Anagramm: Unterschied zwischen den Versionen

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== Anagramma (Sulzer) ==



== Das Anagramm ==
[48] Anagramma.

Ein Wort, oder ein einfacher Satz der Rede, den man durch Versetzung der Buchstaben eines andern Wortes, oder Satzes heraus gebracht hat; so wie das Wort Amor durch Umkehrung der Buchstaben in Roma verwandelt wird. Dieses ist eine Erfindung des spielenden Witzes der Neuern. Es wurde ehedem insonderheit alsdenn gebraucht, wenn aus dem Namen eines Menschen durch Versetzung der Buchstaben ein Satz heraus gebracht wurde, der ein Lob oder einen Tadel derselben Person enthielt. Diese mühsame Kleinigkeit ist endlich zu unsern Zeiten ziemlich aus der Mode gekommen. Indessen ist nicht zu läugnen, daß es bisweilen angenehme Anagramma geben könne. Folgende verdienen vielleicht hier angeführt zu werden.

Ein gewisser Prediger in Ungarn hatte etliche alte Freunde bey sich zum Essen. Er hieß Tobianus, und hatte nicht lange vorher seine Frau verlohren, die er um so viel weniger betrauerte, weil sie ihm ein gutes Vermögen nachgelassen hatte, von dem er, so lange sie gelebt, kaum den geringsten [48] Genuß gehabt hatte. Nachdem diese ehrwürdige Gesellschaft von gutem Weine etwas munter worden, fieng man, nach Art der damaligen Zeiten, an, Anagrammen zu machen. Einer nahm den Namen Tobianus zum Text, und sagte, das Glas in der Hand:

Obit Anus.
Der andere:Abit Onus.
Der dritte:Tua Nobis
Sunto; abi.
Der vierte:Vbi sonat
Tuba Sion.
Tobianus:Ita bonus (optavit)
Tobianus.

Von einer edlern und geistreichern Art ist folgendes:

Als der König Stanislaus von Pohlen in seiner Jugend von Reisen zurücke kam, versammelte sich das ganze hohe Lescinskische Haus in Lissa, um seinen Stammerben zu bewillkommen. Der nachherige preußische Hofprediger in Berlin, Herr Jablonsky, welcher damals Rector der Schule zu Lissa war, hielt bey dieser Gelegenheit einen Actum oratorium, zu dessen Beschluß er 13 als junge Helden gekleidete Tänzer auftreten ließ, einige Ballete zu tanzen. Jeder hatte einen Schild, auf welchem einer der Buchstaben dieser zwey Wörter, DOMVS LESCINIA, in Gold geschrieben war.

Nach dem ersten Ballet fanden sich die Tänzer so gestellt, daß die Ordnung ihrer Schilder die Worte Domus Lescinia lesen ließe, die sich nach dem andern Ballet in diese verwandelten:

Ades incolumis.
Nach dem dritten in diese:Omnis es lucida.
Nach dem vierten:Omnis sis lucida.
Nach dem fünften:Mane sidus loci.
Nach dem sechsten:Sis Columna Dei.
Und zum Beschluß:I! Scande solium.

Welches letztere als eine Art der Prophezeyhung kann angesehen werden.


=== Quelle: ===

Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 48-49.

Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20011442638


== Das Anagramm (Brockhaus 1809) ==





Aktuelle Version vom 20. Juli 2015, 19:21 Uhr




Anagramma (Sulzer)

[48] Anagramma.

Ein Wort, oder ein einfacher Satz der Rede, den man durch Versetzung der Buchstaben eines andern Wortes, oder Satzes heraus gebracht hat; so wie das Wort Amor durch Umkehrung der Buchstaben in Roma verwandelt wird. Dieses ist eine Erfindung des spielenden Witzes der Neuern. Es wurde ehedem insonderheit alsdenn gebraucht, wenn aus dem Namen eines Menschen durch Versetzung der Buchstaben ein Satz heraus gebracht wurde, der ein Lob oder einen Tadel derselben Person enthielt. Diese mühsame Kleinigkeit ist endlich zu unsern Zeiten ziemlich aus der Mode gekommen. Indessen ist nicht zu läugnen, daß es bisweilen angenehme Anagramma geben könne. Folgende verdienen vielleicht hier angeführt zu werden.

Ein gewisser Prediger in Ungarn hatte etliche alte Freunde bey sich zum Essen. Er hieß Tobianus, und hatte nicht lange vorher seine Frau verlohren, die er um so viel weniger betrauerte, weil sie ihm ein gutes Vermögen nachgelassen hatte, von dem er, so lange sie gelebt, kaum den geringsten [48] Genuß gehabt hatte. Nachdem diese ehrwürdige Gesellschaft von gutem Weine etwas munter worden, fieng man, nach Art der damaligen Zeiten, an, Anagrammen zu machen. Einer nahm den Namen Tobianus zum Text, und sagte, das Glas in der Hand:

Obit Anus.
Der andere:Abit Onus.
Der dritte:Tua Nobis
Sunto; abi.
Der vierte:Vbi sonat
Tuba Sion.
Tobianus:Ita bonus (optavit)
Tobianus.

Von einer edlern und geistreichern Art ist folgendes:

Als der König Stanislaus von Pohlen in seiner Jugend von Reisen zurücke kam, versammelte sich das ganze hohe Lescinskische Haus in Lissa, um seinen Stammerben zu bewillkommen. Der nachherige preußische Hofprediger in Berlin, Herr Jablonsky, welcher damals Rector der Schule zu Lissa war, hielt bey dieser Gelegenheit einen Actum oratorium, zu dessen Beschluß er 13 als junge Helden gekleidete Tänzer auftreten ließ, einige Ballete zu tanzen. Jeder hatte einen Schild, auf welchem einer der Buchstaben dieser zwey Wörter, DOMVS LESCINIA, in Gold geschrieben war.

Nach dem ersten Ballet fanden sich die Tänzer so gestellt, daß die Ordnung ihrer Schilder die Worte Domus Lescinia lesen ließe, die sich nach dem andern Ballet in diese verwandelten:

Ades incolumis.
Nach dem dritten in diese:Omnis es lucida.
Nach dem vierten:Omnis sis lucida.
Nach dem fünften:Mane sidus loci.
Nach dem sechsten:Sis Columna Dei.
Und zum Beschluß:I! Scande solium.

Welches letztere als eine Art der Prophezeyhung kann angesehen werden.


Quelle:

Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 48-49.

Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011442638


Das Anagramm (Brockhaus 1809)

[44] Das Anagramm (a. d Griech. der Buchstaben- oder Letterwechsel) heißt die Versetzung eines oder mehrerer Buchstaben in einem Worte, so daß dadurch ein anderer Sinn herauskommt, z. B. statt Lied – Leid; statt Leben – Nebel; statt Dame – Made u. s. f. So nahm Calvinus auf dem Titel seiner Institutionen – solche Spielereien wurden ehedem sehr hoch geschätzt – den Namen Alcuinus an.


Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 44.

Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000783072