Von Berlin über Neu-Brandenburg nach Stralsund (Baedeker)
12. Von Berlin über Neu-Brandenburg nach Stralsund.
224 Kil. Berliner Nordbahn: Abfahrt vom Stettiner Bahnhof. Schnellzug in 4 ¾ St., Personenzug in 7 St. für M 18. -, 13.50, 9. -•
Berlin, s. S. 1. - 14 Kil. Hermsdorf. - 20 Kil. Birkenwerder. 30 Kil. Oranienburg, Stadt von 4000 Einw. an der Havel. - Hübsche Waldung. Zahlreiche Seen. - 47 Kil. Löwenberg. - 52 Kil. Guten-Germendorf. - 59 Kil. Gransee. - 63 Kil. Lüdersdorf. — 68 Kil. Dannenwalde. - 81 Kil. Fürstenberg. - 98 Kil. Strelitz.
100 Kil. Neu-Strelitz (British Hotel; Stadt Hamburg), Hauptstadt des Grossherzogthums, mit 8500 Einw., an der Ostseite des Zierker Sees anmuthig gelegen. Stattliches Residenzschloss mit hübschen Parkanlagen. Auf dem Marktplatz das Standbild des Grossh. Georg († 1860), Erzguss von Wolf. - Weiter
115 Kil. Blankensee. - 127 Kil. Stargard.
136 Kil. Neubrandenburg (s. S. 105). - 144 Kil. Neddemin. - 151 Kil, Treptow, am Trebel gelegen. - 159 Kil. Gültz. - 167 Kil. Sternfeld. - 178 Kil. Demmin. - 195 Kil. Rakow. - 201 Kil. Grimmen. - 213 Kil. Elmenhorst.
224 Kil. Stralsund. - GASTH.: *Hôt. de Brandebourg, Mönchstr. 50, Z. 2 M 25; Giebel's Hôt., Alter Markt 2, 3; Schröder's Hột., Neuer Markt 3; Hôt. Bismarck, Mühlenstr. 20, Z. von 1 ½ M an, В. u. L. wird nicht berechnet. - WEINSTUBEN: Rathhauskeller; Friedrich, Badenstr. 44. - RESTAUR.: Volksgarten, unweit des Bahnhofs; Gebr. Lorenz, Mühlenstr. 11
SEEBÄDER bei Schmietendorff, Strandstr. 1,
DROSCHKEN: in der Stadt die Fahrt 50 Pf. bis 1 M; die Stunde 1 ½ M, je 20 Min. mehr 50 Pf.; Koffer 15 Pf.
POST: Mühlenstr. 42. - TELEGRAPH: Mühlenstr. 23. DAMPFBOOT nach Kopenhagen s. S. 132.
Stralsund, Hauptstadt eines Regierungsbezirks, mit 27,800 Einw., liegt am Strelasund, einer ½ St. breiten Meerenge, welche die Insel Rügen vom Festland trennt. Die Stadt ist ganz von Wasser umgeben, nur durch 3 Brücken (Knieper-, Tribseer und Franken-Damm) hängt sie mit dem Festland zusammen. In ihrer äusseren Erscheinung hat sie mit ihren hohen Giebelhäusern, ihren Thürmen und ihren gothischen Backsteinkirchen viel Aehnlichkeit mit Rostock und Lübeck. Als Festung ist Stralsund aufgegeben, die Werke werden geschleift.
Um 1209 gegründet, gelangte Stralsund bald zu solcher Blüthe, dass es bereits im XIV. Jahrh. neben Lübeck die wichtigste Stadt des Hansabundes an der Ostsee war. Der Reformation wandte es sich früh zu und stand desshalb im 30jähr. Kriege auf Seite Schwedens. Bekannt ist die tapfere Vertheidigung der von Dänen und Schweden zur See unterstützten Stadt gegen Wallenstein 1628, der geschworen hatte, Stralsund zu nehmen, "und wenn es mit Ketten an den Himmel geschmiedet wäre", aber nach Verlust von 12.000 Mann die Belagerung aufheben musste; noch jetzt wird jährlich am 24. Juli zum Andenken an die Befreiung ein Volksfest gefeiert. Im westfälischen Frieden 1648 wurde sie mit ganz Vorpommern und Rügen an Schweden abgetreten, bei dem sie trotz der Einnahmen von 1678 durch den Grossen Kurfürsten und von 1715 durch die vereinigten Heere der Preussen, Dänen und Sachsen über anderthalb Jahrhundert verblieb. Erst 1815 wurde Stralsund preussisch.
Vom Bahnhof gelangt man durch das Tribseer Thor geradezu auf den Neuen Markt. An demselben die Marienkirche (Juni, Juli, Aug. tägl. 11-12 u. Nachm. 3-4 geöffnet, ebenso die übrigen unten gen. Kirchen), 1416 - 1473 erbaut, eins der mächtigsten Werke der norddeutschen Backsteinarchitektur, dreischiffiges Lang-und Querhaus mit Chorumgang und zwischen den Strebepfeilern liegenden Kapellenreihen; zwei 25m hohe Fenster in Glasmalerei sind von König Friedrich Wilhelm IV. geschenkt. Vom Thurm (330 Stufen) *Aussicht über das malerisch im Wasser gelegene Stralsund und einen grossen Theil der Insel Rügen; der Kirchendiener wohnt hinter der Kirche Marienstr. 10.
Nördl. gegenüber der Marienkirche führt eine breite Strasse links zum Alten Markt, einem schönen alterthümlichen Platz. Das stattliche Rathaus ist z. Th. aus dem XIII. Jahrh.; der am Markt stehende Theil mit der reich decorirten Haupt-Façade gehört dem xv. Jahrh. an, im xviii. Jahrh. modernisirt.
Im grossen Rathhaussaal Bilder schwed. u. preuss. Könige. - In einem Vorsaal Stralsunder Bürgermeister.- Das #Neu-Vorpommer'sche Provinzialmuseum, im oberen Stock, enthält eine nicht unbedeutende Sammlung Rügen'scher und nordischer Alterthümer, mittelalterl. Schmuckgegenstände (Goldschmuck aus dem viii. oder ix. Jahrh.), Waffen, sowie geschichtlich merkwürdige Gegenstände aus Stralsund. - Auch die 1709 gegründete Rathsbibliothek ist darin aufgestellt.
Hinter dem Rathhaus die Nicolaikirche, ein edler Bau, ähnlich der Marienkirche; beachtenswerth der Hochaltar, Holzschnitzwerk aus dem xv. Jahrh., die Passion darstellend, 1856 restaurirt; einige geschnitzte Flügelaltäre; *Bronzegrabplatte von 1357; messingne Kron- u. Wandleuchter und Reste eines goth. Sacramentshäuschens aus Holz; die Kirchenstühle sind aus dem XvI. Jahrh.; am Eingang des Krämerstuhls die liebenswürdige Inschrift: „dat ken kramer ist de blief da buten oder ick schla em up de schnuten"; der Küster wohnt dem s.w. Thurm gegenüber.
Vom Alten Markt führt die Fährstrasse hinab zum Fährthor; vor demselben der Landeplatz der Dampfboote.
In der Nähe des (südl.) Frankenthors eine neue stattliche Artillerie-Caserne. Ein in eine Graben-Caponnière eingemauerter Stein mit schwed. Inschrift erinnert an Karl XII., der bei der Belagerung von 1715 die Stadt vertheidigte. Südöstl. vom Frankenthor, im Strelasund, die kleine befestigte Insel Dänholm. In der Frankenvorstadt die grosse Fischzucht-Anstalt von Andershof.
Bis Stralsund hatte Schill seine kühne Schaar geführt, als am 31. Mai 1809 ein Kampf in den Strassen gegen Holländer unter Gratien und Dänen unter Ewald seinem Leben ein Ende machte. Ein Stein im Trottoir der Fährstr. (vor dem Hause Nr. 21, in der Nähe des Fährthors) mit der Inschrift: Schill, † 31. Mai 1809" bezeichnet die Stelle, to er fiel, an dem Hause selbst seine Porträt-Büste. Sein vom Körper getrenntes Haupt wurde lange zu Leyden in Spiritus aufbewahrt und erst den 24. Sept. 1837 in Braunschweig beigesetzt (S. 329). Sein Rumpf ruht auf dem Knieper Kirchhof, 15 Min. vor dem (nördl.) Knieper Thor; ein Granitdenkmal, rechts (östl.) vom Hauptwege, etwa in der Mitte, mit dem Reliefporträt des Helden, schmückt seit 1862 das Grab,, welches lange nur durch eine am 25jähr. Jahrestag der Leipziger Schlacht aufgestellte eiserne Platte bezeichnet war, ohne Namen, ohne Todestag (da beides nicht gestattet wurde), lediglich mit der Inschrift, nach Virg. Aen. II. 557, 558:
„Magna voluisse magnum. Occubuit fato: iacet ingens litore truncus, Avolsumque caput: tamen haud sine nomine corpus."
Auf der andern Seite des Weges, 50 Schritt nach dem Eingang hin zurück, ein kleiner »dem Andenken der in Stralsund gefallenen Waffengefährten Ferdinand's von Schill" gewidmeter Granitblock.
Aus: Mittel- und Nord-Deutschland, westlich bis zum Rhein. Handbuch für Reisende von K. Bædeker. 19. Aufl. Leipzig: Bædeker, 1880, S. 116-118