Alexandriner: Unterschied zwischen den Versionen

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== Meyers 1905 ==

[305] Alexandriner, auch Zwölfsilbner genannt, Vers französischen Ursprungs, welcher aus zwölf Silben besteht, gewöhnlich mit dem Endreim versehen ist und durch eine Zäsur (s. d.) in der Mitte in zwei Versglieder von je sechs Silben zerlegt wird. Jedes der beiden Versglieder hat zwei Akzente: einen accent mobile (d.h. beweglichen Akzent) auf einer der ersten vier Silben (ganz selten auf der fünften) und einen accent fixe (d.h. festen Akzent) auf der sechsten Silbe. Das älteste Gedicht, welches diesen Vers aufweist, ist die »Reise Karls d. Gr. nach Jerusalem und Konstantinopel« aus dem Ende des 11. Jahrh. Nachdem der Vers lange beliebt gewesen, kam er für längere Zeit, vom 14.–16. Jahrh., aus der Mode; er wurde erst in der Zeit der Plejade von Baïf und Dubartas wieder zu Ehren gebracht und ist seitdem der beliebteste aller französischen Verse. Neuere Dichter, zuerst André Chénier, dann die Dichter der romantischen Schule, haben dem Vers eine freiere Bewegung gegeben, indem sie gelegentlich nicht nur die Schlußpause des Verses vernachlässigten (s. Enjambement), sondern auch den Akzent vor der Cäsur und diese selbst zurücktreten ließen. Solche Verse, die somit nur drei Akzente (gewöhnlich auf der vierten, achten und zwölften Silbe) zeigen, werden romantische A. genannt. Den Namen A. führt man gewöhnlich auf den Umstand zurück, daß der vielgelesene Alexanderroman gegen Ende des 12. Jahrh. in zwölfsilbigen Versen abgefaßt war; doch ist dies nicht recht mit dem Ausdruck rime alexandrine, der in einer Übersetzung des Hohen Liedes aus dem 14. Jahrh. gebraucht wird, in Einklang zu bringen. Der Name A. kommt erst im 16. Jahrh. auf (bei Jean Le Maire und Marot). Vorschriften für das Lesen der französischen A. und eine freilich etwas gekünstelte Analyse ihres Rhythmus gibt Becq de Fouquières, Traité général de [305] versification française (Par. 1879). Vgl. Träger, Geschichte des franz. Alexandriners (Leipz. 1889).

Von Frankreich aus verbreitete sich der A. über Holland, Deutschland und England. Im Deutschen, wo derselbe bei der rhythmischen Bestimmtheit der Sprache um vieles steifer erschien, erhielt er namentlich durch Opitz eine fast uneingeschränkte, über alle Dichtungsgattungen sich erstreckende Herrschaft und behauptete dieselbe das 17. und 18. Jahrh. hindurch, bis Klopstock durch Einführung der antiken Metra und Lessing durch den fünffüßigen Jambus sein Reich stürzten. Seitdem ist der A. als eine Reminiszenz des Zopfstils mißachtet gewesen und kam nur ausnahmsweise (z. B. nicht ohne Wirkung in kleinen Lustspielen bei Müllner und Immermann) in Anwendung. Erst in neuerer Zeit wurde er uns durch Rückert (in seinem »Lehrgedicht«, in »Rostem und Suhrab« etc.), später durch Freiligrath, Geibel u.a. wieder zugeführt, und letztern gelang es dadurch, daß sie neben der Hauptzäsur noch andre Verseinschnitte anbrachten und Anapästen und Spondeen wechselvoll einstreuten, teils auch, indem sie (nach dem Vorgang französischer Dichter) Strophen bildeten, in welchen der A. mit dem vierfüßigen Jambus wechselt, dem einförmigen Metrum größere Mannigfaltigkeit und einen beweglichern Charakter zu verleihen. Freiligrath selbst schildert den A. in dem bekannten Gedicht »Der A.« (»Spring' an, mein Wüstenroß aus Alexandria!«).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 305-306.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20006210457





Aktuelle Version vom 28. November 2021, 18:52 Uhr



Meyers 1905

[305] Alexandriner, auch Zwölfsilbner genannt, Vers französischen Ursprungs, welcher aus zwölf Silben besteht, gewöhnlich mit dem Endreim versehen ist und durch eine Zäsur (s. d.) in der Mitte in zwei Versglieder von je sechs Silben zerlegt wird. Jedes der beiden Versglieder hat zwei Akzente: einen accent mobile (d.h. beweglichen Akzent) auf einer der ersten vier Silben (ganz selten auf der fünften) und einen accent fixe (d.h. festen Akzent) auf der sechsten Silbe. Das älteste Gedicht, welches diesen Vers aufweist, ist die »Reise Karls d. Gr. nach Jerusalem und Konstantinopel« aus dem Ende des 11. Jahrh. Nachdem der Vers lange beliebt gewesen, kam er für längere Zeit, vom 14.–16. Jahrh., aus der Mode; er wurde erst in der Zeit der Plejade von Baïf und Dubartas wieder zu Ehren gebracht und ist seitdem der beliebteste aller französischen Verse. Neuere Dichter, zuerst André Chénier, dann die Dichter der romantischen Schule, haben dem Vers eine freiere Bewegung gegeben, indem sie gelegentlich nicht nur die Schlußpause des Verses vernachlässigten (s. Enjambement), sondern auch den Akzent vor der Cäsur und diese selbst zurücktreten ließen. Solche Verse, die somit nur drei Akzente (gewöhnlich auf der vierten, achten und zwölften Silbe) zeigen, werden romantische A. genannt. Den Namen A. führt man gewöhnlich auf den Umstand zurück, daß der vielgelesene Alexanderroman gegen Ende des 12. Jahrh. in zwölfsilbigen Versen abgefaßt war; doch ist dies nicht recht mit dem Ausdruck rime alexandrine, der in einer Übersetzung des Hohen Liedes aus dem 14. Jahrh. gebraucht wird, in Einklang zu bringen. Der Name A. kommt erst im 16. Jahrh. auf (bei Jean Le Maire und Marot). Vorschriften für das Lesen der französischen A. und eine freilich etwas gekünstelte Analyse ihres Rhythmus gibt Becq de Fouquières, Traité général de [305] versification française (Par. 1879). Vgl. Träger, Geschichte des franz. Alexandriners (Leipz. 1889).

Von Frankreich aus verbreitete sich der A. über Holland, Deutschland und England. Im Deutschen, wo derselbe bei der rhythmischen Bestimmtheit der Sprache um vieles steifer erschien, erhielt er namentlich durch Opitz eine fast uneingeschränkte, über alle Dichtungsgattungen sich erstreckende Herrschaft und behauptete dieselbe das 17. und 18. Jahrh. hindurch, bis Klopstock durch Einführung der antiken Metra und Lessing durch den fünffüßigen Jambus sein Reich stürzten. Seitdem ist der A. als eine Reminiszenz des Zopfstils mißachtet gewesen und kam nur ausnahmsweise (z. B. nicht ohne Wirkung in kleinen Lustspielen bei Müllner und Immermann) in Anwendung. Erst in neuerer Zeit wurde er uns durch Rückert (in seinem »Lehrgedicht«, in »Rostem und Suhrab« etc.), später durch Freiligrath, Geibel u.a. wieder zugeführt, und letztern gelang es dadurch, daß sie neben der Hauptzäsur noch andre Verseinschnitte anbrachten und Anapästen und Spondeen wechselvoll einstreuten, teils auch, indem sie (nach dem Vorgang französischer Dichter) Strophen bildeten, in welchen der A. mit dem vierfüßigen Jambus wechselt, dem einförmigen Metrum größere Mannigfaltigkeit und einen beweglichern Charakter zu verleihen. Freiligrath selbst schildert den A. in dem bekannten Gedicht »Der A.« (»Spring' an, mein Wüstenroß aus Alexandria!«).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 305-306. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006210457


Alexandrinischer Vers (Sulzer)

[26] Alexandrinischer Vers.

Ein sechsfüßiger jambischer Vers, der insgemein nach der sechsten Sylbe einen männlichen Abschnitt, und nach deutschem Gebrauch wechselsweise zwey weibliche und zwey männliche Ausgänge hat, wie aus folgender Stelle zu sehen ist.

Nicht den, der viel besitzt, den soll man selig nennen;
Der das, was Gott ihm schenkt, recht mit Vernunft erkennen,
Und Armuth tragen kann, und fürchtet Schand und Spott,
Die er ihm selber macht, noch ärger, als den Tod.
Opiz.

Dieser Vers ist eine Erfindung neuerer Zeit. Denn ob gleich der sechsfüßige jambische Vers den griechischen Trauerspieldichtern sehr gewöhnlich ist, so ist er doch von diesem ganz unterschieden; weil er sich nicht so, wie er, durch den Abschnitt in zwey gleiche Theile schneidet. Fast alle heutigen Abendländer haben diesen Vers angenommen, und brauchen ihn zu etwas langen, lehrenden oder erzählenden Gedichten: deswegen wird er auch der heroische Vers genennt. Seinen Ursprung leitet man insgemein von einem erzählenden Gedichte her, Alexander der Große, genennt, das im 12. Jahrhundert in französischer Sprache von vier Verfassern, deren einer Alexander von Paris hieß, geschrieben worden ist. Dieses soll das erste Gedicht in zwölfsylbigen Versen gewesen seyn; da die ältern Romanzen achtsylbige hatten.1 Es ist von verschiedenen Kunstrichtern angemerkt worden, daß dieser Vers, so wie wir ihn beschrieben haben, etwas langweilig und unbequem sey, auch in der Folge einen ekelhaften Gleichton in das Gedicht bringe; zumal, wenn man, wie einige ganz unüberlegt rathen, mit jedem Vers einen Sinn der Rede schließt. Opiz und die besten Dichter nach ihm, haben diesem Mangel dadurch etwas abzuhelfen gesucht, daß sie den Schluß des Sinnes an verschiedene Stellen, bald im zweyten, bald im dritten Vers, oder noch weiter hinaus gesetzt haben. Eben aus diesem Grunde haben einige den Abschnitt versetzt. Gewiß ist es, daß viel[26] Kunst dazu gehört, diesen Vers in die Länge erträglich zu machen.

Er scheinet sich zu Lehrgedichten, wo beständig wichtige und neue Begriffe den Geist rühren, noch besser zu schiken, als zur Epopee; wo es unmöglich ist, den Geist oder das Herz in jedem einzeln Vers hinlänglich zu beschäfftigen; wo es nothwendig Stellen geben muß, die matt seyn würden, wenn nicht der Wolklang des Verses sie etwas erhöhte.

Am schlechtesten wird dieser Vers, wenn der Abschnitt sich mit dem Ende reimt. Denn dadurch wird er in zwey halbe Verse getheilet, und man kann nicht mehr wissen, ob man kurze sechsfüßige Jamben oder Alexandriner hört. Herr Dusch hat eine Veränderung in demselben angebracht, indem er ihm weibliche Abschnitte gegeben:

Wie zärtlich klagt der Vogel und ladet durch den Hayn,
Den kaum der Lenz verjüngert, sein künftig Weibchen ein!
Doch, wenn durchs heiße Feld die Sommerwinde keichen,
Das Laub sich dunkler färbt, die dürren Aehren bleichen;
So endigt Vatersorge die Tage des Gesangs,
Und Fleis besetzt die Stunden des süßen Müßiggangs!


Wissensch. VII. Buch.


1 S. Versuch über Popens Genie und Schriften, gegen dem Ende des V. Abschn.

Quelle:

Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 26-27.

Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011442549

Alexandriner (Brockhaus 1809)

[35] Alexandriner, Verse, die aus sechs jambischen Füßen (s. Jamben) bestehen, und deren die Deutschen sich ehedem Statt der Hexameter (s. Hexameter) bedienten; z. B. »Umsonst hält die Vernunft das schwache Steuer an.«


Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 35.

Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000739839