Strophe
Sulzer 1771
[1114] Strophe. (Dichtkunst)
Ursprünglich bedeutete das Wort in den lyrischen Gedichten der Griechen eine Folge von Versen, die von einem Chor in einem Zug, oder Marsch gesungen wurde; weil das Singen mit einem feyerlichen Umzug oder Gang des singenden Chores verbunden worden. Wann der Chor sich in seinem Zug wendete; so fieng eine zweyte Folge von Versen an, deren Anzahl und metrische Einrichtung eben so war, wie in der ersten; also mußte der Chor eben so viel Schritte thun um die zweyte Strophe zu singen, als sie zur ersten nöthig hatte. Diese zweyte Folge wurd Antistrophe genannt. Wann der Chor hierauf stillstehend noch etliche Verse sang, so wurden diese zusammen Epodos genannt und waren in der metrischen Einrichtung von Strophe und Antistrophe verschieden. Wann mit diesen drey Säzen das Lied noch nicht geendiget war; so wurden in der Folge die Verse genau nach dem Sylbenmaaß und dem Metrum der vorhergehenden Säze wiederholt. Dieses kann man in den strophischen Chören der griechischen Tragödien und in den Oden des Pindars sehen.
Izt giebt man den Namen der Strophe in unsern Oden und Liedern einer Periode von etlichen Versen, die allen folgenden Perioden in Ansehung des Sylbenmaaßes und der Versart zur Lehre dienet. Nämlich drey, vier, oder mehr Verse, womit das Gedicht anfängt, dienen durch das ganze Lied in Absicht auf das Sylbenmaaß und die Länge der Verse dergestalt zur Lehre, daß hernach die Folge des Gedichts in jedem Abschnitt von drey, vier, oder mehr Versen, genau so seyn muß, wie in den ersten. Folgende vier Verse:
Freund! die Tugend ist kein leerer Name Aus dem Herzen keimt der Tugend Saame, Und ein Gott ists, der der Berge Spizen Röthet mit Blizen.
machen eine Strophe der sapphischen Versart aus; so lange das Lied dauert, machen immer vier folgende Verse eine Strophe, die in Absicht des Sylbenmaaßes und der Länge der Verse genau so ist, wie diese.
Es giebt einfache und Doppelstrophen. Die einfachen, machen, wie die so eben angeführte, nur eine einzige Periode aus, die am End einen Hauptruhepunkt hat. Die Doppelstrophe besteht aus mehr Versen, die zwey rhythmische Hauptabschnitte ausmachen, wie folgende:
Welche Fluren! Welche Tänze! Welche schön geflochtne Kränze! Welch ein sanftes Purpurlicht! Sanfter war die Morgenröthe Die des Waldes Grün erhöhte Mir im schönsten Lenze nicht!1
Obgleich die zweyte Hälfte genau dieselbe metrische Beschaffenheit hat, als die erste; so empfindet man doch, daß der Ton sich etwas abändert.
[1114] Bisweilen aber hat der andre Theil der Strophe ganz andre Verse, und alsdenn unterscheiden sich die beyden Abschnitte noch merklicher, wie hier:
Hier auf diesem Aschenkruge, Weint die Freundschaft ihren Schmerz, Und mit diamantnen Pfluge Zieht der Kummer Furchen in mein Herz. Finsterniß und Stille! Unter eurer Hülle, Lad' ich Erd' und Himmel zum Gehör. Klagen will ich: Ach, mein Liebling Ist nicht mehr.2
Diese Doppelstrophen gleichen den Tanzmelodien, die insgemein ebenfalls aus zwey Theilen bestehen, die sich im Ton unterscheiden. Bisweilen unterscheidet sich die zweyte Hälfte der Doppelstrophe von der ersten auch durch das Sylbenmaaß.
Die Doppelstrophen geben den Liedern große Annehmlichkeit, wegen der Veränderung des Tones, besonders wenn im zweyten Theil auch der Rhythmus sich ändert, wie in der so eben angeführten Strophe. Die eigentliche Ode scheinet die Doppelstrophe weniger zu vertragen.
- 1 Jacobi.
- 2 Die Karschinn.
Quelle: Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1114-1115. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011449691
Adelung 1801
[456] Die Strophe, plur. die -n, ein Abschnitt in einem Gedichte, nach dessen Ende die Melodie und die Versart wieder von vorne angefangen wird; ehedem ein Gesetz. Es ist aus dem Griechischen σρφη, Wiederkehr, so wie Vers, welches noch bey geistlichen Liedern am üblichsten ist, vom Lat. Versus, von vertere.
Quelle: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 456. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000461016
Brockhaus 1809
[427] Strophe (Dichtkunst) ist ein Wort, das in der Griechischen Dichtkunst, der es seinen Ursprung dankt, von ganz anderer Bedeutung war, als jetzt. Die lyrischen Gedichte (s. die lyrische Poesie) der Griechen, die von einem Chore gesungen wurden und mit einem Umzuge oder Marsche des Chores verbunden waren, bestanden aus drei Haupttheilen oder Sätzen, deren jeder eine gewisse Anzahl Verse enthielt. Die beiden ersten Sätze waren einander in Ansehung der Anzahl der Verse, Versart und Sylbenmaaß ganz gleich; dagegen der dritte Satz hierin von den beiden erstern abwich. Der erste Satz, welcher so lange dauerte, als der Chor in einem Zuge fortging, hieß Strophe. Sobald sich der Chor wendete, so fing der zweite Satz oder Abschnitt des Liedes an, welcher Antistrophe hieß, und bei welchem der Chor eben so viele Schritte thun mußte, als bei der Strophe. Mit Endigung der Antistrophe blieb der Chor stehen, sang aber noch etliche Verse, als den dritten Satz des Liedes, welcher Epodos genannt wurde. War mit diesen drei Sätzen noch nicht das ganze Lied, sondern nur ein Theil oder Abschnitt desselben geendet, so mußten die folgenden Abschnitte genau nach dem Sylbenmaaße und nach der Anzahl der Verse, welche die ersten drei Sätze gehabt hatten, eingerichtet werden. Die Römer, ohne die Form des Griechischen Gedichts in Ansehung der Strophe, Antistrophe und Epodos beizubehalten, fanden doch leicht: daß die Abtheilung eines lyrischen Gedichts in gewisse, in Ansehung des Splbenmaaßes, der Versart und Anzahl der Verse ganz gleiche Abschnitte zur Schönheit [427] desselben beitrage, und behielten daher in dieser Hinsicht die Griechische Form bei. Auch blieben jene Griechischen Benennungen im Gebrauche: allein man legte ihnen eine andere Bedeutung unter. Auch die Deutschen haben besonders das Wort Strophe in der Dichtkunst beibehalten: man bezeichnet mit demselben einen aus mehrern einzelnen Versen bestehenden Abschnitt eines Liedes, oder einer Ode, der in Ansehung des Sylbenmaaßes, der Versart und der Anzahl der Verse allen übrigen Abschnitten zur Regel dient. Besteht also – welches am gewöhnlichsten ist – ein Abschnitt oder eine Strophe des Liedes aus 4 oder 8 einzelnen Versen; so muß jede Strophe ebenfalls aus 4 oder 8 Versen von eben dem Sylbenmaaße und eben derselben Versart bestehen. Daß durch diese gleiche Form poetischer Rhythmus (s. dies. Art.) befördert wird, leuchtet von selbst ein. Man theilt die Strophen in einfache und Doppelstrophen: einfache – diese sind am gewöhnlichsten – heißen solche, die nur aus einer Periode bestehen, welche sich mit der Strophe endigt, oder doch am Ende derselben einen Hauptruhepunkt hat. Theilt sich hingegen eine Strophe durch den Rhythmus in zwei Hälften oder Hauptabschnitte, so nennt man sie eine Doppelstrophe. Wenn in einer Strophe Syldenmaaß und Versart durchgehends gleich bleibt so gehört ein feineres poetisches Gefühl dazu, um zu bemerken, daß die Strophe Doppelstrophe ist. Allein bisweilen weicht in derselben der zweite Abschnitt oder Periode, entweder in Ansehung der Versart, oder des Sylbenmaaßes, oder auch beider zugleich, von der erstern Periode, oder dem Anfange der Strophe, ganz ab, und sodann sind die beiden Abschnitte der Strophe sehr merklich.
Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 427-428. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000773905
Damen Conversations Lexikon
[454] Strophe, bei den Alten eine Verbindung mehrerer Verse (s. Vers) zu einem metrischen Ganzen, welcher eine andere gleiche Verbindung, Antistrophe genannt, entsprach; dann Lieder, die ein[454] Einzelner unter Begleitung eines Instrumentes sang; in der modernen Poesie aber: eine regelrechte Verbindung mehrerer Verse zu einer metrischen Periode, welche als erste Periode eines Liedes die Norm für alle folgenden abgibt. Oft nennt man die S. unrichtig Vers.
Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 454-455. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001769499
Brockhaus 1841
[319] Strophe nennt man eine aus einer gewissen Anzahl von Versen (s. Vers) bestehende Abtheilung eines Gedichts. Die verschiedenen Strophen desselben Gedichts bestehen aus gleich vielen Versen und in allen wiederholt sich dieselbe Anordnung der Verse, derselbe Bau der einzelnen entsprechenden Verse und dieselbe Ordnung der Reime. Fälschlich wird häufig der Vers Strophe und diese Vers genannt.
Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 319. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000867330
Herder 1857
[358] Strophe, griech., in der Poesie die Verbindung mehrer Verse zu einem Ganzen, ein metrisches System, das bei Griechen und Römern durch den Rhythmus, bei den Neuern mit einfachem Rhythmus durch den Reim in innerer Mannigfaltigkeit hergestellt wird.
Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 358. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003530078
Pierer 1863
[937] Strophe (v. gr.), 1) die Wendung; 2) der Tanz des Chors in der Orchestra; 3) in der lyrischen Poesie die Verbindung mehrer Verse zu einem metrischen Ganzen. Ursprünglich waren die Chorgesänge auf dem Theater S-n; sie theilten sich, wie der ganze Chor in zwei Theile getheilt war, in zwei Abtheilungen, von welchen den einen die von der Rechten nach der Linken sich bewegenden Choreuten absangen (S. im eigentlichen Sinne); den andern die von links nach rechts sich Bewegenden in demselben Zeitmaße (Gegenstrophe, Antistrophe), daher S. u. Antistrophe im Rhythmus u. Metrum gleich sein mußten. Beiden schloß sich ein für sich bestehender Theil an (Epodos, Epode, s.d.). War damit das Lied noch nicht beendigt, so begannen die S-n u. Gegenstrophen von Neuem. Diese Benennungen blieben auch in den Liedern, welche nicht von Mehren vorgetragen, sondern von Einzelnen zur Leier od. zur Flöte abgesungen wurden, wie in den Pindarischen Oden, wo man indeß auch statt S. u. Antistrophe die Ausdrücke Ode u. Antode brauchte. Übrigens bestehen auch andere lyrische Gedichte des Alterthums aus S-n, welche aber nicht von Epoden unterbrochen sind, sondern fortlaufen u. wo nicht jede S. mit ihrer Antistrophe neues Metrum hat, sondern wo dem Metrum der ersten S. das der übrigen gleich ist. In ihnen heißen die einzelnen Verse Kola (Strophenglieder), u. nach der Anzahl dieser Kola werden die S-n benannt; Verse gleicher Art, welche ein gleiches Metrum haben, galten zusammen nur als Ein Kolon. Hatte die S. nur zwei verschiedene Kola, so hieß sie Dikolon, z.B. das vierversige Sapphische Metrum (s.d.), hatte sie drei, so hieß sie Trikol on, z.B. das ebenfalls vierversige Alkäische Metrum (s.d.). Auch die deutsche zum Gesang bestimmte Poesie der Minnesänger des Mittelalters bewegt sich in S-n (Gesetzen), u. zwar die Volkspoesie in der sogenannten vierzeiligen Nibelungenstrophe (s.u. Nibelung S. 873), theils in dem sogenannten dreizehnzeiligen Berner Ton (weil mehre Sagen von Dietrich von Bern in derselben gedichtet sind); für die Kunstpoesie gilt der dreitheilige Strophenbau, wo auf zwei gleiche Theile der S-n (Stollen) ein dritter als Abschluß (Abgesang) folgt; die Zahl u. Länge der Zeilen sowie die Ordnung der Reime sind sehr verschieden, so daß in dem Meistergesang, welcher den dreitheiligen Strophenbau beibehielt, die S. bis 100 Reime hatte. In den neueren Literaturen hat man die strophischen Gedichte in antiker Form nachgeahmt, z.B. im Deutschen; zum Theil hat man andere an ihre Stelle gesetzt, wie die provençalischen, italienischen, spanischen S-n, z.B. im Sonett, in den Canzonen etc. Nicht nur in Oden u. Liedern bei immer wiederkehrender Melodie, sondern auch bei größeren Gedichten, welche nicht zum Gesang bestimmt sind, findet man die S. gebraucht. Die Verse lassen sich hierbei sehr mannigfaltig mischen, doch muß die Melodie dem Inhalte angemessen sein; auch muß jede S. in gereimten Gedichten hinsichtlich der Gedanken ein Ganzes für sich ausmachen, was in den antiken nicht nöthig ist.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 937. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011027444
Meyers 1909
[130] Strophe (griech.) ist ursprünglich in der griechischen Chorlyrik der Tanz des einen Teiles des Chores mit dem dabei gesungenen Lied; ihr entsprach genau die Antistrophe (Gegenstrophe), der Tanz und Gesang des andern Teiles, während die sich daran schließende, vom ganzen Chor vorgetragene Epodos (Nachgesang) ihre eigne metrische Form hatte. Verallgemeinert bezeichnet dann die S. in der Poesie, insbes. der lyrischen, die (wiederkehrende) Verbindung mehrerer Verse zu einem metrischen Ganzen. Die Alten bezeichneten eine solche S. nach der Anzahl ihrer Verse als zwei-, drei- und vierzeilig (Distichon, Tristichon und Tetrastichon) und nach ihren Erfindern als Alkäische, Sapphische, Asklepiadeische S. etc. Die einzelnen Metra der Strophen hießen Kola (Glieder) und bildeten ein neues Einteilungsmerkmal. Eine S., deren Verse gleiches Metrum hatten, hieß ein Monokolon; solche, in denen zwei oder drei Versarten wechselten, Dikolon (z. B. die Sapphische), Trikolon (z. B. die Alkäische). In der Poesie des Mittelalters und der neuern Zeit tritt neben dem Versmaß der Reim als strophenbildendes Prinzip auf. Die alliterierende altdeutsche Dichtung kannte die strophische Gliederung noch nicht. Die bekanntesten Strophen der mittelalterlichen Dichtung sind: die Nibelungenstrophe, Hildebrandstrophe, die Titurel- und die fünfzeilige Neidhartstrophe. Die Dichtung der neuern Zeit verwendet Strophenarten in großer Mannigfaltigkeit. Vgl. Seyd, Beitrag zur Charakteristik und Würdigung der deutschen Strophen (Berl. 1874); H. Müller, Strophenbau und Responsion (Wien 1898); Hügli, Die romanischen Strophen in der Dichtung deutscher Romantiker (Zürich 1899).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 130. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000753891X
Brockhaus 1911
[780] Strophe (grch.), ein aus mehrern Verszeilen bestehender, rhythmisch gegliederter und regelmäßig wiederkehrender Abschnitt eines Gedichts. In den altgriech. Gesängen folgte auf eine S. eine dieser genau entsprechende Anti- oder Gegen-S.
Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 780. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001594621