Karsch, Anna Louisa: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 1. Dezember 2022, 03:13 Uhr
Geboren als Anna Luisa Dürbach am 1. Dezember 1722 in Hammer bei Schwiebus, heute Świebodzin; gestorben am 12. Oktober 1791 in Berlin. Sie heiratete 1738 Michael Hirsekorn, 1749 Daniel Karsch. Der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim ernannte sie zur "deutschen Sappho". Die Nachwelt hat bis heute (!) ihr Werk nur in Auswahl ediert.
Anna Louisa Karsch
Anna Louisa Karsch, geborene Dürbach, genannt die Karschin, wurde am 1. Dezember 1722 im nördlichen Schlesien in der Nähe von Züllichau geboren. Als erste Dichterin aus dem vierten Stand ist sie insbesondere durch ihre Verse auf die Siege Friedrich des Großen und ihre Gelegenheitsgedichte bekannt geworden. Erst spät wurde auch ihre Bedeutung als Briefeschreiberin des 18. Jahrhunderts entdeckt. Sie starb am 12.Oktober 1791 in Berlin. Eine von Johann Wilhelm Ludwig Gleim gestiftete Grabplatte in der Alten Sophienkirche in Berlin Mitte erinnert mit der Inschrift „Kennst Du, Wanderer, sie nicht / so gehe und lerne sie kennen“ an die Dichterin. Sie war die Mutter der Dichterin Caroline Louise von Klencke und die Großmutter von Helmina von Chézy.
Leben
Kindheit und Jugend
Als Tochter des Gastwirtpaares Dürbach in Hammer, einem kleinen Anwesen zwischen Croßen und Züllichau 1722 geboren, lebte Anna Louisa Karsch in den Jahren von 1728 bis 1742 mit ihrer Großmutter getrennt von den Eltern in der Nähe von Tirschtiegel bei Meseritz in Posen. [1] Den ersten wichtigen Einfluss auf die Entwicklung nahm hier ihr Großonkel Martin Fetke [2], bei dem sie Lesen, Schreiben, Rechnen und ein wenig Latein lernte. Ihre erste Lektüre war die Bibel und die Natur ergänzte diesen ersten Unterricht. [3] Folgt man ihrer eigenen Lebensbeschreibung, die sie in den Jahren 1761 und 1762 in vier Briefen an Johann Georg Sulzer niederschrieb [4], so lernte sie innerhalb kürzester Zeit sowohl das Lesen als auch das Schreiben.[5] In dieser Zeit starb der von ihr sehr geliebte Vater und die Mutter heiratete kurz darauf in zweiter Ehe den Jäger und Pächter Hempel. Als die Mutter dann den ersten Sohn dieser Ehe - Ernst Wilhelm Hempel - zur Welt gebracht hatte, holte sie Anna Louisa Karsch zurück in das Elternhaus, wo sie als „Kinderwärterin“ [6] für ihren Halbbruder eingesetzt wurde und nach dem Umzug der Familie nach Schwiebus auch Rinder hütete. Durch den Hirtenjungen Johann Christoph Grafe fand sie hier ihre „so lange entbehrte Wollust die Bücher wieder.“ [7]
Dieser Hirtenjunge machte ihr eine für sie neue Literatur zugänglich. Sie las Robinsonaden, barocke und ‚galante‘ Romane sowie geistliche und weltliche Gebrauchslyrik. [8] Bald lernte sie auch die Lyrik des niederlausitzer Barockdichters Johann Franck kennen, der sie zu ersten eigenen Versuchen des Dichtens bewegen wird. [9]
Literarische Anfänge in Schlesien und Polen
Gerade fünfzehnjährig wurde sie auf den Wunsch der Mutter mit dem aus Schwiebus stammenden Weber und Tuchhändler Michael Hirsekorn verheiratet.10 Beim Singen von Lobliedern kam ihr der Gedanke, ob sie selbst auch Lieder schreiben könne.11 Anfangs nährt sie sich in fast kindlicher Manier dem Dichten, so beschreibt Barbara Becker-Cantrino in ihrem Aufsatz „Belloisens Lebenslauf“ erste Versuche zu dichten mithilfe eines Vergleichs: „wie eben Kinder durch unreflektiertes, einfaches Nachahmen die Sprache erlernen, so beginnt die Dichterin zunächst mit der einfachen Nachahmung.“12 Und Anna Louisa Karsch selbst schreibt: „aber ich beschloß selbst Versuche zu machen; Ich wählte die Melodie irgend Eines geistlichen Liedes und sas bey den murrenden Rade und wiederhohlte den ietz gedichtetten Vers so lange bis Er in meinem Gedächtniß hafften blieb“13. Noch dem König gegenüber wird sie offenbaren: „Ich weiß keine Regeln […] aber ich beachte das Metrum nach dem Gehör und weiß ihm keinen Namen zu geben.14
Erste Geburtstags- und Neujahrsständchen sowie Trostgesänge entstehen in dieser Zeit.15 Das erste überlieferte Gedicht von Anna Louisa Karsch aus dem Jahre 1738 trägt den Titel „Neujahrswünsche an den Rinderhirten“.16
1749 wird diese Ehe auf die Initiative von Hirsekorn als wahrscheinlich erste Ehe in Preußen geschieden.17 Ein neues Gesetz, das sogenannte »Corpus Iuris Fredericianum«18, ermöglichte nun auch die Scheidung bei den niederen Ständen.19
In dieser Zeit galt eine Scheidung als von der Gesellschaft nicht anerkannte Ausnahme und wurde daher in der Regel auch nicht öffentlich gemacht.20 Für die Frauen des niederen Standes war die Ehe zudem als Sicherung ihrer Existenz von immenser Bedeutung Schließlich war Anna Louisa Karsch zu diesem Zeitpunkt auch noch mit ihrem vierten Sohn schwanger, der als einziges Kind dieser Ehe bei ihr blieb und von Michael Hirsekorn enterbt wurde.21
Schon nach wenigen Monaten wurde auf erneutes Drängen der Mutter die zweite Ehe mit dem trunksüchtigen Schneider Daniel Karsch geschlossen22. Ihm folgte sie ins polnische Fraustadt.
Insbesondere durch die Bekanntschaft mit dem Rektor Gottlieb Rückert wurde sie mit angesehenen Personen der Region bekannt.23 Neue Bücher wurden ihr zugänglich und so las sie „den Güntter, von beßer, von Haller, Gellert, und die fünff Ersten Gesänge der Messinade“.24 Gelegenheitsgedichte, die in dieser Zeit entstehen, dienen ihr nun auch, um den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern.25 Auf eine Unterstützung durch ihren Mann konnte sie nicht zählen, denn ihr Mann „war nicht bemüht sich Arbeit zu verschaffen oder fleißig zu sein“26 und so blieb sie auf sich selbst gestellt, wenn „Ihn Eine unseelige Trinklust fortriß“.27
Ihre Verse werden daraufhin in der Gegend von Lissa bis Glogau bekannt28 und Ernst Josef Krzywon zufolge wurde sie dort schnell zur „regionalen Dichtergröße“.29 Mithilfe einiger Lehrer und Pfarrer, die auf ihr Talent aufmerksam geworden waren, konnte sie 1755 nach Glogau umziehen.30 Doch ihre zunehmende Bekanntheit konnte noch kaum etwas gegen ihre elenden Lebensverhältnisse tun.31
Die nach dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges von ihr gedichteten Lobeshymen auf Friedrich II und Preußen wurden auf Flugschriften im ganzen Land verbreitet und brachten ihren Ruhm bis nach Berlin.32
Und ihre 1760 verfasste Ode über den Sieg bei Torgau veranlasste Moses Mendelsohn 1764 dazu, ihr ein »ungemeines Genie« zu bestätigen.33 Durch die Rekrutierung ihres Mannes in das preußischen Heer lebte Karsch seit Januar 1760 und bis zu ihrem Tod von ihm getrennt.34
Übersiedlung nach Berlin 1761
Der Baron Rudolf Gotthard von Kottwitz holte Anna Louisa Karsch im Januar 1761 nach Berlin und sorgte dort für ihre erste Unterkunft.35 Hier wurde Karsch bald in den literarischen Kreisen bekannt und in den Gesellschaften als Attraktion bestaunt.36 So lernte sie über den Baron von Kottwitz Johann Georg Sulzer und Karl Wilhelm Ramler kennen.37 Durch die Vermittlung von Ramler lernte sie schließlich auch den anakreontischen Dichter und Domsekretär in Halberstadt Johann Wilhelm Ludwig Gleim kennen, den sie von nun an in Briefen lebenslang verbunden bleiben wird.38
Halberstadt und Magdeburg 1761-1762
Gleim erklärte sie zur deutschen Sappho und bereitete 1761 ihre feierliche Dichterkrönung in Halberstadt vor.39 Inmitten einer Gesellschaft dichtete die Karsch innerhalb kürzester Zeit ihre Verse aus dem Stegreif. Genau wie in den Berliner Salons bestaunte man ihre ungemeine Improvisationskunst.40
Auch nach vorgegebenen Endreimen entstanden ihre Gedichte innerhalb kürzester Zeit.41 So verwandelte sie beispielsweise die Reihe „Wollen Sollen Vollen Kleid Gequollen Möglichkeit Aufgeschwollen Niederrollen Zollen Zeit“ in folgendes Gedicht:
Nicht immer will ich so, wie andre wollen, Die nicht Gesetze geben sollen Der Sappho, der Empfindungsvollen, Die um den schönen Geist nicht trägt ein schönes Kleid, Der in den Adern ist ein Dichter-Quell gequollen Zu aller Lieder Möglichkeit, Der hoch von Zärtlichkeit der Busen aufgeschwollen, Die aus den Augen oft läßt Tränen niederrollen, Dem Himmel ihren Dank zu zollen Für diesen goldnen Teil ihrer Lebenszeit.42
Anschließend lebte sie für ein Jahr in Magdeburg bei dem Stadtkommandanten von Reichmann, dessen Frau eine Cousine des Barons von Kottwitz war, und kam in Kontakt zum preußischen Königshaus, das vor der russischen Armee nach hierher geflohen war.43 Für Prinzessin Amalie, die Schwester Friedrichs II., schrieb sie eine Kantate.44 Frei von allen Sorgen ihres bisherigen Lebens schreibt Karsch über ihre Zeit in Magdeburg: „mein Glük Steigt bis zum hohen Gipfel herran […] ich genieße Einer uneingeschränkten freyheit, meine Mahlzeitten sind auff dem Tisch des Comendanten zubereutet, ich kenne die sorgen des Lebens nicht mehr“.45
Berlin 1762-1791
Nach ihrer Rückkehr nach Berlin musste sie ihren Lebensunterhalt wieder selbst verdienen und wurde mit einer ständigen Geldentwertung und Wohnungsnot konfrontiert.46 So lebte sie zunächst in bescheidenen Verhältnissen bei einer Freundin und war gezwungen häufiger ihren Wohnort wechseln.47
Ende Oktober 1763 erschien die auf Subskriptionsbasis von Gleim und Sulzer herausgegebene erste Ausgabe ihrer Gedichte „Auserlesene Gedichte“.48 Trotz der harten Kritik, die sie nur schwer verkraften konnte, musste sie weiter schreiben, denn entgegen der literarischen und gesellschaftlichen Konvention war die Dichtung der Karsch Lebensunterhalt und –inhalt und nicht bloßer Zeitvertreib und reines Privatvergnügen.49 Die Zinsen des nicht unbeachtlichen Gewinnes der „Auserlesenen Gedichte“ reichten nicht aus, ihren Lebensunterhalt zu sichern.50 Schließlich sorgte sie ein Leben lang auch für ihre Kinder, Brüder und Halbbrüder.51
Im Jahre 1763 gewährte ihr der König eine Audienz und versprach ihr ein Haus und eine jährliche Pension aus der Staatskasse.52 Auf die ihr versprochene Hilfe wartete sie vergeblich. Erst kurz vor ihrem Tod ließ der Nachfolger Friedrich Wilhelm II ihr ein Haus am Hackeschen Markt bauen, in welches sie im Frühjahr 1789 einzog und in dem sie auch starb.53 Karsch wurde allerdings nie müde, jede Gelegenheit zu nutzen, sich neue Einnahmen zu sichern, um sich und ihre Angehörigen zu versorgen. Hier zeigte sie sich als selbstbewusste und unnachgiebige Frau, die sich auch nicht scheute dem König folgende Verse zu schicken:
Zwei Taler gibt kein großer König, Ein solch Geschenk vergrößert nicht mein Glück. Nein, es erniedert mich ein wenig, Drum send ich es zurück.54
Ihre letzten Jahre sind geprägt von Krankheit und zahllosen Auseinandersetzungen mit der bis zu ihrem Tod bei ihr lebenden Tochter Caroline von Klencke.55 Noch bis kurz vor ihren Tod im Oktober 1791 bleibt sie brieflich mit Gleim in Kontakt.
Literarisches Werk
Neben zahlreichen Gelegenheitsgedichten verfasste Anna Louisa Karsch auch Fabeln, Balladen, Epigramme, Idyllen, Romanzen, anakreontische Lyrik und Verserzählungen in der Art des Rokoko und eine Vielzahl von Briefen, die zu ihren Lebzeiten jedoch nicht veröffentlicht wurden.56 Als Gelegenheitsdichterin und Briefeschreiberin schreibt sie eine Lyrik, die stark an Person und Anlass orientiert ist.57
Unkonventionelle Verweise und Bilder, die der Lyrik des 18. Jahrhunderts fremd sind, finden sich in ihrem Werk.58 Gerade ihre mangelnde Bildung habe ihr diese Unkonventionalität und Innovation erlaubt.59 Innovativ und unkonventionell ist sie beispielsweise durch freie Verse.60 oder autobiographische Verweise, die der Rokokodichtung entgegenstehen.61
„Hier werden nicht Silben gezählt, wie damals vom Dichter verlangt wurde, sondern Akzent, Rhythmus und Atempause sind durch den Inhalt und durch die natürlichen Hebungen und Senkungen der Sprache beim Erzählen bestimmt“62 beschreibt Helene M. Riley die Dichtweise der Karsch. Hervorgehoben wurde immer wieder die Unmittelbarkeit und Wahrheit ihrer Dichtung, die der Lyrik dieser Zeit fremd war und sich insbesondere auch in ihren Briefen an Gleim zeige.63
Sie dichtete auch über das Leben der einfachen Bauern oder machte sich Alltäglichkeiten wie das Essen und Trinken zum Thema einer Dichtung.64 Schließlich wurde ihr Werk auch immer wieder im Lichte der zeitgenössischen poetischen Konzepte gesehen.65 Ihre mangelnde Bildung wurde immer wieder als Beweis für das »Naturgenie« gesehen. Sie wurde stilisiert und sie stilisierte sich auch selbst, um sich auf diese Weise ihre eigene Existenz zu sichern und ihr Leben unabhängig von einem Mann zu leben.66
„Auserlesene Gedichte“
Die einzige große Werkausgabe zu ihren Lebzeiten war die auf Initiative von Gleim erschienene Pränumerationsausgabe der „Auserlesene Gedichte“. Eine Vielzahl ihrer Gedichte ist als Einzeldruck an die jeweiligen Adressaten oder in Zeitschriften erschienen, so sind seit 1755 Gelegenheitsgedichte der Karsch als Einzeldrucke nachgewiesen. Seit 1770 und auch nach ihrem Tod werden ihre Gedichte auch in Almanachen und Anthologien aufgenommen.67 Viele Gedichte, vor allem auch persönlich-bekenntnishafte, gingen mit der Zeit verloren, weil sie nicht veröffentlicht worden sind.68 Die Darstellung von Alfred Anger legt nahe, dass es zu keiner weiteren Ausgabe ihrer Gedichte zu Lebzeiten kam, weil die Kritik an der ersten Ausgabe Anna Louisa Karsch zu sehr getroffen und verunsichert hatte und sie von weiteren Veröffentlichungen absehen ließ.69
Die Kritik an den Gedichten, die vor allem von Moses Mendelsohn, der ihr einst ein »ungemeines Genie« bestätigt hatte, und Friedrich Nicolai geäußert wurde, betraf in erster Linie ihre mangelnde Überarbeitung der Gedichte, die nach dem Druck nicht mehr hinzunehmen seien.70 So hätte man ihr „die Kunst beybringen sollen, weniger zu dichten und mehr zu prüfen, sich bey aller Gelegenheit mit den grossen Mustern zu vergleichen“.71 Hingegen meinte Karsch selbst: „die Geschikligkeit Eines Kunstrichters werd ich nie erlangen […] darzu hab ich nicht Geduld, meine Dichtkunst meine beurtheillung, meine freundschafft und meine Liebe alles ist Empfindung“.72 Und Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, der eine heftige Kritik an den Gedichten der Karsch befürchtet hatte, urteilt: „Wahrhaftig lyrische Empfindungen! Ein richtiger und feiner Plan in dem Zwecke des Ganzen! Keine einzige Digression, die nicht aus der natürlichen Verbindung der Sentiments entspringt und wieder in dieselbe einfließt! Große Gemälde!“73
In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass diese Ausgabe nicht unbedingt die besten Gedichte der Karsch beinhaltete, sondern aufgrund der Veröffentlichung auf Subskriptionsbasis auch an den Wünschen der Förderer orientiert war.74
Anhand des Briefwechsels zwischen Gleim und Karsch, zeigt Ute Pott auf, dass über weitere Veröffentlichungen von Gedichten Karschs immer wieder diskutiert und nachgedacht wurde.75 Pläne noch einmal eine größere Sammlung, vor allem mit den sogenannten Sapphischen Lieder, den an Gleim gerichteten Liebesgedichten, zu veröffentlichen, wurden allerdings nie realisiert.76 Hier könnte unter anderem die Kritik an den „Auserlesenen Gedichten“ doch noch auf sie gewirkt haben.77 Trotzdem eine zweite größere Sammlung nicht mehr zustande kam, „gehörte Anna Louisa Karsch […] zu den wenigen Autorinnen des 18. Jahrhunderts, die über mehrere Jahrzehnte bis zum Ende ihrer Lebens publizierten und ihren Lebensunterhalt mit ihrer literarischen Arbeit bestritten.“78
Anna Louisa Karsch als Briefeschreiberin
Die Briefe der Anna Louisa Karsch
Als literarische Gattung gewann der Brief im 18. Jahrhundert insbesondere durch die schreibenden Frauen eine besondere Bedeutung.79 Einerseits als eine private Ausdrucksmöglichkeit zu verstehen, konnten sich die Frauen hier andererseits in neuen literarischen Ausdrucksformen erproben oder sich erste Techniken des Schreibens aneignen.80
Anna Louisa Karsch schrieb allein an Johann Wilhelm Ludwig Gleim über 1000 Briefe in den drei Jahrzehnten von 1761-1791.81 Darüber hinaus gab es kaum einen bekannteren Zeitgenossen, mit dem sie nicht wenigstens zeitweise in Kontakt stand.82
Ihre Briefe zeichnen sich durch eine außerordentliche Vielfalt an Formen aus: beispielsweise schreibt sie reine Prosabriefe, unterschiedlich adressierte Briefe und teilweise oder auch vollständig gereimte Briefe.83 Unvermittelt wechselte und vermischte sie dabei die Formen.84
Sie sind Quelle der sozialen Umstände, in den Karsch lebte und geben auf diese Weise Einblicke in das Denken und Leben einer dichtenden Frau des 18 Jahrhunderts, die auch das einfache Leben kannte und daher als Schriftstellerin im 18. Jahrhundert eine Außenseiterin war.85 Mehr als nur ein Mittel der Information, dienten ihr die Briefe vor allem auch als Ausdruck ihre Gefühle.86 Gern und geschickt inszenierte sie sich hier auch.87
Eine Auswahl ihrer Briefkontakte
[88]
- Johann Jakob Bodmer
- Johann Arnold Ebert
- Johann Wilhelm Ludwig Gleim 89
- Johann Wolfgang Goethe 90
- Johan Christoph Gottsched
- Johann David Michaelis91
- Karl Wilhelm Ramler
- Johann Christoph Unzer
- Johann Peter Uz92
- Christoph Martin Wieland93
- Just Friedrich Wilhelm Zachariä
- Friedrich Schiller
- Johann Georg Zimmermann
- Friedrich Gottlieb Klopstock
Bibliographie
Werke
- Gesänge bey Gelegenheit der Feyerlichkeiten Berlins von Anna Louisa Karschin. Berlin: George Ludewig Winter 1763.
- Auserlesene Gedichte von Anna Louisa Karschin. Berlin: Winter 1764 [1763].
- Einige Oden über verschiedene hohe Gegenstände von Anna Louisa Karschin. Berlin: Winter 1764.
- Poetische Einfälle von A. L. Karschin. Erste Sammlung. Berlin: Winter 1764.
- Kleinigkeiten von A. L. Karschin. Berlin: Winter 1765.
- Neue Gedichte von Anna Louisa Karschin. Mietau und Leipzig: Jacob Friedrich Hinz 1772.
- Gedichte von Anna Louisa, Karschin, geb. Dürbach. Nach der Dichterin Tode nebst ihrem Lebenslauff herausgegeben von ihrer Tochter C. L. v. Kl geb: Karschin. Berlin: gedruckt mit Ditericischen Schrifften 1792.
- Ausgewählte Gedichte von Anna Louisa Karschin. Hildburghausen / New York: Bibliographisches Institut 1834 (= Cabinets-Bibliothek der Deutschen Classiker N. F. Bd. 102).
- Pröhle, Heinrich: Aus dem handschriftlichen Briefwechsel zwischen der Karschin, Gleim und Uz. In: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 12 (1875). S. 641-723.
- Die Spazier-Gänge von Berlin von Anna Louisa Karschin. Bln. 1761. Berlin: Wever 1921.
- Hausmann, Elisabeth (Hg.): Die Karschin. Friedrichs des Großen Volksdichterin. Ein Leben in Briefen. Frankfurt a. M.: Societäts-Verlag 1933.
- Menzel, Herybert: Das Lied der Karschin. Die Gedichte der Anna Luise Karschin mit einem Bericht ihres Lebens. Hamburg: Hanseatische Verlags-Anstalt 1938.
- Wolf, Gerhard (Hg.): o, mir entwischt nicht, was die Menschen fühlen. Anna Louisa Karschin. Gedichte und Briefe. Berlin: Der Morgen 1981 (= Märkischer Dichtergarten).
- Anger, Alfred (Hg.): Anna Louisa Karschin. Gedichte und Lebenszeugnisse. Stuttgart: Reclam 1987.
- Nörtemann, Regina(Hg.): „Mein Bruder in Apoll“. Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. 2 Bde. Bd. 1: Briefwechsel zwischen 1761-1768. Hrsg. von Regina Nörtemann. Bd. 2: Briefwechsel 1769-1791. Hrsg. von Ute Pott mit einem Nachwort von Regina Nörtemann. Göttingen: Wallstein 1996.
- Nörtemann, Regina (Hg.): Die Sapphischen Lieder. Liebesgedichte. Göttingen 2009.
Sekundärliteratur
- Anger, Alfred (Hg.): Anna Louisa Karschin. Gedichte und Lebenszeugnisse. Stuttgart: Reclam 1987.
- Anger, Alfred: Art. „Karsch, Anna Louisa“. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Bd. 6. Berlin New York: de Gruyter 2009, S. 307-308.
- Becker-Cantarino, Barbara: „Belloisens Lebenslauf“. Zu Dichtung und Autobiographie bei Anna Luisa Karsch. In: Gesellige Vernunft. Zur Kultur der literarischen Aufklärung. Hrsg. von Ortrud Gutjahr, Wilhelm Kühlmann, Wolf Wucherpfennig. Würzburg: Königshausen & Neumann 1993. S. 13-22.
- Bennholdt-Thomsen, Anke/Runge; Anita (Hgg.): Anna Louisa Karsch. Von schlesischer Kunst und Berliner „Natur“. Göttingen: Wallstein 1992.
- Hausmann, Elisabeth (Hg.): Die Karschin. Friedrichs des Großen Volksdichterin. Ein Leben in Briefen. Frankfurt a. M.: Societäts-Verlag 1933.
- Krzywon, Ernst Josef: „Ich bin Empfindung und Gesang“. Schlesiens deutsche Sappho Anna Louisa Karsch (1722-1791). In: Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Sigmaringen: Thorbecke 1990 (= Schlesische Forschungen 4). S. 335-348.
- Nörtemann, Regina(Hg.): „Mein Bruder in Apoll“. Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. 2 Bde. Bd. 1: Briefwechsel zwischen 1761-1768. Hrsg. von Regina Nörtemann. Bd. 2: Briefwechsel 1769-1791. Hrsg. von Ute Pott mit einem Nachwort von Regina Nörtemann. Göttingen: Wallstein 1996.
- Pott, Ute: Briefgespräche. Über den Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Göttingen: Wallstein 1998
- Pröhle, Heinrich: Aus dem handschriftlichen Briefwechsel zwischen der Karschin, Gleim und Uz. In: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 12 (1875). S. 641-723.
- Riley, Helene M.: Wölfin unter Schäfern. Die sozialkritische Lyrik der Anna Louisa Karsch. In: Helene M. Kastinger-Riley (Hg.): Die weibliche Muse. 6 Essays über künstlerisch schaffende Frauen der Goethezeit. Columbia: Camden House 1986
- Schaffers, Uta: Auf überlebtes Elend blick ich nieder. Anna Louisa Karsch in Selbst- und Fremdzeugnissen. Göttingen: Wallstein 1997.
- Schlaffer, Hannelore: Naturpoesie im Zeitalter der Aufklärung. Anna Louisa Karsch (1722-1791). Ein Portrait. In: Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. München: Beck 1988. S. 313-324.
Anmerkungen
[1] Vgl. Alfred Anger (Hg.): Anna Louisa Karschin. Gedichte und Lebenszeugnisse. Stuttgart: Reclam 1987, S. 187; Barbara Becker-Cantarino: „Belloisens Lebenslauf“. Zu Dichtung und Autobiographie bei Anna Luisa Karsch. In: Gesellige Vernunft. Zur Kultur der literarischen Aufklärung. Hrsg. von Ortrud Gutjahr, Wilhelm Kühlmann, Wolf Wucherpfennig. Würzburg: Königshausen & Neumann 1993, S. 17.
[2] Vgl. Regina Nörtemann (Hg.): „Mein Bruder in Apoll“. Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Bd. 1: Briefwechsel zwischen 1761-1768. Göttingen: Wallstein 1996, S. 343.
[3] Vgl. Regina Nörtemann (Hg.), „Mein Bruder in Apoll“ Bd. 1, S. 343 f.
[4] Vgl. Regina Nörtemann (Hg.), „Mein Bruder in Apoll“ Bd. 1, S. 341;. Uta Schaffers: Auf überlebtes Elend blick ich nieder. Anna Louisa Karsch in Selbst- und Fremdzeugnissen. Göttingen: Wallstein 1997, S.14. Uta Schaffers weist in ihrer Arbeit auf die bewusste Konzeption der Lebensbeschreibung in Hinblick auf eine Verwendung durch Johann Georg Sulzer für die Vorrede zur ersten Anthologie ihrer Gedichte aus dem Jahr 1764 („Auserlesene Gedichte“) und die in Anlehnung an die poetischen Konzepte ihrer Zeit entstandene Literarisierung ihres Lebens.
[5] Vgl. Regina Nörtemann (Hg.), „Mein Bruder in Apoll“ Bd. 1, S. 343 f.
[6] �Vgl. Regina Nörtemann (Hg.), „Mein Bruder in Apoll“ Bd. 1, S. 344.
[7] Regina Nörtemann (Hg.): „Mein Bruder in Apoll“ Bd. 1, S 345. Diese Begegnung wurde in der Forschung häufig diskutiert und unterschiedlich bewertet: Uta Schaffers, Überlebtes Elend, S. 7f. u. 36; Hannelore Schlaffer: Naturpoesie im Zeitalter der Aufklärung. Anna Louisa Karsch (1722-1791). Ein Portrait. In: Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. München: Beck 1988. Schlaffer bezeichnet diese Szene als von Karsch selbst erfunden, ohne diese Annahme jedoch schlüssig zu belegen, S. 316. Auch Schaffers weist auf bukolische Darstellungsmittel in der Schilderung dieser Begegnung hin, S. 37.
[8] Vgl. Alfred Anger (Hg.): Anna Louisa Karschin, S. 187.
[9] Vgl. Ernst Josef Krzywon: „Ich bin Empfindung und Gesang“. Schlesiens deutsche Sappho Anna Louisa Karsch (1722-1791). In: Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Sigmaringen: Thorbecke 1990 (= Schlesische Forschungen 4). S. 337.
Verfaßt von Rebecca Kalisch im Rahmen des Seminars Rokoko, Sommersemester 2013, Institut für Deutsche Philologie der Universität Greifswald
Artikel in historischen Lexika
Meyers 1907
[679] Karsch, Anna Luise, Dichterin, gewöhnlich unter dem Namen »die Karschin« angeführt, geb. 1. Dez. 1722 auf dem Meierhof Hammer bei Schwiebus im gegenwärtigen Regbez. Frankfurt a. O., wo ihr Vater Dürbach eine Schenkwirtschaft betrieb, gest. 12. Okt. 1791 in Berlin, brachte in ihrer frühen Jugend einige Jahre bei Verwandten zu und diente sodann als Hirtin. Ihre erste Ehe mit Hirsekorn, einem Tuchweber in Schwiebus, war sehr unglücklich und wurde nach elf Jahren getrennt; auch eine zweite Verbindung mit dem Schneider K., einem Trunkenbold, brachte ihr nur Elend. Gelegenheitsgedichte, die sie auf Verlangen mit erstaunlicher Schnelligkeit verfaßte, erwarben ihr die Gunst des Barons v. Kottwitz; dieser brachte sie 1761 nach Berlin, wo sie, durch Sulzer und Ramler empfohlen, bei Hof eingeführt und vielfach unterstützt wurde; König Friedrich Wilhelm II. schenkte ihr ein Haus, die Subskriptionsausgabe ihrer Gedichte brachte ihr 2000 Taler ein, aber sie verstand es nicht, sich durch umsichtige Wirtschaft eine sorgenfreie Lage zu schaffen. Die K. besaß vor allem eine große Virtuosität in der Handhabung des Reimes und in der Improvisation; ihre frühesten dichterischen Versuche tragen das Gepräge einer lebhaften Phantasie; was sie, der der gewagte Beiname einer »deutschen Sappho« gegönnt wurde, später, seit ihrer Einführung in die hohen Zirkel, dichtete, ist meist fade Lobhudelei und gewöhnliche Reimerei. K. war die Mutter der Karoline Luise v. Klencke (geb. 1754 in Fraustadt, gest. 21. Sept. 1812 in Berlin), die außer eignen Dichtungen auch die »Gedichte« der Mutter mit deren Biographie (Berl. 1792) herausgab, und Großmutter der Helmina v. Chézy (s. d.). H. Klencke behandelte ihr Leben in einem Roman (1853). Vgl. Kluckhohn im »Archiv für Literaturgeschichte«, Bd. 11 (Leipz. 1882); Kohut, Die deutsche Sappho, A. L. Karschin (2. Aufl., Dresd. 1888); E. Grucker, Les femmes dans la littérature allemande. Anna Louise K. (Nancy u. Par. 1904).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 679. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006873596
Brockhaus 1809
[297] Anne Louise Karschin, geborne Dürbach. Diese beliebte Deutsche Dichterin verdient wegen ihrer Lebensgeschichte sowohl, als wegen der originellen Ausbildung ihres Geistes bemerkt zu werden. Sie wurde 1722 den 1. December in einer adlichen Meierei unweit Schwibus an der Schlesischen Gränze geboren, und nach dem frühzeitigen Tode ihres Vaters, eines Pachters und Bierbrauers, bei ihrem Onkel, einem Amtmann, in den Anfangsgründen des menschlichen Wissens und auch in der Lateinischen Sprache unterrichtet. Ihr Genie und die Fortschritte, die sie in den Wissenschaften machte, brachten die Mutter auf den Gedanken, welchen nachher die Erfahrung nur allzu sehr bestätigte, daß sie gar nicht für die Hauswirthschaft sorgen würde; sie wurde also dem Onkel weggenommen, und mußte drei Jahre lang im mütterlichen Landgute die Kühe weiden. Allein sie fand bald Gelegenheit, ihrer Lieblingsneigung wieder nachzuhängen; sie machte auf der Flur Bekanntschaft mit einem sehr belesenen Hirtenknaben, der sie von Zeit zu Zeit mit verschiedenen, meisten Theils schlechten Büchern versorgte. Durch diese elende Lectüre, die sie nur heimlich treiben konnte, so wie durch ihr Naturgefühl und ihre lebhafte Phantasie entstanden nun ihre ersten, ohne alle Anweisung gemachten Gedichte, die man, ungeachtet vieler Fehler, dennoch nicht ohne Bewunderung lesen kann. Ihre Mutter, die sie zu nichts als zu einer guten Hausmutter bilden wollte, nahm ihr oft die Bücher weg, und bestimmte sie endlich einem Tuchmacher zu Schwibus, Hirsekorn, zur Gattin. Die Tochter hatte den Bräutigam nie gesehen, willigte gehorsam ein, und zog sich in der Ehe mit diesem geitzigen, zänkischen und mürrischen Mann unabsehbare [297] Qualen zu, die sich erst nach 11 Jahren durch eine Scheidung endigten, durch welche sie ihre ganze Mitgabe verlor und in die äußerste Armuth versetzt wurde. Sie irrte auf ein nahes Dorf, und lebte hier fast ein Jahr ganz hülflos. Um die durch die Scheidung erlittene Schmach ihrer Tochter auszulöschen, beschloß die zur Unzeit sorgsame Mutter, sie mit einem Handwerker, Karsch, zu verheirathen. Es gefiel dieser nicht im geringsten, ja sie haßte ihn wegen seiner beständigen Trunkenheit; allein die Mutter drohte, und unsere Dichterin verehlichte sich zum zweiten Mahle. Nun kam sie erst in die traurigste Lage. Ihr Mann verschwendete durch den Trunk sein ganzes Vermögen und das ihrige; und sie wurde gezwungen, sich durch die Poesie den nöthigsten Unterhalt zu verdienen. Sie machte daher, wo sie nur konnte, Gelegenheitsgedichte und Glückwünsche, reiste sogar viele Meilen weit im Lande umher, und declamirte aus dem Stegreif Verse, erwarb sich auch dadurch bald allgemeine Bewunderung und vieles Geld, welches jedoch ihr Mann sogleich wieder verthat. Sie wandte sich mit ihrem Mann von Fraustadt nach Großglogau: aber ihre Armuth nahm immer mehr zu; und ihr einziger Trost war, daß sie in dem dasigen Buchladen classische Schriften studiren konnte. Sie entfernte sich von ihrem Manne; und der Baron von Kottwitz war so großmüthig, sie in Berlin in sein Palais aufzunehmen und mit Kleidung und allen Bedürfnissen reichlich zu versehen (i. J. 1761). Hier eröffnete sich die glänzendste Periode ihres Lebens. Ihr Geist bekam einen neuen Schwung; man zog sie in die größten Gesellschaften, und bat sie, Gedichte sogleich niederzuschreiben oder ohne alle Vorbereitung herzusagen, welches ihr jedes Mahl vortrefflich gelang. Ramler, Sulzer, Krünitz u. A. m. unterstützten sie; Gleim gab ihre Gedichte i. J. 1763 heraus, und verschaffte ihr dadurch 2000 Thaler; sie bekam von dem Grafen von Stollberg-Wernigerode und Andern ansehnliche Jahrgelder: allein alles dieses reichte nicht zu, sie selbst, zwei Kinder und ihren Bruder zu ernähren. Friedrich II. der ihr eine Pension versprochen hatte, hielt nicht Wort; und als er ihr einst zwei Thaler zugeschickt hatte, schickte sie ihm dieselben mit folgenden bekannten Versen zurück:
[298]
Zwei Thaler giebt kein großer König, Denn die vergrößern nicht mein Glück; Rein, sie erniedern mich ein wenig, Drum gebʼ ich sie zurück.
Als aber der jetzige König den Thron betrat, ließ er ihr ein einträgliches Haus bauen. Allein sie konnte dieses Glück nicht lange genießen, denn sie starb den 12. Oct. 1791 zu Berlin an einer Entkräftung. Zwar hat sie die musterhaften neuern oder auch gleichzeitige Dichter unserer Nation nicht erreicht, viele Stellen in ihren Gedichten sind alltäglich oder prosaisch; indeß muß man, um gerecht zu sein, bedenken, daß sie sich im Anfange bloß durch sich selbst und nach schlechten Mustern bildete, und daß drückende Armuth sie nöthigte, mit der größten Geschwindigkeit Tag und Nacht Gedichte zusammenzusetzen. Ihre bessern Geisteswerke hat nach ihrem Tode i. J. 1792 ihre Tochter, die Frau von Klenke, weit vermehrter als ehedem Gleim, zu Berlin, und zum zweiten Mahl i. J. 1797 nebst ihrem Lebenslaufe herausgegeben.
Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 297-299.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000756385
Damen Conversations Lexikon 1836
[82] Karsch, Anna Luise, nach einem frühern Sprachgebrauche die Karschin, oft die deutsche Sappho genannt, eine Naturdichterin des vorigen Jahrhunderts, ward am 1. Dec. 1722 in einem Dorfe bei Züllichau geboren, wo ihr Vater, Dürbach, als Gastwirth und Bierbrauer lebte. Während eines Aufenthaltes bei ihrem Oheim, welcher Amtmann war, lernte sie lesen und schreiben, entwickelte bald natürliche Anlagen und legte frühzeitig Proben ihres Talentes ab. Die Mutter, besorgt, Luise möchte dereinst über die poetischen Beschäftigungen die Wirthschaft vernachlässigen, nahm sie aus dem Hause des Oheims und ließ sie 3 Jahre lang die Kühe hüten; jedenfalls ein wirksames Mittel gegen die Poesie, welches dessen ungeachtet aber auf die junge Dichterin seinen Einfluß verfehlte.[82] Denn auch jetzt wußte sie sich Bücher zu verschaffen, um ihrem Trieb zur Lectüre nachzuhängen. Man vermählte sie bald darauf mit einem Tuchmacher, Hirsekorn zu Schwibus. Aber die Ehe mit diesem geizigen und zänkischen Manne war eine höchst unglückliche und wurde es noch mehr durch Luisen's geringe Anlage zur Wirthlichkeit. Nach 11 traurigen Jahren wurde diese Verbindung getrennt und unsere Dichterin mußte auf den Befehl der Mutter eine zweite Ehe mit einem dem Trunke ergebenen Schneider, Namens Karsch, eingehen. Mit diesem zog sie nach Frauenstadt und Glogau, versank hier in das tiefste Elend und fristete ihr und ihrer Familie Leben nur durch Verfertigung einer Menge von Gelegenheitsgedichten, welche sie auf Bestellung machte und meistens aus dem Stegreife niederschrieb. Sie zog in der Umgegend herum, declamirend und improvisirend, erwarb sich ansehnliche Unterstützung, die aber ihr Gatte durch den Trunk wieder verschwendete. Inzwischen hatte sie einen Ruf erlangt, und die Errettungsstunde, welche sie aus dem bodenlosen Jammer befreien sollte, schlug. Ein Baron, Kottwitz, nahm sie 1761 mit nach Berlin und unterstützte sie auf das Großmüthigste. Die Neuheit ihrer Erscheinung erwarb ihr zahlreiche und vornehme Gönner. Gleim, Mendelssohn, Ramler, Sulzer u. A. unterstützten sie. Letzterer gab ihre Gedichte heraus, für die sie 2000 Thaler erhielt; auch der Graf Stolberg-Wernigerode setzte ihr einen Jahrgehalt aus. Alles dieß aber vermochte, bei ihrer geringen Wirthschaftlichkeit, nicht, ihr einen häuslichen Wohlstand zu begründen, und sie fiel daher ihren Freunden unablässig zur Last. Friedrich 11., der die Dichterin wenig beachtete, sandte ihr deßhalb, ihres Drängens müde, nur immer einige Thaler. – Friedrich Wilhelm II. aber ließ der Dichterin nach seinem Regierungsantritte ein bequemes Haus bauen und bestrebte sich, ihr ein sorgenfreies Alter zu bereiten. Sie starb jedoch bereits am 12. Oct. 1791, noch bevor sie ihren Ruhm gänzlich überlebt hatte. Ihre Tochter vermählte sich mit einem Herrn v. Klenke, [83] aus welcher Ehe die bekannte Dichterin Helmina v. Chezy (s. d.) entsprossen ist. Luise Karsch hatte unverkennbare Anlagen zur Poesie; sie besaß lebhafte Phantasie und ein regsames Gefühl. Manchmal verlor sie sich in leere Reimerei und ihre spätern Gelegenheitsgedichte hatten meistens abgeschmackte Lobhudelei zum Gegenstande; dennoch kann man mehrere ihrer ersten Erzeugnisse noch jetzt nicht ohne Bewunderung lesen. Ihr Eigendünkel ließ es nie zu, die Lehren eines Ramler, Lessing, Gleim etc. anzunehmen. Von ihren Gedichten sind mehrere Sammlungen erschienen, wovon jedoch keine vollständig ist. B.
Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 82-84. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001742388
Pierer 1860
[338] Karsch (gewöhnlich Karschin), Anna Luise, geb. Durbach, geb. 1. Decbr. 1722 auf dem Hammer, einem Meyerhof bei Schwiebus, wo ihr Vater Bauer u. Schenkwirth war. Ihre Neigung u. Anlage zur Poesie zeigte sich bald in mehreren Gedichten, welche sie niederschrieb, während sie das Vieh hütete. Im 16. Jahre wurde sie an den Tuchmacher Hirsekorn in Schwiebus u. nach neunjähriger unglücklicher Ehe an den Schneider Karsch in Fraustadt verheirathet. Der harten Behandlung ihres Mannes entzog sie der Herr von Kottwitz, welcher sie als Dichterin schätzte; sie lebte seit 1755 in Glogau u. seit 1761 meist in Berlin, wo ihr König Friedrich Wilhelm II. ein Hans schenkte u. wo sie 12. Oct. 1791 starb. Sie ist die Mutter der Dichterin K. L. von Klenke u. Großmutter der Schriftstellerin Helmine von Chézy (s. b.); sie schr. nur lyrische u. Gelegenheitsgedichte; war auch Improvisatrice. Gedichte, 1. Ausgabe Berl. 1764; u. Ausg. von Karoline Luise von Klenke, Berl. 1792 u. 1797.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 338. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010216758
Pataky
[409] Karsch, Anna Luise, Tochter des Pächters Ch. Dürbach, geboren den 1. Dezember 1722 auf dem Hammer bei Züllichau, gestorben den 12. Oktober 1790 (1791) in Berlin.
Quelle: Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder Bd. 1. Berlin, 1898., S. 409. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009052089
Brockhaus 1911
[943] Karsch, Anna Luise, gewöhnlich die Karschin, Dichterin, geb. 1. Dez. 1722 bei Schwiebus, in der Jugend Kuhhirtin, heiratete in zweiter Ehe den Schneider K. in Fraustadt, kam 1760 durch den Baron von Kottwitz nach Berlin, gest. das. 12. Okt. 1791. Ihre »Gedichte« nebst Biogr. gab ihre Tochter, die Schriftstellerin Karoline Luise von Klencke (geb. 21. Juni 1754, gest. 21. Sept. 1812), heraus. – Vgl. Heinze (1866).
Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 943. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001241621