Abélard, Pierre: Unterschied zwischen den Versionen
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== Herder 1854 == |
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[4] Abälard (Abeillard), geb. 1097 in Palais bei Nantes, adeligen Stammes, zeigte früh brennende Wißbegierde und war schon als Jüngling ein leidenschaftlicher, oft siegreicher Dialectiker. In Paris war er Schüler des Wilhelm von Champeaux, überwand ihn in Disputationen und eröffnete, 22jährig, zuerst in Melun, dann in Corbeil eine Schule der Philosophie. Im 28. Jahre kam [4] er wieder nach Paris, besiegte seinen alten Lehrer abermals und eröffnete eine Schule auf dem Genofevaberge. Darauf studierte und lehrte er alsbald Theologie und erhielt noch als Laie ein Canonicat; als Lehrer der schönen, 18jährigen Heloise verführte er diese und heirathete sie später insgeheim. Heloise aber läugnete die Heirath, damit Abälard nicht in seiner Laufbahn gehemmt werde, und ging in das Kloster Argenteuil. Darüber ergrimmte ihr Oheim, ein Canonicus Fulbert in Paris, dergestalt, daß er den Abälard nachts überfallen und entmannen ließ. Abälard ging nach seiner Genesung in das Kloster St. Denys und hielt dort theolog. Vorlesungen; er wurde Priester und gab eine introductio ad theologiam heraus. Diese wurde 1121 auf der Synode von Soissons als irrthümlich verurtheilt und Abälard mußte sie verbrennen. Seine Behauptung, Dionys der Areopagite sei nicht der Apostel Galliens gewesen, bereitete ihm neue Anklagen; endlich ließ er sich bei Nogent sur Seine nieder und baute sich ein Bethaus, das er Paraklet nannte. Alsbald belebte sich die Einöde, denn es sammelten sich zahlreiche Schüler um ihn und Abälard mußte wieder Theologie lehren. Nach neuen Kämpfen wurde er 1126 Abt von St. Gildas de Ruys in der Bretagne. Aber hier erbitterte er die Mönche durch seine rigorose Strenge und 1136 erschien A. auf dem Genofevaberge abermals als Lehrer und hatte dasselbe Schicksal wie in St. Denys. Er unterwarf sich jedoch der kirchlichen Censur, versöhnte sich mit seinen Gegnern und starb den 21. Apr. 1142 in der Abtei St. Marcel bei Chalons sur Saone. Sein Leichnam wurde nach Paraklet gebracht, wo Heloise Aebtissin eines Nonnenklosters war; 1828 wurde die Asche beider in einer Kapelle des Gottesackers Père la Chaise in Paris beigesetzt. A. verdankt seinen Ruhm mehr Heloisens Liebe als seiner Philosophie; diese war keck, vermaß sich alle Mysterien zu begreifen und zu demonstriren, als ob die Glaubenslehre nur eine weitere Entwicklung der alten Philosophie wäre. |
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Quelle: |
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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 4-5. |
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== Brockhaus 1911 == |
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[2] Abälard, Peter, frz. Abeillard, Abélard, scholastischer Philosoph und Theolog, geb. 1079 zu Pallet (Palais) bei Nantes. Wegen seiner freimütigen Lehren zu Paris verfolgt, infolge seines Liebesverhältnisses zu der von ihm entführten Heloïse, Nichte des Kanonikus Fulbert, auf dessen Anstiften entmannt, zog er sich in die von ihm gegründete Abtei Paraklet bei Nogent an der Seine zurück. Nach erneutem Auftreten wurde er auf Betreiben Bernhards von Clairvaux 1140 für einen Ketzer erklärt; er starb 21. April 1142 im Kloster St. Marcel bei Châlons. Seine und der Heloïse (gest. 16. Mai 1164 als Äbtissin des Klosters Paraklet) Asche wurde 1817 auf dem Kirchhofe Père-Lachaise zu Paris beigesetzt. Schriften hg. von Cousin (2 Bde., Par. 1849-59). – Biogr. von Hausrath (1893); über sein Liebesverhältnis vgl. Carriere (2. Aufl. 1853). |
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Quelle: |
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Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 2. |
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== Eisler 1912 == |
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[1] Abälard (Abeillard, Abélard), Petrus. Geb. 1079 in Pallet (oder Palette) bei Nantes. Er genoß den Unterricht der Scholastiker Roscelinus, Wilhelm von Champeaux u. a. Er lebte und lehrte an verschiedenen Orten, besonders in und bei Paris (Schloß Melun, Corbeil). Sein Liebesverhältnis mit Heloise (vgl. den Briefwechsel zwischen beiden, Reclams Universalbibliothek), der Nichte des Domherrn Fulbert, verlief bekanntlich schließlich so, daß sowohl Heloise als Abälard ins Kloster gingen. A. starb 1142 in der Priorei St. Marcel bei Chalons. Als Lehrer hatte A. einen großen Erfolg, aber auch heftige Gegner, besonders in Bernhard von Clairvaux. Wiederholt verwarf die Kirche seine Lehren. |
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A. ist einer der bedeutendsten Vertreter der älteren Scholastik. Er betont mit großem Freimut das Recht der Vernunft und des Zweifels gegenüber der bloßen Autorität. Der Glaube ist wohl das Höchste, aber die Vernunft muß die Gründe des Glaubens darlegen und auch entscheiden, welcher Autorität zu folgen ist. In »Sic et non« werden einander widersprechende Aussprüche von Autoritäten vorgeführt und die Methode angegeben, wie man[1] den Widerspruch lösen könne; die Schrift ist das Vorbild zu den theologischen »Summen« (Sentenzensammlungen). Die Dreieinigkeit Gottes wird so aufgefaßt, daß Gott Vater die Macht, Gott Sohn die Weisheit und der heilige Geist die Güte oder Liebe ist. Die »Dialektik« hat nach A. zur Aufgabe die Unterscheidung des Wahren vom Falschen (»veritatis seu falsitatis discretio«). Voraussetzung der Logik ist die Physik. Die Worte sind Erfindungen der Menschen, stehen aber zu den Dingen in natürlicher Beziehung. |
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In bezog auf den Universalienstreit vertritt A. einen vermittelnden Standpunkt, wobei er aber dem Nominalismus nähersteht. Das Allgemeine liegt nicht in den Worten selbst. sondern in den Aussagen (»sermones«, Sermonismus), in den Bedeutungen der Worte. Das Allgemeine ist ein »sermo praedicabilis«, eine begriffliche Bedeutung (Konzeptualismus): es ist das von vielem Aussagbare (»quod de pluribus natum est praedicari«). Das Allgemeine ist daher kein Ding, keine selbständige Wesenheit. Die Universalien (oder die Ideen) existieren vor der Schöpfung nur als »conceptus mentis« (Gedanken) im göttlichen Geiste. |
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Am bedeutendsten ist A.'s Ethik. Diese zeigt, wie das höchste Gut durch die Tugend erreicht wird. Auf die Gesinnung, den guten Willen sowie auf das Gewissen kommt alles an, nicht auf äußere Werke, die an sich weder gut noch schlecht sind. Die Tugend ist »bona in habitum solidata voluntas«. Das Sittliche liegt stets in der »intentio animi«, die Sünde in der Zustimmung zum Bösen, in der Absicht, in dem, was das Gewissen verwirft (»non est peccatum nisi contra conscientiam«). Wenn eine Handlung sowohl objektiv als subjektiv richtig ist, dann ist sie gut, immer aber kommt es auf die Gesinnung, das sittliche Bewußtsein an, das freilich irren kann. »Intentio faciendi propter Deum quod convenit et dimittendi quod non convenit sola in se bona est; opus vero quodcunque numquam ex se bonum appellatur, nisi si ex bona intentione procedit. Intentionis igitur bonitas est propria, operis vero tantum communicata« (Scito te ipsum, C. 7). Das objektiv Gute ist das dem göttlichen Willen Gemäße und dieses ist das natürliche Sittengesetz. Höchstes Gut ist Gott und die Liebe zu ihm. |
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SCHRIFTEN: Historia calamitatum mearum. – Theologia, 1616 (nur der erste Teil). – Scito to ipsum, 1721 (Ethik). Dialogus inter philosophum, Judaeum et Christianum, 1831. – Die Schriften: Sic et non (1851), die Dialektik und das Fragment: De generibus et speciebus u. a. sind enthalten in: V. Cousin, Ouvrages inédits d'Abélard, 1836. – De unitate et trinitate divina, 1891. – Gesamtausgabe der Schriften (mit Ausnahme der letztengeführten) von Cousin, 1849-59. – Vgl. CH. DE RÉMUSAT, Abélard, 1845. – S. M. DEUTSCH, Peter Abälard, 1883. – A. HAUSRATH, P. Abälard, 1893. – TH. ZIEGLER, Abälards Ethica, Zeller-Festschrift 1884. |
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Quelle: |
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Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 1-2. |
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http://www.zeno.org/nid/20001814575 |
Aktuelle Version vom 10. August 2021, 22:04 Uhr
Brockhaus 1837
[2] Abälard (Peter), war der hellsehendste und aufgeklärteste Mann des in tiefen Aberglauben versunkenen 12. Jahrh. Offen vertheidigte er im Widerspruche mit den Ansichten der herrschenden Kirche den Grundsatz, daß nur Das zu glauben sei, was man begriffen habe. Sein Scharfsinn, seine Gelehrsamkeit und seine Gewandtheit im Disputiren, derenhalben er von dem vernünftigern Theile seiner Zeitgenossen hochgeachtet, von Denen beschränktern Geistes aber gefürchtet, verketzert und verfolgt wurde, haben ihm einen bleibenden Ruf in der gelehrten Welt, sein Liebesverhältniß aber mit Heloise ein allgemeines Andenken erworben. Er war der Erstgeborene einer reichbegüterten, vornehmen franz. Familie, geb. 1079, erhielt eine treffliche Erziehung und brachte es durch fleißiges Studium der griech. und röm. Classiker dahin, daß er schon in seinem 16. Jahre nach Paris zu gehen befähigt war, um die Lehrer der dortigen Hochschule zu hören, und, nach damaliger Sitte, durch öffentliches Disputiren seine Kenntnisse zu erproben. In kurzer Zeit konnte er wagen, mit den ausgezeichnetsten Gelehrten in die Schranken zu treten. Er erntete bei jeder Gelegenheit großen Ruhm, machte aber auch den Neid rege, sodaß er sich genöthigt sah, Paris zu verlassen. Nach mancherlei Schicksalen und nachdem er sein Erstgeburtsrecht seinem Bruder abgetreten, kehrte er jedoch dahin zurück und widmete sich mit großem Eifer dem Studium der Theologie, bis er in dem Hause des Kanonikus Fulbert dessen Nichte, Heloise Montmorency, ein geistreiches, liebenswürdiges Mädchen, kennen lernte. A. suchte und fand lyre nähere Bekanntschaft, als er sich bei dem geizigen Fulbert erbot, ihr unentgeltlich Unterricht in den Wissenschaften zu ertheilen, und wurde sogar bald darauf gegen ein ansehnliches Kostgeld auch dessen Hausgenosse. Obgleich schon 38 Jahr alt, ließ er sich von den Reizen Heloisens, die erst 17 Jahre zählte, doch so fesseln, daß er allen Studien entsagte, und nur in Liebesgedichte seine Empfindungen für die Geliebte einzukleiden bemüht war. Heloise war nicht unempfindlich gegen seine Neigung, und so geschah es, daß Beide in gegenseitiger Liebe zueinander das Urtheil der Welt über ihr Verhältniß vergaßen. Fulbert, aufmerksam gemacht auf das Ärgerniß, welches die Liebenden gaben, trennte sie, doch zu spät. A. brachte die Geliebte zu seiner Schwester in die Bretagne, wo sie ihm einen Sohn gebar, der aber bald starb, und vermählte sich hierauf mit ihr, wozu Fulbert seine Einwilligung [2] gab. Allein aus misverstandenem Zartgefühle, indem sie lieber ihre Ehre als des Geliebten Geschick gefährden wollte, leugnete Heloise ihre Verheirathung und kehrte in des Onkels Haus zurück. Die Mishandlungen, welche sie in Folge dieses von Seiten desselben, der nun die Ehre seines Hauses verletzt meinte, erfahren mußte, bewogen A., die Gattin in ein Kloster zu bringen. Darüber noch mehr entrüstet, rächte sich Fulbert an ihm durch grausame Verstümmelung. A. ward Mönch in der Abtei St. Denis und bewog auch Heloise, den Schleier zu nehmen. Doch vergebens hoffte er hinter den Klostermauern Ruhe zu finden; schon nach wenigen Jahren vertrieben ihn die Anfeindungen der Mönche von hier, worauf er unweit Nogent an der Seine eine Kapelle, Paraklet genannt, erbaute, die er, als man ihn zum Abt von St. Gildes de Ruys ernannte, Heloisen und ihrer Schwesterschaft überließ. Um ihn vollends zu Boden zu schmettern, brachten es die Mönche dahin, daß der Papst 1140 seine Lehren als ketzerisch verdammte und ihn einzukerkern befahl; allein Peter der Ehrwürdige, Abt zu Clugny, obgleich ein Gegner seiner Glaubenslehre, nahm sich seiner an, und brachte ihn in die Abtei St. Marcel, wo er 1142 starb. Heloise, welche ihn 20 Jahre überlebte, erbat sich des Geliebten Leichnam und ließ ihn im Paraklet beisetzen, um einst an seiner Seite zu ruhen. Im J. 1808 wurde Beider Asche in dem Museum franz. Denkmäler zu Paris aufgestellt, 1817 in einer besondern Kapelle zu Monami und 1828 in dem dazu erbauten und hier dargestellten Denkmale auf dem Kirchhofe Lachaise zu Paris beigesetzt. Romantisch erzählte Beider Schicksale Feßler in dem Werke »Abälard und Heloise«.
Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 2-3. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000808490
Herder 1854
[4] Abälard (Abeillard), geb. 1097 in Palais bei Nantes, adeligen Stammes, zeigte früh brennende Wißbegierde und war schon als Jüngling ein leidenschaftlicher, oft siegreicher Dialectiker. In Paris war er Schüler des Wilhelm von Champeaux, überwand ihn in Disputationen und eröffnete, 22jährig, zuerst in Melun, dann in Corbeil eine Schule der Philosophie. Im 28. Jahre kam [4] er wieder nach Paris, besiegte seinen alten Lehrer abermals und eröffnete eine Schule auf dem Genofevaberge. Darauf studierte und lehrte er alsbald Theologie und erhielt noch als Laie ein Canonicat; als Lehrer der schönen, 18jährigen Heloise verführte er diese und heirathete sie später insgeheim. Heloise aber läugnete die Heirath, damit Abälard nicht in seiner Laufbahn gehemmt werde, und ging in das Kloster Argenteuil. Darüber ergrimmte ihr Oheim, ein Canonicus Fulbert in Paris, dergestalt, daß er den Abälard nachts überfallen und entmannen ließ. Abälard ging nach seiner Genesung in das Kloster St. Denys und hielt dort theolog. Vorlesungen; er wurde Priester und gab eine introductio ad theologiam heraus. Diese wurde 1121 auf der Synode von Soissons als irrthümlich verurtheilt und Abälard mußte sie verbrennen. Seine Behauptung, Dionys der Areopagite sei nicht der Apostel Galliens gewesen, bereitete ihm neue Anklagen; endlich ließ er sich bei Nogent sur Seine nieder und baute sich ein Bethaus, das er Paraklet nannte. Alsbald belebte sich die Einöde, denn es sammelten sich zahlreiche Schüler um ihn und Abälard mußte wieder Theologie lehren. Nach neuen Kämpfen wurde er 1126 Abt von St. Gildas de Ruys in der Bretagne. Aber hier erbitterte er die Mönche durch seine rigorose Strenge und 1136 erschien A. auf dem Genofevaberge abermals als Lehrer und hatte dasselbe Schicksal wie in St. Denys. Er unterwarf sich jedoch der kirchlichen Censur, versöhnte sich mit seinen Gegnern und starb den 21. Apr. 1142 in der Abtei St. Marcel bei Chalons sur Saone. Sein Leichnam wurde nach Paraklet gebracht, wo Heloise Aebtissin eines Nonnenklosters war; 1828 wurde die Asche beider in einer Kapelle des Gottesackers Père la Chaise in Paris beigesetzt. A. verdankt seinen Ruhm mehr Heloisens Liebe als seiner Philosophie; diese war keck, vermaß sich alle Mysterien zu begreifen und zu demonstriren, als ob die Glaubenslehre nur eine weitere Entwicklung der alten Philosophie wäre.
Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 4-5. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003178366
Pierer 1857
[11] Abälard, Peter, geb. 1079 in Palais (Palets) in der Bretagne (daher sein Zuname Palatinus), studirte in Paris bei Wilh. v. Champeaux Philosophie u. gerieth mit demselben in Streit, da er gegen dessen Realismus den Nominalismus Roscellins vertheidigte. Von Paris ging er als Lehrer nach Laon; nach Paris zurückgekehrt fand er in seinen theolog. Vorlesungen sehr viel Zuhörer, wodurch zum Theil der Grund zur dasigen Universität gelegt wurde. Unter seinen Schülern war Heloise, die Nichte des Abts Fulbert; er lebte mit ihr in vertrautem Verhältniß u. entführte sie, um sie vor ihrem Oheim zu sichern, in die Bretagne. Dort gebar Heloise einen Sohn (der jedoch bald wieder starb) u. vermählte sich nun, mit Fulberts Wissen, mit A., hielt aber die Ehe nach ihrer Rückkehr nach Paris geheim, um A. nicht in seiner kirchl. Laufbahn zu hindern. Als Heloise von Fulbert gemißhandelt wurde, entführte A. sie von Neuem, wurde aber von ihren Verwandten, auf [11] Fulberts Anstiften, entmannt u. floh in die Abtei St. Denis, von wo aus seine Schüler ihn auf seinen Lehrstuhl zurückzukehren nöthigten. Von den Scholastikern u. Mystikern der Ketzerei angeklagt, wurde 1121 auf der Synode von Soissons seine Lehre über die Trinität verdammt, u. er floh in eine Einöde bei Nogent; seine Schüler folgten ihm, u. er gründete hier die Abtei Paraclet; 1126 als Abt nach St. Gildes de Ruys in der Bretagne berufen, überließ er jene der durch den Abt von St. Denis, Suger, aus ihrem Kloster zu Argenteuil vertriebenen Heloise. Er wurde aufs Neue der Ketzerei angeklagt. Bernhard von Clairvaux stand an der Spitze seiner Gegner, u. auf der Synode zu Sens 1140 wurde er verurtheilt; er appellirte an Papst Innocenz II., aber von diesem auf Bernhards Bericht zu ewiger Klosterhaft verurtheilt, widerrief er die ihm aufgebürdeten Ketzereien in der Trinitäts- u. Erlösungslehre, u. der Abt Peter v. Clugny gab ihm eine Freistätte im Kloster St. Marcel bei Chalons sur Saone, wo er 1142 starb. Er wurde neben Heloise, welche 20 Jahre später starb, in Paraclet begraben. Sein Grabmal u. seine u. Heloisens Asche ward 1808 von da nach dem Museum histor. Denkmäler zu Paris versetzt, aber 1817 in eine besondere Capelle zu Monamy u. 1828 in ein besonderes Grabmal auf dem Kirchhofe des Pére la Chaise gebracht. Seine als Ketzerei verdammte Lehre war: Gott der Vater habe die völlige Gewalt, der Sohn nur einige, der h. Geist keine; der h. Geist sei nicht aus dem Wesen des Vaters u. Sohnes, er sei die Seele der Welt; Christus habe nicht darum das Fleisch angenommen, um die Menschen zu erlösen, denn das habe Gott durch einen unbedingten Befehl bewerkstelligen können; Gott könne u. dürfe das Böse nicht verhindern; der Mensch könne aus eigener Kraft gut handeln; keine Begierde an sich sei sündhaft, weil jede in der Natur des Menschen liege etc. Schr.: Theologia christiana; Scito te ipsum; Sic et non (herausg. von Hanke u. Lindenkohl, Marb. 1851), latein. Lieder, Sermone, Commentar zum Brief Pauli an die Römer u. a.; Werke herausg. von Du Chesne, 1616, Martene, Cousin 1849; neu aufgefundene Werke herausgeg. von Cousin u. Rheinwald 1831 u. 1836; Goldhorn, De summis principiis theologiae Abelardeae, Lpz. 1838. Ueber ihn: Berington, History of A. and Heloise, Lond. 1787 (deutsch v. Hahnemann, Lpz. 1789); Gervaise, Vie de P. A. et Héloise. Par. 1720; Feßler, A. u. Heloise, Berl. 1806; Schlosser, A. u. Dulcin, Gotha 1807; Guizot, Par. 1839, Feuerbach, Lpz. 1844; Carrière, Gieß. 1844; Remusat, 1845; Jacobi, Berl. 1650.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 11-12. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009282904
Meyers 1905
[10] Abälard (Abeilard, Abeillard, Abélard, lat. Abaelardus), Peter, scholastischer Philosoph und Theolog, der kühnste Denker des 12. Jahrh., geb. 1079 in dem Flecken Palet oder Palais unweit Nantes (daher Doctor Palatinus), gest. 21. April 1142 in der Priorei St. Marcellus bei Châlon. Er studierte zu Paris, nachdem er vorher schon Roscelins Schüler gewesen war. Durch die Bekämpfung des sogen. Realismus verfeindete er sich mit seinem Lehrer Wilhelm von Champeaux, der sich zuletzt für überwunden erklären mußte. Als Lehrer der Dialektik, später auch[10] der Theologie, zuerst in Melun, dann in Corbeil, hierauf zu Paris auf dem Berge Ste.-Geneviève und in der Kathedralschule, zog er durch die Kunst seines Vortrags sowie durch die Richtung seiner Theologie eine außerordentlich große Zahl von Schülern aus allen Ländern an. Bekannt ist seine Liebe zu Heloise, deren Oheim, der Kanonikus Fulbert, selbst ihn in sein Haus als Lehrer seiner Nichte aufnahm. A., obgleich bereits 38 Jahre alt, entbrannte heftig für das schöne und geistreiche 17jährige Mädchen und fand die glühendste Erwiderung seiner Leidenschaft. Er entführte die Geliebte nach der Bretagne, wo sie im Hause seiner Schwester einen Sohn gebar, und nachdem er sich mit Heloise vermählt hatte, kehrte diese in das Haus des Oheims zurück, leugnete aber die Ehe, um A. an der Erlangung kirchlicher Würden nicht hinderlich zu werden. Darüber erbittert, ließ Fulbert A. überfallen und entmannen. Tief gebeugt durch diese Schmach, barg sich A. als Mönch in der Abtei St.-Denis und bewog auch Heloise, in Argenteuil den Schleier zu nehmen, fing selbst jedoch bald wieder an, zu lehren. In dem Streit über die allgemeinen Begriffe (universalia) wandte er sich mehr dem Nominalismus zu, indem er diese Begriffe nur für subjektive Zusammenfassungen, conceptus mentis (daher wird seine Lehre Konzeptualismus genannt), ansah. In der Theologie vertrat er offen die rationalistische Richtung, indem er den kirchlichen Glauben auf allgemeine Vernunftprinzipien zurückzuführen suchte. Die Freiheit des Willens faßte er als Grundlage der Sittenlehre; wie nur aus ihr die Zurechnungsfähigkeit der Handlung hervorgehe, so lehrte er, daß auch nur die aus ihr hervorgehende Reue und Buße selig machen könnten. Die Synode zu Soissons (1121) erklärte seine Ansichten über die Dreieinigkeit für ketzerisch und verurteilte ihn zur Einsperrung im Kloster St.-Médard. Der päpstliche Legat hob diese Strafe auf, und A. kehrte nach St.-Denis zurück, verließ aber nach einiger Zeit dieses Kloster und erbaute zu Nogent an der Seine eine Kapelle und Klause, Paraklet genannt, die er nach seiner Ernennung zum Abt von St.-Gildas-de-Ruys in der Bretagne Heloisen und ihren Religiosen zur Wohnung überließ. Der Abt Wilhelm von St.-Thierry erneuerte die Beschuldigung der Ketzerei gegen die Schriften Abälards, und die Gegner brachten es dahin, daß das Konzil zu Sens (1140) und, als A. an den Papst appellierte, Papst Innocenz 11. seine Lehre verdammten. Peter der Ehrwürdige, Abt zu Clugny, söhnte A., nachdem er seine Trinitäts- und Erlösungstheorie widerrufen, mit seinen Feinden aus. A. lebte hierauf, ein Muster klösterlicher Zucht, ruhig zu Clugny. Als er schwer erkrankt war, ließ ihn Peter nach der Priorei St. Marcellus bei Châlon bringen, wo er bald darauf starb. Heloise, die ihm erst 17. März 1163 im Tode folgte, erbat sich den Leichnam und ließ ihn im Paraklet begraben. Beider Asche wurde 1808 in das Museum der französischen Denkmäler nach Paris gebracht und 1817 in einem eigens dazu erbauten Grabmal auf dem Kirchhof Père-Lachaise beigesetzt. Abälards lateinische Schriften und Briefe hat Amboise gesammelt und Duchesne (Par. 1616), zuletzt Cousin (das. 1849–59, 2 Bde.) herausgegeben. In Mignes »Patrologiae cursus completus«, latein. Abteilung, füllen sie den 178. Band. Die bedeutendsten von seinen Werken sind: »Introductio in theologiam«, die Ethik: »Scito te ipsum«, »Dialogus inter Philosophum, Judaeum et Christianum« (hrsg. von Rheinwald, Berl. 1831), »Sic et non«, eine Sammlung dogmatischer Widersprüche der Kirchenväter, zuerst von Cousin (Par. 1836), dann vollständig herausgegeben von Henke und Lindenkohl (Marburg 1851). Sein Leben hat A. selbst in der »Historia calamitatum mearum« beschrieben. Vgl. Rémusat, Abélard (Par. 1845, 2 Bde.); Deutsch, Peter A., ein kritischer Theolog (Leipz. 1883); Carriere, A. und Heloise, ihre Briefe und Leidensgeschichte (2. Aufl., Gieß. 1853); Hausrath, Peter A. (Leipz. 1893); Picavet, A. et Alexandre de Hales créateurs de la méthode scolastique (Par. 1896).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 10-11. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006182771
Brockhaus 1911
[2] Abälard, Peter, frz. Abeillard, Abélard, scholastischer Philosoph und Theolog, geb. 1079 zu Pallet (Palais) bei Nantes. Wegen seiner freimütigen Lehren zu Paris verfolgt, infolge seines Liebesverhältnisses zu der von ihm entführten Heloïse, Nichte des Kanonikus Fulbert, auf dessen Anstiften entmannt, zog er sich in die von ihm gegründete Abtei Paraklet bei Nogent an der Seine zurück. Nach erneutem Auftreten wurde er auf Betreiben Bernhards von Clairvaux 1140 für einen Ketzer erklärt; er starb 21. April 1142 im Kloster St. Marcel bei Châlons. Seine und der Heloïse (gest. 16. Mai 1164 als Äbtissin des Klosters Paraklet) Asche wurde 1817 auf dem Kirchhofe Père-Lachaise zu Paris beigesetzt. Schriften hg. von Cousin (2 Bde., Par. 1849-59). – Biogr. von Hausrath (1893); über sein Liebesverhältnis vgl. Carriere (2. Aufl. 1853).
Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 2. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000879533
Eisler 1912
[1] Abälard (Abeillard, Abélard), Petrus. Geb. 1079 in Pallet (oder Palette) bei Nantes. Er genoß den Unterricht der Scholastiker Roscelinus, Wilhelm von Champeaux u. a. Er lebte und lehrte an verschiedenen Orten, besonders in und bei Paris (Schloß Melun, Corbeil). Sein Liebesverhältnis mit Heloise (vgl. den Briefwechsel zwischen beiden, Reclams Universalbibliothek), der Nichte des Domherrn Fulbert, verlief bekanntlich schließlich so, daß sowohl Heloise als Abälard ins Kloster gingen. A. starb 1142 in der Priorei St. Marcel bei Chalons. Als Lehrer hatte A. einen großen Erfolg, aber auch heftige Gegner, besonders in Bernhard von Clairvaux. Wiederholt verwarf die Kirche seine Lehren.
A. ist einer der bedeutendsten Vertreter der älteren Scholastik. Er betont mit großem Freimut das Recht der Vernunft und des Zweifels gegenüber der bloßen Autorität. Der Glaube ist wohl das Höchste, aber die Vernunft muß die Gründe des Glaubens darlegen und auch entscheiden, welcher Autorität zu folgen ist. In »Sic et non« werden einander widersprechende Aussprüche von Autoritäten vorgeführt und die Methode angegeben, wie man[1] den Widerspruch lösen könne; die Schrift ist das Vorbild zu den theologischen »Summen« (Sentenzensammlungen). Die Dreieinigkeit Gottes wird so aufgefaßt, daß Gott Vater die Macht, Gott Sohn die Weisheit und der heilige Geist die Güte oder Liebe ist. Die »Dialektik« hat nach A. zur Aufgabe die Unterscheidung des Wahren vom Falschen (»veritatis seu falsitatis discretio«). Voraussetzung der Logik ist die Physik. Die Worte sind Erfindungen der Menschen, stehen aber zu den Dingen in natürlicher Beziehung.
In bezog auf den Universalienstreit vertritt A. einen vermittelnden Standpunkt, wobei er aber dem Nominalismus nähersteht. Das Allgemeine liegt nicht in den Worten selbst. sondern in den Aussagen (»sermones«, Sermonismus), in den Bedeutungen der Worte. Das Allgemeine ist ein »sermo praedicabilis«, eine begriffliche Bedeutung (Konzeptualismus): es ist das von vielem Aussagbare (»quod de pluribus natum est praedicari«). Das Allgemeine ist daher kein Ding, keine selbständige Wesenheit. Die Universalien (oder die Ideen) existieren vor der Schöpfung nur als »conceptus mentis« (Gedanken) im göttlichen Geiste. Am bedeutendsten ist A.'s Ethik. Diese zeigt, wie das höchste Gut durch die Tugend erreicht wird. Auf die Gesinnung, den guten Willen sowie auf das Gewissen kommt alles an, nicht auf äußere Werke, die an sich weder gut noch schlecht sind. Die Tugend ist »bona in habitum solidata voluntas«. Das Sittliche liegt stets in der »intentio animi«, die Sünde in der Zustimmung zum Bösen, in der Absicht, in dem, was das Gewissen verwirft (»non est peccatum nisi contra conscientiam«). Wenn eine Handlung sowohl objektiv als subjektiv richtig ist, dann ist sie gut, immer aber kommt es auf die Gesinnung, das sittliche Bewußtsein an, das freilich irren kann. »Intentio faciendi propter Deum quod convenit et dimittendi quod non convenit sola in se bona est; opus vero quodcunque numquam ex se bonum appellatur, nisi si ex bona intentione procedit. Intentionis igitur bonitas est propria, operis vero tantum communicata« (Scito te ipsum, C. 7). Das objektiv Gute ist das dem göttlichen Willen Gemäße und dieses ist das natürliche Sittengesetz. Höchstes Gut ist Gott und die Liebe zu ihm.
SCHRIFTEN: Historia calamitatum mearum. – Theologia, 1616 (nur der erste Teil). – Scito to ipsum, 1721 (Ethik). Dialogus inter philosophum, Judaeum et Christianum, 1831. – Die Schriften: Sic et non (1851), die Dialektik und das Fragment: De generibus et speciebus u. a. sind enthalten in: V. Cousin, Ouvrages inédits d'Abélard, 1836. – De unitate et trinitate divina, 1891. – Gesamtausgabe der Schriften (mit Ausnahme der letztengeführten) von Cousin, 1849-59. – Vgl. CH. DE RÉMUSAT, Abélard, 1845. – S. M. DEUTSCH, Peter Abälard, 1883. – A. HAUSRATH, P. Abälard, 1893. – TH. ZIEGLER, Abälards Ethica, Zeller-Festschrift 1884.
Quelle: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 1-2. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001814575