West-östlicher Divan, Einleitung

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Johann Wolfgang Goethe

Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans


Einleitung.

Alles hat seine Zeit! -- Ein Spruch dessen Bedeutung man bey längerem Leben immer mehr anerkennen lernt; diesemnach giebt es eine Zeit zu schweigen, eine andere zu sprechen, und zum Letzten entschliesst sich diesmal der Dichter. Denn wenn dem früheren Alter Thun und Wirken gebührt, so ziemt dem späteren Betrachtung und Mittheilung.

Ich habe die Schriften meiner ersten Jahre ohne Vorwort in die Welt gesandt, ohne auch nur im mindesten anzudeuten wie es damit gemeynt sey; diess geschah im Glauben an die Nation, dass sie früher oder später das Vorgelegte benutzen werde. Und so gelang mehreren meiner Arbeiten augenblickliche Wirkung, andere, nicht eben so fasslich und eindringend, bedurften um anerkannt zu werden mehrerer Jahre. Indessen gingen auch diese vorüber und ein zweytes, drittes nachwachsendes Geschlecht entschädigt mich doppelt und dreyfach für die Unbilden die ich von meinen früheren Zeitgenossen zu erdulden hatte.

Nun wünscht' ich aber, dass nichts den ersten guten Eindruck des gegenwärtigen Büchleins hindern möge. Ich entschliesse mich daher zu erläutern, zu erklären, nachzuweisen, und zwar bloss in der Absicht dass ein unmittelbares Verständniss Lesern daraus erwachse, die mit dem Osten wenig oder nicht bekannt sind. Dagegen bedarf derjenige dieses Nachtrags nicht, der sich um Geschichte und Literatur einer so höchst merkwürdigen Weltregion näher umgethan hat. Er wird vielmehr die Quellen und Bäche leicht bezeichnen, deren erquickliches Nass ich auf meine Blumenbeete geleitet.

Am liebsten aber wünschte der Verfasser vorstehender Gedichte als ein Reisender angesehen zu werden, dem es zum Lobe gereicht, wenn er sich der fremden Landesart mit Neigung bequemt, deren Sprachgebrauch sich anzueignen trachtet, Gesinnungen zu theilen, Sitten aufzunehmen versteht. Man entschuldigt ihn, wenn es ihm auch nur bis auf einen gewissen Grad gelingt, wenn er immer noch an einem eignen Accent, an einer unbezwinglichen Unbiegsamkeit seiner Landsmannschaft als Fremdling kenntlich bleibt. In diesem Sinne möge nun Verzeihung dem Büchlein gewährt seyn! Kenner vergeben mit Einsicht, Liebhaber, weniger gestört durch solche Mängel, nehmen das Dargebotne unbefangen auf.

Damit aber alles was der Reisende zurückbringt den Seinigen schneller behage, übernimmt er die Rolle eines Handelsmanns, der seine Waaren gefällig auslegt und sie auf mancherley Weise angenehm zu machen aucht; ankündigende, beschreibende, ja lobpreisende Redensarten wird man ihm nicht verargen.

Zuvörderst also darf unser Dichter wohl aussprechen dass er sich, im Sittlichen und Aesthetischen, Verständlichkeit zur ersten Pflicht gemacht, daher er sich denn auch der schlichtesten Sprache, in dem leichtesten, fasslichsten Sylbenmasse seiner Mundart befleissigt und nur von weitem auf dasjenige hindeutet, wo der Orientale durch Künstlichkeit und Künsteley zu gefallen strebt.

Das Verständniss jedoch wird durch manche nicht zu vermeidende fremde Worte gehindert, die desshalb dunkel sind, weil sie sich auf bestimmte Gegenstände beziehen, auf Glauben, Meynungen, Herkommen, Fabeln und Sitten. Diese zu erklären hielt man für die nächste Pflicht und hat dabey das Bedürfniss berücksichtigt, das aus Fragen und Einwendungen deutscher Hörenden und Lesenden hervorging. Ein angefügtes Register bezeichnet die Seite, wo dunkle Stellen vorkommen und auch wo sie erklärt werden. Dieses Erklären aber geschieht in einem gewissen Zusammenhange, damit nicht abgerissene Noten, sondern ein selbstständiger Text erscheine, der, obgleich nur flüchtig behandelt und lose verknüpft, dem Lesenden jedoch Uebersicht und Erläuterung gewähre.

Möge das Bestreben unseres diessmaligen Berufes angenehm seyn! Wir dürfen es hoffen: denn in einer Zeit, wo so vieles aus dem Orient unserer Sprache treulich angeeignet wird, mag es verdienstlich erscheinen, wenn auch wir von unserer Seite die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken suchen, woher so manches Grosse, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher täglich mehr zu hoffen ist.



  • Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans. In: Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff. http://www.zeno.org/nid/20004848837