Slawen
Pierer 1863
[199] Slawen (Slaven, einheimisch Slowene, Slowane, abgeleitet von Slowo [das Wort], also Völker Einer Sprache), sind eines der drei Hauptvölker Europas, gehören zur Indo-Europäischen Völkerfamilie u. haben von jeher ihre Sitze zwischen den an Sprache, Sitten, Gebräuchen, Mythologie etc. verwandten Völkern der Thraker, Kelten, Germanen u. Lithauer eingenommen. Sie führen von Alters her zwei Namen, von ihren Nachbarn werden sie Winden (Wenden) genannt, sie selbst nannten sich Serben (d.i. Nation). Die S. wohnten seit ihrer Bekanntwerdung in dem 5. Jahrh v. Chr. in dem nordosteuropäischen Tieflande, zwischen der Ostsee u. dem Schwarzen Meere, zwischen den Karpathen, dem Don, der oberen Weichsel u. dem Ilmensee (in dem Europäischen Sarmatien), früher auch im Süden der Karpaten an der mittlerren Donau (im alten Pannonien); Einige glauben. daß S. auch in Illyricum (dem heutigen Kroatien) saßen u. daß sogar die Veneti (s.d. 2) am Adriatischen Meere S. gewesen wären (vgl Venedä). Aus Pannonien wurden die S. durch die keltischen Bojer zwischen 360 u. 336 v. Chr. verdrängt u. zogen sich hinter die Karpaten zu ihren Stammgenossen zurück. Fast gleichzeitig (zwischen 340 u. 320 v. Chr.) wurden die S. auch durch die Gothen von der Ostsee verdrängt. Allein schon im 2 Jahrh. n. Chr. brachte der Markomännische Krieg (165–180) alle Germanischen Stämme an der Oder u. Ostsee in Bewegung; sie verließen, wohl auch von den nach Westen strebenden S. gedrängt, ihre Sitze u. zogen nach Südosten (s. Völkerwanderung). Diese Bewegung dauerte bis ins dritte Jahrh. hinein. Ihr folgte die Einnahme der verlassenen Sitze von Seiten der bisher an der Weichsel seßhaften S., welche im Osten von den anrückenden mongolisch-türkischen Völkern (Awaren, Hunnen etc.) gedrängt wurden. Auch dehnten sich die S. jedenfalls jetzt schon, da durch die Germanen die Macht der Sarmaten zwischen Dniestr, Dniepr u. Don gebrochen war, innerhalb des osteuropäischen Tieflandes nach Osten u. Süden von dem oberen Dniepr, ihrem ursprünglichen Sitze, bis an die Wolga u. die Quelle des Don, so wie bis an das Schwarze Meer aus, wo sie bald darauf gefunden werden. Die Ostgothen zwischen Dniestr u. Don wendeten bald ihre Waffen gegen die S. u. unterwarfen unter Hermanrich (332–350) die meisten slawischen Stämme bis an die Oder u. Ostsee. Das Erscheinen der Hunnen (375) stürzte zwar das Gothenreich, brachte aber die S. in die Tribusflichtigkeit der Ersteren. Durch die Auflösung des Hunnenreichs (453) erwarben die S. ihre Freiheit wieder, u. als die Germanen ihre bisherigen Sitze an der Elbe, in Ungarn u. Dacien verlieren u. nach Italien, Gallien etc. zogen; folgten die S. dieser allgemeinen Bewegung nach Süden u. Westen, überschritten ihre Grenzen u. ließen sich in den vom kriegerischen Adel, nicht aber von dem ganzen Volke verlassenen Wohnsitzen der östlichen deutschen Völker an der Elbe u. Donau nieder, indem sie die zurückgebliebene, meist unfreie Bevölkerung sich unterwarfen. Hierbei traten die S., welche bisher dem Ackerbau ergeben, dem Kriegsleben aber abgeneigt waren, als ein starkes u. kriegerisches Volk auf; ihr Kriegsruhm verbreitet von nun an eine große Helle über ihre Geschichte.
Seit dieser Zeit wird auch der Name S. (Sclavi, Sclavini) allgemeiner; er umfaßte Anfangs nur einen Theil der östlich des Dniepr wohnenden Winden, entgegengesetzt dem anderen Hauptstamme, den Anten, welche westlich jenes Flusses bis zum Dniestr wohnten. Der ursprünglich allgemeine Name der Serben verlor im Laufe der Zeit immer mehr an Umfang, bis er zuletzt nur noch einen einzelnen Stamm bezeichnete, während der Name S. immer mehr an Ausdehnung gewann u. endlich allgemeiner Name des Volkes wurde. Die Ausdehnung der S. nach Westen u. Süden, welche in der Mitte des 5. Jahrh. begann, dauerte mehre Jahrhunderte. Zunächst besetzten sie Böhmen, nachdem dieses Land von den Markomannen (459) verlassen war, zwischen 451 u. 495, u. in derselben Zeit die norddeutsche Tiefebene zwischen Oder u. Elbe, von wo sie im 6. Jahrh. selbst das Land zwischen Elbe u. Saale einnahmen u. auch auf mehren Ostseeinseln, wie Rügen, Fehmern etc. sich festsetzten. Im Süden hatten die S. bereits zu Ende des 5. od. zu Anfang des 6. Jahrh. die südlichen Donauländer eingenommen u. drangen wahrscheinlich um die Mitte des 6. Jahrh. nach Pannonten u. Mösien, breiteten sich von da über Oberösterreich, Kärnten u. Krain aus, bes. nach dem Abzuge der Longobarden nach Italien (566); 592–595 drangen sie nach Tyrol u. in das obere Thal der Drau; wahrscheinlich besetzten sie damals auch Istrien u. Friaul. In der ersten Hälfte des 7. Jahrh. (634–638) drangen zahlreiche Haufen Serben u. Chorwaten (Kroaten) aus den hinterkarpatischen Ländern über die Donau in die römischen Grenzländer u. setzten sich im südlichen Pannonien, in Dalmatien u. den übrigen Theilen von Illyricum fest; andere Züge der Serben gingen nach Macedonien u. Illyrien. Nach Mösien kam 678 das ursprünglich ugrische Volk der Bulgaren u. unterwarf zum Theil die dort ansässigen S. Diese letzteren verloren ihren Namen; allein sie hatten durch ihre große Mehrzahl einen solchen Einfluß, daß die Bulgaren im Laufe der Zeit ihre Sprache aufgaben u. slawisirt wurden. Andere slawische Stämme entwichen in griechische Provinzen, nach Thracien, Macedonien, Thessalien, selbst nach dem Peloponnes; ja auch in Kleinasien ließen sie sich nieder, in Syrien (664), in Bithynien (762), bei Trapezunt etc. In der ersten Hälfte des 8. Jahrh. durchzogen die S. das ganze Byzantinische Reich u. breiteten sich immer mehr aus, so daß die heutigen Griechen zum großen Theil slawisches Blut haben. Außerdem siedelten sich die S. weithin in Deutschland in einzelnen Niederlassungen an; so[199] im Würzburgischen, Bambergischen, Baireuthischen, in Vorarlberg, der Schweiz (Engadin, Wallis), Ober- u. Niederbaiern, Meißen, Pfalz, Franken, Hessen Thüringen, Osterland, Braunschweig etc. u. zu größten Theile scheinen dieselben bis zum 15. Jahrh., inmitten der Deutschen, ihre Nationalität u. Sprache bewahrt zu haben.
Die in geschlossenen Gebieten erfolgten slawischen Niederlassungen gediehen bald zu blühenden Staaten. Doch stellten sich inzwischen ernste Bedrohungen ihres Volksthums ein. Zunächst drohte ihnen Gefahr von den in Osten an sie grenzenden Uralisch-Finnischen Völkern. Im 6. Jahrh. erschienen die Awaren am Don (557), unterwarfen die im Süden der Sarmatischen Ebene wohnenden S., wie die Anten am unteren Dniepr u. die Dutjeber in Wolhynien (559), jedoch nur vorübergehend; die an der Ostsee wohnenden S. bewahrten ihre Unabhängigkeit. Weniger glücklich, waren die S. in Pannonien, Mähren u. Böhmen; sie unterlagen (558–600) den Awaren. Samo befreite (seit 623) Böhmen u. Mähren u. gründete das erste bedeutende slawische Reich der Tschechen (Czechen) in Böhmen (527). Die Kroaten schlugen die Awaren mehrmals (634 ff.); doch dauernd wurden die südlichen S. erst von ihrem Joche befreit, als die Awaren durch Karl den Großen (706) u. die Bulgaren (807) vollständig vernichtet wurden. Unter den Einfällen der Magyaren (889), Petschenegen (vor 900) u. Kumanen litten zwar die S. bedeutend, doch bewahrten sie ihre Unabhängigkeit. Die Stiftung der beiden Monarchien in Rußland (862) u. in Polen (um 840) schützten endlich das Slawenthum u. damit Europa vor den Angriffen der östlichen Barbaren. Im letzten Viertel des 8. Jahrh. begann aber, nachdem der Drang nach Westen nachgelassen hatte, auch die Reaction der Deutschen den S. gefährlich zu werden. Karl der Große vereinigte 788 Baiern, Oberösterreich, Steyermark, Tyrol, Kärnten u. Krain (zusammen Körutanien genannt, mit den Korutanischen S.) mit seinem Reiche, unterwarf 789 die Wilzen zwischen Elbe u. Oder, 788 ff. Istrien, Dalmatien u. Pannonien (die Kroaten), 803 Mähren u. 806 die Sorben zwischen Elbe u. Saale; doch ließ er denselben ihre Sitze u., mit Ausnahme der Korutaner, ihre eigenen Herrscher. Gegen die angrenzenden S. wurde von den gegen sie errichteten Marken ein fortwährender Krieg geführt, u. dieselben wurden in den Grenzländern, wie Meißen, Lausitz, Brandenburg, Pommern, Steyermark, Krain, Kärnten etc. größtentheils entweder ausgerottet od. germanisirt. Die Tschechen schützte die feste Lage Böhmens. Als die Obotriten, denen Karl der Große Mecklenburg zum Wohnsitz angewiesen hatte, im 11. Jahrh. ihre Unabhängigkeit zu erlangen versuchten, scheiterte dieser Versuch an dem Widerstande der sächsischen Herzöge u. der Dänen; sie wurden endlich germanisirt, die slawischen Fürsten haben sich aber in Mecklenburg erhalten. Unter der Herrschaft der Karolinger versuchte zuerst Swatopluk den S. die Unabhängigkeit zu verschaffen; er vereinigte die durch die Awaren getrennten S. nach deren Untergange zu dem Großmährischen Reiche, welches Mähren u. den größten Theil von Ungarn umfaßte, u. welches er über die gesammten S. zwischen Ostsee u. Adriatischem Meere auszudehnen beabsichtigte. Dieses Reich bereitete Deutschland eine große Gefahr; daher rief Kaiser Arnulf die Magyaren herbei u. besiegte mit deren Hülfe Swatopluk 1894, dessen Reich unter dem steten Anstürmen der Magyaren bald zerfiel (907). Die Eifersucht zwischen dem Abend- u. Morgenländischen Kaiserthum begünstigte die ost- u. südslawischen Reiche in ihrer Entwickelung; sie erlangten ihre Unabhängigkeit u. wurden mächtige Königreiche, so Kroatien um 990, Dalmatien 1050, Serbien 1073, Slawonien (bis ums 11. Jahrh. mit Kroatien vereint), Bosnien u. Bulgarien. Allein dieselben unterlagen, bei der politischen Unfähigkeit der S. u. ihren steten Kriegen unter einander, nach langen Kämpfen ihren Nachbarn, Ungarn, Österreich u. der Türkei; so fiel Kroatien 1102 an Ungarn u. mit diesem 1526 an Österreich; Slawonien 1163 an Ungarn, 1524 an die Türkei, 1699 an Österreich; Böhmen u. Mähren 1378 (1382) an Österreich; Serbien 1389 u. 1699 nach österreichischer Herrschaft, unter welcher nur das Banat blieb, von 1718 an die Türkei; Bulgarien 1392 an die Türkei u. Bosnien 1528 ebenfalls an die Türkei. Polen, welches lange Zeit hindurch das mächtigste Slawenreich gewesen war, fiel 1795 gänzlich an Rußland, Österreich u. Preußen, 1846 fiel mit Krakau das letzte polnische Überbleibsel u. wurde Österreich einverleibt. Rußland ist der einzige unabhängige slawische Staat u. hat mit der Zeit eine ungeheure Ausdehnung in Europa, in Asien u. selbst in Amerika u. eine ungemessene Macht erlangt.
Die Wohnsitze der S. sind sehr ausgebreitet. Dieselben sind das herrschende od. wenigstens das zahlreichste Volk in dem Gebiete, welches sich von den mittelasiatischen Gebirgsketten im Süden bis an die Ostsee u. das Eismeer im Norden, von der Oder u. oberen Elbe im Westen bis an die Behringsstraße im Osten ausdehnt; selbst wenn man nur die europäischen Slawenländer in Betracht zieht, so haben sie unter allen europäischen Völkern die größte Ausdehnung. Das Hauptgebiet ist die Sarmatische Tiefebene, das ursprüngliche Vaterland, welches zu Ackerbau u. Viehzucht einlud; dagegen sind die S. dem Handel größtentheils entfremdet geblieben. Eigenthümlich ist nämlich der Umstand, daß sie sich nie des Meeres bemächtigten (nur in neuerer Zeit haben sie sich dem Eismeer, der Ostsee, dem Schwarzen u. Mittelmeere genähert, doch ist der Verkehr noch immer in den Händen anderer Nationen) u. sich selbst von den großen Strömen, wie Elbe, Oder, Weichsel u. Donau von anderen Völkern verdrängen ließen. In dem ausgedehnten Gebiete von gewaltigen u. unförmlichen Räumen, welches nicht compact u. fest geschlossen, sondern in eine Menge Gruppen u. kleine Theile getrennt ist, liegt ein Hauptgrund von dem Stillstand in der Entwickelung der S. u. ihrer gewaltigen Zersplitterung in politischer, kirchlicher u. sprachlicher Hinsicht, Verhältnisse, welche durch den zweiten Umstand noch erhöht werden, daß auf diese Weise den S. das Element der Vermittelung verloren ging.
Die S. theilten sich von früher Zeit in zwei Hauptstämme: die Ost- u. Westslawen, von einander getrennt durch die Karpaten u. die 60 Meilen langen u. oft 30 Meilen breiten Sümpfe u. Wälder Lithauens u. Wolhyniens, daher in geringer Berührung mit einander stehend, jene lange Zeit abgeschlossen vom europäischen Verkehre u. dem orientalischen Einflusse offen, diese in ihrer Entwickelung dem Geiste Westeuropas offen u. denselben[200] zum Theil in sich aufnehmend. Vom größten Einflusse, wie für die Machtentwickelung, so. für die Stammbildung der S. war die Einwanderung der Magyaren; diese unterbrachen den Zusammenhang zwischen den S., welche an der mittleren u. unteren Donau u. in der griechischen Halbinsel saßen, u. denen im osteuropäischen Tieflande, während von Westen her die Germanen im Donauthale sich zwischen jene u. die Westslawen einkeilten. Auf diese Weise entwickelte sich in den Süddonauländern unter dem Einflusse der localen Eigenthümlichkeiten u. der thrakisch-illyrischen, theilweise romanisirten Urbevölkerung, sowie der eingewanderten keltischen u. germanischen Elemente aus dem dortigen ursprünglichen Oststamm ein dritter Volksstamm der Südslawen. Nach Schafarik gibt es 78,691,000 S. (welche Zahl jedoch mindestens um 2–3 Mill. zu hoch gegriffen scheint, s. weiter unten). Die drei Hauptstämme spalten sich wieder in eine Menge untergeordneter Stämme, nämlich:
A) Ostslawen od. Russen: 51. 184,000 Seelen u. zwar:
a) Großrussen (Welikoruski), 35,300,000, hauptsächlich im Gebiete der Oka u. oberen Weichsel, von wo aus sie sich durch ganz Nordasien u. Nordeuropa in einzelnen Colonien verbreitet haben; früher in viele Stämme zertheilt, welche aber jetzt vereinigt sind, daher sie ein festes, in sich einiges Ganzes bilden; sie haben sich im Laufe der Zeit mit den benachbarten Völkern (Finnen, Türken u. Mongolen) gemischt u. nehmen auch jetzt noch viele fremde, bes. asiatische Elemente in sich auf; daher sie den Asiaten in Gestalt, Sitte, Sprache u. Staatsverfassung ähnlicher sind, als andere S. Aus ihnen gingen die großrussischen Kosacken an dem Don u. der Wolga hervor.
b) Kleinrussen (Malorossianen), 13,140,000, ebenfalls früher in eine Menge Stämme zerspalten, welche aber gegenwärtig verschmolzen sind, wohnen bes. im Gebiete des Dniepr, von wo sie bis an das Schwarze Meer, an die Karpaten ins Gebiet des Dniestr nach Galizien u. der Bukowina u. über die Karpaten nach Ungarn vorgedrungen sind; in den beiden letzten Sitzen heißen sie Ruthenen, welche wieder mehre örtliche Namen (Lippowaner u. Huzulen in der Bukowina, Boiken, Lemki etc.) haben. Aus den Kleinrussen gingen die kleinrussischen Kosacken in der Ukraine hervor. Sie haben sich vielfach mit Tataren vermischt.
c) Weißrussen (Beloruski, 2,726,000, am oberen Dniepr, der oberen Düna u. der benachbarten Nebenflüsse, waren stets ihren Nachbarn unterworfen u. bilden den Übergang zu den Polen.
B) Westslawen 16,674,000:
a) Polen (Polaki, Polanen, d.h. Ebenenbewohner, über gewöhnlich Lechen, d.i. Landbesitzer), 9,365,000, im Gebiete der Weichsel, mit Ausnahme des Gebietes des Bug, wo Kleinrussen, u. desjenigen der Warthe, wo Deutsche wohnen, u. an der oberen Oder. Sie standen von jeher mit den Westeuropäern, bes. den Deutschen, in Verkehr u. erhielten von Letzteren ihre Cultur. Man unterscheidet unter ihnen Groß- u. Kleinpolen, ferner Kassuben an der Ostsee in Pommern u. Massuren an der Weichsel in Preußen; die eigentlichen Polen (in Polen u. Galizien) heißen als Bewohner der Gebirge Gorälen, als Bewohner der Ebene Lechen.
b) Tschechen (Czechi), 7,167,000, in den Quellgebieten der Elbe, March, Waag, Gran u. Neitra, seit langer Zeit unter deutschem Einflusse stehend, zerfallen in: aa) Böhmen (eigentliche Tschechen) in Böhmen u. Schlesien; bb) Mähren (mährische Tschechen) mit den Hanaken, Horaken u. mährischen Slowaken in Mähren u. Schlesien, beide zusammen 4,414,000; cc) Slowaken in Nordungarn u. sonst vielfach zerstreut, 2,753,600.
c) Wenden (Sorben, Lausitzer), die Überbleibsel der Poabischen S., 142,000 Seelen, im Quellgebiete der Spree u. Schwarzen Elster, zerfallen in Ober- u. Niederlausitzer, stehen ganz unter deutschem Einflusse u. werden mehr. u. mehr germanisirt.
C) Südslawen (Illyrische S. im weiteren Sinne) 10,833,000:
a) Illyrier im engeren Sinne, 7,246,000: aa) Slowenen (Winden, Korutaner, Slowenzi), 1,151,000, in den oberen Thälern der Drau, Sau u. Mur in Kärnten, Krain u. Steyermark, sonst zerstreut, heißen Krainer, Karster u. Poiker in Krain u. im Görzischen, Savriner u. Perkiner in Istrien, Slowenen u. Wenden in Kärnten, Untersteyermark u. im Venetianischen; sie sind unter allen Südslawen am meisten mit den Deutschen vermischt, von denen sie Gesittung u. politische Institutionen empfingen, sind am nächsten verwandt mit den Kroaten u. Dalmatinern, mit denen zusammen sie auch Illyrier im engsten Sinne heißen. bb) Kroaten (Chorwati), 801,000, an der mittleren Drau u. Sau, bilden den Übergang von den Slowenen zu den Serben, welchen letzteren sie nahe verwandt sind; man unterscheidet Slowenokroaten u. Serbokroaten. cc) Serben (Illyrier im engeren Sinne, Serbi), 5,294,000, in den Gegenden des Zusammenflusses der Donau, Drau u. Sau u. an vielen Nebenflüssen derselben, wie der Morawa, Drina, Bosna etc. u. in den illyrischen Gebirgen, zerfallen in eine Menge kleiner Stämme, die eigentlichen Serben in Serbien, der Wojwodschaft, Slawonier in Slawonien, Rascier (Raizen) in Ungarn, Bosniaken in Bosnien, Morlakken, Dalmatiner, Ragusaner, Cattarer, Bocchesen in Istrien u. Dalmatien, Uskoken in Krain, Montenegriner in Montenegro etc. b) Bulgaren (Bol gari), 3,587,000, auf der Nord- u. Südseite des Balkan, im Norden bis zur Donau, im Süden bis in die Thäler von Macedonien u. Thracien u. in die Nähe des Ägäischen Meeres, zwischen Serben u. Russen in der Mitte stehend; das tatarische Urvolk der Bulgaren, von denen sie den Namen haben (s. oben), hat viel tatarisches Wesen zurückgelassen. Nahe verwandt mit S. sind die Wlachen, entstanden aus der Verschmelzung von Romanen mit S., u. die Griechen, aus der Mischung der S. mit der griechischen Urbevölkerung entstanden.
Was die politische Stellung der S. anlangt, so zeigen dieselben eine geringe Entwickelung, geringe Energie u. Organisationskraft u. eine merkwürdige politische Unfähigkeit. Fast alle staatlichen Bildungen bei den S. sind durch Fremde, bes. Germanen, hervorgerufen worden (Samo in Böhmen, Waräger in Rußland etc.); Städtewesen, Gewerbe, Künste, Handel, Bürgerklassen, Alles nahmen die S. aus der Fremde. Einen Mittelstand vermochten sie nicht zu schaffen; seine Stelle vertreten Fremde (Juden in allen slawischen Ländern, Deutsche in Österreich, Polen, Rußland, Armenier in Rußland, Bulgarien etc.). Auch der Adel ist größtentheils nicht national, sogar die Herrscher sind alle Ausländer. Die S. haben ursprünglich nur einen einzigen Stand, die Bauern. Die S. hatten in ihren Staaten zu allen Zeiten die [201] Extreme, entweder die äußerste Grenze der Ordnung, den Despotismus, od. die ungezügelte Freiheit; zu einer heilsamen Verschmelzung der Freiheit mit der Ordnung haben sie es nicht bringen können. Diese politische Unfähigkeit war der Grund, daß die slawischen Reiche den Nachbarstaaten unterlagen. Gegenwärtig besteht nur ein slawisches Reich, das russische. Allein selbst dieser Staat enthält eine Menge fremder Elemente; die Gründung verdankt er den Germanen; in den Städten ist eine starke deutsche, griechische u. italienische Bevölkerung, in deren Händen Gewerbe u. Handel sich befinden; der Adel besteht mehr aus fremden (skandinavischen, deutschen, kaukasischen, romanischen, tatarischen, mongolischen), als einheimischen Elementen; das Herrscherhaus ist deutsch. Der Despotismus ist den Asiaten, die Civilisation den Germanen entnommen, u. wie früher, sind noch heute die meisten großen Diplomaten, Staatsmänner u. Feldherren Deutsche. Alle Slawen, welche nicht Rußland unterworfen sind, sind fremden Reichen unterthan. Nach Schafarik gehören zu Rußland 53,502,000 od. fast 2/3 (nach russischer Angabe höchstens 521/2 Mill., nach Anderen um 45–48 Mill.), zu Österreich 16,921,000 od. über 2/9 (nach der Zählung von 1846 nur 15,282,196), zur Türkei 6,100,000 (u. zwar in der eigentlichen Türkei 4,099,000, in Serbien 950,000, in Montenegro 160,000), zu Preußen 2,300,000 (nach officiellen Angaben 18582,259,596), zu Sachsen 60,000 (nach der Zählung von 1849_: 49,217) Die Groß- u. Weißrussen gehören ganz zu Rußland, die Kroaten, Slowenen u. Slowaken ganz zu Österreich, ebenso die Tschechen mit nur unbedeutender Ausnahme, indem 44,000 unter Preußen stehen; die Bulgaren gehören, bis auf 80,000 russische u. 7000 österreichische, bei weitem überwiegend zur Türkei. Von den Kleinrussen gehören 10.370,000 zu Rußland, 2,774,000 zu Österreich. Von den Wenden 82,000 zu Preußen, 60,000 zu Sachsen. Am meisten sind politisch zersplittert die Serben u. Polen; von den Serben gehören 2,594,000 zu Österreich, 2,600,000 zur Türkei, endlich 10,000 zu Rußland; von den Polen gehören 4,912,000 zu Rußland, 2,471,000 zu Österreich, 1,982,000 zu Preußen.
Auch hinsichtlich der Religion sind sie zersplittert. Schon in den ältesten Zeiten scheinen sie ihre religiösen Anschauungen u. Culte von Fremden gewonnen zu haben. Das Christenthum ließen sie sich von ihren Nachbarn aufdrängen u. nahmen, je nach deren Glauben, die Römisch- od. Griechisch-Katholische Confession an; ja selbst zum Muhammedanismus ließen sie sich bekehren. Innige Begeisterung für die Religion hat sich bei ihnen nie gezeigt; sie haben keine tiefen Denker u. Reformatoren, keine Glaubenshelden erzeugt u. senden bis jetzt noch keine Missionäre aus. Das Christenthum erhielten sie zuerst von Byzanz, u. so breitete sich die Griechisch-Katholische Confession über die Bulgaren, Serben u. Kroaten, Russen, Slowaken, Mähren u. selbst die Tschechen aus. Der Gottesdienst wurde in der nationalen Sprache (s. Kirchenslawisch) abgehalten u. die Kirche bediente sich der Cyrillischen Schreibweise (s. weiter unten). Die Polen, Korutaner u. Wenden wurden sogleich Anfangs römisch-katholisch, u. nach u. nach gelang es auch die Kroaten, Böhmen, Mähren u. Slowaken für Rom zu gewinnen u. den griechischen Cultus durch den lateinischen zu verdrängen. Die Serben schwankten lange zwischen beiden Confessionen, wandten sich aber später mehr dem Griechenthum zu. Selbst einen Theil der Kleinrussen gewann der Papst, ohne ihnen den griechischen Cultus zu nehmen. Seitdem aber der russische Czar zugleich kirchliches Oberhaupt ist u. Rußland so bedeutend an Macht gewonnen hat, macht die Griechische Kirche gegen die Römische Fortschritte; sie führte einen großen Theil der Unirten Griechen mit Gewalt zurück u. gewann selbst unter den Polen Anhang (s. Russische Kirche). Auch der Protestantismus fand bei den S. Eingang, bes. bei den Tschechen u. Wenden, aber auch bei den Südslawen. Im Ganzen gehören die Westslawen zur Römischen, die Ost- u. Südslawen zur Griechischen Kirche. Die Mehrzahl der S. gehört zur letzteren, u. die S. sind als ihre Vertreter anzusehen. Gegenwärtig sind die S. auf folgende Weise unter die verschiedenen Religionen vertheilt: 53,900,000 gehören zur Griechischen Kirche, 2,990,000 sind Griechisch-Unirte, 19,359,000 Römisch-Katholische, 1,531,009 Protestanten, 800,000 Muhammedaner. Die Großrussen sind alle Griechen, von den Kleinrussen 10,154,000, indem 2,990,000 (meist österreichische Ruthenen) Griechisch-Unirte sind; von den Weißrussen 2,376,000, indem 350,000 Römisch-Katholische sind, so daß von sämmtlichen Russen 40,780,000 od. 4/5 griechisch sind. Auch die Bulgaren sind überwiegend griechisch, nämlich 3,287,000, nur 50,000 sind Protestanten u. 250,000 Muhammedaner. Die Serben sind auch hinsichtlich der Religion am zersplittertsten; von ihnen sind 2,880,000 Griechen, 1,860,000 Römisch-Katholische u. 550,000 Muhammedaner. Die Kroaten sind alle katholisch; überwiegend katholisch sind die Winden, nämlich 1,138,000 katholisch u. 13,000 protestantisch; die Polen, nämlich 8,923,000 katholisch u. 442,000 protestantisch, u. die Böhmen u. Mähren, nämlich 4,270,000 katholisch u. 144,000 protestantisch, u. die Slowaken, von denen 1,953,000 katholisch u. 800,000 protestantisch sind. Die Wenden sind überwiegend protestantisch, nämlich 132,000, nur 10,000 sind katholisch.
In Bezug auf Sprache u. Literatur ist die Mannigfaltigkeit nicht geringer. Die Slawische Sprache gehört zu dem Indo-europäischen Sprachstamme (s. Slawische Sprachen). Die Entwickelung der verschiedenen Schriftsprachen u. Literaturen der S. hängt eng mit der Religion zusammen. Cyrillus (s.d. 4) bildete für die S. ein Alphabet aus dem Griechischen u. schrieb mit diesem zunächst in der Altbulgarischen Sprache. Dieses Alphabet dehnte sich mit der griechischen Lehre über die Bulgaren, Serben u. Russen aus, ja gelangte selbst zu den Tschechen. Die Bemühungen des Papstes u. der Deutschen, welche die Westslawen für den Katholicismus gewannen, vereitelten die Verbreitung der Einen Schriftsprache über alle Slawenstämme. Die Westslawen nahmen mit dem römisch-katholischen Cultus das lateinische Alphabet an. Bei den Ost- u. Südslawen entwickelten sich Sprache u. Literatur früh. Die Bulgaren hatten bereits im 10., die Russen im 11. Jahrh. eine Literatur u. zwar beide in der Altslawischen Sprache. Nachdem die Russen das Mongolenjoch abgeworfen hatten, wendeten sie sich ihrer Literatur wieder eifrig zu; doch bedienten sie sich nun ihrer Volkssprache u. zwar immer mehr des Großrussischen, während das [202] Klein- u. Weißrussische in Verfall gerieth. Anfangs gebrauchten sie die Cyrillische Schrift, änderten sie aber zum bequemeren Gebrauch allmälig ab. So kommt es, daß in Rußland zwei Schriftsprachen bestehen: das Altslawische (Kirchenslawische, s.d.) in allen Kirchenschriften u. im Gottesdienste, u. das Neurussische in der weltlichen Literatur u. im außerkirchlichen Verkehr; desgleichen zwei Alphabete: das Cyrillische od. die Kirchenschrift u. das neurussische od. die Civilschrift, welche der lateinischen näher gebracht ist. Ähnlich entwickelten die Serben ihre Literatur; sie behielten das Altslawische für die Kirche u. bildeten eine neue Literatursprache, für welche sie die neurussische Civilschrift annahmen. Dasselbe thaten die Bulgaren, deren Literatur aber unbedeutend ist. Unter den Westslawen bildeten zunächst die Tschechen, seit dem 13., u. die Polen, seit dem 14. Jahrh., Literatur u. Sprache aus. Sie nahmen beide das lateinische Alphabet an; seit Erfindung der Buchdruckerkunst bedienten sich die Polen der lateinischen, die Tschechen der deutschen Lettern; erst in neuester Zeit nahmen Letztere ebenfalls die lateinischen an Bei den dalmatinischen S. fand Anfangs ebenfalls das Cyrillische Alphabet Eingang; um dasselbe u. mit ihm den griechischen Cultus zu verdrängen, erfand die Katholische Kirche (1150) ein anderes, das sogen. Glagolitische, welches mit dem Cyrillischen Ähnlichkeit hat u. sich Eingang verschaffte; damit änderte sich auch die Orthographie u. die Sprache etwas u. es bildete sich eine eigene, die Glagolitische Literatur, welche sich jedoch auf die Kirche beschränkte Bei den Südslawen, mit Ausnahme der Serben, errang kein Dialekt die Herrschaft in der Literatur, u. es zeigt sich hier die größte Zersplitterung: die kroatischen, slowenischen, slawonischen, bosnischen, dalmatinischen Dialekte nahmen zwar alle das lateinische Alphabet an, allein mit großen Abänderungen. Die Winden in Kärnten u. die Wenden in der Lausitz begannen ihre Literatur erst zur Zeit der Reformation u. nahmen, jene die lateinischen, diese die deutschen Lettern an welche erst in neuester Zeit den lateinischen wichen. Die Ruthenen in Galizien u. Ungarn haben erst, nachdem 1848 die Selbständigkeit mit ihrer Nationalität von der österreichischen Regierung anerkannt worden, ihr Alphabet u. ihre Orthographie geordnet; nach langem Streite entschieden sie sich für das lateinische Alphabet. Hiernach herrscht das neurussische Alphabet bei 54 Mill., das lateinische, jedoch in zahlreichen Modificationen, bei 24 Mill. Unter den Slawischen Sprachen selbst unterscheidet man zwei Hauptgruppen, eine südöstliche u. eine nordwestliche (s.u. Slawische Sprachen A) u. B), welche wieder in viele Dialekte u. diese gegenwärtig wieder in eine fast unzählige Menge Nebendialekte u. Untermundarten zerfallen. Innerhalb der beiden Hauptgruppen verstehen die einzelnen Stämme einander; doch ist dies nicht zwischen allen Süd- u. eigentlichen Ostslawen der Fall, welche sich sehr entfremdet sind.
Erst im 19. Jahrh. wurden die S. ihrer Stammverwandtschaft sich bewußt. Der Enthusiasmus für Nationalität, Selbständigkeit, Sprache, Volksthümlichkeit, Geschichte, welcher sich nach Abwerfung des französischen Joches der Deutschen bemächtigt hatte u. sich in der Literatur geltend machte, theilte sich auch den S. mit. Überall suchten dieselben ihre Alterthümer hervor, sammelten Volkslieder etc.; überall entstanden patriotische Vereine für Ausbildung der Sprache u. Literatur u. Sprachreinigung, so in Prag, wo 1830 ein derartiger Verein entstand u. 1832 ein Fond zur Unterstützung der Herausgabe böhmischer Bücher gegründet wurde, in Pesth, Agram etc. u. selbst in Moskau; überall wurden Grammatiken u. Lexika der verschiedenen Dialekte geschrieben. Die S. in Ungarn u. dessen Nebenländern traten den Magyarisirungsbestrebungen, denen sie Anfangs, wie z.B. die Kroaten nach 1830, selbst entgegenkamen, entschieden entgegen, u. es entspann sich ein Kampf, welcher bis in die neueste Zeit anhielt, u. die Russen u. Tschechen suchten sogar fremde Nationalitäten zu slawisiren. Ferner suchten einzelne slawische Stämme, um den Untergang um so sicherer zu verhüten, sich zu einem größeren Ganzen zu vereinigen. Die Böhmen begannen aus ihrem Dialekte u. denjenigen der Mähren u. Slowaken eine einzige Tschechische Sprache herauszubilden; die Illyrier strebten ebenfalls dahin, ihre Dialekte in eine einzige Sprache zu vereinigen, u. es erblühte bei ihnen seit 1835 eine reiche Literatur. Nach u. nach trat immer mehr die Idee einer allgemeinen Vereinigung der sämmtlichen S., welche nur durch unglückliche Ereignisse zerspalten u. zerrissen seien, zu einem Ganzen, d.h. dem Panslawismus, dem Allslawenthum, hervor. Dieser Gedanke ist aber nicht den Herzen der Völker u. ihren Bedürfnissen entsprungen, sondern ist ein künstliches Product. Er wurde zuerst von Kollár in Die literärische Wechselseitigkeit zwischen den Stämmen u. Mundarten der Slawischen Nation (1831) ausgesprochen, u. nun fing man an die slawischen Stämme u. Zustände als ein Ganzes anzusehen, so Schafarik in seiner Geschichte der Slawischen Sprache u. Literatur (1826), Abkunft der S. (1828), Slawische Alterthümer (1837, deutsch von Mosig von Ährenfeld, Lpz. 1843); Maciejowski in seiner Slawischen Rechtsgeschichte (1832 ff.); Mickiewicz in seiner Vergangenheit u. Zukunft der S. (1832). Dieses sind die Hauptwerke, welche den Panslawismus vom wissenschaftlichen Standpunkte betrachten. Das erste Stadium blieb aber ein rein literarisches. Neben der Verbreitung der Einheitsidee ließ man sich vor Allem angelegen sein, trotz der Hindernisse, welche die sprachliche Zersplitterung bereitete, auf eine gemeinsame Slawische Sprache hinzuarbeiten. Zunächst modelte man an den Alphabeten u. der Orthographie; die Tschechen u. Wenden nahmen, um sich den Polen zu nähern, die lateinischen Lettern an: selbst einzelne russische Bücher sind bereits mit lateinischen Lettern gedruckt, was zuerst Schlözer im vorigen Jahrh. thun ließ. Man bereicherte ferner die verschiedenen Dialekte aus dem Altslawischen u. nahm Einzelnes aus den anderen Dialekten auf. Freilich machte man dadurch vorläufig dem Volke die Literatursprache nur unverständlicher; doch hoffte man auf allmälige Gewöhnung. Man stellte die verschiedenen slawischen Schriftsteller als Gemeingut aller Stämme hin; vergleichende Wörterbücher u. Sprachlehren wurden geschrieben etc.; der Prager Slawencongreß (s. weiter unten) schlug die Gründung einer slawischen Akademie, einer großen panslawistischen Centralbibliothek u. einer slawischen Centralzeitschrift vor. Das Centralorgan erschien, u. zwar in Deutscher Sprache, denn die einzelnen Dialekte sind nur in kleinen Kreisen verständlich, nicht für das Ganze[203] Auch haben die Panslawisten nicht nur mit ihren verschiedenen Sprachen u. Literaturen zu kämpfen, sondern sogar mit den fremden. Denn die geringe Verbreitung u. Ausbildung der einzelnen Dialekte, die Abhängigkeit in politischer, vor Allem in culturhistorischer Hinsicht begünstigt das Studium der fremden Sprachen: in Rußland hat bei den Gebildeten das Französische, bei den österreichischen S. das Deutsche, bei den Dalmatinern das Italienische den Vorrang vor dem Einheimischen. Daher werden alle auf sämmtliche S. berechnete Werke deutsch, zum Theil französisch geschrieben, die panslawistische Sprache erwartet noch ihre Erfindung, wenn nicht die Deutsche als solche angenommen wird, welche der Tscheche Purkinje noch 1862 auf der Karlsbader Naturforschergesellschaft als die einzig möglich panslawistische Sprache erklärte. Das zweite Stadium des Panslawismus wird durch den literarischen Krieg bezeichnet, welchen er gegen die benachbarten Nationalitäten, bes. gegen die deutsche, unternahm. Nach den Schilderungen slawischer Schriftsteller war bei den S. in alten Zeiten Freiheit u. Ordnung; den Despotismus, die Knechtschaft u. die Anarchie brachten die Deutschen; alles Schöne u. Gesittete reclamiren sie für die S., alles Schlechte, Wilde u. Unmoralische bürden sie den Deutschen auf; ihrer Behauptung nach ist die Geschichte von den deutschen Historikern gefälscht worden. Es gibt kein großes Ereigniß, keinen großen Gedanken, keine Erfindung, keinen großen Mann, welchen sie nicht für die S. in Anspruch nehmen. Weiter reclamirte man deutsche Gebiete als slawische, so fast alle, welche einmal von S. bewohnt waren, wie Pommern, den größten Theil von Westpreußen, einen großen Theil von Schlesien, Mähren, Böhmen u. die Lausitz. Allein in die Länder, in welche die S. nach theilweiser Verlassung von Seiten der Deutschen einzogen u. welche sie allerdings durch Anbau als ihr Vaterland gewannen u. in denen sie Wohnsitze, Berge, Flüsse etc. mit slawischen Namen bezeichneten, wandten sich bereits seit dem 9. u. 10. Jahrh. wieder deutsche Ansiedler. Die Kämpfe zwischen ihnen u. den S. erzeugten die merkwürdige Völkermischung in jenen Gegenden; es entstanden aber nicht, wie bei der Mischung der Deutschen mit der gebildeten u. kräftigen Urbevölkerung im Westen, neue Völker, die Mischung war eine mehr mechanische, indem die Deutschen, welche Handel u. Gewerbe einführten, die S., welche zu keiner geistigen Entwickelung gekommen waren u. sich in inneren Kämpfen aufrieben, verdrängten od. ihnen deutsches Gepräge aufdrückten, während die Rückwirkung der S. höchst unbedeutend war. Nirgends gelang es ihnen, außer bei ganz sporadischen Colonien, die Deutschen zu vertilgen od. zu slawisiren. In Hannover, Holstein, Lauenburg u. Mecklenburg ist das Slawenthum völlig vernichtet, indem die S. entweder ausgerottet od. germanisirt wurden; desgleichen in der preußischen Provinz Sachsen, Anhalt, Altenburg u. im Königreich Sachsen diesseit der Elbe. Im Osten der Elbe u. im Erzherzogthum Österreich haben sich Trümmer u. Überreste der S. erhalten. Das Erzherzogthum Österreich ist bis auf einige Überbleibsel, welche allerdings stark hervortreten, völlig deutsch; in Sachsen jenseits der Elbe u. in Brandenburg sind bedeutende Überreste in der Lausitz, welche jedoch immer mehr germanisches Wesen annehmen u. deren Gebiet immer mehr zusammenschmilzt; sonst ist bes. in Brandenburg, wohin seit dem 10. Jahrh. Deutsche einwanderten, das slawische Element in die zahlreichen daselbst angesiedelten Völkerstämme übergegangen. Pommern wurde seit dem 12. Jahrh. germanisirt; nur im Osten wohnen noch die polnischen Kassuben; in Ost- u. Westpreußen sind die Städte sämmtlich von Deutschen welche von polnischen Herzogen gerufen wurden, gegründet worden. Auch in Polen u. Posen hatten bereits viele Städte (wie Krakau, Posen etc.) im 13. Jahrh. deutsches Städterecht u. mithin sicherlich überwiegend deutsche Bevölkerung, u. im 14., 15. u. 17. Jahrh. nahm die Zahl dieser Städte bedeutend zu; ja die deutschen Colonien verbreiteten sich selbst jenseit der Weichsel. Niederschlesien, wo die Germanisirung bereits im 13. Jahrh. sehr weit gediehen war, ist seit langer Zeit deutsch; in Oberschlesien ist fast die ganze linke Oderseite deutsch; auf dem rechten Oderufer u. in Österreichisch-Schlesien ist die Bevölkerung gemischt, wie in Posen u. allen Grenzländern, so daß daraus kein Besitztitel für die S. entspringt. Böhmen u. Mähren sind zwar überwiegend von S. bewohnt, allein sie sind deutsche Stammlande, u. die zahlreiche daselbst wohnende geschlossene u. selbst die S. durchsetzende deutsche Bevölkerung zeigt hinlänglich, daß die Länder nicht slawisirt sind, vielmehr schreitet daselbst die Germanisirung vor. Dasselbe gilt von Steyermark, Kärnten u. Krain. Das dritte Stadium des Panslawismus war die politische Thätigkeit desselben. Kollár sagte, als er die Idee des Panslawismus aufstellte, derselbe sei den Herrschern nicht gefährlich, er wolle nur die slawische Nationalität ausbilden, dagegen alle politischen Verhältnisse unverändert lassen. Allein bald änderte sich dies. Bei keinem der Kämpfe der S. für Freiheit zeigte sich bis 1831 auch nur eine Spur von Panslawismus; ja in der Polnischen Revolution war gerade der Russenhaß das hauptsächlichste Agitationsmittel. Der erste Anstoß zu den politischen Bestrebungen des Panslawismus scheint von Rußland durch die Pentarchie (s.d. 2) 1842 ausgegangen zu sein. Dieselbe wies alle S. auf Rußland als ihren Mittelpunkt, u. andere Schriftsteller bestrebten sich der Idee Eingang zu verschaffen, daß sich alle slawischen Stämme unter der russischen Oberherrschaft vereinigen müßten; selbst unter den polnischen Emigranten fand das Project Anklang, unter der Bedingung, daß Rußland liberale Institutionen annehme. Der polnische Aufstand von 1846 zeigte bereits deutliche panslawistische Spuren; die Bewegung sollte sich über Polen, Kleinrußland, Böhmen, Mähren, Ungarn u. das türkische Donauland erstrecken. Man hat Rußland vorgeworfen, es habe die Hand im Spiele gehabt; allein dies kann nicht nachgewiesen werden. Jedenfalls erneute die Unterdrückung des Aufstandes durch Österreich u. Preußen den Haß gegen die Deutschen u. erhöhte die Begeisterung für den Panslawismus. Die Revolution des Jahres 1848 u. das zur Geltung gebrachte Princip der Nationalität ließ auch bei den S. neue Ansprüche u. Hoffnungen entstehen. Die Polen in Posen verlangten eine nationale Reorganisation u. völlige Trennung der Provinz von der Preußischen Monarchie, u. Preußen schied in der That den mehr polnischen Theil von dem in Deutschland aufzunehmenden aus (was aber später ohne Folge blieb). In Galizien beanspruchten die Polen Ähnliches, die Ruthenen aber die Theilung [204] Galiziens in eine polnische u. eine ruthenische Provinz, beides ohne Erfolg; doch erreichten die Ruthenen die Anerkennung ihrer Nationalität. Die heftigste Bewegung war unter den Tschechen, Serben u. Kroaten. Die österreichischen S. bezweckten Österreich zu einem Slawenreiche zu machen. Die Tschechen verlangten eine Vereinigung von Böhmen, Mähren u. Schlesien u. eine provinziale u. nationale Selbständigkeit dieser Länder; sie bestrebten die Untergrabung der deutschen Nationalität in diesen Ländern u. die Lossagung von Deutschland, indem sie die Wahlen zum Deutschen Parlamente verweigerten. Die Serben u. Kroaten erhoben sich in Verbindung mit den Wlachen gegen die Bestrebungen der Magyaren u. entzündeten, indem sie die Rechte ihrer Nationalitäten wahren wollten, einen erbitterten Racenkrieg in Südungarn, welcher jedoch später in einen specifisch österreichischen überging. Die S. erlangten nun die Anerkennung Slawoniens u. Kroatiens, sowie Dalmatiens als besonderer Kronländer u. die Constituirung der Serbischen Wojwodschaft u. des Temeser Banates als eines besonderen Verwaltungsgebietes. Illyrien u. Steyermark endlich forderten ebenfalls ein selbständiges slawonisches Königreich.
Um in die slawischen Bestrebungen Einheit zu bringen u. die panslawistische Einigung herbeizuführen, beriefen die Tschechen einen Slawencongreß nach Prag. Dieser trat am 1. Juni 1848 zusammen; alle Stimme der S. waren vertreten. Man beabsichtigte ein slawisches Schutz- u. Trutzbündniß, nähere u. ununterbrochene Verbindung in Kunst u. Wissenschaft zwischen allen slawischen Völkern, die Abweisung jeder Unterwürfigkeit unter eine fremde Nationalität, die Umgestaltung Österreichs zu einem Föderativstaate gleichberechtigter Nationen. Ehe aber der Congreß, welcher den glühendsten Haß gegen das Deutschthum (der Verständigung wegen in Deutscher Sprache) aussprach, seine Aufgabe löste, wurde er durch österreichische Kanonen gesprengt, u. die Bestrebungen der S. sind im Ganzen ohne Erfolg geblieben. Doch dauert das Streben der Panslawisten nach politischer Einigung fort. Der Endzweck, welchen man erreichen will; scheint weit von den russischen Plänen entfernt zu sein; doch weiß man nichts Genaueres über denselben. Aber selbst die Herstellung eines Westslawischen Reichs hat schwerlich Aussicht auf Erfolg, denn eine Verbindung der Polen mit den germanisirten Westslawen ist nicht mehr möglich, ebenso eine solche. mit den zwar noch nicht germanisirten, aber im Übergange zu deutschem Leben begriffenen Tschechen u. Wenden; denn einmal sind sie geographisch getrennt u. dann sind Letztere bereits so sehr mit germanischen Elementen durchsetzt, daß eine Scheidung der verschiedenen Volkselemente nicht mehr möglich ist. Noch viel unausführbarer erscheint der Plan eines Slawischen Gesammtreichs. Schon die Religion bietet ein für jetzt unüberwindliches Hinderniß: Katholiken u. Griechen stehen einander schroff gegenüber; u. wenn auch eine allgemeine Hinneigung zum Griechenthume nicht zu läugnen ist, so ist doch die Überwindung der Gegensätze, welche sich zwischen Protestantismus u. Muhammedanismus ausspricht, eine Arbeit, welche nur dem langsamen Gange der Jahrhunderte anheim gegeben werden kann. Dazu die politische Verschiedenheit! Polen u. Russen hassen sich vermöge ihrer geschichtlichen Entwickelung; Polen u. Böhmen, obwohl einander näher gerückt, bespötteln sich noch heute gern; die Böhmen, Mähren u. Slowaken lieben einander nicht, u. die Mähren protestirten erst 1848 gegen eine Vereinigung mit Böhmen; die Bulgaren u. Serben sind von bitterem Hasse entflammt; die illyrischen Stämme sind durch Antipathie u. Haß gespalten; ja nicht einmal die Russen sind unter einander einig, indem der Kleinrusse den Großrussen nicht weniger als den Polen haßt. Das Einzige, worin die S. etwa einig sein u. worin sie sich zu Rußland etwa hingezogen fühlen mögen, ist wohl der Wunsch durch Rußland von der Fremdherrschaft befreit zu werden. Bis jetzt hat die Furcht vor einer neuen russischen Unterdrückung von einem näheren Bündnisse mit Rußland zurückgehalten, allein trotzdem sehen sie ihren Schwerpunkt in Rußland. Und sind sie auch trotz der Fremdherrschaft im Genusse einer größeren Freiheit als die Russen, so wenden sich trotzdem die Panslawisten diesen zu, indem sie hoffen, daß endlich auch Rußland einer weiten Entwickelung sich öffnen werde. Zwar hat Rußland noch keinen officiellen Schritt gethan, um den Panslawismus zu befördern, es hat vielmehr öffentlich denselben desavouirt u. Vieles gethan, was die Panslawisten schmerzen mußte. Im Geheimen aber befördert Rußland die panslawischen Ideen. Es hat bereits einen Theil des alten Daciens seinem Reiche einverleibt, es hat die Entstehung der unter seinem Schutze halb souveränen Staaten Montenegro (1796) u. Serbien (1838) veranlaßt, beabsichtigt dasselbe mit Bosnien u. Bulgarien u. hat 1852 Montenegro als souverän anerkannt; es sucht die Sympathien der S. zu gewinnen, wie durch den Aufbau der durch die Magyaren zerstörten serbischen Kirchen etc., u. alles dies geschieht um so leichter, als der Czar als Oberhaupt der Kirche wenigstens auf die griechischen Christen den größten Einfluß hat.
Von folgenreichem Einfluß auf den Gang der Dinge in Österreich sind die südslawischen Bewegungen gewesen. Anerkennung der S. als mit den Magyaren gleichberechtigte Nation im ganzen Umfange der ungarischen Krone war bei Beginn der Ereignisse des Jahres 1848 die Erwartung, in welcher sich alle Elemente der südslawischen Bevölkerung einigten. Als aber das neuernannte ungarische Ministerium nicht undeutlich merken ließ, daß es auf die sprachlichen Ansprüche der Kroaten wie der Serben keine Rücksicht zu nehmen geneigt sei, ja Ludw. Kossuth, damals Finanzminister, einer Deputation der Stadt Neusalz unumwunden erklärte, das Interesse der Krone erheische, daß im Umfange Ungarns keine andere Nation als die magyarische officiell bestehe, begann, angespornt u. gestützt durch die Erhebung in Kroatien, auch in der Batschka u. im Banat der offene Aufstand. Statt der magyarischen Tricolore wurde die blaurothweiße serbische aufgesteckt, die seit einiger Zeit in magyarischer Sprache geführten Kirchenbücher wurden auf offener Straße verbrannt, Gewaltthätigkeiten gegen Magyaren, am blutigsten in Kikinda am 12. (24.) April nahmen ihren Anfang. Die Anerkennung der südslawischen, bezüglich serbischen Nationalität, eine nationale Verwaltung mit einem frei zu wählenden Wojwoden an der Spitze u. die Wiederherstellung des Patriarchats war die Parole der Bewegung. Eine von dem Metropoliten nach Karlowitz ausgeschriebene Volksversammlung am[205] 1. (13. Mai) vereinte die Abgeordneten aller serbischen Gemeinden Kroatiens, Slawoniens u. Syrmiens, der Batschka u. des Banats, u. mit ihnen viele Tausende von Landleuten, Grenzsoldaten u. Gästen aus dem jenseitigen Serbien. Diese Versammlung wählte zuerst einen Patriarchen (den bisherigen Metropoliten Josip Rajatschitsch) u. in der Person des Obersten des Oguliner Regiments Stephan Schuplikatz einen Wojwoden, u. faßte weiter eine Reihe von Beschlüssen, deren wichtigste waren: Die serbische Nation erklärt sich für eine politisch freie u. selbständige unter dem Hause Österreich u. der gemeinschaftlichen Krone Ungarns u. wünscht, daß Syrmien mit der Grenze, die Baranya, die Batschka mit dem Botscheer- u. Tschaikistendistricte, endlich das Banat mit seinem Grenzgebiete u. dem District von Kikinda als eine serbische Wojwodschaft erklärt werden; politischer Verband derselben mit dem dreieinigen Königreich Kroatien, Slawonien u. Dalmatien; Ernennung eines Odbor (Comité) zur Regelung der politischen Beziehungen mit Ermächtigung zur Ernennung eines permanenten Ausschusses in Karlowitz, Erhebung von Geldern aus der Nationalkasse u. Einberufung einer anderweiten Nationalversammlung. Die sofort ernannten Mitglieder des Odbor traten unverzüglich in die Geschäfte ein, wählten den engeren Ausschuß u. schickten Deputationen nach Wien, um die Genehmigung der gefaßten Beschlüsse zu erlangen, u. zum Slawencongreß nach Prag. Nach Abreise dieser Deputationen aber gewannen die entschiedeneren Elemente die Oberhand: der Odbor wählte den jungen Stratimirowitsch zum Vorsitzenden u. nahm den Titel einer provisorischen Regierung der Serbischen Wojwodschaft an; in den einzelnen Gemeinden wurden Unterodbors ernannt, ein Vertheidigungsplan entworfen u. zur Organisation der kampffähigen Kräfte geschritten. Die Kämpfe, welche nun begannen, gehören der österreichischen, speciell der ungarischen Geschichte an. Es folgten sich in raschem Aufeinander die Sendung Sabas Vukowitsch's an die untere Donau, die Entwaffnung der dortigen serbischen Bevölkerung durch die Magyaren, die Zusammenziehung eines ungarischen Corps bei Szegedin, andererseits der Abfall der Grenzer u. Tschaikisten u. die Organisation des serbischen Landsturmes; der mißlungene Versuch des Generals Hrabowski, den Odbor in Karlowitz auseinander zu sprengen, ein schlecht gehaltener Waffenstillstand vom 24. Juni bis 4. Juli, die Nachrichten von der unbefriedigenden Antwort des Kaisers an die serbische Deputation, von der Zersprengung des Slawencongresses, von neuen gewaltigen Rüstungen der Magyaren, der Entschluß des Odbor den Kampf für Anerkennung der Maibeschlüsse fortzusetzen. Stratimirowitsch nahm den Titel eines obersten Heerführers an; was von magyarischen od. kaiserlich gesinnten Behörden noch bestand wurde aufgehoben, die Verwaltung unter die Mitglieder des Odbor vertheilt, der Krieg mit wechselndem Glück hartnäckig u. blutig fortgeführt. Zahlreiche Freiwillige aus dem Fürstenthum Serbien schlossen sich nicht ohne Förderung ihrer Regierung unter Knitschanin dem Kampfe an. Aber die Wendung, welche um diese Zeit die Politik des österreichischen Hofes gegen Ungarn nahm, brachte gleichzeitig auch eine ganz veränderte Stellung desselben gegen die südslawische Bewegung hervor; man glaubte den Zeitpunkt gekommen sich dieser Bewegung, welche eben noch ziemlich entschieden desavouirt worden war, als eines Verbündeten gegen die neuen ungarischen Staatsprincipien zu nähern. Man erkannte demnach die Gerechtigkeit der Forderungen der Südslawen an u. versprach deren Erfüllung, sobald der nunmehr gemeinsame Gegner bezwungen sein würde. Das Werkzeug zu dieser Überleitung der serbischen Erhebung in das Geleise der specifisch österreichischen Interessen war der Patriarch, welcher vom Odbor die Würde eines Verwesers der Nation übertragen erhielt, Stratimirowitsch auf den Oberbefehl über die Truppen beschränkte u. nunmehr im Verein mit dem Banus von Kroatien handelte. In der Batschka u. im Banate wüthete nun der Krieg gegen die Ungarn mit neuer Erbitterung, dort mit glücklichem Erfolge, hier minder günstig für die Serben. Die Befürchtung, Stratimirowitsch sei geneigt der Bewegung eine andere als die entschieden österreichische Richtung zu geben, bestimmte den Patriarchen denselben seines Postens zu entheben, doch erfolgte nach verschiedenen Wechselfällen noch einmal eine Verständigung. Als aber nun endlich der erwählte Wojwode Stephan Schuplikatz ankam, jedoch, weil die Bestätigung seiner Würde noch nicht vom Hofe eingetroffen war, sich der Bewegung fern hielt, brach die Entzweiung von Neuem aus; der Patriarch lenkte immer mehr in die österreichischen Bahnen ein u. entfernte Stratimirowitsch durch eine Sendung nach Olmütz vom Kriegsschauplatz. Die Verhandlungen mit dem österreichischen Hofe wurden aber von diesem nur langsam gefördert, u. erst als eine Aussöhnung der serbischen mit der ungarischen Nation drohte, erfolgte durch Patent vom 15. Decbr. 1848 die Bestätigung des Patriarchen u. des Wojwoden, während die territoriale Frage unerledigt blieb. General Schuplikatz war vor dem Eintreffen der Nachricht von seiner Bestätigung in Pantschevo plötzlich gestorben; der Patriarch nahm nun die Leitung der Angelegenheiten um so unbeschränkter in seine Hand, umgab sich in Semlin mit einem Kreise seiner treuesten Anhänger, erließ Ukase, gab Assignaten aus, ernannte. u. entsetzte Beamte, ohne sich um den Odbor sonderlich zu kümmern. Ja er setzte sogar mit Umgehung des Odbor eine Commission in seiner Umgebung nieder, um über die. Stellung der künftigen Wojwodschaft im Staate Österreich u. eine Verfassung für dieselbe zu berathen. Vergebens ermannte sich nach der Rückkehr Stratimirowitsch's der Odbor u. forderte die Rückkehr des Patriarchen nach Karlowitz u. die Einberufung einer Skuptschina; der Patriarch erließ einen Verhaftsbefehl gegen Stratimirowitsch, forderte den Odbor auf ihm nach Botschkerek zu folgen, wohin er sich unter dem Schutz Knitschanins begab, ließ aber unmittelbar darauf durch General Todorowitsch Karlowitz in Belagerungszustand erklären u. den Odbor auseinander sprengen. Zu einem Widerstand der Nationalpartei war es. zu spät; schon war nicht mehr von einem serbischen Nationalheere, sondern von einem südlichen Armeecorps der k. k. ungarischen Armee unter Windischgrätz die Rede. Der Odbor überließ dem Patriarchengouverneur die Leitung vollständig, u. obwohl eine Versammlung in Semlin (6. Mai 1849) noch einen letzten Widerstand u. die Einberufung einer Volksversammlung versuchte, so wurde dies doch durch erneuertes siegreiches Vordringen der Ungarn unter Perczel unmöglich gemacht. Stratimirowitsch[206] übernahm zum dritten Mal den Oberbefehl u. vertheidigte heldenmüthig das Land vor der Brandfackel Perczels, bis die Ankunft des Banus im Süden ihn seiner schwierigen Aufgabe enthob.
Damit war aber auch das Eingreifen der Südslawen in die große Zeitbewegung zu seinem Ende gelangt. Mit der festeren Neugestaltung der staatlichen Zustände in Europa seit 1849 zog sich die Idee der Vereinigung der slawischen Stämme wiederum von dem politischen Schauplatz zurück u. spielte nur auf dem literarischen, namentlich linguistischen Gebiete ihre Rolle fort. Doch kann der Gedanke des Panslawismus keineswegs für erloschen gelten. Vielfache Symptome sprechen dafür; mußten sich auch die Hoffnungen auf Wiederherstellung Polens durch Rußland, welche eine Zeitlang die Polen Frieden mit der russischen Regierung machen ließen, als trügerisch erweisen, Aufstände in Bulgarien u. Bosnien, denen man meistentheils panslawistische Tendenzen unterlegte, erfolglos u. die Christen dieser Gegend trotz der Verwendungen der Westmächte unverändert unter dem Druck der Türken bleiben: so hat doch ein Theil der Südslawen in dem Fürstenthum Serbien einen gewissen Grad von nationaler Selbständigkeit errungen. Unverkennbar ist Serbien jetzt der Mittelpunkt für die Interessen u. Bewegungen eines großen Theiles der S., Belgrad gewissermaßen die geistige Hauptstadt des Südslawenthums. Eine Karte, welche Serbien, Bosnien, die Herzegowina, Montenegro, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Syrmien u. die Militärgrenze zu einem Großserbischen Reich vereinigte, mußte 1853 in Österreich verboten werden. Einen Hauptsammelpunkt der panslawistischen Ideen bildeten die literarischen Gesellschaften, wie deren fast für jeden slawischen Sprachzweig, bes. regsam in Belgrad u. Agram, bestehen. Von der letzteren wurde 1851 ein Congreß slawischer Gelehrten in Agram zur Erzielung slawischer Spracheinheit angeregt, welcher jedoch. nicht zu Stande gekommen zu sein scheint. Erst seit dem Jahr 1859 begannen die slawischen Bewegungen wieder mehr hervorzutreten, namentlich in ihrer Richtung gegen die germanischen Elemente. Vor Allen waren es die Tschechen, welche nicht blos für Böhmen, sondern für ganz Österreich eine wichtige Rolle spielten. Ihr Programm, welches bezüglich des Verhältnisses zum Kaiserstaat Fortdauer der Centralministerien des Äußeren, der Finanzen, des Krieges u. des Handels, für alle übrigen Angelegenheiten aber die Autonomie des böhmischen Landtags wollte, desavouirte zwar die Idee des Panslawismus u. erklärte die Literatur u. Bildung der Tschechen als die erste unter den der Slawenstämme, redete aber doch der slawischen Wechselseitigkeit in Cultur u. Literatur das Wort u. fügte hinzu, daß in dem Gemeingefühl des großen Slawenthums die feste Zuversicht des endlichen Sieges beruhe, wenn etwa die Vorsehung ihre Nation mit einem Kampfe heimsuchen sollte. Das Werk der Tschechisirung Böhmens wurde von den Ultranationalen mit Eifer in die Hand genommen; in den Gemeindevertretungen, auf dem Landtage u. im Reichsrath führten sie das große Wort im Namen des Landes u. ihr Streben ging auf nichts Geringeres, als auf die vollständige Decentralisation Österreichs, welche es möglich machen würde, auf den historischen Boden zurückzukehren, als welcher der Zustand vor der Schlacht am Weißen Berge (1620) angesehen wurde, u. Böhmen mit einer Regierung nach dem Namen der alten böhmischen Staatsrechte u. der Ferdinandeischen Landesordnung zu beglücken. Ist nun auch vor der Hand an eine Ausführung der tschechischen Pläne nicht zu denken, so geschieht doch Alles, um das deutsche Element in Böhmen thunlichst zu verkürzen u. zu beschränken, namentlich in den Schulen, denen man das Tschechenthum aufdrängt, u. in verschiedenen Vereinen. Laßheit u. Uneinigkeit der Deutschen trägt vielfach dazu bei die tschechischen Bestrebungen zu fördern. Wie für Böhmen, so ist auch für die reinslawischen Provinzen die Stellung im constitutionellen Österreich noch keineswegs befestigt; wie unter den Westslawen so zeigt sich auch unter den Südslawen eine centrifugale Bewegung, deren Charakter durch die eigenthümlichen Verhältnisse dieser Provinzen in Ungarn nach vielfach bestimmt wird. Zu einer allgemeinen, die Grenzen der einzelnen Provinzen u. Reiche überschreitenden Bewegung haben es aber die Südslawen nicht wieder gebracht, u. was in den verschiedenen Provinzen geschah, gehört in die österreichische od. türkische Provinzialgeschichte. Daß aber die verschiedenen Bevölkerungen an der unteren Donau in einer fortwährenden Gährung sind, lehren einzelne Symptome deutlich genug, u. es steht kaum zu bezweifeln, daß in nicht zu ferner Zeit ein Umschwung der Dinge dort erfolgen wird. Ob dies aber die Errichtung eines Südslawischen Reiches unter Österreichs Scepter, ob die Bildung eines eigenen Staatskörpers aus den türkisch-slawischen Provinzen nach dem Vorbilde Serbiens, od. eine Vereinigung dieser Provinzen mit Serbien sein wird, ruht im Schooße der Zukunft. Dafür, daß Rußland die panslawistischen Tendenzen begünstige, fehlt es in neuerer Zeit, namentlich seit den letzten aufrührerischen Ereignissen in Polen, an sicheren Kennzeichen; auch seit Großfürst Constantin, welchen man früher vielfach für den Förderer dieser Ideen hielt, die Statthalterschaft in Warschau übernommen hat, sind die Polen, welche den Russen noch immer feindlich gegenüber stehen, in kein näheres Verhältniß zu den übrigen Slawenstämmen getreten. Doch wurden im Herbst 1862 an der neu errichteten Universität in Warschau für jede der slawischen Hauptsprachen, namemtlich für das Russische, Polnische, Tschechische, Ruthenische, Slawonische u. Serbische, ein besonderer Lehrstuhl gegründet, u. dadurch Warschau gewissermaßen zum Mittelpunkt der geistigen u. literarischen Bewegung aller slawischen Stämme gemacht.
Vgl. die Literatur zu Slawische Sprachen u. oben S. 203; außerdem Helmold, Chronicon Slavorum (bis 1209), herausgeg. von Bangert, Lüb. 1659, von I. Moller, 1704, in Pertz Monum. germ. hist.; I. C. de Jordan, De originibus slavicis, Wien 1745, 4 Thle.; I. Rohrer, Versuch über die slawischen Völker in der Österreichischen Monarchie, ebd. 1804; Gebhardi, Geschichte der wendisch-slawischen Staaten, Wien 1785; Haas, Geschichte des Slawenlandes an der Aisch, Bamb. 1819; Schafarik, Slowansky narodopsis, Prag 1842, 3. A. 1850; S., Russen u. Germanen, Lpz. 1842; Slawismus u. Pseudomagyarismus, ebd. 1842; S. u. Magyaren, ebd. 1844.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 199-207. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20010946020