Hameln: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 6. Juni 2022, 01:05 Uhr
Stadt in Niedersachsen, 57.276 Einwohner (31. Dez. 2020)
Meyers 1907
[691] Hameln, Kreis- und ehemalige Hansestadt im preuß. Regbez. Hannover, am Einfluß der Hamel in die Weser, Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Hannover-Altenbeken, Braunschweig-Löhne und andrer Linien, 68 m ü. M., hat in zahlreichen Holz- und Steinbauten, unter denen das giebelreiche Hochzeitshaus (1616–17) und das sogen. Rattenfängerhaus (1602) hervorzuheben sind, noch einen altertümlichen Charakter. Die Stadt hat 3 evangelische und eine kath. Kirche und eine Synagoge. Die Weser, über die eine 238 m lange Brücke führt, bildet einen belebten Flußhafen. Die Einwohnerzahl beträgt (1900) mit der Garnison (2 Bataillone Infanterie Nr. 164) 18,965, davon 1526 Katholiken und 237 Juden. Die Industrie besteht in Papier-, Leder-, Teppich-, Chemikalien- und Tabakfabrikation, auch hat H. eine Zuckerraffinerie, mechanische Webereien und Spinnereien, Eisengießerei, Schiffbau, Bierbrauerei, Handelsmühlen, Schiffahrt und Lachsfischerei. Der Handel wird unterstützt durch eine Reichsbanknebenstelle. H. hat ein Gymnasium, Realprogymnasium, Realschule, eine Handels-, eine landwirtschaftliche Winterschule, Waisenhaus, Schifferschule und eine Molkereischule, Lachsbrutanstalt und ist Sitz eines Amtsgerichts, einer Oberförsterei und einer Spezialkommission. In der Nähe die vielbesuchten Aussichtspunkte Klütberg (234 m) mit Turm und Ohrberg. – H., früher Hameloa, Hamelowe, verdankt seinen Ursprung dem im 9. Jahrh. errichteten St. Bonifatiusstift. Der aus einer Meierei. entstandene Ort gehörte zunächst dem Stift zu Fulda, dessen Abt 1259 H. an den Bischof von Minden verkaufte. Die Herren von Eberstein verkauften um 1277 die Vogtei in H. an den Herzog von Braunschweig, wodurch die Stadt unter Braunschweigs Herrschaft kam. Seit 1540 fand die Reformation hier Eingang. Im Dreißigjährigen Kriege ward die Stadt 1626 von [691] Tilly eingenommen und erst 13. Juli 1633 nach dem Siege bei (Hessisch-) Oldendorf (8. Juli) die kaiserliche Besatzung durch Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg zum Abzug gezwungen. 1757 kam H. durch Kapitulation in die Hände der Franzosen, ward aber schon 1758 von diesen geräumt; 1766 ward jenseit der Weser das Georgsfort angelegt. Infolge der Kapitulation der hannoverschen Armee (1803) kam H. wieder in die Hände der Franzosen, von diesen 1806 an Preußen, 8. Nov. d. J. aber durch Kapitulation an jene zurück. Dieselben zerstörten die Festung, worauf H. an das Königreich Westfalen fiel. Seit 1814 wieder hannoverisch, kam H. 1866 unter preußische Herrschaft. – Bemerkenswert ist die Sage vom Rattenfänger von H. Im Juni 1284 erschien nach der Tradition in H. ein Pfeifer, der sich erbot, gegen eine gewisse Summe alle Ratten aus der Stadt in die Weser zu treiben. Dies gelang ihm auch in der Tat mittels des Blasens auf seiner Pfeife. Da man dem Mann hierauf seinen Lohn vorenthielt, lockte er am nächsten Sonntag (26. Juni) während des Gottesdienstes durch sein Pfeifen alle Kinder aus den Häusern in den geöffneten nahen Koppenberg. Nur zwei Kinder hatten sich verspätet, so daß sich der Berg bei ihrer Ankunft schon wieder geschlossen hatte. Etwas später kam der Rattenfänger mit den Kindern in Siebenbürgen wieder zum Vorschein und gründete mit ihnen die Kolonie der siebenbürgischen Sachsen. Manche führen die Sage auf die Niederlage der Bürger von H. beim Dorf Sedemünde 1259 und ihre Gefangennahme durch den Bischof von Minden, andre auf einen Kinderkreuzzug zurück. Vielleicht hat nur ein mißgedeutetes Glasgemälde in der Hamelner Marktkirche oder eine mißverstandene Inschrift an einem Denkmal auf dem Koppenberg Veranlassung dazu gegeben. Die Sage hat Julius Wolff als Epos, Viktor Neßler als Oper bearbeitet. Vgl. Sprenger, Geschichte der Stadt H. (Hameln 1861); E. Schmidt, Die Belagerung von H. und die Schlacht bei Hessisch-Oldendorf 1633 (Halle 1880); »Urkundenbuch des Stiftes und der Stadt H.«, Bd. 1 (hrsg. von Meinardus, Hannov. 1887; Bd. 2 von Fink, 1903); Langlotz, Geschichte der Stadt H. (Hameln 1888 ff.); Meinardus, Der historische Kern der Hameler Rattenfängersage (Hannover 1882); Jostes, Der Rattenfänger von H. (Bonn 1895).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 691-692. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006736866
Pierer
[906] Hameln, 1) Amt im hannöverschen Fürstenthum Kalenberg, Landdrostei Hannover; 18,800 Ew. in 39 Gemeinden; 2) Stadt u. Amtssitz darin, an der Hamel u. Weser, über die eine 816 Fuß lange Kettenbrücke führt u. die hier einen belebten Flußhafen bildet; hat vier Kirchen, das lutherische Mannsstift St. Bonifacius, Rathhaus, Schule (secularisirt nach der Reformation), Industrieschule, Eisenfactorei, großes Zuchthaus, Fabrikation von Essig, Tabak, Cement, Leder u. Papier, Wollen- u. Leinenweberei, Steinkohlengruben, Schifffahrt, Lachsfang; 6700 Ew. In der Weser das Hamelner Loch, sonst gefährlich. Dabei der Kuppelberg. – H. soll seinen Ursprung durch eine Kapelle genommen haben, die hier Graf Bernhard von Engern, nachdem er mit seiner Gemahlin Christina zum Christenthum übergegangen war, 712 baute; die Meierei u. das umliegende Land schenkte er dem Stifte zu Fulda. Aus diesem u. 10 andern umliegenden Höfen entstand H. 1259 verkaufte der Abt von Fulda H. an den Bischof v. Minden, da sich aber die Einwohner diesem nicht unterwerfen wollten, begaben sie sich unter braunschweigische Herrschaft. 1409 wurde es von Herzog Friedrich an Herzog Albrecht verpfändet 1540 nahm H. die Reformation an. 1633 wurde es von den Schweden, nachdem diese die Kaiserlichen geschlagen hatten, erobert, 1757 nahmen die Franzosen H. mit Capitulation u. verließen 1758 es freiwillig. 1766 wurde auf dem Klüteberg, jenseits der Weser, der Anfang zum Bau des Georgssorts gemacht, das durch zwei andere Forts mit der Stadt zusammenhing 1803[906] wurde die Festung den Franzosen bei der Capitulation der hannöverschen Armee übergeben. Diese überlieferten sie Anfangs 1806 an die Preußen u. nahmen sie diesen am 8. Nov. d.i. durch Capitulation wieder ab. Sie sprengten die Werke u. demolirten die Festung gänzlich. Vgl. F. Sprengel, Geschichte der Stadt H., Hannover 1826. Merkwürdig ist H. noch wegen der Sage vom Hamelner Rattenfänger. Den 26. August 1284 soll nämlich ein Pfeifer nach H. gekommen sein u. sich erboten haben, alle Ratten gegen eine gewisse Summe Geldes zu vertreiben. Er blies hierauf auf der Pfeife, worauf sogleich alle Ratten u. Mäuse herbei kamen, u. dem Rattenfänger nachliefen, der sie in die Weser führte. Doch als die Ratten vertrieben waren, weigerten sich die Hamelner, ihm den Lohn zu zahlen. Am nächsten Sonntag nun, während des Gottesdienstes, zog der Rattenfänger wieder in die Stadt u. blies eine andre Weise, u. sogleich kamen alle Kinder aus den Häusern u. folgten ihm. Er ging bis zu dem nahen Kuppelberg u. mit den Kindern zusammen in denselben hinein. Eins, das sich verspätet hatte, kam, als der Berg sich wieder geschlossen hatte, davon u. berichtete den Vorgang in der Stadt. Nach einiger Zeit soll der Mann in Siebenbürgen wieder zum Vorschein gekommen sein u. mit diesen Kindern die Colonie der ungarischen Sachsen gegründet haben. Wahrscheinlich wurde eine Auswanderung der Hamelner (in Folge der Fehde von 1259) die Veranlassung zu dieser Sage, u. man bezieht ein altes Denkmal auf dem Kuppelberg bei H. mit unleserlicher Inschrift auf die Schlacht von Sedemühlen 1259 zwischen den Hamelnern u. dem Bischof von Minden.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 906-907. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010072667
Brockhaus 1911
[752] Hameln, Kreisstadt im preuß. Reg.-Bez. Hannover, am Einfluß der Hamel in die Weser, (1900) 18.965 E., Garnison, Amtsgericht, Gymnasium; Zucker-, Papier-, und Lederfabriken, Dampfschiffverkehr mit Carlshafen und Münden. An H. knüpft sich die Sage vom Rattenfänger von H. (1284), die poetisch von Goethe, Simrock u.a., als Oper von Neßler behandelt wurde. H. verdankt dem Stift St. Bonifaz seinen Ursprung; später Hansestadt, 1259 an Minden, dann an Braunschweig. – Vgl. Meissel (1897).
Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 752. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001171143