Vischer, Friedrich Theodor

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Meyers 1909

[188] Vischer, 1) Friedrich Theodor (von), Ästhetiker und Dichter, geb. 30. Juni 1807 in Ludwigsburg, gest. 14. Sept. 1887 in Gmunden am Traunsee, ward, im Stift zu Tübingen zum Theologen gebildet, 1830 Pfarrvikar in Horrheim bei Vaihingen, 1833 Repetent in Tübingen, habilitierte sich 1836 daselbst und wurde 1837 zum außerordentlichen, 1844 zum ordentlichen Professor für Ästhetik und deutsche Literaturgeschichte ernannt, aber infolge seiner freimütigen Antrittsvorlesung (Tübing. 1844) sofort auf zwei Jahre suspendiert. 1848 in das Frankfurter Parlament gewählt, hielt er sich daselbst zur Linken, ging mit dem Reste desselben auch nach Stuttgart und folgte 1855 einem Ruf an das Polytechnikum in Zürich, gegen Ende 1866 einem gleichen an das Polytechnikum[188] in Stuttgart, wo er bis 1877 wirkte. V. gehört (neben seinen Freunden und Geistesverwandten Strauß, Schwegler, Zeller u. a.) zu den durch Geist und Gelehrsamkeit hervorragendsten Vertretern der Hegelschen Schule, in deren Sinn er seine Fachwissenschaft, die Ästhetik, als Gehalts-, im Gegensatz zu der innerhalb der Herbartschen Schule durchgeführten Formästhetik bearbeitete. Außer dem Hauptwerk: »Ästhetik, oder Wissenschaft des Schönen« (Stuttg. 1847–58, 3 Bde.; der musikalische Teil bearbeitet von K. Köstlin), erschienen von ihm: »Über das Erhabene und Komische« (das. 1837); »Kritische Gänge« (Tübing. 1841, 2 Bde.; neue Folge, Stuttg. 1860–75, 6 Hefte), eine Sammlung kleinerer, meist kritischer Abhandlungen (das 5. und 6. Heft enthält die Selbstkritik seiner »Ästhetik«); »Goethes Faust. Neue Beiträge zur Kritik des Gedichts« (das. 1875); der geistvolle, aber formlose Bekenntnisroman »Auch Einer; eine Reisebekanntschaft« (das. 1878, 39. Aufl. 1908); »Mode und Zynismus« (das. 1878, 3. Aufl. 1888); »Altes und Neues« (das. 1881–82,3 Hefte; Heft 3 enthält Vischers Autobiographie; neue Folge 1889); »Lyrische Gänge« (das. 1882, 3. Aufl. 1900) und »Allotria« (das. 1892). Unter dem Pseudonym Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky schrieb er: »Faust. Der Tragödie dritter Teil« (Stuttg. 1862, 6. Aufl. 1907), eine Satire auf den zweiten Teil des Goetheschen »Faust«; unter dem Namen Philipp Ulrich Schartenmeyer das barock-humoristische Heldengedicht »Der deutsche Krieg 1870–71« (6. Aufl., Münch. 1904), und anonym die beißenden »Epigramme aus Baden-Baden« (Stuttg. 1867). Aus seinem Nachlaß erschienen, von seinem Sohn Robert (s. Vischer 3) herausgegeben: »Vorträge«, erste Reihe: »Das Schöne und die Kunst« (3. Aufl., Stuttg. 1907), zweite Reihe: »Shakespeare-Vorträge« (das. 1898–1905, 6 Bde.; Bd. 1 und 2 in 2. Aufl. 1905 und 1907), sowie »Briefe aus Italien« (Münch. 1907). Vgl. Keindl, Fr. Th. V., Erinnerungsblätter (Prag 1888, 3. Aufl. 1907); v. Günth ert, Fr. Th. V., ein Charakterbild (Stuttg. 1888); Ilse Frapan, Vischer-Erinnerungen (das. 1889); den biographischen Aufsatz von W. Lang im 6. Heft des Sammelwerks »Von und aus Schwaben« (das. 1890); Th. Ziegler, Fr. Th. V., Vortrag (das. 1893); Oswald, Fr. Th. V. als Dichter (Hamb. 1896). 2) Wilhelm, schweizer. Historiker, geb. 4. Aug. 1833 in Basel, gest. 30. März 1886, Sohn des gleichnamigen Baseler Philologen (1808–74), wurde 1856 Dozent der Geschichte in Basel, 1862 in Göttingen, 1866 Oberbibliothekar und außerordentlicher, 1874 ordentlicher Professor der Geschichte in Basel. Seit 1874 Mitglied des Großen Rates und Kirchenrats, beteiligte er sich als Präsident des Eidgenössischen Vereins lebhaft an der Politik seines engern und weitern Vaterlandes in konservativem Sinn. Seine bedeutendsten Schriften sind: »Geschichte des Schwäbischen Städtebundes der Jahre 1376–1389« (»Forschungen zur deutschen Geschichte«, Bd. 2 u. 3, Götting. 1862); »Die Sage von der Befreiung der Waldstätte nach ihrer allmählichen Ausbildung untersucht« (Leipz. 1867); »Basler Chroniken« (Bd. 1–3, das. 1872–87; fortgesetzt von Bernoulli); »Erasmiana« (das. 1876).

3) Robert, Kunsthistoriker, Sohn von V. 1), geb. 22. Febr. 1847 in Tübingen, studierte in Zürich, Tübingen, Heidelberg, Bonn und München, war 1874 bis 1878 Skriptor der Bibliothek der Wiener Kunstakademie, habilitierte sich 1879 in München, wurde 1882 außerordentlicher Professor der neuen Kunstgeschichte an der Universität in Breslau, 1885 Ordinarius an der Technischen Hochschule zu Aachen und 1893 an die Universität Göttingen berufen. Er schrieb: »Über das optische Formgefühl« (Stuttg. 1873); »Luca Signorelli und die italienische Renaissance« (Leipz. 1879); »Studien zur Kunstgeschichte« (Stuttg. 1886); »Peter Paul Rubens, ein Büchlein für unzünftige Kunstfreunde« (Berl. 1904).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 188-189. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007655681


Herders 1857

[633] Vischer, Friedrich Theod., als Philosoph ein Vertreter des Pantheismus, geb. 1807 zu Ludwigsburg, Privatdocent in Tübingen, wurde 1844 ordentlicher Professor, gerieth gelegentlich seiner Antrittsrede in Fehde mit den Katholiken, kam 1855 als Professor der Aesthetik u. deutschen Literatur an das Polytechnicum nach Zürich. Sein Hauptwerk ist eine »Aesthetik«, Stuttg. 1847–53, 3 Bde.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 633. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003560058


Pierer 1864

7) Friedrich Theodor, geb. 30. Juni 1807 in Ludwigsburg, kam 1821 auf das Seminar in Blaubeuren, studirte seit 1825 in Tübingen Theologie, erhielt daselbst 1833 eine Stelle als Repetent, habilirte sich 1836 an der Universität als Privatdocent. wurde 1837 außerordentlicher Professor in der philosophischen Facultät, bereiste 1839, 1840 u. 1843 Italien u. Griechenland wurde 1844 ordentlicher Professor der Ästhetik in Tübingen. Wegen seiner freisinnigen Richtung gerieth er 1844 in einen literarischen Streit mit seinen conservativen Collegen, in dessen Folge eine Untersuchung gegen ihn angestellt u. er nach deren Beendigung auf zwei Jahre von seinem Amte suspendirt wurde. 1847 begann er seine akademische Thätigkeit wieder u. wurde 1848 vom Wahlkreis Reutlingen-Urach in die Deutsche Nationalversammlung nach Frankfurt gewählt, wo er sich der Linken anschloß u. 1849 mit dem Rumpfparlament nach Stuttgart ging. 1855 wurde er Professor der Ästhetik u. Deutschen Literatur am Polytechnikum' in Zürich. Er schr.: Über das Erhaben, u. Komische, Stuttg. 1837; Kritische Gänge, Tübingen 1844, 2 Bde., Neue Folge, Stuttgart 1860 ff'.; Ästhetik od. Wissenschaft des Schönen, Stuttg. 1846–1854, 3 Bde.; Kritische Bemerkungen über den ersten Theil von Goethe's Faust, Zürich 1857; Über das Verhältniß von Inhalt u. Form in der Kunst, ebd. 1858; er gründete auch die Jahrbücher der Gegenwart.

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 615-616. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011225041


Brockhaus 1911

[927] Vischer, Friedr. Theod., Ästhetiker und Dichter, geb. 30. Juni 1807 zu Ludwigsburg, seit 1869 Prof. am Polytechnikum zu Stuttgart, gest. 14. Sept. 1887 in Gmunden. Hauptwerk: »Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen« (3 Bde., 1847-58); ferner: »Kritische Gänge« (1844; Neue Folge 1861-73), die Satire (pseudonym) »Faust, der Tragödie 3. Teil« (1862; 2. Aufl. 1886), der humoristische Roman »Auch Einer« (1879; Volksausg. 1904), »Lyrische Gänge« (3. Aufl. 1900), »Vorträge« (Bd. 1-5, 1898-1905) u.a. – Vgl. Frapan (2. Aufl. 1889), Ziegler (1893). – Sein Sohn Robert V., geb. 22. Febr. 1847 in Tübingen, seit 1893 Prof. der Kunstgeschichte in Göttingen; schrieb: »Kunstgeschichte und Humanismus« (1880) u.a.

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 927. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001659006


Eisler 1912

[789] Vischer, Friedrich Theodor, geb. 1807 in Ludwigsburg, studierte in Tübingen, 1837 a. o., 1844 o. Prof. daselbst, 1855 in Zürich, seit 1866 wieder in Tübingen und (im Sommer) in Stuttgart, gest. 1887. V. ist besonders von Hegel beeinflußt, über den er aber später hinausging. Die absolute »Idee« verwirklicht sich nach V. in Raum und Zeit. Die Natur ist der Boden, woraus der Geist aufsteigt. Im Schönen ist »verborgene Philosophie«, es ist »die Idee in der Form begrenzter Erscheinung«, ein sinnlich Einzelnes als Ausdruck der Idee. Die Kunst ist die subjektiv-objektive Wirklichkeit des Schönen. Das Schöne im Widerstreit seiner Momente ist das Komische. Tragisch wird das einzelne Schöne, wenn es mit dem Absoluten dadurch in Konflikt gerät, daß es nicht durch Selbstaufopferung, sondern durch Selbstsucht mit ihm eins werden will. Das wahrhaft Erhabene ist das Tragische, »das Bild des Verschwindens jeder endlichen Größe vor dem unendlichen Geiste, das Bild davon, wie kein Mensch schuldlos bleibt, wie ihn das Schicksal an dieser Schuld packt und ihm dafür Leiden bereitet, wie jede menschliche Größe vor der Majestät des Allgeistes verschwindet« (Das Schöne und die Kunst, S. 180). V. unterscheidet objektive Kunst (die bildende), subjektive (Musik), und subjektiv-objektive (Dichtkunst). In seiner nachgelassenen Schrift[789] bestimmt er das Schöne mehr empirisch-psychologisch als »ausdrucksvolle Form, formgewordener Ausdruck, Einheit von Ausdruck und Harmonie«, und betont das unbewußte »Einfühlen« (»Leihen«, »Unterlegen«).

Schriften: Über das Erhabene und Komische, 1837. – Kritische Gänge, 1844 ff., 1861 ff. – Ästhetik, 1846-58. – Über das Verhältnis von Inhalt und Form in der Kunst, 1858. – Auch Einer, 1879 (Roman). – Mode und Cynismus, 3. A. 1888. – Altes und Neues, 1889. – Vorträge für das deutsche Volk; hrsg. von seinem Sohne R. Vischer: I. Das Schöne und die Kunst, 1897; II. Shakespearevorträge, 1899 f., u.a. – Vgl. E. V. GÜNTHERT, F. Th. V., 1889. – M. DIEZ, F. V., 1889. – TH. ZIEGLER, F. Th. V., 1893. – F. REICH, Die Kulturphilosophie V.s, 1907.

Quelle: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 789-790. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001837117