Über seine Sinngedichte: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Lyrikwiki

(Die Seite wurde neu angelegt: „category: Logau, Friedrich von category: Sinngedicht category: Epigramm category: Satire category: Reim == Logaus Vorrede == == AN…“)
 
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 10: Zeile 10:
== AN DEN LESER. ==
== AN DEN LESER. ==


Günstiger, geliebter Leser; ich halte dafür, daß diese meine Sinngetichte viel fürredens oder fürsprechens nicht bedürften; denn ich werde alle Köpffe unter meinen Hut doch nicht bringen, nemlich niemanden zwingen, daß er meine Gedanken müsse gut heissen. Allerding es nicht möglich in einem Garten zu verwehren, daß auff die Blumen nicht so wol Spinnen als Bienen fallen. Ich gedenke nur etwas weniges vom '''Reimenmasse'''; einmal, daß die Endungen der Reime zusammenstimmen nur nach unserer Mund-Art, wo sie geschrieben; denn, wie es vielleicht frembden dannenher nicht füglich lauten möchte, wie wir die selblautenden Buchstaben außsprechen, also würde es auch in unsren Ohren übel klingen, zu reden, wie die frembden reden, also daß es nur nöthig scheinet, im Reime sich deß einheimischen Außspruches zu gebrauchen. Nachmals, daß die einsylbigen oder eingliedrigen Worte, welche in der deutschen Sprache fast das meiste außmachen, ich bald lang, bald kurtz gesetzet, offters in einem Reime, nicht so wol auß übersehen, als daß der Beylaut im lesen und reden alsdenn so fallet, welcher ohne dieses im Reimschreiben fast die beste Richtschnur ist. Sonst, daß ich die Poetischen Lateinischen Namen behalten, auch wol selbst eigene nach Lateinischer Art zu Zeiten erfunden, geschiehet darumb, daß jene schon Bürgerschafft bey den Deutschen gewonnen und gar geläuffig, meine Sachen auch schwerlich so tieff unter den gemeinen Pöfel gerathen werden, (ehe unter die, so der Poeterey kündig,) die neuen deutschen Namen aber noch etwas hart, ungewöhnlich, jo wol mehr unverständlich als die Lateinischen kommen, diese zur Sache sich füglicher schicken wollen, als im Deutschen, weil doch jede Sprache ihre eigene Art und Geist hat, welcher einer andern Sprache nicht gerne dienen und sich unterwerffen wil. Der Innhalt dieser Getichte handelt meistens von Sachen, die im gemeinen Leben fürkommen, daß dannenher offtmals mit dem gemeinen Wahn und niedriger Art geredet wird. Und weil die '''Sinn-Getichte''' für kurtze '''Stichel-Getichte''', die Stichel-Getichte für lange Sinn-Getichte gehalten sind, wird mir zugelassen sein, so ich offters etwas frey gehe, in deme ich doch nur fürhabe die Laster zu verhöhnen, nicht aber zu billichen und stärcken. Im übrigen, ob meiner Person anständig, dergleichen Sachen ans Liecht zu lassen, muß ich das Urtheil leiden; das weiß ich aber, ist dem Leibe vergönnet zu ruhen, ist dem Gemüte auch zugeiaasen, bißweilen zu spielen. Gehab dich wol, lieber Leser; bleibe wol gesinnet, und so ich geirret, so denke, daß du. auch irrest, so du anders ein Mensch bist.
Günstiger, geliebter Leser; ich halte dafür, daß diese meine Sinngetichte viel fürredens oder fürsprechens nicht bedürften; denn ich werde alle Köpffe unter meinen Hut doch nicht bringen, nemlich niemanden zwingen, daß er meine Gedanken müsse gut heissen. Allerding es nicht möglich in einem Garten zu verwehren, daß auff die Blumen nicht so wol Spinnen als Bienen fallen. Ich gedenke nur etwas weniges vom '''Reimenmasse'''; einmal, daß die Endungen der Reime zusammenstimmen nur nach unserer Mund-Art, wo sie geschrieben; denn, wie es vielleicht frembden dannenher nicht füglich lauten möchte, wie wir die selblautenden Buchstaben außsprechen, also würde es auch in unsren Ohren übel klingen, zu reden, wie die frembden reden, also daß es nur nöthig scheinet, im Reime sich deß einheimischen Außspruches zu gebrauchen. Nachmals, daß die einsylbigen oder eingliedrigen Worte, welche in der deutschen Sprache fast das meiste außmachen, ich bald lang, bald kurtz gesetzet, offters in einem Reime, nicht so wol auß übersehen, als daß der Beylaut im lesen und reden alsdenn so fallet, welcher ohne dieses im Reimschreiben fast die beste Richtschnur ist. Sonst, daß ich die Poetischen Lateinischen Namen behalten, auch wol selbst eigene nach Lateinischer Art zu Zeiten erfunden, geschiehet darumb, daß jene schon Bürgerschafft bey den Deutschen gewonnen und gar geläuffig, meine Sachen auch schwerlich so tieff unter den gemeinen Pöfel gerathen werden, (ehe unter die, so der Poeterey kündig,) die neuen deutschen Namen aber noch etwas hart, ungewöhnlich, jo wol mehr unverständlich als die Lateinischen kommen, diese zur Sache sich füglicher schicken wollen, als im Deutschen, weil doch jede Sprache ihre eigene Art und Geist hat, welcher einer andern Sprache nicht gerne dienen und sich unterwerffen wil. Der Innhalt dieser Getichte handelt meistens von Sachen, die im gemeinen Leben fürkommen, daß dannenher offtmals mit dem gemeinen Wahn und niedriger Art geredet wird. Und weil die '''Sinn-Getichte''' für kurtze '''Stichel-Getichte''', die Stichel-Getichte für lange Sinn-Getichte gehalten sind, wird mir zugelassen sein, so ich offters etwas frey gehe, in deme ich doch nur fürhabe die Laster zu verhöhnen, nicht aber zu billichen und stärcken. Im übrigen, ob meiner Person anständig, dergleichen Sachen ans Liecht zu lassen, muß ich das Urtheil leiden; das weiß ich aber, ist dem Leibe vergönnet zu ruhen, ist dem Gemüte auch zugeiaasen, bißweilen zu spielen. Gehab dich wol, lieber Leser; bleibe wol gesinnet, und so ich geirret, so denke, daß du auch irrest, so du anders ein Mensch bist.


Salomon von Golaw,
Salomon von Golaw,

Aktuelle Version vom 9. Oktober 2021, 18:01 Uhr



Logaus Vorrede

AN DEN LESER.

Günstiger, geliebter Leser; ich halte dafür, daß diese meine Sinngetichte viel fürredens oder fürsprechens nicht bedürften; denn ich werde alle Köpffe unter meinen Hut doch nicht bringen, nemlich niemanden zwingen, daß er meine Gedanken müsse gut heissen. Allerding es nicht möglich in einem Garten zu verwehren, daß auff die Blumen nicht so wol Spinnen als Bienen fallen. Ich gedenke nur etwas weniges vom Reimenmasse; einmal, daß die Endungen der Reime zusammenstimmen nur nach unserer Mund-Art, wo sie geschrieben; denn, wie es vielleicht frembden dannenher nicht füglich lauten möchte, wie wir die selblautenden Buchstaben außsprechen, also würde es auch in unsren Ohren übel klingen, zu reden, wie die frembden reden, also daß es nur nöthig scheinet, im Reime sich deß einheimischen Außspruches zu gebrauchen. Nachmals, daß die einsylbigen oder eingliedrigen Worte, welche in der deutschen Sprache fast das meiste außmachen, ich bald lang, bald kurtz gesetzet, offters in einem Reime, nicht so wol auß übersehen, als daß der Beylaut im lesen und reden alsdenn so fallet, welcher ohne dieses im Reimschreiben fast die beste Richtschnur ist. Sonst, daß ich die Poetischen Lateinischen Namen behalten, auch wol selbst eigene nach Lateinischer Art zu Zeiten erfunden, geschiehet darumb, daß jene schon Bürgerschafft bey den Deutschen gewonnen und gar geläuffig, meine Sachen auch schwerlich so tieff unter den gemeinen Pöfel gerathen werden, (ehe unter die, so der Poeterey kündig,) die neuen deutschen Namen aber noch etwas hart, ungewöhnlich, jo wol mehr unverständlich als die Lateinischen kommen, diese zur Sache sich füglicher schicken wollen, als im Deutschen, weil doch jede Sprache ihre eigene Art und Geist hat, welcher einer andern Sprache nicht gerne dienen und sich unterwerffen wil. Der Innhalt dieser Getichte handelt meistens von Sachen, die im gemeinen Leben fürkommen, daß dannenher offtmals mit dem gemeinen Wahn und niedriger Art geredet wird. Und weil die Sinn-Getichte für kurtze Stichel-Getichte, die Stichel-Getichte für lange Sinn-Getichte gehalten sind, wird mir zugelassen sein, so ich offters etwas frey gehe, in deme ich doch nur fürhabe die Laster zu verhöhnen, nicht aber zu billichen und stärcken. Im übrigen, ob meiner Person anständig, dergleichen Sachen ans Liecht zu lassen, muß ich das Urtheil leiden; das weiß ich aber, ist dem Leibe vergönnet zu ruhen, ist dem Gemüte auch zugeiaasen, bißweilen zu spielen. Gehab dich wol, lieber Leser; bleibe wol gesinnet, und so ich geirret, so denke, daß du auch irrest, so du anders ein Mensch bist.

 Salomon von Golaw, 
 der Verkleinernde. 

SALOMONS VON GOLAW .

DEUTSCHER

SINN-GETICHTE

ERSTES TAUSEND.

[Als Motti vorangestellt)

Scaliger von der Poeterey oder Tichtkunst im 3 Buch in der 125 Abtheilung:

Ein (Epigramma) Sinn-Getichte ist ein kurtz Getichte, welches schlecht hin von einem Dinge, einer Person oder derer Beginnen etwas anzeiget oder auch etwaß fürher setzet, darauß eß etwas gewisses schliesse und folgere.

Hans Ulrich Müffling in seinen Blumen auß deß Scaligers Schrifften im dritten Brieffe oder Sendschreiben:

Man muß die nicht hören, welohe schreyen, daß durch Übung in der Tichterey, (die Zeit) welche ernstern und wichtigern Wissenschaften zustehet, vergebens und unfüglich verschwendet werde. Denn so man hierinnen Maß hält, fehlet es nun so viel, daß das Gemüte damit solle ermüdet werden, daß sie vielmehr zu schärfferm und genauerm Nachdencken dich wacker und munter mache.

Daselbst weiter:

Die Tichterey ist anders nichts, als ein Abbildung vielerley Dinge, welche die menschlichen Gemüter abzeucht und gleichsam säubert durch zierliche und schickliche Fügnüß vom Rost und Staube deß Überdrusses.

Aus: Friedrichs von Logau Sämmtliche Sinngedichte. Hrsg. v. Gustav Eitner. Stuttgart: Litterarischer Verein, 1872, S. 1-3