regimenter Kavallerie angewachsen war, verlangte von dem russischen Oberbefehlshaber Gortschakow in den Donauprovinzen die Räumung der Fürstenthümer binnen 15 Tagen, u. als Gortschakow eine ablehnende Antwort gab, so begannen am 23. Oct. die Feindseligkeiten. Gleichzeitig waren auch die vereinigten englischen u. französischen Flotten aus der Besikabai in die Dardanellen eingelaufen u. hatten sich vor Galipoli vor Anker gelegt. Beim Einzug der Russen im Herbst 1853 in die Fürstenthümer dankten die von der Pforte ernannten Hospodare, Fürst Stirbey in der Moldau u. Fürst Ghika in der Walachei, ab u. übergaben die Regierung den beiden außerordentlichen Verwaltungsräthen zu Jassy u. Bucharest; jedoch setzte Kaiser Nikolaus eine gemeinschaftliche Verwaltung für beide Länder ein, welche er am 8. November dem Baron Budberg unter Oberleitung des befehlhabenden Generals Gortschakow anvertraute. Zur Bestreitung der laufenden Kriegskosten streckten England u. Frankreich (1854) jedes 10 Mill. Franken vor, welche aus der Einnahme einer zu London u. Paris nochmals versuchten Anleihe zurückbezahlt werden sollten; jedoch gelang es der türkischen Regierung erst 1855 mit Hülfe des Hauses Rothschild u. unter Bürgschaft Englands u. Frankreichs 125 Mill. Franken aufzubringen. Noch im December 1853 hatte der Sultan drei Hattischerifs in Bezug auf Serbien, die Moldau u. die Walachei unterzeichnet, worin das Protectorat Rußlands für aufgehoben erklärt, die Rechte u. Vorrechte dieser Länder aber vom Sultan von Neuem bestätigt wurden. Der Fürst von Serbien dankte unter dem 2. Febr. 1854 im Namen seines Landes für die Bestätigung der Freiheit, sprach jedoch auch den Wunsch, daß die russisch-türkischen Verträge von Bucharest, Akjerman u. Adrianopel aufrecht erhalten werden möchten, sowie den Entschluß Serbiens aus, seine vertragsmäßigen Beziehungen sowohl gegen Rußland, wie gegen die Türkei getreulich wahrzunehmen. Zur besseren Ausführung der Tansimat ordnete der Sultan am 7. September 1854 die Niedersetzung eines außerordentlichen Vollzugsrathes von sechs höheren Staatsbeamten an, welche die Gebrechen der Verwaltung, des Finanzwesens u. der Rechtspflege aufsuchen u. die zur Beförderung der Volkswohlfahrt erforderlichen Maßregeln vorschlagen sollten. Am 8. October 1854 wurde der Sklavenhandel überhaupt u. namentlich der Circassier im T-n R. untersagt. Am 17. Sept. 1854 löste der Sultan die Baschi-Bozuks (s.d.) auf, welche zu Anfange des Krieges freiwillig die Waffen ergriffen, aber bes. in Gegenden mit griechischer Bevölkerung Grausamkeiten u. Rohheiten aller Art begangen hatten. Wurden diese Bestrebungen der europäischen Civilisation Seitens der Regierung von der türkischen Bevölkerung, welche sich neben dem überwältigenden Eindruck fränkischer Machtentwickelung in der Hauptstadt u. in dem Herzen des Reiches in ihrem Nationalstolze gekränkt fühlte, auch nicht unterstützt, so gewannen sie doch das Vertrauen u. die Zuneigung der christlichen Unterthanen. Der Krieg an der Donau war unterdessen, während die Kriegsflotten der Engländer u. Franzosen bereits (2. November 1853) in den Bosporus eingelaufen waren u. die Westmächte eifrigst zum Kriege rüsteten, verhältnißmäßig glücklich geführt worden, aber die fortwährenden Niederlagen in Kleinasien, in Folge deren das türkische Heer mit großem Verluste schon am 1. December 1853 nach Kars flüchten mußte, u. die Vernichtung der türkischen Kriegsflotte im Hafen von Sinope durch den russischen Admiral Nachimow (30. November 1853), nöthigten den Sultan am 6. December den bewaffneten Schutz der englischen u. französischen Kriegsschiffe in Anspruch zu nehmen. Unter diesen Umständen konnte die türkische Regierung bei den diplomatischen Verhandlungen, welche zwischen Frankreich, England, Österreich u. Preußen einerseits u. Rußland andererseits noch geführt wurden, sich nur an die Schutzmächte anlehnen. Am 4. Jan. 1854 war die westmächtliche Flotte ins Schwarze Meer eingelaufen, um die Thätigkeit der russischen Kriegsschiffe gegen die Türkei zu hindern. Die Hülfe schien um so nöthiger, als auch vom Königreich Griechenland aus ein Aufstand in den zunächst gelegenen türkischen Provinzen angestiftet wurde. Die Griechen hielten die Zeit, wo die Westmächte mit Rußland beschäftigt sein würden, für günstig, um sich auf Kosten der Türkei zu vergrößern od. wo möglich ein Byzantinisches Kaiserreich wiederherzustellen. Schon am 27. Januar 1854 erfolgte die Erhebung einiger griechisch-albanesischer Districte in Epirus, im Februar der Aufstand der Griechen in Thessalien. Die Vorstellungen des türkischen Gesandten in Athen gegen den von Griechenland aus den Aufständischen offen geleisteten Beistand blieben fruchtlos (s. Griechenland S. 616 f.). Nach der Kriegserklärung von Seiten Frankreichs u. Englands gegen Rußland, 28. März 1854 (s.u. Russisch-Türkischer Krieg S. 610) langten am 31. März 1854 die ersten französischen Hülfstruppen in Galipoli an, nachdem am 12. März zwischen England, Frankreich u. der Pforte ein Vertrag abgeschlossen worden war, wonach Frankreich u. England sich verpflichteten die Türkei mit Waffengewalt bis zum Abschluß eines die Unabhängigkeit des T-n R-s u. die vollen Rechte des Sultans sichernden Friedens zu unterstützen, auch sofort nach dem Friedensschluß alle während des Krieges von ihren Truppen besetzten Gebietstheile der Türkei zu räumen; die Pforte ihrerseits, ohne die Zustimmung der beiden Schutzmächte keinen Waffenstillstand od. Frieden zu schließen. Am 14. April landeten die ersten englischen Hülfstruppen in Constantinopel.[54] Zugleich drangen die Gesandten der dem Sultan befreundeten vier Großmächte in die griechische Regierung keine Veranlassung zu begründeten Beschwerden weiter zu geben, worauf nach wiederholten vergeblichen Warnungen der griechische Gesandte in Constantinopel seine Pässe erhielt, die Griechen aus dem T-n R. ausgewiesen wurden 28. März), die Westmächte (am 18. Mai) die griechischen Küsten in Blockadezustand erklärten u. englisch-französische Truppen den Piräus besetzten (25. Mai), um die griechische Regierung an der Unterstützung des Ausstandes in Epirus u. Thessalien zu hindern. Dieser wurde dann von den Türken selbst leicht unterdrückt u. die Erstürmung des verschanzten Lagers der Griechen bei Kalabaka in Thessalien (18. Juni) durch Abdi Pascha u. Fuad Effendi stellte die Ruhe vollständig wieder her. Um drohenden Bewegungen der slawischen Völkerschaften im Norden der Türkei zu Gunsten Rußlands vorzubeugen, war die türkische Regierung mit Österreich in nähere Verbindung getreten, so daß sie am 27. Mai dem serbischen Fürsten den Einmarsch österreichischer Truppen in Montenegro u. Albanien für den Fall anzeigen konnte, daß die russische Partei einen Aufstand versuchen würde, u. Österreich hatte mit Preußen u. dem Deutschen Bunde Verträge geschlossen u. am 3. Juni eine Aufforderung an Rußland ergehen lassen die Donaufürstenthümer zu räumen. Während die russische Regierung hierin nachgab, kam eine Übereinkunft zwischen Österreich u. der Türkei zur Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes in den Donaufürstenthümern, nach der Räumung durch die Russen, zu Stande, wonach die Moldau u. Walachei bis zur Ausführung eines Friedensvertrages zwischen Rußland u. der Türkei durch österreichische Truppen besetzt werden sollten. Im August 1854 waren die Fürstenthümer von den Russen geräumt u. von den Österreichern besetzt, worauf von türkischen Regierungscommissarien die früheren Verwaltungen wiederhergestellt wurden, auch die Hospodare Stirbey u. Ghika die Regierung wieder übernahmen. Der Streit mit Griechenland wurde unter Vermittlung der Westmächte beigelegt. Griechenland mußte sich verpflichten kräftige Maßregeln zur Verhinderung der Räubereien an der türkischen Grenze zu ergreifen u. Bürgschaften gegen Wiederkehr ähnlicher Vorgänge übernehmen. Das Ministerium vom 13. Mai 1853 war, weil der Großvezier Mustapha sich weder den Westmächten noch den Russen zuneigte, am 27. Mai 1854 aufgelöst worden; Mehemet Köprili Pascha wurde Großvezier; Reschid Pascha blieb Minister des Äußeren; die bedeutendsten unter den übrigen Ministern waren der Kriegsminister Riza-Pascha, der Seeminister u. Schwager des Sultans Halil Pascha, der Polizeiminister Arif Pascha u. Aali Pascha. Schon am 23. November 1854 erhielt jedoch Mehemet Köprili eine andere Stellung; der Sultan erhob Reschid Pascha zum Großvezier u. übertrug das Ministerium des Äußeren an Aali.

Nachdem die westmächtlichen Truppen Anfang September den Feldzug in der Krim (s. Russisch-Türkischer Krieg S. 612) begonnen u. die Österreicher die Fürstenthümer besetzt hatten, wurden die türkischen Truppen im December 1854 nach der Krim übergeschifft, um Eupatoria zu besetzen. Ein Versuch der Russen diesen befestigten Platz zu nehmen wurde am 17. Februar 1855 von den Türken zurückgewiesen. Ebenso gelang es den türkischen Truppen unter Elim Pascha in Asien vor dem Dorfe Derban die aufständischen Kurden (9. Febr. 1855) zu schlagen, worauf sie siegreich in Dschesireh einrückten. An den in Wien am 15. März eröffneten Friedensconferenzen nahmen auch zwei Abgeordnete der türkischen Regierung Theil u. erlangten dabei die ausdrückliche Anerkennung der Integrität der Türkei von Seiten der Vertreter der fünf Großmächte. Allein bei der Fortsetzung des Krieges waren die türkischen Waffen nicht glücklich. In der Krim war den türkischen Truppen unter Omer Pascha ein sehr untergeordneter Platz angewiesen worden, tiefer, als der der sardinischen Hülfstruppen, welche unterdessen in Folge eines Bündnisses mit den Westmächten u. eines Vertrages mit der Türkei zur Theilnahme an dem Kriege in der Krim gelandet waren. In Asien waren die beiden türkischen Heere, welche der Sultan den Russen entgegengestellt hatte, in vollständiger Auflösung begriffen, die Festung Kars von Murawiew eingeschlossen u. dem Falle nahe. Nach dem Falle von Sebastopol (s.u. Russisch-Türkischer Krieg S. 619) marschirte Omer Pascha, um im Rücken des in Kleinasien beschäftigten russischen Heeres Transkaukasien anzugreifen u. so den General Murawiew zu zwingen die Belagerung von Kars aufzugeben, auf Kutaïs los u. erzwang den Übergang über den Ingur (in Mingrelien); allein der Einfall der Türken in ein wesentlich christliches Land entfesselte den Religionshaß, u. als am 23. Novbr. Kars in die Hände der Russen fiel u. die ganze Besatzung in Gefangenschaft gerieth, trat Omer Pascha den Rückzug an, wobei der größte Theil seiner Truppen aufgerieben wurde. Unterdessen hatte Österreich im November 1855 mit den Westmächten die Friedensbedingungen festgestellt, welche es als letztes Wort seinerseits der russischen Regierung vorlegen wollte; dieselben waren, bevor sie nach Petersburg Übermacht wurden, von der türkischen Regierung genehmigt worden. Außerdem hatten aber Frankreich, England u. Österreich beschlossen noch vor Abschluß des Friedens eine Vereinbarung mit dem Sultan über die Verhältnisse der Christen in der Türkei zu Stande zu bringen. In Folge dessen erließ der Sultan bereits am 18. Febr. 1856 einen Hattischerif (Hatti-Humajum) zur Befestigung u. Erweiterung des Hattischerifs von Gülhanie u. der darauf bezüglichen Verwaltungsgesetze (Tansimat), dessen Ausführung eine neue Ordnung der Dinge begründen sollte. Die hauptsächlichsten Punkte waren: Gleicher Genuß der Rechte ohne Unterschied des Standes od. der Religion, Sicherheit u. Schutz der Person, des Eigenthums, der Ehre; Aufrechthaltung u. Bestätigung aller der den christlichen u. nichtmuhammedanischen Gemeinden seit alter Zeit od. später gewährten geistlichen Freiheiten u. Rechten; Erhaltung des kirchlichen Vermögens in seinem Bestände, aber Verwaltung durch Geistliche u. Laien; feste Besoldüng der Geistlichen mit Wegfall ihrer bisherigen Einnahmen; Recht eigene Kirchen, Schulen, Hospitäler, Kirchhöfe zu haben u. dieselben nach dem ursprünglichen Bauriß wieder aufzubauen; volle Freiheit in der Ausübung jedes Glaubensbekenntnisses; Aufhebung alles dessen, was in der Verwaltung u. Rechtspflege für die Rajahs verletzend sein kann; Zulassung der Rajahs zu Staatsämtern ohne Unterschied der Religion; gleiche Theilnahme[55] am Genuß des öffentlichen Unterrichtes; Recht jeder Gemeinde Unterrichtsanstalten zu errichten; Verhandlung der Gegenstände des Handels, der Polizei u. des Strafrechts, wobei Muhammedaner u. Rajahs betheiligt sind, öffentlich u. mündlich vor gemischten Gerichten; Zulassung jedes Eides u. von Zeugen jedes Glaubens; öffentliche Verhandlung von Civilsachen vor gemischten Provinzialräthen in Gegenwart des Regierungspräsidenten u. Richters im Orte (jedoch können Processe in Erbschafts- u. anderen dergleichen Angelegenheiten von Christen derselben Religion auch beim Patriarchen od. dem Gemeinderath anhängig gemacht werden); baldige Ausarbeitung von Gesetzbüchern über Verbrechen u. Strafen, Handelsangelegenheiten u. Gerichtsverfahren u. Veröffentlichung derselben in allen Sprachen des Reiches; Verbesserung des Gefängnißwesens u. der Strafanstalten, sowie der Polizei; Gleichheit der Besteuerung, gleiche Verpflichtung zum Kriegsdienst, jedoch mit Loskauf u. Stellvertretung; Fremden wird das Recht eingeräumt Grundeigenthum zu erwerben mit gleichen Verpflichtungen, wie die der Eingeborenen, u. nach mit den fremden Mächten getroffenem Übereinkommen; Aufhebung der Staatseinnahmenverpachtung, allmälige Einführung unmittelbarer Steuererhebung; Festsetzung der Gemeindeabgaben nach billigem Verhältniß ohne Gefährdung der Arbeit; Verbesserung der Verkehrswege u. Verkehrsmittel; jährliche Festsetzung u. Veröffentlichung der Staatseinnahmen u. Ausgaben; Berufung von Notablen (auch christlichen) aus allen Theilen des Reiches zur Theilnahme an den Berathungen über allgemeinwichtige Angelegenheiten im Verein mit dem Diwan (Staatsrath); den dazu von der Regierung berufenen Mitgliedern, deren Wirksamkeit auf ein Jahr beschränkt ist, wird vollkommene Redefreiheit zugesichert; Gründung von Banken u. Geldgeschäftsanstalten zur Hebung des Handels, Ackerbaues, Gewerbfleißes u. zur Verbesserung des Münz- u. Finanzwesens; Wissenschaft, Kunst u. Geldkräfte Europas sollen möglichst benutzt werden, um alle diese Zwecke zu erreichen. Das Recht mit Glocken zum Gottesdienst zu läuten u. neue Kirchen zu bauen wurde den Christen nicht eingeräumt; gleichwohl genehmigte die türkische Regierung seit dem Frühjahr 1856 nicht nur alle Gesuche den Bau neuer Kirchen betreffend, sondern gestattete auch den Griechen in Constantinopel, aber nur als besondere Gnade, den Gebrauch der Glocken. Überhaupt stieß die Ausführung des Verfassungsgesetzes auf lebhaften Widerstand von Seiten der Türken, wie der Christen. Im Laufe des Jahres 1855 waren auch mehre Veränderungen im Ministerium vorgegangen: Aali Pascha wurde Großvezier (2. Juli), Fuad Pascha Minister des Äußeren (Mai), Mehemed Ruschdi Pascha Kriegsminister (2. Juni). Nachdem Rußland die Vorschläge Österreichs u. der Westmächte genehmigt hatte, nahm der Großvezier u. der türkische Gesandte zu Paris an den am 25. Febr. 1856 zu Paris eröffneten Friedensconferenzen Theil u. am 30. März wurde der Pariser Friede abgeschlossen, dessen Bedingungen s.u. Russisch-Türkischer Krieg S. 621 ff.

Unruhige Bewegungen in Arabien, welche seit mehren Jahren dahin gingen, die heiligen Städte Mekka u. Medina von der Botmäßigkeit der Türken zu befreien, wurden unterdrückt. Der Großscherif Emir Abdel Mutaleb, welcher in Mekka unter Oberhoheit der Pforte u. zunächst unter dem turkischen Statthalter daselbst stand, entfloh 1855 nach Taïf, um von da aus desto ungestörter seine Landsleute aufzuwiegeln. Der Aufstand brach aus, als in Folge des Verbotes des Sklavenhandels die Sklavenmärkte geschlossen wurden, u. die türkische Besatzung zog sich in die Festung Mekka, zurück. Der Sultan setzte den Großscherif ab u. ernannte den Emir Ibn-Anu dazu; als er am 17. April 1856 in Mekka einzog, war die Ruhe vollständig wieder hergestellt. Die von der Pforte am 16. Juni 1849 auf sieben Jahre ernannten Hospodare der Moldau u. Walachei zeigten dem französischen Einflüsse gegenüber, welcher die Vereinigung derselben unter einem Bonaparte betrieb, einen zu großen Mangel an Selbständigkeit, so daß der Sultan bis zur endgültigen Regelung der Verfassungsverhältnisse durch die europäische Commission für diese Fürstenthümer zwei türkische Regierungscommissäre (Kaimakams) ernannte, am 7. Juli den Fürsten Alex. Den. Ghika für die Walachei u. am 17. Juli Theodoritza Balsch für die Moldau. Im Laufe des Monats August war die Räumung der Türkei von Seiten der englischen u. französischen Hülfstruppen vollendet worden; allein die englische Kriegsflotte blieb im Schwarzen Meere u. die österreichische Besatzung in den Donaufürstenthümern bis zur vollständigen Ausführung des Pariser Friedensvertrages, welche in Bezug auf die vertragsmäßige Abtretung russischen Gebietes auf Schwierigkeiten stieß. Bei der Krönung des Kaisers Alexander II. zu Moskau am 7. September ließ sich der Sultan durch seinen außerordentlichen Gesandten Mehemed Köprili vertreten. Mit der niederländischen Regierung schloß die Pforte im März 1857 einen auf vollständige Gegenseitigkeit gegründeten Handelsvertrag. Die inneren Verhältnisse waren nicht erfreulich. Die bemittelte nichtarbeitende Klasse der Osmanli zeigte sich als durchaus ungeeignet im Geiste europäischer Civilisation vorzuschreiben, geeigneter dazu die türkischen Kaufleute u. Handwerker, welche jedoch kaum den fünften Theil der türkischen Bevölkerung bilden. Freilich erschwerten auch die Christen, namentlich die Slawen, die Ausführung des Hat durch Forderungen, deren letztes Ziel nichts Geringeres als vollständige Unabhängigkeit zu sein schien, u. welche der türkischen Reaction in die Hände arbeiteten. Im Januar 1857 wurde durch Vermittelung eines englischen Agenten eine neue Anleihe im Betrage von 300 Millionen Piastern abgeschlossen. Neben der Durchsuchung der Landenge von Suez (s.d.), deren Ausführung von Seiten Englands Widerstand zu finden schien, tauchten mehre Eisenbahnprojecte auf; den Bau der Bahn von Smyrna nach Aïdin übernahm eine englische Gesellschaft, u. die Arbeiten sollten im Frühjahr 1857 beginnen. Der englische Generalmajor Chesney erhielt die Bewilligung zu der sogenannten Euphratbahn (s.d.), welche von Seleucia nach Dschaber-Kaliffi führen u. den Verkehr vom Mittelmeere nach dem Persischen Meerbusen u. von da nach Ostindien vermitteln soll; der Engländer Lionel Gisborn ein Privileg zur Errichtung eines elektrischen Telegraphen von den Dardanellen an längs der Euphratbahn nach dem Persischen Meerbusen. Die Begünstigung der Einwanderung, um den Ackerbau zu heben, schien nicht ohne Erfolg zu bleiben; im [56] April 1857 schifften sich in Constantinopel 150 Polen nach Thessalien ein, um sich auf den dortigen Gütern Reschid-Paschas niederzulassen. Dem Bedürfniß größerer öffentlicher Sicherheit sollte durch Errichtung von Reichsgendarmerie genügt werden; die Ausführung beschränkte sich aber im Jahr 1856 auf zwei Gendarmeriebataillone in der Hauptstadt, nachdem die von den Franzosen daselbst gebildete Gendarmerie mit den französischen Truppen die Türkei verlassen hatten. Am 28. Novbr. trat in Folge der Schwierigkeit der politischen Verhältnisse eine neue Ministerveränderung ein; Reschid wurde von Neuem Großvezier u. Ethem Minister des Äußeren. Um die Schwierigkeiten zu heben, welche die zur Feststellung der neuen Grenze zwischen Rußland u. der Türkei an Ort u. Stelle gesandte europäische Commission bei Ausführung des Friedensvertrages gesunden hatte, trat eine Konferenz von Bevollmächtigten der beim Pariser Kongreß versammelt gewesenen Mächte in Paris zusammen u. beschloß am 6. Jan. 1857, daß die neue russisch türkische Grenze längs dem Trajanswall, indem sie die Städte Belgrad u. Tabak der Moldau zutheilte, bis zum Flusse Jalpuk sich erstrecken, u. daß Rußland auf dem rechten Ufer dieses Stromes die Stadt Komrat mit einem Gebiete von etwa 7 Quadratmeilen behalten sollte; daß ferner die im Westen der neuen Grenzscheide gelegenen Gebiete der Moldau zugetheilt werden, mit Ausnahme des Donaudeltas u. der Schlangeninsel, welche unmittelbar an die Türkei zurückfallen sollten. Es wurde außerdem festgesetzt, daß spätestens am 30. März die Grenzregelung bewerkstelligt sein sollte, u. daß bis zu dieser Zeit die österreichischen Truppen die Donaufürstenthümer u. die britische Flotte die inneren Gewässer der Türkei zu räumen hätten. Die aus Bevollmächtigten der Vertragsmächte zur Regelung der Verhältnisse der Moldau u. Walachei gebildete Commission, deren Mitglieder sich bereits in Constantinopel befanden, sollte sich sodann zu Anfang Aprils in die Fürstenthümer begeben, um sich ihrer Aufgabe zu entledigen u. nach Beendigung ihrer Arbeiten darüber derjenigen Konferenz zu berichten, welche nach Art. 25 des Pariser Friedensvertrages durch eine Übereinkunft, welche zwischen den Vertragsbetheiligten über die Organisation der Fürstenthümer vereinbarte schließliche Verständigung bestätigen sollte. Diese Bestimmungen kamen zur Ausführung. Im März 1857 starb der Kaimakam der Moldau Balsch; der Sultan ernannte an seiner Stelle einen Fanarioten, Vogorides. Nachdem auch die türkischen Truppen die Fürstenthümer verlassen hatten, ließ die türkische Regierung durch ihren Kommissär Kabeli Effendi die Einberufung der beiden Specialrathsversammlungen (Diwans ad hoc) anordnen, welche die Wünsche der rumänischen Bevölkerung der europäischen Commission mittheilen sollten. Es handelte sich dabei hauptsächlich um die Vereinigung der beiden Fürstenthümer, welche von Seiten der französischen Regierung offen befürwortet u. betrieben wurde, dabei von Rußland u. Sardinien unterstützt; während nunmehr nicht blos Österreich u. die Türkei, sondern auch England der Vereinigung entgegentraten. Unter solchen Umständen fanden die Wahlen der Abgeordneten zu den Diwans im Juli in den Fürstenthümern statt, im Ganzen gegen die Vereinigung ausfallend, zum Theil bei großer Aufregung wohl ordnungswidrig. Auch Preußen hatte diese Überzeugung gewonnen. Die Gesandten von Frankreich, Rußland, Preußen u. Sardinien forderten hierauf die türkische Regierung auf diese Wahlen für ungültig zu erklären, was diese auch nach einer zwischen den französischen, englischen u. österreichischen Regierungen eingetretenen Verständigung zuletzt that. Es wurden daher neue Wahlen angeordnet, s.u. Walachei. In den inneren Angelegenheiten wurde mit dem besten Willen fortgeschritten. Da die türkische Polizei zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit bes. in der Hauptstadt wegen Anwesenheit vieler unter dem Schütze der Gesandtschaften stehenden fremden Abenteurer nicht ausreichte, so wurden von türkischen Beamten u. den europäischen Gesandten Konferenzen abgehalten, um gemeinschaftlich die Wirksamkeit polizeilicher Maßregeln zu fördern. Auch in den Provinzen machte sich eine bessere Polizeiverwaltung bemerklich. Die Thätigkeit des zur Vollziehung der Tansimat niedergesetzten Rathes offenbarte sich in der Bekanntmachung einer neuen Gerichtsordnung, welche das Civilrecht, die Handels-, Kriminal- u. Verwaltungsgesetzgebung umfaßte. Am 23. Mai wurde der elektrische Telegraph zwischen Adrianopel u. Philippopel dem Betriebe übergeben, welcher aber nur in Türkischer Sprache abgefaßte Depeschen befördert.

Ministerwechsel, wie sie in Constantinopel an der Tagesordnung sind, welche aber fast nie eine durchgreifende Systemänderung bedeuten, kamen auch im Jahre 1857 mehrfach vor; im März wurde Sami Pascha zum Unterrichts-, Achmet Vasik Effendi zum, Justizminister ernannt; im Mai übernahm Ali Ghalib Pascha an Stelle Ethem Paschas das Ministerium des Äußeren. Allein schon Ende Juli trat wieder eine vollständige Umgestaltung ein: Mustapha Pascha wurde zum Großvezier, Raschid Pascha, der bisherige Großvezier, zum Tansimatpräsidenten, Aali Pascha zum Minister des Äußeren, Ali Ghalib zum Minister der frommen Stiftungen ernannt. Im October aber trat Raschid Pascha wieder als Großvezier ein, Riza Pascha wurde Kriegsminister, Aali Pascha blieb als Minister des Äußeren. Die neuen Wahlen in den Donanfürstenthümern fielen im Sinne der Unionspartei aus. Der Diwan der Moldau wurde am 4. Oct. 1857 eröffnet u. nahm einen Antrag an, welcher folgende fünf Punkte als allgemeine Wünsche zusammenfaßte: Aufrechterhaltung der Rechte der Fürstenthümer u. bes. des Rechts der Autonomie innerhalb der Grenzen der mit der Pforte abgeschlossenen Capitulationen; Vereinigung, der Fürstenthümer in einen einzigen Staat unter dem Namen Rumänien; ein fremder erblicher Fürst aus einer europäischen Herrscherfamilie; Neutralität des Gebietes der Fürstenthümer; die gesetzgebende Gewalt in den Händen einer gewählten Versammlung, in welcher alle Interessen der Nation vertreten sind. Alles unter Garantie der Mächte, welche den Pariser Friedensvertrag gezeichnet hatten. In ganz gleicher Weise sprach sich der am 11. Oct. zusammengetretene Diwan der Walachei aus. Aali Pascha protestirte in einer Circulardepesche vom 23. Sept. 1857 gegen das Vereinigungsproject, ohne jedoch jeden Gedanken an eine Annäherung der Gesetzgebung zurückzuweisen, welche sich mit den Rechten des Sultans u. der Aufrechterhaltung der politischen Trennung der beiden Provinzen vereinigen lasse. Ein noch schärferes Circular[57] folgte unterm 28. Oct.; beide Depeschen erhielten von den Großmächten die deren verschiedenen Auffassungen entsprechenden Antworten, s.u. Walachei u. Moldau. Mit dem Schluß des Jahres 1857 wurden die Diwans durch großherrlichen Ferman aufgelöst. Seit Juni 1857 brach die Gährung in Bosnien u. der Herzegowina wieder in neuen Unruhen aus; sie hatten jedoch weniger einen politischen Charakter, sondern waren vielmehr gegen die Bedrückungen der Grundherren u. gegen die Übergriffe der türkischen Beys gegenüber den Christen gerichtet. Da Verhandlungen mit dem Gouverneur der Provinz ohne Erfolg blieben, schickten die Christen einen Deputirten an den Fürsten Kallimachi, türkischen Gesandten in Wien, um demselben eine an den Sultan gerichtete Petition zu übergeben. Inmittelst aber hatten Excesse der Baschi-Bozuks in der Herzegowina die Unzufriedenheit noch mehr angefacht u. die Gegend zwischen Mostar u. der montenegrinischen Grenze war in vollem Aufstand. Fürst Danilo von Montenegro wurde von den Türken beschuldigt den Aufstand zu unterstützen, u. sowohl zu Land als zu Wasser wurden Truppen abgeschickt, welche sich mehr u. mehr der montenegrinischen Grenze näherten. Als die Türken einen montenegrinischen Priester Namens Radocay verrätherischer Weise ermordet hatten, kam der Kampf zum Ausbruch; ein Corps von 800 Mann unter Führung von Ino Radonitsch rückte gegen Zupci vor, überraschte die Türken u. trieb sie bis zur Citadelle von Trebinje zurück; doch kehrten auch die Montenegriner wieder nach ihrem Gebiete um. Der Anschluß der Dörfer Djurmani u. Missic an Montenegro wurde von dem Senator Turo Plamenaz dazu benutzt, um sich mit 500 Montenegrinern in Spizza festzusetzen, aber der Anmarsch von 3000 Türken nöthigte sie der Übermacht zu weichen. Neue Feindseligkeiten rief dann der Einmarsch der Türken in das Gebiet von Grahowo hervor, welcher Ort zwar auf türkischem Grund u. Boden liegt, aber unter dem Protectorat von Montenegro steht. Die Montenegriner griffen die Türken am 11. Mai 1858 unvermuthet an u. brachten ihnen nach hartnäckigem Kampfe eine vollständige Niederlage bei. Die Türken zogen sich nach Trebinje zurück, um die über Klek gesandten Verstärkungen abzuwarten. Inmittelst hatten die Großmächte beider Parteien die ernstlichsten Vorstellungen für Erhaltung des Friedens gemacht; obwohl sie je nach ihrem Interesse eine verschiedene Stellung einnahmen, unterstützte doch keine das türkische Ansinnen, daß Fürst Danilo die Oberherrschaft der Pforte anerkennen solle, vielmehr bemühten sie sich gemeinsam die Pforte von weiteren Angriffen abzuhalten. Man kam überein, die türkisch-montenegrinische Sache durch eine von den Großmächten zu ernennende Commission auf der Grundlage des Status quo von 1856 schlechthin zu lassen, u. am 14. Mai ertheilte die Pforte an Hussein-Pascha, den Anführer der türkischen Truppen, den Befehl sich weiterer Feindseligkeiten zu enthalten, nachdem am 13. die Montenegriner sich noch eines türkischen Transports bemächtigt u. mehre Dörfer geplündert hatten. Doch fuhr die Pforte fort Truppen nach der Herzegowina zu schicken, u. zwar auf dem ihr von Österreich gestatteten Weg über Ragusa. Die Christen der Herzegowina riefen die Vermittlung der Consuln Frankreichs u. Englands an u. erklärten auf deren Zureden ihre Unterwerfung (14. Juli 1858), indem sie zugleich ihre sehr mäßigen Forderungen formulirten. Kemal-Effendi wurde hierauf von der Pforte befehligt die angesammelten Truppen zu entfernen.

Noch vor Beendigung dieser Unruhen war auf der Insel Candia ein anderer Aufstand ausgebrochen; am 16. Mai 1858 hatte eine Schaar von etwa 1000 Griechen nahe bei der Hauptstadt Canea eine feste Stellung eingenommen u. erklärten, sie wollten zwar keinen Act des Angriffes vornehmen u. des Sultans treue Unterthanen bleiben, aber sie verweigerten die Zahlung der ihnen auferlegten neuen Steuern, bes. der Conscriptionssteuer, welche sogar für 3 Jahre rückwärts entrichtet werden sollte. Der Gouverneur Vely Pascha langte bald mit 700 M. Linientruppen von Candia an; Anfangs gebrauchte er keine Gewalt, als er jedoch allen Muselmanen Befehl ertheilte vom Lande zur Stadt zu kommen, stieg die Aufregung u. die Zahl der Aufständischen wuchs auf mehr als 6000 an. Sie überreichten dem Pascha u. sämmtlichen Consuln, mit Ausnahme des englischen, eine Beschwerdenschrift. Inmittelst hatte die Pforte zwei außerordentliche Commissare, den Admiral Achmet u. Rhamsi-Effendi, nach der Insel geschickt, welche auf alle Forderungen der Christen eingingen u. darüber nach Constantinopel berichteten. Während die Rückantwort von dort erwartet wurde, gab die Ermordung eines Türken durch einen jungen Griechen (2. Juli 1858) der muselmanischen Bevölkerung Anlaß zu offenen Gewaltthaten. Die bewaffneten Türken erzwangen unter Drohungen von den Commissaren, daß der Grieche gehängt wurde, u. schleiften dann seinen Leichnam durch die Straßen von Canea. Auf die Nachricht hiervon sammelten sich die Christen auf dem Lande wieder, auch in Candia u. Retimo brachen Unruhen aus. Inmittelst aber überbrachte Sami-Pascha, welcher an Velys Stelle zum Gouverneur ernannt worden war, die Entscheidung der Pforte, welche den Forderungen der Christen günstig war. Es wurde Allen, welche die Waffen ergriffen hatten, Amnestie verwilligt, die Aufrechterhaltung des Hatti-Humayum in Bezug auf freie Religionsübung in allen Punkten zugesichert, hinsichtlich der Steuern, der Wahl der Bezirksvorstände u. der Beschränkung der türkischen Richter bezüglich der christlichen Unmündigen den Wünschen der christlichen Bevölkerung entsprochen. Ende Juli kehrte dieselbe friedlich zu ihren Wohnungen zurück. In der Umgebung von Mekka hatte die Verkündigung der Aufhebung des Sklavenhandels eine aufständische Bewegung hervorgerufen, in Folge deren der Groß-Scherif Mutalab durch seinen Vorgänger, Ibn-Arun, ersetzt worden war. Mit dem muselmanischen Fanatismus vereinigte sich in jenen Gegenden die Rivalität der arabischen Schiffer u. Kaufleute mit einer als bevorstehend angekündigten Dampfschiffverbindung im Rothen Meere u. mit den neuerdings namentlich in Dscheddah angesiedelten europäischen Handelshäusern. Am Abend des 15. Juni 1858 wurde plötzlich das englische Consulat in Dscheddah von einem Volkshaufen gestürmt, der Consul Page ermordet u. das Haus geplündert. Gleiches Schicksal hatte das französische Consulat, wo der Consul Eveillard gleichfalls ermordet wurde. Alle Christen, welche sie erlangen konnten, wurden von den Wüthenden ermordet, nur wenige retteten sich an Bord des englischen Kriegsschiffes Cyclops, welches[58] vor Dscheddah lag u. hierdurch erst von den Vorgängen in der Stadt Kenntniß erhielt. Erst am 19. Juni stellte der Gouverneur Namik-Pascha, welcher während des Blutbades gerade in Mekka gewesen war, die Ruhe wieder her. Auf die Nachricht von diesen Vorfällen schickte die Pforte sofort Ismail Pascha mit den gemessensten Befehlen nach Dscheddah, die Rädelsführer des Aufstandes zu verhaften u. mit dem Tode zu bestrafen; Entschädigung für alle durch den Aufstand verursachten Verluste wurde zugesichert u. ein französischer u. englischer Commissar sollte sich an Ort u. Stelle begeben, um die Ausführung aller dieser Maßregeln zu bewachen. Noch bevor aber Ismail Pascha in Dscheddah ankam, hatte der Cyclops, welcher die Geretteten nach Suez gebracht hatte, auf Befehl der englischen Regierung sich wieder vor Dscheddah begeben u. der Capitän verlangte sofortige Hinrichtung der Rädelsführer. Als Namik Pascha sich dagegen darauf berief, daß ihm als Gouverneur das Recht über Leben u. Tod nicht zustehe, begann der Cyclops am 25. u. 26. Juli die Stadt zu bombardiren, bis Ismail Pascha mit dem großherrlichen Ferman ankam, auf Grund dessen elf Personen hingerichtet wurden. In Serbien war die Regierung des Fürsten Alexander sehr unbeliebt geworden, namentlich weil er alle einträgliche Stellen an Glieder der Familie seiner Gemahlin, den Nenadowitschs, verlieh u. sich ganz von dem österreichischen Generalconsul leiten ließ. Am 9. Oct. 1857 wurde ein Complot gegen das Leben des Fürsten entdeckt, bei welchem mehre Mitglieder u. selbst der Präsident des Senates betheiligt waren. Sie wurden verhaftet u. die Mehrzahl der nicht verhafteten Senatoren gezwungen ihre Entlassung zu nehmen. Doch untersagte ein Befehl der Pforte die Ausführung des Todesurtheils gegen die Verschwörer, u. unter dem Einfluß von Ethem Pascha, welcher als außerordentlicher Commissar nach Belgrad geschickt ward, wurde ihre Strafe in Verbannung verwandelt. Die nationale Partei näherte sich hierauf wieder den Anhängern des Fürsten, Garaschanin übernahm das Ministerium des Innern, Voutschitsch den Vorsitz des Senats. Ein neues Gesetz regelte die Beziehungen des Fürsten zum Senat u. erweiterte des Letzteren Befugnisse. Die Pforte ertheilte demselben trotz des Abrathens Österreichs ihre Zustimmung. Doch gaben Streitigkeiten über den Aufenthalt der Türken in Serbien u. ein Attentat auf den britischen Konsul Anlaß zu neuen Verordnungen, welche das Ministerium im Einverständniß mit dem Senat zu Einberufung einer Nationalversammlung (Skuptschina) bewogen, welche am 30. Nov. (12. Dec.) 1858 eröffnet wurde (s. Serbien). Schon am 7. Nov. 1857 war in Wien die Acte zur Regelung der Donauschifffahrt von den Bevollmächtigten der Uferstaaten unterzeichnet u. am 9. Jan. 1858 ratificirt worden. Doch erregte die Bestimmung desselben, nach welcher die Schifffahrt an den Ufern des Flusses nur den Angehörigen der Uferstaaten vorbehalten bleiben sollte, den Widerspruch der Westmächte. Österreich hielt aber deren Einwendungen gegenüber die Ansicht fest, daß dieser Vertrag unabhängig von der Pariser Konferenz sei, während die türkische Regierung für dieselbe nicht blos das Recht, sondern auch die Pflicht einer Prüfung der Schifffahrtsacte in Anspruch nahm u. sich bereit erklärte etwaige Vorschläge zu berücksichtigen. Die Schlußacte über die Feststellung der Grenze zwischen Rußland u. der Türkei in Asien wurde am 5. Dec. 1857 unterzeichnet. Die Besetzung der Insel Perim (s.d.) durch die Engländer rief einen Protest der Pforte hervor; doch wurde die Angelegenheit beigelegt, Perim blieb Freihafen. Am 22. Mai 1858 trat in Paris die beschlossene Konferenz zur Regelung der Organisation der Donaufürstenthümer zusammen; die Pforte war hierbei durch Fuad-Pascha vertreten. Am 19. Aug. wurde der Staatsvertrag unterzeichnet u. am 2. Oct. ratificirt, nach welchem Moldau u. Walachei unter der Benennung Vereinigte Fürstenthümer der Moldau u. der Walachei unter der Oberhoheit des Sultans bleiben u. sich frei verwalten, die öffentlichen Gewalten in jedem Fürstenthum einem Hospodar u. einer aus Wahlen hervorgegangenen Versammlung unter Mitwirkung einer beiden Fürstenthümern gemeinschaftlichen Centralcommission anvertraut werden sollen. Weitere Bestimmungen waren: Tributpflichtigkeit der Fürstenthümer an die Pforte (Moldau 11/2, Walachei 21/2 Mill. Piaster), Investitur der von der gesetzgebenden Versammlung auf Lebenszeit zu wählenden Hospodare durch den Sultan, Verantwortlichkeit der Minister, Festsetzung eines Budgets für jedes Fürstenthum, Steuerbewilligungsrecht der Versammlungen, gemeinschaftlicher oberster Gerichts- u. Cassationshof in Fokschani, wo auch die aus 16 Mitgliedern zusammengesetzte permanente Centralcommission ihren Sitz haben sollte, Gleichheit vor dem Gesetz, Abschaffung aller Monopole etc. Am 30. Oct. wurde in Bukarest u. am 1. Nov. in Jassy der großherrliche Hatti-Scherif verlesen, welcher die Einsetzung von je drei provisorischen Kaimakamen verfügte, unter welchen die Listen zur Wahl der neuen Hospodare aufgestellt werden sollten. Die Fürsten Alexander Ghika u. Vogorides legten die Regierung in deren Hände nieder. Bezüglich der Donauschifffahrtsacte enthielt sich die Pariser Konferenz zwar der ausdrücklichen Abänderung, lud aber die Uferstaaten ein, die für nothwendig erachteten Abänderungen derselben vorzunehmen. Die mit den Erörterungen über die Donaumündungen beauftragte technische Commission hatte sich einstimmig für Schiffbarmachung des St. Georgearmes ausgesprochen u. dies wurde angenommen. Die hierzu erforderliche Zeit wurde auf 3–5 Jahre angesetzt. Die montenegrinische Grenzregulirungscommission trat am 14. Oct. 1858 in Constantinopel zusammen u. beendete ihre Arbeiten am 8. Nov. Die streitigen Districte von Grochow u. Jupa, nördlich von der Tschernagora, wurden definitiv den Montenegrinern abgetreten, wogegen der District von Kutschi unter türkische Herrschaft zurückfiel. Redschid-Pascha, dessen Wiedereintritt in das Ministerium der letzte Act des Einflusses des bald darauf abberufenen englischen Botschafters Lord Stratford de Redcliffe war, starb plötzlich am 7. Jan. 1858; ihm folgte Aali-Pascha im Großvezierat, Fuad-Pascha, wurde Minister des Äußeren. Aali-Pascha bemühte sich namentlich um die Ordnung der Finanzen; die Verschwendungen des Hauses des Sultans u. die Geldnoth waren aufs Äußerste gestiegen. Dem zu steuern war der Zweck zweier Fermans vom 17. u. 26. Aug. 1858, welche verschiedene Veränderungen in der hohen Verwaltung zur Folge hatten. Mehemed Köprisli-Pascha wurde zum Kapudan-Pascha, Ruschdi-Pascha zum Tansimatpräsidenten ernannt, die vier Schwiegersöhne des Sultans, Aali-Ghalib, Ethem, Mahmud u. Il Hami Pascha, wurden ihrer [59] Stellen enthoben. Gleichzeitig gelang es ein Anlehen von 5 Mill. Pfd. Sterl. abzuschließen, dessen Betrag vorzugsweise zur Einlösung des Papiergeldes bestimmt wurde. Ein wichtiger Fortschritt für die öffentliche Sicherheit war die Errichtung einer Municipalität für Constantinopel u. die Vorstädte u. die Eintheilung derselben in 14 Arrondissements. Von Constantinopel über Adrianopel, Alexanitza u. nach Belgrad u. andererseits nach Kleinasien wurde eine directe Telegraphenlinie hergestellt, dagegen wurden die projectirten Eisenbahnbauten noch nur lässig betrieben.

Das Jahr 1859 übernahm von seinem Vorgänger die serbische u. die moldau-walachische Frage als noch immer nicht definitiv geordnet; doch war der Zustand des Reiches im Allgemeinen ruhiger. Die Ereignisse in Serbien, welche die Abdankung des Fürsten Alexander Karageorgewitsch u. die Wiedereinsetzung des Fürsten Milosch durch die Skuptschina zur Folge hatten, s.u. Serbien S. 874. Die Pforte ertheilte dem neuerwählten Fürsten die Investitur (12. Jan. 1859), ohne jedoch hierbei der Erblichkeit zu gedenken. Am 9. Febr. wurde der Investiturberat in Belgrad verkündet u. noch an demselben Tage legte die Skuptschina gegen dieses Übergehen der Erblichkeit Protest ein; doch blieb diese Frage ungelöst, da die Pforte bei ihrem Widerspruch beharrte. Die moldauische Nationalversammlung wurde in Jassy am 9. Jan. 1859 eröffnet; schon am 16. erwählte sie den Oberst Johann Alexander Cusa einstimmig zum regierenden Fürsten der Moldau, welcher die Regierung unter dem Namen Alexander Johann I. antrat. Die Nationalversammlung der Walachei trat erst am 3. Febr. 1859 zusammen u. wählte am 5. Febr. Alexander Cusa auch zum Fürsten der Walachei, u. dieser zog am 20. in Bukarest ein. Die Bevollmächtigten der Großmächte traten am 7. April von Neuem in Paris zusammen, um über die Doppelwahl Cusa's Beschluß zu fassen; erst am 6. Sept. vereinigte man sich dahin, daß dem neuerwählten Fürsten ausnahmsweise die Investitur als Hospodar der Moldau u. Walachei ertheilt werden sollte, was durch zwei getrennte Fermans der Pforte geschah. Schon im August hatte sich die Centralcommission in Fokschani versammelt. Am 18. Dec. löste der Fürst die Nationalversammlungen beider Fürstenthümer auf. Die auf Grund des Protokolls vom 8. Nov. 1858 mit Feststellung der türkisch-montenegrinischen Grenze beauftragte internationale Commission von Ingenieuren war in Folge des Ausbruchs des italienischen Krieges auseinander gegangen; nach Abschluß des Friedens trat sie wieder zusammen u. beendigte bis Ende 1859 ihre Arbeiten. Die eigentlichen Anstifter des Blutbades in Dscheddah waren trotz des energischen Vorschreitens des Capitäns des englischen Kriegsschiffes Cyclops noch immer straflos geblieben; erst im Jan. 1859 gelang es der Energie der dorthin gesandten französischen u. englischen Agenten zu erwirken, daß die zu den vornehmsten Einwohnern der Stadt gehörigen Rädelsführer ergriffen u. öffentlich hingerichtet wurden. Vorzugsweise dem englischen Einflüsse ist es zuzuschreiben, daß die von dem Vicekönig von Ägypten bedungene Genehmigung der Pforte zu dem Project einer Durchstechung der Landenge von Suez (s.d.) nicht ertheilt wurde. Als trotzdem Lesseps am 25. April 1859 die Arbeiten feierlich eröffnen ließ, gelang es dem englischen Einfluß den Vicekönig zu einem Circular zu bestimmen, in welchem er erklärte, die Fortsetzung der Arbeiten vor erlangter Autorisation der Pforte nicht gestatten zu wollen, u. als die Arbeiten trotzdem als vorbereitende Studien fortgesetzt wurden, erschien sogar die englische Flotte von Malta vor Alexandrien, angeblich um den auf einer Reise begriffenen Sultan dort zu begrüßen. Aber nach der Nachricht vom Abschluß des Friedens von Villafranca, änderte der Sultan seinen Reiseplan u. kam gar nicht nach Ägypten, sondern kehrte von Salonich nach Constantinopel zurück. Auf der Insel Candia dauerte die Aufregung fort u. namentlich gegen die Mitte des Jahres 1859 standen in Folge der Härte des Gouverneurs Husnein-Pascha die Christen wiederum gegen die Türken in Waffen. Auf beiden Seiten kamen zahlreiche Mordthaten vor, welche immer zu neuen Gewaltthaten reizten. Am 17. Sept. wurde in Constantinopel eine Verschwörung gegen die Person des Sultans entdeckt, deren hauptsächliche Anstifter Scheik-Ahmed, Bokir-Effendi, Dscheffer-Pascha u. Hussein-Pascha waren. Der Zweck der Verschwörung, welche sich über mehre Provinzen u. durch alle Klassen der Bevölkerung verbreitete, scheint nicht sowohl eine Umgestaltung der Dinge im alttürkischen Sinne, als die Errichtung einer Militärherrschaft gewesen zu sein. Man wollte sich des Sultans bemächtigen, die gegenwärtigen Minister beseitigen u. andere an deren Stelle setzen. Riza-Pascha war der Gegenstand besonderen Hasses der Verschworenen, welche ihrerseits fast von der gesammten Bevölkerung als Märtyrer verehrt wurden. Den Vertretern der Pariser Vertragsmächte gab diese Verschwörung Anlaß zu einem gemeinschaftlichen Memorandum an die Pforte, welches unterm 3. Oct. 1859 Reformen in der Verwaltung, Abstellung der Mißbräuche, einsichtige Sparsamkeit, überhaupt die Einrichtung einer Regierungsweise verlangte, unter welcher alle Unterthanen des Sultans, Muselmanen u. Christen, statt unter den gleichen Übelständen zu leiden, an den gleichen Wohlthaten Theil haben würden. Die Verschworenen erfuhren eine milde Behandlung, fünf derselben wurden zum Tode verurtheilt, aber zur Verbannung begnadigt. Ein am 15. Oct. verlesener Hatti-Scherif gegen die Unordnung in den Staatsausgaben bildete die Antwort auf das Memorandum der Großmächte; als aber hierdurch ermuthigt Aali-Pascha in einem Conseil auf eine strenge Controle der Ausgaben im Departement des Krieges, der Marine u. bes. der Civilliste drang, wurde schon am 18. Oct. an seine Stelle Mehemed-Köprisli-Pascha zum Großvezier ernannt, welcher seinerseits am 26. Dec. wieder Mahomed-Ruschdi-Pascha weichen mußte. Im Jahre 1860 fühlten die Beziehungen der Pforte zu den ihrer Suzeränetät unterstehenden Staaten keine europäische Verwickelung herbei. Mit Serbien dauerten die alten Streitigkeiten fort. Im Mai 1860 hatte Fürst Milosch eine Deputation nach Constantinopel geschickt, welche Anerkennung der Erblichkeit seiner Fürstenwürde, vollständige Räumung Serbiens durch die Türken, endlich Abschaffung od. doch gänzliche Umgestaltung des serbischen Grundgesetzes von 1838 verlangen sollte. Die Pforte ertheilte auf alle diese Forderungen eine im Wesentlichen ablehnende Antwort, bestätigte aber, als Milosch am 26. Sept. gestorben war, dessen Sohn Michael Obrenowitsch III. ohne Schwierigkeit als seinen Nachfolger. In den Donaufürstenthümern[60] hatte die Auflösung der Versammlungen nicht den von dem Fürsten Cusa erwarteten Erfolg. Die neugewählten Versammlungen hatten genau denselben Charakter, wie die früheren, u. die Opposition derselben veranlaßte wiederholte Ministerwechsel. Ende September begab sich Fürst Cusa nach Constantinopel, wo er vom Sultan ohne besonderes Investiturceremoniell in feierlicher Audienz empfangen u. überhaupt gut aufgenommen wurde. Auch an der Grenze mit Montenegro wurde die Ruhe nicht wesentlich gestört. Dem Fürsten Danilo, welcher am 11. Aug. in Cattaro von einem flüchtigen Montenegriner ermordet worden war, folgte sein Neffe Nikolaus, Sohn des Mirko Petrowitsch. Dieser trat in friedliche Beziehungen zu dem Pascha von Skutari u. versuchte sich mit demselben über die noch immer schwebenden Grenzstreitigkeiten auseinander zu setzen. Die Lage der Christen in den der unmittelbaren türkischen Herrschaft unterworfenen Provinzen war fortdauernd eine höchst traurige. Aus Bosnien u. der Herzegowina wanderten zahlreiche Familien nach Österreich aus. In Bulgarien, Macedonien, Thessalien u. Epirus nahmen Mord u. Plünderung immer mehr überhand, u. nicht selten begingen gerade die an den Grenzen aufgestellten Truppen die gröbsten Excesse. Rußland lud in einer Note vom 5. Mai die Großmächte ein sich mit ihm zu einem gemeinsamen Einschreiten für die Christen in der Türkei zu vereinigen u. namentlich zu erklären, daß sie den gegenwärtigen Zustand der Dinge in den christlichen Provinzen des T-n R-es nicht länger dulden könnten u. wirksame Garantien für Abstellung der Beschwerden verlangten. England ging zwar nicht ohne Weiteres hierauf ein, doch veranlaßten die russischen Vorschläge einen Ministerwechsel in Constantinopel. An Stelle Mehemed-Ruschdi-Pascha's wurde Mehmed-Köprisli-Pascha wieder Großvezier; neben ihm stand Fuad-Pascha für das Äußere, Riza-Pascha für den Krieg, Mehemed-Ali-Pascha für die Marine, Muktar-Pascha für die Finanzen, Ethem-Pascha für den Handel, Muktar-Bey für die Justiz, Aali-Pascha als Präsident des Tansimatrathes. Die Pforte zog sich dadurch aus der ihr drohenden Verlegenheit, daß der neue Großvezier beauftragt wurde die Untersuchungen über die Beschwerden der Christen in den Provinzen persönlich vorzunehmen u. die Ungerechtigkeiten abzustellen, u. die Großmächte erklärten sich hiermit einverstanden. Mehemed-Köprisli-Pascha reiste über Varna nach Schumla, Rustschuk, Widdin, Sophia, Monastir u. kehrte über Salonich nach Constantinopel zurück, aber seine Reise hat an dem Stand der Dinge nichts geändert. Sein Bericht an den Sultan stellte sogar in Abrede, daß die Christen überhaupt Grund zu Klagen hätten, gab jedoch zu, daß einige Zweige der Verwaltung einer ernstlichen Reform bedürftig seien. Nicht ohne politische Bedeutung war auch eine Bewegung auf kirchlichem Gebiete. Die Bulgaren erklärten, daß sie sich von dem griechischen Patriarchen in Constantinopel lossagten, doch waren die Meinungen darüber getheilt, ob sie ein unabhängiges Bisthum bilden od. in eine Union mit der Römischen Kirche treten wollten. Aus der Krim u. vom Kaukasus wanderten Tataren u. Tscherkessen zahlreich in die Türkei, namentlich in die Dobrudscha, in Bulgarien u. die asiatischen Grenzprovinzen ein. Die Begünstigungen, mit denen sie von ihren muhammedanischen Glaubensgenossen aufgenommen wurden, veranlaßten neue Bedrückungen der Christen, welche Wohnungen u. Ländereien abtreten mußten; viele bulgarische Familien wanderten ihrerseits wieder nach Serbien aus. Andere ließen sich, um den Schutz der Consuln zu erlangen, als russische od. österreichische Unterthanen naturalisiren. Die Pforte verfügte zwar unterm 14. Sept., daß alle diese neuen Schützlinge der Fremden, welche als solche oft nur durch einen Paß aus der nächsten Grenzstadt legitimirt waren, binnen drei Monaten das Land verlassen sollten; doch ist dies nicht zur Ausführung gekommen. Dem übeln Stande der Finanzen konnte durch ein unter höchst ungünstigen Bedingungen in Paris abgeschlossenes Anlehen von 400 Mill. Frcs., wofür kaum 200 Mill. baar eingezahlt wurden, bei der fortdauernden Unordnung in der Verwaltung der Staatseinnahmen nur wenig abgeholfen werden. Am augenscheinlichsten aber legten sich die verrotteten Zustände der Türkei im Jahr 1860 durch die Ereignisse in Syrien blos. Der Libanon, seit 1841 unter einen Christen- u. einen Drusenhäuptling getheilt, war schon seit Jahren ziemlich unruhig; auch in dem nur von Christen bewegten Bezirke waren Streitigkeiten zwischen dem Kaimakam, den Scheiks, der Geistlichkeit u. den Bauern ausgebrochen. Schon im Aug. 1859 war es in dem Dorfe Botmery zu einem Conflict gekommen, in welchem die Christen die Oberhand behielten, kurz darauf plünderte u. verbrannte aber der Drusenchef Jussuf Abdul-Melek mehre Christendörfer. Doch wurde von dem Gouverneur in Beirut Kurschid-Pascha der Frieden wieder hergestellt, freilich nur auf kurze Zeit. Die Christen waren selbst in den Küstenstädten nicht vor Meuchelmord sicher, für welchen sie niemals Genugthuung erhielten, u. als am 27. Mai 1860 ungefähr 500 Maroniten in Baabda, unweit Beirut, versammelt waren, brach der Kampf offen aus. Die Drusen griffen die Maroniten an, zersprengten dieselben u. zerstörten u. plünderten nun Alles, was ihnen in den Weg kam. Als ein Angriff der Christen auf das Dorf Abadieh mißlang, begannen Mord u. Brand auf allen Seiten, u. die türkischen Truppen blieben durchaus unthätig od. betheiligten sich gar an der Ausplünderung der Christen. Gräuel aller Art wurden begangen. Der Druse Said-Bey-Djemblatt brandschatzte u. plünderte die Christen im Bezirke Djezzin. Weiber, Kinder u. Greise, welche sich vor dem von ihm angerichteten Blutbad nach Sayda flüchten wollten, wurden von den dortigen Muselmanen niedergemacht. Drusen vom Hauran belagerten die Städte Hasbeya u. Rascheya. Osman-Bey, Gouverneur in Hasbeya, versprach den Christen, welche Mangel an Lebensmitteln litten, Schutz, wenn sie ihre Waffen ablieferten. Kaum aber war dies geschehen, als Osman-Bey sie wehrlos den Drusen auslieferte, welche sie ermordeten. Gleiches geschah in Rascheya. Zahlé, der festeste Punkt der Christen, wurde unter den Augen von türkischen, angeblich den Christen zu Hülfe geschickten Truppen am 18. Juni gleichfalls von den Drusen erstürmt. In Deir-el-Kamar waren die Christen aus Mangel an Schießbedarf genöthigt gewesen zu capituliren, doch war ihnen unter Garantie eines türkischen Generals Tahir-Pascha Sicherheit des Lebens versprochen worden. Nachdem derselbe sich wieder[61] entfernt hatte, drangen die Drusen in kleinen Abtheilungen in die Stadt, entwaffneten die überraschten Christen u. begannen sodann ein allgemeines Morden u. Plündern; selbst das Serail von Deir-el-Kamar, wohin sich viele geflüchtet hatten, wurde ihnen geöffnet u. die Soldaten vereinigten sich mit ihnen zur Niedermetzelung der Unglücklichen. Am schrecklichsten aber waren die Gräuelscenen in Damaskus. Sechs Tage dauerte dort das Blutbad, welches mehr als 6000 Personen das Leben kostete, u. alle Christen der Stadt würden umgekommen sein, wenn nicht Abdel-Kader die Flüchtigen in sein Haus aufgenommen u. mit einer kleinen Schaar Algerier beschützt hätte. Die Nachrichten von diesen Vorgängen versetzten ganz Europa in Aufregung. Die Großmächte einigten sich sofort dahin, daß ein französisches Hülfscorps nach Syrien geschickt u. die englische Flotte an der Küste erheblich verstärkt werden sollte. Doch kam ein Protokoll über diese Intervention erst am 3. Aug. zu Stande, nicht ohne daß die Pforte u. England mehrfache Schwierigkeiten bereitet hatten. Nach dieser unter dem 5. Sept. zum förmlichen Vertrag erhobenen Verabredung sollte ein Truppencorps, dessen Stärke bis auf 12,000 Mann gebracht werden konnte, nach Syrien geschickt werden, um zur Wiederherstellung der Ruhe beizutragen; der Kaiser Napoleon willigte ein sofort die Hälfte dieses Corps zu stellen; über die Stellung der anderen Hälfte, dafern sie nöthig, wollte man sich im diplomatischen Wege verständigen. Der commandirende General sollte sich mit dem Commissar der Pforte über die zu ergreifenden Maßregeln verständigen, die Besetzung Syriens nicht länger als sechs Monate dauern. In einem Zusatzartikel wurde ausdrücklich versprochen, daß keine der contrahirenden Mächte irgend eine Territorialvergrößerung od. sonst einen Vortheil für sich allein erstrebe, u. der Pforte nachdrücklich die Verbesserung der Lage der Christen im ganzen Reiche empfohlen. Schon am 17. Juli war Fuad-Pascha mit unbeschränkter Vollmacht als außerordentlicher Pfortencommissar in Beirut angekommen; am 16. Aug. landeten die ersten französischen Truppen unter Oberbefehl des Generals Beaufort d'Hautpoul. Erst im October trat in Beirut eine internationale Commission zusammen, welche die Ursachen der letzten Ereignisse aufsuchen, die Bestrafung der Schuldigen veranlassen u. die Entschädigungen feststellen sollte. Am 29. Juli zog Fuad-Pascha an der Spitze von 3000 Mann in Damaskus ein, zahlreiche Verhaftungen erfolgten, aber die Hauptanstifter von höherem Range blieben sämmtlich in Freiheit. Erst als die französischen Truppen ankamen, entschloß sich Fuad-Pascha zu größerer Energie, u. am 20. Aug. wurden 57 Schuldige in Damaskus gehängt u. 111 erschossen. Einige Zeit später wurden Achmet-Pascha, Gouverneur von Damaskus während des Blutbades, Osman-Bey u. andere höhere türkische Beamte hingerichtet. Viele Andere wurden zu Freiheitsstrafen od. zu Verbannung verurtheilt. Auf Einladung von Fuad-Pascha hatten sich 15 Anführer der Drusen in Beirut eingefunden u. wurden dort gefangen genommen. Eine Expedition, welche sich in den letzten Tagen des September nach dem Gebirge in Bewegung setzte, verfehlte aber ihren Zweck fast gänzlich, da die Türken alle Drusen nach dem Hauran entfliehen ließen u. nur wenige Hunderte in Moktara ergriffen wurden. Die Drusenführer u. türkischen Beamten wurden in Beirut am 22. Dec. abgeurtheilt, über elf, darunter Said-Bey-Djimblatt, wurde das Todesurtheil, gegen Kurschid-Pascha, Tahir-Pascha u. die übrigen Türken nur lebenslängliches Gefängniß ausgesprochen; in Moktara verurtheilte man 20 Drusenführer zum Tode. Said-Bey-Djemblatt starb im Gefängniß; die übrigen Todesurtheile wurden in lebenslängliches Gefängniß verwandelt. Abgesehen von diesen Bestrafungen ist aber für die bedrängten Christen nur wenig geschehen. In Damaskus übernahm zwar Fuad-Pascha den bisher vom französischen Consulat besorgten Unterhalt der Christen u. ließ denselben einen türkischen Stadttheil einräumen, da ihr eigener ganz in Trümmern lag; doch wanderten so Viele aus, daß Fuad-Pascha dies sogar verbot. Über die von der Stadt Damaskus zu zahlende Entschädigung gelangte man aber ebensowenig zu einer Einigung, wie über eine von den Drusen des Gebirges zu fordernde Contribution. Sicherheit u. Rückerstattung ihres Eigenthums erlangten die Christen nur da, wo französische Truppenabtheilungen waren, u. dies war Ende 1860 in Beirut, Sayda, Deïr-el-Kamar, Kab-Elias u. Zahlé der Fall. Die Türken thaten nichts, u. Unordnung u. Unruhe, welche durch die drohende Stellung der in dem unwirthlichen Hauran zusammengedrängten Drusen nur vermehrt wurden, herrschten überall. Daher schlug Frankreich eine Verlängerung der Occupation vor, welche nach längeren Verhandlungen endlich bis zum 5. Juni 1861 verwilligt wurde. An diesem Tage verließen die französischen Truppen Syrien, doch wurde die zur Überwachung der Ruhe an den Küsten kreuzende englische u. französische Flotte verstärkt. Vorher noch hatte man sich über die den Christen zu gewährende Entschädigung geeinigt. Gleichzeitig wurde unter dem 9. Juni 1861 eine Neuorganisation der Verwaltung des Libanon beschlossen. Es wurde statt der bisherigen getheilten Verwaltung zunächst auf drei Jahre ein einziger christlicher Gouverneur mit dem Sitz in Deir-el-Kamar eingesetzt, welcher direct von Constantinopel, nicht von dem Pascha von Beirut abhängt u. nur in Folge eines Urtheilsspruches abberufen werden kann. Der schwierige Posten wurde einem katholischen Armenier, Davud-Pascha, übertragen, welcher die Ruhe thunlichst aufrecht erhielt u. sich bemühte durch Bildung einer einheimischen Miliz die türkischen Truppen entbehrlich zu machen, aber auch seinerseits von Gewaltthätigkeiten sich nicht frei hielt; namentlich erregte gegen Ende 1861 sein Verfahren gegen einen jungen Maronitenhäuptling, Jussuf Karam, welcher nach Beirut gelockt u. dort verhaftet u. später nach Constantinopel verwiesen wurde, großes Aufsehen. Die Bestätigung der neuen Verwaltungsorganisation des Libanon war einer der letzten Regierungsacte des Sultans Abdul-Medjid. Er starb am 25. Juni 1861, u. ihm folgte sein Bruder Abdul-Aziz, welcher sofort Veränderungen im obersten Regierungspersonal vornahm u. vielfache Reformen verkündigte. Riza-Pascha wurde durch Namik-Pascha ersetzt, Mehemed-Ali-Pascha zum Oberaufseher des großherrlichen Palastes ernannt. Die Einrichtung des Harems sollte reformirt, der Tansimatrath mit dem der Justiz verschmolzen werden; an die Spitze des letzteren kam Fuad-Pascha u. wurde im Ministerium des Auswärtigen durch Aali-Pascha ersetzt, nachdun der Letztere seit dem[62] 6 Aug. an Stelle Köprisli-Paschas Großvezier geworden war, im November aber diesen Posten an Fuad-Pascha abgetreten hatte. Ein neuer Orden unter dem Namen Osmanieh wurde gestiftet, alle überflüssigen Beamtenstellen sollten eingezogen, im Heere Ersparungen eingeführt, den Unterschleifen durch heimliche Aufseher gesteuert werden. Aber fast alle diese Reformen blieben nur auf dem Papier stehen, u. abgesehen von einigen Veränderungen im Militär blieb Alles beim Alten. So erregte namentlich die Finanzlage fortdauernd die ernstesten Besorgnisse; schon im Februar 1861 hatte eine Handelskrisis in Constantinopel zahlreiche Bankerotte veranlaßt u. das Agio war auf eine noch nie dagewesene Höhe gestiegen. Am 14. April verfügte die Pforte die Neuausgabe von 1250 Mill. Piaster Papiergeld mit Zwangscurs für das ganze Reich u. ein Zwangsanlehen von 150 Mill. Piaster u. Gründung einer Wechselkasse mit 375 Mill. Capital. Aber schon im December hatte der Handel von Constantinopel eine neue noch schlimmere Krisis zu bestehen, welche sogar einen Aufstand befürchten ließ, bis es der Pforte im März 1862 gelang in London ein neues Anlehen abzuschließen. Mit Frankreich wurde unterm 29. April 1861 ein Handelsvertrag abgeschlossen, welcher die Franzosen den meistbegünstigten Nationen gleichstellte, einen Ausfuhrzoll von 8 Procent, welcher in acht Jahren allmälig bis auf 1 Procent herabgesetzt werden sollte, einen Transitzoll von 2–3 Proc. stipulirte u. auch für Ägypten, Serbien u. die Donaufürstenthümer Gültigkeit haben sollte. Ähnliche Verträge mit Italien u. Belgien folgten. Die Lage der Christen in Bulgarien war im Jahr 1861 um nichts gebessert, wie zahlreiche Petitionen u. Beschwerden, welche sie an die Consuln in Belgrad richteten, u. die fortdauernden Auswanderungen bezeugten. Vergebens verlangte ein Memorandum des russischen Gesandten Fürsten Labanow eine Conferenz der Vertreter der Großmächte mit den Ministern des Sultans, um die Reformen zur Verbesserung der Lage der Christen zu berathen. Die Pforte bestritt die Richtigkeit der von Rußland behaupteten Thatsachen u. beschränkte sich schließlich darauf, am 27. Mai Mittheilung über, von ihr im Princip beschlossene Reformen zu machen, welche Abschaffung des Pachtsystems bei den indirecten u. Controle der Erhebung der directen Steuern, Organisation der Polizei in den Provinzen, Einführung von Criminalgerichtshöfen, Zulassung der Christen als Zeugen etc. bezweckten, aber nicht zur Ausführung kamen. Auch die kirchliche Bewegung in Bulgarien kam zu keinem Abschluß. Gegen Ende des Jahres 1860 hatte das griechische Patriarchat alle die Bulgaren, welche sich von der Griechischen Kirche getrennt hatten, u. namentlich die Bischöfe Hilarion u. Auxentius, welche eine besondere bulgarische Kirche erstrebten, excommunicirt. Diese antworteten durch ein Manifest vom 8. Jan. 1861, u. obwohl die Pforte ihr Verlangen nach einer getrennten Verwaltung bestimmt abschlug, glaubte doch das griechische Patriarchat einige Concessionen anbieten zu müssen, welche aber von den Bulgaren nicht angenommen wurden. Darauf wurden die beiden Bischöfe abgesetzt u. verbannt, hierdurch aber die Trennung zwischen der Griechischen Kirche u. den Bulgaren nur erweitert. Schon am 30. Dec. 1860 aber hatten in Constantinopel zwei Archimandriten u. drei Prister in Begleitung von 200 bulgarischen Häuptlingen dem Erzbischof der katholischen Armenier u. dem päpstlichen Delegaten eine Adresse an den Papst überreicht, in welcher sie Namens der bulgarischen Nation, nach Aufzählung ihrer Beschwerden gegen den griechischen Clerus, baten die bulgarische Kirche in den Schoß der katholischen aufzunehmen u. deren getrennte u. nationale Hierarchie als canonisch anzuerkennen. Der Papst ging auf dieses Gesuch bereitwillig ein, eine provisorische Kapelle wurde in Constantinopel eingeweiht, die neue Gemeinde von der Pforte anerkannt u. ein Archimandrit Joseph Sekolski als unirter Erzbischof von Bulgarien vom Papst geweiht u. von der Pforte bestätigt. Aber bald brachten Geldmangel u. Streitigkeiten zwischen Geistlichen u. Laien ihn in eine schwierige Lage u. er verschwand plötzlich am 18. Juni 1861 aus Constantinopel, ohne daß die näheren Umstände bekannt geworden sind. Im Febr. 1862 wurde dann ein bulgarischer Priester Arabajeski zum Administrator der unirten Bulgaren ernannt. Selbst unter den orthodoxen Griechen erfolgten Übertritte zum Katholicismus u. der griechische Patriarch Joachim forderte im Oct. 1861 selbst eine Commission zur Untersuchung der Klagen der Bevölkerung über Bedrückungen u. Simonie; er wurde jedoch von der Commission für unschuldig erklärt. In den Donaufürstenthümern hatte die Regierung des Fürsten Cusa während des Jahres 1861 mit vielfachen inneren Schwierigkeiten zu kämpfen, welche wiederholte Ministerwechsel veranlaßten. Hervorgerufen wurden dieselben namentlich durch den Aufenthalt von ungarischen Flüchtlingen im Lande, die Beschlagnahme zweier mit Waffen beladener Schiffe in Galatz, die Erhebung der Bulgaren in einem Theile Bessarabiens, Irrungen mit dem Metropolitan von Jassy, unruhige Bewegungen in einigen walachischen Städten, namentlich aber auch durch das noch immer einer definitiven Regelung entbehrende Verhältniß der Landbauer zu den Grundherren. An den Aufenthalt des Fürsten Cusa in Constantinopel im Oct. 1860 knüpften sich Verhandlungen mit der Pforte, in denen der Fürst die Vereinigung der beiden Versammlungen u. Ministerien u. eine Reform des Wahlgesetzes verlangte. Auf Grund eines von dem Fürsten überreichten Memorandum verließ Aali-Pascha am 1. Mai 1861 ein Circularschreiben an die Gesandten bei den Großmächten über die Union der Fürstenthümer, welches den Ausgangspunkt für lange u. verwickelte Verhandlungen bildete. Unterm 4. Dec. 1861 endlich erkannte die Pforte die zeitweilige Union der Fürstenthümer an. Am 23. Dec. wurde diese Vereinigung zu einem Staate Rumänien in Bukarest u. Jassy proclamirt, statt der beiden Ministerien ein einziges gebildet, u. am 5. Febr. 1862 trat die erste einheitliche gesetzgebende Versammlung der Vereinigten Fürstenthümer in Bukarest zusammen. Fürst Michael von Serbien schickte zur Beilegung der noch immer, namentlich wegen des Aufenthalts der Türken in Serbien, mit der Pforte schwebenden Differenzen den Minister Garaschanin nach Constantinopel; aber die Verhandlungen hatten keinen Erfolg, vielmehr wurde durch die Einwanderung vieler bulgarischer Flüchtlinge in Serbien, durch die Beschlüsse der am 18. Aug. zusammengetretenen Skuptschina über Bildung einer Nationalmiliz, Organisation des Senates u. Vertretung des Fürsten im Ausland,[63] der Zwiespalt nur erweitert. Die Pforte übergab den Schutzmächten eine Protestation wegen der letzterwähnten drei Punkte, u. England u. Österreich unterstützten dieselbe. Nachdem aber Garaschanin, inmittelst Predstavnik (erster Minister) geworden, unterm 27. Jan. 1862 die Aufstellungen der Pforte zurückgewiesen hatte, blieb die Sache für jetzt ohne weiteren Verfolg. In der Herzegowina u. an der Grenze Montenegros fingen mit Beginn des Jahres 1861 die Unruhen von Neuem an. Gewaltthätigkeiten der Türken gegen die christliche Bevölkerung u. gegen Montenegriner brachten die niemals ganz unterdrückte Gährung zum Ausbruch. Die Montenegriner rächten die Gewaltthätigkeiten mit Raub u. Plünderung, bald war der Aufstand der Rajahs in der ganzen Herzegowina ausgebrochen u. wurde von zahlreichen Montenegrinern unterstützt. Auf allen Seiten wüthete der Kampf u. fiel meistentheils zum Nachtheil der Türken aus; sämmtliche türkische Dörfer an der montenegrinischen Grenze wurden eingeäschert, türkische Kriegs u. Munitionstransporte weggenommen, blutige Gefechte in der Umgehung von Nikschics, Korneits u. Zubci bis vor die Thore von Trebinje geliefert. Der Hauptführer der Ausständigen Luka Wukalowics eroberte u. zerstörte die Thürme von Suttorina, wodurch eine Verbindung mit dem Meere hergestellt wurde, u. brachte überhaupt in die Kriegführung des Aufstandes eine mehr einheitliche Leitung. Die Pforte hatte sofort zahlreiche Truppen zur Unterdrückung des Aufstandes abgeschickt, die Albanische Küste in Blockadezustand erklärt u. beauftragte im April Omer-Pascha mit der Pacificirung des Aufstandes durch Güte od. Gewalt. Eine europäische Commission wurde ihm beigegeben. Die Forderungen der Christen wurden von Omer-Pascha in einer Proclamation vom 11. Mai 1861 beantwortet, welche von den Christen im Juli erwidert wurde. Da eine von der europäischen Commission zu Stande gebrachte Zusammenkunft zwischen Omer-Pascha u. den Führern des Aufstandes, welche in Castel-nuovo auf österreichischem Gebiet stattfand, zu keiner Verständigung führte, so erklärte Omer-Pascha die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten u. blockirte Montenegro, nachdem zu einer mit dem Fürsten Nikolaus veranstalteten Zusammenkunft der Letztere gar nicht erschienen war. Doch setzten sich die Unterhandlungen auch während den militärischen Operationen fort, deren Resultate übrigens wenig bedeutend waren. Die europäische Commission, deren Bemühungen vergeblich gewesen waren, wurde im Oct. 1861 aufgelöst. Im November hatte Luka Wukalowics in dem kleinen Bezirk der Suttorina, wo Österreich das Recht beansprucht die Errichtung eines jeden militärischen Etablissements u. selbst die eines Handelshafens zu untersagen, eine schwache Batterie errichtet. Als der Insurgentenführer die Aufforderung dieselbe binnen acht Tagen zu entfernen nicht beachtete, rückte eine Compagnie österreichischer Soldaten über die Grenze u. zerstörte die Batterie ohne Widerstand zu finden. Dieses Vorgehen Österreichs veranlaßte von Seiten der Pforte u. der Großmächte Proteste, welche jedoch weitere Folgen nicht hatten. Erst im Frühjahr 1862 konnte Omer-Pascha die Kriegsoperationen ernstlich beginnen; auf Trebinje gestützt, rückte er langsam vor, um die Bergbewohner einzuschließen, fand aber hierbei vielfach einen hartnäckigen Widerstand. Die Kämpfe drehten sich namentlich um die Bezirke u. Ortschaften von Bagnani, Zubci, Kouschewitza, Drecevitza, Nicsich u. Grahowo. Vlutige Gefechte fanden am 18. April bei Kristitza, am 18. April u. 6. Mai am Skutarisee statt u. die siegreichen Bergvölker nahmen die Stadt Nicsich ein. Seit Mitte Mai aber wandte sich das Kriegsglück mehr den Türken zu; die Montenegriner wurden wieder aus Nicsich vertrieben, Derwisch-Pascha, Omer-Paschas Untergeneral, drang in den Engpaß von Duga vor, Angriffe der Insurgenten unter Luka Wukalowics auf die Forts von Zubci wurden abgeschlagen, die Türken setzten auf das rechte Ufer des Limflusses über, besetzten den District Wassojewich u. rückten endlich von Spucz aus in Montenegro selbst ein. Noch immer wehrten sich die Bergbewohner mit äußerster Hartnäckigkeit u. brachten den Türken viele Verluste bei; am 5. Juni schlug Derwisch-Pascha im Passe von Uskok auf der Straße von Nicsich nach Spucz ein von dem Fürsten selbst befehligtes montenegrinisches Corps u. verfolgte die Fliehenden bis zum Kloster Ostrog. Am 24. Aug. griffen die türkischen Truppen die Stellung der Montenegriner auf dem Rieka beherrschenden Gebirge an, warfen die Bergvölker aus vierfachen Verschanzungen heraus, schlugen dieselben am 25. in einer Schlacht, nahmen Rieka ein u. rückten nun bis in die Nähe von Cettinje vor. Nur die diplomatischen Verhandlungen verhinderten das Besetzen dieser Stadt. Das Ultimatum der Pforte forderte Anerkennung der Suzeränetät, das Durchzugsrecht für türkische Truppen, Herausgabe der Gefangenen, Unterlassung jeder Hülfeleistung in der Herzegowina etc. Der Fürst Nikolaus nahm nach Berathung mit einer Versammlung der Senatoren u. Wojwoden u. nachdem er vergebens auf Hülfe von Serbien aus gehofft hatte, die ihm vorgelegten Bedingungen an, mit Ausnahme jedoch der Anerkennung der Suzeränetät. Davom 31. Aug. 1862 datirte Friedensinstrument, welches Fürst Nikolaus am 13. Sept. unterzeichnete, regelte die Grenze Montenegro's nach der von der gemischten Commission 1859 festgesetzten Demarcationslinie, eröffnete den Montenegrinern den Hafen von Antivari als Freihafen, bestimmte gegenseitige Freilassung der Gefangenen u. Erstattung der geraubten Gegenstände, untersagte aber den Montegrinern die feindlichen Züge über die Grenze u. die Unterstützung eines Aufstandes in den Grenzdistricten, sowie die Errichtung von Bollwerken an den Grenzen; mehre Punkte der dem Handel zu öffnenden Route von der Herzegowina nach Skutari, durch das Innere Montenegro's sollen von türkischen Truppen in Blockhäusern besetzt werden. Der Großwojwode Mirko Petrovich, das Haupt der montenegrinischen Kriegspartei, wurde vom Staatsdienst ausgeschlossen. Rußland legte gegen die Militärstraße durch Montenegro Protest ein. Im engsten Zusammenhange mit den Wirren in der Herzegowina u. in Montenegro standen die gleichzeitigen Ereignisse in Serbien. Die wachsende Spannung zwischen Serbien u. Türken, welche im Juni 1862 zu offenen Feindseligkeiten u. zu einem Bombardement der Stadt Belgrad führte u. einen allgemeinen Aufstand gegen die Türken befürchten ließ (s. Serbien), war durch die Kämpfe in Montenegro nicht wenig genährt worden. Die in Constantinopel zusammengetretene Conferenz der Gesandten der Pariser Vertragsmächte unterzeichnete, nachdem ein neuer Zusammenstoß[64] zwischen Serben u. Türken die Aufregung wieder entflammt hatte, am 4. September 1862 ein Protokoll, welches die serbischen Händel wesentlich auf Grundlage des Status quo ante beilegte. Nach demselben hatten die Serben die in der Stadt Belgrad errichteten Vertheidigungswerke, die Türken die Festungen Sikol u. Uschiza zu schleifen, die Besitzungen der Muselmanen in Belgrad sollten gegen Entschädigung an die serbische Regierung überlassen, die Gerichtsbarkeit der serbischen Behörden über die ganze Stadt u. Vorstadt Belgrads erstreckt werden, alle Muselmanen, welche noch im Lande, abgesehen von den fünf befestigten Plätzen, wohnten, das serbische Gebiet verlassen etc. Am 6. Oct. wurde der hierauf bezügliche Ferman dem Fürsten Michael überreicht u. von demselben durch eine Proclamation bekannt gemacht.

Die übrigen Theile der Türkei erfreuten sich im Jahr 1862 verhältnißmäßiger Ruhe, doch fehlte es an den verschiedensten Orten nicht an blutigen u. gewaltthätigen Auftritten, welche bei der Schwäche der türkischen Verwaltung meistens ungeahndet blieben. In Syrien regten sich die Drusen von Neuem u. lieferten dem Pascha von Damaskus mehre Gefechte; in Armenien wurden Christen umgebracht u. von Asis-Pascha, Statthalter von Marasch, friedliche Dörfer überfallen u. Gräuel aller Art verübt. Eine Reihe Handelsverträge mit Rußland (28. Febr.), Schweden (11. März), Spanien, dem Deutschen Zollverein (19. u. 20. März) u. Österreich (22. Mai) wurden abgeschlossen. Als ein Vorschritt zur Menschlichkeit verdient erwähnt zu werden, daß der Gebrauch die männlichen Kinder kaiserlicher Prinzessinnen zu tödten vom Sultan abgeschafft wurde. Eine Zeit lang litt der Sultan an einer heftigen nervösen Aufregung, welche sogar den Eintritt geistiger Störungen befürchten ließ. In den höchsten Verwaltungskreisen kam als einzige bemerkenswerthe Veränderung vor, daß der eine Zeit lang allmächtige Günstling Mehemed-Ali, Großadmiral, in Ungnade fiel u. Emir Pascha zum Münzminister ernannt wurde. Die Revolution in Griechenland veranlaßte die Pforte an der griechischen Grenze einige Truppen zusammenzuziehen. Schon im Dec. 1862 hatte die von den Türken unter Derwisch-Pascha versuchte Errichtung der Blockhäuser an der Straße durch die Lerda in ganz Montenegro eine große Aufregung u. neue Rüstungen hervorgerufen. Österreich u. Frankreich verwendeten sich bei der Pforte diplomatisch u. machten den Vermittelungsvorschlag, daß die Straße nur an dem Anfangs- u. Endpunkte befestigt u. zur Commercialstraße erklärt werden sollte. Nachdem deshalb eine montenegrinische Deputation nach Constantinopel geschickt worden war, gab die Pforte hierzu ihre Einwilligung (März 1863). Das Jahr 1863 brachte wiederholte Ministerwechsel, welche fast lediglich auf Intriguen einzelner Persönlichkeiten zurückzuführen, für die Richtung der Politik ohne Bedeutung sind. In den ersten Tagen des Januar wurde Kiamil Pascha an Fuad Pascha's Stelle Großvezier, Mehemed Pascha Großadmiral, Raschid Pascha Kriegsminister, Ali Pascha blieb im Amt. Doch war dieser Triumph der hauptsächlich von Sia Pascha vertretenen Partei von kurzer Dauer; Fuad Pascha trat nominell als Präsident des obersten Gerichtshofs wieder in das Ministerium ein, verwaltete aber der That nach die Geschäfte des Großveziers, bekleidete eine Zeit lang die Stelle des Seraskiers u. wurde am 1. Mai wieder zum Großvezier ernannt. Nachdem am 18. Jan. der bisherige Vicekönig von Ägypten Said Pascha gestorben war, folgte ihm Ismael Pascha ohne Ruhestörung; er langte Ende Febr. in Constantinopel an u. erhielt vom Sultan die Investitur, welchem er dafür eine Dampffregatte zum Geschenk machte. Die Arbeiten am Suezkanal wurden auch unter dem neuen Vicekönig fortgesetzt, doch gelang es Ismael Pascha nicht, mit der Pforte eine vollständige Einigung in dieser Beziehung zu erzielen, vielmehr machte eine Depesche des türkischen Ministers des Auswärtigen (Mai 1863) die Einwilligung der Pforte abhängig von der Lösung folgender drei Fragen: der Neutralitätserklärung des Kanals, der Aufhebung der Zwangsarbeit u. dem Verzicht der Compagnie auf Besitz der die Kanäle umgebenden Territorien. Anfang April unternahm der Sultan eine Reise nach Ägypten, besuchte Alexandrien u. Kairo u. kehrte über Smyrna zurück, allenthalben mit gewohnter Verschwendung reiche Geschenke zurücklassend, zu welchem Berufe ihm sogar die Baareinzahlungen auf ein neues Anlehen nachgeschickt werden mußten. Zur Hebung des Staatscredits wurde nach langer Verhandlung mit dem Pariser Credit-Mobilier u. der osmanischen Bank in London ein Vertrag wegen Errichtung einer neuen Bank mit einem Capitale von 2,530,000 Pfd. Sterl. abgeschlossen; doch verspricht die enge Verbindung mit der Staatskasse dem Institut kein erfreuliches Gedeihen. Der Sultan verzichtete auf den Bezug eines großen Theils seiner Civilliste u. viele Großwürdenträger sahen sich genöthigt seinem Beispiel zu folgen; auch wurden viele überflüssige Beamte, wenigstens Christen, ihrer Stellen entlassen. Andererseits aber verschenkte der Sultan große Summen an die Soldaten seiner Garde u. die Mannschaften der Flotte, während in den Provinzen der Sold der Soldaten mehre Jahre lang rückständig blieb u. mit dem Mangel der nothwendigsten Bedürfnisse Unordnung u. Zuchtlosigkeit immer mehr über Hand nahm. Die Angelegenheiten wegen Entschädigung der Opfer des Juli 1860 in Syrien ging nur sehr langsam vorwärts, viele Ansprüche waren nach Ablauf von drei Jahren noch nicht einmal regulirt u. auf die regulirten Beträge war kam ein Viertel ausgezahlt worden, so daß die Entschädigungsberechtigten nicht selten die ihnen von der Regierung abgestellten Schuldverschreibungen mit 40–50 Proc. Verlust verkauften. Auch kamen wieder vereinzelte Metzeleien im Libanon vor u. selbst Damaskus war von zwei der vornehmsten Drusenscheichs mit einem Überfall bedroht, welcher nur durch die Energie der Consuln verhindert wurde. In Smyrna wurde kurz vor Ostern durch einen Auflauf der Griechen gegen die Juden die Ruhe gestört, doch wurde Blutvergießen verhütet. Auch in Bosnien u. der Herzegowina kam es mehrfach zu unruhigen Auftritten, Mord u. Plünderung. Die Insel Rhodus wurde am 22. April durch ein fürchterliches Erdbeben heimgesucht, welches in 22 Dörfern mehr als 2000 Häuser zerstörte. Zu den Tributärstaaten Serbien u. Rumänien blieben die Beziehungen gespannt. Serbien namentlich erweckte durch eine großartige Waffeneinfuhr die ernstesten Besorgnisse, welche durch, mit großem Aufwand betriebene Rüstungen noch mehr gesteigert wurden. Doch wurde die Sache nach einem gereizten Noten-, Wechsel beigelegt, obwohl die Pforte Truppen an[65] der serbischen Grenze zusammengezogen hatte u. die Haltung beider Parteien eine drohende blieb. In Rumänien bildete sich gegen den Fürsten Cusa sowohl im Volk als in der Kammer aus verschiedenartigen Elementen eine sehr energische Opposition, die letztere verwarf alle wichtigeren Anträge des Ministeriums u. sprach sich in einer Adresse sogar für Einsetzung eines anderen europäischen Fürsten aus. Die Pforte enthielt sich der Einmischung in diese Differenzen. Um die Mitte des Jahres 1863 wurde in Constantinopel eine türkische Industrieausstellung abgehalten, welche aber nur ein sehr dürftiges Resultat ergab.

Vgl. J. B. Egnatius, De origine Turcarum, Köln 1539, Fol.; P. Jovius, Commentario della cosa de' Turchi, da Orcana circa il 1328 a Selim il 1512, Ven. 1541; P. Lonicerus, Chronicon Turcicum, Franks. 1584, 2 Bde. (deutsch von H. Moller, Zweibr. 1697); F. Sansovino, Historia universale dell' origine ed imperio de Turchi, vermehrt von M. Bisaccioni, Ven. 1654; J. Leunclavius, Annales Sultanorum Ottomanidarum, Franks. 1588; Dessen Neue Chronicka türkischer Nation, ebd. 1590, Fol.; R. Knolles, General History of the Turks, Lond. 1610, Fol., fortgesetzt von P. Ricaut u. R. Manley bis 1687, ebd. 1687, 2 Bde., Fol.; G. Elmacin, Historia Saracenica etc., aus dem Arabischen ins Lateinische von T. von Erpe, Leyden 1625, Fol.; F. Petit de la Croix, Etat général de l'Empire Ottoman depuis sa fondation jusqu'à présent, aus dem Türkischen, Par. 1583, 3 Bde.; Die neueröffnete Ottomannische Pforte, Augsb. 1694–1700, 2 Bde., Fol.; D. Kantemir, The history of the growth and decady from Othman etc. to Mohameth IV., aus dem Lateinischen von N. Tindal, Lond. 1734 (deutsch von J. L. Schmid. Hamb. 1754); V. Mignot, Histoire de l'Empire Ottoman jusqu'a la paix de Belgrad en 1740, Par. 1771 (deutsch von J. G. Wachsmuth, Mitau 1774, 3 Bde.); C. G. Heyne, Türkische Geschichte, Lpz. 1772, 2 Bde.; Mouradgea d'Ohsson, Tableau général de l'Empire Ottoman, Par. 1788–1824, 7 Bde. (deutsch von C. D. Beck, Lpz. 1788–93, 3 Bde.); Galletti, Geschichte des Türkischen Reichs, Gotha 1801; Geschichte des Osmanischen Reichs von seiner Entstehung bis auf die neuesten Zeiten, Wien 1811, 4 Bde.; A. J. L. von Wackerbarth, Die früheste Geschichte der Türken bis zur Vernichtung des Byzantinischen Kaiserthums etc., Hamb. 1822, Fol.; G. Rampoldi, Annali Muselmani, Mail. 1822, 12 Bde.; Pallas, Histoire abrégée de l'Empire Ottoman, Par. 1825; J. von Hammer, Geschichte des Osmanischen Reichs, Pesth 1827–34, 10 Bde., 2. Aufl. ebd. 1834–36; J. W. Zinkeisen, Geschichte des Osmanischen Reichs in Europa etc., Hamb. u. Gotha 1840 ff. (bis 1863 7 Bde.); Poujoulat, Histoire de Constantinople, Par. 1853, 2 Bde.; Lamartine, Histoire de la Turquie, ebd. 1854, Lpz. 1854. 4 Bde. (deutsch von Nordmann, Wien 1854 ff., 8 Bde.); v. Tholdt, Die politischen Phasen des Türken-Mondes, chronologisch-historisch geordnet, Wien 1860; vgl. auch die Literatur zu Russisch-Türkischer Krieg S. 624.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 18-66. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2001115943X


[66] Türkisches Reich (Geneal.).

Die Großsultane stammen von Osman, dem Enkel des Emir Solyman u. ältestem Sohne Ertoghruls, welcher 1299 die Reihe der türkischen Sultane in Asien, sowie Muhammed II. seit der Eroberung Constantinopels 1453 auch die der Sultane in Europa eröffnete. Die Prinzen führen das Prädicat Efendi, die Prinzessinnen das Sultane, beide werden den Namen angehängt. Der 30. Souverän vom Stamme Osmans u. 27. seit Eroberung Constantinopels war: Großsultan Mahmud II., Sohn des Sultans Abdul Hamid, geb. 20. Juli 1785, folgte 1808 seinem Bruder Mustapha IV. u. st. 2. Juli 1839; Kinder:

A) Großsultan Abbul Medschid-Khan. geb. 23. April 1823 (11. Schaban 1238), folgte seinem Vater 1839 u. st. 25. Juni 1861; noch lebende Kinder: a) Murad-Efendi, geb. 21. Septbr. 1840; b) Fatime Sultane, geb. 1. Novbr. 1840, vermählt seit 1854 mit Ali-Ghalib-Pascha (st. 1858), in zweiter Ehe seit 1859 mit Mehemed-Noury-Pascha; c) Refige Sultane, geb. 6. Febr. 1842, vermählt, seit 1857 mit Ethem-Pascha; d) Abdul Hamid Efendi, geb. 22. Sept. 1842; e) Djemile Sultane, geb. 18. Aug. 1843, vermählt seit 1858 mit Mahmud-Dschelal-Eddin-Pascha; f) Mehemed Reschad-Efenoi, geb. 3. Nov. 1844; g) Münire-Sultane, geb. 9. Decbr. 1844, vermählt seit 1858 mit Ilhami Pascha (st. 1860), in zweiter Ehe seit 1861 mit Ibrahim Pascha; h) Ahmed Kemal-Eddin Efendi, geb. 3. Decbr. 1847; i) Behige-Sultane, geb. 16. Juli 1848, vermählt 1859 mit Husnein Pascha; k) Mehemed Buhran-Uddin-Efendi, geb. 23.Mai 1849; l) Nur-Eddin-Efendi, geb. 14. April 1851; m) Senihe-Sultane, geb. 21. Novbr. 1851;

n) Fehime-Sultane, geb. 26. Jan. 1855; o) Chehime-Sultane, geb. 1. März 1855; p) Suleiman-Efendi, geb. 12. Jan. 1861.

B) Jetziger Großsultan Abdul Aziz-Khan, der 32. resp. 29. Souverän, geb. 9. Febr. 1830 (15 Schaban 1245). folgte 1861 seinem Bruder Abdul Medschid; Kinder: a) Jussuf Izzeddin-Efendi, geb. 9. Octbr. 1857; b) Salihe-Sultane, geb. 10. Aug. 1862; c) Mahmud-Djemil-Eddin, geb. 20. Nov. 1862. C) Adile Sultane, geb. 23. Mai 1826, seit 1845 vermählt mit Mehemed Ali Pascha.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 66. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011159448