Tschechische Literatur

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Meyers 1909

[766] Tschechische Literatur. Die t. L. hat sich unter den slawischen Literaturen mit am frühesten entwickelt, wurde jedoch in der hussitischen Zeit von theologischpolemischen Schriften überflutet und durch die Reaktion nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) fast vollständig unterbrochen. In den 20er Jahren des 19. Jahrh. beginnt ihre Erneuerung, und zwar vorwiegend in wissenschaftlicher Richtung unter starker Anlehnung an gesamtslawische Ideen.

1. Periode. Von den ältesten Zeiten bis zu Hus (800–1410).

Als die ältesten Proben tschechischer und überhaupt slawischer Poesie galten früher die sogen. Grünberger Handschrift (s. d.), angeblich aus dem 8. oder 9. Jahrh., und die Königinhofer Handschrift (s. d.), die in das 13. oder 14. Jahrh. verlegt wurde. Beide Handschriften, deren Echtheit schon seit ihrer Entdeckung mannigfach angezweifelt wurde, sind jedoch nunmehr als Fälschungen erkannt. Die tschechische Dichtkunst steht in der ältesten Zeit unter lateinisch-deutschem Einfluß. Schon unter Wenzel I. und Ottokar II. drangen mit deutscher Rittersitte auch die damals beliebten poetischen Stoffe nach Böhmen. So ward die »Alexandreis« Walthers von Châtillon von einem unbekannten Dichter tschechisch bearbeitet (in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh.; nur in Bruchstücken erhalten), ebenso die Artussage in »Tristram«, mit starker Nachahmung Gottfrieds von Straßburg, und in »Tandariáš a Floribella« (14. Jahrh.). Höher an poetischem Wert stehen indessen die dem Dalimil (s. d.) zugeschriebene (in Wirklichkeit von einem unbekannten Ritter kurz nach 1314 verfaßte) Reimchronik der böhmischen Geschichte und die in trefflicher Prosa geschriebene Erzählung »Tkadleček« aus dem Ausgang des 14. Jahrh. Auch didaktische und satirische Dichtungen, namentlich Tierfabeln, waren damals in Böhmen sehr verbreitet, darunter »Nová Rada« (»Der neue Rat«, 1394–95) des Smil Flaška von Pardubitz, dem auch der »Rat eines Vaters an seinen Sohn« zugeschrieben wird, »Der Streit des Wassers mit dem Wein«, »Stallmeister und Schüler«, »Der Streit zwischen Leib und Seele« etc., ferner allegorische Dichtungen, so der »Anticlaudianus« (bearbeitet nach dem lateinischen des Cisterciensers Alanus von Ryssel), wie nicht minder kirchliche Poesien, nämlich Hymnen (davon die älteste »Hospodine pomiluj ny« aus der Zeit Cyrills und Methods oder ihrer Schüler), Legenden (bemerkenswert die »Legende von der heil. Katharina«, aus dem 14. Jahrh.), Psalmenübersetzungen und religiöse Dramen oder »Mysterien«, als deren älteste bekannte Probe der nur in einem Fragment erhaltene »Mastičkář« (»Salbenkrämer«), aus dem Anfang des 14. Jahrh., zu nennen ist. – Die tschechische Prosa begann mit Bibelübersetzungen. Ein kleines Fragment des Evangeliums Johannis, der Schrift nach aus dem 10. Jahrh., ist neben der oben erwähnten Hymne »Hospodine pomiluj ny« das älteste Denkmal der tschechischen Literatur. Einzelne Teile der Bibel wurden teils im 13., teils im 14. Jahrh. ins Tschechische übersetzt, die ältesten Handschriften der vollständigen tschechischen Bibel gehören dem ersten Jahrzehnt der folgenden Periode an. Die Leben der Heiligen, meist Übersetzungen aus dem Lateinischen, wurden unter Karl IV. in dem sogen. Passional zusammengestellt. Die Gründung der Prager Universität 1348 gab dann den Wissenschaften in Böhmen einen raschen Aufschwung. Einer ihrer ersten Schüler war Thomas v. Štítný (s. d.), dessen theologisch-philosophische Abhandlungen von der herrschenden Scholastik stark abwichen, in erster Linie dadurch, daß sie nicht lateinisch, sondern tschechisch geschrieben waren. Auch die ersten tschechischen Chronisten schrieben lateinisch, so Kosmas von Prag (gest. 1125) u. a.; die älteste Chronik in tschechischer Prosa ist die des Priesters Pulkawa von Radenin (gest. um 1380). Ungefähr in dieselbe Zeit fällt die tschechische Übersetzung der berühmten Reise Marco Polos ins mongolische Reich, der sich im Anfang des 15. Jahrh. die der Reisen[766] des Engländers Maundville durch Laurentius von Březová anschließt. Das älteste, tschechisch geschriebene Denkmal endlich der böhmischen Rechtsgeschichte ist das »Buch des alten Herrn von Rosenberg« aus dem Anfang, und das nächst bedeutende die »Auslegung des böhmischen Landrechts« von Andreas von Dubá aus dem Ende des 14. Jahrh.; ferner ist zu nennen die Übersetzung der »Landrechtsordnung« (1348–55), der »Majestas Carolina« (1348), der »Rechte der Großstadt Prag«, des »Magdeburger Rechts« etc.

2. Periode. Die Zeit der hussitischen Bewegung und das sogen. goldene Zeitalter (1410–1620).

Das Jahr, in dem Joh. Hus (s. d.) seinen Bruch mit der römischen Kurie vollzog, wird mit Recht als der Anfang einer neuen Periode der tschechischen Literatur bezeichnet. Um sich in dem Streit mit Rom die Unterstützung der Volksmassen zu sichern, schlug Hus kühn die Bahnen ein, die vor ihm bereits Thomas v. Štítný betreten hatte, gab die lateinische Gelehrtensprache auf und wandte sich in gemeinverständlichen tschechischen Predigten und Schriften an das Volk. Hierbei entwickelte er die tschechische Sprache nicht nur praktisch, sondern unterzog sich auch der Mühe, die bis dahin außerordentlich schwankende Orthographie in einer besondern Schrift zu regeln (vgl. »M. J. Husi ortografie česká«, hrsg. von Šembera 1857). Diese Bemühungen um die Vervollkommnung der tschechischen Sprache wurden im 15. und 16. Jahrh. eifrig fortgesetzt von der Gemeinschaft der Böhmischen oder Mährischen Brüder (s. d.), welche die vorzüglichsten tschechischen Stilisten hervorbrachte und zuerst in Jungbunzlau und Leitomischl, darauf in Prerau Druckereien anlegte. Wesentlich gefördert wurde der Aufschwung der tschechischen Literatur auch durch humanistische Einflüsse, namentlich unter Wladislaw II. (1471–1516), als Bohuslaw v. Lobkowitz, der eine der reichhaltigsten Bibliotheken seiner Zeit sammelte, und nach ihm eine Reihe namhafter Gelehrter ausgezeichnete lateinische Gedichte schrieben und ein andrer Kreis böhmischer Humanisten, an deren Spitze der Rechtsgelehrte Viktorin Kornelius v. Všehrd (gest. 1520) stand, die klassischen Studien für die tschechisch-nationale Literatur zu verwerten suchte. Gleichwohl konnte sich unter den erbitterten nationalen und religiösen Kämpfen die tschechische Poesie nicht kräftig entwickeln. Satire und Kriegslieder traten in den Vordergrund. Der »Májový sen« (»Maitraum«) des Prinzen Hynek von Poděbrad (1452–92) ist nur seines Verfassers wegen zu erwähnen; das satirische Gedicht »Prostopravda« des Nikolaus Dačický von Heslow (1555–1626) hat allein für die Kulturgeschichte Wert. Der bedeutendste tschechische Dichter dieser Zeit ist Simon Lomnický (gest. nach 1622), obschon es ihm zu sehr an sittlichem Gehalt fehlte, um als didaktischer und moralisierender Dichter Großes zu leisten. Für seine Hauptwerke gelten: »Krátké naučení mladému hospodáři« (»Kurze Anleitung für einen jungen Hauswirt«), ein didaktisches Gedicht mit Zügen der damaligen Sitten, und die Satire »Kupidova střela« (»Der Pfeil Cupidos«), die ihm bei Rudolf II. den Adel und einen Jahrgehalt einbrachte; auch versuchte er sich in kirchlichen Dramen. Unter den zahllosen kirchlichen Gesängen, von denen mehrfach Sammlungen (»Cancionale«) veranstaltet wurden (namentlich 1501, 1504, 1561, 1576, 1615 und später), sind die von dem Bischof der Böhmischen Brüder, Joh. Augusta (1500–72), größtenteils im Gefängnis verfaßten schwungvollen Lieder hervorzuheben.

Auch in der tschechischen Prosa dieser Periode überwiegt die theologisch-polemische Richtung, indem Kalixtiner, Katholiken und später Protestanten in kirchlicher Propaganda literarisch wetteiferten. Am wertvollsten sind die teils lateinischen, teils tschechischen Schriften von Joh. Hus (1369–1415), dem Begründer des Protestantismus, von denen die letztern von Erben herausgegeben wurden (Prag 1865–68, 3 Bde.). Auf katholischer Seite zeichnete sich der Prager Dekan Hilarius von Leitmeritz (1413–69), auf kalixtinischer der Erzbischof Joh. v. Rokycan (1397 bis 1471) aus. Durch kernhaften Stil ragen des genialen Peter Chelčický (s. d., 1390–1460) Schriften hervor, die der Böhmischen Bruderschaft als Richtschnur galten. Unter den theologischen Schriftstellern dieser Bruderschaft zeichnete sich besonders J. Lukáš (1460[?]-1528) durch glänzenden Stil aus. In den Anfang dieser Periode fallen auch, wie bereits früher bemerkt, die ersten tschechischen Gesamtbibelübersetzungen (gedruckt zuerst 1488); bis 1620 erschienen 15 tschechische Bibeln, die beste davon ist die 1579–93 in Mährisch-Kralitz auf Kosten des Johann von Žerolín veröffentlichte (»Bible Kralická«), die noch heute für das höchste Muster der tschechischen Sprache gilt. Die Begründer der böhmischen Rechtswissenschaft sind der oben erwähnte V. K. v. Vsehrd (»Neun Bücher vom Recht und Gericht und von der Landtafel in Böhmen«, um 1500), der Landmarschall Ctibor von Cimburg (gest. 1494) in dem sogen. »Tobitschauer Buch« (1490, für Mähren) und P. Chr, v. Koldín (1530–89), dessen Schrift »Práva městská kraloství českého« (1579) für die Städteordnungen in Böhmen und Mähren maßgebend wurde. Eifriger Pflege erfreuten sich die historischen Wissenschaften. Den Übergang zur zweiten Periode bilden die »Staří letopisové čeští«, anonyme Annalisten der Jahre 1378–1527. Bedeutende Förderung erhielt dann die tschechische Geschichtschreibung durch Adam v. Veleslavín (1545–99), der zahlreiche eigne und fremde historische Werke in musterhafter Sprache veröffentlichte (Übersetzung der »Historia bohemica« von Äneas Sylvius, »Politia historica«, »Kalendář historický« u. a.). Die Kämpfe zwischen den Kalixtinern und Protestanten in Prag 1524–30 wurden von dem eifrigen Lutheraner Bartoš (gest. 1535) parteiisch, aber anschaulich geschildert; den Widerstand der böhmischen Stände gegen Ferdinand I. 1546–48 beschrieb Sixt v. Ottersdorf (1500–83), ebenfalls vom protestantischen Standpunkt aus, aber durchaus pragmatisch und in klassischem Stil. Die gesamte böhmische Geschichte behandelte der Kanonikus Václav Hájek von Libočan (gest. 1552), dessen »Chronik« eine beliebte Lektüre, aber wenig zuverlässige Geschichtsquelle ist. Joh. Blahoslav (1523–71), Bischof der Böhmischen Bruderschaft, verfaßte eine wertvolle Geschichte der letztern. Ein andrer Bruder, Václav Březan (ca. 1560–1619), Archivar des Grafen Rosenberg, schilderte in einer Biographie dieses Magnaten die Ereignisse von 1530–92; doch kommt dieses Werk stilistisch den Schriften Blahoslavs nicht gleich. Zur Brüdergemeinde gehört ferner der Historiker Jaffet (gest. 1614), der außer andern Werken eine Geschichte vom Ursprung der Brüderunitäten schrieb. Wertvolle Beiträge zur politischen und Kulturgeschichte Böhmens enthalten die zahlreichen Briefe des Karl v. Zerotín (1564–1636, s. d.), neben dem noch der polnisch-tschechische Historiker Barthol. Paprocki (1540–1614, Beschreibungen der böhmischen, mährischen und schlesischen Adelsgeschlechter) und der Hofhistoriograph[767] des Königs Matthias, Georg Závěta (gest. um 1638), Verfasser einer »Hofschule« (»Schola aulica«, Prag 1607), zu erwähnen sind. Endlich gehört hierher die reichhaltige Korrespondenz der Herren v. Schlik, Rabstein, Sternberg, Rosenberg, Cimburk, Wilh. v. Pernstein und des Königs Georg von Poděbrad. – In der Länder- oder Sittenkunde tritt uns zuerst die »Kosmografie česká« des Siegmund v. Púchow (1520–84) entgegen, der sich die Beschreibung der Reisen des Joh. v. Lobkowitz nach Palästina (1493), Vratislavs v. Mitrovic nach Konstantinopel (1591), Harants von Polžic nach Ägypten, Jerusalem etc. (1598; neue Ausg. von Erben, 1854) u. a. anschlossen. Unter den Humanisten zeichneten sich aus: Gregor Hrubý z Jelení (1450–1514) als Übersetzer von Cicero, Seneca u. a., Siegmund Hrubý z Jelení (1497 bis 1554), Verfasser eines »Lexicon symphonum« der griechischen, lateinischen, tschechischen und deutschen Sprache, Václav Písecký (1483–1511), der Übersetzer des Isokrates. Auch die tschechische Sprachforschung verdankt der Böhmischen Brüdergemeinde vielfache Förderung (»Grammatika česká« von Joh. Blahoslav, 1571). Naturwissenschaftliche Schriften hinterließen Tadeus Hájek (1525–1600) und Adam Zalužanský (gest. 1613).

3. Periode. Die Unterdrückung der tschechischen Sprache: die Exulanten (1620–1774).

Die Niederlage der Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg, die gewaltsame Austreibung und Auswanderung von 30,000 Böhmen, darunter viele durch hervorragende Stellung und Vermögen einflußreiche Förderer der nationalen Literatur, die Vernichtung des Wohlstandes und die allgemeine Verwilderung während des Dreißigjährigen Krieges schienen den Untergang der tschechischen Literatur herbeizuführen. Gegen deren alte Schätze wüteten die Sieger unter dem Vorwande, daß sie von hussitischen oder protestantischen Tendenzen durchdrungen seien. So gingen von den ältern Werken viele unter, andre wurden außerordentlich selten. Bald verwilderte denn auch die tschechische Sprache, die immer allgemeiner als Bauerndialekt verachtet und endlich vom Kaiser Joseph II. durch Dekret vom 6. Jan. 1774 aus Amt und Schule ausgeschlossen wurde. Allein sofort trat eine kräftige Gegenwirkung zutage. Die literarischen Überlieferungen der zweiten Periode wurden zunächst von den Auswanderern oder Verbannten weiter gepflegt. Karl v. Žerotín (s. oben) setzte von Breslau aus seine literarisch wertvolle Korrespondenz mit seinen Freunden, namentlich mit den Böhmischen Brüdern, fort. In enger Verbindung mit seinem Namen erscheint der des bedeutendsten tschechischen Schriftstellers jener Zeit, J. Amos Komenskýs (lat. Comenius, 1592–1670), dem die t. L. die großartige, wenn auch zuweilen in Pietismus ausartende allegorische Dichtung »Labyrintsvěta« (»Labyrinth der Welt«, 1623) verdankt, worin er dem tiefen Schmerz seiner Seele in ergreifenden Tönen Ausdruck verlieh. Von demselben unerschütterlichen Gottvertrauen zeugt seine treffliche metrische Übersetzung der Psalmen. In seinen pädagogischen Schriften trat er gegen die herrschende pädagogische Scholastik und den verkehrten Klassizismus auf (Weiteres s. Comenius). Neben Komenský zeichneten sich unter den Verbannten aus: Paul Skála (gest. nach 1640), der Verfasser einer Kirchengeschichte in 10 Bänden, Martin v. Dražov (1593–1639) und der Lateinisch schreibende Paul Stránsky (1583–1657), der in seiner in Holland veröffentlichten »Respublica Bojema« eine überaus klare Darstellung der politischen Verhältnisse und des innern Zustandes Böhmens entwirft. Noch spärlicher entwickelte sich die t. L. nach der Katastrophe von 1620 in Böhmen selbst. Eigentümlicherweise verdankt man hier das bedeutendste Werk jenem Grafen Wilhelm Slávata (1572 bis 1652, s. d.), einem der Opfer des berühmten Fenstersturzes, dessen 14bändiges Geschichtswerk (»Spisovaní historické«), ein Gegenstück der vom protestantischen Standpunkt verfaßten Geschichte Skálas, eine wichtige Geschichtsquelle bildet. Im Sinne der kirchlich-politischen Reaktion schrieben ferner der Jesuit Bohuslav Balbin (1621–88), Thomas Pešina (1629–80), dessen »Předchůdce Moravopisu« die chronologische Geschichte Mährens bis 1658 umfaßt, Joh. Beckovský (1658–1725), Verfasser einer böhmischen Chronik: »Poselkyně starých příběhův českých«, Johann Hammerschmid (1655–1735), V. F. Kozmanecký, der schon ältere Wenzel Sturm, der schlimmste Gegner der Brüdergemeinde (1531–1601), ferner der jesuitische Fanatiker Antonin Koniáš (1691–1768) u. a.

4. Periode. Die Wiedererweckung (1774–1860).

Die plötzliche Unterdrückung der tschechischen Sprache in Amt und Schule rief alsbald ernste Proteste hervor. Kurz nach dem Erscheinen des betreffenden kaiserlichen Patents forderte Graf Franz Kinský in der deutschen Schrift »Erinnerungen über einen hochwichtigen Gegenstand« (1774) die Erhaltung und Ausbildung der tschechischen Sprache, und ein Jahr darauf gab Franz Pelcl (Pelzel, s. unten) eine lateinische Verteidigungsschrift der tschechischen Sprache des oben genannten Balbin (»Dissertatio apologetica linguae slovenicae«) heraus. Wichtiger aber für das Wiedererwachen der tschechischen Nationalität war der Aufschwung der historischen Forschung unter der Regierung Maria Theresias und Josephs II. Zuerst untersuchte Felix Jakob Dobner (1719–90, s. d.) die alten tschechischen Geschichtsquellen und gründete 1769 einen wissenschaftlichen Verein, der 1784 zur königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften erhoben wurde. Unter dem anregenden Einfluß dieser Gesellschaft erwachte das Interesse für die Sprache und Literatur der Tscheschen, für die 1793 F. Pelcl als ordentlicher Professor an der Prager Universität angestellt wurde, während Joseph Dobrowský (s. d., 1753–1829) die eigentliche Grundlage der neuern tschechischen Sprachforschung schuf (»Ausführliches Lehrgebäude der böhmischen Sprache«, 1809, 1819). Mit dem 1818 durch den Grafen Sternberg begründeten Nationalmuseum, das bald eine Zeitschrift in deutscher und tschechischer Sprache herausgab und später den wichtigen Verein der Matice česká zur billigen Verbreitung von tschechischen Schriften zutage förderte, erhielt dann die literarische Bewegung der Tschechen einen festen Stützpunkt. Den Übergang von diesen ersten Versuchen der Wiedererweckung der tschechischen Literatur zu ihrem ansehnlichen Aufschwung nach 1820 bildet die fruchtbare Tätigkeit Joseph Jungmanns (s. d., 1773–1847), der sich namentlich durch zwei Werke, seine »Geschichte der tschechischen Literatur« (1825) und sein »Tschechisch-deutsches Wörterbuch« (1835–39, 5 Bde.), die größten Verdienste erwarb. Auf dem Gebiete der Poesie wirkte, nach den schwachen Anfängen Puchmajers, Poláks und Jungmanns, die Auffindung der Königinhofer und der Grünberger Handschrift (1817) epochemachend und befruchtend. Den wohltätigsten Einfluß übten auf die Entwickelung der Dichtkunst auch die im Laufe dieser Periode (von Čelakovský, Kollár, Sušil, Erben) gesammelten und[768] veröffentlichten Volkslieder aus. In der nationalen Richtung der Poesie gingen voran Joh. Kollár (1793 bis 1852; »Slávy dcera«) und Franz Ladislaus Čelakovský (1799–1852). Zahlreiche andre Lyriker, wie Václav Hanka (1791–1861), Jos. Vlastimil Kamarýt (1797–1833; »Píseň vesničanův«), Fr. Jaroslav Vacek (1806–69), ferner Vinařický, Chmelenský, Pícek, Boleslav Jablonský (1813–81, s. Tupý), V. Štulc u. a., schlossen sich ihnen an. – Die epische Dichtung, besonders angeregt durch die Auffindung der genannten nationalen Handschriften, fand ihre Pflege durch den Slowaken Joh. Hollý (1785–1849; »Svatopluk«), den Romanzendichter J. Erasm. Vocel (1802–71; »Schwert und Kelch«), Joh. Heinr. Marek (Jan z Hvězdy, 1803–53), Jaroslav Kalina (1816–47), den unter Byronschem Einfluß stehenden Karl Hynek Mácha (1810–36; »Máj«), den vielseitigen Karl Jaromír Erben (1811–70), der indessen schon den Übergang zu der neuen Richtung vermittelt. Unter den Satirikern und Humoristen zeichneten sich Joh. Pravoslav Koubek (1805–54), Jos. Jar. Langer (1806–16), Franz Rubeš (1814–52) und Karl Havlíček Borovský (1821–56) aus. – Die Anfänge des modernen tschechischen Dramas knüpfen sich an das 1785 von Karl und Wenzel Tham in Prag begründete Liebhabertheater. J. Nep. Štěpánek (1783–1844) schuf durch zahlreiche originale oder übersetzte Stücke das tschechische Repertoire; höher stehen der fruchtbare Václav Klicpera (1792–1859) und Jos. Kajetan Tyl (1808–56). Noch sind zu erwähnen: K. S. Macháček (1799–1846), Fr. Turinský (1797–1852), Ferdinand Mikovec (1826–62) und Jos. G. Kolár (geb. 1812). – Auch das Gebiet des Romans (im Sinne W. Scotts) und der Novelle wurde fleißig angebaut, so namentlich von Tyl, Rubeš, Mácha und Marek, dem Begründer der tschechischen Novellistik, Karl Sabina (1814–77), Prokop Chocholoušek (1819–64), Jos. Ehrenberger (1815–82), Adalbert Hlínka (Pseudonym Franz Pravda, geb. 1817) und Božena Němcová (1820–62), durch die letzten drei besonders in Erzählungen aus dem Volksleben.

Bedeutender als auf dem Gebiete der Poesie gestaltete sich die neuere t. L. auf dem der Wissenschaften und insbes. der historischen. Als Historiker stehen in erster Linie: Franz Pelcl (1734–1801), der Verfasser einer Reihe historischer Untersuchungen (darunter Biographien Karls IV., Wenzels IV. etc.) und einer »Nová kronika česká«, die wesentlich zur Erweckung des tschechischen Nationalgefühls beitrug; sodann Paul Jos. Šafařík (s. d., 1795–1861), der in seinen »Starožitnosti slovanské« den ersten den modernen Bedürfnissen entsprechenden Versuch machte, die slawische Urgeschichte bis zum 10. Jahrh. aufzuhellen, und besonders Franz Palacký (s. d., 1798–1876), mit dessen monumentaler »Geschichte Böhmens« (von den ältesten Zeiten bis 1526) die tschechische Historiographie sich plötzlich aus mühsamer und schwerfälliger Altertumsforschung auf die Höhen moderner, künstlerischer Darstellung emporschwang. Auch um die slawische Sprachforschung erwarb sich nach den schon genannten Gelehrten, Dobrowský und Jungmann, besonders Paul Jos. Šafařík (vgl. oben) durch seine »Počátkové staroceské mluvnice« große Verdienste. Diesen Bahnen folgen: Martin Hattala (1821 bis 1903), Wenzel Zikmund (1816–73), Jos. Kolár u. a. Als Naturforscher zeichneten sich aus J. Sv. Presl (1791–1849) und der Physiolog J. E. Purkyně (1787–1869, s. Purkinje).

5. Periode. Die neueste Zeit.

Mit der Einführung der konstitutionellen Ära in Österreich (um 1860) fielen die letzten Schranken, die das Wiederaufblühen der tschechischen Literatur bis dahin vielfach gehindert hatten. An Zahl, innerm Gehalt und Formvollendung übertreffen denn auch die Produkte der neuesten Periode alle frühern. Das tritt am auffälligsten auf poetischem Gebiete zutage. Hier sei zunächst, gleichsam als Übergang in die Neuzeit, der hyperromantische Lyriker Jos. Václav Frič (pseudonym Brodský, 1829–76) erwähnt, der sich auch als Dramatiker einen Namen gemacht hat. In Vitězslav Hálek (1835–74) erstand sodann der tschechischen Poesie ein Dichter von durchaus moderner Stimmung und trefflicher Naturmalerei. Schwungvoller sind die lyrischen Gedichte von Adolf Heyduk (geb. 1835), der auch in der poetischen Erzählung ungewöhnliches Talent bekundet. Sehr geschätzt werden ferner die geistreichen, im übrigen der dichterischen Unmittelbarkeit entbehrenden Gedichte von Joh. Neruda (1834–91). Der bedeutendste und zugleich fruchtbarste Dichter Böhmens auf lyrisch-epischem Gebiet ist indessen Jaroslav Vrchlický (eigentlich Emil Bohuš Frida, s. d., geb. 1853). Noch sind unter den Lyrikern zu erwähnen: Eližka Krásnohorská (geb. 1847), die populärste böhmische Dichterin der Neuzeit, der vorwiegend elegische Joseph Václav Sládek (geb. 1845), Ant. Klášterský, Jaroslav Kvapil, Mokrý etc. Als Dichter von epischer Begabung zeigte sich Svatopluk Čech (geb. 1846), neben dem Bohumil Janda Cidlinský (1831 bis 1875) und Jul. Zeyer (1841–1901) zu nennen sind. Ferner sind zu nennen: J. S. Machár (geb. 1864), Ant. Sova, Jaromir Borecký, E. v. Čenkov, Fr. Procházka, Ad. Černý etc. Die bedeutendsten Erfolge sind im Drama errungen worden, besonders durch Franz Jeřábek (1836–93), der im sozialen Schauspiel und der Tragödie Werke von hohem sittlichen und künstlerischen Wert schuf. Von Bedeutung sind ferner der Lustspieldichter Emanuel Bozděch (1841 bis 1889), der nationale Václav Vlček (geb. 1839); bei dem aber zuweilen das epische Motiv überwiegt; der noch der ältern Schule angehörende fruchtbare Schauspieler Jos. G. Kolár (vgl. oben), der mit besonderm Geschick düstere Helden- oder Intrigantentypen zur Geltung bringt; Fr. A. Šubert (geb. 1849), Direktor des böhmischen Nationaltheaters, und der oben erwähnte Jaroslav Vrchlický (»Die Nacht auf dem Karlstein«; »Drahomíra«). Sonst sind noch zu erwähnen Stroupežnický, J. O. Veselý, Zakrejs, Durdik, Štolba, Wenzig, Pippich, Graf Kolovrat-Krakovský, Šamberk, Krajník, Zeyer, F. X. Svoboda, M. Šimáček etc. – Als die Gründerin des tschechischen Romans gilt Frau Karoline Světlá (eigentlich Johanna Mužák, geb. 1830), die Verfasserin zahlreicher dem Volksleben entnommener Erzählungen. In erster Reihe steht gegenwärtig der bereits unter den Dramatikern erwähnte Václav Vlček, dessen »Zlato v ohni« (»Gold im Feuer«; neue umgearb. Ausg. 1883) sowohl durch großartig angelegten Plan (Naturgeschichte der Familie von der Ehe bis zur Völkerfamilie) als auch durch meisterhafte Detailmalerei hervorragt. Auf dem Gebiete des historischen Romans war vor andern Jos. Georg Staňkovský (1844–1879; »König und Bischof«, »Die Patrioten der Theaterbude« etc.), auf dem der sozialen Erzählung und Novelle Svatopluk Čech (vgl. oben) tätig. Ferner sind als Erzähler zu nennen: Gust. Pfleger-Moravský (1833–75) und Aloys Adalbert Šmilovský (eigentlich[769] Schmilauer, 1837–83), beide auch als Lyriker und Dramatiker bekannt; Sopie Podlipská (geb. 1833); Ferd. Schulz (1835–1905); Jakob Arbes (geb. 1840); der schon unter den Dichtern erwähnte Joh. Neruda (»Erzählungen von der Kleinseite«); Aloys Jirásek (geb. 1851; »Die Felsenbewohner«, »Am Hof des Wojewoden«, »In fremden Diensten« etc.); Bohumil Havlasa (1852–77; »Im Gefolge eines Abenteurerkönigs«, »Stille Wasser« etc.); Servác Heller (geb. 1845), Julius Zeyer (vgl. oben), Franz Herites (geb. 1851), Jos. Štolba (geb. 1846); V. Beneš-Třebízský (1849–84), F. A. Šubert (vgl. oben), Stroupežnický, S. Winter, Laichter, der schon erwähnte Svoboda, Ignaz Herrmann (Pseudonym Ypsilon), Hladík, M. Šimáček, Jos. Holeček, K. Rais, A. Stašek, K. Klostermann, W. und A. Mrśtík u. a.

Die moderne böhmische Geschichtsforschung wurde von Jr. Palacký (s. oben) begründet; seine große »Geschichte Böhmens« gelangte 1876 zum Abschluß und hat auf alle Zweige des öffentlichen Lebens, auf Politik, Kunst und Wissenschaft, in Böhmen den nachhaltigsten Einfluß ausgeübt. Sein Nachfolger als böhmischer Landeshistoriograph, Anton Gindely (1829–92, s. d.), hat sich durch die groß angelegte (deutsch und tschechisch herausgegebene) »Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs« sowie durch die »Geschichte der Böhmischen Brüder« und »Rudolf II. und seine Zeit« (beide deutsch geschrieben) einen Namen gemacht. Durch Bienenfleiß zeichnet sich Vaclav Vladivoj Tomek (1818–1905, s. d.) aus, dessen »Geschichte der Stadt Prag« (1855 ff.) eine in solcher Vollständigkeit fast beispiellose Monographie der böhmischen Hauptstadt bringt und sich zugleich zu einem. überreichen Material für die Geschichte Böhmens gestaltet. Auf dem Gebiete der Altertumskunde ragt der früher als Dichter genannte J. Er. Vocel (»Die Urzeit Böhmens«) hervor, neben dem der populäre Historiker K. Vladislav Zap (1812–72; »Böhmisch-mährische Chronik«) zu nennen ist, ferner Smolík, M. Kolář, F. Benes, Šmídek, J. Havelka u. a. Einzelne Epochen der böhmischen Geschichte bearbeiteten Karl Tieftrunk, J. Kalousek, F. J. Zoubek, J. Goll, F. Dvorský, Rezek, Ferd. Schulz, Kořan, Bílek u. a. Wertvolle Arbeiten für die mährische Geschichte lieferten Beda Dudík (1815–90; »Geschichte Mährens«) und Vinz. Brandl (geb. 1834), für die böhmische Kirchengeschichte Lenz, Borový und Baron Helfert, für die böhmische Kulturgeschichte Pič, Svátek, Winter und Prasek. Durch Herausgabe der Quellen hat sich namentlich Jos. Emler (1836–99, s. d.) verdient gemacht. V. Křížek (1833–81) schrieb eine synchronistische Übersicht der Geschichte der slawischen Völker, Konstantin Jireček (geb. 1854) eine »Geschichte der Bulgaren«, Joseph Perwolf (1814–92) »Die Idee der Gegenseitigkeit bei den slawischen Völkern« etc. Wichtige Beiträge zur böhmischen und slawischen Rechtsgeschichte lieferten, außer Palacký, Vocel und Tomek, in der neuesten Epoche Hermenegild Jireček (s. d.), Vinz. Brandl, Jar. Čelakovský, Haněl, Kadlec, Rieger u. a. In der Rechtswissenschaft hat sich Randa (s. d.) einen weit über die Grenzen Böhmens bekannten Namen erworben. Ferner sind hier zu nennen: K. Jičínský, A. Pavliček, E. Ott, Pražák, Laurin, Stupecký, Mezník, Škarda, M. Havelka, Heyrovský, Zucker, Kaizl u. a. Die philosophische Literatur beginnt in Böhmen erst 1818 mit einem Aufsatz von Vinc. Zahradník (in der Zeitschrift »Hlasitel«). Palacký, Purkyně, Anton Marek, Hanns, Květ behandelten in Zeitschriften einzelne Zweige der Philosophie. Erst Dastich (1834–1870), Professor der Philosophie an der Prager Universität, veröffentlichte größere Werke philosophischen Inhalts (»Formelle Logik«, »Empirische Logik«, »Erläuterungen zum System des Thomas Štítný« etc.). Der bedeutendste Vertreter der philosophischen Literatur ist gegenwärtig J. Durdík (s. d.), der sich entschieden an die neuern deutschen Systeme anlehnt (»Ästhetik«, 1875). Ferner sind zu nennen G. Lindner (Psychologie, Pädagogik), der Musikästhetiker O. Hostinský und. T. G. Masaryk (»Konkrete Logik«, »Slawische Studien« etc.), ferner Fr. Krejčí, P. Vychodil u. a. Unter den Naturforschern zeichnen sich die Schüler des Physiologen Purkyně (vgl. oben): J. Krejči (»Geologie«, 1878), der Zoolog A. Frič, der Botaniker L. Čelakovský (s. d. 2), der Mineralog E. Bořický, die Chemiker Vojt. Šafařík und A. Raýman, die Geographen Fr. Studnička (auch Mathematiker), J. Kořistka, Jos. Erben, Joh. Palacký, der Physiker A. Seydler und neuerdings F. Koláček, der Astronom Zenger, unter den Mathematikern Em. und Ed. Weyr, J. Šolin, F. Tilšer u. a. aus. In der Sprachwissenschaft sind in dieser Periode auf dem Gebiete der slawischen Sprachen in erster Linie J. Gebauer (s. d., 1838–1907) und M. Hattala (vgl. oben: S. 769,1. Spalte) zu nennen, ferner L. Geitler (1847–85), F. Bartoš, V. Vondrák u. a., auf dem der klassischen Philologie J. Kvíčala, Niederle, J. Král u. a., als Romanist Jarník, auf dem Gebiete der vergleichenden Sprachforschung Zubatý, als Orientalist Rud. Dvořák. Die moderne tschechische Literaturgeschichte wurde von F. Procházka mit den »Miszellaneen der böhmischen und mährischen Literatur« (1784–85) begründet. Reichhaltiger, wenn auch den modernen kritischen Ansprüchen nicht gewachsen ist Jungmanns »Historie literatury české« (Prag 1825); erst J. Jireček (1825–88), der auf literarhistorischem, linguistischem und historischem Gebiet eine äußerst fruchtbare Tätigkeit entfaltete, begann 1874 die Herausgabe einer erschöpfenden tschechischen Literaturgeschichte: »Rukovět k dějinám literatury české«, während der »Dějepis literatury českoslovanské« von K. Sabina (Prag 1863–66) die beiden ersten Perioden der tschechischen Literatur mit ausführlicher Beleuchtung der Kulturverhältnisse behandelt. Als in biographischer Hinsicht ausgezeichnet sind die »Dějiny řeči a literatury české« von A. Šembera (4. Aufl., Wien 1874) zu erwähnen. Wertvolle Beiträge zur tschechischen Literaturgeschichte lieferten: V. Nebeský, K. J. Erben, A. Rybička, Vrfatko, Brandl (über Karl von Zerotín), Čupr (über Veleslavín), Riß (über Sixt von Ottersdorf und Lomnický), Hanns (über Čelakovský), Tieftrunk (über Paul SkÁla), Zoubek (über Komenský), j. Jireček (über Šafařik), Zelený (über Palacký, Kollár, Jungmann), Jar. Vlček, Ant. und Jos. Truchlář etc. Auch enthält die große unter Leitung Riegers veröffentlichte Enzyklopädie »Slovník naučný« (1854 bis 1874, 12 Bde. und Supplementband) sowie »Ottův Slovník naučný« (1888 ff.) ausführliche Artikel zur tschechischen Literatur. Von den neuern Werken über die Geschichte der tschechischen Literatur sind zu nennen: K. Tieftrunk, Historie literatury české (Prag 1876, 3. Aufl. 1885); Fr. Bayer, Stručné dějiny literatury české (Olmütz 1879); Bačkovský, Zevrubné dějiny českého pisemnictví doby nové (»Eingehende Geschichte der tschechischen Literatur der Neuzeit«, Prag[770] 1888); J. Vlček, Dějiny české literatury (das. 1893 bis 1897); Pypin und Spasovicz, Geschichte der slawischen Literaturen, Bd. 2, Abt. 2 (russ., 2. Aufl., Petersb. 1880). – Deutsch gibt es eine Geschichte der tschechischen Literatur in der Übersetzung des letztern Werkes (Leipz. 1884); vgl. ferner A. Brabec, Grundriß der čechischen Literaturgeschichte (Wien 1906); Jakubec, Geschichte der tschechischen Literatur, und Novák, Die t. L. der Gegenwart (Leipz. 1907); Albert, Neueste Poesie aus Böhmen (Wien 1895, 2 Bde.); M. Murko, Deutsche Einflüsse auf die Anfänge der slawischen Romantik. I: Die böhmische Romantik (Graz 1897).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 766-771. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007611277


Brockhaus 1911

[870] Tschechische Literatur. Nachdem die Grüneberger und die Königinhofer Handschrift (s.d.) als Fälschungen nachgewiesen sind, zeigt die 1. Periode der T. L. nur Erscheinungen, die auf abendländ. Einflüsse hinweisen: Minnesang, ritterliches Epos, Lieder, Legenden, romantische Sagen, Lehrgedichte, Satiren, ferner Dalimils Reimchronik, jurist. Werke, die philos. Schriften Štítnýs. In der 2. Periode (Anfang 15. Jahrh. bis 1620) blühen übersetzte Erzählungen und ihre Nachahmungen (»Historie vom Ritter Stilfrid« u.a.). Im Hussitenstreit wird die Literatur polemisch und gewinnt bedeutend an Einfluß durch Reinheit der Sprache und Volkstümlichkeit; es entstehen polit., histor. Lieder, religiöse Gesänge; in der Prosa: Memoiren, Reisebeschreibungen, jurist. Schriften u.a. Hus' bedeutendster Schüler war Peter Chelčický (s. Chelczicky). Am fruchtbarsten ist das letzte Jahrhundert der Periode (das »Goldene Zeitalter« der T. L.): die »Böhm. Chronik« von Hajek von Liboczan, die Bibelübersetzung der Böhmischen Brüder (die sog. Kralitzer Bibel), das »Kanzional« (s.d.) derselben, die Schriften Veleslavíns u.a. Die 3 Periode (bis 1780) umfaßt den raschen Niedergang nach der Schlacht am Weißen Berge und infolge der kath. Reaktion; der letzte große Schriftsteller ist Komenský oder Comenius (s.d.). Eine Wiederbelebung (4. Periode) bereitete sich vor durch die gelehrten Arbeiten Dobners (s.d.) und bes. Dobrowskýs (s.d.). Man begann wieder tschechisch zu schreiben. Einen Mittelpunkt erlangte die Bewegung im Böhmischen Museum (gegründet 1818); sie wird durch Šafařík, Palacký, Jungmann (zugleich Übersetzer klassischer Poesien) allgemein-slawisch, bes. in den Dichtungen Kollárs und Čelakovskýs. Andere Dichter sind: Vinařický, Jablonský, Hollý, Erben; Dramatiker: Klicpera, Tyl; Satiriker und Publizist: Havlíček; Novellisten: Marek, Chocholoušek, Hlinka, Frau Nĕmcová. Bei Mácha zeigt sich zuerst der Einfluß Byrons; daraus entwickelte sich durch Hálek und Neruda eine kosmopolit. Richtung neben der nationalen: Heyduk, Pfleger, Jiři Kolar, Jeřábek, Bozdĕch, Schulz, die Damen Krásnohorská und Svĕtlá. Die Hauptvertreter der neuesten Schule sind Čech (national) und Vrchlický (kosmopolitisch), denen sich mehr oder weniger selbständig anschließen Klášterský, Machar, Sova, Březina, Šimáček, Frau Podlipská u.a.

Die wissenschaftliche Literatur hat Vertreter auf allen Gebieten, in der Geschichte: Šafařík, Palacký, Tomek, Gindély, Dudík, J. und K. Jireček u.a.; in der Literaturgeschichte: Jungmann, Jos. Jireček, Sabina u.a.; in der Philosophie: Lindner, Masarýk, Hostinský, Durdík; Volkslieder sammelten Erben, Sušil. – Vgl. Pypin und Spasovič (3. Abteil., deutsch 1884); neueste Zeit: Albert (1895), Bačkovský (1898).

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 870. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001635018