Glosse: Unterschied zwischen den Versionen

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== Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon ==

'''Glosse'''

[233] Glosse, ein dem Lateinischen entlehnter Ausdruck, heißt eine erklärende Bemerkung, Glossator ein Erklärer, Glossarium eine Sammlung von Glossen. Vorzüglich hießen Glossen diejenigen Bemerkungen, welche die ältesten berühmten Juristen im 12. und 13. Jahrh. zu dem Corpus juris (s.d.) machten, und welche theils zwischen die Zeilen (glossae interlineares), theils an den Rand (glossae marginales) geschrieben wurden und in so großes Ansehen kamen, daß nur diejenigen Stücke des röm. Rechts für gültig gehalten werden, welche mit Glossen versehen (glossirt) sind. Auch spätere Rechtsbücher sind in ähnlicher Weise glossirt worden.. – Glosse oder Variation bezeichnet endlich '''eine Art künstlicher Gedichte''', in denen ein Thema, d.h. einige inhaltreiche Verse (Zeilen) weitläufiger umschrieben werden. Das Thema wird über die Glosse geschrieben und diese selbst hat so viel Abtheilungen (Strophen) mit zierlichen Reimverschlingungen, als das Thema Verse hat, und jede dieser Abtheilungen endet mit einem Verse des Themas. Diese Glossen sind zuerst in der span. und portug. Poesie aufgekommen und von da durch die Gebrüder Schlegel in die deutsche Dichtkunst eingeführt worden.


Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 233.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20000830496



== Meyers Großes Konversations-Lexikon 1907 ==

'''Glosse'''

[47] Glosse (griech., »Zunge«), Mundart, Dialekt; dann Bezeichnung für Ausdrücke, die einer besondern Mundart angehörten, Provinzialismen, veraltete und daher leicht unverständliche und einer Erklärung bedürftige Wörter, fremdländische Ausdrücke etc.; später endlich Bezeichnung der Erklärung solcher Ausdrücke. Besonders in der alexandrinisch-römischen Zeit beschäftigten sich viele Gelehrte mit der Abfassung von Verzeichnissen solcher veralteten Redensarten oder Glossen (Glossarien), welche die Lektüre der Schriftstellertexte erleichtern sollten. Die Gelehrten, die sich damit befaßten, hießen Glossographen. Der Ausdruck Glossēm (Glossēma) für G. wurde erst in der spätern Zeit gebräuchlich. Dieser Glossarienliteratur gehören die größern lexikographischen Sammelwerke eines Hesychios, Suidas, Pollux u.a. an. Auch die Römer verfaßten in späterer Zeit glossographische Werke, die für die Kenntnis der ältesten Latinität und der Volkssprache (des Vulgärlateins) von Wichtigkeit sind. Eine gründliche Bearbeitung und Sichtung der Glossen ist erst in neuerer Zeit durchgeführt worden; so die der lateinischen Glossen von Löwe und Goetz (»Corpus glossariorum latinorum«. Leipz. 1888–1901, 7 Bde.) und der althochdeutschen von Steinmeyer und Sievers (Berl. 1879–1900, 4 Bde.). – Auch in der Geschichte des Bibeltextes begegnet uns der Ausdruck G. in verschiedenem Sinne. Randglossen kamen bei der Bibel schon sehr früh und um so mehr in Anwendung, als dies Buch häufiger als jedes andre in die Hände solcher Leser kam, denen zahlreiche Ausdrücke und ganze Stellen, als einer fremden Redeweise und einem fernen geschichtlichen oder religiösen Horizont angehörig, unverständlich waren. Weiteres s. Exegetische Sammlungen. – '''In der Poetik versteht man''' unter G. eine eigne Art zierlicher Gedichte, welche A. W. und Fr. v. Schlegel aus der spanischen Poesie in die deutsche einführten (auch Variationen genannt). Ein solches Gedicht besteht aus vier Dezimen (s. d.), deren letzte Zeilen zusammengenommen eine gereimte Strophe ausmachen; diese, das Thema genannt, wird meist dem Ganzen vorangestellt. – In der Rechtswissenschaft nennt man G. die Erläuterung zu dem Texte der Justinianischen Rechtsbücher (s. Corpus juris) durch kurze sachliche und sprachliche Anmerkungen, welche die Rechtslehrer an der mittelalterlichen Rechtsschule zu Bologna teils mündlich in ihren Vorlesungen, teils schriftlich dem Text ihres Exemplars beifügten. Ursprünglich waren diese so kurz, daß man sie in den Text unter die betreffenden Worte schrieb (glossae interlineares); bald aber wurden sie ausführlicher und an den Rand gesetzt (g. marginales). Bildeten die Glossen der Juristen eine fortlaufende Erläuterung des Textes, so nannte man sie Apparatus. Von diesen Glossen erhielten später die Juristen, welche Justinians Rechtsbücher auf solche Weise erläuterten, den Namen Glossatoren. Die berühmtesten waren Azo (gest. 1220) und Accursius (gest. um 1260). Accursius unternahm es, aus allen vorhandenen Glossen das Beste zu exzerpieren, um aus diesen Exzerpten eine fortlaufende G. zu den sämtlichen Rechtsbüchern Justinians zu bilden, und fand so vielen Beifall, daß sein Werk in den Gerichten fast gesetzliches Ansehen erhielt. Jetzt versteht man daher unter der G. schlechthin die des Accursius und nennt sie zum Unterschied von den größtenteils ungedruckten frühern Glossen einzelner Juristen Glossa ordinaria. Über die Malbergischen Glossen s. Salisches Gesetz. – In der Umgangssprache sind Glossen soviel wie spöttische, tadelnde Bemerkungen (daher Glossen machen).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 47.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20006691102

Aktuelle Version vom 11. Mai 2018, 18:32 Uhr


Pierer's Universal-Lexikon

Glosse

[416] Glosse (v. gr.),

1) bei griechischen Schriftstellern ein provincielles, unbekanntes, dunkeles, der Erklärung bedürfendes Wort; dagegen in literaturhistorischem Sinne das so erklärende Wort; sie wurde gewöhnlich in den Handschriften auf dem Rande der Schrift beigeschrieben, daher Randglosse; eine Sammlung solcher Erklärungen in alphabetischer Ordnung heißt Glossarium, die Verfasser Glossographen od. Glossatoren. Solche G-n A) zu den neutestamentlichen Büchern aus Hesychios, Suidas u. Phavorinus sammelten als Glossae sacrae Alberti, Walckenaer u.a., u. J. Chr. Gottlob Ernesti gab eine Handausgabe derselben Leipz. 1785, 2 Thle., heraus; dazu gab Schleusner in vier Programmen 1809 f. Nachträge, u. Sturz gab ein Specimen derselben aus Zonaras, 1818, heraus. Ferner gibt es solche G-n B) zu den Justinianeischen Rechtsbüchern; es sind hier die sachdienlichen Erläuterungen u. Anmerkungen, welche die italienischen Rechtsgelehrten in Bologna u. Pisa (Glossatoren) im 12. u. 13. Jahrh. bei der Interpretation des Corpus juris ihren Schülern mittheilten. Diese G-n wurden hernach den Manuscripten der Justinianeischen Compilationen beigefügt, Anfangs in den Text selbst zwischen den Zeilen bei den Worten eingerückt, auf welche sie sich bezogen (Glossae interlineares), nachher aber am Rande, theils neben, theils unter dem Text (Glossae marginales). Als der erste Glossator wird gewöhnlich Irnerius (gest. 1140) genannt, obschon dieser Name erst unter seinen Schülern u. Nachfolgern im Lehramte gebräuchlich wurde. Nach ihm zeichneten sich bes. aus: Bulgarus (gest. 1166), dessen Nebenbuhler Martinus Gosia, Hugo u. Jacobus de Porta Ravennate (die vier Doctoren). Accursius (s.d.) sammelte die verschiedenen G-n seiner Vorgänger u. compilirte sie, mit Hinzufügung mancher eigenen Bemerkungen zu einer Glossa ordinaria (auch Glossa Accursiana genannt). Nur die glossirten Stellen des Corpus juris sind aufgenommen u. haben in Deutschland Gesetzeskraft nach dem Satze: Quod non agnoscit glossa, id nec agnoscit curia. Über die schon beiden Glossatoren sich vorfindenden Meinungsverschiedenheiten vgl. G. Hänel, Dissensiones dominorum, Lpz. 1838. Herausgegeben ist die G. mit vielen älteren Ausgaben des Corpus juris; über eine versuchte eigene Ausgabe derselben s. Claussen, Denuo edendae Accurs glossae specimen, Halle 1828. In gleicher Weise wurden auch andere Rechtssammlungen im Mittelalter mit G-n versehen. Für die Libri feudorum (s.d.) wurden solche G-n theils von Bulgarus, theils von Pillius, vorzüglich von Jacobus. Columbi (um 1240) verfaßt u. später von Accursius ebenfalls überarbeitet. Ebenso gibt es G-n für diejenigen Rechtsbücher, welche das Corpus juris canonici (s.d.) bilden. Die G. für das Decretum Gratiani rührt von Johannes Teutonicus (um 1212) her, wurde aber von Bartholomäus v. Brescia (gest. 1258) überarbeitet u. vermehrt. Für die Decretalen Gregors IX. stellte Bernardus de Bortono (Bernardus Parmensis, gest. 1268) eine Glossa ordinaria aus verschiedenen früheren G-n zusammen. Die G. für den sogen. Liber Sextus ist von Johannes Andreä verfaßt u. später von Franciscus Zabarella verbessert worden. Für den Sachsenspiegel (s.d.) hat man eine G. von dem märkischen Ritter v. Buch, mit späteren Vermehrungen von Theodor v. Bocksdorff. Glossenähnliche Arbeiten über die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. sind die lateinischen Übersetzungen u. Paraphrasen derselben von Justinus Gebler u. Georg Remus (herausgeg. von Abegg, Heidelb. 1837). Auch gibt es C) mehrere altdeutsche Glossensammlungen, benannttheils nach den Verfassern, theils nach dem Orte, wo die Handschriften aufbewahrt werden, in denen sie enthalten sind, theils nach ihren Herausgebern; bes. a) althochdeutsche, von denen die bedeutenderen sind. Glossae Hrabani Mauri, s.u. Hrabanus; G. Salomonis (Isonis), aus dem 9. Jahrh., in St. Gallen; G. Casselanae, aus dem 8. Jahrh., wahrscheinlich in Baiern aufgeschrieben; G. Monseenses, aus dem 9. Jahrh., im Kloster Mondsee; G. Vindobonenses, mehrere noch nicht herausgegeben; diese G-n sind meist in Schilters Thesaurus eingetragen, andere von Eccard u.a. herausgeben; G. Junianae, von Fr. Junius herausgegeben, Handschrift jetzt in England; G. Docenianae, von Docen aus münchener Handschriften herausgegeben; G. Tychsenii, aus dem 10. Jahrh, von Tychsen aus einer Handschrift des Escurial herausgeben; b) altniederdeutsche, unter ihnen die G. Lipsii, aus dem 9. Jahrh., aus einer Psalmenübersetzung gezogen u. zuerst von Lipsius in den Epistolae sel. cens. III., zum Theil von Hagen, Berl. 1816, herausgegeben.

2) Im gemeinen Leben so v.w. Anmerkung, bes. bittere, beißende Bemerkung über etwas (G-n über etwas machen).

3) (Poet.), aus der spanischen u. portugiesischen Poesie in die deutsche von den Gebrüdern Schlegel (die sie Variationen nennten) übertragene Art von zierlichen u. kunstreichen Gedichten, die mit einem Thema von 1 bis 4 u. mehr Versen beginnen, welche in eben so viel Strophen weiter ausgeführt werden. Die Schlußzeile von jeder Strophe bildet dann stets eine Verszeile des Themas, in derselben Ordnung wie sie dort folgen.


Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 416. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010017879


Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon

Glosse

[233] Glosse, ein dem Lateinischen entlehnter Ausdruck, heißt eine erklärende Bemerkung, Glossator ein Erklärer, Glossarium eine Sammlung von Glossen. Vorzüglich hießen Glossen diejenigen Bemerkungen, welche die ältesten berühmten Juristen im 12. und 13. Jahrh. zu dem Corpus juris (s.d.) machten, und welche theils zwischen die Zeilen (glossae interlineares), theils an den Rand (glossae marginales) geschrieben wurden und in so großes Ansehen kamen, daß nur diejenigen Stücke des röm. Rechts für gültig gehalten werden, welche mit Glossen versehen (glossirt) sind. Auch spätere Rechtsbücher sind in ähnlicher Weise glossirt worden.. – Glosse oder Variation bezeichnet endlich eine Art künstlicher Gedichte, in denen ein Thema, d.h. einige inhaltreiche Verse (Zeilen) weitläufiger umschrieben werden. Das Thema wird über die Glosse geschrieben und diese selbst hat so viel Abtheilungen (Strophen) mit zierlichen Reimverschlingungen, als das Thema Verse hat, und jede dieser Abtheilungen endet mit einem Verse des Themas. Diese Glossen sind zuerst in der span. und portug. Poesie aufgekommen und von da durch die Gebrüder Schlegel in die deutsche Dichtkunst eingeführt worden.


Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 233. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000830496


Meyers Großes Konversations-Lexikon 1907

Glosse

[47] Glosse (griech., »Zunge«), Mundart, Dialekt; dann Bezeichnung für Ausdrücke, die einer besondern Mundart angehörten, Provinzialismen, veraltete und daher leicht unverständliche und einer Erklärung bedürftige Wörter, fremdländische Ausdrücke etc.; später endlich Bezeichnung der Erklärung solcher Ausdrücke. Besonders in der alexandrinisch-römischen Zeit beschäftigten sich viele Gelehrte mit der Abfassung von Verzeichnissen solcher veralteten Redensarten oder Glossen (Glossarien), welche die Lektüre der Schriftstellertexte erleichtern sollten. Die Gelehrten, die sich damit befaßten, hießen Glossographen. Der Ausdruck Glossēm (Glossēma) für G. wurde erst in der spätern Zeit gebräuchlich. Dieser Glossarienliteratur gehören die größern lexikographischen Sammelwerke eines Hesychios, Suidas, Pollux u.a. an. Auch die Römer verfaßten in späterer Zeit glossographische Werke, die für die Kenntnis der ältesten Latinität und der Volkssprache (des Vulgärlateins) von Wichtigkeit sind. Eine gründliche Bearbeitung und Sichtung der Glossen ist erst in neuerer Zeit durchgeführt worden; so die der lateinischen Glossen von Löwe und Goetz (»Corpus glossariorum latinorum«. Leipz. 1888–1901, 7 Bde.) und der althochdeutschen von Steinmeyer und Sievers (Berl. 1879–1900, 4 Bde.). – Auch in der Geschichte des Bibeltextes begegnet uns der Ausdruck G. in verschiedenem Sinne. Randglossen kamen bei der Bibel schon sehr früh und um so mehr in Anwendung, als dies Buch häufiger als jedes andre in die Hände solcher Leser kam, denen zahlreiche Ausdrücke und ganze Stellen, als einer fremden Redeweise und einem fernen geschichtlichen oder religiösen Horizont angehörig, unverständlich waren. Weiteres s. Exegetische Sammlungen. – In der Poetik versteht man unter G. eine eigne Art zierlicher Gedichte, welche A. W. und Fr. v. Schlegel aus der spanischen Poesie in die deutsche einführten (auch Variationen genannt). Ein solches Gedicht besteht aus vier Dezimen (s. d.), deren letzte Zeilen zusammengenommen eine gereimte Strophe ausmachen; diese, das Thema genannt, wird meist dem Ganzen vorangestellt. – In der Rechtswissenschaft nennt man G. die Erläuterung zu dem Texte der Justinianischen Rechtsbücher (s. Corpus juris) durch kurze sachliche und sprachliche Anmerkungen, welche die Rechtslehrer an der mittelalterlichen Rechtsschule zu Bologna teils mündlich in ihren Vorlesungen, teils schriftlich dem Text ihres Exemplars beifügten. Ursprünglich waren diese so kurz, daß man sie in den Text unter die betreffenden Worte schrieb (glossae interlineares); bald aber wurden sie ausführlicher und an den Rand gesetzt (g. marginales). Bildeten die Glossen der Juristen eine fortlaufende Erläuterung des Textes, so nannte man sie Apparatus. Von diesen Glossen erhielten später die Juristen, welche Justinians Rechtsbücher auf solche Weise erläuterten, den Namen Glossatoren. Die berühmtesten waren Azo (gest. 1220) und Accursius (gest. um 1260). Accursius unternahm es, aus allen vorhandenen Glossen das Beste zu exzerpieren, um aus diesen Exzerpten eine fortlaufende G. zu den sämtlichen Rechtsbüchern Justinians zu bilden, und fand so vielen Beifall, daß sein Werk in den Gerichten fast gesetzliches Ansehen erhielt. Jetzt versteht man daher unter der G. schlechthin die des Accursius und nennt sie zum Unterschied von den größtenteils ungedruckten frühern Glossen einzelner Juristen Glossa ordinaria. Über die Malbergischen Glossen s. Salisches Gesetz. – In der Umgangssprache sind Glossen soviel wie spöttische, tadelnde Bemerkungen (daher Glossen machen).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 47. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006691102