Hutten, Ulrich von

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Ulrich von Hutten (* 21. April 1488 auf Burg Steckelberg bei Schlüchtern; † 29. August 1523 auf der Ufenau im Zürichsee) war ein deutscher Renaissance-Humanist, Dichter, Kirchenkritiker und Publizist. Er wird auch als erster Reichsritter bezeichnet.


Meyers 1907

[677] Hutten, 1) Ulrich, Ritter von, ritterlicher Vorkämpfer des Humanismus und der geistigen Freiheit, geb. 21. April 1488 auf dem Stammsitz seiner Familie, der Burg Steckelberg bei Fulda, gest. 1523, war der Sohn des Ritters Ulrich v. H. und der Ottilia v. Eberstein. H. kam 1499 in das Stift zu Fulda, um geistliche Erziehung zu genießen, verließ 1505 heimlich das Kloster und studierte in Köln bei Johann Rhagius, dann in Erfurt bei Eoban Hesse und Maternus Pistoris Latein und Griechisch. Nachhaltig wirkte dort auf ihn Mutianus R usus von dem benachbarten Gotha aus. Seinem Lehrer Rhagius folgte H. 1506 nach Frankfurt a. O., wo er Bakkalaureus wurde, und 1507 nach Leipzig. In diese Zeit fallen seine ersten, wenn auch noch unfertigen poetischen Versuche: eine Elegie an Eoban, ein Lobgedicht auf die Mark, eine Ermahnung zur Tugend. Seit 1509 trieb er, von Reiselust und Wißbegierde gelockt, ein unstetes Wanderleben, verlor bei der Eroberung von Pavia 1512 sein Letztes und trat aus Not 1513 in die Reihen der kaiserlichen Landsknechte. Auf die Kunde von der Ermordung Hans v. Huttens schrieb er fünf Reden gegen Herzog Ulrich (s. d.) von Württemberg, die vornehmlich dessen Achtung herbeiführten, und ein »Tyrannengespräch« (»Phalarismus«), worin er zuerst seinen Wahlspruch: »Jacta est alea« (»Ich hab's gewagt«) gebrauchte. Diese Teilnahme an dem Schicksal seines Verwandten versöhnte seinen Vater wieder mit ihm, der mit seiner Flucht aus dem Kloster und seinen wissenschaftlichen Studien sehr unzufrieden gewesen war. Die Angriffe der Kölner Dominikaner auf Reuchlin (s. d.) erregten Huttens lebendigste Teilnahme und veranlaßten sein wohl 1514 gefertigtes Gedicht »Triumphus Capnionis«, worin er die Gegner des Humanismus als Feinde der Wissenschaften und der beginnenden Aufklärung angriff. Gegen den Anfang des Jahres 1516 erschienen die »Epistolae obscurorum virorum« (s. d.). H. schrieb in Bologna eine Anzahl ähnlicher Briefe, die 1517 als 2. Teil gedruckt wurden. Aus Italien 1517 nach Deutschland zurückgekehrt, erhielt H. in Augsburg von Kaiser Maximilian den Lorbeerkranz und den Goldenen Ring. Zum Dichter und Universitätsredner ernannt, machte er sich den Kampf gegen Rom und für das von der Kurie ausgebeutete deutsche Vaterland zur Lebensaufgabe. Er nahm die Dienste des humanistenfreundlichen Erzbischofs Albrecht von Mainz, der bekanntlich den Anlaß zu Luthers Angriff auf den Ablaß gab und, innerlich über Roms Geldgier empört, mit Huttens kecker Kampfweise wohl zufrieden war. Dieser hatte soeben die Schrift des Laurentius Valla: »De donatione Constantini quid veri habeat«, herausgegeben und damit die weltliche Herrschaft des Papstes in ihrer Grundlage angegriffen. Während des Augsburger Reichstags, den er 1518 mit dem Erzbischof besuchte, ermahnte er in seiner Schrift »Ad principes germanos ut bellum Turcis inferant exhortatoria«, der deutschen Nation ihre Zerrissenheit vor Augen stellend, zur Einigkeit und zum gemeinsamen Kampf gegen den Glaubensfeind, dann verließ er, des Hoflebens müde (er geißelte es damals in einem Dialog), den Dienst des Mainzer Erzbischofs und beteiligte sich in Schwaben an dem Feldzug gegen Herzog Ulrich (1519). H. trat jetzt Franz v. Sickingen (s. d.), der die politische Wiedergeburt Deutschlands anstrebte, näher, und ebenso Luther. In mehreren Gesprächen, unter denen der »Vadiscus, oder die römische Dreifaltigkeit« das bedeutendste ist, deckte er das materielle und moralische Unheil auf, das von Rom aus seit langem schon über Deutschland hereingebrochen sei. Von fast gleicher Bedeutung wie der »Vadiscus«, aber noch vollendeter in der Form waren »Die Anschauenden«; auch hier fehlt es nicht an Spottreden über den hochmütigen Klerus (sein Repräsentant ist Cajetan), aber die Hauptsache ist eine Schilderung der deutschen Zustände, wie sie dem Sonnengott von seinem erhöhten Standpunkt aus erscheinen. In der Vorrede zu einer Sammlung von kirchenpolitischen Streitschriften aus dem 14. Jahrh. warnte H. die Nation vor den schriftstellernden Schmeichlern und munterte sie zum Kampfe für die Geistesfreiheit auf (»De schismate extinguendo etc.«, 1520).

Im Sommer 1520 war H. an den Hof des Erzherzogs Ferdinand nach den Niederlanden gegangen, wo man damals die Ankunft des neuen Kaisers, Karls V., erwartete, kehrte aber bald zurück, denn von Rom aus war an Erzbischof Albrecht der Befehl ergangen, die Frechheit der Lästerer, unter denen sein Diener H. der schlimmste sei, zu züchtigen. H. fand einstweilen eine Zuflucht auf der Ebernburg bei Franz v. Sickingen, verteidigte sich von hier aus in einem Sendschreiben an die Deutschen aller Stände, begann noch vor Ende 1520 um der größern Wirkung willen deutsch zu schreiben mit der Schrift »Klag vnd vormanung gegen den übermässigen gewalt des Bapsts«. Der Wormser Reichstag, die Besorgnis für Luthers Leben und den Ausgang der guten Sache veranlaßten H. zu einer wahren Flut von Schmähschriften gegen die Römlinge, vor allen gegen den Legaten Aleander; er leitete sie durch ein Sendschreiben an Kaiser Karl ein, worin er den jugendlichen Monarchen vor seinen geistlichen Ratgebern warnte. Doch Karl nahm das Schreiben ungnädig auf und änderte seine Haltung gegen Luther auch nicht, als ihn H. in einem zweiten milder zu stimmen versuchte. Luthers Verurteilung versetzte ihn in die größte Entrüstung. Doch vergebens bemühte er sich, einen Bund der Ritter und Städte herbeizuführen; Sickingen brachte zwar 1522 einen Bund der rheinischen Ritterschaft zustande, doch mißlang sein Zug gegen den Erzbischof von Trier; H. hatte, wenn er Sickingens Feinden in die Hände geriet, das Schlimmste zu befürchten und floh nach [677] Basel, wo ihm sein langjähriger Mitstreiter Erasmus, zu weichmütig für jene eiserne Zeit, die Aufnahme versagte; Zwingli dagegen gewährte ihm eine Zuflucht, fand aber einen gebrochenen Mann. Jahrelang hatte Huttens Feuergeist gegen die verheerende Krankheit (Franzosenkrankheit, Syphilis), die auch ihn befallen hatte, angekämpft; trotz des Besuchs der warmen Quellen in Pfäfers schritt die Krankheit fort. Zwingli erwirkte ihm zwar bei einem heilkundigen und wohlgesinnten Geistlichen Aufnahme auf der Insel Ufnau im Züricher See, aber wenige Monate nach Sickingens traurigem Untergang machte ein schneller Tod den Leiden des Freundes ein Ende (in den letzten Tagen des August oder Anfang September 1523). Die Idee, für die H. zuletzt, aus dem literarischen Humanismus kommend, gelebt hatte, Deutschland zugleich kirchlich und politisch neu zu gestalten, ging mit ihm zu Grabe. Seine Werke hat zuletzt Böcking herausgegeben (Leipz. 1859–62, 5 Bde., mit 2 Supplementbänden); ein Verzeichnis der Schriften Huttens enthält Böckings »Index bibliographicus Huttenianus« (das. 1858). Die Gespräche sind übersetzt und erläutert von D. Strauß (Leipz. 1860). 1889 wurde H. und Sickingen ein großes Denkmal (von Cauer) auf der Ebernburg errichtet; vgl. auch Tafel »Berliner Denkmäler II«, Fig. 3. Vgl. D. Strauß, Ulrich von H. (6. Aufl., Bonn 1895); Szamatólski, U. v. Huttens deutsche Schriften (Straßb. 1891); Volksschriften von Lange (Gütersl. 1888), Reichenbach (2. Aufl., Leipz. 1888), Schott (Halle 1890), Pappritz (Marb. 1893) u. a. – Die heldenhafte Persönlichkeit Huttens übte übrigens auch auf die neuere Dichtung eine mächtige Anziehungskraft. In epischer Form wurde sein Leben behandelt von Ernst v. Brunnow in dem Roman »Ulrich v. H.« (Leipz. 1843), von A. E. Fröhlich in den Gesängen »Ulrich v. H.« (Zürich 1845), von A. Schlönbach in einem gleichnamigen Epos (Berl. 1862), am vortrefflichsten von K. F. Meyer in der lyrischepischen Dichtung »Huttens letzte Tage« (Leipz. 1871). Zum Helden eines Dramas machten ihn R. Gottschall, H. Köster, G. Logau, K. Nissel und K. Berger.

2) Hans von, s. Ulrich, Herzog von Württemberg.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 677-678. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006801013


Brockhaus 1809

[223] Ulrich von Hutten, ein Deutscher Edelmann, welcher 1488 zu Steckelberg, einem Schlosse in Frauken, geboren wurde. Schon frühzeitig zeigte er viel Liebe zu den Wissenschaften, aber desto mehr Abneigung zu der Jurisprudenz, welche ihn sein Vater auf der Universität zu Pavia zu erlernen zwang. Er wendete sich bald darauf wieder zu den schönen Wissenschaften und trat mit den vorzüglichsten Gelehrten der damahligen Zeit, besonders mit dem Erasmus von Rotterdam, in Verbindung. Pfaffen und Mönche waren seine erklärten Feinde, weil sie die alte Finsterniß schützten, der Hutten aus allen Kräften entgegen arbeitete, und deßwegen zu den Wiederherstellern der Wissenschaften in Deutschland gerechnet zu werden verdient. Er bekannte sich einige Jahre vor seinem Tode zu der Lutherischen Religion, zeigte sich in dem Kriege des Schwäbischen Bundes, mit dem Herzog Ulrich von Würtemberg, als einen tapfern Heerführer, und starb 1523. Die Güte seines moralischen Charakters ist von Vielen bezweifelt worden.

Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 223. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000755133


Brockhaus 1838

[431] Hutten (Ulrich von), einer der am freimüthigsten, muthvollsten und am wirksamsten im 16. Jahrh. gegen die Misbräuche der katholischen Kirche auftretenden Schriftsteller, stammte aus einem alten Geschlecht, wurde 1488 zu Steckelberg bei Fulda auf dem Stammschlosse seiner Familie geboren und nachher in das Stift zu Fulda gebracht, wo er wissenschaftliche Bildung erhielt, aber 1504 entfloh, um nicht Mönch werden zu müssen. In Erfurt wurde er von der Syphilis angesteckt, welche damals als eine Seuche Europa verwüstete und nicht blos, wie gegenwärtig, durch Unkeuschheit sich fortpflanzte. Er litt an dieser Krankheit, die immer von Neuem ausbrach, bis an seinen Tod. Er hielt sich nun nacheinander in Köln, Frankfurt a. d. O., Greifswald, Rostock und Wittenberg auf, immer emsig an seiner weitern Bildung arbeitend und durch seine Talente, besonders für Poesie, willkommene Aufnahme findend. Endlich begab er sich nach Pavia, um dadurch, daß er sich dem Studium der Rechtswissenschaft widmete, die Gunst seines Vaters wieder zu erwerben. Bei der Eroberung Pavias wurde H. völlig ausgeplündert und mußte nach einem kurzen Aufenthalte in Bologna 1513 Kriegsdienste im kaiserl. Heere nehmen. Schon im nächsten Jahre verließ er den Kriegerstand wieder und machte nun zuerst allgemeines Aufsehen durch sein freimüthiges Auftreten gegen den Herzog Ulrich von Würtemberg, welcher einen Vetter von H. ermordet hatte, und dadurch, daß er sich öffentlich des vielfach verfolgten Reuchlin (s.d.) annahm. Nach einem zweiten Aufenthalt in Italien kehrte H. nach Deutschland zurück und wurde zu Augsburg von der schönen Constantia, der Tochter des durch seine Verdienste um die Wissenschaften und um seine Vaterstadt Augsburg berühmten Peutinger, als Dichter mit dem Lorber gekrönt und vom Kaiser Maximilian zum Ritter geschlagen. H. hatte das Mönchsleben in Italien in seiner tiefsten Entsittlichung kennen gelernt und trat von nun an in muthigen und scharfen Schriften gegen dasselbe, sowie gegen die übrigen Misbräuche der katholischen Kirche auf. Seit 1518 stand er bei dem Erzbischof von Mainz in Diensten, der ihn zu mehren Sendungen benutzte, und im folgenden Jahre bekriegte er im Verein mit dem schwäb. Bunde den Herzog Ulrich von Würtemberg und wurde der Freund des Franz von Sickingen. Hierauf lebte er einige Zeit auf seinem Stammschlosse und erließ heftige Schriften, durch welche er die Gunst des Erzbischofs von Mainz einbüßte, aber sich dem von Luther begonnenen Reformationswerke näher anschloß. Von Rom aus, sogar durch gedungene Mörder, verfolgt, fand H. bei Franz von Sickingen eine Zufluchtsstätte, bis Sickingen in der Fehde mit dem Erzbischof von Trier besiegt wurde. Unstät irrte nun H. umher, in der Schweiz vergebens eine. Zufluchtsstätte suchend, und erlag endlich 1523, erst 36 Jahre alt, auf der Insel Ufnau im Zürchersee, seiner wieder ausgebrochenen Krankheit. H. hat durch seine Schriften wesentlich zur Förderung der Reformation beigetragen. Er trat mit edler Unerschrockenheit allen Mängeln und Schlechtigkeiten seiner Zeit entgegen und hegte gegen den ihm durch seine Kühnheit und redliche Gesinnung nahe verwandten Luther eine große Achtung, obgleich er ihn nicht persönlich kennen lernte. Eine Sammlung seiner Schriften ist in fünf Bänden (Berl. 1821–25) erschienen.

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 431. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000083436X


Herders 1855

[374] Hutten, Ulrich v., einer der Geister des 16. Jahrh., in welche die Unruhe und Haltlosigkeit der Zeit gefahren war und zugleich ein trauriges Idol der modernen Liberalen, geb. 1488 im Schlosse Steckelberg unweit Fulda aus einem der ältesten Rittergeschlechter Frankens, entfloh aus der Klosterschule zu Fulda 1504, trieb humanistische Studien an verschiedenen Orten, führte ein unstetes Wanderleben im deutschen Reich u. in Italien als fahrender Poet, Literat, Student der Rechte, 1513 für kurze Zeit auch als Soldat und beurkundete seinen Zerfall mit der Kirche, Wirklichkeit und sich selbst in latein. u. deutschen Schriftchen, denen übrigens patriot. Gefühl, Kraft u. gesunder Mutterwitz nicht abgesprochen werden können. Ob den vielfach verrotteten Zuständen des Clerus seiner Zeit vergaß er die ewigen Grundsätze der Kirche sowie den bedeutenden Unwerth seiner eigenen Person und ward um so gefährlicher, je populärer er zu schreiben verstand. Als 1515 der wüste Herzog Ulrich einen Vetter H.s [374] ermordet hatte, trug dieser mit seiner Feder namhaft zur Vertreibung des Herzogs aus Württemberg bei, kam mit seiner Familie wieder auf guten Fuß zu stehen und mehrte seinen Ruhm durch Theilnahme an den Epistolae obscurorum virorum (s. d.). Obwohl er ein mittelmäßiger Verseschmied u. dabei ein tüchtiger Sturmbock gegen alles Bestehende in Kirche u. Staat war, krönte ihn 1517 Peutingers Tochter zu Augsburg doch zum Dichter, der alte Kaiser Max I. schlug ihn zum Ritter und der Erzbischof Albrecht von Mainz nahm ihn in seine Dienste. Im Bunde mit Vielen warf H. fortan eine Brandschrift nach der andern in die bewegte Zeit, unterstützte namentlich Luthers Unternehmen, obwohl er Luthern als einen Mönch nicht leiden mochte und von ihm abließ, als er in demselben einen »Halben« erkannte, hetzte alle Stände gegen die Kirche und gegeneinander selbst und trieb es ärger als je bei Sickingen auf der Ebernburg, nachdem ihn der Erzbischof Albrecht zuletzt hatte fallen lassen müssen. Gleich Sickingen traf den H. am 10. Oktbr. 1522 die Reichsacht; er floh über Basel, wo Erasmus ihn gar nicht zu sich ließ u. der Magistrat ihm bedeutete, sich baldigst davon zu machen, nach Zürich und st. 1523 auf der Insel Ufnau im Zürichersee an der Lustseuche, mit der er frühzeitig bekannt geworden war u. die er sogar besungen hat. Von seinen Schriften gab 45 Münch, Berlin 1822 ff., 5 B., heraus.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 374-375. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003377679