Isländische Literatur

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Pierer 1860

[90] Isländische Sprache u. Literatur. Die J. Sprache, wie sie gegenwärtig auf Island gesprochen u. geschrieben wird, ist mit wenigen Umwandlungen noch dieselbe Altnorwegische Sprache, welche im 9. Jahrh. durch die auswandernden Norweger nach Island in ihre neue Heimath gebracht wurde. Da sich bei weitem der größte Theil der Denkmäler der Altnorwegischen Sprache u. Literatur in Island erhalten hat od. auf Island selbst verfaßt wurde, so pflegt man die Altnorwegische Sprache u. Literatur auch unter dem Namen der Isländischen mit zu begreifen, od. auch isländisch als gleichbedeutend mit altnordisch zu nehmen, neuere Grammatiker unterscheiden jedoch strenger zwischen Altnorwegisch (Oldnorsk) u. Isländisch, indem sie letzteres auf die Form des Altnorwegischen beschränken, welche heutigen Tags noch in Island im Munde des Volkes ist. In diesem beschränkteren Sinne umfaßt man unter Isländischer Literatur alles das, was seit Einführung der Buchdruckerkunst u. der Reformation in J-r S. geschrieben worden ist, während man alle noch vorhandenen Denkmäler aus früherer Zeit unter dem Namen der Altnordischen Literatur zusammenfaßt (s. Altnordische Sprache u. Literatur). Gegen Ende des 14. Jahrh., nachdem Island 1380 mit Norwegen an Dänemark gefallen war, geriethen Wissenschaften u. Künste, welche schon vorher unter der norwegischen Herrschaft zu sinken begannen, in gänzlichen Verfall. Wenn sich auch nach Einführung der Reformation (1540–51) die Bildung wieder gehoben hatte, so blieb die nationale Literatur, doch fast nur auf Gedichte, Volksschriften u. Lehrbücher beschränkt; zu wissenschaftlichen Arbeiten bedienten sich die Isländer der Dänischen od. der Lateinischen Sprache. Dabei gewann das Dänische unter den gebildetern Klassen immer größere Verbreitung. Wenn im 15. Jahrh. auch noch Dichter, wie Sigurd Fosfri, Lopti Guttormsdon, später Jonas Halli auftraten, so haben doch die folgenden Jahrhunderte wenig bedeutende Schriftsteller aufzuweisen. Erst im 19. Jahrh. hat sich die Isländische literarische Gesellschaft (Islands Literatur-Selskab) um die Erhaltung u. Fortbildung des Isländischen als einer Cultursprache die größten Verdienste erworben. Dieselbe wurde durch Aufforderung Rask's am 30. März 1816 in Kopenhagen begründet u. besteht aus zwei Abtheilungen, von denen die eine in Kopenhagen, die andere (unter dem Namen Hid íslenzka bókmentafélag) in Reykjavik auf Island ihren Sitz hat. Neben Rask erwarben sich um die Einrichtung derselben die Isländer Arni Helgason (später Stiftsprobst), Bjarni Thorsteinsson (später Amtmann), Finn Magnusson (später Geheimer Archivar) u. Grimur Tonsson (später Amtmann) besonderes Verdienst. Die Gesellschaft hat den Zweck, ältere in der J. S. verfaßte Schriften, sowie neuere, deren Verfasser todt sind od. deren Verlust zu befürchten steht, herauszugeben, ingleichen die Abfassung u. den Druck neuerer Bücher zu besorgen, die für den gemeinen Mann od. den Schulunterricht nützlich sind. Außerdem läßt die kopenhagener Abtheilung eine Zeischrift, Skirnir, drucken, welche eine Übersicht über die wichtigsten politischen u. sonstigen Begebenheiten, sowie über Landbau, Handel, in u. ausländische Literatur gewährt. Außer zahlreichen ältern Literaturwerken hat die Isländische literarische Gesellschaft auch eine Anzahl der bessern neuern Arbeiten drucken lassen. Dahin gehören die Liodhmáli von Stephan Olafson (1823), Jonas Hallgrimsson (1847), Sigurd Petersson (1844), M. Stephanson (1847), die Rimur von S. Breitsiord (1843), das Islenzk Liodhabok von J. Thorlaksson (1842–44, 2 Bde.), die Krädi von Bjarne Thorarensen (1847). Hieran reihen sich die isländischen Übersetzungen von Miltons verlorenem Paradies (Paradisar-missir) durch Jonas Thorlaksson (1828), der Iliade u. Odyssee Homers (Ilions-Kvidha, 1855, 2 Bde.; Odysseifs-Kvädhi, 1853) von Sveinbiörn Egilsson, der Klopstockschen Messiade durch J. Thorlaksson, der 1001 Nacht in einer Auswahl von B. Gröndal u.a. m. Der Predigtliteratur gehören an Sievertsen's Föstupredikanir (1844) u. T. Sämundson's Rädur (1841). Unter den historischen Werken sind zu nennen die Arbokr Islands im Sagastyl von J. Espolin (1821–55, 12 Bde.) u. die beiden Sammelwerke Islands Sagnablödh (1817–26, 10 Bde.) u. Safn til sögn Islands[90] (1853 ff.) Von großem Interesse für die Rechtshistoriker ist der Lagasafn handa Islandi von O. Stephenson u. J. Sigurdsson (1856 ff., 6 Bde.), eine Sammlung der wichtigern auf Island bezüglichen Gesetze u. Erlasse seit 1096. Andere juristische Arbeiten sind Vidalin's Skyringar á fornyrdrum islenzkrar Lögbokar er Ionsbok nefnist (1847–49, 3 Bde.), Th. Jonasson's Um Sättamal a Islendi (1847) u. die Tidhindi fra Althingi islendinga (1845–47). Die isländischen Sprüchwörter sammelte G. Jonsson (1830). Um die J. S. machten sich K. Gislason (Dönsk Orthabok med islenzkum Thydingum, 1851; Um frumparta islenzkrar Tungu i Fornöld, 1846) u. Sveinbjörn Egilsson (Lexicon poeticum antiquae linguae septentrionalis, 1856–59) verdient. Auf den Faröer wird ein skandinavischer Dialekt gesprochen, welcher dem Isländischen sehr nahe steht, wenn er auch von dem Formenreichthum mehrfach Einbuße gelitten hat. Die zahlreichen Heldenlieder, welche sich auf der Inselgruppe von Mund zu Mund fortgepflanzt haben, wurden gesammelt von H. C. Lyngbye (1822) u. V. U. Hammershaimb (1851, 2 Thle.).

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 90-91. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010191046


Meyers

[55] Isländische Sprache und Literatur, s. Nordische Sprache und Literatur.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 55. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006830072


[764] Nordische Sprache und Literatur. Die nordische Sprache ist ein Zweig der germanischen Sprachfamilie (s. Germanische Sprachen) und steht innerhalb deren dem Gotischen am nächsten. Gotisch und Nordisch werden als ostgermanische Sprachen den andern, westgermanischen, gegenübergestellt. Die älteste nordische Sprache, Urnordisch oder Gemeinnordisch, ist nur in einer spärlichen Anzahl von Runeninschriften erhalten, die nur eben zahlreich genug sind, um diese Sprache als eine der gotischen gegenüber zum Teil noch altertümlichere erscheinen zu lassen, aber durchaus nicht hinreichen, um eine urnordische Formenlehre aufzustellen. Die ältesten und wichtigsten dieser Denkmäler finden sich auf dem »goldenen Horn«, den Steinen von Tune und Istaby u.a. (s. Runen). In diese Periode gehören auch zum Teil die germanischen Lehnwörter des Finnischen und Lappischen (vgl. Thomsen, Über den Einfluß der germanischen Sprachen auf die finnisch-lappischen, deutsch von Sievers, Halle 1870). Die Hauptmerkmale des Nordischen sind: Erhaltung eines ursprünglich auslautenden Flexions-s als r; Brechung eines stammhaften e zu ea, später ia (a-Brechung) und zu eo, später io (u-Brechung); Ausbildung eines u-Umlauts (in weitester Ausdehnung erst im Westnordischen und besonders regelmäßig auf Island); Abfall des j im Anlaut und später auch des v vor u, o, y; Bildung eines Mediopassivs durch Anhängung von sk (ursprünglich sik = sich); Entwickelung eines angehängten Artikels. Diese Gesamtsprache der Nordländer begann (etwa seit dem 9. Jahrh.) sich in zwei Sprachzweige zu spalten, das Norwegische oder Westnordische und das Schwedisch-Dänische oder Ostnordische (vgl. Ad. Noreen, De nordiska språken, Upsala 1887, und die Artikel »Schwedische Sprache« und »Dänische Sprache«). Das Westnordische herrschte, nachdem seit 874 von Norwegen aus Island besiedelt worden war, auch auf dieser Insel, wo sich nun eine eigne Sprache entwickelte. Zwischen dieser Sprache der Kolonie Island und den Dialekten des norwegischen Mutterlandes bildeten sich nämlich allmählich Unterschiede heraus, die zwar im ganzen gering, aber doch recht beachtenswert sind. Meist ist hier das Altnorwegische altertümlicher. Unter der Fremdherrschaft verkümmerte in Norwegen die einheimische Sprache und wich vor der dänischen, die nunmehr Schriftsprache und Sprache der Gebildeten wurde, bis man im Laufe des 19. Jahrh. sich bestrebte, sie mehr und mehr zu norwegisieren (oder gar durch eine auf Grund der Volksmundarten gebildete neunorwegische Sprache zu ersetzen; s. Norwegische Volkssprache). Auf dem entlegenen Island erhielt sich die Sprache in besonderer Altertümlichkeit bis auf den heutigen Tag. Die Laute sind zum Teil andre geworden, die Formen aber im wesentlichen geblieben. Ein interessanter Dialekt ist die Volksmundart der Färöer (vgl. Hammershaimb, Færœsk Sproglære, in »Annaler«, 1854, und Færœsk anthologi, Kopenh. 1891, 2 Bde.), während auf den andern nordischen Inselgruppen die nordische Sprache seit Jahrhunderten erloschen ist. Das Westnordische nun, und besonders das Isländische, pflegt man speziell als Nordisch oder Altnordisch zu bezeichnen, indem die reiche altnordische Literatur zum weitaus größten Teil in altisländischen Handschriften erhalten ist. Die besten Grammatiken sind die von L. Wimmer (»Oldnordisk Formlære«, 5. Aufl., Kopenh. 1897; deutsch von Sievers, Halle 1871; schwed., Lund 1874) und Noreen (3. Aufl., Halle 1903). Außerdem sind zu nennen: Gislason, »Oldnordisk Formlære« (unvollendet, Kopenh. 1858), F. Holthausen, »Altisländisches Elementarbuch« (Weim. 1895) und B. Kahle, »Altisländisches Elementarbuch« (Heidelb. 1896). Wörterbücher lieferten Cleasby und Vigfusson (»Icelandic-English dictionary«, Oxf. 1874), Sveinbjörn Egilsson (»Lexicon poeticum etc.«, Kopenh. 1860), J. Fritzner (Christiania 1867; 2. Aufl., das. 1883–96, 3 Bde.) und Möbius (»Altnordisches Glossar etc.«, Leipz. 1866). Vgl. Möbius, Über die altnordische Sprache (Halle 1872), und Ad. Noreen, Geschichte der nordischen Sprachen (Sonderdruck aus Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Aufl., Straßb. 1898).


Nordische Literatur.

Die abgeschiedene Lage gewährte Island, während im eigentlichen Skandinavien fortwährende Kämpfe tobten, im allgemeinen eine friedliche Entwickelung und veranlaßte so die reiche Entfaltung der altnordischen [764] Literatur gerade auf Island. Auch besaß Island einen einheimischen Priesterstand, der die alten Überlieferungen seines Volkes nicht etwa auszurotten bemüht war, sondern nach Kräften pflegte und so der Begründer einer eigentlichen Literatur ward. Diese begann, nachdem an Stelle der für längere Aufzeichnungen ungeeigneten Runenschrift (s. Runen) die lateinische eingeführt war (um 1150 wurde das lateinische Alphabet noch durch einige neue Zeichen vermehrt), im Anfang des 12. Jahrh.; jedenfalls ist aber vieles in gebundener und ungebundener Rede schon lange vorher in mündlicher Überlieferung fortgepflanzt worden. Die altnordische Literatur zerfällt natürlich in Dichtung und Prosa, nur spielt letztere hier eine weit bedeutendere Rolle als bei den andern germanischen Völkern. Die Dichtung teilt sich wieder in Volksdichtung und Kunstdichtung. Die wertvollsten Erzeugnisse der erstern sind die alliterierenden Lieder, die man unter dem Gesamtnamen Edda zusammenzufassen pflegt, obwohl der Name eigentlich nur der jüngern oder prosaischen Edda zukommt (s. Edda); zu der letztern gehören die Dichtungen der Skalden, die sich den alten einfachen Eddaliedern gegenüber durch künstliche Versmaße und Anwendung des Reimes sowie durch den übermäßigen Gebrauch von Umschreibungen (kenningar) auszeichnen. Die Eddalieder zerfallen in Götterlieder (z. B. »Volu-spá«, »Thrymskvidha«, auch didaktischen Inhalts, wie »Hávamál«) und Heldenlieder (hauptsächlich die Helgesage und die ursprünglich deutsche Siegfrieds- und Nibelungensage behandelnd). Außerdem gehören hierher alte Volkslieder mythischen oder heroischen Inhalts, wie sie in der Hervararsaga und Hálfssaga (Walkürenlied in der Njálssaga) enthalten sind. Eine Art Übergang zur Skaldendichtung bilden: Eiríksmál, Bjarkamál, Krákumál oder Lodhbrókarkvidha (am besten hrsg. von Th. Wisén in seinen »Carmina norroena«, Lund 1886–89). Zweifellos sind die Eddalieder im allgemeinen älter als die Skaldenlieder, über eine positive Altersbestimmung sind indessen die Ansichten geteilt. Daß oft verschiedene Schichten der Überlieferung nebeneinander in demselben Liede vorliegen, macht die Entscheidung schwierig. Doch sind die meisten Lieder in ihrer überlieferten Gestalt mit einiger Wahrscheinlichkeit ins 10. Jahrh., einige vielleicht ins 9. und 11. Jahrh. zu setzen. Der Kern der meisten Lieder ist aber gewiß älter (Weiteres s. Edda). Die Skaldendichtung beginnt schon im 9. Jahrh., doch fällt ihre Blütezeit erst ins 10. Jahrh. und reicht bis aus Ende des 13. Jahrh. (s. Skalden). Die Lieder sind meist Loblieder auf Lebende oder Tote, besonders Fürsten; diese Lieder heißen Drâpa (s. d.) oder Flokkr. Später folgte eine geistliche Dichtung in skaldischen Versmaßen, deren berühmtestes Erzeugnis Eysteins »Lilja« (um 1350), ein Loblied auf Christus und Maria, ist. Außerdem gab es auf Island eine Art von Gelegenheitsdichtung, bestehend in einzelnen Strophen (lausavisur genannt), in deren Improvisation viele Isländer eine große Fertigkeit besessen haben müssen, und von denen die Sagas eine große Menge aufbewahrt haben. (Eine leider unkritische Gesamtausgabe der altnordischen poetischen Denkmäler ist Gud br. Vigsussons »Corpus poeticum boreale«, Oxf. 1883, 2 Bde.) Nach dem Verfall der skaldischen Dichtung erwuchs auf Island, den Übergang zur neuisländischen Literatur (j. unten) vermittelnd, eine neue, die sogen. Rimurpoesie, seit Ende des 14. Jahrh., mit Endreimen, eine Dichtung, die mit den Kæmpeviser in Zusammenhang steht und unter südgermanischen Einflüssen entstanden ist. Inhaltlich sind diese Rimur teils selbständig, wie Skídharíma (Ende des 14. Jahrh., hrsg. von K. Maurer, Münch. 1869) und Oláfsríma (vor 1395), teils haben sie den Inhalt romantischer Sagas ziemlich getreu wiedergegeben, wobei oft eine verlorne ältere Handschrift benutzt ist (vgl. Kölbing, Beiträge zur vergleichenden Geschichte der romantischen Poesie und Prosa des Mittelalters, Bresl. 1876). Hier ist auch der von Kölbing herausgegebene »Skaufhálabálkr« zu nennen, ein stabreimendes Fuchslied, die älteste Bearbeitung der Fuchssage im Norden. Die letzte Fortsetzung der ältern nordischen Dichtung sind die Volkslieder, von denen die norwegischen durch Landstad (»Norske Folkeviser«, Christiani a 1853), die isländischen von Sv. Grundtvig und Jón Sigurdsson (Kopenh. 1854–1885), die färöischen am besten von Hammershaimb (das. 1851–55) herausgegeben sind; ferner in Prosa: »Isländische Volkssagen der Gegenwart« (hrsg. von Maurer, Leipz. 1860), isländisch: »Islenzkar thjódhsögur og æfintyri« (gesammelt von Arnason, das. 1862–64; in Auswahl deutsch von M. Lehmann-Filhés, Berl. 1889–91, 2 Bde.).

Die Prosa ist besonders vertreten durch die reiche Sagaliteratur (s. Saga). Während ein Teil derselben heroische Mythen behandelt und zum Teil nachweislich auf alte Volkslieder zurückgeht, haben andre historische Ereignisse und Personen mit mythischen verknüpft; noch andre, die zahlreichsten und wichtigsten, behandeln geschichtliche Ereignisse in den Hauptzügen durchaus historisch. Die Entstehung der geschichtlichen Saga auf Island erklärt sich aus dem aristokratischen Charakter der Bevölkerung; auf dem winterlich vereinsamten Hofe suchten die vornehmen Isländer an langen Winterabenden Kurzweil in der Erzählung der Taten ihres Geschlechts oder einzelner hervorragender Ahnen. Die Geschlechtsregister und die eingestreuten Verse wurden sozusagen das Knochengerüst der Saga, an das sich ausschmückende Einzelzüge als Fleisch und Blut ansetzten. Zuerst ist die älteste Geschichte Islands in knapper Form, aber vortrefflich behandelt von Ari dem Weisen (gest. 1148) in seiner »Islendingabók« (hrsg. von Möbius, Leipz. 1869; F. Jónsson, Kopenh. 1887, und W. Golther, Halle 1892), sodann ausführlicher in der »Landnámabók«, Bericht über die Landnahme, d.h. Besiedelung (hrsg. am besten von Finnur Jónsson, Kopenh. 1900). Die andern Sagas knüpfen sich an einzelne Persönlichkeiten oder Geschlechter, sie zerfallen in Íslendingasogur weltlichen und kirchlichen Inhalts (biskupasogur, auch Legenden: heilagra manna sogur) und norwegische Königsgeschichten. Unter letztern ist die sogen. Heimskringla des Snorri Sturluson (s. d.) von höchster Bedeutung (geschrieben um 1230). Gegen Ende des 13. Jahrh. dringen auch fremde (romantische) Stoffe südlicher Völker nach dem Norden und werden in den Riddara-sogur bearbeitet (vgl. Kölbing, Riddara-sögur, Straßb. 1872, und Cederschiöld, Fornsögur Sudhrlanda, Lund 1884), und ebendiese Stoffe werden in den Rímur in Verse gebracht. Eine Sammlung der besten Sagas mit erklärendem Kommentar enthält die von G. Cederschiöld, H. Gering und E. Mogk begründete »Altnordische Sagabibliothek« (Halle 1892 ff.). Auch die Novellen- und Märchenliteratur der südlichen Völker wurde um diese Zeit nach Island verpflanzt; eine Sammlung dieser Erzählungen gab Gering heraus[765] (»Íslenzk æventýri«, Halle 1882–83, 2 Bde.). – Eine Art didaktischer Prosa repräsentiert einerseits die sogen. jüngere oder Snorra Edda, das berühmte Lehrbuch der altnordischen Kunstpoesie, auch in ihrem grammatischen Anhang, anderseits der Königsspiegel (»Konungs-skuggsjá«, hrsg. von Keyser, Munch u. Unger, Christiania 1848, und O. Brenner, Münch. 1881), Regeln für das Verhalten am Königshof enthaltend. Hierher gehören auch die zahlreichen Homilien, z. B. die nach einer Handschrift des 12. Jahrh. von Wisén herausgegebenen (»Homiliubók«, Lund 1872) und die altnorwegischen, herausgegeben von Unger (»Gammel norsk Homiliebog«, Christiania 1862–1864). Eine Paraphrase eines großen Teiles des Alten Testaments ist u. d. T.: »Stjórn« erhalten (hrsg. von Unger, Christiania 1853–62). Schließlich sind hier die Gesetzaufzeichnungen zu erwähnen (s. Nordisches Recht). – Die wichtigsten Hilfsmittel sind: Köppen, Literarische Einleitung in die nordische Mythologie (Berl. 1837); Rosselet, Isländische Literatur (in Ersch und Grubers Enzyklopädie, II, Bd 31); Petersen, Bidrag til den oldnordiske Literaturs Historie (Kopenh. 1866); Keyser, Nordmændenes Videnskabelighed og Literaturi Middelolderen (Christiania 1866); Grundtvig, Udsigt over den nordiske Oldtids heroiske Digtning (Kopenh. 1867); Gudbr. Vigfusson, Prolegomena zur Sturlunga-Saga (Oxf. 1878); Finnur Jonsson, Den oldnorske og oldislandske literaturs historie (Kopenh. 1894–1902, 3 Bde.); E. Mogk, Geschichte der norwegisch-isländischen Literatur (in Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«; Sonderdruck, 2. Aufl., Straßb. 1904). Die besten Lesebücher sind die von Wimmer (6. Aufl., Kopenh. 1903) und von Möbius (»Analecta norrœna«, 2. Aufl. 1877). Eine ausgezeichnete Bibliographie lieferte Th. Möbius, Catalogus librorum islandicorum et norvegicorum etc. (Leipz. 1856), und Verzeichnis der auf dem Gebiet der altnordischen Sprache etc. erschienenen Schriften (das. 1881).


Die neuisländische Literatur

beginnt nach einer langen Periode der Unfruchtbarkeit, aus der neben den »rímur« etwa noch der »Háttalykill« des Loptr Guttormsson (gest. 1432) zu erwähnen ist, mit der Übersetzung des Neuen Testaments durch Odd Gottskalksson (gedruckt 1540) und der ganzen Bibel durch den Bischof Gudbr. Thorlaksson (gedruckt 1584), doch überwog in der gelehrten »isländischen Renaissance« die gelehrte Tätigkeit (Arngr. Jónsson, Björn von Skardsá, Torfäus, Arni Magnusson) weitaus die poetische. Erst das 17. Jahrh. brachte einen bedeutendern Dichter hervor, den Pfarrer Hallgrímur Pjetursson (1614–74), besonders berühmt durch seine Passionspsalmen, die noch bis auf den heutigen Tag immer von neuem aufgelegt werden; neben ihm ist der Satiriker Stefan Olafsson (gest. 1688) zu nennen. Die bedeutendste Erscheinung des 18. Jahrh. war Eggert Olafsson (1726–68), der jedoch mehr durch seine wissenschaftlichen Werke (besonders durch die ausführliche Beschreibung Islands, Kopenh. 1772) als durch seine Gedichte (das. 1832) bekannt geworden ist. In der Folgezeit beginnt der Einfluß der ausländischen Literatur sichtbar zu werden: Bened. Gröndal der Ältere (1762–1825) übersetzte Popes »Temple of fame«, Jon Thorlaksson (1744–1819) Miltons »Verlornes Paradies« und Klopstocks »Messias«, und Magnus Stephensen (1722–1833) schrieb im Geiste Voltaires und der englischen Essayisten. Selbständige und ideenreiche Lyriker waren Bjarni Vigfússon Thórarensen (1786–1841) und Jonas Hallgrímsson (1807–45) sowie der Philolog Sveinbj. Egilsson (s. d.), der seinem Vaterland eine vollständige Übersetzung des Homer schenkte. In der neuern Zeit sind auch der Roman und die Novelle mit Erfolg gepflegt worden; hervorzuheben sind hier Jón Thoroddsens »Piltur og stúlka« (deutsch von J. C. Poestion: »Jüngling und Mädchen«, in Reclams Universal-Bibliothek), Páll Sigurssons »Adhalsteinn« (Reykjavik 1877) und die Erzählungen von Gestr Pálsson; weniger ist auf dem dramatischen Gebiete geleistet: neben den trefflichen Übersetzungen Shakespearescher Stücke durch Mattias Jokkumsson und Steingr. Thorsteinsson ist nur des erstgenannten Schauspiel »Utilegumennirnir« und Indridi Einarssons »Nýársnóttin« beachtenswert. Vgl. Poestion, Island, das Land und seine Bewohner (Wien 1885), und Isländische Dichter der Neuzeit (Leipz. 1897); Ph. Schweitzer, Island, Land und Leute, Geschichte, Literatur und Sprache (das. 1885); Küchler, Geschichte der isländischen Dichtung der Neuzeit (das. 1896–1902, 2 Hefte); Jón Borgsirdingur, Rithöfundatal 1400–1882 (Reykj. 1884); Jónas Jónasson, Yfirlit yfir bókmentir Íslendinga á 19. öld (in den »Tímarit hins íslenzka bókmentafèlags«, 1881); Jón Thorkelsson, Om digtningen på Island i det 15. og 16. århundrede (Kopenh. 1888); Finnur Jonsson, Agrip af bókmentasögu Islands (Reykj. 1891). Eine Anthologie aus der modernen isländischen Literatur ist die »Sýnisbók íslenzkra bókmennta« von Melsted (Kopenh. 1891); eine Auswahl lyrischer Gedichte in deutscher Übersetzung lieferte Poestion (»Eislandblüten«, Münch. 1904).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 764-766. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007161883


Brockhaus 1911

[875] Isländische Sprache und Literatur. Die isländische Sprache ist ein Zweig der altnorwegischen und mit dieser bis ins 13. Jahrh. gleich, wenn auch mit dialektischen Eigentümlichkeiten. Sie erreichte ihre höchste Entfaltung zur Blüte der Literatur im 13. Jahrh. Aufnahme nur weniger Fremdwörter. Im 14. und 15. Jahrh. Dehnung kurzer Stammsilben, Beginn des Neuisländischen. Ausgleich der Formen, sonst erhält sich formell die alte Sprache. – Vgl. Kahle (1896), Holthausen (1895-96), für das Neuisländische Carpenter (1881). Die älteste Literatur ist Dichtung; ihr eigen ist die Strophe, die Alliteration und das Prinzip der Silbenzählung; [875] diese Dichtung hatten die Isländer mit aus Norwegen gebracht, so die Eddalieder, daneben die Skaldendichtung, feierliche Gedichte zum Lob der Fürsten, Blüte derselben im 10. und 11. Jahrh.: Glimm, Einare, Koernak, Hallfred, bes. Skallagrimsson, ferner Sighvata, Amon Jarlaskald, Snorri Sturluson. Später auch geistl. Gedichte. Eine bes. charakteristische Erscheinung der altisländ. Literatur sind die Sagas (Sögur), prosaische Erzählungen in einem eigenen knappen Stil, erst mündlich fortgepflanzt, seit dem 12. Jahrh. aufgezeichnet. Vater der Sagaliteratur ist Ari, Höhepunkt unter Snorri. Islandingasagas (Geschlechts-, Familie- oder Personengeschichten): »Eyr byggjassaga«, »Njálssaga«, »Egilssaga«, »Sturlungasaga«; die »Biskupasögur« behandeln das Leben der isländ. Bischöfe, die »Konungasögur« das der norweg. Könige. Am berühmtesten Snorris Geschichtswerk »Heimskringla«. Auch mythische und märchenhafte Stoffe werden behandelt: »Völsungasaga«, »Fridhthjófssaga«, »Hervararsaga« u.a. Ebenso die Legenden der Apostel und Heiligen (Postula-Heilagramannasögur). Von weiterer Bedeutung sind Snorris Lehrbuch der Poetik, die Edda, die Sammlungen von Gesetzbüchern (Grágás), die Annalen. – Aufschwung zu neuem geistigen Leben nach der Reformation: antiquarisch-histor. Studien im 17. und 18. Jahrh. (F. Jonsson »Historia ecclesiastica«). Im 19. Jahrh. Neuentfaltung der Literatur: lyrische Dichter und Prosaisten: Bj. Thorarensen, Thoroddsen, Kr. Jónsson, Thorsteinsson, Jochunsson, Pálsson; Staatsmann, Philolog und Historiker: Jón Sigurdsson; Philologen: Sv. Egilsson, K. Gislason, Vigfusson; Geograph: Thoroddson. – Vgl. Schweitzer (1885-89), F. Jonsson (1891-92), Holthausen (1896); für die neuisländ. Literatur Küchler (1896-1902), Poestion (1897).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 875-876. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001218344